Das falsche Spiel des Fischers
Maresciallo Bonanno sucht nach Regeln. Roman
Eigentlich hatte Maresciallo Bonanno sich auf einen erholsamen Urlaub mit Tochter Vanessa gefreut, doch dann macht ihm ein mysteriöser Mordfall einen Strich durch die Rechnung. Auf der Müllkippe hat man einen Toten gefunden, der im wahrsten Sinne...
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Produktinformationen zu „Das falsche Spiel des Fischers “
Eigentlich hatte Maresciallo Bonanno sich auf einen erholsamen Urlaub mit Tochter Vanessa gefreut, doch dann macht ihm ein mysteriöser Mordfall einen Strich durch die Rechnung. Auf der Müllkippe hat man einen Toten gefunden, der im wahrsten Sinne des Wortes ordentlich Dreck am Stecken hatte. Bonanno sieht sich nicht nur in einer Klemme: seine Tochter macht ihm die Hölle heiß und sein Vorgesetzter erwartet schnelle Ergebnisse. Schließlich kommt Bonanno einer grausamen Intrige auf die Spur, die ihm den Atem raubt.
Lese-Probe zu „Das falsche Spiel des Fischers “
LeseprobeRoberto Mistretta
Das falsche Spiel des Fischers
Eigentlich hatte Maresciallo Bonanno sich auf einen erholsamen Urlaub mit Tochter Vanessa gefreut, doch dann macht ihm ein mysteriöser Mordfall einen Strich durch die Rechnung. Auf der Müllkippe im sizilianischen Villabosco hat man einen Toten gefunden, der - wie sich schon nach kurzer Zeit herausstellt - in verschiedener Hinsicht ordentlich Dreck am Stecken hatte. Für Bonanno ist Schwitzen angesagt:
Nicht nur seine verwöhnte Tochter macht ihm die Hölle heiß, auch sein Vorgesetzter, der aufgrund einer kräftezehrenden Liebesaffäre derzeit nur bedingt einsatzfähig ist, sorgt dafür, dass Bonanno schließlich im Alleingang einem grausamen Spiel auf die Spur kommt, bei dem im mehr als ein Mal die Luft wegbleibt ...
Eins
Der Lastwagen der Gemeinde fuhr schleppend dahin und verpestete die Luft. Tanino Rizzo strahlte, während er das Fahrzeug über die schmale, holprige Fahrstraße lenkte, die von Villabosco nach Borgo Raffello führte. Dabei pfiff er ein uraltes Lied, das einzige, bei dem er sich genau an die richtige Melodie und den Rhythmus erinnern konnte. Weder die Frühlingsluft noch der Gestank des Riesenhaufens Müll, den sie transportierten, schienen ihm die leiseste Reaktion zu entlocken. Er fuhr und pfiff ganz zufrieden vor sich hin.
"Schluss mit diesem nervigen Gejaule! Heute Morgen pfeifst du zum Gotterbarmen falsch. Ist doch wahr, oder, Ciccio?"
"Aber hundertprozentig, Kollege. Tanino hat nachts seinen Spaß mit seiner Freundin aus Bonanotti, und wir müssen dann am nächsten Morgen ertragen, dass er sich hier auszwitschert."
"Ich glaube, er muss sich gar nicht abreagieren", antwortete Cola. "Wenn der Vogel trällert, dann hat er seinen Schnabel nicht im Wasser und deswegen ..."
Der Schlag traf Cola zwischen Schulterblatt und Hals. Er entlockte ihm ein unterdrücktes Fluchen. Tanino ließ nicht zu, dass man über seine Männlichkeit spottete.
Cola sah ihn düster, beinahe beleidigt an.
... mehr
Ciccio unterstützte ihn bei dieser Komödie. Sie hatten es geschafft. Tanino hatte aufgehört zu pfeifen und quatschte sie jetzt voll. Er zählte die verborgenen Talente seines Piephahns auf. Und wenn er bei dem Thema war, dann hörte er nicht so bald wieder auf.
Es war ein frischer Maitag. Der Nordwind schüttelte die üppig tragenden Mandelbäume und kitzelte die prachtvoll wachsenden Ähren in einem zeitlosen Lauf, regungslos wie die antiken Stätten. Das blühende Montanvalle zeigte sich in verführerischer Schönheit. Schwalben kreisten zwitschernd am blauen Himmel, schwarze lebendige Punkte, die die smaragdgrünen Hügel wie eine Stickerei schmückten.
Die Müllkippe kündigte sich mit beißendem Gestank und durchdringendem Modergeruch an, der einem die Kehle zuschnürte. Sie lag in unmittelbarer Nähe der archäologischen Zone von Raffello. Antike Völker waren auf dem einst breiten Wasserlauf gekommen und hatten sich vor vielen Jahrhunderten im nahen Vorgebirge angesiedelt. Dort hatten sie ein Dorf gegründet, von dem wertvolle Überreste und geplünderte Gräber übrig geblieben waren. Die Besucher aus grauer Vorzeit hätten sicher einen anderen Ort gesucht, um dort ihre Knochen bleichen zu lassen, hätten sie gewusst, wie wenig Achtung ihre Nachkommen ihnen entgegenbringen würden. Einen Ort fern von respektlosen Dieben und einer Luft, die durch den Müllgestank verpestet wurde.
Tanino redete immer noch über Länge und Ausdauer seines kleinen Freundes, der angeblich ein unermüdlicher Gefährte bei intimen Erkundungen weiblicher Spalten war. Dabei fuhr er mit dem Lastwagen die staubige Straße hinauf, die zur Mülldeponie führte, und erreichte schließlich deren steil abfallende Grube. Cola und Ciccio sprangen aus dem Führerhaus und hängten sich links und rechts an den Lastwagen, um beim Einparken zu helfen. Tanino musste nämlich im Rückwärtsgang auf der holprigen Straße entlangfahren, die die Grube begrenzte, bevor er die vielen Tonnen Unrat abladen konnte.
Für dieses Manöver waren genau bemessene und vorsichtige Bewegungen nötig. Ein paar Zentimeter zu weit, und die Räder würden nicht auf der Straße, sondern im Nichts landen und der Wagen den darunterliegenden Abhang hinabstürzen.
"Los, Tanino, noch ein paar Meter, ja, genauso, Tanino. Noch mal, ganz ruhig, fahr langsam, du bist fast da. Los, tu einfach so, als wärst du bei Cettina! Vorwärts und keine Angst, zeig uns, was du für ein Mann bist, und lass dich nicht bitten. Los, rückwärts, ja, genauso ... O, verdammt, verdammte Scheiße, so eine Scheiße ...!" Cola wurde ganz blass, seine Beine gaben nach, und er lag plötzlich ausgestreckt auf einer Ekel erregenden Unterlage.
"Was ist denn passiert?", fragte Ciccio atemlos. Der plötzliche Anfall seines Arbeitskollegen hatte ihn überrascht. Auch Tanino war aufgeregt, stoppte den Lastwagen und war mit einem schwungvollen Satz bei seinen Kollegen.
Cola konnte man förmlich beim Blasswerden zusehen. Er wirkte so, als wäre gerade der Teufel höchstpersönlich hinter dem Haufen aus stinkender Asche aufgetaucht. Cola war fertig. Mit zitternder Hand zeigte er auf einen Punkt auf der Müllkippe und konnte nicht mehr sagen als: "Da, da ..."
Dann sank er ohnmächtig in den Armen seiner beiden Kollegen zusammen.
Maresciallo Bonanno trank gerade den dritten Espresso an diesem Morgen. Dampfend und schwarz, so wie er ihn mochte. Doch kaum hatte er den ersten Schluck genommen, fing er an zu fluchen. Seit er beschlossen hatte abzunehmen, war das Leben nur noch zum Heulen. Da er die überflüssigen Pfunde loswerden wollte, die sich auf seine Hüften gelegt hatten - ein Andenken an seinen Heißhunger auf Süßigkeiten -, war der erste Schluck Espresso nicht mehr der magische und glückliche Moment, dem üblicherweise eine weitere Gewohnheit vorausging: sich eine prachtvolle Zigarette anzuzünden und den starken Rauch zu inhalieren. Da war nichts zu machen. Den bitteren Espresso brachte er wirklich nicht hinunter.
"Steppani!", rief Bonanno ärgerlich.
"Zu Befehl, Maresciallo!"
"Kannst du mir erklären, wer die grandiose Idee hatte, mir dieses fade Gesöff unterzuschieben?"
"Seit zwei Tagen gehen Sie allen hier mit diesem Unfug auf die Nerven. 'Jungs, ab heute mache ich Diät', haben Sie gesagt. Und wenn jemand abnehmen will, trinkt er den Espresso ohne Zucker."
"Jetzt ist Schluss mit dieser Brühe, die nach Gift schmeckt!"
"Wie Sie befehlen, ich kümmere mich sofort darum. Reicht ein Löffel Zucker?"
"Besser eineinhalb. Von jetzt an besorgen wir aber Süßstoff in kleinen Päckchen, verstanden!"
"Zu Befehl, Maresciallo!"
Den neuen Espresso genoss er mit einem glücklichen Lächeln. Seine Gedanken wanderten ruhelos und unkontrolliert über Berg und Tal. Wie wilde Pferde in den Ebenen des Montanvalle. Lästigerweise drängte Steppani sich in diese wunderbare Welt. Wegen seines Berichtes bekam Bonanno den Espresso in die falsche Kehle. Das war nicht sein Tag. Das hatte schon in seinem Horoskop gestanden: Ein kritischer Tag. Ärger im Beruf. Bleiben Sie gelassen und achten Sie auf Ihr Gewicht.
Cola hatte wieder ein wenig Farbe bekommen. Das Blassgrün seiner Haut wich langsam einem Blutrot, das allmählich seinen ganzen Schädel überzog. Er war vernünftigen Argumenten nicht zugänglich.
"Ich gehe da nicht runter, nicht einmal, wenn ihr mich sonst erschießt. Macht das selbst, genau da gegenüber, auf der rechten Seite. Man sieht es schon von hier. Ihr könnt es gar nicht verfehlen. Aus dem stinkenden Müll schauen zwei Schuhe hervor, die an zwei hellen Hosenbeinen hängen. Wie der ganze Rest. Von hier sieht er ganz wie ein Christenmensch aus, aber ich würde es nicht beschwören. Mein Gott, mir dreht sich der Magen um. Heilige Mutter Gottes, was für ein Anblick! Ab morgen melde ich mich krank. Durch den Sturz habe ich mir einen Bluterguss geholt. Ich habe aufsteigende Hitze, schlimmer als jedes Weib."
Bonanno brauchte nicht sehr viel, um auch noch den letzten Rest an Geduld zu verlieren, die ihm nach der Autofahrt geblieben war. Zehn Kilometer lang nichts als Kurven. Wenn Steppani fuhr, rutschte einem der Magen bis in den Hals hinauf, und es gab so schnell keine Möglichkeit, ihn wieder zum Landen zu bringen. Stundenlang hielt dann jedes Mal sein Drang an, zu fluchen und sich zu übergeben. Und von hinten auf seinen Untergebenen zu schießen.
"Wenn du nicht sofort deinen fetten Arsch bewegst und uns zu der Stelle bringst, wo du diesen Mann inmitten eines Meeres aus Unrat hast liegen sehen, dann lasse ich dich den ganzen Tag hier festhalten, Cola Turco. Also spiel ja nicht den Witzbold!"
"Ich zeige Ihnen den Toten, Maresciallo, kommen Sie bitte mit!", meinte Tanino, der Fahrer des Müllwagens, versöhnlich.
Gefolgt von Steppani, seinen anderen Mitarbeitern aus der Abteilung und den Leuten von der Funkstreife, begann Bonanno, sich die gewundene Straße entlangzuschleppen. Es war nicht einfach, an der Straßenböschung hinunterzugehen. Der Müll stank erbärmlich und setzte sich in den Sohlen der Halbstiefel unter den Uniformhosen fest. Die verpestete, faulig riechende Luft hätte man mit dem Messer schneiden können. Da lag wirklich ein Toter, zwischen Müll und Kleidungsstücken verborgen. Auf den ersten Blick schien es sich um die Leiche eines Mannes zwischen fünfundfünfzig und sechzig Jahren zu handeln. Er war groß und kräftig.
"Habt ihr die Zentrale verständigt?", fragte Bonanno.
"Selbstverständlich, Maresciallo, wir haben es Ihnen doch direkt mitgeteilt, wissen Sie das nicht mehr?"
"Ich meine, ob ihr dem Capitano Bescheid gegeben habt, dem Kommandanten der Station. Der Kerl ist wirklich tot. Los, an die Arbeit, wir müssen die Beamten verständigen! Und findet mir den Gerichtsmediziner! Ist Lacomare fertig mit den Fotos?"
"Ein paar fehlen noch, damit wir den Toten aus allen Blickwinkeln haben", gab Steppani zurück.
"Hat Lacomare ihn so hingelegt?", brummte Bonanno.
Steppani blieb sich treu. Leichen stimmten ihn fröhlich, sie brachten Abwechslung in den Alltag, zogen ihn an. Bonanno verbarg eine Grimasse des Abscheus. "Leitender Brigadiere Steppani, du hast jetzt die Ehre, den Toten zu durchsuchen. Stell fest, ob er Papiere bei sich hat."
"Wer soll den Toten durchsuchen? Etwa ich?", stotterte Steppani.
"Nein, dein Großvater", antwortete Bonanno.
Bonanno telefonierte gerade mit dem Handy seines Untergebenen. Er selbst konnte diese klingelnden Dinger nicht ausstehen.
"Nein, Dottor Panzavecchia, keine Papiere. Absolut nichts. Man hat ihn gründlich ausgeräumt. Bis jetzt konnten wir den Toten noch nicht identifizieren. Wir können jedoch mit Bestimmtheit ausschließen, dass er von hier kommt. Die drei Arbeiter der städtischen Müllabfuhr behaupten, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben. Und mir ist das Gesicht auch völlig fremd. Ja, der Gerichtsmediziner ist angekommen, aber es gibt da ein Problem: Er weigert sich, in die Müllgrube zu steigen.
Wenn Sie uns ermächtigen, die Leiche wegzutragen, wird alles viel einfacher. Wir haben schon die Feuerwehr alarmiert. Die Männer sind bereits am Tatort. Ihn da hochzuholen wird sicher kein Spaziergang, doch wenigstens können wir dann von hier verschwinden. Der Gestank beißt uns allen in die Lungen ... Ja. Vielleicht kommt der Capitano gleich. Er ... äh ... war außer Haus. Hatte ein Problem mit seinem Wagen. Er wird ein paar Stunden bis zu uns brauchen. In Ordnung, Dottor Panzavecchia, wir sprechen später wieder. Selbstverständlich informiere ich Sie. Auf den ersten Blick weist der Tote keine weiteren Verletzungen auf, außer dass sein Kopf wie eine Melone gespalten wurde. Ja, bis später."
Bonanno beendete das Gespräch. "Dann wollen wir mal, ihr bindet ihn an Seilen fest und zieht ihn aus dem Loch!"
Feuerwehrleute und Carabinieri schauten angeekelt drein und warfen ihm vernichtende Blicke zu. Bonanno drehte ihnen den Rücken zu und tat so, als hörte er ihr Fluchen nicht.
"Sie haben es erraten, Dottor Panzavecchia, keine Schuss- oder Stichwunde. Der Gerichtsmediziner Dottor Paternò meint, hundert zu eins sei der Tod durch den Schlag auf den Kopf verursacht worden. Der Mörder muss mit einer schweren Waffe und mit viel Kraft zugeschlagen haben", berichtete Bonanno dem Untersuchungsrichter.
"Der Schlag traf den Ermordeten von hinten. Mit so viel Kraft, dass sein Schädel zertrümmert wurde. Dottor Paternò will sich vor der Autopsie noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, doch anscheinend war der Mann sofort tot. Man hat ihm Geld, Papiere und Wertgegenstände abgenommen, falls er welche bei sich trug. Alles hat man ihm weggenommen. Vielleicht war er zufällig hier, hat jemanden im Wagen mitgenommen, und dann ... Wer weiß, was dann passiert ist.
Ich habe bereits Kontrollen und Polizeisperren veranlasst, aber meiner Meinung nach verschwenden wir nur Zeit. Jedenfalls durchsuchen wir Villabosco und die angrenzenden Dörfer. Ja, ich gebe Ihnen Bescheid." Bonanno beendete das Gespräch. Er ließ zu, dass die Hügel in der Ferne, auf denen sich türkisblaue Bäche spiegelten, seine Augen erfüllten, die durch so viel Schmutz ermüdet waren.
"Dann mal los", ermunterte er sich selbst, paffte eine Zigarette und merkte, wie das Gift ihm die Lungen zerfraß.
"Also noch mal von vorn!"
Die drei Müllmänner Tanino, Cola und Ciccio waren am Ende ihrer Kräfte. Die Carabinieri hatten sie in die Zentrale bestellt, und dort litten die drei Männer seit zwei Stunden Höllenqualen und wiederholten immer wieder die gleiche Geschichte. Die Beamten konnten sich trotzdem nicht entschließen, sie nach Hause gehen zu lassen.
"Jetzt hört endlich auf, uns auf die Eier zu gehen. Nachher beschwert ihr euch wieder, dass die Leute nicht mit euch zusammenarbeiten wollen. Natürlich ist das so, denn wenn ihr hier so einen Aufstand macht, wer, glaubt ihr, wird euch noch rufen, wenn was passiert ist? Das nächste Mal machen wir auf dem Absatz kehrt und schließen beide Augen, damit ihr lernt, brave Bürger nicht wie Verbrecher zu behandeln."
"Immer mit der Ruhe! Arbeiten Sie weiter mit uns zusammen, und das Ganze wird sich schnell aufklären", entgegnete Brigadiere Steppani scharf. "Sobald der Maresciallo da ist, redet ihr mit ihm, und dann könnt ihr nach Hause gehen."
"Noch länger warten? Das ist ja Folter, ich will sofort meinen Anwalt sprechen!"
"Hör auf, dich wie ein Idiot zu benehmen, Cola, das kommt überhaupt nicht infrage!"
"Was für ein Scheißtag!"
"Genau, und was für ein Gestank!"
"Wer wohl der arme Teufel war?"
"Wer weiß das schon? Und was für ein widerlicher Tod! Nicht nur ermordet, sondern auch noch mitten im Müll abgeladen zu werden. Bastarde! Mann, hab ich mich erschreckt!", murmelte Cola.
"Brigadiere, können wir vielleicht erfahren, was wir jetzt noch tun sollen?"
Steppani schaute sie mit dem wütenden Gesichtsausdruck an, den er sich für besondere Gelegenheiten aufhob. Es war ihm nicht ganz klar, was zum Teufel der Maresciallo damit gemeint hatte, als er ihn gebeten hatte, die Zeugenaussagen aufzunehmen, sie den Akten beizulegen und seine Rückkehr abzuwarten. Und um nicht Bonannos Zorn zu erwecken, weil noch kein Geständnis vorlag, tat er gut daran, den Akten nicht nur die Zeugenaussagen, sondern auch die Müllmänner selbst beizulegen.
(Seite 7-16)
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(c) für die Originalausgabe 2001 by Terzo Millenio srl
(c) für die deutschsprachige Ausgabe 2006 by Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, Bergisch Gladbach - All rights reserved.
Es war ein frischer Maitag. Der Nordwind schüttelte die üppig tragenden Mandelbäume und kitzelte die prachtvoll wachsenden Ähren in einem zeitlosen Lauf, regungslos wie die antiken Stätten. Das blühende Montanvalle zeigte sich in verführerischer Schönheit. Schwalben kreisten zwitschernd am blauen Himmel, schwarze lebendige Punkte, die die smaragdgrünen Hügel wie eine Stickerei schmückten.
Die Müllkippe kündigte sich mit beißendem Gestank und durchdringendem Modergeruch an, der einem die Kehle zuschnürte. Sie lag in unmittelbarer Nähe der archäologischen Zone von Raffello. Antike Völker waren auf dem einst breiten Wasserlauf gekommen und hatten sich vor vielen Jahrhunderten im nahen Vorgebirge angesiedelt. Dort hatten sie ein Dorf gegründet, von dem wertvolle Überreste und geplünderte Gräber übrig geblieben waren. Die Besucher aus grauer Vorzeit hätten sicher einen anderen Ort gesucht, um dort ihre Knochen bleichen zu lassen, hätten sie gewusst, wie wenig Achtung ihre Nachkommen ihnen entgegenbringen würden. Einen Ort fern von respektlosen Dieben und einer Luft, die durch den Müllgestank verpestet wurde.
Tanino redete immer noch über Länge und Ausdauer seines kleinen Freundes, der angeblich ein unermüdlicher Gefährte bei intimen Erkundungen weiblicher Spalten war. Dabei fuhr er mit dem Lastwagen die staubige Straße hinauf, die zur Mülldeponie führte, und erreichte schließlich deren steil abfallende Grube. Cola und Ciccio sprangen aus dem Führerhaus und hängten sich links und rechts an den Lastwagen, um beim Einparken zu helfen. Tanino musste nämlich im Rückwärtsgang auf der holprigen Straße entlangfahren, die die Grube begrenzte, bevor er die vielen Tonnen Unrat abladen konnte.
Für dieses Manöver waren genau bemessene und vorsichtige Bewegungen nötig. Ein paar Zentimeter zu weit, und die Räder würden nicht auf der Straße, sondern im Nichts landen und der Wagen den darunterliegenden Abhang hinabstürzen.
"Los, Tanino, noch ein paar Meter, ja, genauso, Tanino. Noch mal, ganz ruhig, fahr langsam, du bist fast da. Los, tu einfach so, als wärst du bei Cettina! Vorwärts und keine Angst, zeig uns, was du für ein Mann bist, und lass dich nicht bitten. Los, rückwärts, ja, genauso ... O, verdammt, verdammte Scheiße, so eine Scheiße ...!" Cola wurde ganz blass, seine Beine gaben nach, und er lag plötzlich ausgestreckt auf einer Ekel erregenden Unterlage.
"Was ist denn passiert?", fragte Ciccio atemlos. Der plötzliche Anfall seines Arbeitskollegen hatte ihn überrascht. Auch Tanino war aufgeregt, stoppte den Lastwagen und war mit einem schwungvollen Satz bei seinen Kollegen.
Cola konnte man förmlich beim Blasswerden zusehen. Er wirkte so, als wäre gerade der Teufel höchstpersönlich hinter dem Haufen aus stinkender Asche aufgetaucht. Cola war fertig. Mit zitternder Hand zeigte er auf einen Punkt auf der Müllkippe und konnte nicht mehr sagen als: "Da, da ..."
Dann sank er ohnmächtig in den Armen seiner beiden Kollegen zusammen.
Maresciallo Bonanno trank gerade den dritten Espresso an diesem Morgen. Dampfend und schwarz, so wie er ihn mochte. Doch kaum hatte er den ersten Schluck genommen, fing er an zu fluchen. Seit er beschlossen hatte abzunehmen, war das Leben nur noch zum Heulen. Da er die überflüssigen Pfunde loswerden wollte, die sich auf seine Hüften gelegt hatten - ein Andenken an seinen Heißhunger auf Süßigkeiten -, war der erste Schluck Espresso nicht mehr der magische und glückliche Moment, dem üblicherweise eine weitere Gewohnheit vorausging: sich eine prachtvolle Zigarette anzuzünden und den starken Rauch zu inhalieren. Da war nichts zu machen. Den bitteren Espresso brachte er wirklich nicht hinunter.
"Steppani!", rief Bonanno ärgerlich.
"Zu Befehl, Maresciallo!"
"Kannst du mir erklären, wer die grandiose Idee hatte, mir dieses fade Gesöff unterzuschieben?"
"Seit zwei Tagen gehen Sie allen hier mit diesem Unfug auf die Nerven. 'Jungs, ab heute mache ich Diät', haben Sie gesagt. Und wenn jemand abnehmen will, trinkt er den Espresso ohne Zucker."
"Jetzt ist Schluss mit dieser Brühe, die nach Gift schmeckt!"
"Wie Sie befehlen, ich kümmere mich sofort darum. Reicht ein Löffel Zucker?"
"Besser eineinhalb. Von jetzt an besorgen wir aber Süßstoff in kleinen Päckchen, verstanden!"
"Zu Befehl, Maresciallo!"
Den neuen Espresso genoss er mit einem glücklichen Lächeln. Seine Gedanken wanderten ruhelos und unkontrolliert über Berg und Tal. Wie wilde Pferde in den Ebenen des Montanvalle. Lästigerweise drängte Steppani sich in diese wunderbare Welt. Wegen seines Berichtes bekam Bonanno den Espresso in die falsche Kehle. Das war nicht sein Tag. Das hatte schon in seinem Horoskop gestanden: Ein kritischer Tag. Ärger im Beruf. Bleiben Sie gelassen und achten Sie auf Ihr Gewicht.
Cola hatte wieder ein wenig Farbe bekommen. Das Blassgrün seiner Haut wich langsam einem Blutrot, das allmählich seinen ganzen Schädel überzog. Er war vernünftigen Argumenten nicht zugänglich.
"Ich gehe da nicht runter, nicht einmal, wenn ihr mich sonst erschießt. Macht das selbst, genau da gegenüber, auf der rechten Seite. Man sieht es schon von hier. Ihr könnt es gar nicht verfehlen. Aus dem stinkenden Müll schauen zwei Schuhe hervor, die an zwei hellen Hosenbeinen hängen. Wie der ganze Rest. Von hier sieht er ganz wie ein Christenmensch aus, aber ich würde es nicht beschwören. Mein Gott, mir dreht sich der Magen um. Heilige Mutter Gottes, was für ein Anblick! Ab morgen melde ich mich krank. Durch den Sturz habe ich mir einen Bluterguss geholt. Ich habe aufsteigende Hitze, schlimmer als jedes Weib."
Bonanno brauchte nicht sehr viel, um auch noch den letzten Rest an Geduld zu verlieren, die ihm nach der Autofahrt geblieben war. Zehn Kilometer lang nichts als Kurven. Wenn Steppani fuhr, rutschte einem der Magen bis in den Hals hinauf, und es gab so schnell keine Möglichkeit, ihn wieder zum Landen zu bringen. Stundenlang hielt dann jedes Mal sein Drang an, zu fluchen und sich zu übergeben. Und von hinten auf seinen Untergebenen zu schießen.
"Wenn du nicht sofort deinen fetten Arsch bewegst und uns zu der Stelle bringst, wo du diesen Mann inmitten eines Meeres aus Unrat hast liegen sehen, dann lasse ich dich den ganzen Tag hier festhalten, Cola Turco. Also spiel ja nicht den Witzbold!"
"Ich zeige Ihnen den Toten, Maresciallo, kommen Sie bitte mit!", meinte Tanino, der Fahrer des Müllwagens, versöhnlich.
Gefolgt von Steppani, seinen anderen Mitarbeitern aus der Abteilung und den Leuten von der Funkstreife, begann Bonanno, sich die gewundene Straße entlangzuschleppen. Es war nicht einfach, an der Straßenböschung hinunterzugehen. Der Müll stank erbärmlich und setzte sich in den Sohlen der Halbstiefel unter den Uniformhosen fest. Die verpestete, faulig riechende Luft hätte man mit dem Messer schneiden können. Da lag wirklich ein Toter, zwischen Müll und Kleidungsstücken verborgen. Auf den ersten Blick schien es sich um die Leiche eines Mannes zwischen fünfundfünfzig und sechzig Jahren zu handeln. Er war groß und kräftig.
"Habt ihr die Zentrale verständigt?", fragte Bonanno.
"Selbstverständlich, Maresciallo, wir haben es Ihnen doch direkt mitgeteilt, wissen Sie das nicht mehr?"
"Ich meine, ob ihr dem Capitano Bescheid gegeben habt, dem Kommandanten der Station. Der Kerl ist wirklich tot. Los, an die Arbeit, wir müssen die Beamten verständigen! Und findet mir den Gerichtsmediziner! Ist Lacomare fertig mit den Fotos?"
"Ein paar fehlen noch, damit wir den Toten aus allen Blickwinkeln haben", gab Steppani zurück.
"Hat Lacomare ihn so hingelegt?", brummte Bonanno.
Steppani blieb sich treu. Leichen stimmten ihn fröhlich, sie brachten Abwechslung in den Alltag, zogen ihn an. Bonanno verbarg eine Grimasse des Abscheus. "Leitender Brigadiere Steppani, du hast jetzt die Ehre, den Toten zu durchsuchen. Stell fest, ob er Papiere bei sich hat."
"Wer soll den Toten durchsuchen? Etwa ich?", stotterte Steppani.
"Nein, dein Großvater", antwortete Bonanno.
Bonanno telefonierte gerade mit dem Handy seines Untergebenen. Er selbst konnte diese klingelnden Dinger nicht ausstehen.
"Nein, Dottor Panzavecchia, keine Papiere. Absolut nichts. Man hat ihn gründlich ausgeräumt. Bis jetzt konnten wir den Toten noch nicht identifizieren. Wir können jedoch mit Bestimmtheit ausschließen, dass er von hier kommt. Die drei Arbeiter der städtischen Müllabfuhr behaupten, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben. Und mir ist das Gesicht auch völlig fremd. Ja, der Gerichtsmediziner ist angekommen, aber es gibt da ein Problem: Er weigert sich, in die Müllgrube zu steigen.
Wenn Sie uns ermächtigen, die Leiche wegzutragen, wird alles viel einfacher. Wir haben schon die Feuerwehr alarmiert. Die Männer sind bereits am Tatort. Ihn da hochzuholen wird sicher kein Spaziergang, doch wenigstens können wir dann von hier verschwinden. Der Gestank beißt uns allen in die Lungen ... Ja. Vielleicht kommt der Capitano gleich. Er ... äh ... war außer Haus. Hatte ein Problem mit seinem Wagen. Er wird ein paar Stunden bis zu uns brauchen. In Ordnung, Dottor Panzavecchia, wir sprechen später wieder. Selbstverständlich informiere ich Sie. Auf den ersten Blick weist der Tote keine weiteren Verletzungen auf, außer dass sein Kopf wie eine Melone gespalten wurde. Ja, bis später."
Bonanno beendete das Gespräch. "Dann wollen wir mal, ihr bindet ihn an Seilen fest und zieht ihn aus dem Loch!"
Feuerwehrleute und Carabinieri schauten angeekelt drein und warfen ihm vernichtende Blicke zu. Bonanno drehte ihnen den Rücken zu und tat so, als hörte er ihr Fluchen nicht.
"Sie haben es erraten, Dottor Panzavecchia, keine Schuss- oder Stichwunde. Der Gerichtsmediziner Dottor Paternò meint, hundert zu eins sei der Tod durch den Schlag auf den Kopf verursacht worden. Der Mörder muss mit einer schweren Waffe und mit viel Kraft zugeschlagen haben", berichtete Bonanno dem Untersuchungsrichter.
"Der Schlag traf den Ermordeten von hinten. Mit so viel Kraft, dass sein Schädel zertrümmert wurde. Dottor Paternò will sich vor der Autopsie noch nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, doch anscheinend war der Mann sofort tot. Man hat ihm Geld, Papiere und Wertgegenstände abgenommen, falls er welche bei sich trug. Alles hat man ihm weggenommen. Vielleicht war er zufällig hier, hat jemanden im Wagen mitgenommen, und dann ... Wer weiß, was dann passiert ist.
Ich habe bereits Kontrollen und Polizeisperren veranlasst, aber meiner Meinung nach verschwenden wir nur Zeit. Jedenfalls durchsuchen wir Villabosco und die angrenzenden Dörfer. Ja, ich gebe Ihnen Bescheid." Bonanno beendete das Gespräch. Er ließ zu, dass die Hügel in der Ferne, auf denen sich türkisblaue Bäche spiegelten, seine Augen erfüllten, die durch so viel Schmutz ermüdet waren.
"Dann mal los", ermunterte er sich selbst, paffte eine Zigarette und merkte, wie das Gift ihm die Lungen zerfraß.
"Also noch mal von vorn!"
Die drei Müllmänner Tanino, Cola und Ciccio waren am Ende ihrer Kräfte. Die Carabinieri hatten sie in die Zentrale bestellt, und dort litten die drei Männer seit zwei Stunden Höllenqualen und wiederholten immer wieder die gleiche Geschichte. Die Beamten konnten sich trotzdem nicht entschließen, sie nach Hause gehen zu lassen.
"Jetzt hört endlich auf, uns auf die Eier zu gehen. Nachher beschwert ihr euch wieder, dass die Leute nicht mit euch zusammenarbeiten wollen. Natürlich ist das so, denn wenn ihr hier so einen Aufstand macht, wer, glaubt ihr, wird euch noch rufen, wenn was passiert ist? Das nächste Mal machen wir auf dem Absatz kehrt und schließen beide Augen, damit ihr lernt, brave Bürger nicht wie Verbrecher zu behandeln."
"Immer mit der Ruhe! Arbeiten Sie weiter mit uns zusammen, und das Ganze wird sich schnell aufklären", entgegnete Brigadiere Steppani scharf. "Sobald der Maresciallo da ist, redet ihr mit ihm, und dann könnt ihr nach Hause gehen."
"Noch länger warten? Das ist ja Folter, ich will sofort meinen Anwalt sprechen!"
"Hör auf, dich wie ein Idiot zu benehmen, Cola, das kommt überhaupt nicht infrage!"
"Was für ein Scheißtag!"
"Genau, und was für ein Gestank!"
"Wer wohl der arme Teufel war?"
"Wer weiß das schon? Und was für ein widerlicher Tod! Nicht nur ermordet, sondern auch noch mitten im Müll abgeladen zu werden. Bastarde! Mann, hab ich mich erschreckt!", murmelte Cola.
"Brigadiere, können wir vielleicht erfahren, was wir jetzt noch tun sollen?"
Steppani schaute sie mit dem wütenden Gesichtsausdruck an, den er sich für besondere Gelegenheiten aufhob. Es war ihm nicht ganz klar, was zum Teufel der Maresciallo damit gemeint hatte, als er ihn gebeten hatte, die Zeugenaussagen aufzunehmen, sie den Akten beizulegen und seine Rückkehr abzuwarten. Und um nicht Bonannos Zorn zu erwecken, weil noch kein Geständnis vorlag, tat er gut daran, den Akten nicht nur die Zeugenaussagen, sondern auch die Müllmänner selbst beizulegen.
(Seite 7-16)
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Bibliographische Angaben
- Autor: Roberto Mistretta
- 2006, 269 Seiten, Maße: 12,8 x 20,5 cm, Leinen, Deutsch
- Übersetzung: Schmidt, Katharina
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3785715757
- ISBN-13: 9783785715758
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