Das Loch in der Schwarte
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Das Loch in der Schwarte von Mikael Niemi
LESEPROBE
Abschiedvon Liviöjoki
DerErzähler besucht bei Liviöjoki die Sauna und nimmt für dieses Mal Abschied vomTornedal.
Die Sonne stand tief im Norden über dem Waldhorizont. Dierote, zitternde Scheibe spiegelte sich im Wasser und wurde in dicke, rotePinselstriche gespalten, die auf der dahinfließenden Oberfläche schaukelten.Ich saß am Strand und ließ den Schwermut aus mir hinausrinnen. In der Luft lagein schwerer Duft nach Schlamm und Juligewächsen. Es war eine Viertelstunde nachMitternacht, die Ruhe war vollkommen, kein Wind, nicht eine Bewegung imBlattwerk des Erlenbusches. Nur das mächtige Rauschen des Flusses. Tausende Tonnenvon Wasser, die sich ihren Weg durch den Wald suchten, ein Wasserrücken in alleEwigkeit. Man konnte ihn betrachten, so lange man wollte. Die ständige Veränderungdes Flusses, obwohl es doch der gleiche blieb. Genau wie Feuer. Das menschlicheLagerfeuer. Millionen von Jahren der Freundschaft. Ich harkte das nochschwelende Holz zusammen, sah, wie die Flammen hochschossen. Die Glut glimmtegrellrot in der Asche. Der Rauch stieg weiß und leicht, fast durchsichtig nach oben.Er zog langsam stromaufwärts übers Flussbett, ein Gespenst, das sich entlangder Wasseroberfläche aalte, unvermittelt abtauchte, sich wieder erhob, undschon war es verschwunden. Dicht über der Glut hing eine Äsche, auf einen frischgeschnitzten Zweig gespießt. Die Fischhaut siedete in der Gluthitze, ich drehtevorsichtig den Spieß. Die Äsche hatte an der Bachmündung bei Westrinsländaangebissen, hatte sich mit ihrer großen, aufgerichteten Rückenflosse gewehrt,und wieder einmal hatte ich das Leben gespürt. Das Leben, ganz nah. Jetzt wurdeder Fisch langsam gegrillt, eine Köstlichkeit von vierhundert, vielleichtfünfhundert Gramm. Meine alte Angel mit dem Fliegenköder aus den Kinderjahrenstand an eine krumm gewachsene Birke gelehnt, der Stamm zeigte Spuren heftigerSchneeschmelze. Der Fischkopf und die Eingeweide lagen am Flussufer aufsilbrigen kleinen Steinen. Ich zog vorsichtig an der Rückenflosse. Sie löstesich, der Fisch war gar. Am Feuer sitzend, begann ich mit den Fingern zu essen.Ich löste das weiße Fleisch von den nadeldünnen Gräten und stopfte es mir inden Mund. Es war, als äße ich warmen Schnee. Ein zarter Geschmack, ein Hauchvon Rauch. Fluss und Feuer. Ich schloss die Augen, um die Erinnerung zubewahren. Versenkte sie in meinem weichen Herzen. Satt und zufrieden wanderteich in Richtung Landungssteg. Die Bretter wiegten sich unter meinem Gewicht,das Wasser gluckste und schwappte. Ich ging auf dem Wasser. Ich spazierte aufder Flusshaut, die direkt unter meinen Füßen strömte. Draußen auf einem Floßschwamm die Sauna selbst, mit Ketten in der Flussströmung verankert. Sie war ausBrettern zusammengenagelt, ein kleines, hübsches Holzhaus, das auf dem Wasserschaukelte. Die Hitze schlug mir entgegen, als ich in den Vorraum trat.Erwartungsvoll zog ich mich aus, hängte meine Kleider an die Haken. AlsAllerletztes öffnete ich mein Saunabier, trank den ersten, schäumenden Schluck.Schmeckte das Malz, die zischende Frische in der Kehle. Dann öffnete ich dieTür zum Saunaraum selbst. Die Hitze war stark und harzig. Ich schob die glühendheiße Ofenklappe mit einem Stock auf, stocherte in ein paar Holzscheiten undkletterte auf die oberste Liege. Die Kupferkelle funkelte im Eimer. Ich ergriffden abgenutzten, glatten Holzgriff und füllte die Kelle, hielt sie einen Momentlang hoch und sah, wie das Flusswasser über die Kante lief. Dann goss ich. DerWasserkörper rieselte durch die Luft, schlug auf die Steine auf und wurde inreißenden, beißenden Dampf verwandelt. Ich goss noch einmal und spürte, wie dieOhrläppchen brannten, beugte mich schwerfällig vor und atmete durch diegeballte Faust. Meine Finger rochen immer noch nach Fisch. Und ich fühlte soein Glück. So ein innerliches, verletzliches Glück. Das Tornedal. Das sollte esimmer geben. Ich würde es mit mir durch Lichtjahre hindurch tragen. Hinten vonMommankangas ist plötzlich Düsenjetdröhnen zu hören. Etwas Schweres, Dunkleszischt in der Stille, es klingt wie eine P 42, eine von der Bereitschaft. Dieletzte Nacht, denke ich. Die letzte Nacht auf der Erde. Dampfend heiß gehe ichhinaus auf die Plattform. Dort stehe ich, die Abendsonne in den Augen, undstoße mich mit meinen nackten Füßen von den Bodenplanken ab. Dann schieße ichhinaus, kopfüber mit breiten Schulterblättern. Segle. Mit offenen Sinnen nähereich mich der Wasseroberfläche. Mein Zeigefinger berührt die Wasserhaut mit deralleräußersten Fingerspitze. Sie wölbt sich, hält jedoch dagegen, dieseglänzende Oberflächenspannung. Unten aus der Tiefe steigt mein Abbild imSpiegel herauf. Ein Zwilling, voller Dunkelheit. Es ist der Fluss, der michanstarrt, der seinen Finger meinem entgegendrückt. Gleich werde ich überspült,im nächsten Moment. Doch hier wollen wir innehalten, lasst uns diese Szene im sanftenLicht betrachten. Eine glänzende Wasserschicht gegen eine steif aufgerichteteFingerspitze. Ein dampfender Menschenkörper, der auf dieser bebenden Hautbalanciert. Ein nacktes, schwebendes Zwillingspaar, und zwischen ihm dieWasseroberfläche wie ein funkelnder Text, ein schwarzer, sich spiegelnderSternenhimmel. (...)
© btbVerlag
Übersetzung:Christel Hildebrandt
- Autor: Mikael Niemi
- 2006, 221 Seiten, Maße: 13,8 x 22,4 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Hildebrandt, Christel
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442751543
- ISBN-13: 9783442751549
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