Das sterbende Tier
David Kepesh, ein in Ehren ergrauter Kulturkritiker, ist über sechzig, als er die Studentin Consuela kennen lernt, die sein Leben in erotische Turbulenzen stürzt.
Trotz Fantasien von körperlicher Freizügigkeit hat Kepesh zu einem geordneten Leben...
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David Kepesh, ein in Ehren ergrauter Kulturkritiker, ist über sechzig, als er die Studentin Consuela kennen lernt, die sein Leben in erotische Turbulenzen stürzt.
Trotz Fantasien von körperlicher Freizügigkeit hat Kepesh zu einem geordneten Leben gefunden. Doch Consuela stellt all seine Gewissheiten in Frage und stürzt ihn in eine quälende, verzehrende Eifersucht.
David Kepesh ist nicht nur über sechzig und ergraut, ein berühmter Kulturkritiker und Star unter den Professoren einer New Yorker Universität, sondern auch ein wortgewaltiger Verteidiger der sexuellen Revolution. Seit Jahren macht er abenteuerlustige Studentinnen zu seinen Geliebten, ohne dabei die kritische Distanz des Ästheten aufzugeben. Doch nun ist diese Distanz dahin. Kepeshs Verhängnis ist Consuela Castillo, die vierundzwanzigjährige, sittsame und überwältigend schöne Tochter kubanischer Emigranten. Als er sich mit ihr einlässt, wird Kepesh in einen Strudel aus sexueller Eifersucht und Verlustängsten gezogen.
Dassterbende Tier von PhilipRoth
LESEPROBE
Ich lernte sie vor acht Jahren kennen. Sie war in meinem Seminar. Ich habekeine Vollzeit-Professur mehr - genaugenommen unterrichte ich nicht einmal mehrLiteratur. Seit Jahren veranstalte ich nur noch dieses eine Seminar, ein großesOberseminar über Literaturkritik mit dem Titel "Praktische Kritik".Es kommen viele Studentinnen. Aus zwei Gründen. Zum einen bietet dieses Themaeine verführerische Kombination aus intellektuellem Glamour undjournalistischem Glamour, zum anderen haben sie mich und meine Buchrezensionenauf NPR gehört oder mich auf Channel Thirteen gesehen, wo ich über Kulturspreche. In den vergangenen fünfzehn Jahren habe ich in dieser Region durchmeine Fernsehauftritte als Kulturkritiker einen gewissen Bekanntheitsgraderreicht, und deswegen kommen sie in mein Seminar. Anfangs war mir nichtbewußt, daß wöchentliche Zehn-Minuten-Auftritte im Fernsehen so beeindruckendsein könnten, wie sie es für diese Studentinnen offenbar sind. Doch diesejungen Frauen fühlen sich hoffnungslos zu Berühmtheiten hingezogen, sounerheblich meine auch sein mag. Nun, wie Sie wissen, bin ich für weiblicheSchönheit sehr empfänglich. Jeder hat seine verwundbare Stelle, und das isteben meine. Ich sehe weibliche Schönheit und bin so geblendet, daß ich nichtsanderes mehr wahrnehme. Sie kommen zur ersten Seminarsitzung, und ich weißbeinahe sofort, welche für mich bestimmt ist. Es gibt eine Geschichte von MarkTwain, in der er beschreibt, wie er vor einem Stier davonrennt, und der Stiersieht hinauf zu der Baumkrone, in der Twain sich versteckt, und denkt:"Sie, Sir, sind genau mein Fall." Tja, wenn ich sie in meinem Seminarsehe, wird aus dem "Sir" eine "junge Dame". Es ist jetztacht Jahre her - ich war damals bereits zweiundsechzig, und Consuela Castillowar vierundzwanzig. Sie ist nicht wie die anderen Studentinnen. Sie sieht nichtaus wie eine Studentin, jedenfalls nicht wie eine gewöhnliche Studentin. Sieist kein spätpubertäres, ungepflegtes Mädchen mit schlechter Haltung, dasständig "irgendwie" sagt. Sie drückt sich gut aus, sie ist sachlich,ihre Haltung ist perfekt - sie scheint etwas über das Erwachsenenleben zuwissen, unter ande-rem darüber, wie man sitzt, steht und geht. Sobald man denSeminarraum betritt, sieht man, daß diese Frau entweder mehr weiß oder mehrwissen will. Wie sie sich kleidet. Sie hat nicht direkt das, was man Chicnennen würde, sie ist jedenfalls nicht extravagant, aber immerhin trägt sie nieJeans, seien es nun gebügelte oder ungebügelte. Sie wählt ihre Garderobesorgfältig, mit dezentem Geschmack: Röcke, Kleider, gutsitzende Hosen. Nicht umihre Vorzüge zu verbergen, sondern vielmehr, wie es scheint, um einenprofessionelleren Eindruck zu machen, kleidet sie sich wie eine attraktiveSekretärin in einer angesehenen Anwaltskanzlei. Wie die Sekretärin desVorstandsvorsitzenden einer Bank. Eine cremefarbene Seidenbluse unter einemmaßgeschneiderten blauen Blazer mit Goldknöpfen, eine braune Handtasche mit derPatina teuren Leders, dazu passende, knöchelhohe Stiefel und einen grauen,engen Strickrock, der ihre Konturen so subtil betont, wie ein solcher Rock dasnur kann. Ihre Frisur ist unaufwendig, ihr Haar gepflegt. Sie hat eine blasseHaut, ihre Lippen sind geschwungen, aber voll, und ihre Stirn ist gewölbt undfaltenlos und von der glatten Eleganz einer Brancusi-Skulptur. Sie istKubanerin. Ihre Angehörigen sind wohlhabende Kubaner, die in Jersey leben,jenseits des Flusses, in Bergen County. Sie hat tiefschwarzes, glänzendes Haar,das aber auch ein kleines bißchen grob ist. Und sie ist eine große Frau miteinem großen Busen. Die oberen beiden Knöpfe der Seidenbluse sind geöffnet, sodaß man sehen kann, daß sie ausladende, wunderschöne Brüste hat. Man siehtsofort auf ihr Dekolleté. Und man sieht, daß sie das weiß. Man sieht, daß siesich trotz aller Zurückhaltung, trotz aller Gewissenhaftigkeit, trotz allersorgsamen Gepflegtheit - oder vielleicht gerade deswegen - ihrer selbst bewußtist. Sie erscheint zur ersten Seminarsitzung, und das Jackett über der Bluseist zugeknöpft, doch bereits nach fünf Minuten hat sie es ausgezogen. Als ichdas nächstemal zu ihr hinsehe, hat sie das Jackett wieder angezogen. Manerkennt also, daß sie sich ihrer Macht bewußt ist, aber noch nicht genau weiß,wie sie sie einsetzen soll, was sie damit anfangen soll und ob sie diese Machtüberhaupt haben will. Dieser Körper ist für sie noch neu, sie probiert ihn nochaus, sie denkt darüber nach - sie ist ein bißchen wie ein Jugendlicher, der miteiner geladenen Pistole durch die Straßen geht und noch nicht weiß, ob er dieWaffe zur Selbstverteidigung eingesteckt hat oder dabei ist, eineVerbrecherlaufbahn einzuschlagen.
© Hanser Verlag
Übersetzung: Dirk van Gunsteren
Autoren-Porträt vonPhilip Roth
Philip Roth wurde 1933 in Newark, New Jersey, geboren. Für seinWerk wurde mit allen bedeutenden amerikanischen Literaturpreisen ausgezeichnet,darunter dem Pulitzer-Preis für "Amerikanisches Idyll". Für "Dermenschliche Makel" erhielt er seinen zweiten PEN / Faulkner Award sowieden britischen W. H. Smith Award als "bestes Buch des Jahres" und denfranzösischen Prix Medici als "bestes ausländisches Buch des Jahres". ImJahre 2001 wurde er mit der höchsten Auszeichnung der American Academy of Artsand Letters bedacht, der Goldmedaille für Belletristik, die alle sechs Jahrefür das Gesamtwerk eines Autors verliehen wird.
- Autor: Philip Roth
- 2004, 10. Auflage, 159 Seiten, Maße: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Gunsteren, Dirk van
- Übersetzer: Dirk van Gunsteren
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499236508
- ISBN-13: 9783499236501
- Erscheinungsdatum: 01.10.2004
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