Das goldene Zeitalter
Roman. Aus d. Amerikan. v. Silvia Morawetz
Krönender Abschluss von Gore Vidals viel gerühmtem Romanzyklus über die amerikanische Geschichte: eine unvergleichliche Betrachtung des politischen und kulturellen Lebens in den Staaten von 1939 bis 1954. Zwei epochale Ereignisse der Zweite Weltkrieg...
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Produktinformationen zu „Das goldene Zeitalter “
Krönender Abschluss von Gore Vidals viel gerühmtem Romanzyklus über die amerikanische Geschichte: eine unvergleichliche Betrachtung des politischen und kulturellen Lebens in den Staaten von 1939 bis 1954. Zwei epochale Ereignisse der Zweite Weltkrieg und der Kalte Krieg veränderten die USA von Grund auf.
Diese entscheidenden Jahre der amerikanischen, aber auch europäischen Geschichte porträtiert Vidal mit dem ihm eigenen Witz und Scharfsinn.
Diese entscheidenden Jahre der amerikanischen, aber auch europäischen Geschichte porträtiert Vidal mit dem ihm eigenen Witz und Scharfsinn.
Klappentext zu „Das goldene Zeitalter “
Historische Romane fanden schon immer starke Beachtung, und Gore Vidal ist der unangefochtene Star unter den amerikanischen Autoren, die diese Literaturgattung pflegen. In seinen vorangegangenen sechs Romanen über das amerikanische Imperium "Burr", "Lincoln", "1876", "Empire", "Hollywood" und "Washington, D.C." hat er ein lebenswahres Porträt der amerikanischen Nation seit ihrer Gründung entworfen. Den Autor zeichnen politische Intelligenz, hohe Sprachgewalt und ein souveränes Wissen um alle Aspekte des American Way of Life aus, und seinen historischen Romanen kann nichts Vergleichbares an die Seite gestellt werden. Sie alle wurden weltweit begeistert aufgenommen, wurden Bestseller, manche allerdings entfachten gewaltige Auseinandersetzungen wegen ihrer deutlich ironischen und respektlosen Wertung des amerikanischen Alltags und der Persönlichkeiten, die im Lande die Macht ausübten. Gore Vidals faszinierender neuer Roman schildert das politische und kulturelle Lebens in den St aaten von 1939 bis 1954, als zwei epochale Ereignisse - Zweiter Weltkrieg und Kalter Krieg - das Selbstverständnis der USA von Grund auf veränderten. Die vom Isolationismus geprägte Republik mutierte zu einem die Welt beherrschenden Imperium. Kritische und klarsichtige Zeugen dieser Wandlung sind in diesem Roman Caroline Sanford, ehemalige Hollywood-Produzentin und Zeitungsverlegerin in Washington, D.C., und ihr Neffe Peter Sanford, Verleger des unabhängigen Intelligenzblattes "The American Idea". Sie verfolgen zuerst die meisterhaften Schachzüge des Präsidenten Franklin D. Roosevelt, mit denen er seine kriegsunwilligen Landsleute von der Notwendigkeit der Teilnahme am Kriegsgeschehen überzeugte, und dann die Aktivitäten seines Nachfolgers Harry S. Truman, mit denen er die Nation auf eine jahrzehntelange Auseinandersetzung mit dem Kommunismus einschwor. Diese Entwicklung begleiten die beiden Sanfords mit ausgeprägter Skepsis, obgleich sie einsehen müssen, dass die politischen Vorgäng e, die sie
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bekämpfen, ihrem Land eine neue politische Gewichtung bescheren. Der zentrale Schauplatz ist Washington, D.C., doch spielen auch die Filmmetropole Hollywood und New York eine herausragende Rolle. Zusätzlich zu den fiktiven Personen treten neben den erwähnten Präsidenten weitere herausragende Repräsentanten der Zeitgeschichte auf: Eleanor Roosevelt, der Zeitungszar William Randolph Hearst, die Außenminister Dean Acheson und George Marshall, der Dramatiker Tennessee Williams und Gore Vidal selbst. Entscheidende Jahre der amerikanischen Geschichte werden von Gore Vidal in seinem neuesten Buch mit dem ihm eigenen Witz und Scharfsinn, gepaart mit einem fast klassisch zu nennenden Blick auf das menschliche Schicksal porträtiert. "Das goldene Zeitalter" bietet dem Leser ein hochkarätiges Vergnügen und führt ihn zu einem tieferen Verständnis der amerikanischen Geschichte und Macht.
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Lese-Probe zu „Das goldene Zeitalter “
Vor seinem inneren Auge sah Timothy X. Farrell plötzlich die erste Einstellung des Films, den er aus Daphne Du Mauriers opulentem Roman Rebecca hatte machen wollen. Tim war gerade auf die Einfahrt zu Laurel House eingebogen, das hoch über dem träge dahinstrudelnden Potomac stand, und genau da, in dem kalten silbernen Mondlicht, sah er ihn vor sich, den Anfang seines Films, hätte David O. Selznick ihn nicht beim Kauf der Filmrechte überboten und dann ausgerechnet Alfred Hitchcock als Regisseur verpflichtet. Was jetzt dabei herauskam, war, ganz klar, eine echte Katastrophe.Bedienstete parkten Wagen vor und neben dem Haus mit der pseudogeorgianischen Fassade, dessen Besitzer, Blaise Delacroix Sanford, sein Schwager hätte sein können, hätten Timothy und Blaises Halbschwester Caroline Sanford in den bewegten Jahren, in denen sie gemeinsam ein Filmstudio auf die Beine stellten, das fast einmal Filmgeschichte gemacht hätte, auch Zeit zum Heiraten gefunden ... Wie hieß doch gleich Olivia De Havillands Schwester? Die jetzt die Hauptrolle in Rebecca spielte?
Timothy parkte vor der Eingangstür. Er hörte förmlich die Stimme der wie hieß sie doch gleich von der Leinwand sagen: "Gestern Nacht träumte ich, ich sei wieder auf Manderley" - oder wie die Zeile lautete. Reinster Kitsch natürlich. Timothy bevorzugte seine eigenen "aus dem Leben gegriffenen" Filme, eine ganze Reihe mit dem Titel Hometown, aber das Publikum fühlte sich offenbar besser aufgehoben in schönen Häusern mit schönen Menschen und einem dunklen Geheimnis mittendrin und womöglich mit einem verheerenden Brand, durch den etwas Schreckliches ans Licht kommt. Trotzdem hatte er Rebecca unbedingt machen wollen: einen in jeder Hinsicht Farrell-untypischen Film.
Der Butler war ihm neu. "Sir?" Timothy nannte seinen Namen. Und fragte: "Ist mein Filmteam schon da?"
Der Butler war nun ganz Ohr. "Oh, ja, Mr. Farrell! Es ist mir eine Ehre, Sie kennen zu lernen. Ihre Kameraleute bauen in der Bibliothek auf." Der
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Salon war voller Washingtoner Größen, teils gewählten, teils lokalen wie Alice Roosevelt Longworth, die ausnahmsweise einmal das falsche Blau trug; andere waren frisch aus dem Ausland eingetroffen, nun, da England und Frankreich sich im Krieg mit Deutschland befanden. Für einen Durchschnittsamerikaner wie diesen Butler jedoch hatte das Kino, durch das man etwas wurde, ja, das Unsterblichkeit verlieh, Vorrang vor allem anderen. "Soll ich Sie in die Bibliothek führen, Sir?"
"Nein, noch nicht. Ich muss erst hallo zu ..."
Timothy hatte den eidechsenflinken Washingtoner Blick vergessen, der jeden Menschen beim Betreten eines bedeutenden Salons trifft. Gespräche werden ohne das geringste Stocken fortgesetzt, die ganze Aufmerksamkeit bleibt bei der eigenen Gruppe, und trotzdem wird der Neuankömmling sofort registriert und einsortiert und danach abgetan, bis man ihn braucht. Der Hollywood-Blick war weit aufrichtiger, glich eher dem einer im Sichtfeld des Raubtiers erstarrt stehen gebliebenen Hirschkuh. Zum Glück kannte niemand Timothy wirklich von Angesicht, ausgenommen Frederika Sanford, Blaises Frau, die nun rasch durch den Raum schritt, gefüllt mit ihren Gästen, viele in Armeeuniform, darunter manche fade amerikanische, aber auch exotische ausländische, wie beispielsweise die der Botschaftsattachés. Krieg oder Frieden? Das war das Thema in dieser berühmten "Stadt der Konversation" oder auch Flüstergalerie, wie die neue Redewendung lautete, die Frederika gebrauchte, als sie ihren ehemaligen Schwager in spe umarmte: "Die Flüstergalerie hat schon ausposaunt, dass du herkommst, um einen Film zu machen."
Frederika war inzwischen eine etwas verblichene Version ihres ursprünglich hellblonden Ichs. Timothy erinnerte sich noch lebhaft daran, wie Caroline ihre Schwägerin ihrem Halbbruder Blaise vorgezogen hatte. Frederika war die geborene Friedensstifterin, wohingegen Blaise gern Schlachten schlug, und das vorzugsweise an allen Fronten. Am anderen Ende des Raumes ordnete er gerade unter einem von Sargent gemalten Porträt seines Vaters seine Truppen neu. Blaise war mittlerweile füllig geworden, hatte ein fleckiges Gesicht - trank er neuerdings? Er sah aus wie einer der irischstämmigen Bostoner Onkel Timothys. Vor seinen ihn umringenden Gefolgsleuten führte Blaise das große Wort, wie es dem Herausgeber der Washingtoner Tribune ja auch zukam, noch immer die Washingtoner Tageszeitung, und das trotz der Mühen Cissy Pattersons, deren in holprigem Gespann mit William Randolph Hearst publizierter Times-Herald erst seit kurzem Gewinne abwarf.
Cissy stand neben Blaise. Ihr Gesicht war fast so rot wie seines, und Timothy konnte durch den Raum hindurch ihr rollendes Lachen hören. Cissy unterstützte die Roosevelt-Regierung widerwillig, wohingegen Blaise bisher kaum ein gutes Haar am New Deal gelassen hatte. Am ersten September jedoch hatte Deutschland Polen überfallen. Zwei Tage später hatten England und Frankreich dem Aggressor den Krieg erklärt, und der New Deal war Geschichte. Es gab nur noch ein Gesprächsthema: Sollten die Vereinigten Staaten ihre Neutralität aufgeben und England im Kampf gegen Deutschland finanziell unterstützen? Bei Cissy bahnte sich eine Rückkehr zu den isolationistischen Wurzeln ihrer Familie an; die Chicagoer Tribune ihres Cousins Bertie McCormick hatte beiden, dem Präsidenten und dem britischen Empire, bereits den Krieg erklärt, wohingegen Cissys Bruder Robert Patterson, Begründer der New Yorker Daily News, der irischen Herkunft der Familie getreu, kein Freund Englands war. Timothy selbst war weniger Lokalpatriot als diese großen irischen Verleger, vielleicht deshalb, weil er im Gegensatz zum McCormick-Patterson-Clan in solcher Armut aufgewachsen war, dass er leidenschaftliches Interesse nur für sich selbst aufzubringen vermochte.
"Im Grunde", hörte er sich zu Frederika sagen, "soll es ein ganz neutraler Dokumentarfilm werden. L.B. Mayer hat mir eingetrichtert, ich soll zu allen fair sein: zu denen, die wollen, dass wir uns am Krieg beteiligen, und zu denen, die das nicht wollen. Wer eine Eintrittskarte gekauft hat, darf nicht beleidigt werden."
"Und was möchtest du selber?" Frederikas geübt flüchtiger Blick ruhte plötzlich auf Timothy, als er von einem vorbeigehenden Kellner ein Gingerale nahm.
"Ich bin neutral. Jedenfalls so ziemlich."
"Wie Amerika!", sagte Frederika lachend. "Komm, sag Blaise guten Tag. Er freut sich riesig, dass du diesen Film drehst. Jedenfalls solange du ihn so machst, wie er ihn sich vorstellt."
"Und zwar wie?"
"Er ändert seine Meinung von Tag zu Tag. Wir haben dreitausend Engländer hier in der Stadt, und alle arbeiten über die Botschaft."
"Dafür, dass wir in den Krieg eintreten?"
"Großartige Party, Mrs. Sanford!" Ein hünenhafter, dunkelhaariger Engländer mit einem rotbäckigen Gesicht schmeichelte seiner Gastgeberin und bedachte Timothy dabei mit jenem flinken Washingtoner Eidechsenblick, der zwei Fragen gleichzeitig enthielt: Wer bist du? Kannst du mir nützlich sein?
Frederika stellte Timothy John Foster vor. "Er ist ... was an der Botschaft?"
"Rechtsberater ist der neueste Titel, den Lord Lothian sich ausgedacht hat. Er hatte an dem Tag allerdings viel zu tun. Wie ich höre, machen Sie einen Film über die große Debatte, die hier alle ..."
"Es spricht sich herum", murmelte Timothy und war doch überrascht, dass die Botschaft Kenntnis davon erlangt hatte.
"Ich bin ein großer Verehrer von Ihnen, Mr. Farrell. Sie und John Ford sind meine Lieblingsregisseure. Die Iren machen bekanntlich ja auch die besten amerikanischen Western."
Foster ging weiter. "Die Iren? Was meint er bloß? Dass wir nicht viel Gelegenheit zu reiten haben?"
"Du magst die Engländer nicht." Fast hätte Frederika die Stirn in die Falten gezogen, was gewissenhafte Damen eines bestimmten Alters nicht mehr wagten. "Washington ist derzeit ein richtiges Schlachtfeld."
"Und wer gewinnt?"
"Ah ..."
Überschwänglich umfasste Blaise mit beiden Händen Timothys Hand und schüttelte sie. "Mein liebster Nicht-Schwager!"
Taktvoll zogen die anderen sich zurück und ließen die beiden Männer vor dem Kaminfeuer stehen, dessen Wärme Timothy daran erinnerte, wie kalt es auf den Potomac Heights an einem 4. November wie dem nun historischen von 1939 sein konnte, als der Kongress auf Drängen des Präsidenten das Neutralitätsgesetz mit knapper Mehrheit geändert hatte. Nun konnten die an dem so feierlich erklärten und bis dato vernünftigerweise unbegonnenen Krieg in Europa beteiligten Länder aus dem Arsenal der Demokratie, wie enge Berater des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt es nun nannten, Waffen zu Cash-and-Carry-Bedingungen erwerben.
"Er wird uns in diese Sache verwickeln. Ich weiß es. Er hält sich für einen zweiten Wilson, als wäre das Original nicht schon schlimm genug gewesen." Timothy merkte, dass Blaise, der zwar nur Champagner trank und sich noch gut hielt, trotzdem betrunken war. Da Timothy sich gleich an die Arbeit machen musste, trank er bloß einen "Horse's neck", Gingerale mit einer Zitronenscheibe.
"Ich dachte, ihr, du - und die Trib - seid dafür, den Alliierten gegen Hitler zu helfen."
Blaises Augen wanderten durch den Raum, als hielte er nach jemandem Ausschau. "Ja, schon. Wenn es so weit kommt. Der eigentliche Feind ist ja nicht Hitler."
Als jemand, der einmal heimlich vom Katholizismus zum Marxismus und dann weiter zu nichts konvertiert war, zählte Timothy im Geiste den Takt zu Blaises bekannter Hymne mit, die derzeit von jedem zweiten amerikanischen Granden gesungen wurde: Der eigentliche Feind der Vereinigten Staaten und Gottes höchstpersönlich, denn beide waren ja eins und unteilbar, war nicht Hitler und nicht der Nazismus, sondern Stalin und dessen verführerischer Glaube, einzig dazu bestimmt, die geistlosen Massen der Welt in seinen Bann zu ziehen, der gottlose Kommunismus, wo jedermann sein Geld weggenommen wurde.
Während Blaise seine Litanei sang, bemerkte Timothy eine vertraute Gestalt, die durch eine Verandatür auf den Fluss hinabschaute; es war jemand, den Timothy kannte, jemand aber, den er hier nicht vermutet oder zumindest nicht mit Washington oder Laurel House oder Politik in Zusammenhang gebracht hätte, sondern mit ... Der Mann drehte sich zu ihm um und hob die Hand zu einem fast militärischen Gruß, woraufhin Blaise rasch ein Amen sprach. "Da ist Balderston", sagte er. "Er ist auch beim Film."
Timothy fragte sich, was der Drehbuchautor John Balderston in Laurel House zu schaffen hatte. Mike Romanoffs Restaurant in Beverly Hills war schon eher sein Terrain. In letzter Zeit hatte er so populäre Filme wie Bengali und Der Gefangene von Zenda geschrieben. Außerdem hatte er unbedingt mit Timothy an einem Film über König Artus arbeiten wollen, doch Jack Warner hatte ihnen mitgeteilt, Errol Flynn sei zu seinem Bedauern so tief im Alkohol versunken, "dass ich ihn nicht ausleihen kann. Das wäre doch genauso wie in einem deiner Western, Tim, wo sie den Kühen viel Salz geben, damit die so durstig werden, dass sie das viele Wasser trinken, das sie so schwer macht, dass du einen höheren Preis pro Tonne für dein Vieh kriegst. Und Flynn hat seine Herde in Scotch ersäuft. Ich würde ihn nie an einen Freund ausleihen."
Warners Humor war immer etwas grob. Ein mit relativ wenig Scotch getränkter Flynn hatte danach in rascher Folge ein ganzes Dutzend erfolgreicher Filme gemacht, und König Artus wurde nie gedreht.
"Du willst Caroline besuchen, nehme ich an."
"Wenn ich bei der Reise nach Frankreich komme." Doch Blaise war inzwischen in ein Gespräch mit Senator Borah, dem Löwen von Idaho, vertieft.
Im Grunde wollte Timothy, wenn das Budget es erlaubte, Caroline in Saint-Cloud-le-Duc interviewen, in dem Schloss aus dem siebzehnten Jahrhundert, in dem sie und Blaise aufgewachsen waren. Das Schicksal hatte es so gefügt, dass jeder von ihnen von einer Mutter geboren wurde, die kurz nach der Geburt starb, Blaise zuerst und zwei Jahre darauf Caroline, deren Mutter, eine berühmte Schönheit, die Tochter eines unehelichen Sohnes von Aaron Burr war. Timothy hatte schon immer einen Film über Burr machen wollen, der es vorgezogen hatte, sich zur amerikanischen Geschichte machtvoll quer zu stellen, doch leider wollte kein Studio die Geschichte eines Mannes anfassen, den man zu Unrecht für einen Verräter hielt.
Der liebenswürdige Balderston glich eher einem Engländer als einem Amerikaner, nach Timothys Meinung eine Folge der Jahre, die Balderston als Auslandskorrespondent in London verbracht hatte. "Ich weiß, weshalb Sie hier sind." Zumindest die obere Reihe von Balderstons Dritten sah professionell amerikanisch aus, fest haftend und nicht zu blendend britisch-weiß.
"Aber ich umgekehrt nicht." Timothy sagte gehorsam den zweiten Teil des Dialogs auf.
"Ich mache keinen Film über ..." Er deutete auf den Raum. "Aber ich wünschte, es wäre so."
"Haben Sie sich für eine Seite entschieden?"
Balderston steckte eine Zigarette in eine Spitze aus Elfenbein, ganz ähnlich der, die der Präsident bevorzugte. "Ich bin wohl eher für die Briten. Aber Sie sind ja Ire ..."
"Ich bin nicht für die Briten. Ich bin aber auch nicht gegen sie, seit meine Familie die Moore unserer heimatlichen Insel verließ. Andererseits bin ich aber gegen Hitler."
"Ich habe mit einem Ohr mitbekommen, wie Mr. Sanford Ihnen einen Vortrag gehalten hat. Mir war bisher nicht klar, dass der Kommunismus so viel schlimmer ist als Hitler."
"Davon reden dieses Jahr alle."
"Meinen Sie, die Leute glauben das auch?" Balderston sagte es seltsam nachdrücklich.
"Woher soll ich das wissen?" Timothy war, als habe er keinen Boden unter den Füßen. Was ging an diesem Abend in Laurel House vor?
"Sie waren einmal mit Caroline Sanford verheiratet, oder?"
"Wir haben einander, wie man so schön sagt, Gesellschaft geleistet. Das ist nicht ganz dasselbe."
"Entschuldigung." Balderston errötete doch tatsächlich! Ließ dann den Blick über die Gesellschaft schweifen. "Der wirkliche Krieg findet hier statt, Senator Borah da nimmt Geld von den Nazis und finanziert damit seine isolationistische Politik."
Timothy war nie schockiert darüber, was Filmproduzenten oder sogar Politiker taten, aber ein Senator, der Geld von einem Diktator wie Hitler annahm, das ging vielleicht doch zu weit. "Ich kenne den Löwen von Idaho nun seit über zwanzig Jahren." Timothy hielt sich zurück. "Er ist Isolationist durch und durch. Warum sollte er Geld für das nehmen, was er sowieso sagt und tut?"
"Ich beuge mich", sagte Balderston, "den vielen Jahren, die Sie innerhalb und außerhalb ..."
"Meistens außerhalb ..."
"Dieses Jakobinerklubs ..."
"Jakobiner?" Timothy fand das Wort unpassend für etwas so Banales wie das amerikanische politische System. "Wohl auch noch Giftmorde, ja? Ein Schwert, das durch die Tapete fährt? Der Staatsmann, in der Badewanne ertränkt?"
Balderston lachte: "So gute Sachen leider nicht, fürchte ich. Und trotzdem habe ich heute Abend hier drei Agenten der Achsenmächte gezählt."
"Und wie viele britische?"
"Nur John Foster, und der wird Ihnen erzählen, was er alles unternimmt, um uns in den Krieg hineinzuziehen, nur völlig erfolglos. Und wenn sonst alles misslingt, ahmt er Senator Borah nach, sehr nett. John ist ein Spion wie aus dem Bilderbuch."
Der junge Regieassistent kam auf Timothy zu. "Wir haben in der Bibliothek alles aufgebaut, Mr. Farrell."
Timothy gab dem Regieassistenten seine Liste der Personen, die eingewilligt hatten, vor der Kamera zu sprechen - jeweils vier für und vier gegen eine amerikanische Teilnahme am europäischen Krieg. Blaises Büro in der Tribune hatte die Vorarbeiten gern übernommen. Bis jetzt hatte niemand Timothy einen Korb gegeben, vor allem deshalb nicht, weil man den Kandidaten gesagt hatte, das Format erinnere an Henry Luces March of Time, mit Abstand die populärste aller Monatsschauen, von denen alle vier Wochen eine neue Ausgabe landesweit in jedem Kino gezeigt wurde. Während March of Time sein jeweiliges Thema aber in nicht mehr als fünfzehn oder zwanzig Minuten abhandelte, waren Timothy und seine Geldgeber - eine bunte Mischung aus Pro- und Anti-Kriegs-Propagandisten nebst L.B. Mayers Studio MGM - gewillt, einen Neunzigminutenfilm zu machen, der später in kleinere Teile geschnitten werden konnte. Den Kommentartext würde der berüchtige junge Rundfunksprecher Orson Welles übernehmen, der die Nation im Jahr zuvor mit seiner "Reportage" über eine Invasion von Marsbewohnern in New Jersey erschreckt hatte. "Ich habe diesen Landstrich ausgewählt, weil ich es für vollkommen unglaubwürdig hielt, dass er Ziel einer Eroberung sein soll. Sie sehen ja, wie ich mich geirrt habe. Alle dachten, die Marsmenschen lechzten nach der Herrschaft in Passaic, New Jersey." Dann willigte Welles ein, Timothys Film zu sprechen. "Wir müssen unseren Film 'Krieg oder Frieden?' nennen."
"Warum nicht 'Frieden oder Krieg?'", fragte Timothy zurück.
Welles grinste. "Dann ist der Hieb nicht so heftig, einverstanden. Sie wissen ja, ich bin gegen Hitler.""Das sag ich ihm, wenn ich ihn interviewe."
"Nein, noch nicht. Ich muss erst hallo zu ..."
Timothy hatte den eidechsenflinken Washingtoner Blick vergessen, der jeden Menschen beim Betreten eines bedeutenden Salons trifft. Gespräche werden ohne das geringste Stocken fortgesetzt, die ganze Aufmerksamkeit bleibt bei der eigenen Gruppe, und trotzdem wird der Neuankömmling sofort registriert und einsortiert und danach abgetan, bis man ihn braucht. Der Hollywood-Blick war weit aufrichtiger, glich eher dem einer im Sichtfeld des Raubtiers erstarrt stehen gebliebenen Hirschkuh. Zum Glück kannte niemand Timothy wirklich von Angesicht, ausgenommen Frederika Sanford, Blaises Frau, die nun rasch durch den Raum schritt, gefüllt mit ihren Gästen, viele in Armeeuniform, darunter manche fade amerikanische, aber auch exotische ausländische, wie beispielsweise die der Botschaftsattachés. Krieg oder Frieden? Das war das Thema in dieser berühmten "Stadt der Konversation" oder auch Flüstergalerie, wie die neue Redewendung lautete, die Frederika gebrauchte, als sie ihren ehemaligen Schwager in spe umarmte: "Die Flüstergalerie hat schon ausposaunt, dass du herkommst, um einen Film zu machen."
Frederika war inzwischen eine etwas verblichene Version ihres ursprünglich hellblonden Ichs. Timothy erinnerte sich noch lebhaft daran, wie Caroline ihre Schwägerin ihrem Halbbruder Blaise vorgezogen hatte. Frederika war die geborene Friedensstifterin, wohingegen Blaise gern Schlachten schlug, und das vorzugsweise an allen Fronten. Am anderen Ende des Raumes ordnete er gerade unter einem von Sargent gemalten Porträt seines Vaters seine Truppen neu. Blaise war mittlerweile füllig geworden, hatte ein fleckiges Gesicht - trank er neuerdings? Er sah aus wie einer der irischstämmigen Bostoner Onkel Timothys. Vor seinen ihn umringenden Gefolgsleuten führte Blaise das große Wort, wie es dem Herausgeber der Washingtoner Tribune ja auch zukam, noch immer die Washingtoner Tageszeitung, und das trotz der Mühen Cissy Pattersons, deren in holprigem Gespann mit William Randolph Hearst publizierter Times-Herald erst seit kurzem Gewinne abwarf.
Cissy stand neben Blaise. Ihr Gesicht war fast so rot wie seines, und Timothy konnte durch den Raum hindurch ihr rollendes Lachen hören. Cissy unterstützte die Roosevelt-Regierung widerwillig, wohingegen Blaise bisher kaum ein gutes Haar am New Deal gelassen hatte. Am ersten September jedoch hatte Deutschland Polen überfallen. Zwei Tage später hatten England und Frankreich dem Aggressor den Krieg erklärt, und der New Deal war Geschichte. Es gab nur noch ein Gesprächsthema: Sollten die Vereinigten Staaten ihre Neutralität aufgeben und England im Kampf gegen Deutschland finanziell unterstützen? Bei Cissy bahnte sich eine Rückkehr zu den isolationistischen Wurzeln ihrer Familie an; die Chicagoer Tribune ihres Cousins Bertie McCormick hatte beiden, dem Präsidenten und dem britischen Empire, bereits den Krieg erklärt, wohingegen Cissys Bruder Robert Patterson, Begründer der New Yorker Daily News, der irischen Herkunft der Familie getreu, kein Freund Englands war. Timothy selbst war weniger Lokalpatriot als diese großen irischen Verleger, vielleicht deshalb, weil er im Gegensatz zum McCormick-Patterson-Clan in solcher Armut aufgewachsen war, dass er leidenschaftliches Interesse nur für sich selbst aufzubringen vermochte.
"Im Grunde", hörte er sich zu Frederika sagen, "soll es ein ganz neutraler Dokumentarfilm werden. L.B. Mayer hat mir eingetrichtert, ich soll zu allen fair sein: zu denen, die wollen, dass wir uns am Krieg beteiligen, und zu denen, die das nicht wollen. Wer eine Eintrittskarte gekauft hat, darf nicht beleidigt werden."
"Und was möchtest du selber?" Frederikas geübt flüchtiger Blick ruhte plötzlich auf Timothy, als er von einem vorbeigehenden Kellner ein Gingerale nahm.
"Ich bin neutral. Jedenfalls so ziemlich."
"Wie Amerika!", sagte Frederika lachend. "Komm, sag Blaise guten Tag. Er freut sich riesig, dass du diesen Film drehst. Jedenfalls solange du ihn so machst, wie er ihn sich vorstellt."
"Und zwar wie?"
"Er ändert seine Meinung von Tag zu Tag. Wir haben dreitausend Engländer hier in der Stadt, und alle arbeiten über die Botschaft."
"Dafür, dass wir in den Krieg eintreten?"
"Großartige Party, Mrs. Sanford!" Ein hünenhafter, dunkelhaariger Engländer mit einem rotbäckigen Gesicht schmeichelte seiner Gastgeberin und bedachte Timothy dabei mit jenem flinken Washingtoner Eidechsenblick, der zwei Fragen gleichzeitig enthielt: Wer bist du? Kannst du mir nützlich sein?
Frederika stellte Timothy John Foster vor. "Er ist ... was an der Botschaft?"
"Rechtsberater ist der neueste Titel, den Lord Lothian sich ausgedacht hat. Er hatte an dem Tag allerdings viel zu tun. Wie ich höre, machen Sie einen Film über die große Debatte, die hier alle ..."
"Es spricht sich herum", murmelte Timothy und war doch überrascht, dass die Botschaft Kenntnis davon erlangt hatte.
"Ich bin ein großer Verehrer von Ihnen, Mr. Farrell. Sie und John Ford sind meine Lieblingsregisseure. Die Iren machen bekanntlich ja auch die besten amerikanischen Western."
Foster ging weiter. "Die Iren? Was meint er bloß? Dass wir nicht viel Gelegenheit zu reiten haben?"
"Du magst die Engländer nicht." Fast hätte Frederika die Stirn in die Falten gezogen, was gewissenhafte Damen eines bestimmten Alters nicht mehr wagten. "Washington ist derzeit ein richtiges Schlachtfeld."
"Und wer gewinnt?"
"Ah ..."
Überschwänglich umfasste Blaise mit beiden Händen Timothys Hand und schüttelte sie. "Mein liebster Nicht-Schwager!"
Taktvoll zogen die anderen sich zurück und ließen die beiden Männer vor dem Kaminfeuer stehen, dessen Wärme Timothy daran erinnerte, wie kalt es auf den Potomac Heights an einem 4. November wie dem nun historischen von 1939 sein konnte, als der Kongress auf Drängen des Präsidenten das Neutralitätsgesetz mit knapper Mehrheit geändert hatte. Nun konnten die an dem so feierlich erklärten und bis dato vernünftigerweise unbegonnenen Krieg in Europa beteiligten Länder aus dem Arsenal der Demokratie, wie enge Berater des Präsidenten Franklin Delano Roosevelt es nun nannten, Waffen zu Cash-and-Carry-Bedingungen erwerben.
"Er wird uns in diese Sache verwickeln. Ich weiß es. Er hält sich für einen zweiten Wilson, als wäre das Original nicht schon schlimm genug gewesen." Timothy merkte, dass Blaise, der zwar nur Champagner trank und sich noch gut hielt, trotzdem betrunken war. Da Timothy sich gleich an die Arbeit machen musste, trank er bloß einen "Horse's neck", Gingerale mit einer Zitronenscheibe.
"Ich dachte, ihr, du - und die Trib - seid dafür, den Alliierten gegen Hitler zu helfen."
Blaises Augen wanderten durch den Raum, als hielte er nach jemandem Ausschau. "Ja, schon. Wenn es so weit kommt. Der eigentliche Feind ist ja nicht Hitler."
Als jemand, der einmal heimlich vom Katholizismus zum Marxismus und dann weiter zu nichts konvertiert war, zählte Timothy im Geiste den Takt zu Blaises bekannter Hymne mit, die derzeit von jedem zweiten amerikanischen Granden gesungen wurde: Der eigentliche Feind der Vereinigten Staaten und Gottes höchstpersönlich, denn beide waren ja eins und unteilbar, war nicht Hitler und nicht der Nazismus, sondern Stalin und dessen verführerischer Glaube, einzig dazu bestimmt, die geistlosen Massen der Welt in seinen Bann zu ziehen, der gottlose Kommunismus, wo jedermann sein Geld weggenommen wurde.
Während Blaise seine Litanei sang, bemerkte Timothy eine vertraute Gestalt, die durch eine Verandatür auf den Fluss hinabschaute; es war jemand, den Timothy kannte, jemand aber, den er hier nicht vermutet oder zumindest nicht mit Washington oder Laurel House oder Politik in Zusammenhang gebracht hätte, sondern mit ... Der Mann drehte sich zu ihm um und hob die Hand zu einem fast militärischen Gruß, woraufhin Blaise rasch ein Amen sprach. "Da ist Balderston", sagte er. "Er ist auch beim Film."
Timothy fragte sich, was der Drehbuchautor John Balderston in Laurel House zu schaffen hatte. Mike Romanoffs Restaurant in Beverly Hills war schon eher sein Terrain. In letzter Zeit hatte er so populäre Filme wie Bengali und Der Gefangene von Zenda geschrieben. Außerdem hatte er unbedingt mit Timothy an einem Film über König Artus arbeiten wollen, doch Jack Warner hatte ihnen mitgeteilt, Errol Flynn sei zu seinem Bedauern so tief im Alkohol versunken, "dass ich ihn nicht ausleihen kann. Das wäre doch genauso wie in einem deiner Western, Tim, wo sie den Kühen viel Salz geben, damit die so durstig werden, dass sie das viele Wasser trinken, das sie so schwer macht, dass du einen höheren Preis pro Tonne für dein Vieh kriegst. Und Flynn hat seine Herde in Scotch ersäuft. Ich würde ihn nie an einen Freund ausleihen."
Warners Humor war immer etwas grob. Ein mit relativ wenig Scotch getränkter Flynn hatte danach in rascher Folge ein ganzes Dutzend erfolgreicher Filme gemacht, und König Artus wurde nie gedreht.
"Du willst Caroline besuchen, nehme ich an."
"Wenn ich bei der Reise nach Frankreich komme." Doch Blaise war inzwischen in ein Gespräch mit Senator Borah, dem Löwen von Idaho, vertieft.
Im Grunde wollte Timothy, wenn das Budget es erlaubte, Caroline in Saint-Cloud-le-Duc interviewen, in dem Schloss aus dem siebzehnten Jahrhundert, in dem sie und Blaise aufgewachsen waren. Das Schicksal hatte es so gefügt, dass jeder von ihnen von einer Mutter geboren wurde, die kurz nach der Geburt starb, Blaise zuerst und zwei Jahre darauf Caroline, deren Mutter, eine berühmte Schönheit, die Tochter eines unehelichen Sohnes von Aaron Burr war. Timothy hatte schon immer einen Film über Burr machen wollen, der es vorgezogen hatte, sich zur amerikanischen Geschichte machtvoll quer zu stellen, doch leider wollte kein Studio die Geschichte eines Mannes anfassen, den man zu Unrecht für einen Verräter hielt.
Der liebenswürdige Balderston glich eher einem Engländer als einem Amerikaner, nach Timothys Meinung eine Folge der Jahre, die Balderston als Auslandskorrespondent in London verbracht hatte. "Ich weiß, weshalb Sie hier sind." Zumindest die obere Reihe von Balderstons Dritten sah professionell amerikanisch aus, fest haftend und nicht zu blendend britisch-weiß.
"Aber ich umgekehrt nicht." Timothy sagte gehorsam den zweiten Teil des Dialogs auf.
"Ich mache keinen Film über ..." Er deutete auf den Raum. "Aber ich wünschte, es wäre so."
"Haben Sie sich für eine Seite entschieden?"
Balderston steckte eine Zigarette in eine Spitze aus Elfenbein, ganz ähnlich der, die der Präsident bevorzugte. "Ich bin wohl eher für die Briten. Aber Sie sind ja Ire ..."
"Ich bin nicht für die Briten. Ich bin aber auch nicht gegen sie, seit meine Familie die Moore unserer heimatlichen Insel verließ. Andererseits bin ich aber gegen Hitler."
"Ich habe mit einem Ohr mitbekommen, wie Mr. Sanford Ihnen einen Vortrag gehalten hat. Mir war bisher nicht klar, dass der Kommunismus so viel schlimmer ist als Hitler."
"Davon reden dieses Jahr alle."
"Meinen Sie, die Leute glauben das auch?" Balderston sagte es seltsam nachdrücklich.
"Woher soll ich das wissen?" Timothy war, als habe er keinen Boden unter den Füßen. Was ging an diesem Abend in Laurel House vor?
"Sie waren einmal mit Caroline Sanford verheiratet, oder?"
"Wir haben einander, wie man so schön sagt, Gesellschaft geleistet. Das ist nicht ganz dasselbe."
"Entschuldigung." Balderston errötete doch tatsächlich! Ließ dann den Blick über die Gesellschaft schweifen. "Der wirkliche Krieg findet hier statt, Senator Borah da nimmt Geld von den Nazis und finanziert damit seine isolationistische Politik."
Timothy war nie schockiert darüber, was Filmproduzenten oder sogar Politiker taten, aber ein Senator, der Geld von einem Diktator wie Hitler annahm, das ging vielleicht doch zu weit. "Ich kenne den Löwen von Idaho nun seit über zwanzig Jahren." Timothy hielt sich zurück. "Er ist Isolationist durch und durch. Warum sollte er Geld für das nehmen, was er sowieso sagt und tut?"
"Ich beuge mich", sagte Balderston, "den vielen Jahren, die Sie innerhalb und außerhalb ..."
"Meistens außerhalb ..."
"Dieses Jakobinerklubs ..."
"Jakobiner?" Timothy fand das Wort unpassend für etwas so Banales wie das amerikanische politische System. "Wohl auch noch Giftmorde, ja? Ein Schwert, das durch die Tapete fährt? Der Staatsmann, in der Badewanne ertränkt?"
Balderston lachte: "So gute Sachen leider nicht, fürchte ich. Und trotzdem habe ich heute Abend hier drei Agenten der Achsenmächte gezählt."
"Und wie viele britische?"
"Nur John Foster, und der wird Ihnen erzählen, was er alles unternimmt, um uns in den Krieg hineinzuziehen, nur völlig erfolglos. Und wenn sonst alles misslingt, ahmt er Senator Borah nach, sehr nett. John ist ein Spion wie aus dem Bilderbuch."
Der junge Regieassistent kam auf Timothy zu. "Wir haben in der Bibliothek alles aufgebaut, Mr. Farrell."
Timothy gab dem Regieassistenten seine Liste der Personen, die eingewilligt hatten, vor der Kamera zu sprechen - jeweils vier für und vier gegen eine amerikanische Teilnahme am europäischen Krieg. Blaises Büro in der Tribune hatte die Vorarbeiten gern übernommen. Bis jetzt hatte niemand Timothy einen Korb gegeben, vor allem deshalb nicht, weil man den Kandidaten gesagt hatte, das Format erinnere an Henry Luces March of Time, mit Abstand die populärste aller Monatsschauen, von denen alle vier Wochen eine neue Ausgabe landesweit in jedem Kino gezeigt wurde. Während March of Time sein jeweiliges Thema aber in nicht mehr als fünfzehn oder zwanzig Minuten abhandelte, waren Timothy und seine Geldgeber - eine bunte Mischung aus Pro- und Anti-Kriegs-Propagandisten nebst L.B. Mayers Studio MGM - gewillt, einen Neunzigminutenfilm zu machen, der später in kleinere Teile geschnitten werden konnte. Den Kommentartext würde der berüchtige junge Rundfunksprecher Orson Welles übernehmen, der die Nation im Jahr zuvor mit seiner "Reportage" über eine Invasion von Marsbewohnern in New Jersey erschreckt hatte. "Ich habe diesen Landstrich ausgewählt, weil ich es für vollkommen unglaubwürdig hielt, dass er Ziel einer Eroberung sein soll. Sie sehen ja, wie ich mich geirrt habe. Alle dachten, die Marsmenschen lechzten nach der Herrschaft in Passaic, New Jersey." Dann willigte Welles ein, Timothys Film zu sprechen. "Wir müssen unseren Film 'Krieg oder Frieden?' nennen."
"Warum nicht 'Frieden oder Krieg?'", fragte Timothy zurück.
Welles grinste. "Dann ist der Hieb nicht so heftig, einverstanden. Sie wissen ja, ich bin gegen Hitler.""Das sag ich ihm, wenn ich ihn interviewe."
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Autoren-Porträt von Gore Vidal
Gore Vidal, geboren 1925, zählt zu den wichtigsten Vertretern der amerikanischen Literatur. Er ist Autor von 22 Romanen, fünf Theaterstücken, vielen Filmdrehbüchern, Kurzgeschichten und über 200 Essays. Für "United States: Essays 1952 - 1992", eine Sammlung seiner Kritiken, erhielt er den National Book Award. Seine Memoiren "Palimpsest" (1996) sind ein bedeutendes Zeitdokument. Der Autor lebte in Ravello und Los Angeles.Gore Vidal ist am 31. Juli 2012 im Alter von 86 Jahren in Los Angeles gestorben.
Bibliographische Angaben
- Autor: Gore Vidal
- 2001, 570 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Knaus
- ISBN-10: 3813501817
- ISBN-13: 9783813501810
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