Das Sakrament
Malta, 1565: Die Insel wird von den Türken belagert. Der Großmeister der Malteser schickt Contessa Clara nach Sizilien, damit sie Matthias Tannhäuser holt. Der war als Junge Geisel bei den Türken. Kann sein Wissen über den Feind die Christen Maltas...
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Malta, 1565: Die Insel wird von den Türken belagert. Der Großmeister der Malteser schickt Contessa Clara nach Sizilien, damit sie Matthias Tannhäuser holt. Der war als Junge Geisel bei den Türken. Kann sein Wissen über den Feind die Christen Maltas retten? Plötzlich ist Matthias die Inquisition auf den Fersen.
Sakrament von Tim Willocks
LESEPROBE
»Ausmilitärischen Erwägungen kann ich Euch leider auch weiterhin die Überfahrt aufdie Insel Malta nicht genehmigen. Ich bin jedoch in der erfreulichen Lage, Eucheine andere Art zu weisen, wie Ihr Euren sehnlichsten Wunsch erreichen könntet.Im Hafen von Messina befindet sich ein Mann namens Mattias Tannhäuser, dessen Herkunftviel zu verworren ist, als daß ich sie Euch hiererläutern könnte. Für den Augenblick sei soviel gesagt, daßer nur zur Musik seiner eigenen Trommel marschiert. Er ist zwar ein Ausländerniederer Herkunft, achtet Recht und Gesetz nur wenig und soll ein Atheist oder garSchlimmeres sein, aber ich kann mich dafür verbürgen, daßer zu seinem Wort steht, und Euch versichern, daß ichkeinen Grund zu der Annahme habe, daß er Euch einLeids zufügen würde. Allerdings habe ich auch keinen Grund zu der Annahme, daß er Euch behilflich sein würde. Doch kann ich auch nichtsagen, welche Macht eine Edelfrau Eurer Anmut und Schönheit besitzen könnte, umseine edleren Triebe, sollte er sie denn besitzen, anzusprechen. Ich möchteoffen mit Euch reden, Mylady. Die Anwesenheit von HauptmannTannhäuser auf Malta wäre für uns im Kampf gegen die Türken von großem Vorteil.Da er uns weder Loyalität schuldet noch sich der drohenden Gefahren bewußt ist, hat er bisher keinerlei Neigung gezeigt, sichuns anzuschließen. Solltet Ihr ihn überzeugen können, die Seereise für Euch zuunternehmen, so könnte ich Euch eine Überfahrt als seine Begleiteringarantieren. Die Couronne läuft heute um Mitternachtvon Messina aus. Wenn die letzten Berichte, die uns erreicht haben, zutreffendsind, wird dies das letzte christliche Schiff sein, das noch durch dietürkische Blockade kommt.
Ihr findetTannhäuser in einer Taverne, die Zum Orakel heißt und am südlichen Ende desHafens liegt. Ich kann Euch wohl kaum empfehlen, Euch persönlich in ein solchesEtablissement zu begeben, aber ich glaube, Tannhäuser wird auf die üblichenBoten wahrscheinlich nicht reagieren. Wie Ihr Euch ihm nähert, hängt davon ab,wie dringend Euer Wunsch ist.
MeinGewissen gebietet mir, Euch meine schon früher ausgesprochenen Warnungen nocheinmal ins Gedächtnis zu rufen: Die Insel befindet sich im Kriegszustand, unddie Gefahr des Todes oder der Sklaverei ist für alle, die sich in der nächstenZeit dort aufhalten, außerordentlich groß. Wenn ich Euch sonst noch mit Rat undHilfe zur Seite stehen kann, findet Ihr mich bis zur Abreise der Couronne in Messina, in der Priorei der Ritter vom HeiligenJohannes von Jerusalem.« StarkeysSchrift war die schönste, die Carla je gesehen hatte. Sie überlegte, wie vieleStunden er wohl als Junge damit zugebracht haben mochte, diese anmutigenSchwünge zu vervollkommnen. Diese Schrift war ein Abzeichen der Macht, eineSchrift, die einen König zwang, genau zu Kenntnis zu nehmen, was gesagt wurde -und das taten ja die Könige auch, denn Starkeyschrieb die gesamte diplomatische Korrespondenz des Ordens von Malta. Carlahatte ihn noch nicht persönlich kennengelernt. Siefragte sich, ob er genauso geschliffen war wie seine Kalligraphie oder ob erein verstaubter, dürrer Mönch war, der über seinen Schreibtisch gebeugt saß.Sie dachte an ihren eigenen Sohn und fragte sich, ob er überhaupt lesen undschreiben konnte.
Carla falteteden Brief zusammen und umklammerte ihn mit der Hand. Seit sechs Wochenkorrespondierte sie bereits mit Starkey. Seinevorherigen Verbote einer Rückkehr waren die Antworten eines vielbeschäftigtenMannes gewesen, der eine unwichtige Kleinigkeit abhandelte und sich die Mühenur aus Achtung vor ihrer edlen Geburt und wegen des großen Namens ihrerFamilie gemacht hatte. Im selben Zeitraum hatte sie viele Schiffskapitäne undRitter, die durch Messina kamen, gebeten, sie nach Malta mitzunehmen. Man hatteihr mit äußerster Höflichkeit zugehört und gelegentlich auch Hilfe versprochen,und doch war sie noch immer hier und betrachtete von der Villa Saliba aus den Sonnenaufgang.
Bei allenVerhandlungen mit Starkey, mit den Schiffskapitänenund Rittern hatte sie niemals den Grund enthüllt, warum sie nach Hause gehenwollte. Damit hätte sie in deren Augen nur den Verdacht bestä-tigt, daß sie tatsächlichdie überspannte Frau war, für die man sie hielt. Und doch verbarg Carla ihreMotive nicht nur aus diplomatischen Gründen. Sie wahrte ihr Geheimnis auch ausScham. Sie hatte einen Sohn, den man ihr vor zwölf Jahren aus den Armengerissen hatte, und sie hatte gute Gründe anzunehmen, daßsich ihr Sohn auf Malta befand. Carla schaute auf den Garten. Amparo kniete in einem Blumenbeet, in ein entzücktesZwiegespräch mit einer hohen weißen Rose vertieft. Derlei exzentrischesVerhalten war nichts Ungewöhnliches für das Mädchen. Während Carla ihr zuschaute,kam ihr ein Gedanke. Sie fürchtete sich nicht, selbst zum »Orakel« zu gehen.Sie hatte oft genug Verhandlungen mit den Kaufleuten von Bordeaux geführt, abersie wußte, daß sie sich,wenn sie den berüchtigten Tannhäuser in seiner Höhle aufsuchte, in eineSituation der Schwäche begeben würde. Wenn man ihn hierher locken könnte, wosie inmitten aller Anzeichen der Macht residierte, dann wäre der Vorteil aufihrer Seite. Amparo würde Tannhäuser viel gewisser indie Villa Saliba bringen als sie selbst. Wenn dieüblichen Boten nicht reichten, dann würde eben Amparodie seltsamste Botin sein, die den Mann je besucht hatte. Carla trat unter diePalmen, deren Schatten den Pflanzen überhaupt nur das Überleben ermöglichte. Amparo küßte die weiße Rose und standauf, um sich die Erde vom Rock zu bürsten. Ihre Augen ruhten noch auf denBlumen, als Carla zu ihr trat. Amparo wirkte ruhig. BeimAufstehen war sie noch bestürzt von dem gewesen, was sie am Abend zuvor inihrem Zauberglas gesehen hatte. Die Bilder, von denen sie berichtete, waren sounterschiedlich, so außergewöhnlich, daß man eszumeist als puren Zufall abtat, wenn sie einmal auch nur im geringstenmit der Wirklichkeit zusammentrafen. Vom Zufall einmal abgesehen, konntenSymbole jede beliebige Bedeutung haben, je nachdem, wie sie der Betrachterinterpretierte, doch Amparo interpretierte nie. Siesah nur.
Sie hatteein schwarzes Schiff mit roten Segeln gesehen, dessen Mannschaft aus winzigkleinen, Trompete blasenden Affen bestand. Sie hatte eine gigantische Bulldoggegesehen, die ein Halsband mit eisernen Krallen trug und eine brennende Fackelim Maul hatte. Sie hatte einen nackten Mann gesehen, dessen Körper mitHieroglyphen bedeckt war und der auf einem Pferd von der Farbe geschmolzenen Goldesritt. Und während der Mann vorbeiritt, hatte dieStimme eines Engels zu ihr gesprochen: Das Tor steht weit offen, aber der Wegdorthin ist schmal wie eine scharfe Klinge.
»Amparo?«
Amparowandte den Kopf. Stets erwartete Carla einen kurzen Augenblick lang, daß sie sich weiter drehen und in die Ferne starren würde,als bereitete es ihr Schmerzen, einem anderen Menschen in die Augen zu sehen,und als zöge sie es vor, eine Schönheit zu suchen, die für jedermann außer ihrunsichtbar blieb.
»Ist esZeit zum Spielen?« fragte Amparo.
»Nein, nochnicht.«
»Aber wirspielen doch?«
»Natürlich.«
»Du hastAngst.«
»Nur umdeine Sicherheit.«
Amparoschaute auf die Rosen. »Ich verstehe nicht.«
Carlazögerte. Sie hatte sich so sehr daran gewöhnt, sich um Amparozu kümmern, daß es ihr beinahe wie ein Verbrechenschien, sie zu bitten, sich in diese Räuberhöhle zu begeben. Und doch hatte Amparo auf den Straßen von Barcelona überlebt: eineKindheit voller Gewalt und Entbehrungen, die Carla sich überhaupt nichtvorzustellen wagte. Feigheit war keiner von AmparosFehlern, während Carla tief in ihrem Herzen glaubte, daßes durchaus einer von ihren eigenen Fehlern war.
Carlalächelte. »Was muß das Sternenlicht von derDunkelheit befürchten?«
»Nun,nichts.« Amparo runzelte die Stirn. »Ist das einRätsel?«
»Nein. Ichmöchte, daß du etwas für mich tust. Etwas, das von äußersterWichtigkeit ist.«
»Ich sollfür dich den Mann auf dem goldenen Pferd suchen.«
AmparosStimme war weich wie der Regen. Sie sah die Welt durch die Augen einerMystikerin.
Carlaantwortete: »Er heißt Mattias Tannhäuser.«
»Tannhäuser«,wiederholte Amparo, als prüfte sie den reinen Klang einersoeben gegossenen Glocke. »Tannhäuser.«
Sie schienzufrieden zu sein.
»Ich muß heute noch mit ihm sprechen. So bald wie möglich. Ich möchte,daß du zum Hafen gehst und ihn mit hierher zurückbringst.« Amparo nickte.
»Wenn ersich weigert, mitzukommen ...«, fuhr Carla fort.
»Er wirdkommen«, sagte Amparo, als sei alles andereundenkbar.
Sie rittendurch Straßen, die wegen der mörderischen Hitze menschenleer waren. Durchvorsichtige Fragen hatte er von dem Mädchen den Eindruck bekommen, daß die Dame Penautier eine zäheund findige Witwe war, die in Aquitanien ihr Gut ohne jede fremde Hilfe leitete.Vom verstorbenen Ehemann wußte Amparonichts zu sagen, denn sein Tod war vor ihrer Ankunft gewesen, aber die Contessa hatte niemals Anzeichen gegeben, seineGesellschaft zu vermissen. Amparo konnte zwar keinegenaue Zahl angeben, es schien jedoch, daß die Damenoch keine dreißig Jahre alt und von beträchtlicher Schönheit war.
ImAugenblick war Mattias Tannhäuser damit zufrieden, festzustellen, daß Amparo lange schlanke Fingermit mandelförmigen Fingernägeln hatte und daß ihrNacken so anmutig war wie der eines Schwans. Unter der grünen Seide sah ihreBrust noch voller aus, als er vermutet hatte. Daß sieihn kaum anschaute, lag gewiß an ihrerSchüchternheit. Zu seiner großen Erleichterung erfuhr Tannhäuser, daß Amparo Spanierin war undeinen großen Teil ihrer Mädchenjahre in Barcelona verbracht hatte. Die kastilische Sprache gab ihm nun die Möglichkeit, denunzutreffenden Eindruck, daß er einfältig sei, wiederwettzumachen. Er sprach vom Hafen und der schönen alten Kathedrale in diesergroßartigen Stadt, obwohl er nie selbst dort gewesen war. Amparoreagierte schweigend auf seine Begeisterung, und so stellte er ihr weiterFragen, die sie zumindest höflich beantwortete.
Die Villa Saliba war ein stattliches Gebäude aus Marmor imprunkvollen Stil. Tannhäuser dachte bei sich, daßeine Residenz dieser Art ihm wohl anstehen würde. Die Villa selbst war jedochnicht ihr Ziel. Sie ließen ihre Pferde zurück, die in den Ställen getränktwerden sollten. Dann führte ihn Amparo in einenwunderbaren Garten, der ganz weißen und roten Rosen vorbehalten war. Palmen undMyrtenbäume spendeten Schatten. Ort und Anlage des Gartens waren herrlichausgedacht. Mit Genugtuung bemerkte Tannhäuser, daßhier keine der sonst überall wuchernden Magnolien wuchsen, die jeden zartenDuft übertönt hätten. Jenseits des Gartens stand ein viel kleineres, aber immernoch eindrucksvolles Haus aus kühlem weißem Stein. Amparoblieb bei einem Rosenbeet stehen und kniete sich neben einer weißen Blütenieder, als wolle sie sich versichern, daß sie unversehrtsei. Tannhäuser beobachtete sie einen Augenblick lang, während sie in einerSprache murmelte, die weder Französisch noch Kastilischwar. Sie war wahrhaftig ein einzigartiges Geschöpf.
»InArabien«, sagte er, »sagt man, daß früher einmal alleRosen weiß waren.«
Mithellwacher Neugier stand Amparo auf. Sie blickte aufdie roten Blüten, die dicht an dicht hingen, und dann wieder zu ihm.
»EinesAbends, bei abnehmendem Mond«, fuhr Tannhäuser fort, »landete eine Nachtigallbei solch einer Rose - einer hohen weißen Rose -, und entbrannte beim erstenAnblick in Liebe zu ihr. Nun hatte man bis zu diesem Tage niemals eineNachtigall singen hören «
»DieNachtigallen konnten nicht singen?« fragte Amparo.
Tannhäusernickte. »Sie verbrachten stumm ihr Leben, vom Anfang bis zum Ende, aber dieLiebe dieser Nachtigall zu dieser wunderbaren weißen Rose war so übermächtig, daß ihr ein Lied von wundersamer Schönheit aus der Kehleströmte. Und dabei breitete sie ihre Flügel wie zu einer leidenschaftlichenUmarmung aus und « Er hielt inne, denn das Mädchen schien völlig verzaubert zusein.
»Bitte«,drängte sie ihn, »fahrt fort!«
»DieNachtigall drückte die Rose an die Brust, aber mit so wilder Leidenschaft, daß die Dornen ihr Herz durchbohrten und sie starb, währendihre Flügel noch um die Blüte gebreitet waren.«
Das Mädchenschlug entsetzt die Hände vor den Mund und trat einen Schritt zurück, als seiihr eigenes Herz durchbohrt worden. Tannhäuser deutete auf die roten Blüten.»Das Blut der Nachtigall färbte die weißen Blütenblätter. Und deswegen blühenseither bestimmte Rosen rot!«
Amparodachte eine Weile darüber nach. Mit großem Ernst fragte sie dann: »Ist das wahr?«
»Es isteine Geschichte«, antwortete Tannhäuser. »Die Araber haben noch mehrGeschichten über Rosen, denn sie schätzen diese Blumen sehr. Die Wahrheit einerGeschichte liegt jedoch in dem Geschenk, das der Erzähler seinen Zuhörern macht.«
Amparoschaute auf die blutroten Blüten ringsum.
»Ichglaube, es ist wahr«, meinte sie, »wenn auch sehr traurig.«
»DieNachtigall war sicherlich glücklich«, erwiderte Tannhäuser, der das Mädchennicht betrüben wollte. »Sie hat für ihre Brüder und Schwestern die Macht desGesangs gewonnen, und nun singen sie für uns.«
»Und dieNachtigall hat die Liebe erfahren«, fügte Amparohinzu.
Tannhäusernickte. Diese wichtige Beobachtung war ihm bisher entgangen.
»Das istein besserer Handel, als die meisten von uns ihn im Tod machen«, sagte er.
Zum erstenmal, seit sie sich begegnet waren, hob sie ihre Augenzu ihm. Sie waren größer, als er vermutet hatte, und sie schaute ihn an, alshabe sie sich völlig vor ihm entblößt.
»Ich werdedie Liebe nie erfahren«, sagte sie.
»Dasglauben viele Menschen«, erwiderte Tannhäuser. Tatsächlich war er auch davonüberzeugt, sagte es ihr aber nicht. »Manche fürchten sich vor dem Wahn und demAufruhr, den die Liebe mit sich bringt. Manche denken, sie seien ihrerHerrlichkeit nicht würdig. Die meisten irren sich darin.«
»Nein, ichkann nicht lieben, so wie der Vogel nicht singen konnte.«
»Auch derVogel hat sein Lied gefunden.«
»Und ichwäre ein Vogel, wenn ich nur könnte, aber ich kann nicht.«
Tannhäuserkonnte nicht leugnen, daß er sich seltsam zu diesem Mädchenhingezogen fühlte.
»Ihr seidder Mann auf dem goldenen Pferd«, sagte sie.
Nun, da sieden tückischen Sumpf der französischen Sprache verlassen hatten, verstand erdiesen Satz, den sie auch schon in der Taverne mit so großer Erregunggesprochen hatte. Ein goldenes Pferd. Buraq. Erzuckte die Schultern. »Ja.«
Amparowandte sich um und ging auf das Gästehaus zu. Tannhäuser folgte ihr. Er fühltesich ein wenig wie ein großer, ungelenker Hund, der hinter einem eigensinnigenKind hertrabt. Der Schatten der Villa fiel auf eine Holzbank, auf der Kissenmit Blumenmustern lagen und von der man einen wunderbaren Blick auf Garten undMeer hatte. Mit einer Handbewegung lud Amparo ihnein, sich dort hinzusetzen. »Wartet hier«, sagte sie.
Amparoging durch eine Flügeltür und ließ sie hinter sich offenstehen.Tannhäuser konnte nur ein paar Fuß weit in das Gebäude hineinschauen. Die Deckeschien mit den gewöhnlichen Bildnissen antiker Mythen verziert zu sein, die beiden Franken so beliebt waren. Das hintere Ende des Zimmers lag im Dunkeln, unddavor tanzten, als hätte Amparo ihre elfenhafte Aurahinterlassen, goldene Stäubchen in der Luft.
Tannhäuserließ sich auf der Bank nieder und freute sich daran, wie bequem sie war. In derFerne lag das Meer wie ein Spiegel in Weiß und Gold, der der Sonneentgegengestreckt wurde. Die Luft war von einem Duft erfüllt, wie er ihn seitMonaten nicht gerochen hatte, und die Rosen, die Berge und das Wasser trugenihn fort in einen abgeschiedenen Garten in Trapezund,in den Palast, in dem Suleiman Schah geboren war und wo Tannhäuser geschworenhatte, den Erstgeborenen des Kaisers zu beschützen. Das Vergnügen wurde nur vondem Wissen um seinen eigenen Geruch getrübt, der ihm bis dahin nichtaufgefallen war, nun aber an die Taverne, die Kais und die erotischen Abenteuerder vergangenen Nacht gemahnte. Das hatte vielleicht nichts zu bedeuten, dennChristen waren ja schmutzige Gesellen, die eine krankhafte Furcht vor Wasserhegten. Doch dann zerstreute ein Schwall göttlicher Töne seine Sorgen. DieseMusik war so wunderschön, daß er sich nicht einmalüberwinden konnte, sich umzuwenden und nach ihrem Ursprung zu forschen, dennsie hatte alle seine Sinne erfaßt und ihn so tief insHerz getroffen, daß er machtlos ihrem Zauber erlag.Zwei Instrumente, beide mit Saiten. Eines gezupft, das andere mit einem Bogen gestrichen.Eines leicht und geschmeidig, daß die Töne perltenwie ein weicher Sommerregen, das andere dunkel und schwellend wie die Flut ineiner stürmischen Nacht.
Die Musikflutete auf und ab, eine Melodie schloß an die anderean und strömte mit wilder Hoffnung und dämonischer Verzweiflung, als hättenGötter sie heraufbeschworen, die kein Priester oder kein Prophet je angebetethatte. Und jedesmal, wenn er gewißwar, daß nun die Musik verklingen müßte,da erstand sie von neuem wieder auf, sank und erhob sich zum nächsten Gipfel.
Dannschlich mit der gleichen unsagbaren Heimlichkeit, wie sich die Töne an ihn herangestohlen hatten, die Stille herbei. Das Universum schienöde und leer. Und in dieser Leere saß er.
»ChevalierTannhäuser, ich danke Euch, daß Ihr gekommen seid.« Die Stimme war beinahe so schön wie die Musik. »Ich binCarla La Penautier.«
Er standauf und sammelte sich. Eine Frau beobachtete ihn aus einiger Entfernung vom Wegaus. Sie war zart gebaut, schmal in den Hüften mit langen Oberschenkeln undvielleicht wohlgeformten Waden mit hübschen Knöcheln. Das Kleid, das sie trug,hatte die Farbe von Granatapfelsaft und schmiegte sich so sinnlich an ihre Figur,daß er sie beinahe mit offenem Maul angestarrt hätte.
»MeinVergnügen, Madame«, sagte er. »Aber ich muß gestehen,daß ich kein Chevalier bin.«
Erlächelte, und Carla erwiderte sein Lächeln, beinahe unwillkürlich und mit einerWärme, die sie - das spürte er - selten fühlte oder zeigte. »Wenn Ihr wünscht,könnt Ihr mich Hauptmann nennen, denn das ist mein Rang in einer Reihe vonArmeen. Ich sollte jedoch hinzufügen, daß ichinzwischen ein Mann des Friedens bin.«
»Ich hoffe,Ihr vergebt mir, daß ich Euch nicht gleich begrüßthabe, Hauptmann.« Ihr Italienisch war elegant undhatte einen Akzent, den er nicht einordnen konnte. »Amparohat darauf bestanden, daß wir musizieren, wie dasunsere Angewohnheit ist. Wenn wir es nicht machen, wird sie sehr betrübt.«
»Dann steheich in ihrer Schuld«, sagte er, »denn ich habe noch nie etwas dergleichengehört.«
Sie nahmdieses Kompliment mit einem Neigen des Kopfes entgegen. Er ergriff dieGelegenheit, seine Augen wieder an ihrem Kleid zu weiden, dem wunderbarstenKleid, das er je gesehen hatte. Zwei begehrenswerte Frauen an einem einzigenTag kennenzulernen, das war eine willkommene Neuheitfür ihn. Schade, daß sie so eng miteinander vertrautwaren. Doch dieses Dilemma konnte wirklich noch warten. Er blickte ihr wieder indie Augen. Konnte sie seine Gedanken lesen? Er lachte vor sich hin.
»Ihramüsiert Euch über mich?« fragte sie, nun wiederlächelnd.
»Ichamüsiere mich über mich selbst«, antwortete er. »Und ich bin voller Freude überdiese unverhoffte Begegnung.«
Er neigtesein Haupt in einer, wie er hoffte, elegantenBewegung, die sie, um einiges eleganter, erwiderte. Er strich sich mit demHandrücken über das Kinn und wurde wieder daran erinnert, daßer unrasiert vor ihr stand und einen recht ungehobelten Eindruck machen mußte.
»Bitte,edle Dame«, sagte er. »Sagt mir, wie ich Euch dienen kann.«
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© Rütten & Loening
Übersetzung:Ulrike Seeberger
- Autor: Tim Willocks
- 2006, 2, 759 Seiten, Maße: 14,5 x 21,8 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Seeberger, Ulrike
- Verlag: Rütten & Loening
- ISBN-10: 335200739X
- ISBN-13: 9783352007392
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