Das Lied der Träumerin
Roman
»Ich atmete tief durch und blickte in den blauen Himmel. Meine Wahrheit war genau hier. Jetzt. Ich wollte leben. Leben und singen und leben und Klavier spielen und leben und lieben und leben und sehen und leben. Meinen Traum leben.« Der...
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Produktinformationen zu „Das Lied der Träumerin “
»Ich atmete tief durch und blickte in den blauen Himmel. Meine Wahrheit war genau hier. Jetzt. Ich wollte leben. Leben und singen und leben und Klavier spielen und leben und lieben und leben und sehen und leben. Meinen Traum leben.« Der aufwühlend traumhafte Roman über Musik, Liebe und das Leben. Von Bestsellerautorin Tanya Stewner. Angelia ist hungrig auf das Leben. Und sie hat einen Traum: die Musik. Um ihn wahrzumachen, bricht sie auf nach London. Mit dem ungleichen Brüderpaar Josh und Jeremy erlebt sie Licht und Schatten von Freundschaft und Liebe. Angelia geht durch höchstes Glück und tiefe Täler, muss sich ihrer Vergangenheit stellen - und bleibt doch immer auf dem Weg, den ihr Traum ihr zeigt ... »Aufrüttelnd, spannend und inspirierend. Ein Buch, das die Sinne weckt!« Yvonne Catterfeld »Es geht im Leben nicht darum, Rockstar zu werden, sondern sich selbst und seinen eigenen Weg zu erkennen. Mach es wie die Träumerin: Halte deine Nase in den Wind und lebe deinen Traum!« Rudolf Schenker, Gründer der 'Scorpions', 'Rock Your Life' »Philosophisch, poetisch und einfach wunderschön!« Buchgedanken Die Autorin hat ein wundervolles Buch geschaffen, das mal glücklich, traurig, wütend, ängstlich, mutig, hoffnungslos und liebevoll daherkommt. Dieser Roman ist einfach magisch.« Tintenträume »Preisverdächtig!« Alliteratus »Man wird zum Träumen und Schwelgen verführt, zum Genießen und Fallenlassen eingeladen, aber auch zum Aufwachen und Nachdenken angeregt.« Schattenkaempferin, Lovelybooks
Klappentext zu „Das Lied der Träumerin “
»Ich atmete tief durch und blickte in den blauen Himmel. Meine Wahrheit war genau hier. Jetzt. Ich wollte leben. Leben und singen und leben und Klavier spielen und leben und lieben und leben und sehen und leben. Meinen Traum leben.« Der aufwühlend traumhafte Roman über Musik, Liebe und das Leben. Von Bestsellerautorin Tanya Stewner.
Angelia ist hungrig auf das Leben. Und sie hat einen Traum: die Musik. Um ihn wahrzumachen, bricht sie auf nach London. Mit dem ungleichen Brüderpaar Josh und Jeremy erlebt sie Licht und Schatten von Freundschaft und Liebe. Angelia geht durch höchstes Glück und tiefe Täler, muss sich ihrer Vergangenheit stellen - und bleibt doch immer auf dem Weg, den ihr Traum ihr zeigt ...
»Aufrüttelnd, spannend und inspirierend. Ein Buch, das die Sinne weckt!« Yvonne Catterfeld
»Es geht im Leben nicht darum, Rockstar zu werden, sondern sich selbst und seinen eigenen Weg zu erkennen. Mach es wie die Träumerin: Halte deine Nase in den Wind und lebe deinen Traum!« Rudolf Schenker, Gründer der 'Scorpions', 'Rock Your Life'
»Philosophisch, poetisch und einfach wunderschön!« Buchgedanken
Die Autorin hat ein wundervolles Buch geschaffen, das mal glücklich, traurig, wütend, ängstlich, mutig, hoffnungslos und liebevoll daherkommt. Dieser Roman ist einfach magisch.« Tintenträume
»Preisverdächtig!« Alliteratus
»Man wird zum Träumen und Schwelgen verführt, zum Genießen und Fallenlassen eingeladen, aber auch zum Aufwachen und Nachdenken angeregt.« Schattenkaempferin, Lovelybooks
Lese-Probe zu „Das Lied der Träumerin “
Das Lied der Träumerin von Tanya Stewner 1. Kapitel
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Mein Vater lag im Sterben. In einem vorstadtgrauen Krankenhaus, das den Tod gewöhnt war, quälte er sich dem Ende des Wartens entgegen. Es bestand keine Hoffnung mehr, aber meinem Vater schien das weniger auszumachen als mir. Ich war den Tod nicht gewöhnt, und seine drohende Ankunft zog mir den Boden unter den Füßen weg.
Obwohl mein Vater bereits seit vielen Monaten krank war und die Ärzte schon lange nur noch mit mitleidigen Mienen mit uns sprachen, wehrte ich mich gegen die Vorstellung, dass er nicht mehr da sein könnte - aus Angst, dem Tod damit die Tür zu öffnen. Doch eines Nachmittags sagten sie uns, dass es nur noch eine Frage von ein oder zwei Tagen sei.
Meine Mutter und ich fuhren schweigend nach Hause. Sobald wir unsere Wohnung erreichten, verbarrikadierte ich mich in meinem Zimmer und hörte so laut Metallica, dass alles im Raum zu vibrieren schien. Aber die Musik erreichte mich nicht. In meinem Kopf herrschte dröhnende Stille.
Meine Mutter hämmerte gegen die Tür und schrie, ich solle die Lautstärke herunterdrehen. »Es ist für uns alle schwer, Kind!«, brüllte sie gegen den Krach an. Ich schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wie ich mich fühlte. Das wusste ich ja selbst nicht. Eines stand allerdings außer Zweifel: Meine Mutter würde meinen Vater niemals so sehr vermissen wie ich. Sie schien schon seit Wochen mehr mit Vollmachten für Konten und Versicherungen beschäftigt zu sein als mit der Tatsache, dass mein Vater nie wieder mit uns am Tisch sitzen würde, nie wieder mit uns lachen würde, nie wieder für uns Klavier spielen würde.
»Jana, ich fahre noch mal ins Krankenhaus zurück«, drang die Stimme meiner Mutter durch die verschlossene Tür. »Ich brauche ein paar Unterschriften von Papa, und es gibt noch ein paar Dinge zu klären. Kommst du mit?«
»Nein. Fahr allein hin.«
»Was?« Sie verstummte. Wochenlang hatte mich nichts und niemand davon abhalten können, meinen Vater täglich zu besuchen. Wie oft hatte ich meine Mutter gedrängt, ins Krankenhaus zu fahren, obwohl sie der Meinung war, drei Besuche in der Woche reichten aus?
Obwohl ich es besser wusste, hoffte ich, sie würde mich fragen, warum ich sie diesmal nicht begleiten wollte. Dann hätten wir darüber reden können. Dann hätte ich die Musik abgestellt, die Tür aufgemacht und versucht, über meine Gefühle zu sprechen. Aber so funktionierte unsere Beziehung eben nicht.
»Dieser verdammte Krebs frisst ihn schneller auf als ein Schwarm Piranhas!«, rief meine Mutter. »Überleg es dir lieber noch mal.«
»Nein.« Ich wollte mich auf meine eigene Weise von Papa verabschieden. Ohne Gespräche über Dinge, die noch erledigt werden mussten. Ohne meine Mutter.
Ich hörte, wie sie die Wohnung verließ. Einen Augenblick lang stand ich unentschlossen im Raum, dann drehte ich die Lautstärke der Musik herunter und setzte mich grübelnd aufs Bett. Wie würde es sein, ohne ihn zu leben, allein mit Mama in dieser großen, ordentlichen Wohnung, in der alles seinen festgelegten Platz hatte? Wer wäre ich ohne meinen Vater? Eine Halbwaise. Ein Mensch ohne seinen besten Freund. Eine Musikerin ohne ihren Mentor.
Erst als ich den Schlüssel in der Wohnungstür hörte, schreckte ich aus meinen Überlegungen auf. Wie lange hatte ich hier gesessen, ohne mich zu rühren?
Alle Gefühle schienen wie betäubt.
Er würde sterben.
Nachdem sich meine Mutter im Wohnzimmer vor den Fernseher gesetzt hatte, schlich ich mich aus der Wohnung und fuhr mit dem Bus ins Krankenhaus, um noch einmal allein mit meinem Vater reden zu können. Ich musste mich für immer verabschieden.
Als ich sein Krankenzimmer betrat, empfing mich leise Musik. Eine Pianosonate von Mozart schwebte
durch den Raum und entfaltete sich unendlich sanft, als wisse sie um den zerbrechlichen Zustand ihres Zuhörers.
Mein Vater lag im Bett und sah aus dem Fenster. Meine Anwesenheit schien er nicht zu bemerken. Ich kam mit kleinen, unsicheren Schritten näher und erschrak. Ein merkwürdiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht, eine Leere, die seine ausgezehrten Züge noch stärker hervortreten ließ. War das schon der Tod? Es fröstelte mich, und ich spürte mein Herz schmerzhaft gegen den Brustkorb hämmern. Plötzlich hatte ich das Gefühl, wir wären in diesem Zimmer zu dritt.
Die Tür fiel hinter mir zu. Mein Vater zuckte zusammen und schaute mich überrascht an. Das Sterben
stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber seine grauen Augen blitzten auf, sobald er mich erkannte. Er winkte mich zu sich heran, lächelnd, und ich setzte mich auf die Bettkante.
»Was habe ich dir beigebracht?«, flüsterte er. Er fragte auf Englisch, der Sprache, in der wir immer miteinander redeten, wenn wir allein waren. Papas Muttersprache.
Ich blickte ihn erstaunt an. Was hatte er mir beigebracht? Ein Bild tauchte vor meinem inneren Auge
auf. Ich war kaum fünf Jahre alt gewesen, als mein Vater mir die ersten Akkorde auf dem Klavier beibrachte. Damals hatte er für mich auf die Pedale getreten, da ich selbst noch zu klein gewesen war, um sie zu erreichen. Ich lächelte bei dem Gedanken daran.
Dann verschwand die Erinnerung und machte einer zweiten Platz. Ich war bereits neun oder zehn Jahre alt, und mein Vater spielte mir zum ersten Mal Chopin vor. Er hatte zuvor von Chopins leidenschaftlicher Melancholie gesprochen, doch ich war damals zu jung gewesen, um zu begreifen, was er meinte. An jenem Tag saß er am Klavier, mit geschlossenen Augen, und spielte ein wunderschönes Stück. Als er rief: »Leidenschaftliche Melancholie! Weißt du nun, was ich meine?«, hatte ich rasch geantwortet: »Ja, ich höre es!« Aber in Wahrheit war ich völlig überfordert von der unberechenbaren Stimmung des Stückes. Mein Vater schüttelte den Kopf und schien mit meiner Antwort nicht zufrieden zu sein. »Du sollst es nicht hören. Du musst es fühlen!«
Verwirrt schloss ich damals die Augen, so wie er, versenkte mich in die furiose Jagd der Noten und ließ mich fortreißen vom Sturm der Klänge. Da verstand ich.
»Du hast mir beigebracht, Musik mit dem Herzen zu hören«, antwortete ich nun.
Mein Vater lächelte. »Dann weißt du alles, was du wissen musst.« Er drückte leicht meine Hand, und
ich verstand, dass wir im Grunde nichts mehr sagen mussten. Gemeinsam lauschten wir Mozarts Klaviersonate in C-Dur. Mein Vater schien jede Note in sich aufzusaugen, als wolle er das Stück ins Jenseits mitnehmen, um dort nicht allein zu sein.
»Es ist alles gut«, sagte er. »Du musst keine Angst haben.« Er zog mich an sich, und ich klammerte mich verzweifelt an ihn. Wie konnte er sagen, dass alles gut war? Er würde sterben! Tot sein! Und mich hier bei Mama zurücklassen.
»Hör doch hin, Angel«, wisperte er.
Ich erschauderte. Er hatte mich noch nie Angel genannt. Meinte er überhaupt mich, oder sprach er etwa schon mit Engeln?
»Hörst du?«, fragte er erneut und schmunzelte.
»Was?«
Er lachte leise. »Wenn du genau hinhörst, weißt du, dass alles gut ist.« Er sprach von Mozart. Ich seufzte zittrig. »Komm her.« Mein Vater klopfte auf seine Schulter, und ich kuschelte mich an ihn. »Jetzt zeig mir, was du gelernt hast. Hör mit dem Herzen hin.«
Ich atmete tief aus und schloss die Augen. Allmählich fiel die Anspannung von mir ab, und ich wurde
offener für die Musik. Ich kannte die Sonate in- und auswendig, und dennoch bezauberte sie mich immer wieder aufs Neue.
»Und?«, fragte er nach einer Weile. »Was hörst du?«
»Ich muss keine Angst haben.«
»Richtig.« Ich konnte hören, dass er lächelte. »Jedes Lied hat dir etwas zu sagen. Wenn du mit dem Herzen hinhörst, weißt du, was es ist. Manche Lieder sagen nicht viel mehr als Ich bin guter Laune. Andere donnern laut daher und schreien Ich bin wütend!«
Ich nickte. Mir wurde klar, dass ich an diesem Nachmittag Metallica aufgelegt hatte, weil ich wütend gewesen war. So wütend wie die Musik, die als Katalysator für meine Gefühle fungiert hatte. Wütend auf den Tod, der mir meinen Vater wegnehmen würde.
»Diese Sonate sagt: Alles ist gut. Du musst keine Angst haben«, sprach mein Vater weiter. »Du hörst es, oder?«
Ich nickte stumm.
»Es ist irgendetwas zwischen den Noten«, fuhr er leise fort. »Es ist das Gefühl, das der Komponist in
seine Musik einbringt. Das Stückchen von ihm selbst, das in seinem Lied steckt. Du solltest immer darauf achten und nicht auf das Offensichtliche.«
Ich atmete noch einmal tief durch und ließ die Sonate auf mich wirken. Als sie zu Ende war, spielte der kleine CD-Player sie noch einmal. Und noch einmal. Anscheinend hatte mein Vater den Wiederholungsmodus eingestellt.
Ich erlaubte dem Lied, seine Wirkung zu entfalten. Mein Herzschlag beruhigte sich. Nach und nach fielen die Wut und die Angst von mir ab. Kurz darauf bemerkte ich, dass die Atemzüge meines Vaters tiefer und länger waren als zuvor. Er war eingeschlafen.
Ich richtete mich wieder auf und betrachtete ihn. Sein Gesicht war voller Güte. Im Geiste machte ich ein Foto von ihm, prägte mir seine Züge tief ein. »Ich danke dir für alles«, flüsterte ich und küsste ihn sanft auf die Stirn. Dann musste ich mich für immer verabschieden.
Er starb am folgenden Tag. Einem Mittwoch im Januar. Die Nacktheit der Bäume und die Schwere der
Wolken schienen seinem Tod Respekt zu zollen. Häuser, Straßen und selbst der Wind - alles wirkte leblos und trauernd.
Vier Tage später wurde er beerdigt. Ich marschierte mechanisch neben meiner beherrschten Mutter über den Friedhof, und wir vergruben meinen Vater in einem Stück winterkalter Erde. Während der Pfarrer einige Floskeln von sich gab und so tat, als hätte er den Mann in dem Sarg gekannt, schien es mir, als seien die Augen aller anwesenden Kollegen und Nachbarn auf mich gerichtet. Sie suchten neugierig nach Spuren des Leids, immerhin war ich Papas Liebling gewesen. Aber ich bot ihnen nichts, das sie später hätten erzählen können. Wahrscheinlich trauerten sie eher um Sätze wie »Ach, Jana hat ja so schrecklich geweint!« als um meinen Vater. Er war ein verschlossener Mann gewesen, ohne wirkliche Freunde.
Nachdem sich die letzten Trauergäste endlich verabschiedet hatten, ging ich in mein Zimmer und setzte mich vor die Stereoanlage. Ich wollte etwas hören, das meinen Gefühlen Ausdruck verlieh, so, wie mein Vater es mir beigebracht hatte.
Ich legte eine CD ein und lehnte die Stirn gegen den Spieler. Schon Hunderte von Malen hatte ich die
CD gehört. Es steckte eine riesige Macht in dem alten Ding. Ich schloss die Augen und drückte auf Play. Die Musik begann. Bereits die ersten Klänge trafen mich wie Hammerschläge, und ich wusste, dass nun alles aus mir herausbrechen würde, was ich während der Beerdigung in mir eingesperrt hatte. Und das war gut so.
Ich hörte Scarborough Fair von Simon and Garfunkel, eins meiner Lieblingslieder seit der Kindheit. In
diesem Song schwang etwas zwischen den Noten, eine zarte Traurigkeit, die mich mitten ins Herz traf.
Sobald der Gesang einsetzte, sah ich vor meinem inneren Auge, wie der Panzer nachgab, der sich während der vergangenen Tage um mein Herz gebildet hatte. Er wurde von klaffenden Rissen durchzogen, und jede neue Note flutete heißen Schmerz in mein Innerstes.
Ich begann zu schreien. Ich schrie so lange, bis meine Mutter ins Zimmer stürzte, mich an den Schultern rüttelte und immer wieder rief: »Jana! Meine Güte!«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Mein Vater lag im Sterben. In einem vorstadtgrauen Krankenhaus, das den Tod gewöhnt war, quälte er sich dem Ende des Wartens entgegen. Es bestand keine Hoffnung mehr, aber meinem Vater schien das weniger auszumachen als mir. Ich war den Tod nicht gewöhnt, und seine drohende Ankunft zog mir den Boden unter den Füßen weg.
Obwohl mein Vater bereits seit vielen Monaten krank war und die Ärzte schon lange nur noch mit mitleidigen Mienen mit uns sprachen, wehrte ich mich gegen die Vorstellung, dass er nicht mehr da sein könnte - aus Angst, dem Tod damit die Tür zu öffnen. Doch eines Nachmittags sagten sie uns, dass es nur noch eine Frage von ein oder zwei Tagen sei.
Meine Mutter und ich fuhren schweigend nach Hause. Sobald wir unsere Wohnung erreichten, verbarrikadierte ich mich in meinem Zimmer und hörte so laut Metallica, dass alles im Raum zu vibrieren schien. Aber die Musik erreichte mich nicht. In meinem Kopf herrschte dröhnende Stille.
Meine Mutter hämmerte gegen die Tür und schrie, ich solle die Lautstärke herunterdrehen. »Es ist für uns alle schwer, Kind!«, brüllte sie gegen den Krach an. Ich schüttelte den Kopf. Sie hatte keine Ahnung, wie ich mich fühlte. Das wusste ich ja selbst nicht. Eines stand allerdings außer Zweifel: Meine Mutter würde meinen Vater niemals so sehr vermissen wie ich. Sie schien schon seit Wochen mehr mit Vollmachten für Konten und Versicherungen beschäftigt zu sein als mit der Tatsache, dass mein Vater nie wieder mit uns am Tisch sitzen würde, nie wieder mit uns lachen würde, nie wieder für uns Klavier spielen würde.
»Jana, ich fahre noch mal ins Krankenhaus zurück«, drang die Stimme meiner Mutter durch die verschlossene Tür. »Ich brauche ein paar Unterschriften von Papa, und es gibt noch ein paar Dinge zu klären. Kommst du mit?«
»Nein. Fahr allein hin.«
»Was?« Sie verstummte. Wochenlang hatte mich nichts und niemand davon abhalten können, meinen Vater täglich zu besuchen. Wie oft hatte ich meine Mutter gedrängt, ins Krankenhaus zu fahren, obwohl sie der Meinung war, drei Besuche in der Woche reichten aus?
Obwohl ich es besser wusste, hoffte ich, sie würde mich fragen, warum ich sie diesmal nicht begleiten wollte. Dann hätten wir darüber reden können. Dann hätte ich die Musik abgestellt, die Tür aufgemacht und versucht, über meine Gefühle zu sprechen. Aber so funktionierte unsere Beziehung eben nicht.
»Dieser verdammte Krebs frisst ihn schneller auf als ein Schwarm Piranhas!«, rief meine Mutter. »Überleg es dir lieber noch mal.«
»Nein.« Ich wollte mich auf meine eigene Weise von Papa verabschieden. Ohne Gespräche über Dinge, die noch erledigt werden mussten. Ohne meine Mutter.
Ich hörte, wie sie die Wohnung verließ. Einen Augenblick lang stand ich unentschlossen im Raum, dann drehte ich die Lautstärke der Musik herunter und setzte mich grübelnd aufs Bett. Wie würde es sein, ohne ihn zu leben, allein mit Mama in dieser großen, ordentlichen Wohnung, in der alles seinen festgelegten Platz hatte? Wer wäre ich ohne meinen Vater? Eine Halbwaise. Ein Mensch ohne seinen besten Freund. Eine Musikerin ohne ihren Mentor.
Erst als ich den Schlüssel in der Wohnungstür hörte, schreckte ich aus meinen Überlegungen auf. Wie lange hatte ich hier gesessen, ohne mich zu rühren?
Alle Gefühle schienen wie betäubt.
Er würde sterben.
Nachdem sich meine Mutter im Wohnzimmer vor den Fernseher gesetzt hatte, schlich ich mich aus der Wohnung und fuhr mit dem Bus ins Krankenhaus, um noch einmal allein mit meinem Vater reden zu können. Ich musste mich für immer verabschieden.
Als ich sein Krankenzimmer betrat, empfing mich leise Musik. Eine Pianosonate von Mozart schwebte
durch den Raum und entfaltete sich unendlich sanft, als wisse sie um den zerbrechlichen Zustand ihres Zuhörers.
Mein Vater lag im Bett und sah aus dem Fenster. Meine Anwesenheit schien er nicht zu bemerken. Ich kam mit kleinen, unsicheren Schritten näher und erschrak. Ein merkwürdiger Ausdruck lag auf seinem Gesicht, eine Leere, die seine ausgezehrten Züge noch stärker hervortreten ließ. War das schon der Tod? Es fröstelte mich, und ich spürte mein Herz schmerzhaft gegen den Brustkorb hämmern. Plötzlich hatte ich das Gefühl, wir wären in diesem Zimmer zu dritt.
Die Tür fiel hinter mir zu. Mein Vater zuckte zusammen und schaute mich überrascht an. Das Sterben
stand ihm ins Gesicht geschrieben, aber seine grauen Augen blitzten auf, sobald er mich erkannte. Er winkte mich zu sich heran, lächelnd, und ich setzte mich auf die Bettkante.
»Was habe ich dir beigebracht?«, flüsterte er. Er fragte auf Englisch, der Sprache, in der wir immer miteinander redeten, wenn wir allein waren. Papas Muttersprache.
Ich blickte ihn erstaunt an. Was hatte er mir beigebracht? Ein Bild tauchte vor meinem inneren Auge
auf. Ich war kaum fünf Jahre alt gewesen, als mein Vater mir die ersten Akkorde auf dem Klavier beibrachte. Damals hatte er für mich auf die Pedale getreten, da ich selbst noch zu klein gewesen war, um sie zu erreichen. Ich lächelte bei dem Gedanken daran.
Dann verschwand die Erinnerung und machte einer zweiten Platz. Ich war bereits neun oder zehn Jahre alt, und mein Vater spielte mir zum ersten Mal Chopin vor. Er hatte zuvor von Chopins leidenschaftlicher Melancholie gesprochen, doch ich war damals zu jung gewesen, um zu begreifen, was er meinte. An jenem Tag saß er am Klavier, mit geschlossenen Augen, und spielte ein wunderschönes Stück. Als er rief: »Leidenschaftliche Melancholie! Weißt du nun, was ich meine?«, hatte ich rasch geantwortet: »Ja, ich höre es!« Aber in Wahrheit war ich völlig überfordert von der unberechenbaren Stimmung des Stückes. Mein Vater schüttelte den Kopf und schien mit meiner Antwort nicht zufrieden zu sein. »Du sollst es nicht hören. Du musst es fühlen!«
Verwirrt schloss ich damals die Augen, so wie er, versenkte mich in die furiose Jagd der Noten und ließ mich fortreißen vom Sturm der Klänge. Da verstand ich.
»Du hast mir beigebracht, Musik mit dem Herzen zu hören«, antwortete ich nun.
Mein Vater lächelte. »Dann weißt du alles, was du wissen musst.« Er drückte leicht meine Hand, und
ich verstand, dass wir im Grunde nichts mehr sagen mussten. Gemeinsam lauschten wir Mozarts Klaviersonate in C-Dur. Mein Vater schien jede Note in sich aufzusaugen, als wolle er das Stück ins Jenseits mitnehmen, um dort nicht allein zu sein.
»Es ist alles gut«, sagte er. »Du musst keine Angst haben.« Er zog mich an sich, und ich klammerte mich verzweifelt an ihn. Wie konnte er sagen, dass alles gut war? Er würde sterben! Tot sein! Und mich hier bei Mama zurücklassen.
»Hör doch hin, Angel«, wisperte er.
Ich erschauderte. Er hatte mich noch nie Angel genannt. Meinte er überhaupt mich, oder sprach er etwa schon mit Engeln?
»Hörst du?«, fragte er erneut und schmunzelte.
»Was?«
Er lachte leise. »Wenn du genau hinhörst, weißt du, dass alles gut ist.« Er sprach von Mozart. Ich seufzte zittrig. »Komm her.« Mein Vater klopfte auf seine Schulter, und ich kuschelte mich an ihn. »Jetzt zeig mir, was du gelernt hast. Hör mit dem Herzen hin.«
Ich atmete tief aus und schloss die Augen. Allmählich fiel die Anspannung von mir ab, und ich wurde
offener für die Musik. Ich kannte die Sonate in- und auswendig, und dennoch bezauberte sie mich immer wieder aufs Neue.
»Und?«, fragte er nach einer Weile. »Was hörst du?«
»Ich muss keine Angst haben.«
»Richtig.« Ich konnte hören, dass er lächelte. »Jedes Lied hat dir etwas zu sagen. Wenn du mit dem Herzen hinhörst, weißt du, was es ist. Manche Lieder sagen nicht viel mehr als Ich bin guter Laune. Andere donnern laut daher und schreien Ich bin wütend!«
Ich nickte. Mir wurde klar, dass ich an diesem Nachmittag Metallica aufgelegt hatte, weil ich wütend gewesen war. So wütend wie die Musik, die als Katalysator für meine Gefühle fungiert hatte. Wütend auf den Tod, der mir meinen Vater wegnehmen würde.
»Diese Sonate sagt: Alles ist gut. Du musst keine Angst haben«, sprach mein Vater weiter. »Du hörst es, oder?«
Ich nickte stumm.
»Es ist irgendetwas zwischen den Noten«, fuhr er leise fort. »Es ist das Gefühl, das der Komponist in
seine Musik einbringt. Das Stückchen von ihm selbst, das in seinem Lied steckt. Du solltest immer darauf achten und nicht auf das Offensichtliche.«
Ich atmete noch einmal tief durch und ließ die Sonate auf mich wirken. Als sie zu Ende war, spielte der kleine CD-Player sie noch einmal. Und noch einmal. Anscheinend hatte mein Vater den Wiederholungsmodus eingestellt.
Ich erlaubte dem Lied, seine Wirkung zu entfalten. Mein Herzschlag beruhigte sich. Nach und nach fielen die Wut und die Angst von mir ab. Kurz darauf bemerkte ich, dass die Atemzüge meines Vaters tiefer und länger waren als zuvor. Er war eingeschlafen.
Ich richtete mich wieder auf und betrachtete ihn. Sein Gesicht war voller Güte. Im Geiste machte ich ein Foto von ihm, prägte mir seine Züge tief ein. »Ich danke dir für alles«, flüsterte ich und küsste ihn sanft auf die Stirn. Dann musste ich mich für immer verabschieden.
Er starb am folgenden Tag. Einem Mittwoch im Januar. Die Nacktheit der Bäume und die Schwere der
Wolken schienen seinem Tod Respekt zu zollen. Häuser, Straßen und selbst der Wind - alles wirkte leblos und trauernd.
Vier Tage später wurde er beerdigt. Ich marschierte mechanisch neben meiner beherrschten Mutter über den Friedhof, und wir vergruben meinen Vater in einem Stück winterkalter Erde. Während der Pfarrer einige Floskeln von sich gab und so tat, als hätte er den Mann in dem Sarg gekannt, schien es mir, als seien die Augen aller anwesenden Kollegen und Nachbarn auf mich gerichtet. Sie suchten neugierig nach Spuren des Leids, immerhin war ich Papas Liebling gewesen. Aber ich bot ihnen nichts, das sie später hätten erzählen können. Wahrscheinlich trauerten sie eher um Sätze wie »Ach, Jana hat ja so schrecklich geweint!« als um meinen Vater. Er war ein verschlossener Mann gewesen, ohne wirkliche Freunde.
Nachdem sich die letzten Trauergäste endlich verabschiedet hatten, ging ich in mein Zimmer und setzte mich vor die Stereoanlage. Ich wollte etwas hören, das meinen Gefühlen Ausdruck verlieh, so, wie mein Vater es mir beigebracht hatte.
Ich legte eine CD ein und lehnte die Stirn gegen den Spieler. Schon Hunderte von Malen hatte ich die
CD gehört. Es steckte eine riesige Macht in dem alten Ding. Ich schloss die Augen und drückte auf Play. Die Musik begann. Bereits die ersten Klänge trafen mich wie Hammerschläge, und ich wusste, dass nun alles aus mir herausbrechen würde, was ich während der Beerdigung in mir eingesperrt hatte. Und das war gut so.
Ich hörte Scarborough Fair von Simon and Garfunkel, eins meiner Lieblingslieder seit der Kindheit. In
diesem Song schwang etwas zwischen den Noten, eine zarte Traurigkeit, die mich mitten ins Herz traf.
Sobald der Gesang einsetzte, sah ich vor meinem inneren Auge, wie der Panzer nachgab, der sich während der vergangenen Tage um mein Herz gebildet hatte. Er wurde von klaffenden Rissen durchzogen, und jede neue Note flutete heißen Schmerz in mein Innerstes.
Ich begann zu schreien. Ich schrie so lange, bis meine Mutter ins Zimmer stürzte, mich an den Schultern rüttelte und immer wieder rief: »Jana! Meine Güte!«
© S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
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Autoren-Porträt von Tanya Stewner
Tanya Stewner wurde 1974 im Bergischen Land geboren und begann bereits mit zehn Jahren, Geschichten zu schreiben. Sie studierte Literaturübersetzen, Englisch und Literaturwissenschaften in Düsseldorf, Wuppertal und London und widmet sich inzwischen ganz der Schriftstellerei. Ihre Trilogie über die Elfe »Hummelbi« hat unzählige Fans, und ihre Kinderbuchserie »Liliane Susewind« ist ein Welterfolg, der fürs Kino verfilmt wurde. Die Autorin lebt mit ihrer Familie am Rhein.
Bibliographische Angaben
- Autor: Tanya Stewner
- 2012, 1. Auflage, 400 Seiten, Maße: 12,4 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596188253
- ISBN-13: 9783596188253
- Erscheinungsdatum: 12.12.2012
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