Das Leben gibt dir Zitronen, mach Limonade draus
Nach einem furchtbaren Autounfall schien Stephan Kulles Leben vorbei zu sein. Die Diagnose war Querschnittslähmung, das Therapieziel Rollstuhlfähigkeit. Doch Stephan Kulle wollte nicht aufgeben. Mit eiserner Willenskraft hat er das Unglaubliche geschafft:...
Nach einem furchtbaren Autounfall schien Stephan Kulles Leben vorbei zu sein. Die Diagnose war Querschnittslähmung, das Therapieziel Rollstuhlfähigkeit. Doch Stephan Kulle wollte nicht aufgeben. Mit eiserner Willenskraft hat er das Unglaubliche geschafft: Er kann heute wieder gehen. In seinem Buch will er seine Botschaft weitergeben: Gib nicht auf!
Das Leben gibt dir Zitronen, mach Limonade draus von Stephan Kulle
LESEPROBE
Zitronenlimonade
Schenkt dir das Leben eine Zitrone,dann mach Limonade draus.« Diese Weisheit habe ich vonder Mutter einer Freundin gehört. Das war ihr Lebensmotto. Damals, 1989, ginges mir gut. Deshalb habe ich den Satz eher belustigt zur Kenntnis genommen -vielleicht auch, weil er so anders klang als die üblichen Sprüche, die einenvor der Verzweiflung retten sollen. Denn wir gehen doch alle davon aus, dassdie kleinen Widrigkeiten des Lebens notfalls mit einem solchen aufmunterndenSpruch zu meistern sind. Vor allem rechnen wir nicht damit, dass uns dasSchicksal einmal hart erwischt.
Wie oft habe ich mich und anderesagen hören: »O Gott, mit denen wollte ich aber auch nicht tauschen.« Gemeint waren Menschen, deren Bilder in den Nachrichtenum die Welt gehen, wenn sie durch die Trümmer ihrer Häuser kriechen, verletztund geschockt sind, oder aus deren Gesichtern uns der Hunger- oder Seuchentodansieht.
Doch die Not und der Schmerz deranderen waren damals weit weg. Trifft das Schicksal einmal uns selbst oderjemanden in unserer Nähe, dann fragen wir meist nach dem Warum. Warum ich?Warum lässt Gott das zu? Ist die Warum-Frage eineGottesfrage? Oder ist sie vielleicht eine Demutsfrage?
Ich wurde nach meinem Unfall im Jahr1991 oft nach meinem Glauben, nach meiner Gottesbeziehung und dem Umgang mitmeinem Schicksal als Christ und Theologe gefragt. Eine hinreichende Antwortkonnte ich nie geben. Ich weiß es schlicht und einfach nicht. Ich weiß auchnicht, inwieweit mir die philosophisch-theologische Betrachtung meinerGottesbeziehung geholfen hätte. Ich hatte ein Grundgefühl dafür; eines, das ichaber kaum beschreiben kann. Aber es war da! Und das war wichtig. Da war etwas,was mich wärmte und irgendwie festhielt, auch wenn ich es manchmal kaumbegreifen konnte. Die Gewissheiten brauchte ich nicht großartig zureflektieren, sie standen fest. Diagnose: Querschnittlähmung.
Prognose: ungewiss. Aber es warkeine Gewissheit, die wie gemeißelte Lettern auf einem marmornen Grabstein übermeinem Leben steht. Es waren eher Buchstaben auf einem Wegzeichen an eineralten Landstraße oder eine Gravur an einem Limonadenglas. Jedoch fand ichnirgendwo, weder in Klammern noch im Kleingedruckten, die Antwort auf das»Warum«.
Im Juni 2004 kam Professor Herbert Vorgrimler von der katholisch-theologischen Fakultät derUniversität Münster in mein Studentenzimmer, weil ich mit dem Rollstuhl nichtzu ihm hinauf in den Fachbereich gelangen konnte. Wir waren zur Prüfungverabredet. Für meine Diplomprüfung im Fach Dogmatik hatte ich mir das ThemaGottesnähe gewählt. Ich erzählte Professor Herbert Vorgrimler,was ich aus seiner Vorlesung behalten und zur Prüfung gelernt hatte. Er merktemir wahrscheinlich an, dass sich meine persönliche Meinung ein wenig von demunterschied, was in den theologischen Abhandlungen stand.
»Vergessen Sie doch mal für einenMoment die hohe Dogmatik, und erzählen Sie über Ihre eigenen Erfahrungen mitGottesnähe«, sagte er.
Das erstaunte mich, denn so vielpersönliches Interesse hatte ich bei einem Universitätsgelehrten nichtunbedingt erwartet.
Also erzählte ich: »Wenn Gott mirnahe war, damals nach dem Unfall, dann war er es durch Menschen. Wenn GottesHand mir nahe war, dann war sie es durch die Hand meines Freundes Philipp.Seine Hand war immer dann da, wenn ich sie am dringendsten gebraucht habe, ohneBedingungen, immer warm und kraftvoll. Diese Nähe ist nicht typisch fürMenschen. Woher Philipp die Kraft dazu genommen hat - ich weiß es nicht, ichkann es nur ahnen.«
Professor Vorgrimlerlächelte. Ich fuhr fort: »Diese Nähe hat mich alles überleben lassen. Sie hatmich wieder glücklich gemacht.«
Er sah mich eine Weile wortlos ausseinen blassen Augen durch die dicken eckigen Gläser seiner Hornbrille an, dannnickte er und beendete die Prüfung. Das war meine und auch sogleich seineletzte Prüfung, denn ich hatte nun hoffentlich mein Theologiediplom in derTasche, und er würde bald in den Ruhestand gehen.
Jetzt noch einmal zurück zu denZitronen und der Limonade. Sicher habe ich damals nicht viel dazu beigetragen,aber aus der Zitrone ist tatsächlich Limonade geworden. Selbst wenn ich heutenoch nicht im Einzelnen verstehen kann, was damals alles passiert ist und wasdie Wirkgründe dafür waren, so finde ich in manchen Details kleine Antwortenauf das »Warum« und vor allem die Begründung, warum ich das alles durchhaltenkonnte, warum ich nicht aufgegeben habe. Vielleicht fi el es mir deshalb auchleichter, mit so manch anderen sauren Früchten umzugehen, weil gefühlteAntworten da waren.
Doch wie erkläre ich anderenMenschen, dass sie sich nicht an der Warum-Frageaufhängen sollen? Was sage ich ihnen, wenn sie sich allein fühlen und es nichtdanach aussieht, als würde sich ihnen eine helfende Hand aus dem Dunkelentgegenstrecken? Was rät man jenen, die auf ewig vom Pech verfolgt sind undmit denen das Schicksal ständig Achterbahn fährt? Soll ich sagen: »Alles wirdgut« oder »Passen Sie gut auf sich auf«? Oder sollte ich sie auf ein Wunderwarten lassen? Vielleicht sollte ich besser sagen: »Gib niemals auf!«
Ja, vielleicht ist das nichtschlecht. Jedoch sollte man dann genügend Gründe - oder zumindest einen - dafürhaben, nicht aufgeben zu müssen. Auf alle Fälle braucht man Kraft dazu. Kraft,durchzuhalten, dass aus den Zitronen Limonade wird. Auch wenn man selbst nichtder Limonaden-Meister ist.
Alles was sich damals nach dem 10.Juli 1991 ereignete, hätte ich allein niemals geschafft. Deshalb möchte ichjetzt die Geschichte meines Lebens von diesem Moment an erzählen.
© Pattloch Verlag
- Autor: Stephan Kulle
- 286 Seiten, Maße: 12,4 x 20,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Pattloch
- ISBN-10: 3629021735
- ISBN-13: 9783629021731
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