Das große Lesebuch
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Produktinformationen zu „Das große Lesebuch “
Alfred Polgar, der Verfasser zeitkritischer Feuilletons, galt und gilt noch immer als unbeugsamer Pazifist, skeptischer Humanist und Stilist von Rang.Unter seinem unbestechlichen Blick wurde viel sogenannt ''Großes'' klein und umgekehrt bekam das Unscheinbare Bedeutung. Harry Rowohlt hat hier Polgars beste Prosa zusammengetragen.
Klappentext zu „Das große Lesebuch “
"Man sollte Polgar lesen, weil er Vergnügen macht und gescheit ist." (Elke Heidenreich)Der Erzähler Polgar hatte viele Themen. An seinem Tisch im Kaffeehaus - für Polgar der "Ort der Leidenschaften" - schrieb er über Städte und Landschaften, Dinge und Tiere. Die Wiener Jahre nach 1918, das glanzvolle Berlin der untergehenden Weimarer Republik und das Leben des Emigranten sind in seine Texte eingeflossen. Doch vor allem schrieb er über die Menschen - und nicht zuletzt auch immer über sich selbst.
Herausgegeben und mit einem Vorwort von Harry Rowohlt
Lese-Probe zu „Das große Lesebuch “
Das große Lesebuch von Alfred Polgar
LESEPROBE
Die lila Wiese
Soundso viele Meter über dem Meeresspiegel liegt die Kleewiese. Seit mindestens zweimal hunderttausend Jahren schon. Die Nacht wirft ein dunkles Tuch über sie, der Tag zieht es wieder fort. Die Wolke weint sich an ihrem Busen aus, der Sturm bestürmt sie, das Lüftchen plaudert mit Gräsern und Blumen. Der Nebel stülpt eine silbergraue, von schwachen Rauchfäden durchwirkte Tarnkappe über die Wiese, der Frost reißt ihr die Haut in Fetzen, die Sommersonne kocht sich ein Ragout aus Duft und Dunst.
Der Wiese ist das alles ganz lila. Kalt oder warm, feucht oder trocken, Leben oder Tod ... sie duldet es in vollkommener Gleichgültigkeit. Das liegt schon so in der Natur der Natur.
Daß die Kühe sie berupfen, treten und düngen, scheint der Wiese nicht wesentlich. Auch nicht, daß Menschen sie ansehen und sich Verschiedenes dabei denken.
Viele kommen vorüber, achten ihrer nicht. Viele bleiben stehen, ziehen einen kräftigen Schluck Bergwiese in die Seele.
Die Bergwiese liegt da, läßt sich geruhig abweiden von Kuhmäulern und Menschenaugen.
Sie gibt jedem das Ihre, das das Seine ist.
Einer kommt gerade vom Friedhof. da ist es ein Brocken Schwermut, den er auf der Wiese findet.
Einer vom Mahl, Verdauungsglück in den Eingeweiden. Ihm rauschen die Gräser: Der Mensch ist gut.
Einer vom geschlechtlichen Exzeß: ihm predigt die Wiese sanfte Wonnen des Verzichts.
Einer aus dem Kaffeehaus, taumligen Herzens, vergiftet von Nikotin und Koffein und Nebenmensch-Atem. Ihm bietet die Wiese einen Splitter vom Stein der Weisen, der heißt: Natur!
Einer von der Landpartie mit der eigenen Frau; da ist es ein anderer Splitter vom Stein der Weisen und heißt: Fiche-toi de la nature!
Dabei kann der eine auch ganz gut immer derselbe sein.
Jeder Wanderer glaubt, die Stimme der Kleewiese zu vernehmen; aber er vernimmt immer nur seine eigene. Am gründlichsten in diesem Punkt täuscht sich der Dichter. Wär' er's sonst?
Jahreszeiten und Wetterlaunen der Menschenseele läßt die Wiese so gelassen über sich ergehen wie Sonne, Schnee, Nebel und den munteren Sausewind. Seufzen und Lachen hört sie, das Tirilieren der Zärtlichen, die Debatte der Botaniker, die Fachgespräche der Bauern, das innere Geschrei des Lyrikers. Publikum!
Den Dichter aber wurmte es, als Publikum genommen zu werden wie die andern. Es paßte ihm nicht, daß er ein Verhältnis zur Wiese hatte, die Wiese aber kein Verhältnis zu ihm. Und dann: was hat denn ein Dichter von seiner Beziehung zur Natur, wenn niemand weiß, daß er sie hat?
Deshalb entschloß er sich, für die Kleewiese etwas zu tun.
Abends sagte jemand: »Schön ist der Überzieher des ...« - »Nein«, rief der Dichter, »schön ist die Bergwiese!« Er belegte sie für seine Begeisterung, wie man einen Platz belegt im Eisenbahnkupee.
Zu Pfingsten stand die Wiese, in freie Rhythmen verwandelt, auf den Buchhändlerregalen: »Die lila Wiese«. Davon hundert Exemplare auf Bütten, handsigniert.
»Die lila Wiese kann sich alle Gräser ablecken«, sagten die Leute, »daß sie solchen Erklärer und Verklärer gefunden hat.«
»Ich kaufe mir noch heute eine Photographie.«
»Der Kleewiese?«
»Nein, des Dichters.«
Mehrere Forstadjunkten zogen in die Stadt, um beim Verfasser Natur zu hören.
Ein Rabe, mokant wie Raben sind, gratulierte der Wiese. »Sehr nett ist das, was Sie da über den Dichter gedichtet haben«, sagte er.
Der junge Rechtsanwalt aber schenkte das Buch dem goldhaarigen Fräulein Hilde.
»Ich bin ganz heiß geworden bei der Lektüre«, flüsterte sie, das Haupt an seine Schulter schmiegend. Behutsam legte der Anwalt die Hand auf die Hand des geliebten Mädchens, sagte leise des Dichters Namen, nichts sonst, wie Werther in gleicher Situation nur gesagt hatte: »Klopstock!«
Gewitterwolken standen über dem Kurhaus. Die Kapelle spielte: »0 Katharina«. Und der Rechtsanwalt hauchte einen Kuß auf Hildes kurz geschnittenes Haar, hinten, wo es in ganz kleinen Borsten steht und schon wieder seine natürliche Farbe zeigt.
© 2003 by Kein & Aber AG, Zürich
Autoren-Porträt von Alfred Polgar
Alfred Polgar wurde 1873 in Wien geboren und lebte ab 1925 überwiegend in Berlin, von wo er 1933 nach Prag und Wien, 1938 nach Paris und 1940 nach Hollywood flüchten musste. Er starb 1955 in Zürich.Harry Rowohlt, geboren 1945 in Hamburg, lebte als Autor, Übersetzer und begnadeter Vortragskünstler in Hamburg Eppendorf. Er brillierte unregelmäßig als Penner Harry in der Fernsehserie 'Lindenstraße'. 1999 erhielt er den "Johann-Heinrich-Voß-Preis" der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Im Januar 2001 erhielt er den Satirepreis "Göttinger Elch". Harry Rowohlt verstarb im Juni 2015.Rezension zu „Das große Lesebuch “
s packt, da is ...Produktdetails
2014, 5. Aufl., 426 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch, Zusammengetr. u. Vorw. v. Harry Rowohlt, Verlag: Rowohlt TB., ISBN-10: 3499238063, ISBN-13: 9783499238062
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