Das Korallenhaus
Roman. Originalausgabe
Eine Liebe, so unendlich wie das Meer ...
Als die Meeresbiologin Nina in einem Haus bei Tazacorte ein altes Tagebuch und eine Kette aus schwarzen Korallen findet, ahnt sie nicht, dass dieser Fund ihr Leben für immer verändern...
Als die Meeresbiologin Nina in einem Haus bei Tazacorte ein altes Tagebuch und eine Kette aus schwarzen Korallen findet, ahnt sie nicht, dass dieser Fund ihr Leben für immer verändern...
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Produktinformationen zu „Das Korallenhaus “
Eine Liebe, so unendlich wie das Meer ...
Als die Meeresbiologin Nina in einem Haus bei Tazacorte ein altes Tagebuch und eine Kette aus schwarzen Korallen findet, ahnt sie nicht, dass dieser Fund ihr Leben für immer verändern wird. Sie kam nach La Palma, um bedrohte Korallenarten zu studieren, doch die Geschichte der Korallentaucherin Serena, die den Freitod im Meer suchte und von dem Hirten Mateo gerettet wurde, schlägt sie in ihren Bann. Denn sie erzählt von einer Liebe, wie Nina selbst sie sich immer erträumt hat. Woher aber kommen die Parallelen im Leben beider Frauen? Und wem ist Ninas Forscherteam ein Dorn im Auge?
Als die Meeresbiologin Nina in einem Haus bei Tazacorte ein altes Tagebuch und eine Kette aus schwarzen Korallen findet, ahnt sie nicht, dass dieser Fund ihr Leben für immer verändern wird. Sie kam nach La Palma, um bedrohte Korallenarten zu studieren, doch die Geschichte der Korallentaucherin Serena, die den Freitod im Meer suchte und von dem Hirten Mateo gerettet wurde, schlägt sie in ihren Bann. Denn sie erzählt von einer Liebe, wie Nina selbst sie sich immer erträumt hat. Woher aber kommen die Parallelen im Leben beider Frauen? Und wem ist Ninas Forscherteam ein Dorn im Auge?
Klappentext zu „Das Korallenhaus “
Eine Liebe, so unendlich wie das Meer Als die Meeresbiologin Nina in einem Haus bei Tazacorte ein altes Tagebuch und eine Kette aus schwarzen Korallen findet, ahnt sie nicht, dass dieser Fund ihr Leben für immer verändern wird. Sie kam nach La Palma, um bedrohte Korallenarten zu studieren, doch die Geschichte der Korallentaucherin Serena, die den Freitod im Meer suchte und von dem Hirten Mateo gerettet wurde, schlägt sie in ihren Bann. Denn sie erzählt von einer Liebe, wie Nina selbst sie sich immer erträumt hat. Woher aber kommen die Parallelen im Leben beider Frauen? Und wem ist Ninas Forscherteam ein Dorn im Auge?
Lese-Probe zu „Das Korallenhaus “
Das Korallenhaus von Anna Levin Es war neun Uhr abends, und an der U-Bahn-Station wimmelte es von Menschen. Eine Gruppe Teenager strebte dem Ausgang zu, um sich ins Schwabinger Nachtleben zu stürzen, und Geschäftsleute in teuren Mänteln waren nach einem langen Arbeitstag auf dem Weg nach Hause. Meine Gedanken kreisten um die Neuigkeiten, die mir Professor Dr. Steinbrinck soeben bei dem gemeinsamen Essen in einem italienischen Restaurant eröffnet hatte. Er war der Leiter der Fakultät für Biologie, Abteilung Aquatische Ökologie, und ich seine freie Mitarbeiterin. Für ein Langzeitprojekt, das im vergangenen Jahr begonnen hatte und auf weitere vier Jahre angelegt war, wurde ein Meeresbiologe gesucht. Es gehe um die Bewertung der roten Gorgonie und schwarzen Koralle vor La Palma im Hinblick auf die Folgen des Klimawandels, hatte Steinbrinck mir vor knapp zwei Stunden bei einem Teller Antipasti verraten.
Ich horchte auf, denn Korallen hatten von jeher eine große Faszination auf mich ausgeübt. »La Palma? Das ist doch eine von den Kanarischen Inseln, nicht wahr?«
»Richtig, Doktor Michaelis. Das Projekt findet jeweils zwischen März und September statt«, erklärte er mir.
Die Zeit für die Forschung war erfreulicherweise großzügig bemessen und ließ sogar Raum für Hilfsmaßnahmen, soweit es den Teammitgliedern möglich wäre.
... mehr
Ich schloss mich dem Strom der Masse an. Mein Atem hinterließ kleine Dampfwölkchen in der eisigen Luft, während ich die Treppen erklomm und an das Gespräch zurückdachte. Direkt neben mir lief mit schnellen Schritten ein junger Mann meines Alters im Nikolauskostüm, wahrscheinlich war er auf dem Weg zu einer der zahlreichen Weihnachtsfeiern. Oben angekommen, empfing mich der Duft von Bratäpfeln, die eine Frau mit einem Bauchladen anbot. Die Bezahlung war fair. Himmel, sechs Monate pro Jahr und das vier Jahre lang. Jan würde davon sicher nicht begeistert sein. Mein Verlobter arbeitete in der Werbebranche, und wir hatten ohnehin kaum Zeit füreinander. Dieser Auftrag war nicht nur eine einmalige Chance, er würde auch mein Auskommen für die nächsten Jahre sichern. Ich hatte Professor Steinbrinck um Bedenkzeit gebeten, damit ich das mit Jan besprechen konnte. Wir hatten uns die ganze Woche über nicht gesehen, denn seine Firma hatte einen lukrativen Auftrag an Land gezogen, und da waren Überstunden zur Selbstverständlichkeit geworden. Zudem schickte sein Chef ihn immer öfter auf Dienstreise. Aber durfte ich deshalb diese Chance an mir vorüberziehen lassen? Schließlich würde ich mich nicht zum ersten Mal im Ausland aufhalten, nur hatte es sich bisher stets auf wenige Wochen beschränkt.
Mir schwirrte der Kopf. Wenn sich Jans erster Schreck gelegt hatte, würde er sich bestimmt für mich freuen. Ich lächelte, und die Lichter der weihnachtlich geschmückten Straßen hüllten mich für einen Moment warm ein.
Jan rechnete eigentlich erst morgen mit mir, doch so lange konnte ich die Neuigkeiten nicht für mich behalten. Deshalb lenkte ich meine Schritte in Richtung Kaiserstraße, wo er eine gemütliche Wohnung besaß. Eigentlich mochte er keine Überraschungsbesuche, aber diesmal setzte ich mich darüber hinweg. Meine Stiefelabsätze klapperten auf dem Asphalt, aus den Bars und Restaurants drangen gedämpfte Musik und Lachen zu mir herüber. Bald darauf blieb ich vor der Gründerzeitvilla stehen, in der er den zweiten Stock bewohnte. Da wir nicht verabredet waren, hatte ich seine Schlüssel nicht eingesteckt. Deshalb klingelte ich, wartete. Als der Summer stumm blieb, kramte ich mein Handy aus der Tasche und wählte seine Nummer. »Der Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar«, ertönte nur die Stimme vom Band.
Ernüchtert ging ich die Kaiserstraße zurück, meine Wohnung lag nur wenige Minuten Fußweg entfernt in der Georgenstraße. Der Wind frischte auf, ich fröstelte und zog den Wollmantel enger um mich. Schneeflocken fielen träge vom Himmel. Ich passierte gerade eine Bar, als ich vor mir eine Frau kichern hörte, und blickte vorsichtig um die Ecke. Da entdeckte ich zwei Gestalten, die sich eng an eine Häuserwand drückten. Im spärlichen Schein der Laterne war kaum mehr als ihre Silhouetten auszumachen. Die beiden Figuren schienen zu einer zu verschmelzen. Schmunzelnd wollte ich meinen Weg fortsetzen. Genau diese Begrüßung hatte ich mir für diesen Abend gewünscht. Vielleicht sollte ich noch mal umkehren und auf Jan warten. Die Vorstellung war verlockend.
Das Paar redete leise miteinander. Die Frau seufzte.
»Ich muss nächste Woche für ein paar Tage nach London. Warum kommst du nicht mit?«, hörte ich den Mann sagen.
Etwas im Klang der Stimme ließ mich innehalten, und ich schob mich in einen Hauseingang. Die beiden waren jetzt nur noch wenige Schritte von mir entfernt. Für einen Moment beleuchtete der Lichtkegel der Laterne das Paar. Die Form seiner Schultern, diese besitzergreifende Geste, mit der der Mann den Arm um die Taille der langbeinigen Brünetten legte. Sein Gang.
»Das geht doch nicht, Liebling«, antwortete eine helle Frauenstimme. »Was willst du ihr sagen?«
»Wie sollte sie es bemerken? Sie weiß, dass ich nach London fliege. Lass mich nur machen.« Seine Stimme wurde einschmeichelnd. »Lädst du mich noch auf einen Drink zu dir ein?«
Die Frau kicherte. »Wie könnte ich zu einer so verführerischen Aussicht nein sagen?«
Sie küssten sich. Ich presste eine Hand auf den Mund, damit mein entsetztes Keuchen mich nicht verriet. Kurz entschlossen folgte ich den beiden. Mein Innerstes krampfte sich bei dem Anblick des Pärchens zusammen. Wie vertraut sie wirkten. Die Frau blieb stehen und küsste ihn erneut. Er lachte, öffnete ihren Mantel und ließ die Hand unter ihren Pullover wandern, woraufhin die Brünette sich unter seiner Berührung räkelte. Bald darauf entzog sie sich ihm, schloss den Mantel, und die beiden bogen eng umschlungen um eine Ecke.
Ich schnappte nach Luft, weil mir auf einmal die Kehle eng wurde. Ich muss mich täuschen, ich muss mich täuschen, wiederholte ich im Geist ein ums andere Mal. Vor einem weiß getünchten Neubau blieb das Paar stehen. Er sah sich um.
Unsere Blicke begegneten sich.
Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Augen. Ein Hitzeschwall jagte durch meinen Körper. Jan. Er war es wirklich. Mein Herz machte einen schmerzhaften Satz, und ich wandte mich ruckartig ab.
»Nina, bleib stehen! Verflixt, bleib stehen!«, rief er mir nach, aber ich rannte und rannte, bis die Laute der belebten Straße seine Stimme verschluckt hatten.
Ich lief nach Hause. Schwer atmend schloss ich die Wohnungstür und lehnte mich müde dagegen. Alles, was ich wahrnehmen konnte, war das Gefühl, wie etwas in mir brach. Wie aus weiter Ferne hörte ich das Telefon klingeln, nach dem fünften Anruf zog ich den Stecker. Ich fühlte mich wie eine Marionette, während ich mit steifen Gliedern auf das Schlafzimmer zusteuerte und mich aufs Bett sinken ließ. Alles in mir schrie vor Schmerz. Die vielen Überstunden, die Geschäftsreisen. Jans letzter flüchtiger Kuss, als ich mich am Montagmorgen von ihm verabschiedet hatte. Seine Miene, als er mich vorhin erkannt hatte.
Erinnerungen und bruchstückhafte Szenen unserer zweijährigen Beziehung huschten durch meinen Geist. Wie dumm ich gewesen war, ich hätte längst die Zeichen deuten können. Aber ich hatte ihm vertraut. Der Schmerz in mir wurde unerträglich. Während ich mir in dieser Nacht schwor, dass es niemandem je wieder gelingen sollte, mich zu verletzen, und an die Decke starrte, begrub ich meine Träume, meine Sehnsüchte, mein bisheriges Leben. Meine Vergangenheit war nicht mehr von Bedeutung.
Am nächsten Morgen stand mein Entschluss fest. Noch vor dem Frühstück schickte ich Professor Steinbrinck eine Nachricht und teilte ihm mit, dass ich den Auftrag annehmen wolle.
KAPITEL 1
Es gab Turbulenzen, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Nina Michaelis befolgte die Ansage des Piloten und ließ den Gurt einschnappen. Die Linienmaschine der Iberia befand sich im Landeanflug auf Santa Cruz de La Palma. Der starke Westwind rüttelte an dem Flugzeug, ließ es hüpfen und taumeln, als wäre es ein Kinderdrachen, hilflos den Naturgewalten ausgesetzt. Mit feuchten Händen lehnte sie sich zurück. Jetzt nur nicht aus dem Fenster blicken.
Während der Airbus 320 in den Sinkflug überging, sprach ihre Nachbarin, deren ausladende Hüften nur knapp in den Sitz passten, sie im besten Oxford Englisch an. Nina antwortete ihr, während sie versuchte, das flaue Gefühl im Magen und den leichten Schmerz in den Ohren zu ignorieren.
Der Forschungsauftrag kam einer Flucht gleich. Sie hatte die Wochen und schließlich die Tage bis zum Abflug gezählt. Zeit genug, um Abstand zu gewinnen. Abstand von Jan und ihrem bisherigen Leben.
Kurze Zeit später setzte die Maschine unsanft auf, rollte über die Landebahn und kam endlich zum Stehen. Die Fluggäste, hauptsächlich Rucksackreisende und Senioren, drängten dem Ausgang zu. Nina ließ ihnen gern den Vortritt. So blieb ihr Gelegenheit, sich zu sammeln und abzuwarten, bis ihre gummiweichen Beine ihren Dienst wieder aufzunehmen bereit waren. Die Engländerin neben ihr verabschiedete sich mit einem steifen Nicken und wuchtete ihren massigen Körper aus dem Sitz. Nina sah auf ihre Armbanduhr. Trotz der Turbulenzen war die Maschine mit nur wenig Verspätung gelandet. Sie griff nach ihrer Umhängetasche, kramte den Handspiegel hervor, den sie in ein Fach neben ihrem Laptop gelegt hatte, und schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse.
Eine weitere Stunde verging, bis sie ihr Gepäck vom Laufband nehmen konnte. Die große Tasche mit ihrer Tauchausrüstung hatte sie bereits vor einer Woche aufgegeben. Suchend blickte sie sich um. Am Ausgang des Terminals entdeckte sie einen untersetzten, kaum einen Meter sechzig großen Mann, der ein Schild mit ihrem Namen schwenkte. Mit einem scheuen Lächeln im sonnengebräunten Gesicht trat er ihr entgegen.
»Nina Michaelis? Herzlich Willkommen auf La Palma «, begrüßte der junge Mann sie in gebrochenem Englisch. »Pepe Morales. Ich habe den Auftrag, ihnen beim Dokumentieren der Forschungsergebnisse behilflich zu sein. Aber zunächst bringe ich Sie in die Pension, wenn es ihnen recht ist.«
Nina lächelte und reichte ihm die Hand, die er mit festem Händedruck ergriff. »Vielen Dank, das ist nett. Ich bin übrigens Nina, wir können gerne Du sagen.«
»Pepe«, wiederholte er seinen Namen, wobei es ihm nicht gelang, seine geröteten Wangen zu verbergen.
Die Züge des Spaniers trugen noch die Weichheit der Jugend, doch der schüttere Haarkranz ließ ihn um Jahre älter erscheinen. Aus ihrer Tasche zog sie eine Schirmmütze hervor und setzte sie auf ihre kurze blonde Fransenfrisur.
»Offen gesagt bin ich ziemlich erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Wie weit ist es bis zur Unterkunft?«
Er nahm ihr den Koffer ab und wies mit zerknirschter Miene auf einen roten Fiat, der seine besten Tage längst hinter sich hatte und auf dem angrenzenden Parkplatz stand. »In spätestens zwei Stunden sollten wir in Tazacorte sein. Wir sind alle in der Pension Catalina untergekommen. Nichts Besonderes, aber die Küche soll gut sein, und die Zimmer sind sauber.«
Nina nickte und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Ihr Begleiter lenkte den Wagen auf eine Landstraße, die unweit des Flughafens in Richtung Norden abzweigte, einem Örtchen namens Breña Alta zu. Freimütig erzählte der junge Mann, dass er aus Barcelona sei und an der dortigen Universität Meeresbiologie studiere. im nächsten Jahr wolle er promovieren und sich für die Fachrichtung Fischereibiologie entscheiden. Mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme berichtete er, dass man ihn gemeinsam mit einem Kommilitonen für dieses Forschungsprojekt ausgewählt habe. Nina lächelte leicht und gratulierte ihm. Sie wusste, wie sehr sich die Studenten um Jobs wie diesen rissen. Als Pepe leise zu summen begann, ließ sie den Blick schweifen. Malerisch schmiegte sich der Ort in eine üppige, von sattem Grün geprägte Vegetation. Auf einem Hügel thronte ein schlossartiges Gebäude, dessen karminrotes Dach sich majestätisch in den mit dichten Regenwolken bedeckten Himmel erhob.
»Da staunst du, wie?«, grinste Pepe, der sie offenbar beobachtet hatte. »Herrenhäuser wie dieses wirst du auf La Palma noch einige entdecken. Die stammen von den spanischen Eroberern, die sich hier vor einigen Jahrhunderten niedergelassen und ihre Prunkbauten errichtet haben. Die Insel liegt strategisch günstig.«
Die Märzsonne wärmte ihr Gesicht. Nina schaute aus dem Fenster. In München war es bei ihrer Abreise bitterkalt gewesen, am Morgen hatte Raureif auf den Dächern der Stadt gelegen. Sie schlüpfte aus ihrem Parka, ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden. Ausgedehnte, ordentlich bestellte Felder breiteten sich um den Hügel rund um das Herrenhaus aus.
»Diese Plantagen dort drüben, was ist das? So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Tabak«, erklärte Pepe. »er gedeiht in dieser Region besonders gut.«
Der Fiat quälte sich röchelnd die erste Serpentine hinauf, in der Zwischenzeit versorgte Ninas Fahrer sie mit allen nötigen Informationen. Am nächsten Morgen um zehn sollten sich alle Teammitglieder im Büro einfinden, das sich ebenfalls in der Pension befand. Gemeinsam wollten sie dann die weitere Vorgehensweise besprechen und die verschiedenen Arbeitsbereiche zuteilen.
Rechts und links der kurvenreichen Straße ragten die zerklüfteten Felsen eines Bergrückens vor ihnen auf, Lorbeerwälder säumten ihn so weit das Auge reichte. Zusammen mit den tief hängenden Wolken, die jeden Sonnenstrahl schluckten, bot sich Nina ein beinahe dramatisch anmutendes, düsteres Bild.
»Nicht erschrecken«, riss Pepe sie aus den Beobachtungen. »Gleich fahren wir durch einen Tunnel, um auf die Westseite der Insel zu gelangen. Man hat ihn in den Felsen gegraben, an manchen Stellen Hunderte von Metern tief. Von dort aus ist es dann nicht mehr weit bis Tazacorte.«
Fast im selben Moment konnte die junge Biologin die Hinweisschilder ausmachen. Kaum hatten sie die Tunneleinfahrt erreicht, war es schlagartig stockfinster. Kurz darauf wurde ein heller, sich rasch vergrößernder Punkt sichtbar. Nina schloss die Augen, als gleißendes Sonnenlicht sie am Ende des Tunnels begrüßte. Sie starrte in den wolkenlosen Himmel. Wo war der Passatwind geblieben, wo waren die bedrohlich dunklen Wolken, die von Regen kündeten?
Es kam ihr so vor, als befänden sie sich plötzlich in einer völlig anderen Landschaft. Die Lorbeerwälder waren hoch aufragenden Kakteen gewichen, die der kargen, wüstenähnlichen Flora trotzten und ihre langen Finger gen Himmel reckten. Der Boden war mit einem Teppich aus Wandelröschen bedeckt. Die Luft, die durch das geöffnete Fenster hereindrang, strich ihr warm übers Gesicht.
Der Bergrücken musste der Grund für die Klimaänderung sein. Natürlich kannte Nina das Phänomen der Wetterscheiden, so drastisch jedoch hatte sie bisher keine erlebt. Nach etwa einer halben Stunde Fahrt wandelte sich die Vegetation erneut. Je mehr sie sich der Küste näherten, umso grüner und fruchtbarer wurde das Land. Palmen tanzten in der salzigen Meeresbrise, und terrassenförmig angelegte Bananenplantagen erstreckten sich kilometerweit in der von Vulkanen geprägten Region.
»Beeindruckend, oder?«, meinte Pepe.
»Allerdings«, erwiderte Nina, ohne den Blick von den Vulkanhügeln abwenden zu können, die sich vor ihnen aufbauten.
Während der Fahrt wusste sie oft nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. La Palma schien viele Überraschungen zu bergen. endlich hatten sie den Fischerort Tazacorte erreicht, und Nina blinzelte in das farbenprächtige Bild, das einem fast kitschig schönen Postkartenmotiv glich. Fröhlich bunt getünchte Häuser, zumeist Pensionen, Restaurants und Bars, schmiegten sich auf der Rückseite an steile, bewachsene Felsen, in denen unterschiedlich große Höhlen auszumachen waren. Das Rauschen des Atlantiks und die fröhlichen Stimmen der Menschen, die sich im Sonnenschein auf dem schwarzen Sandstrand ausstreckten oder auf der Promenade spazieren gingen, drangen an ihre Ohren. vor einem gelben Steinhaus, auf dem der Schriftzug Pension Catalina prangte, hielten sie an. Die Wirtin, Señora Diaz, begrüßte sie herzlich und wies der Biologin ihr Zimmer zu.
»Vielen Dank, Pepe. Wir sehen uns«, verabschiedete sich Nina.
»War mir ein Vergnügen. Bis morgen.«
Nina ließ die Tür ihres Zimmers geräuschlos ins Schloss fallen und stellte den Koffer samt der Umhängetasche ab. Die Tasche mit ihren Tauchutensilien hatte die Pensionswirtin schon aufs Zimmer bringen lassen. Die Holzmöbel wirkten abgenutzt, machten jedoch einen robusten Eindruck. Als sie in der angrenzenden Kochnische eine Kaffeemaschine sowie eine angebrochene Packung Kaffee entdeckte, entfuhr ihr ein wohliger Seufzer. Ohne einen Becher des schwarzen Gebräus am Morgen war sie nicht zu gebrauchen. Nina gähnte, sie fühlte sich wie erschlagen.
In der vergangenen Nacht war sie kaum zur Ruhe gekommen, ihre Gedanken waren um die Ereignisse der letzten Wochen gekreist. Nina trat auf den winzigen Balkon hinaus, von wo aus sie einen hübschen Blick auf die Promenade hatte. Palmen wiegten sich im sanften Wind. in der Ferne lagen Fischerboote still im Meer, ihre Masten ragten in den azurblauen Himmel. Kinder spielten ausgelassen im Wasser, das in der Spätnachmittagssonne wie mit Diamantstaub benetzt glitzerte. von irgendwoher erklang Musik. Nina setzte sich auf einen Klappstuhl, streckte die Beine von sich und beobachtete, wie die Vorboten der Dämmerung den Ozean in weiches Licht zu tauchen begannen.
Trotz aller Erschöpfung hatte sie das erste Mal seit Langem das Gefühl, wieder freier atmen zu können. Was sicherlich auch dem vierstündigen Flug anzurechnen war, der sie von München trennte. Nina schauderte bei der Erinnerung an den Abend vor einigen Monaten, an dem sie Jan mit dieser anderen Frau begegnet war. Niemals hätte sie ihm zugetraut, dass er sie so hintergehen könnte. Wie lange hatte er um sie kämpfen müssen, bis sie schließlich ein Paar geworden waren? Mit ihm war eine gemeinsame Zukunft durchaus vorstellbar gewesen. Bis ihr die Augen schmerzlich geöffnet worden waren und alles, woran sie geglaubt hatte, in Trümmern vor ihr gelegen hatte. Kurz darauf war sie mit ihrer Mutter aneinandergeraten. Ob sie Jan nicht wenigstens eine Chance geben wollte, sich zu erklären, hatte Mama gefragt. Aber was gab es noch zu sagen, wenn ihn seine neue Flamme sogar auf einer Geschäftsreise begleiten sollte?
Bis zu ihrer Abreise nach La Palma hatte sie Jans Telefonanrufe ignoriert und ihm den Verlobungsring zurückgeschickt. vermutlich war er nicht zum ersten Mal fremdgegangen, sie war nur zu gutgläubig gewesen, ihm seine unzähligen Überstunden und Geschäftsreisen abzukaufen. Aber das war nun endgültig vorbei, und das Forschungsprojekt verschaffte ihr die Möglichkeit, wieder zu sich selbst zu finden.
Nina machte sich einen Kaffee, setzte sich hinaus und nahm den Geruch des wogenden Atlantiks in sich auf. Sie beobachtete die Urlauber am Strand, wie sie Ball spielten oder sich in der Sonne räkelten. Als sie Hunger bekam, ging sie ins Restaurant. Pepe war nicht zu entdecken, nur eine Handvoll Gäste hatten sich dort eingefunden. Nach dem Essen zog sie sich zurück und verbrachte den Rest des Abends damit, zuzusehen, wie eine Laterne nach der anderen Tazacorte in gelbliches Licht tauchte.
Nina erwachte früh, jedes noch so kleine Geräusch aus den Nebenräumen war zu ihr durchgedrungen und hatte sie mehrfach aus dem Schlaf gerissen. Sie brühte sich einen Kaffee auf und öffnete ein Fenster. Vogelgezwitscher empfing sie. Bei ihrer Ankunft hatte sie entdeckt, dass direkt an der Rückseite der Pension ein Wanderweg hügelaufwärts verlief. Bis zum Treffen mit den Kollegen blieb ihr noch reichlich Zeit. Also schlüpfte sie in T-Shirt und Sporthose und trat auf den Sandweg, um ein paar Runden zu drehen.
Ein Vogelschwarm zog über den blassblauen Himmel hinweg, während sie in einen leichten Laufschritt fiel. Ginsterbüsche und Kakteen klammerten sich ans felsige Gestein, warfen Schatten, unter denen Flechten wuchsen. Nina beschleunigte das Tempo. Der Sand knirschte unter ihren Laufschuhen, und ihre innere Anspannung löste sich allmählich. Über den Vulkanhügeln hingen dichte Nebelschwaden. nach einem Blick auf ihre Armbanduhr machte sie kehrt. Als die gelb getünchte Fassade der Pension in ihr Sichtfeld geriet, kam ihr ein Jogger entgegen, dessen hellblondes Haar ihr schon von weitem auffiel. er maß sie von oben bis unten und zwinkerte ihr zu. Nina nickte zum Gruß. Zurück auf dem Zimmer duschte sie heiß, schlüpfte in Jeans, Baumwollshirt und Sandalen.
im Restaurant traf sie auf Pepe, der allein am Tisch saß. »Hast du Lust, dich zu mir zu setzen?«, fragte der junge Spanier. »Der andere Student ist inzwischen auch eingetroffen. ich bin ihm vorhin kurz begegnet, er heißt Jesper. Keine Ahnung, wo er steckt. Trinkst du Tee oder Kaffee?«
»Kaffee, bitte.« Auf Pepes einladende Geste hin nahm Nina an seinem Tisch Platz.
»Bleibst du in der Pension?«, fragte er.
»vorerst ja, aber in den nächsten Tagen suche ich mir etwas anderes«, gestand Nina. »Das Zimmer ist ganz nett, allerdings schwebt mir eher eine kleine Ferienwohnung vor. Und du?«
»ich werde bleiben. Mir gefällt mein Zimmer, außerdem liegt die Pension sehr zentral, was praktisch ist, da ich kein Auto besitze.«
Pünktlich betrat Nina eine Dreiviertelstunde später den Raum, der zum Büro umfunktioniert worden war. Arnulf Ingvison, der Leiter der Naturschutzorganisation, begrüßte sie. Der Isländer hatte prachtvolles silbriges Haar. Wenn Pepe ihr nicht erzählt hätte, dass der Professor bald in Ruhestand ging, hätte sie es nicht geglaubt, denn seine eisblauen Augen strahlten die Lebhaftigkeit der Jugend aus. Als Nina aufsah, um den jungen Mann zu begrüßen, der neben Pepe stand, stutzte sie. es war der sportliche Typ, der ihr beim Joggen begegnet war. Sein Grinsen verbreiterte sich, als er sich als Jesper Vikström vorstellte. Seine blonde Mähne lag akkurat gegelt um den schmalen Kopf.
»Nina Michaelis. Hallo, Jesper.«
»Freut mich sehr, dich kennenzulernen. Ich habe schon viel von dir gehört«, gab er ihr zu verstehen und hielt ihre Hand einen Moment länger als nötig in der seinen.
Das bezweifelte Nina, dennoch murmelte sie einen Dank und entzog sich ihm.
In diesem Moment betrat ein dunkelhaariger Mann den Raum.
»Fabio, wie schön, dich im Team zu haben!« Mit diesen Worten trat Arnulf Ingvison auf den Ankömmling zu und klopfte ihm auf die Schultern.
»Ich freue mich auch, dass es wieder geklappt hat«, erwiderte dieser.
Obwohl sich die beiden, wie es in internationalen Teams üblich war, auf Englisch unterhielten, meinte Nina bei dem Dunkelhaarigen den melodiösen Akzent eines Spaniers wahrzunehmen.
Ingvison nahm den jungen Mann am Arm und schob ihn auf die Biologin zu. An dem Neuankömmling schien alles dunkel zu sein. Seine Haut war von einem tiefen Olivton, das dunkelbraune Haar beinahe schulterlang. Die Augen waren in dem fein geschnittenen Gesicht das Ungewöhnlichste, denn sie besaßen die Farbe des Meeres, ein tiefes, strahlendes Blaugrün. Nina wandte den Blick ab.
»Doktor Michaelis? Das hier ist Fabio Guantes, ein ausgezeichneter Unterwasserfotograf. Er wird uns bei unserer Arbeit unterstützen«, stellte der Isländer sie einander lächelnd vor. »Nina Michaelis aus Deutschland. Die Fakultät in München hat sie uns aufs Wärmste empfohlen.«
Fabio Guantes, der sie mindestens um einen Kopf überragte, ergriff ihre ausgestreckte Hand, seine Miene blieb jedoch unbeteiligt.
»Auf eine gute Zusammenarbeit, Doktor«, erwiderte er, nur um ihr im nächsten Moment den Rücken zuzudrehen und eine Frage Pepes zu beantworten.
Ingvison bat die Anwesenden, Platz zu nehmen, und klatschte in die Hände. »Zunächst möchte ich Sie alle herzlich auf La Palma willkommen heißen. Mein Name ist Professor Doktor Arnulf Ingvison, und ich bin Direktor einer Fakultät in Island. Als Leiter unseres Langzeitprojekts stehe ich ihnen bis September mit Rat und Tat zur Seite. Unsere Aufgabe besteht darin, die Korallengärten und die zunehmende Problematik, der sie weltweit ausgesetzt sind, zu erforschen und damit einen Beitrag zu ihrem Fortbestand zu leisten. Die Mitarbeiter werden bei diesem Forschungsprojekt übrigens jeweils nur für einen Sommer verpflichtet. Sollte jemand von ihnen auch im Folgejahr dabei sein wollen, richten Sie ihre Bewerbung bitte direkt an mich. So, das wär's fürs erste von meiner Seite.«
Damit erteilte er dem vierundzwanzigjährigen Schweden aus Malmö das Wort, der wie der etwas jüngere Pepe in Barcelona Meeresbiologie studierte.
»Wie Sie wissen«, begann Jesper Vikström eifrig, »sind Korallen der Lebensraum für ungefähr ein Drittel aller Arten von Lebewesen der Ozeane. Auch für uns Menschen sind die Korallenriffe von großem Nutzen, ob für die Fischerei, den Tourismus oder den Küstenschutz. Die globale Erwärmung und die zunehmende Versauerung der Meere stellen jedoch eine erhebliche Gefahr für sie dar.«
Der Isländer nickte und blickte in die Runde. »Möchten Sie fortfahren, Herr Morales?«
»Gern«, freute sich der junge Spanier. »im Zuge der Erwärmung steigt auch die Wassertemperatur. Als Blumentiere leben die Korallen mit der Algenart Zooxanthellen in Symbiose. Sie produzieren bei Wärmestress Giftstoffe, weshalb sie zunehmend unter der Korallenbleiche leiden.«
Jesper hob die Hand. »Und diese Krankheit sorgt dafür, dass die Blumentiere absterben. Durch den Anstieg der Meerestemperatur verringert sich außerdem ihre Fortpflanzungsfähigkeit, und die Korallen können sich nicht mehr schnell genug erholen. Deshalb haben sie es in größeren Tiefen schwer, ihre Stoffwechselprozesse aufrechtzuerhalten, und sterben ab«, erläuterte der Schwede. »Ein Teufelskreis.« Hinter Jespers Stirn arbeitete es. »Derzeit nutzt man vermehrt Schiffswracks für die Ansiedelung von Blumentieren, um ihnen und allen Arten, die von ihnen profitieren, neue Lebensräume zu schaffen.«
»Ganz richtig, Herr Vikström«, antwortete Ingvison. »Auch auf den Kanarischen Inseln wird immer wieder darüber diskutiert. noch stehen die Entscheidungen aber aus.«
Pepe beugte sich vor. »Das Aussterben der Korallenriffe bedeutet eine ähnliche Katastrophe wie die Abholzung der Regenwälder. Das war meine Motivation, mich zu engagieren und Meeresbiologie zu studieren.«
Ingvison nickte. »Wir benötigen jeden einzelnen Biologen, denn wir stehen vor großen Herausforderungen. Nicht nur die Verschmutzung des Atlantiks durch Fäkalien bereitet uns Sorge, auch der Beifang, die Übernutzung und die Tiefseefischerei tragen zur Gefährdung dieser Arten bei.«
»Unsere größten Probleme sind allerdings die fehlenden Forschungsgelder ... und die Zeit«, ergänzte Nina. »Die Schäden an den Riffen schreiten schneller voran, als die Korallen nachwachsen können.«
»Danke, Doktor Michaelis«, fuhr der Isländer fort. »Deshalb erkläre ich ihnen jetzt die Verteilung der Aufgaben, damit wir schnellstens mit der Arbeit beginnen können.«
Guantes und Nina sollten anhand der Computeraufzeichnungen des letzten Jahres die Fundorte der Korallen abtauchen, um neue Erkenntnisse über Vermehrung, Ausdehnung und Zustand der Riffe zu sammeln. Fabio bediente die Unterwasserkamera, während Nina für die Beschaffung von Proben zuständig war. Pepe Morales sollte die neuen Daten dokumentieren, Jesper Vikström für einen reibungslosen technischen Ablauf sorgen. Gemeinsam wollten sie in einem Nebenraum des Büros ein Labor einrichten, in dem der Professor mit Nina die Proben untersuchen und die gewonnenen Ergebnisse mit dem Team sowie einigen Vertretern der Naturschutzorganisation vor Ort auswerten wollte. Bei den abendlichen Besprechungen würden sie dann auf Grundlage ihrer Erkenntnisse Schutzprogramme für bedrohte Arten entwickeln.
»Den ersten Tauchgang habe ich für Montag geplant. Ich schlage vor, wir nutzen den Samstag, um das Labor einzurichten und erste Informationen zu sammeln.«
Kurz zuvor war die Ausstattung des Laboratoriums eingetroffen. Die Pensionswirtin stellte den Wissenschaftlern einen Abstellraum zur Verfügung, in dem sie die Kisten, Kartons und Wasserbecken unterstellen konnten, bis sie alles eingerichtet hatten. Sie machten sich sofort an die Arbeit, indem sie zunächst zwei lange Tische in das zukünftige Labor brachten, auf denen sie unterschiedlich große Wasserbecken, zwei Mikroskope, Mikrosensoren und einen Laptop stellten. Jesper kümmerte sich um die technischen Installationen, während Pepe für mehrere Lichtquellen sorgte. Nina und Fabio brachten Bürostühle, die Tauchausrüstungen und Gerätschaften herein, die sie für ihre Forschungen benötigten. Ingvison richtete mit Jespers Hilfe eine Internetverbindung ein, damit die zuständige Fakultät auf ihre Daten Zugriff hatte und sie jederzeit mit den Kollegen in Verbindung treten konnten.
Bis zum Abend war alles an seinem Platz, und Jesper hatte einen zweiten Laptop auf einem Tisch in einer Nische des Büros angeschlossen. Gemeinsam sahen sich Ingvison und seine vier Mitarbeiter die Unterwasserbilder an. Dem Team vom vergangenen Jahr waren einige beeindruckende Filmaufnahmen von Gorgonien sowie roten und schwarzen Korallen geglückt, die Nina mit Fabio Guantes eingehend betrachtete.
Dann ließ sich die Biologin von Pepe die Zahlen vom vergangenen Jahr zeigen. Während sie dem Isländer konkrete Fragen zu den Computerlisten stellte, studierte der Fotograf die Filmaufnahmen und machte sich dabei immer wieder Notizen. Zwischen seine Augenbrauen grub sich eine schmale Falte. er spürte, dass er beobachtet wurde, und hob den Kopf. Sein Mund verzog sich spöttisch. Ninas Bedürfnis nach Distanz, das sie ihm gegenüber gleich bei der ersten Begegnung empfunden hatte, wuchs. Etwas an ihm, das sie noch nicht benennen konnte, erinnerte sie an Jan und mahnte sie zur Vorsicht.
Guantes schien ihre innere Abwehr zu erwidern. Sei's drum, dachte Nina. Sie waren einander zugeteilt und mussten zusammenarbeiten. Schließlich war sie Profi genug, um sich von einem derart herablassenden Typen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Jesper überprüfte in der Zwischenzeit die Kamera und ließ keine Gelegenheit aus, auf sich aufmerksam zu machen. Pepe war aus ganz anderem Holz geschnitzt, er hielt sich stets im Hintergrund. Nina merkte ihm an, wie er begierig jede Information aufsaugte, und lächelte ihm zu. Am besten jedoch gefiel ihr der isländische Projektleiter. Er wirkte kompetent und verlor dabei nie das schelmische Funkeln in den Augen.
Da Nina keine Lust auf Gesellschaft verspürte, hatte sie sich bald zurückgezogen, um es sich auf ihrem Zimmer gemütlich zu machen. Aber selbst der Thriller, der sie anfangs so begeistert hatte, konnte sie nicht fesseln. Ob Jan den Abend mit seiner neuen verbrachte? Ob er sie in eines der Nobelrestaurants einlud, in die er auch Nina anfangs ausgeführt hatte? Zum Nachtisch gab es dann sicher seinen Adoniskörper zum vernaschen. Wie hatte sie bloß auf ihn hereinfallen und sich sogar mit ihm verloben können? Nie hätte sie geglaubt, dass ein Mann je in der Lage sein könnte, sie derart zu täuschen. Sie, die toughe Frau, die weder finanziell noch emotional auf einen Partner angewiesen war. Ihr Job als freie Meeresbiologin war aufregend genug, denn immer wieder hatten Aufträge sie für mehrere Wochen in die Ferne geführt. Nina reiste für ihr Leben gern, und sie liebte ihre Arbeit weit mehr, als ihr Freundschaften oder Beziehungen je bedeuten konnten. Endlich befand sie sich in der glücklichen Lage, auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen zu müssen.
Der Kakao fiel ihr ein, der sich noch neben einer Tüte Chips im Koffer befand. Sie holte beides heraus und bereitete sich einen heißen Kakao zu. nachdem sie daran genippt hatte, vertiefte sie sich in die Broschüre einer weltweit operierenden Naturschutzorganisation. Verschiedene Korallenarten, unter anderem die blaue und schwarze Koralle, waren inzwischen per Gesetz geschützt, weshalb die Einfuhr nur mit bestimmten Papieren zulässig war, während die rote Koralle zu den meistbedrohten Tierarten der Welt gehörte. Und das alles nur, um die gierigen Hälse von Damen auf dem ganzen Planeten zu schmücken.
Seufzend legte sie ihre Lektüre beiseite und widmete sich den Flyern mit Ferienwohnungen, die Señora Diaz ihr ausgehändigt hatte. Die meisten Wohnungen, die für sie in Frage kamen, befanden sich in Ferienanlagen, und danach stand ihr überhaupt nicht der Sinn.
»Sollten Sie bei den Angeboten nicht fündig werden, erkunden Sie ruhig die nähere Umgebung, auf die Art werden Sie bestimmt das Passende entdecken«, hatte ihr Señora Diaz geraten.
Da der freie Sonntag vor ihr lag, beschloss Nina, genau das zu tun.
KAPITEL 2
Nach einigen Telefonanrufen stieß Nina in Tazacorte auf einen Autovermieter, der bereit war, ihr auch am Sonntag einen Wagen zur Verfügung zu stellen. Langsam fuhr sie durch umliegende Ortschaften und hielt nach freien Mietwohnungen Ausschau. Aber weder eine Wohnanlage noch ein kleines Apartment weckten ihr Interesse. nach einer Weile lenkte sie das Fahrzeug daher aus dem Fischerort hinaus und folgte einer geschwungenen, kurvenreichen Straße. Zu ihrer Rechten entdeckte sie meterhohe Bananenpflanzen, zu ihren Füßen erstreckte sich das malerische Aridanetal. Die Stadt Los Llanos breitete sich wie ein heller Teppich unter ihr aus, gesäumt von einem Kratergrund der Caldera. Gab es etwas Befreienderes, als allein zu sein?
Nina genoss, wie der Wind sich während der Fahrt in ihren Haaren fing. Das Spiel von Licht und Schatten war berauschend. Gelang es der Sonne, die Wolken zu verdrängen, dann verwandelte sie das Tal unter ihr in schimmerndes Gold. Siegten jedoch die grauen Schatten am Himmel, wirkte es geheimnisvoll, und die Felsen sahen schroffer aus.
Bald tauchte zu ihrer Linken eine weiß getünchte Kirche auf, und sie folgte der von Mandel- und Avocadobäumen gesäumten Straße, bis der Weg schließlich vor einem versteckt gelegenen Sandplatz endete. Sie wollte bereits wenden und zurückfahren, da entdeckte sie zwischen den hellgrünen Blättern der Bananenpflanzen die weiße Fassade eines Gebäudes. Nina schirmte die Augen gegen das Sonnenlicht ab und trat näher. Das Haus lag auf einer Anhöhe und war nur durch eine gewundene Holztreppe erreichbar. Hastig sah sie sich um, sie fühlte sich wie ein Kind, das im Begriff war, etwas Verbotenes zu tun. Andererseits, was war schon dabei?
Die Holzstufen knarrten bedenklich bei jedem ihrer Schritte. Kurz darauf hatte sie das Haus erreicht, dessen Anblick ihr schier den Atem raubte. Klein war es, windschief, und es wirkte auf sie wie ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit. Beim genaueren Hinsehen erkannte sie, dass die steinernen Wände nicht wie üblich mit Zement, sondern mit einem fremden Werkstoff verputzt worden waren. Es war bezaubernd. Eine feine Sandschicht bedeckte die Butzenscheiben, und auf den von Moos bewachsenen Fensterbänken standen Pflanzkästen mit vertrockneten Überresten sommerblühender Blumen.
Der kleine Garten an der Hinterseite des Hauses, den drei mannshohe Drachenbäume säumten, war zwischen dem wild wuchernden Unkraut nur noch zu erahnen. Still sog Nina die Eindrücke in sich auf. Sie hätte schwören können, über dieser Behausung liege ein alter Zauber. eine Magie von jener Sorte, die nur sie allein zu ergründen imstande war. Erinnerungen an vergessen geglaubte Märchen und Legenden ihrer Kindheit kamen ihr wieder in den Sinn. Ninas Lippen hoben sich zu einem Lächeln. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. verrückte Gedanken, die ihr da durch den Kopf schossen, sie war einfach hoffnungslos romantisch veranlagt. Aber hieß es nicht, dass die Mauern eines alten Hauses alle Freude und alles Leid speicherten, weshalb beides selbst nach vielen Jahren noch spürbar war?
Die junge Meeresbiologin streckte die Hand nach einer steinernen Wand mit dem weißen, ungewöhnlichen Putz aus. Sie schloss die Augen und malte sich bis ins letzte Detail aus, wie das Haus früher ausgesehen haben musste. Wie der Wind durch die Fensterläden pfiff und das Lachen und Weinen der einstigen Bewohner bis in den Garten hinüberdrang, um sich mit dem Meeresrauschen zu verbinden. Was waren das für Menschen gewesen, die hier in der Abgeschiedenheit gelebt hatten? Waren Kinder lärmend um das Haus gelaufen, hatten sie gespielt, gesungen und gestritten, immer unter den wachsamen Augen der Mutter? Bestimmt war der Hausherr am Abend nach einem langen Arbeitstag heimgekehrt, um sich im Garten niederzulassen, eine Pfeife zu stopfen und zu beobachten, wie die Sonne sich allmählich verfärbte und unterging. Oder das Zauberhaus hatte einst einer wohlhabenden Diva gehört, die sich in der Einsamkeit erholte und zuweilen kleine erlesene Empfänge gab. nun geht die Fantasie endgültig mit mir durch, dachte Nina.
Ob es im inneren noch Überreste einer offenen Feuerstelle gab, über denen die Insulaner ihr Essen zubereitet hatten? Immerhin hatte das Haus einen Schornstein, demzufolge war es also nicht allzu lange unbewohnt. Nina trat an eins der Fenster und spähte hinein. es schien sich um den Wohnraum zu handeln. Die spärlichen Möbelstücke waren mit hellem Stoff abgedeckt, aber sie meinte, anhand der Umrisse nahe dem Fenster eine Art Sofa mit hölzernen Lehnen zu erkennen.
Die Eingangstür befand sich auf der anderen Seite. Da alles still blieb, schlich sie um das Haus herum. Vor der dunkel gestrichenen Tür blieb sie wie angewurzelt stehen. ein weißes Schild mit schwarzen Lettern hing gut sichtbar am Türgriff. Sie kniff die Augen zusammen, der Text war in englischer Sprache verfasst.
To rent. For information please call John Campbell.
Darunter stand die Nummer eines Mobilfunktelefons.
Mit angehaltenem Atem starrte Nina auf das Schild. Einem Impuls folgend, kramte sie aus einer Innentasche ihres Parkas ihr Handy hervor und wählte die angegebene Nummer.
John Campbell, der sich sofort meldete, hatte zwar noch einiges zu erledigen, konnte aber in einer knappen Stunde vor Ort sein, um sie durch das Haus zu führen. Der Mann hatte englisch mit einem schottischen Akzent gesprochen.
Mr. Campbell hielt Wort. Pünktlich stieg der kleine Mann mit dem von vielen Falten gezeichneten Gesicht aus einem Geländewagen und kam lächelnd auf sie zu. Sie begrüßten einander mit Handschlag und einigten sich, ihre Unterhaltung auch weiterhin auf Englisch zu führen. Mr. Campbell lebte seit dreißig Jahren auf der Insel und beherrschte Spanisch beinahe ebenso gut wie seine Muttersprache. Für Nina kein Problem, sie konnte sich ebenfalls in beiden Sprachen fließend unterhalten.
Sie schilderte ihm, wie sie das Haus zufällig entdeckt und dass es sie gleich in seinen Bann gezogen hatte. »Als ich das Schild hier gelesen habe, musste ich Sie einfach anrufen«, schloss sie ihren Bericht.
»Das war mal ein recht schönes Häuschen«, erwiderte er mit leichtem Bedauern in der Stimme. »es hat meiner Tante Abigail gehört, deren Vorfahren im achtzehnten Jahrhundert aus England eingewandert sind und es als sogenannte Zuckerbarone zu einem beträchtlichen vermögen gebracht haben. Seit sie vor einigen Jahren in eine Seniorenresidenz in Santa Cruz gezogen ist, ist es so gut wie unbewohnt. Den meisten Leuten, ob Touristen oder einheimische, ist es zu abgelegen, außerdem fehlt es ihnen am üblichen Komfort. Sie wissen schon, Klimaanlage, Mikrowelle und all das Zeug.« Er musterte sie aus dunklen Brillengläsern. »Entschuldigen Sie, wenn ich so offen frage, aber was bringt eine junge Frau wie Sie dazu, sich für dieses Haus zu interessieren?«
Nina erklärte ihm die Lage. »Unser Auftraggeber hat uns eine Pension in Tazacorte zur Verfügung gestellt, allerdings dürfen wir uns auch eine andere Unterkunft suchen.«
»Ich verstehe. Aber vielleicht sehen Sie sich das Haus zunächst mal an, Miss Michaelis?« Seiner Jackentasche entnahm er einen Schlüsselbund und wählte ein besonders schönes Exemplar mit einem verschnörkelten Griff.
Ninas Schritte knarrten auf dem Dielenboden. Der Flur war winzig und führte direkt in den Wohnraum. Staubkörner wurden bei ihren Bewegungen in der abgestandenen Luft aufgewirbelt. Mr. Campbell öffnete ein Fenster, dessen dunkel gestrichene Läden ein wenig schief in den Angeln hingen.
»Sie mögen nicht so aussehen, sind aber stabil und halten den Wind fern«, meinte der ältere Herr mit einem entschuldigenden Achselzucken.
Nina nickte abwesend. Der Raum war hell verputzt und machte einen gepflegten Eindruck. in einer Ecke entdeckte sie einen altmodischen Ofen, dessen Kacheln mit...
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Ich schloss mich dem Strom der Masse an. Mein Atem hinterließ kleine Dampfwölkchen in der eisigen Luft, während ich die Treppen erklomm und an das Gespräch zurückdachte. Direkt neben mir lief mit schnellen Schritten ein junger Mann meines Alters im Nikolauskostüm, wahrscheinlich war er auf dem Weg zu einer der zahlreichen Weihnachtsfeiern. Oben angekommen, empfing mich der Duft von Bratäpfeln, die eine Frau mit einem Bauchladen anbot. Die Bezahlung war fair. Himmel, sechs Monate pro Jahr und das vier Jahre lang. Jan würde davon sicher nicht begeistert sein. Mein Verlobter arbeitete in der Werbebranche, und wir hatten ohnehin kaum Zeit füreinander. Dieser Auftrag war nicht nur eine einmalige Chance, er würde auch mein Auskommen für die nächsten Jahre sichern. Ich hatte Professor Steinbrinck um Bedenkzeit gebeten, damit ich das mit Jan besprechen konnte. Wir hatten uns die ganze Woche über nicht gesehen, denn seine Firma hatte einen lukrativen Auftrag an Land gezogen, und da waren Überstunden zur Selbstverständlichkeit geworden. Zudem schickte sein Chef ihn immer öfter auf Dienstreise. Aber durfte ich deshalb diese Chance an mir vorüberziehen lassen? Schließlich würde ich mich nicht zum ersten Mal im Ausland aufhalten, nur hatte es sich bisher stets auf wenige Wochen beschränkt.
Mir schwirrte der Kopf. Wenn sich Jans erster Schreck gelegt hatte, würde er sich bestimmt für mich freuen. Ich lächelte, und die Lichter der weihnachtlich geschmückten Straßen hüllten mich für einen Moment warm ein.
Jan rechnete eigentlich erst morgen mit mir, doch so lange konnte ich die Neuigkeiten nicht für mich behalten. Deshalb lenkte ich meine Schritte in Richtung Kaiserstraße, wo er eine gemütliche Wohnung besaß. Eigentlich mochte er keine Überraschungsbesuche, aber diesmal setzte ich mich darüber hinweg. Meine Stiefelabsätze klapperten auf dem Asphalt, aus den Bars und Restaurants drangen gedämpfte Musik und Lachen zu mir herüber. Bald darauf blieb ich vor der Gründerzeitvilla stehen, in der er den zweiten Stock bewohnte. Da wir nicht verabredet waren, hatte ich seine Schlüssel nicht eingesteckt. Deshalb klingelte ich, wartete. Als der Summer stumm blieb, kramte ich mein Handy aus der Tasche und wählte seine Nummer. »Der Teilnehmer ist derzeit nicht erreichbar«, ertönte nur die Stimme vom Band.
Ernüchtert ging ich die Kaiserstraße zurück, meine Wohnung lag nur wenige Minuten Fußweg entfernt in der Georgenstraße. Der Wind frischte auf, ich fröstelte und zog den Wollmantel enger um mich. Schneeflocken fielen träge vom Himmel. Ich passierte gerade eine Bar, als ich vor mir eine Frau kichern hörte, und blickte vorsichtig um die Ecke. Da entdeckte ich zwei Gestalten, die sich eng an eine Häuserwand drückten. Im spärlichen Schein der Laterne war kaum mehr als ihre Silhouetten auszumachen. Die beiden Figuren schienen zu einer zu verschmelzen. Schmunzelnd wollte ich meinen Weg fortsetzen. Genau diese Begrüßung hatte ich mir für diesen Abend gewünscht. Vielleicht sollte ich noch mal umkehren und auf Jan warten. Die Vorstellung war verlockend.
Das Paar redete leise miteinander. Die Frau seufzte.
»Ich muss nächste Woche für ein paar Tage nach London. Warum kommst du nicht mit?«, hörte ich den Mann sagen.
Etwas im Klang der Stimme ließ mich innehalten, und ich schob mich in einen Hauseingang. Die beiden waren jetzt nur noch wenige Schritte von mir entfernt. Für einen Moment beleuchtete der Lichtkegel der Laterne das Paar. Die Form seiner Schultern, diese besitzergreifende Geste, mit der der Mann den Arm um die Taille der langbeinigen Brünetten legte. Sein Gang.
»Das geht doch nicht, Liebling«, antwortete eine helle Frauenstimme. »Was willst du ihr sagen?«
»Wie sollte sie es bemerken? Sie weiß, dass ich nach London fliege. Lass mich nur machen.« Seine Stimme wurde einschmeichelnd. »Lädst du mich noch auf einen Drink zu dir ein?«
Die Frau kicherte. »Wie könnte ich zu einer so verführerischen Aussicht nein sagen?«
Sie küssten sich. Ich presste eine Hand auf den Mund, damit mein entsetztes Keuchen mich nicht verriet. Kurz entschlossen folgte ich den beiden. Mein Innerstes krampfte sich bei dem Anblick des Pärchens zusammen. Wie vertraut sie wirkten. Die Frau blieb stehen und küsste ihn erneut. Er lachte, öffnete ihren Mantel und ließ die Hand unter ihren Pullover wandern, woraufhin die Brünette sich unter seiner Berührung räkelte. Bald darauf entzog sie sich ihm, schloss den Mantel, und die beiden bogen eng umschlungen um eine Ecke.
Ich schnappte nach Luft, weil mir auf einmal die Kehle eng wurde. Ich muss mich täuschen, ich muss mich täuschen, wiederholte ich im Geist ein ums andere Mal. Vor einem weiß getünchten Neubau blieb das Paar stehen. Er sah sich um.
Unsere Blicke begegneten sich.
Für den Bruchteil einer Sekunde weiteten sich seine Augen. Ein Hitzeschwall jagte durch meinen Körper. Jan. Er war es wirklich. Mein Herz machte einen schmerzhaften Satz, und ich wandte mich ruckartig ab.
»Nina, bleib stehen! Verflixt, bleib stehen!«, rief er mir nach, aber ich rannte und rannte, bis die Laute der belebten Straße seine Stimme verschluckt hatten.
Ich lief nach Hause. Schwer atmend schloss ich die Wohnungstür und lehnte mich müde dagegen. Alles, was ich wahrnehmen konnte, war das Gefühl, wie etwas in mir brach. Wie aus weiter Ferne hörte ich das Telefon klingeln, nach dem fünften Anruf zog ich den Stecker. Ich fühlte mich wie eine Marionette, während ich mit steifen Gliedern auf das Schlafzimmer zusteuerte und mich aufs Bett sinken ließ. Alles in mir schrie vor Schmerz. Die vielen Überstunden, die Geschäftsreisen. Jans letzter flüchtiger Kuss, als ich mich am Montagmorgen von ihm verabschiedet hatte. Seine Miene, als er mich vorhin erkannt hatte.
Erinnerungen und bruchstückhafte Szenen unserer zweijährigen Beziehung huschten durch meinen Geist. Wie dumm ich gewesen war, ich hätte längst die Zeichen deuten können. Aber ich hatte ihm vertraut. Der Schmerz in mir wurde unerträglich. Während ich mir in dieser Nacht schwor, dass es niemandem je wieder gelingen sollte, mich zu verletzen, und an die Decke starrte, begrub ich meine Träume, meine Sehnsüchte, mein bisheriges Leben. Meine Vergangenheit war nicht mehr von Bedeutung.
Am nächsten Morgen stand mein Entschluss fest. Noch vor dem Frühstück schickte ich Professor Steinbrinck eine Nachricht und teilte ihm mit, dass ich den Auftrag annehmen wolle.
KAPITEL 1
Es gab Turbulenzen, das hatte ihr gerade noch gefehlt. Nina Michaelis befolgte die Ansage des Piloten und ließ den Gurt einschnappen. Die Linienmaschine der Iberia befand sich im Landeanflug auf Santa Cruz de La Palma. Der starke Westwind rüttelte an dem Flugzeug, ließ es hüpfen und taumeln, als wäre es ein Kinderdrachen, hilflos den Naturgewalten ausgesetzt. Mit feuchten Händen lehnte sie sich zurück. Jetzt nur nicht aus dem Fenster blicken.
Während der Airbus 320 in den Sinkflug überging, sprach ihre Nachbarin, deren ausladende Hüften nur knapp in den Sitz passten, sie im besten Oxford Englisch an. Nina antwortete ihr, während sie versuchte, das flaue Gefühl im Magen und den leichten Schmerz in den Ohren zu ignorieren.
Der Forschungsauftrag kam einer Flucht gleich. Sie hatte die Wochen und schließlich die Tage bis zum Abflug gezählt. Zeit genug, um Abstand zu gewinnen. Abstand von Jan und ihrem bisherigen Leben.
Kurze Zeit später setzte die Maschine unsanft auf, rollte über die Landebahn und kam endlich zum Stehen. Die Fluggäste, hauptsächlich Rucksackreisende und Senioren, drängten dem Ausgang zu. Nina ließ ihnen gern den Vortritt. So blieb ihr Gelegenheit, sich zu sammeln und abzuwarten, bis ihre gummiweichen Beine ihren Dienst wieder aufzunehmen bereit waren. Die Engländerin neben ihr verabschiedete sich mit einem steifen Nicken und wuchtete ihren massigen Körper aus dem Sitz. Nina sah auf ihre Armbanduhr. Trotz der Turbulenzen war die Maschine mit nur wenig Verspätung gelandet. Sie griff nach ihrer Umhängetasche, kramte den Handspiegel hervor, den sie in ein Fach neben ihrem Laptop gelegt hatte, und schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse.
Eine weitere Stunde verging, bis sie ihr Gepäck vom Laufband nehmen konnte. Die große Tasche mit ihrer Tauchausrüstung hatte sie bereits vor einer Woche aufgegeben. Suchend blickte sie sich um. Am Ausgang des Terminals entdeckte sie einen untersetzten, kaum einen Meter sechzig großen Mann, der ein Schild mit ihrem Namen schwenkte. Mit einem scheuen Lächeln im sonnengebräunten Gesicht trat er ihr entgegen.
»Nina Michaelis? Herzlich Willkommen auf La Palma «, begrüßte der junge Mann sie in gebrochenem Englisch. »Pepe Morales. Ich habe den Auftrag, ihnen beim Dokumentieren der Forschungsergebnisse behilflich zu sein. Aber zunächst bringe ich Sie in die Pension, wenn es ihnen recht ist.«
Nina lächelte und reichte ihm die Hand, die er mit festem Händedruck ergriff. »Vielen Dank, das ist nett. Ich bin übrigens Nina, wir können gerne Du sagen.«
»Pepe«, wiederholte er seinen Namen, wobei es ihm nicht gelang, seine geröteten Wangen zu verbergen.
Die Züge des Spaniers trugen noch die Weichheit der Jugend, doch der schüttere Haarkranz ließ ihn um Jahre älter erscheinen. Aus ihrer Tasche zog sie eine Schirmmütze hervor und setzte sie auf ihre kurze blonde Fransenfrisur.
»Offen gesagt bin ich ziemlich erleichtert, wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Wie weit ist es bis zur Unterkunft?«
Er nahm ihr den Koffer ab und wies mit zerknirschter Miene auf einen roten Fiat, der seine besten Tage längst hinter sich hatte und auf dem angrenzenden Parkplatz stand. »In spätestens zwei Stunden sollten wir in Tazacorte sein. Wir sind alle in der Pension Catalina untergekommen. Nichts Besonderes, aber die Küche soll gut sein, und die Zimmer sind sauber.«
Nina nickte und nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Ihr Begleiter lenkte den Wagen auf eine Landstraße, die unweit des Flughafens in Richtung Norden abzweigte, einem Örtchen namens Breña Alta zu. Freimütig erzählte der junge Mann, dass er aus Barcelona sei und an der dortigen Universität Meeresbiologie studiere. im nächsten Jahr wolle er promovieren und sich für die Fachrichtung Fischereibiologie entscheiden. Mit unüberhörbarem Stolz in der Stimme berichtete er, dass man ihn gemeinsam mit einem Kommilitonen für dieses Forschungsprojekt ausgewählt habe. Nina lächelte leicht und gratulierte ihm. Sie wusste, wie sehr sich die Studenten um Jobs wie diesen rissen. Als Pepe leise zu summen begann, ließ sie den Blick schweifen. Malerisch schmiegte sich der Ort in eine üppige, von sattem Grün geprägte Vegetation. Auf einem Hügel thronte ein schlossartiges Gebäude, dessen karminrotes Dach sich majestätisch in den mit dichten Regenwolken bedeckten Himmel erhob.
»Da staunst du, wie?«, grinste Pepe, der sie offenbar beobachtet hatte. »Herrenhäuser wie dieses wirst du auf La Palma noch einige entdecken. Die stammen von den spanischen Eroberern, die sich hier vor einigen Jahrhunderten niedergelassen und ihre Prunkbauten errichtet haben. Die Insel liegt strategisch günstig.«
Die Märzsonne wärmte ihr Gesicht. Nina schaute aus dem Fenster. In München war es bei ihrer Abreise bitterkalt gewesen, am Morgen hatte Raureif auf den Dächern der Stadt gelegen. Sie schlüpfte aus ihrem Parka, ohne den Blick von der Landschaft abzuwenden. Ausgedehnte, ordentlich bestellte Felder breiteten sich um den Hügel rund um das Herrenhaus aus.
»Diese Plantagen dort drüben, was ist das? So etwas habe ich noch nie gesehen.«
»Tabak«, erklärte Pepe. »er gedeiht in dieser Region besonders gut.«
Der Fiat quälte sich röchelnd die erste Serpentine hinauf, in der Zwischenzeit versorgte Ninas Fahrer sie mit allen nötigen Informationen. Am nächsten Morgen um zehn sollten sich alle Teammitglieder im Büro einfinden, das sich ebenfalls in der Pension befand. Gemeinsam wollten sie dann die weitere Vorgehensweise besprechen und die verschiedenen Arbeitsbereiche zuteilen.
Rechts und links der kurvenreichen Straße ragten die zerklüfteten Felsen eines Bergrückens vor ihnen auf, Lorbeerwälder säumten ihn so weit das Auge reichte. Zusammen mit den tief hängenden Wolken, die jeden Sonnenstrahl schluckten, bot sich Nina ein beinahe dramatisch anmutendes, düsteres Bild.
»Nicht erschrecken«, riss Pepe sie aus den Beobachtungen. »Gleich fahren wir durch einen Tunnel, um auf die Westseite der Insel zu gelangen. Man hat ihn in den Felsen gegraben, an manchen Stellen Hunderte von Metern tief. Von dort aus ist es dann nicht mehr weit bis Tazacorte.«
Fast im selben Moment konnte die junge Biologin die Hinweisschilder ausmachen. Kaum hatten sie die Tunneleinfahrt erreicht, war es schlagartig stockfinster. Kurz darauf wurde ein heller, sich rasch vergrößernder Punkt sichtbar. Nina schloss die Augen, als gleißendes Sonnenlicht sie am Ende des Tunnels begrüßte. Sie starrte in den wolkenlosen Himmel. Wo war der Passatwind geblieben, wo waren die bedrohlich dunklen Wolken, die von Regen kündeten?
Es kam ihr so vor, als befänden sie sich plötzlich in einer völlig anderen Landschaft. Die Lorbeerwälder waren hoch aufragenden Kakteen gewichen, die der kargen, wüstenähnlichen Flora trotzten und ihre langen Finger gen Himmel reckten. Der Boden war mit einem Teppich aus Wandelröschen bedeckt. Die Luft, die durch das geöffnete Fenster hereindrang, strich ihr warm übers Gesicht.
Der Bergrücken musste der Grund für die Klimaänderung sein. Natürlich kannte Nina das Phänomen der Wetterscheiden, so drastisch jedoch hatte sie bisher keine erlebt. Nach etwa einer halben Stunde Fahrt wandelte sich die Vegetation erneut. Je mehr sie sich der Küste näherten, umso grüner und fruchtbarer wurde das Land. Palmen tanzten in der salzigen Meeresbrise, und terrassenförmig angelegte Bananenplantagen erstreckten sich kilometerweit in der von Vulkanen geprägten Region.
»Beeindruckend, oder?«, meinte Pepe.
»Allerdings«, erwiderte Nina, ohne den Blick von den Vulkanhügeln abwenden zu können, die sich vor ihnen aufbauten.
Während der Fahrt wusste sie oft nicht, wohin sie zuerst schauen sollte. La Palma schien viele Überraschungen zu bergen. endlich hatten sie den Fischerort Tazacorte erreicht, und Nina blinzelte in das farbenprächtige Bild, das einem fast kitschig schönen Postkartenmotiv glich. Fröhlich bunt getünchte Häuser, zumeist Pensionen, Restaurants und Bars, schmiegten sich auf der Rückseite an steile, bewachsene Felsen, in denen unterschiedlich große Höhlen auszumachen waren. Das Rauschen des Atlantiks und die fröhlichen Stimmen der Menschen, die sich im Sonnenschein auf dem schwarzen Sandstrand ausstreckten oder auf der Promenade spazieren gingen, drangen an ihre Ohren. vor einem gelben Steinhaus, auf dem der Schriftzug Pension Catalina prangte, hielten sie an. Die Wirtin, Señora Diaz, begrüßte sie herzlich und wies der Biologin ihr Zimmer zu.
»Vielen Dank, Pepe. Wir sehen uns«, verabschiedete sich Nina.
»War mir ein Vergnügen. Bis morgen.«
Nina ließ die Tür ihres Zimmers geräuschlos ins Schloss fallen und stellte den Koffer samt der Umhängetasche ab. Die Tasche mit ihren Tauchutensilien hatte die Pensionswirtin schon aufs Zimmer bringen lassen. Die Holzmöbel wirkten abgenutzt, machten jedoch einen robusten Eindruck. Als sie in der angrenzenden Kochnische eine Kaffeemaschine sowie eine angebrochene Packung Kaffee entdeckte, entfuhr ihr ein wohliger Seufzer. Ohne einen Becher des schwarzen Gebräus am Morgen war sie nicht zu gebrauchen. Nina gähnte, sie fühlte sich wie erschlagen.
In der vergangenen Nacht war sie kaum zur Ruhe gekommen, ihre Gedanken waren um die Ereignisse der letzten Wochen gekreist. Nina trat auf den winzigen Balkon hinaus, von wo aus sie einen hübschen Blick auf die Promenade hatte. Palmen wiegten sich im sanften Wind. in der Ferne lagen Fischerboote still im Meer, ihre Masten ragten in den azurblauen Himmel. Kinder spielten ausgelassen im Wasser, das in der Spätnachmittagssonne wie mit Diamantstaub benetzt glitzerte. von irgendwoher erklang Musik. Nina setzte sich auf einen Klappstuhl, streckte die Beine von sich und beobachtete, wie die Vorboten der Dämmerung den Ozean in weiches Licht zu tauchen begannen.
Trotz aller Erschöpfung hatte sie das erste Mal seit Langem das Gefühl, wieder freier atmen zu können. Was sicherlich auch dem vierstündigen Flug anzurechnen war, der sie von München trennte. Nina schauderte bei der Erinnerung an den Abend vor einigen Monaten, an dem sie Jan mit dieser anderen Frau begegnet war. Niemals hätte sie ihm zugetraut, dass er sie so hintergehen könnte. Wie lange hatte er um sie kämpfen müssen, bis sie schließlich ein Paar geworden waren? Mit ihm war eine gemeinsame Zukunft durchaus vorstellbar gewesen. Bis ihr die Augen schmerzlich geöffnet worden waren und alles, woran sie geglaubt hatte, in Trümmern vor ihr gelegen hatte. Kurz darauf war sie mit ihrer Mutter aneinandergeraten. Ob sie Jan nicht wenigstens eine Chance geben wollte, sich zu erklären, hatte Mama gefragt. Aber was gab es noch zu sagen, wenn ihn seine neue Flamme sogar auf einer Geschäftsreise begleiten sollte?
Bis zu ihrer Abreise nach La Palma hatte sie Jans Telefonanrufe ignoriert und ihm den Verlobungsring zurückgeschickt. vermutlich war er nicht zum ersten Mal fremdgegangen, sie war nur zu gutgläubig gewesen, ihm seine unzähligen Überstunden und Geschäftsreisen abzukaufen. Aber das war nun endgültig vorbei, und das Forschungsprojekt verschaffte ihr die Möglichkeit, wieder zu sich selbst zu finden.
Nina machte sich einen Kaffee, setzte sich hinaus und nahm den Geruch des wogenden Atlantiks in sich auf. Sie beobachtete die Urlauber am Strand, wie sie Ball spielten oder sich in der Sonne räkelten. Als sie Hunger bekam, ging sie ins Restaurant. Pepe war nicht zu entdecken, nur eine Handvoll Gäste hatten sich dort eingefunden. Nach dem Essen zog sie sich zurück und verbrachte den Rest des Abends damit, zuzusehen, wie eine Laterne nach der anderen Tazacorte in gelbliches Licht tauchte.
Nina erwachte früh, jedes noch so kleine Geräusch aus den Nebenräumen war zu ihr durchgedrungen und hatte sie mehrfach aus dem Schlaf gerissen. Sie brühte sich einen Kaffee auf und öffnete ein Fenster. Vogelgezwitscher empfing sie. Bei ihrer Ankunft hatte sie entdeckt, dass direkt an der Rückseite der Pension ein Wanderweg hügelaufwärts verlief. Bis zum Treffen mit den Kollegen blieb ihr noch reichlich Zeit. Also schlüpfte sie in T-Shirt und Sporthose und trat auf den Sandweg, um ein paar Runden zu drehen.
Ein Vogelschwarm zog über den blassblauen Himmel hinweg, während sie in einen leichten Laufschritt fiel. Ginsterbüsche und Kakteen klammerten sich ans felsige Gestein, warfen Schatten, unter denen Flechten wuchsen. Nina beschleunigte das Tempo. Der Sand knirschte unter ihren Laufschuhen, und ihre innere Anspannung löste sich allmählich. Über den Vulkanhügeln hingen dichte Nebelschwaden. nach einem Blick auf ihre Armbanduhr machte sie kehrt. Als die gelb getünchte Fassade der Pension in ihr Sichtfeld geriet, kam ihr ein Jogger entgegen, dessen hellblondes Haar ihr schon von weitem auffiel. er maß sie von oben bis unten und zwinkerte ihr zu. Nina nickte zum Gruß. Zurück auf dem Zimmer duschte sie heiß, schlüpfte in Jeans, Baumwollshirt und Sandalen.
im Restaurant traf sie auf Pepe, der allein am Tisch saß. »Hast du Lust, dich zu mir zu setzen?«, fragte der junge Spanier. »Der andere Student ist inzwischen auch eingetroffen. ich bin ihm vorhin kurz begegnet, er heißt Jesper. Keine Ahnung, wo er steckt. Trinkst du Tee oder Kaffee?«
»Kaffee, bitte.« Auf Pepes einladende Geste hin nahm Nina an seinem Tisch Platz.
»Bleibst du in der Pension?«, fragte er.
»vorerst ja, aber in den nächsten Tagen suche ich mir etwas anderes«, gestand Nina. »Das Zimmer ist ganz nett, allerdings schwebt mir eher eine kleine Ferienwohnung vor. Und du?«
»ich werde bleiben. Mir gefällt mein Zimmer, außerdem liegt die Pension sehr zentral, was praktisch ist, da ich kein Auto besitze.«
Pünktlich betrat Nina eine Dreiviertelstunde später den Raum, der zum Büro umfunktioniert worden war. Arnulf Ingvison, der Leiter der Naturschutzorganisation, begrüßte sie. Der Isländer hatte prachtvolles silbriges Haar. Wenn Pepe ihr nicht erzählt hätte, dass der Professor bald in Ruhestand ging, hätte sie es nicht geglaubt, denn seine eisblauen Augen strahlten die Lebhaftigkeit der Jugend aus. Als Nina aufsah, um den jungen Mann zu begrüßen, der neben Pepe stand, stutzte sie. es war der sportliche Typ, der ihr beim Joggen begegnet war. Sein Grinsen verbreiterte sich, als er sich als Jesper Vikström vorstellte. Seine blonde Mähne lag akkurat gegelt um den schmalen Kopf.
»Nina Michaelis. Hallo, Jesper.«
»Freut mich sehr, dich kennenzulernen. Ich habe schon viel von dir gehört«, gab er ihr zu verstehen und hielt ihre Hand einen Moment länger als nötig in der seinen.
Das bezweifelte Nina, dennoch murmelte sie einen Dank und entzog sich ihm.
In diesem Moment betrat ein dunkelhaariger Mann den Raum.
»Fabio, wie schön, dich im Team zu haben!« Mit diesen Worten trat Arnulf Ingvison auf den Ankömmling zu und klopfte ihm auf die Schultern.
»Ich freue mich auch, dass es wieder geklappt hat«, erwiderte dieser.
Obwohl sich die beiden, wie es in internationalen Teams üblich war, auf Englisch unterhielten, meinte Nina bei dem Dunkelhaarigen den melodiösen Akzent eines Spaniers wahrzunehmen.
Ingvison nahm den jungen Mann am Arm und schob ihn auf die Biologin zu. An dem Neuankömmling schien alles dunkel zu sein. Seine Haut war von einem tiefen Olivton, das dunkelbraune Haar beinahe schulterlang. Die Augen waren in dem fein geschnittenen Gesicht das Ungewöhnlichste, denn sie besaßen die Farbe des Meeres, ein tiefes, strahlendes Blaugrün. Nina wandte den Blick ab.
»Doktor Michaelis? Das hier ist Fabio Guantes, ein ausgezeichneter Unterwasserfotograf. Er wird uns bei unserer Arbeit unterstützen«, stellte der Isländer sie einander lächelnd vor. »Nina Michaelis aus Deutschland. Die Fakultät in München hat sie uns aufs Wärmste empfohlen.«
Fabio Guantes, der sie mindestens um einen Kopf überragte, ergriff ihre ausgestreckte Hand, seine Miene blieb jedoch unbeteiligt.
»Auf eine gute Zusammenarbeit, Doktor«, erwiderte er, nur um ihr im nächsten Moment den Rücken zuzudrehen und eine Frage Pepes zu beantworten.
Ingvison bat die Anwesenden, Platz zu nehmen, und klatschte in die Hände. »Zunächst möchte ich Sie alle herzlich auf La Palma willkommen heißen. Mein Name ist Professor Doktor Arnulf Ingvison, und ich bin Direktor einer Fakultät in Island. Als Leiter unseres Langzeitprojekts stehe ich ihnen bis September mit Rat und Tat zur Seite. Unsere Aufgabe besteht darin, die Korallengärten und die zunehmende Problematik, der sie weltweit ausgesetzt sind, zu erforschen und damit einen Beitrag zu ihrem Fortbestand zu leisten. Die Mitarbeiter werden bei diesem Forschungsprojekt übrigens jeweils nur für einen Sommer verpflichtet. Sollte jemand von ihnen auch im Folgejahr dabei sein wollen, richten Sie ihre Bewerbung bitte direkt an mich. So, das wär's fürs erste von meiner Seite.«
Damit erteilte er dem vierundzwanzigjährigen Schweden aus Malmö das Wort, der wie der etwas jüngere Pepe in Barcelona Meeresbiologie studierte.
»Wie Sie wissen«, begann Jesper Vikström eifrig, »sind Korallen der Lebensraum für ungefähr ein Drittel aller Arten von Lebewesen der Ozeane. Auch für uns Menschen sind die Korallenriffe von großem Nutzen, ob für die Fischerei, den Tourismus oder den Küstenschutz. Die globale Erwärmung und die zunehmende Versauerung der Meere stellen jedoch eine erhebliche Gefahr für sie dar.«
Der Isländer nickte und blickte in die Runde. »Möchten Sie fortfahren, Herr Morales?«
»Gern«, freute sich der junge Spanier. »im Zuge der Erwärmung steigt auch die Wassertemperatur. Als Blumentiere leben die Korallen mit der Algenart Zooxanthellen in Symbiose. Sie produzieren bei Wärmestress Giftstoffe, weshalb sie zunehmend unter der Korallenbleiche leiden.«
Jesper hob die Hand. »Und diese Krankheit sorgt dafür, dass die Blumentiere absterben. Durch den Anstieg der Meerestemperatur verringert sich außerdem ihre Fortpflanzungsfähigkeit, und die Korallen können sich nicht mehr schnell genug erholen. Deshalb haben sie es in größeren Tiefen schwer, ihre Stoffwechselprozesse aufrechtzuerhalten, und sterben ab«, erläuterte der Schwede. »Ein Teufelskreis.« Hinter Jespers Stirn arbeitete es. »Derzeit nutzt man vermehrt Schiffswracks für die Ansiedelung von Blumentieren, um ihnen und allen Arten, die von ihnen profitieren, neue Lebensräume zu schaffen.«
»Ganz richtig, Herr Vikström«, antwortete Ingvison. »Auch auf den Kanarischen Inseln wird immer wieder darüber diskutiert. noch stehen die Entscheidungen aber aus.«
Pepe beugte sich vor. »Das Aussterben der Korallenriffe bedeutet eine ähnliche Katastrophe wie die Abholzung der Regenwälder. Das war meine Motivation, mich zu engagieren und Meeresbiologie zu studieren.«
Ingvison nickte. »Wir benötigen jeden einzelnen Biologen, denn wir stehen vor großen Herausforderungen. Nicht nur die Verschmutzung des Atlantiks durch Fäkalien bereitet uns Sorge, auch der Beifang, die Übernutzung und die Tiefseefischerei tragen zur Gefährdung dieser Arten bei.«
»Unsere größten Probleme sind allerdings die fehlenden Forschungsgelder ... und die Zeit«, ergänzte Nina. »Die Schäden an den Riffen schreiten schneller voran, als die Korallen nachwachsen können.«
»Danke, Doktor Michaelis«, fuhr der Isländer fort. »Deshalb erkläre ich ihnen jetzt die Verteilung der Aufgaben, damit wir schnellstens mit der Arbeit beginnen können.«
Guantes und Nina sollten anhand der Computeraufzeichnungen des letzten Jahres die Fundorte der Korallen abtauchen, um neue Erkenntnisse über Vermehrung, Ausdehnung und Zustand der Riffe zu sammeln. Fabio bediente die Unterwasserkamera, während Nina für die Beschaffung von Proben zuständig war. Pepe Morales sollte die neuen Daten dokumentieren, Jesper Vikström für einen reibungslosen technischen Ablauf sorgen. Gemeinsam wollten sie in einem Nebenraum des Büros ein Labor einrichten, in dem der Professor mit Nina die Proben untersuchen und die gewonnenen Ergebnisse mit dem Team sowie einigen Vertretern der Naturschutzorganisation vor Ort auswerten wollte. Bei den abendlichen Besprechungen würden sie dann auf Grundlage ihrer Erkenntnisse Schutzprogramme für bedrohte Arten entwickeln.
»Den ersten Tauchgang habe ich für Montag geplant. Ich schlage vor, wir nutzen den Samstag, um das Labor einzurichten und erste Informationen zu sammeln.«
Kurz zuvor war die Ausstattung des Laboratoriums eingetroffen. Die Pensionswirtin stellte den Wissenschaftlern einen Abstellraum zur Verfügung, in dem sie die Kisten, Kartons und Wasserbecken unterstellen konnten, bis sie alles eingerichtet hatten. Sie machten sich sofort an die Arbeit, indem sie zunächst zwei lange Tische in das zukünftige Labor brachten, auf denen sie unterschiedlich große Wasserbecken, zwei Mikroskope, Mikrosensoren und einen Laptop stellten. Jesper kümmerte sich um die technischen Installationen, während Pepe für mehrere Lichtquellen sorgte. Nina und Fabio brachten Bürostühle, die Tauchausrüstungen und Gerätschaften herein, die sie für ihre Forschungen benötigten. Ingvison richtete mit Jespers Hilfe eine Internetverbindung ein, damit die zuständige Fakultät auf ihre Daten Zugriff hatte und sie jederzeit mit den Kollegen in Verbindung treten konnten.
Bis zum Abend war alles an seinem Platz, und Jesper hatte einen zweiten Laptop auf einem Tisch in einer Nische des Büros angeschlossen. Gemeinsam sahen sich Ingvison und seine vier Mitarbeiter die Unterwasserbilder an. Dem Team vom vergangenen Jahr waren einige beeindruckende Filmaufnahmen von Gorgonien sowie roten und schwarzen Korallen geglückt, die Nina mit Fabio Guantes eingehend betrachtete.
Dann ließ sich die Biologin von Pepe die Zahlen vom vergangenen Jahr zeigen. Während sie dem Isländer konkrete Fragen zu den Computerlisten stellte, studierte der Fotograf die Filmaufnahmen und machte sich dabei immer wieder Notizen. Zwischen seine Augenbrauen grub sich eine schmale Falte. er spürte, dass er beobachtet wurde, und hob den Kopf. Sein Mund verzog sich spöttisch. Ninas Bedürfnis nach Distanz, das sie ihm gegenüber gleich bei der ersten Begegnung empfunden hatte, wuchs. Etwas an ihm, das sie noch nicht benennen konnte, erinnerte sie an Jan und mahnte sie zur Vorsicht.
Guantes schien ihre innere Abwehr zu erwidern. Sei's drum, dachte Nina. Sie waren einander zugeteilt und mussten zusammenarbeiten. Schließlich war sie Profi genug, um sich von einem derart herablassenden Typen nicht aus dem Konzept bringen zu lassen. Jesper überprüfte in der Zwischenzeit die Kamera und ließ keine Gelegenheit aus, auf sich aufmerksam zu machen. Pepe war aus ganz anderem Holz geschnitzt, er hielt sich stets im Hintergrund. Nina merkte ihm an, wie er begierig jede Information aufsaugte, und lächelte ihm zu. Am besten jedoch gefiel ihr der isländische Projektleiter. Er wirkte kompetent und verlor dabei nie das schelmische Funkeln in den Augen.
Da Nina keine Lust auf Gesellschaft verspürte, hatte sie sich bald zurückgezogen, um es sich auf ihrem Zimmer gemütlich zu machen. Aber selbst der Thriller, der sie anfangs so begeistert hatte, konnte sie nicht fesseln. Ob Jan den Abend mit seiner neuen verbrachte? Ob er sie in eines der Nobelrestaurants einlud, in die er auch Nina anfangs ausgeführt hatte? Zum Nachtisch gab es dann sicher seinen Adoniskörper zum vernaschen. Wie hatte sie bloß auf ihn hereinfallen und sich sogar mit ihm verloben können? Nie hätte sie geglaubt, dass ein Mann je in der Lage sein könnte, sie derart zu täuschen. Sie, die toughe Frau, die weder finanziell noch emotional auf einen Partner angewiesen war. Ihr Job als freie Meeresbiologin war aufregend genug, denn immer wieder hatten Aufträge sie für mehrere Wochen in die Ferne geführt. Nina reiste für ihr Leben gern, und sie liebte ihre Arbeit weit mehr, als ihr Freundschaften oder Beziehungen je bedeuten konnten. Endlich befand sie sich in der glücklichen Lage, auf nichts und niemanden Rücksicht nehmen zu müssen.
Der Kakao fiel ihr ein, der sich noch neben einer Tüte Chips im Koffer befand. Sie holte beides heraus und bereitete sich einen heißen Kakao zu. nachdem sie daran genippt hatte, vertiefte sie sich in die Broschüre einer weltweit operierenden Naturschutzorganisation. Verschiedene Korallenarten, unter anderem die blaue und schwarze Koralle, waren inzwischen per Gesetz geschützt, weshalb die Einfuhr nur mit bestimmten Papieren zulässig war, während die rote Koralle zu den meistbedrohten Tierarten der Welt gehörte. Und das alles nur, um die gierigen Hälse von Damen auf dem ganzen Planeten zu schmücken.
Seufzend legte sie ihre Lektüre beiseite und widmete sich den Flyern mit Ferienwohnungen, die Señora Diaz ihr ausgehändigt hatte. Die meisten Wohnungen, die für sie in Frage kamen, befanden sich in Ferienanlagen, und danach stand ihr überhaupt nicht der Sinn.
»Sollten Sie bei den Angeboten nicht fündig werden, erkunden Sie ruhig die nähere Umgebung, auf die Art werden Sie bestimmt das Passende entdecken«, hatte ihr Señora Diaz geraten.
Da der freie Sonntag vor ihr lag, beschloss Nina, genau das zu tun.
KAPITEL 2
Nach einigen Telefonanrufen stieß Nina in Tazacorte auf einen Autovermieter, der bereit war, ihr auch am Sonntag einen Wagen zur Verfügung zu stellen. Langsam fuhr sie durch umliegende Ortschaften und hielt nach freien Mietwohnungen Ausschau. Aber weder eine Wohnanlage noch ein kleines Apartment weckten ihr Interesse. nach einer Weile lenkte sie das Fahrzeug daher aus dem Fischerort hinaus und folgte einer geschwungenen, kurvenreichen Straße. Zu ihrer Rechten entdeckte sie meterhohe Bananenpflanzen, zu ihren Füßen erstreckte sich das malerische Aridanetal. Die Stadt Los Llanos breitete sich wie ein heller Teppich unter ihr aus, gesäumt von einem Kratergrund der Caldera. Gab es etwas Befreienderes, als allein zu sein?
Nina genoss, wie der Wind sich während der Fahrt in ihren Haaren fing. Das Spiel von Licht und Schatten war berauschend. Gelang es der Sonne, die Wolken zu verdrängen, dann verwandelte sie das Tal unter ihr in schimmerndes Gold. Siegten jedoch die grauen Schatten am Himmel, wirkte es geheimnisvoll, und die Felsen sahen schroffer aus.
Bald tauchte zu ihrer Linken eine weiß getünchte Kirche auf, und sie folgte der von Mandel- und Avocadobäumen gesäumten Straße, bis der Weg schließlich vor einem versteckt gelegenen Sandplatz endete. Sie wollte bereits wenden und zurückfahren, da entdeckte sie zwischen den hellgrünen Blättern der Bananenpflanzen die weiße Fassade eines Gebäudes. Nina schirmte die Augen gegen das Sonnenlicht ab und trat näher. Das Haus lag auf einer Anhöhe und war nur durch eine gewundene Holztreppe erreichbar. Hastig sah sie sich um, sie fühlte sich wie ein Kind, das im Begriff war, etwas Verbotenes zu tun. Andererseits, was war schon dabei?
Die Holzstufen knarrten bedenklich bei jedem ihrer Schritte. Kurz darauf hatte sie das Haus erreicht, dessen Anblick ihr schier den Atem raubte. Klein war es, windschief, und es wirkte auf sie wie ein Relikt aus einer längst vergessenen Zeit. Beim genaueren Hinsehen erkannte sie, dass die steinernen Wände nicht wie üblich mit Zement, sondern mit einem fremden Werkstoff verputzt worden waren. Es war bezaubernd. Eine feine Sandschicht bedeckte die Butzenscheiben, und auf den von Moos bewachsenen Fensterbänken standen Pflanzkästen mit vertrockneten Überresten sommerblühender Blumen.
Der kleine Garten an der Hinterseite des Hauses, den drei mannshohe Drachenbäume säumten, war zwischen dem wild wuchernden Unkraut nur noch zu erahnen. Still sog Nina die Eindrücke in sich auf. Sie hätte schwören können, über dieser Behausung liege ein alter Zauber. eine Magie von jener Sorte, die nur sie allein zu ergründen imstande war. Erinnerungen an vergessen geglaubte Märchen und Legenden ihrer Kindheit kamen ihr wieder in den Sinn. Ninas Lippen hoben sich zu einem Lächeln. Sie pustete sich eine Haarsträhne aus der Stirn. verrückte Gedanken, die ihr da durch den Kopf schossen, sie war einfach hoffnungslos romantisch veranlagt. Aber hieß es nicht, dass die Mauern eines alten Hauses alle Freude und alles Leid speicherten, weshalb beides selbst nach vielen Jahren noch spürbar war?
Die junge Meeresbiologin streckte die Hand nach einer steinernen Wand mit dem weißen, ungewöhnlichen Putz aus. Sie schloss die Augen und malte sich bis ins letzte Detail aus, wie das Haus früher ausgesehen haben musste. Wie der Wind durch die Fensterläden pfiff und das Lachen und Weinen der einstigen Bewohner bis in den Garten hinüberdrang, um sich mit dem Meeresrauschen zu verbinden. Was waren das für Menschen gewesen, die hier in der Abgeschiedenheit gelebt hatten? Waren Kinder lärmend um das Haus gelaufen, hatten sie gespielt, gesungen und gestritten, immer unter den wachsamen Augen der Mutter? Bestimmt war der Hausherr am Abend nach einem langen Arbeitstag heimgekehrt, um sich im Garten niederzulassen, eine Pfeife zu stopfen und zu beobachten, wie die Sonne sich allmählich verfärbte und unterging. Oder das Zauberhaus hatte einst einer wohlhabenden Diva gehört, die sich in der Einsamkeit erholte und zuweilen kleine erlesene Empfänge gab. nun geht die Fantasie endgültig mit mir durch, dachte Nina.
Ob es im inneren noch Überreste einer offenen Feuerstelle gab, über denen die Insulaner ihr Essen zubereitet hatten? Immerhin hatte das Haus einen Schornstein, demzufolge war es also nicht allzu lange unbewohnt. Nina trat an eins der Fenster und spähte hinein. es schien sich um den Wohnraum zu handeln. Die spärlichen Möbelstücke waren mit hellem Stoff abgedeckt, aber sie meinte, anhand der Umrisse nahe dem Fenster eine Art Sofa mit hölzernen Lehnen zu erkennen.
Die Eingangstür befand sich auf der anderen Seite. Da alles still blieb, schlich sie um das Haus herum. Vor der dunkel gestrichenen Tür blieb sie wie angewurzelt stehen. ein weißes Schild mit schwarzen Lettern hing gut sichtbar am Türgriff. Sie kniff die Augen zusammen, der Text war in englischer Sprache verfasst.
To rent. For information please call John Campbell.
Darunter stand die Nummer eines Mobilfunktelefons.
Mit angehaltenem Atem starrte Nina auf das Schild. Einem Impuls folgend, kramte sie aus einer Innentasche ihres Parkas ihr Handy hervor und wählte die angegebene Nummer.
John Campbell, der sich sofort meldete, hatte zwar noch einiges zu erledigen, konnte aber in einer knappen Stunde vor Ort sein, um sie durch das Haus zu führen. Der Mann hatte englisch mit einem schottischen Akzent gesprochen.
Mr. Campbell hielt Wort. Pünktlich stieg der kleine Mann mit dem von vielen Falten gezeichneten Gesicht aus einem Geländewagen und kam lächelnd auf sie zu. Sie begrüßten einander mit Handschlag und einigten sich, ihre Unterhaltung auch weiterhin auf Englisch zu führen. Mr. Campbell lebte seit dreißig Jahren auf der Insel und beherrschte Spanisch beinahe ebenso gut wie seine Muttersprache. Für Nina kein Problem, sie konnte sich ebenfalls in beiden Sprachen fließend unterhalten.
Sie schilderte ihm, wie sie das Haus zufällig entdeckt und dass es sie gleich in seinen Bann gezogen hatte. »Als ich das Schild hier gelesen habe, musste ich Sie einfach anrufen«, schloss sie ihren Bericht.
»Das war mal ein recht schönes Häuschen«, erwiderte er mit leichtem Bedauern in der Stimme. »es hat meiner Tante Abigail gehört, deren Vorfahren im achtzehnten Jahrhundert aus England eingewandert sind und es als sogenannte Zuckerbarone zu einem beträchtlichen vermögen gebracht haben. Seit sie vor einigen Jahren in eine Seniorenresidenz in Santa Cruz gezogen ist, ist es so gut wie unbewohnt. Den meisten Leuten, ob Touristen oder einheimische, ist es zu abgelegen, außerdem fehlt es ihnen am üblichen Komfort. Sie wissen schon, Klimaanlage, Mikrowelle und all das Zeug.« Er musterte sie aus dunklen Brillengläsern. »Entschuldigen Sie, wenn ich so offen frage, aber was bringt eine junge Frau wie Sie dazu, sich für dieses Haus zu interessieren?«
Nina erklärte ihm die Lage. »Unser Auftraggeber hat uns eine Pension in Tazacorte zur Verfügung gestellt, allerdings dürfen wir uns auch eine andere Unterkunft suchen.«
»Ich verstehe. Aber vielleicht sehen Sie sich das Haus zunächst mal an, Miss Michaelis?« Seiner Jackentasche entnahm er einen Schlüsselbund und wählte ein besonders schönes Exemplar mit einem verschnörkelten Griff.
Ninas Schritte knarrten auf dem Dielenboden. Der Flur war winzig und führte direkt in den Wohnraum. Staubkörner wurden bei ihren Bewegungen in der abgestandenen Luft aufgewirbelt. Mr. Campbell öffnete ein Fenster, dessen dunkel gestrichene Läden ein wenig schief in den Angeln hingen.
»Sie mögen nicht so aussehen, sind aber stabil und halten den Wind fern«, meinte der ältere Herr mit einem entschuldigenden Achselzucken.
Nina nickte abwesend. Der Raum war hell verputzt und machte einen gepflegten Eindruck. in einer Ecke entdeckte sie einen altmodischen Ofen, dessen Kacheln mit...
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Autoren-Porträt von Anna Levin
Levin, AnnaAnna Levin schreibt Geschichten, seit sie denken kann. Bevor sie ihre Leidenschaft zum Beruf machte, war sie im medizinischen Bereich tätig. Seit vielen Jahren treiben sie ihre Neugier und Sehnsucht immer wieder in ferne Länder, wo sie sich besonders für andere Kulturen und deren prähistorische Vergangenheit interessiert. Außerdem schreibt sie unter einem anderen Pseudonym erfolgreich historische Romane. Sie lebt mit ihrer Familie im Norden Deutschlands.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anna Levin
- 2013, 384 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442380960
- ISBN-13: 9783442380961
- Erscheinungsdatum: 16.12.2013
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