Der dunkle Pfad
Roman. Deutsche Erstausgabe
Die neue SF-Action-Serie geht weiter: Seit Jahrzehnten führen die Menschen Krieg gegen die außerirdischen Zor, die sich von keinem militärischen Rückschlag abschrecken lassen und sich immer wieder verzweifelt in den Kampf werfen. Doch in dem Moment, in dem...
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Produktinformationen zu „Der dunkle Pfad “
Die neue SF-Action-Serie geht weiter: Seit Jahrzehnten führen die Menschen Krieg gegen die außerirdischen Zor, die sich von keinem militärischen Rückschlag abschrecken lassen und sich immer wieder verzweifelt in den Kampf werfen. Doch in dem Moment, in dem die Oberbefehlshaber der Erde die totale Vernichtung der Zor beschließen, finden sich in der Mythologie der Außerirdischen Hinweise, die weit in die Vergangenheit reichen und eine erschreckende Wahrheit offenbaren ...
Lese-Probe zu „Der dunkle Pfad “
In seinem Traum sah er eine übel zugerichtete Landschaft, die gleich hinter dem Hügelkamm die Narben einer Schlacht trug. Eine Rauchwolke zog nahe der Stelle vorbei, an der er sich zusammengekauert hatte. Er konnte die Schreie der Verwundeten hören und den Gestank des Krieges riechen - Blut, Feuer und Tod.Er betrachtete sich selbst, musterte das antike zeremonielle Schwert, das in einer Scheide an seinem Gürtel steckte. Seine Beine waren jung und stark, nicht alt und verkümmert. Dieser Anblick unterstrich den Traumzustand und machte ihn nur noch greifbarer. Doch dieses Gefühl! Er hatte vergessen, wie es war, jung zu sein.
Die Begeisterung, die diese Wahrnehmung auslöste, schwand gleich wieder, als ihm im Traum bewusst wurde, wohin sein hsi gebracht worden war.
Dies ist die Ebene der Schmach, sagte er sich, während eine Explosion den Wall erschütterte.
Die Ebene der Schmach - der Ort, an den sich der Held Qu'u begeben hatte, um an das gyaryu zu gelangen, das er nun trug, um sich anGa'e'ren zu stellen und das Klagelied vom Gipfel anzustimmen. Seine Vertrautheit mit der Legende und sein Wissen um die symbolische Bedeutung dieses geistigen Konstrukts ließen ihn schaudern.
Er zwang sich, am Hang entlangzueilen und den Kopf gesenkt zu halten. Ob Traumkonstrukt oder nicht, Tatsache war, dass seine Beine ihn trugen. Doch nachdem er so lange Zeit nicht zu solchen Bewegungen fähig gewesen war, stellte es für ihn eine ungewohnte und fast schon fremdartige Tätigkeit dar.
Er erreichte das Ende des flachen Kamms, der in eine weite Ebene mit hohen, aufrecht stehenden Findlingen überging. Dahinter schien sich ein breites Tal zu öffnen. Erhellt wurde diese Szene nur durch unheimlich wirkende Lichtblitze - oder handelte es sich dabei womöglich um Artilleriefeuer?
Jenseits des Tals konnte er eine riesige schwarzblaue Wand ausmachen, die sich zu beiden Seiten und nach oben so weit erstreckte, wie er sehen konnte. Unter Aufbietung all seiner Willenskraft gelang es
... mehr
ihm, den Blick nach oben zu richten, bis er den Kopf in den Nacken legen musste. In einer unglaublichen Höhe konnte er eine Art Festung erkennen, ein ausladendes Bauwerk mit Türmen und Nebengebäuden.
Die Eiswand: die Feste der Schmach.
Wenigstens konnte er überhaupt nach oben sehen. Nur Helden waren in der Lage, auf der Ebene der Schmach den Kopf zu heben.
Deine Phantasie wird dich noch umbringen, alter Mann, sagte er sich, doch es schien ihn nicht zu beruhigen. Dieser Traum entsprang nicht seiner eigenen Phantasie. Nicht einmal er wäre in der Lage gewesen, sich die Ebene der Schmach, die Eiswand und die Feste vorzustellen, zumindest nicht so detailliert.
Es war das Schwert, das sein hsi herschickte. Du hast es angenommen, hielt er sich vor Augen.
Es war ein shNa'es'ri, auch wenn das unvermeidbar schien.
Sechzig Jahre zuvor war ihm das gyaryu, das Reichsschwert der Zor, vom Hohen Lord angeboten worden. Er hatte es damals so angenommen wie der Admiral vor ihm. Ihm war bewusst gewesen, was er da tat und welche Konsequenzen es nach sich zog - so wie er auch wusste, was dies hier bedeutete.
Behutsam bahnte er sich seinen Weg zwischen den Findlingen hindurch, während er das gyaryu vor sich hielt. In seinen Händen fühlte es sich an, als sei es lebendig, als würde es den Ort anknurren, den es selbst gefunden hatte. Das Tal, in das er sich begab, war in Nebel gehüllt. Es war ein L'le, auch wenn es großflächiger war, einer menschlichen Siedlung ähnlicher als einer der Zor. Leute bewegten sich dort zu Fuß fort oder flogen umher, doch keiner von ihnen nahm seine Anwesenheit zur Kenntnis. Als er näher kam, schien sich manche Flügelhaltung zu verändern, als nehme sie eine längst vergessene Stellung ein, die Ehrerbietung oder Respekt bedeutete. In den meisten Fällen vermittelte die Haltung jedoch nichts weiter als Hoffnungslosigkeit.
Je näher er dem Zentrum des L'le kam, umso weniger aktive Zor sah er. In immer größerer Zahl waren sie in einer bestimmten Position erstarrt - wie Statuen oder groteske Schachfiguren, die man einfach an beliebigen Stellen platziert hatte.
Das Tal der verlorenen Seelen, dachte er.
Am anderen Ende des Tals endete die Siedlung genau an der dunklen, glatten Oberfläche der Eiswand. Inzwischen konnte er auch die Gefahrvolle Stiege erkennen, jenen Kletter-/Flugpfad nach oben, der letztlich zur Feste führte. Am Fuß der Stiege stand ein Zor, den Blick abgewandt, die Flügel in respektvoller Haltung.
Als er sich dem Zor näherte, drehte der sich um. Er stutzte, als er den menschlichen Kopf auf dem Zor-Leib sah.
"Marc?"
"Es ist schon lange her, Sergei", sagte der Marc HudsonZor und setzte jenes markante schiefe Grinsen auf, an das Sergei sich erinnerte. "Sie sehen gut aus."
"Sie auch, und erst recht für jemanden, der schon so lange tot ist wie Sie."
"Wie lange ist es jetzt her?"
"Dreißig Jahre", antwortete Sergei und wandte den Blick ab. "Ich hielt eine Rede bei Ihrer Beerdigung. Sie haben die meisten von uns überlebt - Bert, Uwe, sogar Alyne."
"Alyne." Ein Anflug von Zuneigung huschte durch die Flügel des Hudson-Zor. Sergei bekam eine Gänsehaut, als er hörte, wie Marc den Namen seiner verstorbenen Frau aussprach.
"Wieso bin ich hier, Marc?"
"Das ist esLis Wille. Oder möchten Sie die wahre Antwort hören?" Wieder lächelte der Hudson-Zor.
"Die wahre Antwort."
"Die wahre Antwort lautet: Das Vorhergesehene wird nun beginnen. Der Flug wurde gewählt, die Entscheidung ist gefallen."
"Muss ich dort hinauf?", fragte Sergei und deutete auf die Gefahrvolle Stiege hinter dem Hudson-Zor.
"Das steht einem anderen bevor", erwiderte der. "Es ist ein shNa'es'ri für diese Person, nicht für Sie."
"Was will esLi dann von mir?"
"Was glauben Sie denn?"
"Ich glaube ... dass die Last des Schwerts groß ist. Ich trage es, seit der Admiral starb. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese aLi'e'er'e vollbringen kann, mein alter Freund. Ich habe den Flug gewählt, doch weiß ich nicht, ob meine Flügel mich auf diesem Weg tragen können."
"Sie haben Sie bis hierher getragen", gab der Hudson-Zor zu bedenken.
Sergei folgte der Geste seines Gegenübers und sah seine eigenen Flügel, wie sie die Pose des Umhüllenden Schutzes für esLi einnahmen.
"enGa'e'esLi", sagte Sergei zu sich, vielleicht aber auch zum Hudson-Zor, und benannte damit die Flügelhaltung.
"esLiHeYar, alter Freund", gab der Hudson-Zor zurück, dann schob sich der schillernden Nebel des Tals der verlorenen Seelen zwischen die beiden, verdeckte die Eiswand, die Gefahrvolle Stiege und schließlich auch den Hudson-Zor.
Der Captain der Cincinnatus, eines Schiffs Seiner Imperialen Majestät, hatte sich nach der Begrüßung seiner erlesenen Passagiere aus Takt und Höflichkeit zurückgezogen, damit Sergei Torrijos, der Gyaryu'har des Hohen Nestes, und Admiral Horace Tolliver von der Imperialen Navy in Ruhe in der Messe des Captains ihr Frühstück zu sich nehmen konnten.
Sergei schälte sorgfältig eine Orange, während Horace Tolliver das Essen auf seinem Teller hin und her schob.
"Wieder eine schlaflose Nacht?", fragte Sergei.
Tolliver rieb sich den Nacken. "Ich werde es nie begreifen, wie man an Bord dieser Schiffe auch nur ein Auge zumachen kann. Daran kann ich mich einfach nicht gewöhnen." Mit militärischer Präzision legte er seine Gabel zurück auf den Tisch. "Was ist mit Ihnen? Sie sind doch weit weg von Ihrem Garten in esYen."
"Geschlafen wie ein Murmeltier", antwortete Sergei, obwohl die Bilder von der Ebene der Schmach sich immer noch in seinem Kopf hielten. "Es wurde Zeit, dass Sie aufwachen."
"Mir war nicht bewusst, dass Sie sich für meinen Schlafrhythmus interessieren, zumal Sie sich bislang alle Mühe gegeben haben, mir aus dem Weg zu gehen."
Der ältere Mann rollte seinen Stuhl zu einem Beistelltisch und drehte sich um. Sein faltiges Gesicht ließ erkennen, dass er sich amüsierte. "Keineswegs, Horace, keineswegs. Seit ich an Bord kam, war ich darauf aus, Sie in die Ecke zu treiben, aber man hat mich die ganze Zeit über auf Trab gehalten."
"Na gut." Horace Tolliver stand auf und stellte sich vor einen Spiegel, um den Sitz seiner Uniform zu korrigieren. "Was verschafft mir die Ehre, vom Gyaryu'har besucht zu werden?"
"Neugier. Und Freundschaft. Sie wissen schon ... sich gegenseitig die Hand zu reichen und so weiter. Vergessen Sie nicht, dass ich selbst auch mal Offizier der Navy Seiner Majestät war ... auch wenn es lange her ist."
"Sehr lange. Vor fünfundachtzig Jahren war es eine ganz andere Navy."
Der alte Mann sah auf; der Schmerz der Erinnerung zeigte sich in seinem Gesicht. "So lange ist es schon her? Fünfundachtzig Jahre? Da waren Sie noch nicht mal auf der Welt."
"Sie schweifen ab." Horace wirkte verwirrt, als er sich vom Spiegel abwandte und wieder Platz nahm. "Also gut, dann verraten Sie mir, wie ich Ihnen bei Ihrem Problem helfen kann."
"Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass es einen wirklich gewichtigen Grund geben muss, wenn Seine Majestät Sie persönlich losschickt, um eine Flottenbasis in der Grenzregion zu inspizieren? Vor allem, wenn Sie dabei auch noch von einem offiziellen" - er tippte auf das Schwert, das quer auf seinem Schoß lag - "Vertreter des Hohen Nestes begleitet werden?"
"Cicero ist keine beliebige 'Flottenbasis in der Grenzregion', sondern die größte und zugleich wichtigste Basis an der Grenze des Sol-Imperiums."
"Es ändert nichts daran, dass sie an der Grenze liegt, und zwar unmittelbar am Rand eines - mutmaßlich - unbewohnten Territoriums."
"'Mutmaßlich'?"
"Sie müssen mir gegenüber nicht den Ahnungslosen spielen. Ich kenne die Berichte über das Verschwinden der Negri
Sembilan und der Gustaf Adolf II."
"Die unterliegen der höchsten Geheimhaltungsstufe ..."
"Vergessen Sie nicht, dass Ihre und meine Regierung Verbündete sind. Ein Vertreter des Hohen Nestes - und besonders der Gyaryu'har - hat Zugriff auf solche Dokumente. Unter normalen Umständen, Horace, würden wir sagen, dass es sich bei der Bedrohung allenfalls um Piraten handeln dürfte, die irgendwo außerhalb des Imperiums ihr Unwesen treiben. Ich bin davon überzeugt, dass die Befehlshaberin von Cicero - Laperriere heißt sie, wenn ich nicht irre - fähig genug sein dürfte, um die Umgebung zu durchkämmen, die Piraten zu finden und sie aus dem Verkehr zu ziehen. Warum werden dann hochrangige Offiziere losgeschickt, um eine Inspektion vorzunehmen? Sollen wir nachsehen, ob sie ihre Arbeit richtig macht?"
Horace verschränkte die Arme vor der Brust.
"Es ist ganz einfach, Horace. Die Admiralität vermutet, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Darum hat man Sie von Ihrem Schreibtisch und mich aus meinem Garten abgezogen, um der Sache auf den Grund zu gehen."
"Ich verstehe. Und warum wurde ich darüber nicht informiert?"
"Sie werden ja in diesem Moment darüber informiert, Horace. Diese Ausführungen dienen dem Zweck, Sie auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Taten sprechen oft eine deutlichere Sprache als Worte, vor allem in diesem Fall."
"Geschwätz." Es tat dem Admiral gut, einem Mann von Sergeis Alter auf den Kopf zuzusagen, dass er "Geschwätz" von sich gab. Einen Moment lang genoss er das gute Gefühl, erst dann fuhr er fort: "Die Admiralität erwartet einen Bericht über den Verbleib der beiden Schiffe. Und den wird sie bekommen, weil ich beabsichtige, sie zu finden."
"Sie ... wie bitte?"
"Ich werde nicht einfach dasitzen und abwarten, bis die Schiffe von selbst auftauchen. Das ist der Grund, weshalb die Admiralität einen Flaggadmiral nach Cicero schickt."
"Sie sind ein Stabsoffizier, Horace, kein ..."
"Ich bin Admiral der Flotte Seiner Majestät, wie Sie sicher wissen dürften. Ich habe ein Offizierspatent und Erfahrung im aktiven Dienst. Wenn die Befehlshaberin von Cicero ihr Fach versteht, wird mein Einschreiten nicht notwendig sein. Wenn sie Angst hat, Maßnahmen zu ergreifen ..."
"Das", unterbrach ihn der alte Mann, "ist so ziemlich das Dümmste, was Sie in meiner Gegenwart von sich gegeben haben - besser gesagt: was Sie jemals von sich gegeben haben. Befehlshaber entlang der Grenze haben keine Angst, wenn sie es mit Piraten oder anderen Widersachern aufnehmen sollen. Sie wissen ganz genau, dass da viel mehr dahintersteckt."
Sergei setzte seinen Stuhl in Bewegung. "Natürlich", sagte er mit ironischer Miene, als er an der Tür ankam, "darf man solche Sachen in meinem Alter unbehelligt sagen. Wir sehen uns an Deck."
Er lenkte seinen Rollstuhl durch die Türöffnung, hinter ihm glitt die Tür gleich wieder zu.
Der Admiral saß da, ein wenig verblüfft darüber, dass die Unterhaltung fast genauso abrupt endete, wie sie begonnen hatte.
Da geht er hin, dieser seltsame alte Mann, dachte Tolliver. Er denkt nicht mal mehr wie ein Mensch.
Aber war das wirklich so überraschend - nach fünfundachtzig Jahren unter Aliens, das Vermächtnis eines der größten Schurken der Menschheitsgeschichte auf den Schultern und das Reichsschwert in den Händen?
Welche Art Mensch hatte Admiral Marais auf dessen Vernichtungsfeldzug begleiten können? Welcher Mensch war Sergei Torrijos als junger Mann gewesen?
Es war kaum mehr als eine spekulative Frage.
Admiral Tolliver stand auf, griff nach seiner Jacke und verließ sein Quartier.
20. September 2396
Auf offenen Kanälen übertragen TIN/SRO/ADR/CIC
VON: KAdm César Hsien, Adrianople,
für HQ der Admiralität, Terra
AN: Cdre Jacqueline Laperriere IN,
CO / Cicero-Flottenbasis
Auf Befehl Seiner Imperialen Hoheit werden Sie Inspector-General Horace Tolliver, K Adm ISN, mit Eskorte, sowie Gyaryu'har Sergei Torrijos als Vertreter des Hohen Lord Ke'erl HeYen vom Hohen Nest unterbringen und willkommen heißen. Ich erwarte, dass Sie Adm. Tolliver und vor allem Mr Torrijos während ihrer Inspektionstour alle Wünsche erfüllen. Reiseroute und Ablaufplan finden Sie in den angehängten Vid.Aufz.
EOT
20. September 2396
Auf offenen Kanälen übertragen TIN/SRO/ADR/CIC
VON: KAdm Horace A. Tolliver,
Inspector-General
AN: Cdre Jacqueline Laperriere IN,
CO / Cicero-Flottenbasis
Liebe Commodore Laperriere, ich freue mich bereits darauf, die Cicero-Basis besuchen zu dürfen. Als höfliche Geste gegenüber dem Hohen Lord werde ich von einem besonderen Gesandten begleitet, von Sergei Torrijos, dem Vertreter des Hohen Nestes. Auch wenn dieser Umstand die Inspektion etwas ungewöhnlich gestalten wird, bin ich sicher, dass Sie Ihr Kommando in der gewohnten Weise mit nur einem Minimum an Störungen werden ausüben können. Wenn es irgendetwas gibt, was meine Dienststelle tun kann, um diese Absicht noch besser zu verwirklichen, nehmen Sie ruhig Kontakt mit mir auf.
Tolliver KAdm ISN
Fünf Vindicator-Flugzeuge beschleunigten und gewannen rasch an Höhe, während die Landebahn von Cicero hinter ihnen zurückfiel. Die aufgehende Sonne, die blassorange über dem Horizont hing, sprenkelte die Tragflächen mit ihrem Licht, als die Maschinen weiter aufstiegen. Die Nachbrenner wurden gezündet, während sie die obere Atmosphäre erreichten.
Wachoffizier Lieutenant John Maisel wandte sich von den kleiner werdenden Maschinen ab und betrachtete in der Fensterscheibe des Kontrolltowers das Spiegelbild seiner Befehlshaberin. Sie wirkte müde und erschöpft, und insgeheim fragte er sich, warum sie bereits um 0600 Uhr auf den Beinen war. Etwa nur, um einen routinemäßigen Patrouillenstart mit anzusehen?
"Gruppe vier gestartet, Ma'am", sagte er und drehte sich
zu ihr um. "Sehr gut, Lieutenant." "Befehle, Ma'am?"
"Nein, keine. Bleiben Sie bis auf weiteres in Alarmbereitschaft, Lieutenant."
"Aye-aye, Ma'am." Er sah wieder zu den Lichtpunkten, die in großer Höhe immer kleiner wurden. Als er wieder über die Schulter blickte, war seine Vorgesetzte bereits verschwunden.
Commodore Jacqueline Laperriere - "Jackie" für die wenigen guten Freunde, die sie mit ihrem Vornamen ansprachen, nicht mit ihrem Dienstgrad - ging langsam durch den verglasten Gang, der vom Kontrolltower zum Gebäude der Admiralität führte. Für jemanden, der sich ausgeruhter und unbeschwerter gefühlt hätte, wäre der Anblick des Raumhafens überwältigend gewesen. Sie selbst nahm davon kaum Notiz, als sie stehen blieb und die hektischen Aktivitäten beobachtete, die dem Start der nächsten Gruppe vorausgingen.
Sie kannte den Ablauf bis ins letzte Detail, er war ihr in Fleisch und Blut übergegangen, und sie würde es nicht wieder verlernen. Vor Jahren war sie selbst eine gute Pilotin gewesen. Dann hatte man ihr das Kommando über ein Raumschiff übertragen, doch das änderte nichts daran, dass das Führen eines Kampfflugzeugs immer noch viel besser war, als ein Kampfraumschiff zu befehligen. Als Commodore in der Flotte Seiner Majestät lag beides nun lange hinter ihr, und ihr Platz war heute der hinter einem Schreibtisch einer Flottenbasis.
Jackie sah zu, wie die K6-Sonne von Cicero allmählich höher stieg. An diesem Morgen verspürte sie weder Verärgerung noch Bedauern. Sie war dafür viel zu müde, weil sie die letzten sechsunddreißig Stunden damit verbracht hatte, jeden der vielen Kilometer Korridore und das gesamte Rollfeld zu überprüfen, mit Untergebenen zu sprechen und ohne Ankündigung Inspektionen vorzunehmen, weil sie auf die Ankunft des Inspector-General Konteradmiral Horace Tolliver vorbereitet sein wollte. Für das Personal der Basis stellte der Besuch kein besonders wichtiges Ereignis dar, schließlich war es weder die erste Inspektion der Einrichtung, noch würde es die letzte sein. Admiräle, die die meiste Zeit an ihrem Schreibtisch verbrachten, waren für die Besatzung der Basis kein Grund zur Sorge.
Einige ihrer Senioroffiziere - Jahre älter als sie selbst und untrennbar mit ihrem Posten verwachsen - hatten sie vor vier Tagen in den Offiziersclub zum Abendessen eingeladen, um ihr einerseits die Sorge vor der anstehenden Inspektion zu nehmen, andererseits aber auch zu versuchen, sie unter den Tisch zu trinken. Der Gedanke an den Abend brachte sie unwillkürlich zum Lächeln. Mit das Erste, was ein Offizier lernt, ist Alkoholgenuss in Maßen, und sie hatte sich entsprechend den besten Traditionen des Militärs behaupten können.
Dennoch wusste sie, dass etwas Großes im Gange war - es war mehr als bloß eine plötzliche Laune erforderlich, um einen alten Hasen wie Tolliver so nah an den Rand des imperialen Raums zu bringen. Es bedeutete, dass jemand bei der Admiralität von den Ereignissen der letzten Wochen - dem Verschwinden zweier Forschungsschiffe - Notiz genommen hatte.
Die Admiralität hielt es für angebracht, sich dieser Vorfälle anzunehmen, und deshalb hatte man einen Mann auf den Weg geschickt. Tolliver war Enkel und Urenkel von imperialen Premierministern und tief in Vetternwirtschaft verstrickt. Vermutlich war er schlau genug zu merken, wenn man ihm etwas vormachte. Aber von einem Soldaten hatte er so wenig, dass er jede eigenmächtige Aktion vermeiden würde.
Tolliver würde also nach Cicero kommen, seine Inspektion durchführen und dann irgendwelche Anweisungen zurücklassen. Die offiziellen Befehle wurden in militärisches Juristenchinesisch verpackt, echte Anweisungen wurden durch eine Null wie Tolliver überbracht. Einzelheiten waren ihr nicht bekannt, dennoch war anzunehmen, dass sie etwas in dieser Art zu hören bekommen würde: Lösen Sie das Problem, sonst versetzen wir Sie auf eine ruhige Station ... zum Beispiel nach Pergamum. Diese Flottenbasis auf halber Strecke zwischen dem Sol-Imperium und dem treuen Verbündeten, dem Hohen Nest, war in etwa der ruhigste Posten, den man sich vorstellen konnte. Zugleich war er die Sackgasse schlechthin für eine Karriere bei der Navy.
Na gut, sagte Jackie sich. Ich werde das Problem schon lösen. Vermutlich sind es nur ein paar verdammte Piraten, wie vor sechs Jahren. Sie würden deren Schlupfwinkel finden, stürmen, die Schiffe und alle Beute beschlagnahmen. Die Piraten bekamen dann die harte Hand des Imperators zu spüren, alle anderen erhielten einen Orden.
Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf meldete jedoch Zweifel an. Jackie wusste, die Gustav Adolf II. und die Negri Sembilan waren zu gut bewaffnet, um in die Gewalt von Piraten zu geraten. Zwar handelte es sich bei beiden um Forschungsschiffe, aber sie verfügten über Marine-Einheiten und erfahrene Crews. Es musste schon etwas sein, das groß und schlau genug war, um es mit solchen Schiffen aufzunehmen ... Langsam ging sie weiter und merkte, wie diese Überlegungen sie mit neuer Energie erfüllten, die ihr half, gegen ihre Müdigkeit anzukämpfen.
Ch'k'te wachte auf, als er hörte, wie eine leichte Brise die Glocken im vorderen Flur bewegte. Während er seine Beine streckte, spreizte er zugleich seine Flügel und brachte sie in die Pose von esLiNa'yar, der Begrüßung des Tages, und schickte ein kurzes Gebet an esLi.
Manchmal bedauerte er es, nach Cicero versetzt worden zu sein. Auch wenn ihm bewusst war, dass es sich um eine Ehre handelte, auf einer der größten Flottenbasen zu dienen, stellte die Schwerkraft dieser Welt für ihn eine Belastung dar. Fliegen konnte er nur in Simulatoren, und über die Kälte wollte er lieber erst gar nicht nachdenken.
Er betrat das Bad und setzte die Schutzlinsen auf, damit das grelle Licht der Sonne von Cicero auf ein angenehmeres chromatisches Maß reduziert wurde. Dann ging er in den Vorraum, wo N'kareu, sein jüngster Cousin und alHyu, auf ihn wartete.
"Ich grüße dich, erhabener Cousin", sagte N'kareu und deutete eine Verbeugung an. "Ich bitte achttausendmal um Verzeihung, dass ich dich in deiner Meditation gestört habe."
"Es war ohnehin Zeit, den Morgen zu begrüßen", erwiderte Ch'k'te und ging zum Fenster, um die Jalousie hochzuziehen, damit der Sonnenschein ins Zimmer fallen konnte.
"Was kann ich für dich tun, se Cousin?"
"Die Kommandantin bittet dich, sie mit deiner Anwesenheit zu beehren, se Ch'k'te."
"Um diese Zeit?" Er sah zur Uhr und stellte fest, dass es erst halb sieben war.
"Sie kam mir im Korridor vor der Offiziersmesse entgegen, se Cousin, und bat mich, herzukommen und dich zu wecken. Sie möchte, dass du dich nach dem Morgenmahl mit ihr in ihrem Bereitschaftsraum triffst."
Ch'k'te sah zu, wie ein Geschwader Flugzeuge in den Himmel aufstieg.
"Ist sie jetzt schon dort?", fragte er, ohne sich umzudrehen."Ich ... ich glaube ja, Cousin."
Die Eiswand: die Feste der Schmach.
Wenigstens konnte er überhaupt nach oben sehen. Nur Helden waren in der Lage, auf der Ebene der Schmach den Kopf zu heben.
Deine Phantasie wird dich noch umbringen, alter Mann, sagte er sich, doch es schien ihn nicht zu beruhigen. Dieser Traum entsprang nicht seiner eigenen Phantasie. Nicht einmal er wäre in der Lage gewesen, sich die Ebene der Schmach, die Eiswand und die Feste vorzustellen, zumindest nicht so detailliert.
Es war das Schwert, das sein hsi herschickte. Du hast es angenommen, hielt er sich vor Augen.
Es war ein shNa'es'ri, auch wenn das unvermeidbar schien.
Sechzig Jahre zuvor war ihm das gyaryu, das Reichsschwert der Zor, vom Hohen Lord angeboten worden. Er hatte es damals so angenommen wie der Admiral vor ihm. Ihm war bewusst gewesen, was er da tat und welche Konsequenzen es nach sich zog - so wie er auch wusste, was dies hier bedeutete.
Behutsam bahnte er sich seinen Weg zwischen den Findlingen hindurch, während er das gyaryu vor sich hielt. In seinen Händen fühlte es sich an, als sei es lebendig, als würde es den Ort anknurren, den es selbst gefunden hatte. Das Tal, in das er sich begab, war in Nebel gehüllt. Es war ein L'le, auch wenn es großflächiger war, einer menschlichen Siedlung ähnlicher als einer der Zor. Leute bewegten sich dort zu Fuß fort oder flogen umher, doch keiner von ihnen nahm seine Anwesenheit zur Kenntnis. Als er näher kam, schien sich manche Flügelhaltung zu verändern, als nehme sie eine längst vergessene Stellung ein, die Ehrerbietung oder Respekt bedeutete. In den meisten Fällen vermittelte die Haltung jedoch nichts weiter als Hoffnungslosigkeit.
Je näher er dem Zentrum des L'le kam, umso weniger aktive Zor sah er. In immer größerer Zahl waren sie in einer bestimmten Position erstarrt - wie Statuen oder groteske Schachfiguren, die man einfach an beliebigen Stellen platziert hatte.
Das Tal der verlorenen Seelen, dachte er.
Am anderen Ende des Tals endete die Siedlung genau an der dunklen, glatten Oberfläche der Eiswand. Inzwischen konnte er auch die Gefahrvolle Stiege erkennen, jenen Kletter-/Flugpfad nach oben, der letztlich zur Feste führte. Am Fuß der Stiege stand ein Zor, den Blick abgewandt, die Flügel in respektvoller Haltung.
Als er sich dem Zor näherte, drehte der sich um. Er stutzte, als er den menschlichen Kopf auf dem Zor-Leib sah.
"Marc?"
"Es ist schon lange her, Sergei", sagte der Marc HudsonZor und setzte jenes markante schiefe Grinsen auf, an das Sergei sich erinnerte. "Sie sehen gut aus."
"Sie auch, und erst recht für jemanden, der schon so lange tot ist wie Sie."
"Wie lange ist es jetzt her?"
"Dreißig Jahre", antwortete Sergei und wandte den Blick ab. "Ich hielt eine Rede bei Ihrer Beerdigung. Sie haben die meisten von uns überlebt - Bert, Uwe, sogar Alyne."
"Alyne." Ein Anflug von Zuneigung huschte durch die Flügel des Hudson-Zor. Sergei bekam eine Gänsehaut, als er hörte, wie Marc den Namen seiner verstorbenen Frau aussprach.
"Wieso bin ich hier, Marc?"
"Das ist esLis Wille. Oder möchten Sie die wahre Antwort hören?" Wieder lächelte der Hudson-Zor.
"Die wahre Antwort."
"Die wahre Antwort lautet: Das Vorhergesehene wird nun beginnen. Der Flug wurde gewählt, die Entscheidung ist gefallen."
"Muss ich dort hinauf?", fragte Sergei und deutete auf die Gefahrvolle Stiege hinter dem Hudson-Zor.
"Das steht einem anderen bevor", erwiderte der. "Es ist ein shNa'es'ri für diese Person, nicht für Sie."
"Was will esLi dann von mir?"
"Was glauben Sie denn?"
"Ich glaube ... dass die Last des Schwerts groß ist. Ich trage es, seit der Admiral starb. Ich bin mir nicht sicher, ob ich diese aLi'e'er'e vollbringen kann, mein alter Freund. Ich habe den Flug gewählt, doch weiß ich nicht, ob meine Flügel mich auf diesem Weg tragen können."
"Sie haben Sie bis hierher getragen", gab der Hudson-Zor zu bedenken.
Sergei folgte der Geste seines Gegenübers und sah seine eigenen Flügel, wie sie die Pose des Umhüllenden Schutzes für esLi einnahmen.
"enGa'e'esLi", sagte Sergei zu sich, vielleicht aber auch zum Hudson-Zor, und benannte damit die Flügelhaltung.
"esLiHeYar, alter Freund", gab der Hudson-Zor zurück, dann schob sich der schillernden Nebel des Tals der verlorenen Seelen zwischen die beiden, verdeckte die Eiswand, die Gefahrvolle Stiege und schließlich auch den Hudson-Zor.
Der Captain der Cincinnatus, eines Schiffs Seiner Imperialen Majestät, hatte sich nach der Begrüßung seiner erlesenen Passagiere aus Takt und Höflichkeit zurückgezogen, damit Sergei Torrijos, der Gyaryu'har des Hohen Nestes, und Admiral Horace Tolliver von der Imperialen Navy in Ruhe in der Messe des Captains ihr Frühstück zu sich nehmen konnten.
Sergei schälte sorgfältig eine Orange, während Horace Tolliver das Essen auf seinem Teller hin und her schob.
"Wieder eine schlaflose Nacht?", fragte Sergei.
Tolliver rieb sich den Nacken. "Ich werde es nie begreifen, wie man an Bord dieser Schiffe auch nur ein Auge zumachen kann. Daran kann ich mich einfach nicht gewöhnen." Mit militärischer Präzision legte er seine Gabel zurück auf den Tisch. "Was ist mit Ihnen? Sie sind doch weit weg von Ihrem Garten in esYen."
"Geschlafen wie ein Murmeltier", antwortete Sergei, obwohl die Bilder von der Ebene der Schmach sich immer noch in seinem Kopf hielten. "Es wurde Zeit, dass Sie aufwachen."
"Mir war nicht bewusst, dass Sie sich für meinen Schlafrhythmus interessieren, zumal Sie sich bislang alle Mühe gegeben haben, mir aus dem Weg zu gehen."
Der ältere Mann rollte seinen Stuhl zu einem Beistelltisch und drehte sich um. Sein faltiges Gesicht ließ erkennen, dass er sich amüsierte. "Keineswegs, Horace, keineswegs. Seit ich an Bord kam, war ich darauf aus, Sie in die Ecke zu treiben, aber man hat mich die ganze Zeit über auf Trab gehalten."
"Na gut." Horace Tolliver stand auf und stellte sich vor einen Spiegel, um den Sitz seiner Uniform zu korrigieren. "Was verschafft mir die Ehre, vom Gyaryu'har besucht zu werden?"
"Neugier. Und Freundschaft. Sie wissen schon ... sich gegenseitig die Hand zu reichen und so weiter. Vergessen Sie nicht, dass ich selbst auch mal Offizier der Navy Seiner Majestät war ... auch wenn es lange her ist."
"Sehr lange. Vor fünfundachtzig Jahren war es eine ganz andere Navy."
Der alte Mann sah auf; der Schmerz der Erinnerung zeigte sich in seinem Gesicht. "So lange ist es schon her? Fünfundachtzig Jahre? Da waren Sie noch nicht mal auf der Welt."
"Sie schweifen ab." Horace wirkte verwirrt, als er sich vom Spiegel abwandte und wieder Platz nahm. "Also gut, dann verraten Sie mir, wie ich Ihnen bei Ihrem Problem helfen kann."
"Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass es einen wirklich gewichtigen Grund geben muss, wenn Seine Majestät Sie persönlich losschickt, um eine Flottenbasis in der Grenzregion zu inspizieren? Vor allem, wenn Sie dabei auch noch von einem offiziellen" - er tippte auf das Schwert, das quer auf seinem Schoß lag - "Vertreter des Hohen Nestes begleitet werden?"
"Cicero ist keine beliebige 'Flottenbasis in der Grenzregion', sondern die größte und zugleich wichtigste Basis an der Grenze des Sol-Imperiums."
"Es ändert nichts daran, dass sie an der Grenze liegt, und zwar unmittelbar am Rand eines - mutmaßlich - unbewohnten Territoriums."
"'Mutmaßlich'?"
"Sie müssen mir gegenüber nicht den Ahnungslosen spielen. Ich kenne die Berichte über das Verschwinden der Negri
Sembilan und der Gustaf Adolf II."
"Die unterliegen der höchsten Geheimhaltungsstufe ..."
"Vergessen Sie nicht, dass Ihre und meine Regierung Verbündete sind. Ein Vertreter des Hohen Nestes - und besonders der Gyaryu'har - hat Zugriff auf solche Dokumente. Unter normalen Umständen, Horace, würden wir sagen, dass es sich bei der Bedrohung allenfalls um Piraten handeln dürfte, die irgendwo außerhalb des Imperiums ihr Unwesen treiben. Ich bin davon überzeugt, dass die Befehlshaberin von Cicero - Laperriere heißt sie, wenn ich nicht irre - fähig genug sein dürfte, um die Umgebung zu durchkämmen, die Piraten zu finden und sie aus dem Verkehr zu ziehen. Warum werden dann hochrangige Offiziere losgeschickt, um eine Inspektion vorzunehmen? Sollen wir nachsehen, ob sie ihre Arbeit richtig macht?"
Horace verschränkte die Arme vor der Brust.
"Es ist ganz einfach, Horace. Die Admiralität vermutet, dass da etwas nicht mit rechten Dingen zugeht. Darum hat man Sie von Ihrem Schreibtisch und mich aus meinem Garten abgezogen, um der Sache auf den Grund zu gehen."
"Ich verstehe. Und warum wurde ich darüber nicht informiert?"
"Sie werden ja in diesem Moment darüber informiert, Horace. Diese Ausführungen dienen dem Zweck, Sie auf den aktuellen Stand der Dinge zu bringen. Taten sprechen oft eine deutlichere Sprache als Worte, vor allem in diesem Fall."
"Geschwätz." Es tat dem Admiral gut, einem Mann von Sergeis Alter auf den Kopf zuzusagen, dass er "Geschwätz" von sich gab. Einen Moment lang genoss er das gute Gefühl, erst dann fuhr er fort: "Die Admiralität erwartet einen Bericht über den Verbleib der beiden Schiffe. Und den wird sie bekommen, weil ich beabsichtige, sie zu finden."
"Sie ... wie bitte?"
"Ich werde nicht einfach dasitzen und abwarten, bis die Schiffe von selbst auftauchen. Das ist der Grund, weshalb die Admiralität einen Flaggadmiral nach Cicero schickt."
"Sie sind ein Stabsoffizier, Horace, kein ..."
"Ich bin Admiral der Flotte Seiner Majestät, wie Sie sicher wissen dürften. Ich habe ein Offizierspatent und Erfahrung im aktiven Dienst. Wenn die Befehlshaberin von Cicero ihr Fach versteht, wird mein Einschreiten nicht notwendig sein. Wenn sie Angst hat, Maßnahmen zu ergreifen ..."
"Das", unterbrach ihn der alte Mann, "ist so ziemlich das Dümmste, was Sie in meiner Gegenwart von sich gegeben haben - besser gesagt: was Sie jemals von sich gegeben haben. Befehlshaber entlang der Grenze haben keine Angst, wenn sie es mit Piraten oder anderen Widersachern aufnehmen sollen. Sie wissen ganz genau, dass da viel mehr dahintersteckt."
Sergei setzte seinen Stuhl in Bewegung. "Natürlich", sagte er mit ironischer Miene, als er an der Tür ankam, "darf man solche Sachen in meinem Alter unbehelligt sagen. Wir sehen uns an Deck."
Er lenkte seinen Rollstuhl durch die Türöffnung, hinter ihm glitt die Tür gleich wieder zu.
Der Admiral saß da, ein wenig verblüfft darüber, dass die Unterhaltung fast genauso abrupt endete, wie sie begonnen hatte.
Da geht er hin, dieser seltsame alte Mann, dachte Tolliver. Er denkt nicht mal mehr wie ein Mensch.
Aber war das wirklich so überraschend - nach fünfundachtzig Jahren unter Aliens, das Vermächtnis eines der größten Schurken der Menschheitsgeschichte auf den Schultern und das Reichsschwert in den Händen?
Welche Art Mensch hatte Admiral Marais auf dessen Vernichtungsfeldzug begleiten können? Welcher Mensch war Sergei Torrijos als junger Mann gewesen?
Es war kaum mehr als eine spekulative Frage.
Admiral Tolliver stand auf, griff nach seiner Jacke und verließ sein Quartier.
20. September 2396
Auf offenen Kanälen übertragen TIN/SRO/ADR/CIC
VON: KAdm César Hsien, Adrianople,
für HQ der Admiralität, Terra
AN: Cdre Jacqueline Laperriere IN,
CO / Cicero-Flottenbasis
Auf Befehl Seiner Imperialen Hoheit werden Sie Inspector-General Horace Tolliver, K Adm ISN, mit Eskorte, sowie Gyaryu'har Sergei Torrijos als Vertreter des Hohen Lord Ke'erl HeYen vom Hohen Nest unterbringen und willkommen heißen. Ich erwarte, dass Sie Adm. Tolliver und vor allem Mr Torrijos während ihrer Inspektionstour alle Wünsche erfüllen. Reiseroute und Ablaufplan finden Sie in den angehängten Vid.Aufz.
EOT
20. September 2396
Auf offenen Kanälen übertragen TIN/SRO/ADR/CIC
VON: KAdm Horace A. Tolliver,
Inspector-General
AN: Cdre Jacqueline Laperriere IN,
CO / Cicero-Flottenbasis
Liebe Commodore Laperriere, ich freue mich bereits darauf, die Cicero-Basis besuchen zu dürfen. Als höfliche Geste gegenüber dem Hohen Lord werde ich von einem besonderen Gesandten begleitet, von Sergei Torrijos, dem Vertreter des Hohen Nestes. Auch wenn dieser Umstand die Inspektion etwas ungewöhnlich gestalten wird, bin ich sicher, dass Sie Ihr Kommando in der gewohnten Weise mit nur einem Minimum an Störungen werden ausüben können. Wenn es irgendetwas gibt, was meine Dienststelle tun kann, um diese Absicht noch besser zu verwirklichen, nehmen Sie ruhig Kontakt mit mir auf.
Tolliver KAdm ISN
Fünf Vindicator-Flugzeuge beschleunigten und gewannen rasch an Höhe, während die Landebahn von Cicero hinter ihnen zurückfiel. Die aufgehende Sonne, die blassorange über dem Horizont hing, sprenkelte die Tragflächen mit ihrem Licht, als die Maschinen weiter aufstiegen. Die Nachbrenner wurden gezündet, während sie die obere Atmosphäre erreichten.
Wachoffizier Lieutenant John Maisel wandte sich von den kleiner werdenden Maschinen ab und betrachtete in der Fensterscheibe des Kontrolltowers das Spiegelbild seiner Befehlshaberin. Sie wirkte müde und erschöpft, und insgeheim fragte er sich, warum sie bereits um 0600 Uhr auf den Beinen war. Etwa nur, um einen routinemäßigen Patrouillenstart mit anzusehen?
"Gruppe vier gestartet, Ma'am", sagte er und drehte sich
zu ihr um. "Sehr gut, Lieutenant." "Befehle, Ma'am?"
"Nein, keine. Bleiben Sie bis auf weiteres in Alarmbereitschaft, Lieutenant."
"Aye-aye, Ma'am." Er sah wieder zu den Lichtpunkten, die in großer Höhe immer kleiner wurden. Als er wieder über die Schulter blickte, war seine Vorgesetzte bereits verschwunden.
Commodore Jacqueline Laperriere - "Jackie" für die wenigen guten Freunde, die sie mit ihrem Vornamen ansprachen, nicht mit ihrem Dienstgrad - ging langsam durch den verglasten Gang, der vom Kontrolltower zum Gebäude der Admiralität führte. Für jemanden, der sich ausgeruhter und unbeschwerter gefühlt hätte, wäre der Anblick des Raumhafens überwältigend gewesen. Sie selbst nahm davon kaum Notiz, als sie stehen blieb und die hektischen Aktivitäten beobachtete, die dem Start der nächsten Gruppe vorausgingen.
Sie kannte den Ablauf bis ins letzte Detail, er war ihr in Fleisch und Blut übergegangen, und sie würde es nicht wieder verlernen. Vor Jahren war sie selbst eine gute Pilotin gewesen. Dann hatte man ihr das Kommando über ein Raumschiff übertragen, doch das änderte nichts daran, dass das Führen eines Kampfflugzeugs immer noch viel besser war, als ein Kampfraumschiff zu befehligen. Als Commodore in der Flotte Seiner Majestät lag beides nun lange hinter ihr, und ihr Platz war heute der hinter einem Schreibtisch einer Flottenbasis.
Jackie sah zu, wie die K6-Sonne von Cicero allmählich höher stieg. An diesem Morgen verspürte sie weder Verärgerung noch Bedauern. Sie war dafür viel zu müde, weil sie die letzten sechsunddreißig Stunden damit verbracht hatte, jeden der vielen Kilometer Korridore und das gesamte Rollfeld zu überprüfen, mit Untergebenen zu sprechen und ohne Ankündigung Inspektionen vorzunehmen, weil sie auf die Ankunft des Inspector-General Konteradmiral Horace Tolliver vorbereitet sein wollte. Für das Personal der Basis stellte der Besuch kein besonders wichtiges Ereignis dar, schließlich war es weder die erste Inspektion der Einrichtung, noch würde es die letzte sein. Admiräle, die die meiste Zeit an ihrem Schreibtisch verbrachten, waren für die Besatzung der Basis kein Grund zur Sorge.
Einige ihrer Senioroffiziere - Jahre älter als sie selbst und untrennbar mit ihrem Posten verwachsen - hatten sie vor vier Tagen in den Offiziersclub zum Abendessen eingeladen, um ihr einerseits die Sorge vor der anstehenden Inspektion zu nehmen, andererseits aber auch zu versuchen, sie unter den Tisch zu trinken. Der Gedanke an den Abend brachte sie unwillkürlich zum Lächeln. Mit das Erste, was ein Offizier lernt, ist Alkoholgenuss in Maßen, und sie hatte sich entsprechend den besten Traditionen des Militärs behaupten können.
Dennoch wusste sie, dass etwas Großes im Gange war - es war mehr als bloß eine plötzliche Laune erforderlich, um einen alten Hasen wie Tolliver so nah an den Rand des imperialen Raums zu bringen. Es bedeutete, dass jemand bei der Admiralität von den Ereignissen der letzten Wochen - dem Verschwinden zweier Forschungsschiffe - Notiz genommen hatte.
Die Admiralität hielt es für angebracht, sich dieser Vorfälle anzunehmen, und deshalb hatte man einen Mann auf den Weg geschickt. Tolliver war Enkel und Urenkel von imperialen Premierministern und tief in Vetternwirtschaft verstrickt. Vermutlich war er schlau genug zu merken, wenn man ihm etwas vormachte. Aber von einem Soldaten hatte er so wenig, dass er jede eigenmächtige Aktion vermeiden würde.
Tolliver würde also nach Cicero kommen, seine Inspektion durchführen und dann irgendwelche Anweisungen zurücklassen. Die offiziellen Befehle wurden in militärisches Juristenchinesisch verpackt, echte Anweisungen wurden durch eine Null wie Tolliver überbracht. Einzelheiten waren ihr nicht bekannt, dennoch war anzunehmen, dass sie etwas in dieser Art zu hören bekommen würde: Lösen Sie das Problem, sonst versetzen wir Sie auf eine ruhige Station ... zum Beispiel nach Pergamum. Diese Flottenbasis auf halber Strecke zwischen dem Sol-Imperium und dem treuen Verbündeten, dem Hohen Nest, war in etwa der ruhigste Posten, den man sich vorstellen konnte. Zugleich war er die Sackgasse schlechthin für eine Karriere bei der Navy.
Na gut, sagte Jackie sich. Ich werde das Problem schon lösen. Vermutlich sind es nur ein paar verdammte Piraten, wie vor sechs Jahren. Sie würden deren Schlupfwinkel finden, stürmen, die Schiffe und alle Beute beschlagnahmen. Die Piraten bekamen dann die harte Hand des Imperators zu spüren, alle anderen erhielten einen Orden.
Eine leise Stimme in ihrem Hinterkopf meldete jedoch Zweifel an. Jackie wusste, die Gustav Adolf II. und die Negri Sembilan waren zu gut bewaffnet, um in die Gewalt von Piraten zu geraten. Zwar handelte es sich bei beiden um Forschungsschiffe, aber sie verfügten über Marine-Einheiten und erfahrene Crews. Es musste schon etwas sein, das groß und schlau genug war, um es mit solchen Schiffen aufzunehmen ... Langsam ging sie weiter und merkte, wie diese Überlegungen sie mit neuer Energie erfüllten, die ihr half, gegen ihre Müdigkeit anzukämpfen.
Ch'k'te wachte auf, als er hörte, wie eine leichte Brise die Glocken im vorderen Flur bewegte. Während er seine Beine streckte, spreizte er zugleich seine Flügel und brachte sie in die Pose von esLiNa'yar, der Begrüßung des Tages, und schickte ein kurzes Gebet an esLi.
Manchmal bedauerte er es, nach Cicero versetzt worden zu sein. Auch wenn ihm bewusst war, dass es sich um eine Ehre handelte, auf einer der größten Flottenbasen zu dienen, stellte die Schwerkraft dieser Welt für ihn eine Belastung dar. Fliegen konnte er nur in Simulatoren, und über die Kälte wollte er lieber erst gar nicht nachdenken.
Er betrat das Bad und setzte die Schutzlinsen auf, damit das grelle Licht der Sonne von Cicero auf ein angenehmeres chromatisches Maß reduziert wurde. Dann ging er in den Vorraum, wo N'kareu, sein jüngster Cousin und alHyu, auf ihn wartete.
"Ich grüße dich, erhabener Cousin", sagte N'kareu und deutete eine Verbeugung an. "Ich bitte achttausendmal um Verzeihung, dass ich dich in deiner Meditation gestört habe."
"Es war ohnehin Zeit, den Morgen zu begrüßen", erwiderte Ch'k'te und ging zum Fenster, um die Jalousie hochzuziehen, damit der Sonnenschein ins Zimmer fallen konnte.
"Was kann ich für dich tun, se Cousin?"
"Die Kommandantin bittet dich, sie mit deiner Anwesenheit zu beehren, se Ch'k'te."
"Um diese Zeit?" Er sah zur Uhr und stellte fest, dass es erst halb sieben war.
"Sie kam mir im Korridor vor der Offiziersmesse entgegen, se Cousin, und bat mich, herzukommen und dich zu wecken. Sie möchte, dass du dich nach dem Morgenmahl mit ihr in ihrem Bereitschaftsraum triffst."
Ch'k'te sah zu, wie ein Geschwader Flugzeuge in den Himmel aufstieg.
"Ist sie jetzt schon dort?", fragte er, ohne sich umzudrehen."Ich ... ich glaube ja, Cousin."
... weniger
Autoren-Porträt von Walter H. Hunt
Walter H. Hunt zählt neben John Ringo und David Weber zu den bekanntesten Military-SF-Autoren in den USA.
Bibliographische Angaben
- Autor: Walter H. Hunt
- 2006, 443 Seiten, Maße: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Sander, Ralph
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453522265
- ISBN-13: 9783453522268
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