Das Ultimatum
Thriller
London, ein ganz normaler Tag. Plötzlich explodieren mehrere Bomben, Panik bricht aus. Eine Bande Schwerbewaffneter stürmt ein Luxushotel und nimmt Geiseln. Für Einsatzleiterin Arley Dale ein besonders harter Einsatz, denn auch ihre Kinder befinden sich in der Gewalt der Verbrecher.
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Produktinformationen zu „Das Ultimatum “
London, ein ganz normaler Tag. Plötzlich explodieren mehrere Bomben, Panik bricht aus. Eine Bande Schwerbewaffneter stürmt ein Luxushotel und nimmt Geiseln. Für Einsatzleiterin Arley Dale ein besonders harter Einsatz, denn auch ihre Kinder befinden sich in der Gewalt der Verbrecher.
Klappentext zu „Das Ultimatum “
Simon KernickEine Lektion in Furcht
"Schreiben Sie über das, was Sie kennen", lautet eine bekannte Regel für angehende Autoren. Wenn man allerdings Kriminalromane schreiben will, tut man sich da häufig schwer. Schließlich haben die meisten Menschen das Glück, nie ein Gewaltverbrechen miterleben zu müssen. Auch ich schaffte es erst bei meinem fünften Thriller, diese Regel zu befolgen. Darin sollte es um einen ganz normalen Mann gehen, der ein ganz normales Leben führt; bis er sich plötzlich, von einem Moment auf den anderen und völlig schuldlos in einer Situation befindet, aus der es keinen Ausweg gibt.
Die Erfahrung, die zu dieser Geschichte führte, machte ich im Alter von sechzehn Jahren.
Es war ein warmer Sommerabend. Ich war mit zwei Freunden per Anhalter unterwegs, als drei Typen anhielten und uns mitnahmen. Auf der Rückbank des zweitürigen Escort war es ziemlich eng, aber bis zur nächsten Stadt war es nicht weit, und wir führten auch eine nette Unterhaltung.
Bis das Auto auf einem verlassenen Straßenstück neben einem Fluss anhielt. Und da geschah es. Einfach so. Der Mann auf dem Beifahrersitz sagte ganz gelassen folgende sechs Worte: "Okay, Jungs. Raus mit der Kohle."
Ich fragte mich noch, ob ich richtig gehört hatte, da drehte sich der Fahrer um und schlug mir zweimal ins Gesicht. Härter, als ich jemals davor oder danach geschlagen wurde. Erstaunlicherweise verspürte ich keinen Schmerz. Ich stand unter Schock.
... mehr
Dann hagelten weitere Schläge aus allen Richtungen auf uns ein. Wir drängten uns hilflos in einer Ecke des Wagens zusammen und ließen uns windelweich prügeln. Der Wagen fuhr wieder los, und der Mann auf dem Beifahrersitz befahl uns noch einmal mit dieser ruhigen, sanften Stimme, die Taschen auszuleeren. Der Fahrer dagegen fluchte laut und beugte sich ab und zu nach hinten, um einen weiteren Schlag auszuteilen.
Wir gehorchten - doch als Jugendliche besaßen wir so gut wie nichts. Wir konnten unseren Angreifern gerade mal etwas Wechselgeld und ein paar Zigaretten anbieten. Das reichte ihnen natürlich nicht.
Sie wollten, dass wir uns auszogen.
Selbst heute noch stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich mich daran erinnere. Ich wollte vernünftig mit ihnen reden, ich flehte sie an - vergeblich. Während wir durch die stillen, nächtlichen Straßen meines Heimatorts fuhren - dem Ort, an dem ich aufgewachsen war und der mir jetzt so völlig fremd vorkam - zogen wir uns langsam unter den aufmerksamen Blicken dieser Männer aus.
"Alles", sagte der Mann auf dem Beifahrersitz, als wir nur noch Unterhosen anhatten.
Inzwischen hatten wir die Stadt hinter uns gelassen. Der Fahrer bog von der Hauptverkehrsstraße in einen kleinen Waldweg ab.
An diese langsame Fahrt durch die Dunkelheit erinnere ich mich noch genau; die Sekunden schleppten sich scheinbar endlos dahin, und ich spürte eine alles umfassende, lähmende Angst, während ich darauf wartete, was als nächstes passieren würde.
Das war das Schlimmste: zu warten. Die Ungewissheit.
Dann hielten wir an.
"Raus, raus, raus!", rief der Fahrer, und sie trieben uns nackt aus dem Wagen. Danach mussten wir uns in einer Reihe aufstellen.
"Machen wir sie alle", sagte der Beifahrer. Ich weiß noch genau, dass seine nüchterne Stimme viel furchteinflößender war als die lauten Flüche seines Komplizen. "Wo ist die Schrotflinte?"
"Ich hol sie", sagte der Fahrer, ging zum Auto zurück und griff unter den Sitz.
Das war's, dachte ich. Jetzt ist es aus. Mein Leben zog an mir vorbei, und dann dachte ich an alles, was ich gerne noch erlebt hätte, an die Orte, die ich gerne noch besucht hätte, und an meine Freundin, die jetzt wohl nie erfahren würde, wie sehr ich sie mochte ...
Als sich der Fahrer ins Auto beugte, rannte einer meiner Freunde los und verschwand im Wald. Ich lief ebenfalls los, doch der Fahrer hatte mich in Sekunden eingeholt und zerrte mich im Schwitzkasten zum Auto zurück.
Ich bereitete mich auf das Unvermeidliche vor, doch der Schuss fiel nie. Ich habe noch nicht einmal die Waffe gesehen. Einer von uns war entkommen und würde die Verbrecher vielleicht identifizieren können. Dieses Risiko wollten sie nicht eingehen, also ließen sie uns nach ein paar weiteren Schlägen laufen. Wir rannten in die Nacht, ohne uns nur einmal umzusehen. Drei Sechzehnjährige, die gerade erfahren hatten, was dem Unvorsichtigen in dieser grausamen Welt alles passieren kann.
Wenn ich heute daran zurückdenke, kommt es mir seltsam vor, wie unspektakulär die Folgen dieses Vorfalls waren. Die Täter waren schnell gefasst. Die Polizei wusste, um wen es sich handelte, sobald wir die ganze Geschichte erzählt hatten. Die Kerle waren den Behörden bekannt, zwei von ihnen waren bereits wegen bewaffneten Raubüberfalls aktenkundig.
Allerdings gab es ein Problem: wir hatten keine Beweise. Alle drei bestritten, an dem Vorfall beteiligt gewesen zu sein, und die Polizei konnte das Auto nirgendwo auftreiben. Also stand unser Wort gegen ihres, was letzten Endes nicht einmal für eine Anklage, geschweige denn für eine Gerichtsverhandlung reichte. Sie wurden freigelassen. Damit mussten wir leben.
Daher weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn sich dein Leben von einem Augenblick auf den nächsten verändert und dir plötzlich klar wird, dass du es mit Leuten aus deinen schlimmsten Alpträumen zu tun hast. Eine Erfahrung, die ich hoffentlich niemals wiederholen muss.
Was die Figuren in meinem Buch betrifft, liegen die Dinge natürlich anders. Sie haben Pech - denn sie müssen das alles jetzt an meiner Stelle durchstehen.
Dann hagelten weitere Schläge aus allen Richtungen auf uns ein. Wir drängten uns hilflos in einer Ecke des Wagens zusammen und ließen uns windelweich prügeln. Der Wagen fuhr wieder los, und der Mann auf dem Beifahrersitz befahl uns noch einmal mit dieser ruhigen, sanften Stimme, die Taschen auszuleeren. Der Fahrer dagegen fluchte laut und beugte sich ab und zu nach hinten, um einen weiteren Schlag auszuteilen.
Wir gehorchten - doch als Jugendliche besaßen wir so gut wie nichts. Wir konnten unseren Angreifern gerade mal etwas Wechselgeld und ein paar Zigaretten anbieten. Das reichte ihnen natürlich nicht.
Sie wollten, dass wir uns auszogen.
Selbst heute noch stehen mir die Haare zu Berge, wenn ich mich daran erinnere. Ich wollte vernünftig mit ihnen reden, ich flehte sie an - vergeblich. Während wir durch die stillen, nächtlichen Straßen meines Heimatorts fuhren - dem Ort, an dem ich aufgewachsen war und der mir jetzt so völlig fremd vorkam - zogen wir uns langsam unter den aufmerksamen Blicken dieser Männer aus.
"Alles", sagte der Mann auf dem Beifahrersitz, als wir nur noch Unterhosen anhatten.
Inzwischen hatten wir die Stadt hinter uns gelassen. Der Fahrer bog von der Hauptverkehrsstraße in einen kleinen Waldweg ab.
An diese langsame Fahrt durch die Dunkelheit erinnere ich mich noch genau; die Sekunden schleppten sich scheinbar endlos dahin, und ich spürte eine alles umfassende, lähmende Angst, während ich darauf wartete, was als nächstes passieren würde.
Das war das Schlimmste: zu warten. Die Ungewissheit.
Dann hielten wir an.
"Raus, raus, raus!", rief der Fahrer, und sie trieben uns nackt aus dem Wagen. Danach mussten wir uns in einer Reihe aufstellen.
"Machen wir sie alle", sagte der Beifahrer. Ich weiß noch genau, dass seine nüchterne Stimme viel furchteinflößender war als die lauten Flüche seines Komplizen. "Wo ist die Schrotflinte?"
"Ich hol sie", sagte der Fahrer, ging zum Auto zurück und griff unter den Sitz.
Das war's, dachte ich. Jetzt ist es aus. Mein Leben zog an mir vorbei, und dann dachte ich an alles, was ich gerne noch erlebt hätte, an die Orte, die ich gerne noch besucht hätte, und an meine Freundin, die jetzt wohl nie erfahren würde, wie sehr ich sie mochte ...
Als sich der Fahrer ins Auto beugte, rannte einer meiner Freunde los und verschwand im Wald. Ich lief ebenfalls los, doch der Fahrer hatte mich in Sekunden eingeholt und zerrte mich im Schwitzkasten zum Auto zurück.
Ich bereitete mich auf das Unvermeidliche vor, doch der Schuss fiel nie. Ich habe noch nicht einmal die Waffe gesehen. Einer von uns war entkommen und würde die Verbrecher vielleicht identifizieren können. Dieses Risiko wollten sie nicht eingehen, also ließen sie uns nach ein paar weiteren Schlägen laufen. Wir rannten in die Nacht, ohne uns nur einmal umzusehen. Drei Sechzehnjährige, die gerade erfahren hatten, was dem Unvorsichtigen in dieser grausamen Welt alles passieren kann.
Wenn ich heute daran zurückdenke, kommt es mir seltsam vor, wie unspektakulär die Folgen dieses Vorfalls waren. Die Täter waren schnell gefasst. Die Polizei wusste, um wen es sich handelte, sobald wir die ganze Geschichte erzählt hatten. Die Kerle waren den Behörden bekannt, zwei von ihnen waren bereits wegen bewaffneten Raubüberfalls aktenkundig.
Allerdings gab es ein Problem: wir hatten keine Beweise. Alle drei bestritten, an dem Vorfall beteiligt gewesen zu sein, und die Polizei konnte das Auto nirgendwo auftreiben. Also stand unser Wort gegen ihres, was letzten Endes nicht einmal für eine Anklage, geschweige denn für eine Gerichtsverhandlung reichte. Sie wurden freigelassen. Damit mussten wir leben.
Daher weiß ich, wie es sich anfühlt, wenn sich dein Leben von einem Augenblick auf den nächsten verändert und dir plötzlich klar wird, dass du es mit Leuten aus deinen schlimmsten Alpträumen zu tun hast. Eine Erfahrung, die ich hoffentlich niemals wiederholen muss.
Was die Figuren in meinem Buch betrifft, liegen die Dinge natürlich anders. Sie haben Pech - denn sie müssen das alles jetzt an meiner Stelle durchstehen.
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Lese-Probe zu „Das Ultimatum “
Das Ultimatum von Simon KernickDonnerstagmorgen
1
07:45
... mehr
Sie töteten sie sofort, als sie die Haustür öffnete.
Es lief alles glatt. Bull trug eine marineblaue Mütze der Königlichen Post sowie einen Pullover und ein Hemd in der gleichen Farbe. Damit glich er einem gewöhnlichen Postboten, und da er zudem einen mittelgroßen, leeren Karton mit dem Amazon-Logo in den Händen hielt, schöpfte das Mädchen keinen Verdacht.
Fox hielt sich bis dahin außer Sichtweite. Er war ähnlich gekleidet wie Bull und trug einen Rucksack. Außerdem war er mit einer halbautomatischen Pistole mit Schalldämpfer bewaffnet, die er gegen seinen Oberschenkel presste, damit niemand, der zufällig an der Tür vorbeiging, sie sehen konnte. Nicht dass man viel hätte sehen können, denn die hohe Lorbeerhecke versperrte fast vollständig die Sicht. Als das Mädchen aus der Tür trat, hob er die Pistole, und ehe sie von ihm Notiz nehmen konnte, schoss er ihr aus nächster Nähe in die Schläfe. Der Rückschlag war beträchtlich, doch dank des Schalldämpfers gab es nur ein sattes Plopp. Das Mädchen prallte gegen den Türrahmen, von der Schläfe strömte Blut über ihre Wange. Bull ließ den Karton fallen, griff ihr unter die Arme und fing sie auf, als ihre Beine einknickten.
Fox schob sich an ihm vorbei, streifte sich eine schwarze Motorradhaube über den Kopf und rückte, die rauchende Pistole schussbereit, in die mit Krimskrams übersäte Diele vor. Er schlich in den hinteren Teil des Hauses, von wo die typischen Geräusche einer frühstückenden Familie zu ihm drangen. Hinter ihm zerrte Bull das tote Mädchen in die Diele und schloss die Tür.
»Wer ist es, Magda?«, rief eine männliche Stimme aus der Küche.
»Niemand bewegt sich«, sagte Fox und betrat die Wohnküche, als gehörte sie ihm, was in diesem Augenblick wohl auch zutraf.
Ein stattlicher mittelalter Mann saß in Hemd und Krawatte am Tisch und hielt eine Tasse Tee. Ihm gegenüber saßen ein Mädchen und ein Junge in unterschiedlichen Schuluniformen. Die beiden waren Zwillinge, obwohl sie sich nicht besonders ähnlich sahen. Für seine wohl fünfzehn Jahre war der Junge hoch aufgeschossen und besaß schon die breiten Schultern seines Vaters. Sein glänzender Blondschopf machte ihn vollends zum Kandidaten für die nächste Boygroup. Das Mädchen dagegen war klein und mollig und wirkte um einiges jünger. Alle drei schauten schockiert auf Fox.
»Ich fürchte, Magda ist tot«, sagte der und richtete die Waffe auf den Vater. Seine Hand war absolut ruhig. »Und jetzt erwarten wir eure Kooperation, sonst seid ihr ebenfalls tot. Und das heißt, ihr werdet euch mucksmäuschenstill verhalten.«
Niemand bewegte auch nur einen Muskel.
Bull kam nun ebenfalls mit einer Motorradhaube maskiert in die Küche, blieb am Türrahmen stehen und wartete auf Anweisungen. Wie der Name suggerierte, war Bull ein gewaltiger Kerl. Andererseits war er nicht der Hellste und tat, was man ihm sagte, ohne Fragen zu stellen. Zudem schien er weder Mitgefühl noch sonst irgendwelche Gefühle zu hegen. Deshalb hatte man ihn für diesen Job ausgesucht. Fox warf ihm einen Blick zu und bemerkte den dunklen Fleck auf seinem Hemdkragen, wo er etwas von Magdas Blut abbekommen hatte.
»Bitte«, sagte der Vater und suchte Fox' Blick. Um seiner Kinder willen versuchte er leise und beherrscht zu klingen. »Nehmen Sie, was Sie wollen, und gehen Sie. Viel haben wir nicht.«
Fox funkelte ihn an. Der Vater war siebzehn Jahre lang Sergeant bei der Polizei gewesen, ehe man ihn, nachdem er vor drei Jahren im Dienst niedergestochen worden war, in den Ruhestand versetzt hatte. Dennoch hatte er die Fähigkeit, Situationen unter Kontrolle zu bringen, nicht verloren, was ihn zu einem potenziellen Risiko machte. Fox' Finger krümmte sich um den Abzug.
»Noch ein Wort, und ich jage dir eine Kugel in den Bauch. Verstanden? Wenn ja, dann nick mit dem Kopf.«
Der Vater nickte, stellte vorsichtig seine Tasse auf den Tisch und sah seine Kinder beruhigend an.
»Aufstehen, umdrehen, Gesicht an die Wand.«
»Tun Sie meinem Vater nichts«, sagte der Junge, der, wie Fox wusste, Oliver hieß. Er besaß eine tiefe, irritierend selbstsichere Stimme.
»Wenn ihr alle tut, was man euch sagt, wird niemand verletzt.« Fox klang kalt, aber entspannt. Er wusste, wie wichtig es war, zum einen nicht das geringste Anzeichen von Schwäche zu zeigen, zum anderen seine Geiseln nicht in Panik zu versetzen. Es war ein Balanceakt. Denn im Augenblick brauchten sie sie lebend.
»Wir werden keinen Widerstand leisten«, sagte der Vater. Er stand auf und drehte sich zum Fenster. »Sagen Sie mir wenigstens, worum es geht?«
»Nein.«
»Wir sind eine ganz gewöhnliche Familie.«
Nein, das seid ihr nicht, dachte Fox, denn sonst wären wir nicht hier. Laut sagte er: »Okay, weil es noch früh am Morgen ist, tu ich mal so, als wärst du noch verschlafen und hättest mich deshalb beim ersten Mal nicht verstanden. Ein weiteres Wort, und ich erschieße dich. Ich hätte euch gerne alle drei lebend, aber wenn's sein muss, reichen auch zwei.«
Da merkte der Vater endlich, dass er es mit Profis zu tun hatte, und schwieg.
Fox ließ den Rucksack hinuntergleiten und warf ihn Bull zu, der den Reißverschluss aufzog und Plastikhandschellen und Kabelbinder für die Beine herausnahm. Während Fox ihn absicherte, ging Bull zum Vater, riss ihm grob die Hände auf den Rücken und begann, ihm die Handschellen anzulegen.
Dies war ein gefährlicher Moment. Wenn der Vater irgendetwas versuchen würde, dann jetzt.
»Die Waffe zielt nicht mehr auf deinen Kopf«, sagte Fox und bewegte den Lauf ein Stück nach links, »sondern auf den Kopf deines Sohnes. Merk's dir.«
Der Vater erstarrte, wollte etwas sagen, nickte aber nur.
»Wo ist dein Handy?«
»In meiner Tasche.«
»Danke. Wenn du so nett wärst, es rauszuholen, Bull?«
Bull nickte. Er fesselte die Beine des Vaters und förderte nach einer kurzen Suche ein iPhone 4 zutage, das er Fox reichte.
»Wie lautet die PIN?«
Der Vater nannte sie ihm. Fox steckte das Telefon ein und notierte sich die Ziffern auf dem Unterarm.
»In Ordnung, Kinder. Jetzt ihr. Rüber an die Wand. Neben euren Vater. Wir werden euch ebenfalls fesseln.«
Der Vater zuckte, schien sich umdrehen und etwas sagen zu wollen, war aber klug genug, den Mund zu halten.
Die Zwillinge rührten sich zunächst nicht. Das Mädchen, von dem Fox wusste, dass es India hieß, starrte auf die Tischplatte, als könnte sie so das Grauen ungeschehen machen, während Oliver heftig atmend immer wieder die Fäuste ballte. Schließlich erhob er sich und stellte sich neben seinen Vater, wobei er Fox mit einem trotzigen Blick bedachte. Fox bewunderte seine Tapferkeit. Es gehörte schon etwas dazu, einem Mann, der eine Waffe auf einen richtet, einen herausfordernden Blick zuzuwerfen. Besonders wenn man erst fünfzehn ist. Bei India verhielt es sich anders. Sie blieb wie angewurzelt sitzen, sodass Bull sie auf die Beine stellen und rüber zur Wand stoßen musste.
Als alle drei verschnürt waren und in einer Reihe mit dem Rücken zu Fox an der Wand standen, nahm dieser das iPhone und machte ein Foto. Dann wies er sie an, sich umzudrehen, und schoss noch eins. India hatte Tränen in den Augen, der Vater wirkte ängstlich. Allerdings schien er sich seiner aufrechten Haltung und seinen mahlenden Kiefern nach zu urteilen vor allem um seine Kinder zu sorgen. Oliver starrte noch immer trotzig unter seiner blonden Mähne hervor, als sei er der unbesiegbare Superheld, der, nachdem der Schurke ihn in einem unachtsamen Moment überrumpelt hatte, bereits die Vergeltung plante. Zu spät, mein Kleiner, dachte Fox, du hattest deine Chance.
Dann befahl er ihnen, sich wieder umzudrehen, und als sich alle von ihm abgewandt hatten, reichte er Bull die Pistole.
»Behalt sie im Auge«, sagte er. »Wenn sich einer rührt, schieß ihm ins Bein.«
Fox war klar, dass das nicht nötig sein würde, aber er wollte sie mit seiner Drohung auch nur einschüchtern. Zartgefühl war bei einer Geiselnahme eher fehl am Platz.
Fox zog sich die Motorradhaube vom Kopf, stieg über Magdas Leiche und verließ das Haus durch die Haustür. Zügig legte er die paar Schritte zu ihrem Van zurück.
Die Straße war ruhig. Sie befanden sich in einer wohlhabenden Gegend, deren Einfamilienhäuser man in den Fünfzigern erbaut hatte, als Raumknappheit in den Londoner Vororten noch kein großes Thema war. Fox ging davon aus, dass die meisten Bewohner sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten. Er sah, wie dreißig Meter weiter die Straße hinauf ein übergewichtiger Mann in seinen neuen Lexus stieg. Der Mann bemerkte ihn nicht. Er wirkte müde und gestresst.
Ein fettes Schaf, dachte Fox verächtlich. Das nicht lebte, sondern nur vor sich hin vegetierte, unfähig zu kapieren, was in der Welt außerhalb seiner kleinen Vorstadtidylle geschah. Nun, heute würde es anders sein. Heute würde dieser Mann wie Millionen andere mitkriegen, was vor seiner Haustür passierte, denn die wirkliche Welt würde mit einem Donnerschlag über sie hereinbrechen.
Fox fuhr den Van rückwärts durch das Gartentor und über die Kieszufahrt bis vor die Haustür. Er öffnete die Hecktüren und ging zurück ins Haus.
»Okay, wir machen jetzt eine kleine Spritztour«, verkündete er, als er die Küche betrat. Zufrieden stellte er fest, dass niemand sich gerührt hatte.
»Können Sie uns sagen, wo wir hinfahren?«, fragte der Vater, ohne sich umzudrehen.
»Kann ich leider nicht«, erwiderte Fox. »Aber ich kann euch versichern, dass euer Aufenthalt dort nur zeitweilig sein wird. Heute Abend seid ihr wieder frei, und dann ist das alles nur noch eine ungute Erinnerung.«
Mit diesen Worten zog er einen Elektroschocker aus der Tasche und verpasste dem Vater einen Stromstoß. Der Mann ging krachend zu Boden, und die Kinder sprangen erschreckt zurück.
»Was machen Sie da mit meinem Dad?!«, schrie Oliver.
»Ihn eine Weile ruhigstellen.«
Einer der Schlüssel einer erfolgreichen Geiselnahme ist es, die Geisel sich nie an eine Situation gewöhnen zu lassen, was man am besten dadurch erreicht, dass man sie unablässig aus der Fassung bringt. Was Fox auch tat und Oliver mit der Faust auf die Schläfe schlug.
Der Junge hatte den Schlag nicht erwartet. Er stolperte und wäre fast gefallen, doch Fox packte ihn am Aufschlag seines Schulblazers und zerrte ihn in die Diele, während Oliver darum rang, mit seinen gefesselten Beinen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Gleichzeitig schlang Bull seine massiven Arme um den Hals der inzwischen fast hysterischen India, stieß ihr den Pistolenlauf in den Rücken und schob sie hinter Fox her.
Beim Anblick von Magdas Leiche japste Oliver nach Luft. Ihr Kopf war zur Seite gerollt, ihr Mund leicht geöffnet, ihre Unterlippe und ihre Zunge hingen herunter, als wollte sie eine Grimasse ziehen. Die Augen waren geschlossen, und ihr blondes Haar blutverschmiert.
»Sie ist tot«, sagte er, und zum ersten Mal schien seine Stimme zu brechen.
Ehe er etwas hinzufügen konnte, trat Fox ihm die Beine weg und zwang ihn zu Boden, sodass seine Schultern fast die von Magda berührten. Bull legte India auf die andere Seite der Toten, wobei er ihr die Pistole an die Schläfe hielt, um sie ruhig zu halten. Tatsächlich hörte sie auf zu weinen, wirkte aber vollkommen verstört.
Fox zog erneut das iPhone aus der Tasche und machte zwei weitere Aufnahmen. Dann schaltete er in den Videomodus und filmte, wie Bull den Lauf der Pistole von einem Kopf zum anderen bewegte. Die Botschaft war eindeutig.
Als er genug Material hatte, streifte er den Kindern Kapuzen über und sicherte sie, indem er ihnen einen Streifen Klebeband um den Hals wickelte. Dann führte er sie zum Van, schob sie hinein und zwang sie, sich nebeneinander auf den Boden zu legen. Ehe er die Türen des Vans zuschlug, durchsuchte er ihre Taschen, konnte aber keine weiteren Handys entdecken. Dann fuhr er das iPhone des Vaters herunter. Fox wusste genau, wie einfach Mobiltelefone zu orten waren, und für ihn war entscheidend, dass die Sicherheitsdienste nie erfuhren, wohin er dieses brachte.
Schließlich wandte er sich an Bull. »Du weißt, was du zu tun hast«, sagte er leise. »Es ist Zeit.«
Bull nickte, und die beiden gingen wieder nach drinnen.
Der Vater lag immer noch reglos am Boden; der Stromschlag hatte ihn zeitweilig außer Gefecht gesetzt, aber da er ein massiger Mann war, begann er sich bereits wieder zu erholen. Fox sah zu, wie sich Bull auf die Brust des Mannes setzte, mit den Knien dessen Schultern niederhielt und ihm den Lauf der Pistole gegen die Stirn drückte. Die Augen des Mannes weiteten sich vor Schreck, vergeblich versuchte er den Kopf wegzudrehen, war jedoch weitgehend gelähmt.
Bull sah zu Fox auf, wie ein Hund, der den Befehl seines Herrchens erwartet.
Fox nickte kurz, und Bull drückte ab.
Es hatte nie die Absicht bestanden, den Vater mitzunehmen. Das Risiko, dass er den Helden spielen wollte, war einfach zu groß, zudem waren die Kinder viel wertvoller als er.
»Jetzt bist du einer von uns«, sagte Fox, während Bull langsam aufstand.
Bull lächelte. Er schien geschmeichelt.
Fox nahm ihm die Waffe ab und schob sie sich hinten in die Hose. Auf dem Weg nach draußen sah er auf die Uhr.
07:51.
Vom ersten Klopfen an gemessen, hatte die ganze Angelegenheit nur sechs Minuten gedauert. Exakt nach Plan.
Doch gerade als sie in den Van einsteigen wollten, gab es die erste Komplikation. Eine alte Frau mit einem krausen weißen Haarschopf, der an Harpo Marx erinnerte, führte ein Paar rattenhafte Hündchen aus. Sie hatte die stets argwöhnische Miene einer überwachsamen Nachbarin, und als sie die Einfahrt passierte, verlangsamte sie prompt ihren Schritt und bedachte Fox und Bull mit einem langen Blick, der zum einen besagte »euch Burschen hab ich hier noch nie gesehen« und zweitens »deshalb merk ich mir eure Gesichter genau, nur für den Fall, dass ihr tatsächlich irgendein Ding dreht«.
Sie würde ebenfalls sterben müssen.
Fox besann sich darauf, dass er ein ziemlich gewöhnlich aussehender Mittdreißiger war und deshalb keine Gefahr für eine alte Vorstadtlady darstellte. Er setzte sein bestes Lächeln auf.
»Entschuldigen Sie«, rief er und ging auf sie zu. »Ob Sie uns vielleicht helfen könnten?« Die Waffe ließ er stecken.
Sein Plan war einfach: sie in den Garten hineinziehen, ihr mit einem Ruck das Genick brechen, die Leiche in den Büschen verbergen und sich dann um die fröhlich japsenden Hündchen kümmern.
Die alte Dame blieb stehen, sah aber nicht Fox an, sondern an ihm vorbei zum Van, wo Bull stand. Dies war die Schwachstelle des Plans. Bull. Obwohl Fox sicher war, dass der riesige Kerl sich Mühe gab, nicht verdächtig zu scheinen, würde er wirken, als hätte er mit beiden Händen in den Honigtopf gelangt. Oder schlimmer noch, vielleicht starrte er die alte Hexe auch mit seinem tödlichen Funkeln an.
Trotzdem ging Fox auf sie zu. Um ihren Verdacht zu zerstreuen, redete er einfach weiter.
»Wir sollen hier eine Waschmaschine abliefern, aber offenbar meldet sich keiner ...«
Drei Sekunden noch, dann gehörte sie ihm.
Doch die alte Dame bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Sagte hastig: »Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht helfen«, und bevor Fox nahe genug dran war, um sie zu packen, machte sie auf dem Absatz kehrt und entfernte sich mit schnellen Schritten vom Tor. Und in diesem Augenblick tauchte ein UPS-Transporter auf und bremste ab, um sich durch die auf beiden Straßenseiten parkenden Wagen hindurchzumanövrieren.
Fox fluchte und ging schnell zum Van zurück.
»Du hast sie nicht mit diesem typischen Blick von dir vertrieben?«, sagte er zu Bull, als sie einstiegen.
Bull schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich hab sie überhaupt nicht angeguckt, Fox. Ehrlich, Mann.« Obwohl seine Stimme tief war, schwang ein kindlich quengelnder Ton in ihr mit.
Fox seufzte. Es ergab keinen Sinn mehr, die Sache weiter zu verfolgen. Er ließ den Motor an und fuhr aus der Einfahrt.
Die alte Frau war inzwischen zwanzig Meter entfernt und kehrte ihnen den Rücken zu. Sie hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt, als lauschte sie insgeheim auf mögliche Verfolger. Inzwischen war es fast hell und zu riskant, um noch etwas zu unternehmen, deshalb fuhr Fox in entgegengesetzter Richtung davon. Er hoffte, wenn ihr endlich die Bedeutung dessen, was sie eben gesehen hatte, bewusst würde, wäre es ohnehin zu spät.
Es begann zu regnen, ein kaltes Novembernieseln, das einem direkt in die Knochen fuhr. Fox sah zum bleiernen Himmel hoch und dachte, was für ein schrecklicher Tag.
Und für viele Menschen, nicht zuletzt die im Heck des Vans, würde er bald noch um einiges schrecklicher werden.
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Aus dem Englischen von Gunter Blank
Sie töteten sie sofort, als sie die Haustür öffnete.
Es lief alles glatt. Bull trug eine marineblaue Mütze der Königlichen Post sowie einen Pullover und ein Hemd in der gleichen Farbe. Damit glich er einem gewöhnlichen Postboten, und da er zudem einen mittelgroßen, leeren Karton mit dem Amazon-Logo in den Händen hielt, schöpfte das Mädchen keinen Verdacht.
Fox hielt sich bis dahin außer Sichtweite. Er war ähnlich gekleidet wie Bull und trug einen Rucksack. Außerdem war er mit einer halbautomatischen Pistole mit Schalldämpfer bewaffnet, die er gegen seinen Oberschenkel presste, damit niemand, der zufällig an der Tür vorbeiging, sie sehen konnte. Nicht dass man viel hätte sehen können, denn die hohe Lorbeerhecke versperrte fast vollständig die Sicht. Als das Mädchen aus der Tür trat, hob er die Pistole, und ehe sie von ihm Notiz nehmen konnte, schoss er ihr aus nächster Nähe in die Schläfe. Der Rückschlag war beträchtlich, doch dank des Schalldämpfers gab es nur ein sattes Plopp. Das Mädchen prallte gegen den Türrahmen, von der Schläfe strömte Blut über ihre Wange. Bull ließ den Karton fallen, griff ihr unter die Arme und fing sie auf, als ihre Beine einknickten.
Fox schob sich an ihm vorbei, streifte sich eine schwarze Motorradhaube über den Kopf und rückte, die rauchende Pistole schussbereit, in die mit Krimskrams übersäte Diele vor. Er schlich in den hinteren Teil des Hauses, von wo die typischen Geräusche einer frühstückenden Familie zu ihm drangen. Hinter ihm zerrte Bull das tote Mädchen in die Diele und schloss die Tür.
»Wer ist es, Magda?«, rief eine männliche Stimme aus der Küche.
»Niemand bewegt sich«, sagte Fox und betrat die Wohnküche, als gehörte sie ihm, was in diesem Augenblick wohl auch zutraf.
Ein stattlicher mittelalter Mann saß in Hemd und Krawatte am Tisch und hielt eine Tasse Tee. Ihm gegenüber saßen ein Mädchen und ein Junge in unterschiedlichen Schuluniformen. Die beiden waren Zwillinge, obwohl sie sich nicht besonders ähnlich sahen. Für seine wohl fünfzehn Jahre war der Junge hoch aufgeschossen und besaß schon die breiten Schultern seines Vaters. Sein glänzender Blondschopf machte ihn vollends zum Kandidaten für die nächste Boygroup. Das Mädchen dagegen war klein und mollig und wirkte um einiges jünger. Alle drei schauten schockiert auf Fox.
»Ich fürchte, Magda ist tot«, sagte der und richtete die Waffe auf den Vater. Seine Hand war absolut ruhig. »Und jetzt erwarten wir eure Kooperation, sonst seid ihr ebenfalls tot. Und das heißt, ihr werdet euch mucksmäuschenstill verhalten.«
Niemand bewegte auch nur einen Muskel.
Bull kam nun ebenfalls mit einer Motorradhaube maskiert in die Küche, blieb am Türrahmen stehen und wartete auf Anweisungen. Wie der Name suggerierte, war Bull ein gewaltiger Kerl. Andererseits war er nicht der Hellste und tat, was man ihm sagte, ohne Fragen zu stellen. Zudem schien er weder Mitgefühl noch sonst irgendwelche Gefühle zu hegen. Deshalb hatte man ihn für diesen Job ausgesucht. Fox warf ihm einen Blick zu und bemerkte den dunklen Fleck auf seinem Hemdkragen, wo er etwas von Magdas Blut abbekommen hatte.
»Bitte«, sagte der Vater und suchte Fox' Blick. Um seiner Kinder willen versuchte er leise und beherrscht zu klingen. »Nehmen Sie, was Sie wollen, und gehen Sie. Viel haben wir nicht.«
Fox funkelte ihn an. Der Vater war siebzehn Jahre lang Sergeant bei der Polizei gewesen, ehe man ihn, nachdem er vor drei Jahren im Dienst niedergestochen worden war, in den Ruhestand versetzt hatte. Dennoch hatte er die Fähigkeit, Situationen unter Kontrolle zu bringen, nicht verloren, was ihn zu einem potenziellen Risiko machte. Fox' Finger krümmte sich um den Abzug.
»Noch ein Wort, und ich jage dir eine Kugel in den Bauch. Verstanden? Wenn ja, dann nick mit dem Kopf.«
Der Vater nickte, stellte vorsichtig seine Tasse auf den Tisch und sah seine Kinder beruhigend an.
»Aufstehen, umdrehen, Gesicht an die Wand.«
»Tun Sie meinem Vater nichts«, sagte der Junge, der, wie Fox wusste, Oliver hieß. Er besaß eine tiefe, irritierend selbstsichere Stimme.
»Wenn ihr alle tut, was man euch sagt, wird niemand verletzt.« Fox klang kalt, aber entspannt. Er wusste, wie wichtig es war, zum einen nicht das geringste Anzeichen von Schwäche zu zeigen, zum anderen seine Geiseln nicht in Panik zu versetzen. Es war ein Balanceakt. Denn im Augenblick brauchten sie sie lebend.
»Wir werden keinen Widerstand leisten«, sagte der Vater. Er stand auf und drehte sich zum Fenster. »Sagen Sie mir wenigstens, worum es geht?«
»Nein.«
»Wir sind eine ganz gewöhnliche Familie.«
Nein, das seid ihr nicht, dachte Fox, denn sonst wären wir nicht hier. Laut sagte er: »Okay, weil es noch früh am Morgen ist, tu ich mal so, als wärst du noch verschlafen und hättest mich deshalb beim ersten Mal nicht verstanden. Ein weiteres Wort, und ich erschieße dich. Ich hätte euch gerne alle drei lebend, aber wenn's sein muss, reichen auch zwei.«
Da merkte der Vater endlich, dass er es mit Profis zu tun hatte, und schwieg.
Fox ließ den Rucksack hinuntergleiten und warf ihn Bull zu, der den Reißverschluss aufzog und Plastikhandschellen und Kabelbinder für die Beine herausnahm. Während Fox ihn absicherte, ging Bull zum Vater, riss ihm grob die Hände auf den Rücken und begann, ihm die Handschellen anzulegen.
Dies war ein gefährlicher Moment. Wenn der Vater irgendetwas versuchen würde, dann jetzt.
»Die Waffe zielt nicht mehr auf deinen Kopf«, sagte Fox und bewegte den Lauf ein Stück nach links, »sondern auf den Kopf deines Sohnes. Merk's dir.«
Der Vater erstarrte, wollte etwas sagen, nickte aber nur.
»Wo ist dein Handy?«
»In meiner Tasche.«
»Danke. Wenn du so nett wärst, es rauszuholen, Bull?«
Bull nickte. Er fesselte die Beine des Vaters und förderte nach einer kurzen Suche ein iPhone 4 zutage, das er Fox reichte.
»Wie lautet die PIN?«
Der Vater nannte sie ihm. Fox steckte das Telefon ein und notierte sich die Ziffern auf dem Unterarm.
»In Ordnung, Kinder. Jetzt ihr. Rüber an die Wand. Neben euren Vater. Wir werden euch ebenfalls fesseln.«
Der Vater zuckte, schien sich umdrehen und etwas sagen zu wollen, war aber klug genug, den Mund zu halten.
Die Zwillinge rührten sich zunächst nicht. Das Mädchen, von dem Fox wusste, dass es India hieß, starrte auf die Tischplatte, als könnte sie so das Grauen ungeschehen machen, während Oliver heftig atmend immer wieder die Fäuste ballte. Schließlich erhob er sich und stellte sich neben seinen Vater, wobei er Fox mit einem trotzigen Blick bedachte. Fox bewunderte seine Tapferkeit. Es gehörte schon etwas dazu, einem Mann, der eine Waffe auf einen richtet, einen herausfordernden Blick zuzuwerfen. Besonders wenn man erst fünfzehn ist. Bei India verhielt es sich anders. Sie blieb wie angewurzelt sitzen, sodass Bull sie auf die Beine stellen und rüber zur Wand stoßen musste.
Als alle drei verschnürt waren und in einer Reihe mit dem Rücken zu Fox an der Wand standen, nahm dieser das iPhone und machte ein Foto. Dann wies er sie an, sich umzudrehen, und schoss noch eins. India hatte Tränen in den Augen, der Vater wirkte ängstlich. Allerdings schien er sich seiner aufrechten Haltung und seinen mahlenden Kiefern nach zu urteilen vor allem um seine Kinder zu sorgen. Oliver starrte noch immer trotzig unter seiner blonden Mähne hervor, als sei er der unbesiegbare Superheld, der, nachdem der Schurke ihn in einem unachtsamen Moment überrumpelt hatte, bereits die Vergeltung plante. Zu spät, mein Kleiner, dachte Fox, du hattest deine Chance.
Dann befahl er ihnen, sich wieder umzudrehen, und als sich alle von ihm abgewandt hatten, reichte er Bull die Pistole.
»Behalt sie im Auge«, sagte er. »Wenn sich einer rührt, schieß ihm ins Bein.«
Fox war klar, dass das nicht nötig sein würde, aber er wollte sie mit seiner Drohung auch nur einschüchtern. Zartgefühl war bei einer Geiselnahme eher fehl am Platz.
Fox zog sich die Motorradhaube vom Kopf, stieg über Magdas Leiche und verließ das Haus durch die Haustür. Zügig legte er die paar Schritte zu ihrem Van zurück.
Die Straße war ruhig. Sie befanden sich in einer wohlhabenden Gegend, deren Einfamilienhäuser man in den Fünfzigern erbaut hatte, als Raumknappheit in den Londoner Vororten noch kein großes Thema war. Fox ging davon aus, dass die meisten Bewohner sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmerten. Er sah, wie dreißig Meter weiter die Straße hinauf ein übergewichtiger Mann in seinen neuen Lexus stieg. Der Mann bemerkte ihn nicht. Er wirkte müde und gestresst.
Ein fettes Schaf, dachte Fox verächtlich. Das nicht lebte, sondern nur vor sich hin vegetierte, unfähig zu kapieren, was in der Welt außerhalb seiner kleinen Vorstadtidylle geschah. Nun, heute würde es anders sein. Heute würde dieser Mann wie Millionen andere mitkriegen, was vor seiner Haustür passierte, denn die wirkliche Welt würde mit einem Donnerschlag über sie hereinbrechen.
Fox fuhr den Van rückwärts durch das Gartentor und über die Kieszufahrt bis vor die Haustür. Er öffnete die Hecktüren und ging zurück ins Haus.
»Okay, wir machen jetzt eine kleine Spritztour«, verkündete er, als er die Küche betrat. Zufrieden stellte er fest, dass niemand sich gerührt hatte.
»Können Sie uns sagen, wo wir hinfahren?«, fragte der Vater, ohne sich umzudrehen.
»Kann ich leider nicht«, erwiderte Fox. »Aber ich kann euch versichern, dass euer Aufenthalt dort nur zeitweilig sein wird. Heute Abend seid ihr wieder frei, und dann ist das alles nur noch eine ungute Erinnerung.«
Mit diesen Worten zog er einen Elektroschocker aus der Tasche und verpasste dem Vater einen Stromstoß. Der Mann ging krachend zu Boden, und die Kinder sprangen erschreckt zurück.
»Was machen Sie da mit meinem Dad?!«, schrie Oliver.
»Ihn eine Weile ruhigstellen.«
Einer der Schlüssel einer erfolgreichen Geiselnahme ist es, die Geisel sich nie an eine Situation gewöhnen zu lassen, was man am besten dadurch erreicht, dass man sie unablässig aus der Fassung bringt. Was Fox auch tat und Oliver mit der Faust auf die Schläfe schlug.
Der Junge hatte den Schlag nicht erwartet. Er stolperte und wäre fast gefallen, doch Fox packte ihn am Aufschlag seines Schulblazers und zerrte ihn in die Diele, während Oliver darum rang, mit seinen gefesselten Beinen nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Gleichzeitig schlang Bull seine massiven Arme um den Hals der inzwischen fast hysterischen India, stieß ihr den Pistolenlauf in den Rücken und schob sie hinter Fox her.
Beim Anblick von Magdas Leiche japste Oliver nach Luft. Ihr Kopf war zur Seite gerollt, ihr Mund leicht geöffnet, ihre Unterlippe und ihre Zunge hingen herunter, als wollte sie eine Grimasse ziehen. Die Augen waren geschlossen, und ihr blondes Haar blutverschmiert.
»Sie ist tot«, sagte er, und zum ersten Mal schien seine Stimme zu brechen.
Ehe er etwas hinzufügen konnte, trat Fox ihm die Beine weg und zwang ihn zu Boden, sodass seine Schultern fast die von Magda berührten. Bull legte India auf die andere Seite der Toten, wobei er ihr die Pistole an die Schläfe hielt, um sie ruhig zu halten. Tatsächlich hörte sie auf zu weinen, wirkte aber vollkommen verstört.
Fox zog erneut das iPhone aus der Tasche und machte zwei weitere Aufnahmen. Dann schaltete er in den Videomodus und filmte, wie Bull den Lauf der Pistole von einem Kopf zum anderen bewegte. Die Botschaft war eindeutig.
Als er genug Material hatte, streifte er den Kindern Kapuzen über und sicherte sie, indem er ihnen einen Streifen Klebeband um den Hals wickelte. Dann führte er sie zum Van, schob sie hinein und zwang sie, sich nebeneinander auf den Boden zu legen. Ehe er die Türen des Vans zuschlug, durchsuchte er ihre Taschen, konnte aber keine weiteren Handys entdecken. Dann fuhr er das iPhone des Vaters herunter. Fox wusste genau, wie einfach Mobiltelefone zu orten waren, und für ihn war entscheidend, dass die Sicherheitsdienste nie erfuhren, wohin er dieses brachte.
Schließlich wandte er sich an Bull. »Du weißt, was du zu tun hast«, sagte er leise. »Es ist Zeit.«
Bull nickte, und die beiden gingen wieder nach drinnen.
Der Vater lag immer noch reglos am Boden; der Stromschlag hatte ihn zeitweilig außer Gefecht gesetzt, aber da er ein massiger Mann war, begann er sich bereits wieder zu erholen. Fox sah zu, wie sich Bull auf die Brust des Mannes setzte, mit den Knien dessen Schultern niederhielt und ihm den Lauf der Pistole gegen die Stirn drückte. Die Augen des Mannes weiteten sich vor Schreck, vergeblich versuchte er den Kopf wegzudrehen, war jedoch weitgehend gelähmt.
Bull sah zu Fox auf, wie ein Hund, der den Befehl seines Herrchens erwartet.
Fox nickte kurz, und Bull drückte ab.
Es hatte nie die Absicht bestanden, den Vater mitzunehmen. Das Risiko, dass er den Helden spielen wollte, war einfach zu groß, zudem waren die Kinder viel wertvoller als er.
»Jetzt bist du einer von uns«, sagte Fox, während Bull langsam aufstand.
Bull lächelte. Er schien geschmeichelt.
Fox nahm ihm die Waffe ab und schob sie sich hinten in die Hose. Auf dem Weg nach draußen sah er auf die Uhr.
07:51.
Vom ersten Klopfen an gemessen, hatte die ganze Angelegenheit nur sechs Minuten gedauert. Exakt nach Plan.
Doch gerade als sie in den Van einsteigen wollten, gab es die erste Komplikation. Eine alte Frau mit einem krausen weißen Haarschopf, der an Harpo Marx erinnerte, führte ein Paar rattenhafte Hündchen aus. Sie hatte die stets argwöhnische Miene einer überwachsamen Nachbarin, und als sie die Einfahrt passierte, verlangsamte sie prompt ihren Schritt und bedachte Fox und Bull mit einem langen Blick, der zum einen besagte »euch Burschen hab ich hier noch nie gesehen« und zweitens »deshalb merk ich mir eure Gesichter genau, nur für den Fall, dass ihr tatsächlich irgendein Ding dreht«.
Sie würde ebenfalls sterben müssen.
Fox besann sich darauf, dass er ein ziemlich gewöhnlich aussehender Mittdreißiger war und deshalb keine Gefahr für eine alte Vorstadtlady darstellte. Er setzte sein bestes Lächeln auf.
»Entschuldigen Sie«, rief er und ging auf sie zu. »Ob Sie uns vielleicht helfen könnten?« Die Waffe ließ er stecken.
Sein Plan war einfach: sie in den Garten hineinziehen, ihr mit einem Ruck das Genick brechen, die Leiche in den Büschen verbergen und sich dann um die fröhlich japsenden Hündchen kümmern.
Die alte Dame blieb stehen, sah aber nicht Fox an, sondern an ihm vorbei zum Van, wo Bull stand. Dies war die Schwachstelle des Plans. Bull. Obwohl Fox sicher war, dass der riesige Kerl sich Mühe gab, nicht verdächtig zu scheinen, würde er wirken, als hätte er mit beiden Händen in den Honigtopf gelangt. Oder schlimmer noch, vielleicht starrte er die alte Hexe auch mit seinem tödlichen Funkeln an.
Trotzdem ging Fox auf sie zu. Um ihren Verdacht zu zerstreuen, redete er einfach weiter.
»Wir sollen hier eine Waschmaschine abliefern, aber offenbar meldet sich keiner ...«
Drei Sekunden noch, dann gehörte sie ihm.
Doch die alte Dame bekam es plötzlich mit der Angst zu tun. Sagte hastig: »Tut mir leid, ich kann Ihnen nicht helfen«, und bevor Fox nahe genug dran war, um sie zu packen, machte sie auf dem Absatz kehrt und entfernte sich mit schnellen Schritten vom Tor. Und in diesem Augenblick tauchte ein UPS-Transporter auf und bremste ab, um sich durch die auf beiden Straßenseiten parkenden Wagen hindurchzumanövrieren.
Fox fluchte und ging schnell zum Van zurück.
»Du hast sie nicht mit diesem typischen Blick von dir vertrieben?«, sagte er zu Bull, als sie einstiegen.
Bull schüttelte abwehrend den Kopf. »Ich hab sie überhaupt nicht angeguckt, Fox. Ehrlich, Mann.« Obwohl seine Stimme tief war, schwang ein kindlich quengelnder Ton in ihr mit.
Fox seufzte. Es ergab keinen Sinn mehr, die Sache weiter zu verfolgen. Er ließ den Motor an und fuhr aus der Einfahrt.
Die alte Frau war inzwischen zwanzig Meter entfernt und kehrte ihnen den Rücken zu. Sie hatte den Kopf leicht zur Seite geneigt, als lauschte sie insgeheim auf mögliche Verfolger. Inzwischen war es fast hell und zu riskant, um noch etwas zu unternehmen, deshalb fuhr Fox in entgegengesetzter Richtung davon. Er hoffte, wenn ihr endlich die Bedeutung dessen, was sie eben gesehen hatte, bewusst würde, wäre es ohnehin zu spät.
Es begann zu regnen, ein kaltes Novembernieseln, das einem direkt in die Knochen fuhr. Fox sah zum bleiernen Himmel hoch und dachte, was für ein schrecklicher Tag.
Und für viele Menschen, nicht zuletzt die im Heck des Vans, würde er bald noch um einiges schrecklicher werden.
Copyright © 2012 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Aus dem Englischen von Gunter Blank
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Autoren-Porträt von Simon Kernick
Simon Kernick, 1966 geboren, lebt in der Nähe von London und hat zwei Kinder. Die Authentizität seiner Romane ist seiner intensiven Recherche zu verdanken. Im Laufe der Jahre hat er eine außergewöhnlich lange Liste von Kontakten zur Polizei aufgebaut. Sie umfasst erfahrene Beamte der Special Branch, der National Crime Squad (heute SOCA) und der Anti-Terror-Abteilung. Mit Gnadenlos (Relentless) gelang ihm international der Durchbruch, mittlerweile zählt er in Großbritannien zu den erfolgreichsten Thrillerautoren und wurde für mehrere Awards nominiert. Seine Bücher sind in dreizehn Sprachen erschienen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Simon Kernick
- 2012, Deutsche Erstausgabe, 495 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Blank, Gunter
- Übersetzer: Gunter Blank
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453437071
- ISBN-13: 9783453437074
- Erscheinungsdatum: 05.10.2012
Rezension zu „Das Ultimatum “
"Fünf Stunden Hochspannung garantiert. Kernicks Thriller gehören zu den Besten."
Pressezitat
"Verdammt gut." Lea
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