Das Gras
Roman
"Niemand macht die Geschichte, man sieht sie nicht, ebenso wenig wie man das Gras wachsen hört", ein Satz von Boris Pasternak, den Claude Simon seinem Roman als Motto voranstellt.
"Das Gras" erzählt aus dem Innenleben einer Familie, um von der Zeit und...
"Das Gras" erzählt aus dem Innenleben einer Familie, um von der Zeit und...
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Produktinformationen zu „Das Gras “
Klappentext zu „Das Gras “
"Niemand macht die Geschichte, man sieht sie nicht, ebenso wenig wie man das Gras wachsen hört", ein Satz von Boris Pasternak, den Claude Simon seinem Roman als Motto voranstellt."Das Gras" erzählt aus dem Innenleben einer Familie, um von der Zeit und ihrem Verfließen zu erzählen. Eine alte Frau stirbt. Nahe beim Haus, am Fuß der sommerlich heißen Pyrenäen, liegt Louise, die junge Frau ihres Neffen, im Gras und erzählt, was geschieht und geschah: Wie die sterbende Marie, Tochter eines des Lesens unkundigen Bauern, mit ihrer Schwester Eugènie unter Verzicht auf ein eigenes Leben dem jüngeren Pierre die Karriere eines Universitätsprofessors ermöglicht hat, und wie Sabine, Pierres Frau, ihren Kampf gegen das Verwelken führt. Louise möchte am liebsten fortgehen, aber sie fühlt sich verkettet mit den ineinander verschlungenen Schicksalen der anderen.
So entsteht "Geschichte", im Fluss der Gedanken und Erinnerungen, vorantastend, in immer enger umkreisenden Beschreibungen. In den virtuosen Sätzen eines Claude Simon, lang dahinrollend, ergießt sich eine Flut von Bildern üppiger Sinnlichkeit - in denen das Wesentliche unsichtbar bleibender Geschichte sichtbar wird.
Lese-Probe zu „Das Gras “
'Aber sie hat doch nichts, niemanden, und niemand wird um sie weinen (und was ist der Tod ohne Tränen?), außer vielleicht ihr Bruder, dieser andere Greis, und vermutlich ebensowenig, wie sie um sich selbst weinen würde, das heißt um sich selbst zu weinen sie sich je erlauben würde, da sie der Meinung wäre, es sei unschicklich, ungehörig, zu ...- Aber sie steht dir doch nicht nahe. - Nein, sagte Louise. - Sie steht dir doch nicht nahe. - Nein', wiederholte sie gehorsam. Aber sie betrachtete weiter etwas vor ihr, was er nicht sehen konnte.'Also. - Also nichts', sagte sie (noch immer, über die Bäume, die Wiesen, die friedliche Septemberlandschaft hinweg, jenes Etwas betrachtend, das er nicht sehen konnte). 'Nichts: sie hat nie geheiratet. Vielleicht ist sie nie auf den Gedanken gekommen, daß sie es könnte, das Recht hätte - bei diesem fünfzehn Jahre jüngeren Bruder, den sie (sie und diejenige, die schon tot ist) großgezogen haben, aus dem sie schließlich (nach langem Nachdenken über den besten Weg, ein Kleid etwa dreimal so lange zu tragen, wie der Stoff, aus dem es ursprünglich gemacht war, braucht, um fadenscheinig zu werden) einen Universitätsprofessor gemacht haben, was für zwei Volksschullehrerinnen, deren Eltern mit knapper Not oder vielleicht gar nicht lesen konnten, wohl der Mühe wert erschienen war, auf alles zu verzichten, worauf eine Frau normalerweise Anspruch erheben darf, und als wir geheiratet haben, Georges und ich, da hat sie mir diesen Ring geschenkt, sie hat mich in ihr Zimmer kommen lassen (und da habe ich zum erstenmal dieses Parfum gerochen, diesen Duft, genau wie den einer vertrockneten Rose oder vielmehr - da eine vertrocknete Rose nach nichts riecht - den Duft, den sie verströmen müßte, das heißt etwas, was sowohl aus Staub wie aus Frische bestünde, und ich habe auf ihren Frisiertisch geschaut, aber da war nichts außer den vier Haarnadeln und diesem Flakon mit billigem Eau de Cologne, und trotzdem roch es wie eine Blume, wie ein junges Mädchen,
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so wie das Zimmer oder vielmehr die Gruft, der Sarkophag eines ganz jungen Mädchens riechen mag, das man unversehrt darin aufbewahrt hätte, auch wenn es beim geringsten Hauch zu Staub zerfiele), und dann hat sie in einer Schublade gekramt und hat nicht etwa ein Schmuckkästchen herausgeholt oder gar eine jener Stahlkassetten, wie man sie in Eisenwarenhandlungen an die Bauern und Viehhändler verkauft, die ihr Geld nicht zur Bank tragen wollen, sondern eine Keks- oder Bonbondose aus Blech, voller Rostflecken, mit einer jungen Frau darauf in einem langen weißen Kleid, halb im Gras ausgestreckt in einer schmachtenden und zugleich steifen Pose, wobei nur die Spitzen der Füße oder vielmehr der Schuhe unter dem untersten Volant herausragten, keusch und lächerlich, und neben ihr (die in ihrer Hand eine ebensolche Dose hält, auf deren Deckel sich das gleiche Bild wiederholt, wie in jenen endlosen Spiegelspielen) eines jener kraushaarigen weißen Hündchen, das Ganze (die Dame, der Pudel, die Wiese) in einem Rahmen aus Blumen und veilchenblauen Bändern mit Schleifen und ...- Aber ...- Nein, hör zu: natürlich gab es keinen Schlüssel und die Dose war nur mit einer langen etwa zwanzigmal um sie herumgewickelten Kordel verschlossen, die aufzuwickeln sie eine ganze Weile brauchte, worauf sie die Dose an sich preßte und sich mit ihren ungeschickten steifen Fingern abmühte, sie zu öffnen - und immer noch konnte ich diesen Jungmädchenduft, diesen Blumenduft riechen, mich nach der Glasglocke, dem Brautkranz umschauend, suchend, aber da war nichts. Nichts als dieser zu Kopf steigende und vermutlich eingebildete Duft von Frische, Jungfräulichkeit und angehäufter Zeit. Nein, nicht verlorener: besiegter, oder vielmehr überwundener, gezähmter Zeit: nicht mehr jener allgegenwärtige, allmächtige Erbfeind, den man, voller Entsetzen, mit unerbittlicher Langsamkeit vorrücken und verstreichen sieht, sondern ein alter, vertrauter Weggefährte, früher vielleicht auch gefürchtet und gehaßt, aber das ist schon so lange her, daß die Befürchtungen und Schrecknisse in der Erinnerung den panischen Ängsten unserer Kindheit ähneln, die uns jetzt nur noch ein Lächeln entlocken ...Ja, ich weiß, das paßt nicht zusammen: ein junges Mädchen, die Jasmindüfte, und dieser gleich zu Staub zerfallende Körper, so vertraut mit der Zeit, daß er die Zeit selbst zu sein scheint, und diese gelben, knochendürren Hände - stellenweise glatt wie Elfenbein -, die gegen ihre eigene Unbeholfenheit und den Rost kämpften (als wären Rost und Unbeholfenheit nur das Eine, Immergleiche: die Jahre, die Zeit), bis es ihr endlich gelungen war, sie zu öffnen, worauf sie den Inhalt durchwühlte, der nicht aus klebrigen Bonbons bestand, sondern aus verschiedenerlei Knöpfen, Kettchen aus Gold (oder Golddoublé) und alten kupfernen Schuhschnallen, und ihn mir schließlich reichte: nicht in einer Schachtel, einem Kästchen mit dem Namen eines großen Juweliers wie jenen, den Georges (oder vielmehr seine Mutter) mir geschenkt hatte (und in Wirklichkeit nicht mir, sondern ihnen selber, als ein sie ehrendes Präsent, weil ich vermute, daß er - und sie - es als Zeichen des Niedergangs erachtet hätten, wenn ich etwas von weniger als fünfhunderttausend Francs am Finger trage ... Und so hatte sie ihm, auch wenn sie mißbilligte, daß er mich heiratet - obwohl sie nie etwas davon verlauten oder durchblicken ließ -, die nötigen fünfhunderttausend Francs gegeben oder ihn vielleicht, sicherheitshalber, selber ausgesucht und ihn ihm erst in letzter Minute ausgehändigt, kurz bevor er selbst ihn mir an den Finger steckte). Kein Schmuckkästchen also, sondern nur ein Wattebauch. Ja, es ist dieser hier. Und ich nehme an, daß ich bei einem Juwelier nicht mal zehntausend dafür bekäme, aber auch für das Doppelte oder das Dreifache oder noch mehr würde ich ihn nicht verkaufen. Wenn ich fortgehe, werde ich ihm (ihnen: ihm und seiner Mutter) all ihre Schmucksachen zurückgeben; ich werde sie beim Fortgehen in einem Haufen auf meinen Frisiertisch legen, oder vielleicht werfe ich sie ihm an den Kopf, nicht weil er es verdient, daß ich sie ihm an den Kopf werfe, sondern weil genau diese Art Geste in solchen Augenblicken hilfreich ist, aber bei diesem hier werde ich sagen 'Ich behalte ihn'. Weil sie ihn mir geschenkt hat. Verstehst du? Sie hat nichts von mir verlangt und sie hat mir diesen Ring geschenkt, sie hat mich geliebt, einfach weil ich Georges' Frau war, und ich hätte eine Hure, eine Herzogin oder eine Diebin sein können, sie hätte mich genauso geliebt, ohne etwas als Gegenleistung zu verlangen. Weil sie die anderen nie um etwas gebeten hat, nicht einmal darum, daß sie sie lieben, nicht einmal um die Erlaubnis, sie (die anderen) lieben zu dürfen, ebensowenig wie sie sich jemals erlaubt hat, es ihnen zu sagen oder es ihnen anders zu zeigen als auf die einzige Weise, die sie sich vorstellen konnte, das heißt, indem sie schenkte, was sie konnte, und sogar was sie nicht konnte, es so einrichtend, daß das, was sie nicht konnte, zu etwas wurde, was sie konnte. Deswegen bin ich geblieben und nicht früher weggegangen. Ich hätte Georges schon längst verlassen, sogar bevor ich dich kennenlernte, wenn das nicht gewesen wäre. Ich sage nicht mal, wenn 'sie' nicht gewesen wäre, ich sage: wenn 'das' nicht gewesen wäre. Und jetzt wird sie sterben, und dann wird nichts mehr da sein' (worauf die Stimme innehielt, jäh abbrach und Louise so verharrte, ein wenig keuchend, gleichsam ertappt, wütend, soviel geredet zu haben, noch immer jenes Etwas betrachtend, das der andere nicht sehen konnte - wovon er wußte, daß er es nicht sehen könnte, nicht sehen würde, auch wenn er sich umdrehte, seinerseits über seine eigene Schulter hinweg in die Richtung blickte, wo dieses Etwas sich zu befinden schien, und nach einer Weile sang ein Vogel, ganz in ihrer Nähe, worauf, ebenso plötzlich, der Gesang - eine kurze Folge verdoppelter Töne, gleich einer kalligraphierten Arabeske, die sich bei der Wiederholung der gleichen komplizierten Schleife mehrmals sehr schnell um sich selbst windet, dann aufsteigend entweicht, sich dehnt in einem langen, endgültigen, jäh abbrechenden Schnörkel - aufhörte und von neuem der ferne, mißtönende Lärm der Spatzen zu ihnen drang, die sich für die Nacht im Bambusgehölz versammelten).
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Autoren-Porträt von Claude Simon
Simon, ClaudeClaude Simon wurde 1913 auf Madagaskar geboren, lebte in Paris und im südfranzösischen Roussillon. Er wurde vielfach ausgezeichnet, u.a. mit dem "Prix de l'Express" (für "Die Straße in Flandern"), dem "Prix Médicis" (für "Geschichte") und dem "Grand-croix de l'ordre national du Mérite". 1985 erhielt er den Literaturnobelpreis. Claude Simon starb 2005 in Paris. Veröffentlichungen (Auswahl) Le vent (1957), dt. Der Wind (DuMont 2001) L'herbe (1958), dt. Das Gras (DuMont 2005) La route des Flandr
Moldenhauer, Eva
Eva Moldenhauer wurde 1934 in Frankfurt am Main geboren, wo sie heute noch lebt. Neben dem Werk von Claude Simon übersetzte sie aus dem Französischen u. a. Claude Lévi-Strauss, Jean-Paul Sartre, Agota Kristof, Jorge Semprun, Julien Green und Emanuel Lévinas.
Bibliographische Angaben
- Autor: Claude Simon
- 2005, 206 Seiten, Maße: 14,7 x 21,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Moldenhauer, Eva
- Übersetzer: Eva Moldenhauer
- Verlag: DuMont Buchverlag
- ISBN-10: 3832179089
- ISBN-13: 9783832179083
- Erscheinungsdatum: 01.03.2005
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