Das unbesetzte Gebiet. Im schwarzen Berg
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Das unbesetzte Gebiet von Volker Braun
LESEPROBE
Das Naturtheater von Schwarzenberg. In derzweiten Nacht hatten sie spitzbekommen, daß sich die Kreisleitungverdünnisierte. Sie sollte sich in der Naturbühne eingenistet haben. Korb Paulstellte seine Truppe zusammen für einen großen Auftritt; die Requisiten aufdem Wagen, mit dem sie den Berg hochkachelten. Der Schuster Stocklöw war mitaufgesprungen, weil Blechschmidt bei der Bahn, weil se nicht kam, nich abkömmlichwar. Es wär keine Kunst, behauptete Korb, die Hunde festzunehmen: das Spiel seiaus. Das Theater lag in einem aufgelassenen Steinbruch. Korb ließ die Eingängebesetzen und stürmte mit den andern hinein und, das war nun seine Vorstellung,ballerte in den Saal. Ein ungeheurer Hall, aber niemandzeigte sich, die Nazis hatten Lunte gerochen. Man kannte die Komödianten, siewürden sich feige versteckt haben und aus dem Hinterhalt starren. Stocklöw sahsich ängstlich um. Das Areal glich einer Festung, mit den Bruchsteinmauern undLaufgräben, zwei mannshohen Türmchen mit Sehschlitzen für den Souffleur oder Scharfschützen.An zwei Seiten stieg die Felsenwand auf, an der Sträucher hafteten und kleineStege, über die man entkommen konnte. Unter den Füßen Bohlen, da wars hohl.Waren sie in die Falle gegangen? Da entdeckte Stocklöw ein Grüppchen, das sichhinten an die Kulisse drängte, einer im weißen Kleid mit goldenen Streifen undzwei oder drei wie Landsknechte verkleidet. Als Korb, die Pistole schwenkend,hinlief und sie greifen wollte, waren es lauter Kostüme, am Geländer aufgehängt.Er sah bedeppert drein und stotterte: Die wolln uns foppen. Es lagen auchTheaterzettel herum, von einer KOMÖDIE DER IRRUNGEN, und ein Plakat schwammdirekt im Wege: WALLENSTEINS LAGER. Ja, so sahs aus! aufgebrocheneKisten, Reste von Proviant, Benzinfässer, Unrat. Stocklöw Amand stand verlorenauf der Bühne und hatte kein Textbuch zur Hand. Sie waren Dilettanten, zumGlück vor keem Publikum, und kein Applaus war zu ernten. Doch es würde kommen,das gebildete Tum, das zuschauen und absahnen wollte. Korb würde es nichbeeindrucken mit sein Platzpatronen, aber es würde nicht von den Plätzenweichen. Der konnte nur Räuber und Gendarm. - Dann sah er Löffler Kurt, miteiner weißen Perücke betan, und Korb Paul hatte eine Krone ergriffen.Stocklöw schüttelte den Kopf, aber ein Lachen überkam ihn und kitzelte ihn. Siehatten die Rollen besetzt, sie waren die Könige, Herrn, jetzt konnten sie spielen.Sie waren die Darsteller hier. Und er fühlte einen Moment die Verlockung, dieFreiheit, die Pflicht, es allen zu zeigen, und recht zu machen und sie zu ergötzen,mit einer Aufführung, die man nie sah, und von der man erzählen würde hinterden Bergen und Wäldern.
Unterdessen übte sich die Masse in ihrem Fach: zu warten. Das hattesie gelernt, und unterhielt sie, und machte nichtsdestoweniger Mühe. Siewartete auf die Besetzung. Es war kein frohes, es war einbanges Harren, auf ein unausweichliches, hartes Ereignis, den schrecklichenSchluß; nur unbegreiflich, daß es nicht eintrat. Hatte man sie vergessen? DieAmerikaner waren nach Aue, nach Schneeberg hineingefahren, aber wieder aus demBlickfeld verschwunden. Die Russen hielten in Annaberg an, und höchstens bisSchlettau zogen die Postenketten. Zu ihnen kamen sie nicht. Der große Heerwurmwar vor dem Erzgebirge in Schlaf gefallen in seinem Schuppenpanzer aus Shermansund T 34. Den letzten steinigen Brocken verschmähte er. Was sollte jetzt wern?Man gehörte zu garniemandem. Fleischer Körner machte das letzte Hackfleisch undsah dem Nichts entgegen. - Er war auch ganz schlapp. Er war so langemitgeloofen, nun waren die Beine müde. Man war halt ähmd wie gelähmt. Unddie ganz Gewaltigen hatten garnichte mehr zu melden. Da waren aber ein paarVerrecker, die nicht warten wollten. Das waren Leute, die sich off eemalwichtig nahmen. Die standen auf der Straße, Morgenluft wittern. Kommunisten,die konnten nischt. Mit denen legte man sich nicht an. Er hatte ja nichtsdagegen, daß wer in die Bresche sprang. Da hat man das erstemal hingenommen.Die konnten nicht warten; aber waren nicht vom Fach.
Korbs Kommando war unverrichteter Dinge aus dem Deatergekommen und griff nun Nebenpersonen und stadtbekannte Statisten auf. Siewurden in den Turm gebracht. Einige von der alten Polizei, die sich in dem Gemäuerauskannten, waren den Hilfspolizisten zu Diensten (Klinghammer konnte sehrgut verhören). SA-Sturmführer Nestler, Körners Schwiegersohn, fragteIrmisch: Was macht ihr denn nu mit uns? - Irmisch:
Wir machen es nich wie ihr. Wir machen uns die Finger nichtdreckich. - Wie hätten sie es auch anfangen sollen? Sie konnten sie nichtsalzen und fressen. - In den umliegenden Orten hatte man auch mobilgemacht,jedoch als es ernst wurde, hat dann oft der Mut gefehlt. Die Raschauerhatten vor, das Wehrertüchtigungslager, in Gottesgeschick! aufzulösen, wo die Vierzehn-und Fünfzehnjährigen noch gedrillt wurden, aber der Bürgermeister Gärtnerhatte sich außerstande gesehn ohne vorgesetzte Befehle, und als sie die Bevölkerungvors Rathaus bestellten, um ihm seine Ablösung vorzusingen, war keinererschienen und Gärtner wollte erst seine Pensionsansprüche geregelt wissen, undals Zellwege und Bach zum Landrat Hänichen gegangen waren und Max Webergetroffen hatten, hatte der versprochen mitzugehen, war aber unterwegs wiederausgekniffen usw. In Grünhain der hatte sich, vor der Verhaftung, die Pulsadernaufgeschnitten. - Jeder Ort, sah man also, war seine eigene Republik, diekeine Gremien außerhalb über sich wußte; aber innerhalb, hörte man, war keinHerauskommen. Die ganze Amtshauptmannschaft war an den Grenzen hermetischabgeriegelt. Nur wo die Grenzen nun waren, war nicht bekannt, weil kein Durchkommenwar bei Lebensgefahr. Sie waren schon im letzten Kriegsjahr so ein ausgespartesStück Deutschland gewesen; jetzt war Schwarzenberg ein zugebundener Sack. Indem aber, nur in der Stadt, dreitausend Verschleppte steckten, tausendVerwundete in den Schulen, und zigtausende Flüchtlinge, wie sollte man dieversorgen? Das war nich meechlich.
© Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 2004
- Autor: Volker Braun
- 2004, 125 Seiten, Maße: 12,5 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Suhrkamp
- ISBN-10: 3518416340
- ISBN-13: 9783518416341
- Erscheinungsdatum: 12.07.2004
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