Das Heilige Römische Reich um das Jahr 1200:
Walther von der Vogelweide liebt die Freiheit und die Frauen. Mit seinem Minnesang überschreitet er Grenzen, spottet mit spitzer Zunge über Fürsten und Klerus. Immer wieder kreuzt eine...
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Das Heilige Römische Reich um das Jahr 1200:
Walther von der Vogelweide liebt die Freiheit und die Frauen. Mit seinem Minnesang überschreitet er Grenzen, spottet mit spitzer Zunge über Fürsten und Klerus. Immer wieder kreuzt eine ungewöhnliche Frau seinen Weg: Judith, die willensstarke, eigensinnige Ärztin. Walther verfällt ihr mit Haut und Haar. Das ungleiche Paar verstößt gegen alle Regeln jener Zeit denn Judith hütet ein gefährliches Geheimnis.
Prolog
Aufgesang
21. Dezember 1192
Erdberg bei Wien
Am gleichen Tag, als Walther zum ersten Mal in seinem Leben einem Herzog und einem König begegnete, seine Fertigkeit entdeckte, wildfremde Menschen zu beeinflussen, und Gold in seinen Händen hielt, schlief er auch zum ersten Mal mit einer Frau.
Soweit er wusste, war er noch lange keine zwanzig Jahre alt, obwohl er sich für älter ausgab, um Eindruck auf die Leute zu machen. Zum Glück hatte er kein rundes Kindergesicht, sondern eines, das mit seiner Raubvogelnase, den schmalen Lippen und der hohen Stirn ohnehin ein paar Jahre reifer wirkte. In ein paar Tagen würde das Weihnachtsfest gefeiert werden, und er hatte erneut alle Hände voll zu tun, seinen besten Freund Markwart zu überreden, nicht kurz vor ihrem ersten großen Ziel einen Rückzieher zu machen, nur, weil sie die letzte Nacht in einem Stall hatten verbringen müssen. Schließlich war das nicht ihre Schuld gewesen: Ihr mühsam Erspartes hätte noch gereicht für eine warme Bank im Gasthof zum Bunten Ochsen, oder sogar für einen Strohsack in einem der Gemeinschaftszimmer. Aber dann war der angebliche Kaufmann erschienen, dem man den feinen Herrn schon von weitem an der hocherhobenen Nase ablas, und hatte kurzerhand für sich und sein Gefolge alle Zimmer verlangt, was bedeutete, dass die Wirtin die anderen Gäste in den Schankraum umquartieren musste. Für Walther und Markwart war nur noch der Stall geblieben.
»Daran kannst du erkennen, dass dir niemand den Herrn Walther abnimmt«, sagte Markwart klagend, während sie sich gegenseitig die Überröcke abklopften. Im Stall war es warm gewesen, zugestanden, aber wenn Walther damit zufrieden gewesen wäre, mit Kühen, Pferden und Ziegen zu übernachten, hätte er auch daheimbleiben können. Immerhin war er so schlau gewesen, sein Festtagsgewand im sorgfältig zugeschnürten Ranzen zu lassen; auf dem grauen Leinen, das er wie die meisten Leute an den Wochentagen trug, sah man den Dreck nicht so schnell. »Ob du nun einen angeblichen Knappen dabeihast oder nicht«, fuhr Markwart fort, »dir steht der Hungerleider auf der Stirn geschrieben.«
»Unsinn«, entgegnete Walther kurz angebunden. Markwart war schnell wehleidig; seine ständigen Beschwerden glichen Mühlrädern, klapp, klapp, klapp, immer dasselbe. Andererseits gab es fast nichts, zu dem Walther ihn nicht überreden konnte. Wenn es hart auf hart ging, hatte Markwart ihn noch nie im Stich gelassen. Lass uns unser Glück am Hof zu Wien versuchen war bei Markwart zunächst auf Einwände gestoßen, die alle mit »aber« begannen, doch etwas Geld für die Reise hatte er trotzdem zusammengebracht. Das Pferd, das sie sich teilten, kam zwar von Walthers Vater, doch das Sattelzeug von Markwart. Er hatte sogar geschluckt, dass er den Knappen spielen musste,
obwohl es nicht einfach war, ihm das zu vermitteln: »Spielmänner haben keine Knappen. Wenigstens keine, die ich je gesehen habe.«
»Eben. Ich will kein Spielmann werden, sondern ein Minnesänger. Das sind Herren, die an den Höfen der Mächtigen weilen, verstehst du? Und die brauchen Knappen, damit man sie als Herren erkennt.«
»Herr Walther«, murrte Markwart jetzt, während sie den Schank-raum betraten, um sich für ihre ehrlichen Pfennige wenigstens ordentlich zu sättigen. »Herr Walther vom Eselsmist, mehr glaubt man dir nicht. Und dafür haben wir Bayern verlassen! Warum kann eigentlich nicht ich Herr Markwart sein und du mein Spielmann? Schließlich habe ich, im Gegensatz zu dir, schon bei Frauen gelegen«, spielte er seinen liebsten Trumpf aus, »während du noch keine Ahnung von diesen Spielchen hast.« Ich warte eben noch auf eine Meisterin, dachte Walther, kein Küken, das genauso neugierig ist wie ich und mir nicht zeigen kann, was ich zu tun habe, um uns beide glücklich zu machen. Ich will mich nicht blamieren wie du und hören, ich solle keine Butter mit ihren Brüsten schlagen, oder nicht in ihren Bauch beißen, wie in einen harten Apfel. Für mich muss es etwas Besonderes sein. Ich will Lippen spüren, die so zart sind, dass man sie außer mit den eignen nur mit der Zunge berühren kann, und ich will wissen, warum die eine Frau Angst vor den Männern hat, die nächste aber glänzende Augenbekommt, wenn sie an die vergangene Nacht denkt. Aber hier und jetzt war nicht die Zeit für Schwärmereien.
»Weil du nicht weißt, was du tun willst, wenn sie uns erst bei Hofe aufnehmen, außer die großen Herren und ihre Damen anzustaunen. Doch was ich will, das weiß ich ganz genau«, gab Walther zurück und versuchte, den Blick der Wirtin auf sich zu ziehen. Sie war eine Witwe, die den Bunten Ochsen mit ihren Söhnen betrieb, von denen der ältere gewiss so alt wie Walther und Markwart war. Das sah man ihr allerdings kaum an: Die Grübchen in ihren runden Wangen zeigten nur, dass sie gerne lachte, und der Busen war, soweit sich das unter ihrem Hemd und dem Oberrock erkennen ließ, noch üppig und fest. An der Art, wie sie die Hände auf die Hüften stemmte, um einen Gast anzufahren, der sich immer noch auf der Bank lang gestreckt hatte, statt Platz für die anderen Gäste zu machen, die nun in den Schankraum drängten, konnte man sehen, dass auch der Rest ihrer Gestalt und ihres Wesens nicht von Traurigkeit bestimmt war. Markwart war Walthers Blicken gefolgt und gab ihm einen Rippenstoß.
»Die könnte deine Mutter sein.«
Walther grinste. »Nicht, wenn ich zweiundzwanzig bin.«
»Zweiund... Walther, gestern waren es noch neunzehn Jahre und die schon übertrieben!«
»Nun und? Zweiundzwanzig ist besser.«
»Du bist verrückt«, stellte Markwart fest. »Ich bleibe jedenfalls achtzehn Jahre.«
»Deswegen bist du ja auch mein Knappe«, sagte Walther gönnerhaft. »Die sind immer jünger als ihre Herren.« Markwart versetzte ihm einen heftigeren Rippenstoß, gerade, als die Wirtin endlich in ihre Richtung schaute, was dazu führte, dass er sich krümmte und aufächzte, statt ihren Blick inniglich erwidern zu können. Sie wies mit dem Kinn zu dem Tisch, an dem bereits zwei Mönche saßen, und wandte sich wieder ab. »Danke«, sagte Walther mit saurer Miene zu Markwart. Sie begaben sich zu den Mönchen, die ihrer Aussprache nach nicht aus der Gegend stammten. Stattdessen schwadronierten sie in einem Deutsch, das aus jedem zweiten s ein sch machte, darüber, ob es wohl eine größere Sünde sei, mit einer schönen oder einer hässlicheren Frau zu schlafen. Einer von beiden brachte vor, dass der größere Genuss bei einer schönen Frau auch einen höheren Grad von Sünde bedeute, während der andere ihm entgegenhielt, da eine schöne Frau einem Mann eher die Sinne raube als eine hässliche, sei er für seine Taten nicht mehr voll verantwortlich und daher auch kein so großer Sünder. Walther, der sich wünschte, die Wirtin hätte etwas länger zu ihm herübergeblickt, fragte ein wenig spöttisch: »Sprecht Ihr nicht in einem wie im anderen Fall wie ein Weinkenner, der nie einen Tropfen gekostet hat, Brüder? Denn wenn nicht, dann spielt es keine Rolle, was die größere
Sünde ist, denn gesündigt hättet Ihr allemal.«
Markwart barg sein Gesicht in den Händen. »Junger Mann«, entgegnete der eine Mönch grimmig, »ich kann dir sagen, welche Sünde du als erste zu beichten hast, wenn du das nächste Mal eine Kirche von innen siehst - mangelnde Achtung und respektlose Reden wider die Diener des Herrn!«
»Ich bin nicht derjenige an diesem Tisch, der Demut gelobt hat«, sagte Walther. Der Mönch versetzte ihm eine Kopfnuss. Das hatten die Lehrer in der Klosterschule, die ihm Lesen, Schreiben, Rechnen und ein wenig Latein beigebracht hatten, ständig getan, und es wäre den Spaß mit den zwei Mönchen wert gewesen, doch aus den Augenwinkeln erkannte Walther, dass die Wirtin wieder zu ihrem Tisch herüberblickte. Sofort setzte er sich etwas gerader und sagte so würdig wie möglich: »Sünder oder nicht? Das ist nach Eurem Gerede doch keine Frage mehr. Ihr hättet in der Beichte die Sünden vergeben, nicht aber den Sünderinnen als Buße aufgeben sollen, das Gebeichtete mit Euch gleich wieder neu zu begehen. Ich jedenfalls bin ein Mann von Stand, Mönch, und Ihr werdet mich als solchen behandeln.« Wenn Markwart noch tiefer in sich zusammen hätte sinken können, dann wäre er von der Bank gerutscht. Walther trat ihm auf den Fuß. Schließlich war es die Aufgabe vonKnappen, die Ehre ihrer Herren zu verteidigen. Die beiden Mönche starrten ihn einen Herzschlag sprachlos an,
dann bliesen sie in seltener Einmütigkeit die Backen auf und lachten. Das erzürnte Walther mehr, als er es für möglich gehalten hatte. Immerhin hatte er es in seiner neuen Rolle bis hierher geschafft, weniger als eine halbe Tagesreise vor Wien. Er war nicht mehr der Junge, der keine bessere Zukunft vor sich hatte als die, in seines Vaters Fußstapfen zu treten. Außerdem war es keine wirkliche Lüge: Sein Vater war kein einfacher Bauer, er war ein Zöllner. Das machte ihn zu einem der Ministerialen, welche mit etwas Glück - oder genügend Phantasie, neue einträgliche Zölle oder Steuern für ihren Herzog zu erfinden - häufig mit dem Ritterstand belohnt und zu einem Mann von Stand wurden. Wenn der augenblickliche Stand nicht ganz so hoch war, wie seine Worte es klingen ließen, was tat das?
Wenn du noch nicht einmal zwei Mönche und eine Wirtin überzeugen kannst, sagte eine Stimme in Walther, die verdächtig wie die Markwarts klang, dann wird dir auch der Herr Reinmar keinen Herzschlag lang Gehör schenken und dich nicht zu seinem Schüler machen, wie du dir das erhoffst. Er wird dich umgehend hinauswerfen.
»Ihr wollt Männer Gottes sein«, sagte Walther und zwang sich, so laut wie möglich zu sprechen, wie bedeutende Männer nach seiner Meinung eben sprachen, die nie Rücksicht auf andere Menschen im Raum nehmen mussten, »und geht doch nur nach dem Augenschein. Mein Knappe und ich mögen keinen eitlen Firlefanz tragen und bescheiden reisen ...« In diesem Moment betrat der hochnäsige Herr, der alle Räume in Beschlag gelegt hatte, samt seines Anhangs den Schankraum. Walther holte tief Luft. »... ganz anders als dieser Kerl da!« Er deutete auf den Mann, der mit seinem feingewebten blauen Mantel eher zu reich als zu arm für einen Kaufmann wirkte. »Aber wer sagt euch allen denn, dass ihm auch nur die Kleider gehören, die er am Leibe trägt? Kennt ihr ihn besser als mich? Ihr habt keinen von uns beiden vorher je gesehen. Ich habe schon gestern bezahlt, wie es üblich ist, gleich nach meiner Ankunft, für mich und meinen Knappen. Hat er das auch getan? Ich möchte wetten, das hat er nicht. Und doch seid ihr alle ganz sicher, er wird es noch tun, nur, weil er und seine Leute in Gewändern stecken, die kein vernünftiger Kaufmann, der zu rechnen versteht, auf Reisen bei diesem Wetter tragen würde. Ein Kaufmann will er sein? Niemals.«
Eigentlich hatte er nichts gegen den Mann, es ärgerte ihn nur, dass die Wirtin und die anderen eine offensichtliche Lüge als wahr hinnahmen, wenn sie von so einem eingebildeten Kerl kam, aber nicht, wenn jemand wie er die Wahrheit nur ein ganz klein wenig zurechtbog. Deswegen überwältigte ihn das Ergebnis, das seine Worte erzielten. Im Schankraum war es ruhiger und ruhiger geworden. Dem Fremden war durch Walthers ausgestreckten Arm wohl klargeworden, dass von ihm die Rede war, aber sein Gesicht mit dem rotblonden Bart wirkte nicht erzürnt, sondern eher erstaunt. Er beugte sich zu einem seiner Begleiter, der eine Priesterkutte trug. Dieser flüsterte ihm etwas ins Ohr.
Inzwischen standen tiefe Falten auf der Stirn der Wirtin. Als der Mann im blauen Mantel sich umdrehte, um der Aufmerksamkeit der Leute in der Gaststube zu entgehen, stellte sie sich ihm rasch in den Weg. »Nichts für ungut, Herr«, sagte sie. »Aber ich habe wirklich noch kein Geld von Euch gesehen.« Der Mann machte eine Handbewegung, die wohl bedeuten sollte, sie möge zur Seite treten, doch die Witwe blieb, wo sie war. Einer ihrer Söhne, der gerade noch frische Brotlaibe verteilt hatte, eilte an die Seite seiner Mutter.
»Gute Frau, Ihr werdet bekommen Euer Geld«, sagte der Begleiter in der Kutte mit starkem Akzent; die Wortstellung machte klar, dass die deutsche Zunge nicht die seine war. Nun begriff Walther auch, warum der Mann im blauen Mantel nicht erzürnt schien: Er sprach kein Deutsch und brauchte den Priester zum Übersetzen.
»Jetzt«, beharrte die Wirtin. »Ich will es jetzt sehen.«
Einige Männer in der Schenke erhoben sich. Es kam Walther in den Sinn, dass nun die Gelegenheit war, sich vor der Witwe als Held zu beweisen, denn der Blaubemäntelte hatte zehn Begleiter, und wenigstens fünf davon schienen Schwerter zu tragen, wenn Walther die Ausbuchtungen unter ihren Mänteln richtig deutete. Niemand sonst in der Schenke war bewaffnet. Schwerter waren etwas für Waffenknechte im Krieg, Bauern durften sie überhaupt nicht besitzen; sie waren etwas für Ritter, oder Räuber.
»Gebt unserer holden Wirtin ihr Geld, dann ist alles gut, Fremder«, sagte er begütigend, aber wie sich herausstellte, war es einfacher, mit Anklagen die Aufmerksamkeit von Menschen zu erringen, als diese mit Worten in eine ruhige Richtung zu lenken. Niemand im Schankraum achtete mehr auf ihn, alle starrten auf die Wirtin und die Fremden um den rotblonden Gast.
»Zahlen!«, rief irgendjemand, und sofort nahm der Rest im Raum das Wort auf und schrie laut: »Zahlen, zahlen!«
»Setz dich, um Himmels willen«, zischte Markwart, was in dem Rumoren zum Glück niemand außer Walther hörte. Selbst die Mönche schauten wie gebannt auf den Fremden, der schließlich die Achseln zuckte und einem seiner Begleiter zunickte. Dieser holte einen gut gefüllten Beutel unter seinem Mantel hervor. Von seinem Platz aus konnte Walther nicht erkennen, was er daraus
zog, aber er sah sehr wohl, dass die Falten nicht von der Stirn der Wirtin wichen.
»Das ist nicht unser Geld«, sagte sie zu Walthers Überraschung.
»Es ist eine byzantinische Goldmünze«, gab der Priester empört zurück.
»Davon kann ich mir hier nichts kaufen«, beharrte die Wirtin.
»Ich will mit ordentlichem Geld bezahlt werden.«
Einer der Mönche räusperte sich. »Mit Verlaub, uns ist das Problem nicht unvertraut. Gar mancher, der in den letzten Monaten vom Kreuzzug wiederkehrte, hat sein Geld irgendwo umtauschen müssen. In Wien gibt es ...«
Leider war das der Moment, in dem der als Zechpreller verdächtigte Blaumantel die Geduld verlor und einen wütenden Strom von Worten von sich gab, die niemand im Raum außer seinen Begleitern verstand. Walthers Phantasie reichte immerhin so weit, dass er ahnte, was gesagt wurde. Auch das nun zornige Gesicht des Mannes brauchte keine Übersetzung. Und da waren immer noch die bewaffneten Begleiter.
Der Sohn der Witwe stand neben seiner Mutter und war es gewiss schon gewohnt, betrunkene Gäste hinauszuwerfen, aber was der Mönch über Kreuzfahrer gesagt hatte, klang gar nicht gut. Wenn es sich bei dem Blaumantel und seinen Leuten um Kreuzfahrer handelte, die sich aus irgendwelchen Gründen als Kaufleute ausgaben, obwohl sich jeder geehrt fühlen würde, wenn sie das Kreuz offen auf ihren Mänteln getragen hätten, dann waren sie Kämpfe mit den grausamen Heiden gewohnt und hatten mit Schankwirten und ein paar Gästen leichtes Spiel.
»Edler Herr«, rief Walter. Er kletterte eilig auf die Bank, damit ihn auch jeder sah, raffte sein Schullatein zusammen, samt all der Messlieder und Evangelientexte, an die er sich erinnerte, und radebrechte, so gut er es eben vermochte, in der Sprache der Römer: »Der Weihnachtstag naht! Friede auf Erden! Lasst uns singen und jubilieren! Schickt Boten zum Geldwechsel in die Stadt des Kaisers Augustus, die da heißt Wien, und derweilen wir warten auf die Ankunft des Boten, der kommt in Herrlichkeit, ich werde singen zur Vertreibung der Zeit und zum Lob des Herrn - und der Dame ... der Herrin, bei der es war kein Platz in der Herberge!« Für einen bedrohlich langen Moment starrten alle ihn entgeistert an. Doch dann warf der Blaumantel den Kopf zurück und brach in schallendes Gelächter aus. Walther zwang sich, ruhig zu bleiben: Gelächter war besser als Schwerter. Die Fremden fi elen in das Lachen ein, als seien sie es gewohnt, ihm alles nachzumachen. Sogar die Mönche an Walthers Tisch glucksten.
Schließlich wischte sich der Mann die Lachtränen aus den Augen und sagte in einem Latein, das geschmeidig und beschwingt klang, wie es selbst der Dorfpfarrer zu Hause nie gesprochen hatte: »Wohlan, dann unterhaltet uns.«
Er winkte der Wirtin zu, offensichtlich gewohnt, dass man seinen Wünschen sofort nachkam. Nun war nicht die Zeit, ihn zu belehren, dass auch er ein Herr war. Walther kletterte vom Tisch hinunter und flüsterte Markwart ins Ohr: »Hole Hilfe, es könnte hier zum Kampf kommen.«
»Aber wen soll ich denn ...?«, protestierte Markwart, während Walther sich den Weg durch den Schankraum zu dem Fremden bahnte, der inzwischen dem Mann mit dem Beutel und dem Priester, der ihre Sprache verstand, bedeutete, mit dem Geld loszuziehen, vermutlich um Münzen zu wechseln. War das alles nur ein Missverständnis gewesen? Hatte es nie eine gefährliche Situation gegeben? Nein, diese Möglichkeit wiesen Walthers Phantasie und Eitelkeit zurück. Außerdem ruhte der Blick der Wirtin auf ihm, und das gefiel ihm sehr. Als er vor ihr und dem Fremden stand, machte er eine schwungvolle Verbeugung: »Holde Herrin dieser gastlichen Stätte, wie hieß Euch Eure Mutter?«
»Auf alle Fälle nannte sie mich nicht dumm«, gab sie unbeeindruckt zurück. »Wenn es hier zu einer Schlägerei kommt, weil du dein loses Maul gewetzt hast, mein Junge, dann musst du für mehr zahlen als für eine Schlafstätte, schreib dir das ruhig hinter die Ohren, bevor du weitersprichst.« Das fand Walther ein wenig ungerecht, zumal er gerade angefangen hatte, in der schönen Wirtin eine mögliche Lehrmeisterin für das zu sehen, was er vor seinem neuen Leben in Wien unbedingt noch kennenlernen musste. Doch er ließ sich nicht so leicht entmutigen.
© 2011 Droemer Verlag
- Autor: Tanja Kinkel
- 2012, 3. Aufl., 928 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426636328
- ISBN-13: 9783426636329
- Erscheinungsdatum: 02.11.2012

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5 Sterne
39 von 56 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Annette, 07.11.2011
Als Buch bewertet"Der Kommentar bezieht sich auf die gebundene Ausgabe gleichen Inhalts."
Endlich wieder ein neuer Roman von Tanja Kinkel! Habe lange darauf gewartet und wurde nicht enttäuscht. Endlich schreibt Tanja Kinkel wieder über das deutsche Mittelalter. Spannend und toll erzählt erfährt man hier nicht nur viel über Walter von der Vogelweide, sondern auch Interessantes über die Zeit und das quasi nebenher. Denn natürlich darf auch eine wunderbare Liebesgeschichte nicht fehlen. Tanja Kinkels neues Buch hat alles, was ich von einem Schmöker erwarte - und noch viel mehr. Deshalb: 5 Sterne. Unbedingt empfehlenswert für alle Fans historischer Romane. -
5 Sterne
35 von 59 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Johanna K., 11.12.2011
Als Buch bewertet"Der Kommentar bezieht sich auf die gebundene Ausgabe gleichen Inhalts."
Die Autorin hat mich mit dem überrascht, was ich von ihr erwartet habe. Persönlichkeiten und einfache Menschen, von denen ich trotzdem immer mehr wissen wollte; keine Klischees von Frauen, die jedem Adelsspross, der sie aus großer Gefahr befreit, danach sofort in die Arme sinken; edlich keine Hebammen, Hexen, Huren mehr, die auf geheimnisvolle Weise zu Heldinnen werden; Liebe die Berge und Täler durchschreitet; eine unterhaltende und spannende Handlung von der ich glaube, so muss es damals gewesen sein. -
5 Sterne
13 von 15 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Annette, 13.11.2012
Als Buch bewertetEndlich wieder ein neuer Roman von Tanja Kinkel! Habe lange darauf gewartet und wurde nicht enttäuscht. Endlich schreibt Tanja Kinkel wieder über das deutsche Mittelalter. Spannend und toll erzählt erfährt man hier nicht nur viel über Walter von der Vogelweide, sondern auch Interessantes über die Zeit und das quasi nebenher. Denn natürlich darf auch eine wunderbare Liebesgeschichte nicht fehlen. Tanja Kinkels neues Buch hat alles, was ich von einem Schmöker erwarte - und noch viel mehr. Deshalb: 5 Sterne. Unbedingt empfehlenswert für alle Fans historischer Romane.
-
5 Sterne
3 von 5 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Ira, 22.03.2014
Als Buch bewertetEin spannender Roman, der die Geschichte des Mittelalters mit persönlichen Erfahrungen der Romanhelden geschickt verquickt. Außerdem beinhaltet das Buch "Kriminelles" und Humor. Ein rundherum gelungenes Buch, das man nicht so schnell aus der Hand legt.
-
5 Sterne
8 von 10 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Johanna K., 13.11.2012
Als Buch bewertetDie Autorin hat mich mit dem überrascht, was ich von ihr erwartet habe. Persönlichkeiten und einfache Menschen, von denen ich trotzdem immer mehr wissen wollte; keine Klischees von Frauen, die jedem Adelsspross, der sie aus großer Gefahr befreit, danach sofort in die Arme sinken; edlich keine Hebammen, Hexen, Huren mehr, die auf geheimnisvolle Weise zu Heldinnen werden; Liebe die Berge und Täler durchschreitet; eine unterhaltende und spannende Handlung von der ich glaube, so muss es damals gewesen sein.
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