Marburg, S: Entehrte
König Johann von Sachsen (1801-1873) & auch bekannt als Philalethes - schrieb die Novelle Der Entehrte
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Klappentext zu „Marburg, S: Entehrte “
König Johann von Sachsen (1801-1873) & auch bekannt als Philalethes - schrieb die Novelle Der Entehrte
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Der Entehrte von Silke MarburgKapitel I. Die Ankunft.
„Nun sind wir da", sprach General von Steinau zu seinen beiden Töchtern Marie und Luise, als er in den Wirthschaftshof des neuerkauften Gutes Gründorf einfuhr.
„Vater,["] sprach Marie, das sieht ja recht freundlich aus. Sieh' nur die beiden schönen Linden an der Thüre des Herrnhauses." -
„Freilich,["] sprach Luise, [„]der Garten um das Haus herum scheint etwas vernachlässigt, doch dem wird sich abhelfen lassen." -
„Kinder, wir wollen uns nicht mit dem Garten beschäftigen[,] sondern uns zunächst in den Zimmern etwas einrichten", sprach der General und rief den Diener, der auf dem zweiten Wagen saß, daß er das Gepäck sogleich in das Haus schaffe. -
„Ach, gnaedigster Herr! Dem ist ein Malheur passirt; auf der letzten Eisenbahnstation ist der Koffer auf den Zug, der dort mit der Zweigbahn abgeht, gerathen. Es ist sogleich nachtelegraphirt worden, aber er kann unter einer Stunde nicht zurückkommen." - „Lieber Vater! Desto besser,["] sagte Marie, [„]da gehen wir indessen ein Wenig in den Garten, da wir eben doch nichts zu thun finden. Der Abend ist so schön und die Nachtigallen singen prächtig in dem Busche." -
... mehr
Sie gingen nun alle Drei durch das Haus, wo der Wirthschaftsinspector und der Jäger in erwartender Stellung harrten, nach dem Garten. Er war von ziemlich großem Umfange, auch sah man hier und da hübsche Bäume und Blumenbeete, die einfache Buchsbaumränder umgaben, aber auch Stellen, die mit Kartoffeln und anderem Gemüse bepflanzt waren. Am Schlusse des Gartens führte eine Thüre nach einem Fußsteige auf einem mit schönen Eichen besetzten Damme, der zwischen einem Bache und blumenreichen grünen Wiesen hinlief. Die Mädchen konnten sich nicht enthalten auf demselben weiter vorzudringen, indeß der Vater halb zögernd ihnen nachging. Plötzlich schien der Weg von einer Umzäunung abgeschlossen.
„Schade", sagte Marie, „daß die hübsche Promenade schon zu Ende ist." -
„Nein, nein", rief Luise, [„]es ist eine Thüre in der Umzäunung und sie ist nicht verschlossen und jenseits derselben kommt man in einen allerliebsten wohlgehaltenen Garten." Luise hatte dieses kaum gesagt, als sie sofort in den Garten eintrat, während die Schwester ihr folgte. „Kinder! was thut ihr denn?" rief der General. „Es ist ein fremdes Grundstück und wir sind vielleicht dem Besitzer lästig." -
„Ach Papa," sprach Luise, „warum hat er die Thüre aufgelassen; er muß doch gern sehen, daß man seinen Garten besucht!" -
Blühende Büsche, reiche Blumenparkete, wohlgehaltene und in Windungen gelegte Wege verkündigten den sorgfältigen Besitzer. In der Ferne sah man zwischen den Büschen ein zierliches Wohnhaus und einen kleinen Springbrunnen hervorleuchten. Ehe der General noch seine Töchter abhalten konnte in die Nähe des Wohnhauses vorzudringen, trat ein junger ernster aber wohlgebildeter Mann zwischen den Büschen hervor und grüßte die Ankommenden. Als er die beiden schönen Mädchen sah - Marie war blond mit einem sanften Madonnengesichte, Luise hatte lebhafte braune Augen, die wie ein heiterer Frühlings- morgen glänzten -, so überstrahlte seine ernsten Züge ein freundliches Lächeln.
„Wir müssen um Verzeihung bitten, daß wir so ohne Erlaubniß hier eingedrungen sind," sprach der General, „aber meine Töchter waren nicht zu halten; es sind, wie Sie sehen, echte Kinder Eva's." -
„Ich freue mich sehr", sprach der junge Mann, „daß Sie mein Gut mit Ihrem Besuche beehren wollen, und hoffe, Sie werden sich desselben auch künftig nach Ihrem Belieben bedienen, denn wie ich vermuthe, sehe ich in Ihnen meinen neuangekommenen Nachbar." -
„Ganz recht, General von Steinau und seine beiden Töchter, Marie und Luise. Doch mit wem haben wir die Ehre zu sprechen?" -
Der junge Mann zögerte einen Augenblick, dann sprach er: „Rittergtutsbesitzer Schulz auf Merwitz. Darf ich Sie noch weiter in meinem Garten herumführen?" Er geleitete sie nun zu einem Teiche unweit des Wohnhauses. An demselben befand sich eine Laube, wo er die Fremden bat sich niederzulassen. Auf seinen Wink wurden einige Erfrischungen herbeigebracht und der Gärtner überreichte den beiden jungen Damen zwei sehr zierliche Blumensträuße.
„Aber nun," sprach der General, nachdem die Unterredung von den gewöhnlichen Nachbarfragen ausgehend sich mehr belebt hatte, „ist es Zeit, daß wir nach Hause gehen; unser Gepäck wird hoffentlich angekommen sein und wir haben noch Mehres zu ordnen." -
„Ich bedaure sehr", entgegnete der junge Mann, „daß Sie schonscheidenwollen; indeß hoffe ich, Sie werden meinen Antrag annehmen und diesen Garten als den Ihrigen betrachten."
Mit herzlichstem Danke für die schönen Blumen schieden die jungen Damen von dem liebenswürdigen Wirthe und gingen wieder über den Damm zurück.
„Das scheint eine recht angenehme Nachbarschaft werden zu können," sprach Luise; „Papa! Du mußt den jungen Herrn Schulz bald einmal zur Tafel laden." -
„Halt halt, Kinder! ich muß doch erst Näheres über den Herrn Nachbar erfahren, ehe ich förmliche Nachbarschaft mit ihm schließe; wir wissen ja gar nicht, welches Geistes Kind er ist."
Unter diesen Reden gelangten sie wieder nach Gründorf und traten ins Haus, wo indessen schon Alles voll Kisten und Schachteln stand. Ehe sie aber noch mit ihrer Einrichtung beginnen konnten, meldete der Wirthschaftsinspector den Pastor und Schulmeister des Orts an, die ihren Kirchen-und Schulpatron begrüßen wollten. Nach einigen Reden allgemeinerer Art sprach der General zu dem Pastor:
„Wir haben schon einen recht hübschen Spatiergang nach Merwitz gemacht und dort den Besitzer Herrn Schulz in seinem Garten getroffen. Kennen Sie den Mann genauer? welchen Ruf genießt er?" -
„O das ist ein trefflicher jungen Mann," sagte der Pastor. „Er ist zwar erst seit einem Jahre hier, aber allgemein beliebt, er thut unendlich viel Gutes und Alles mit größter Umsicht, betheiligt sich bei allen öffentlichen Angelegenheiten und ist besonders ein großer Kinderfreund. Neulich hat er einen Knaben mit eigener Lebensgefahr aus dem Wasser gerettet." -
Die Mädchen hörten mit Vergnügen zu und als der Pastor hinausgegangen war, sprach Marie: „Nichtwahr, Vater! er kann eingeladen werden?" -
„Unter diesen Umständen habe ich kein Bedenken dagegen; es soll nächstens geschehen."
Kapitel II. Fortgesetzte Bekanntschaft.
Einige Tage nachher ging am frühen Morgen Schulz durch seinen Garten auf sein Feld, um die Frühlingsbestellung zu überwachen. Die frische Morgenluft und der Thau, der auf Feld und Wiese perlte, stimmte ihn heiter und als er bei jener Laube vorbeikam, trat das liebliche Bild der beiden Mädchen lebhafter vor seine Seele, besonders das der sanften Marie, das wie ein milder Mondschein über sein Leben aufgegangen war. Da kam mit raschen Schritten sein Diener ihm nach und sagte: „General von Steinau läßt Sie für heute Mittag drei Uhr zu Tische laden."
Ein freudiges Gefühl durchzuckte zuerst den jungen Mann; dann plötzlich trat ein trüber Gedanke wie eine Wolke vor seine Seele. Soll ich die Einladung annehmen? Dann gleichsam wie befriedigt von sich selbst, eine Entschuldigung gefunden zu haben, dachte er bei sich - : „es würde ja doch unfreundlich sein, wenn ich nicht ginge." Darauf zum Diener gewandt: „Ich werde die Ehre haben zu erscheinen."
Zur bestimmten Stunde verfügte sich Schulz in seinem leichten Wagen nach Gründorf, wurde dort im Gartensalon freundlich empfangen und ihm bei Tische der Platz zwischen dem General und Fräulein Marie angewiesen.
Während der Mahlzeit begann Fräulein Luise, die auf der anderen Seite ihres Vaters saß: „Wir haben schon viel von Ihnen gehört, wir wissen auch, daß Sie einen Knaben aus dem Wasser gezogen haben." -
„Die Sache ist keines Aufhebens werth["], sprach Schulz; [„]das Wasser war nicht tief und ich bin ein guter Schwimmer." -
„Ich weiß aber noch mehr," sagte Fräulein Marie, zu ihrem Nachbar gewendet, „ich weiß, daß Sie den Knaben, der ein talentvolles Kind sein soll, bei dem Rektor zu R. auf Ihre Kosten unterrichten lassen." -
„Gnädiges Fräulein!" entgegnete der junge Mann, „ich bin wohlhabend und habe keine Angehörigen, die Mutter des Knaben ist arm und kränklich und hat noch drei Kinder; da ist es wohl nur Pflicht, daß ich Etwas von meinem Ueberflusse für ihn thue." -
„Ja wohl," sprach Marie, „aber doch thuen es nicht Alle und die Wenigsten erkennen, daß es eine Pflicht der Reichen sei, wie Sie." -
„Aber woher haben Sie dieses Alles erfahren?" -
„Ich hörte, daß die arme Mutter krank sei und an manchem Nothwenigen Mangel leide. Da habe ich sie besucht und sie hat mir erzählt, was Sie an ihrem Sohne gethan.["]
Der junge Mann schien freudig bewegt von dieser Unterredung, aber plötzlich brach er sie ab und begann mit dem General ein langes Gespräch über landwirthschaftliche Gegenstände, Stallfütterung, Fruchtwechsel, Guanodüngung u. s. w., das bis zur Beendigung der Mahlzeit fortdauerte, an deren Schlusse der General den Vorschlag machte, den Kaffee im Garten unter der Linde zu trinken, wo ein Tisch und einige Bänke standen. Hier nahm die ganze Gesellschaft Platz. „Ich wäre doch begierig zu wissen," sagte der General, „was Sie von der Feldeintheilung und dem Wirthschaftsturnus denken, den mir ein ökonomischer Rathgeber vorgeschlagen hat. Aus dem Kopfe weiß ich ihn leider nicht, aber ich will den Wirthschaftsplan herunterholen" - und damit begab er sich in das Haus.
Fräulein Luise war in diesem Augenblicke nach dem Hofe gegangen, um die Hühner zu füttern, die sich schon gewöhnt hatten, zu dieser Stunde sich der Vermachung des Gartens zu nahen und einige Brosamen von der Tafel des Herrn in Empfang zu nehmen. So fand sich denn Schulz mit Fräulein Marie allein unter der Linde.
Innerlich bewegt wagte er es nicht ein Wort hervorzubringen. Marie, um der Verlegenheit abzuhelfen, begann die Schönheit des freundlichen Abends zu loben.
„Jawohl," sprach der junge Mann, „ist der Abendschön, aber schon droht von Ferne eine finstere Wolke. Der Mensch ist einmal mehr zu entbehren und zu dulden als zum Genusse auf dieser Welt." -
„Aber den Genuß Gutes zu thun kann Nichts uns rauben," sagte Marie.
Schulz war nahe daran auf dieses Wort Marien die Hand zu drücken. Als der Vater mit dem Wirthschaftsplane zurückkam, wendete er sich sogleich diesem zu und vertiefte sich mit demselben wieder in landwirthschaftliche Unterredungen und nahm dann ziemlich schnell und kurz von der Gesellschaft Abschied. -
„Das war kurz abgemacht," sprach der General, „er muß zu Hause etwas Dringendes zu thun haben." -
„Ein liebenswürdiger junger Mann," sagte Luise,
„und ein treffliches Herz" fügte Marie tief bewegt hinzu" - und alle Drei gingen in das Haus zurück.
Des anderen Tages erhielt Marie von ihrer Dienerin, die mit den armen Leuten im Dorfe bekannt war, die Nachricht, daß die alte Hummitsch, die Mutter des geretteten Knaben, seit einigen Tagen bedeutend erkrankt sei. Sie beschloß sogleich dieselbe zu besuchen.
Das Haus der Hummitsch war eine kleine Häuslerwohnung in Lehmwänden erbaut. Im Erdgeschoß war nur ein schmales Vorhaus und eine mäßige Stube, in der das Bett der Kinder neben dem Ofen stand, der zu gleicher Zeit zum Heitzen und Kochen diente. Von dem Vorhause, führte eine enge und steile Holzstiege in ein kleines Oberstübchen, wo die kranke Frau auf ihrem Bette lag.
Marie stieg sogleich da hinauf und sprach eintretend: „Wie geht es dir[,] liebe Alte?" -
„Ach, gnädigstes Fräulein!" - antwortete diese, „mir geht es schlecht, seit mehren Tagen leide ich unsägliche Schmerzen und kann nicht aufdauern. Am Meisten leid thut es mir aber, daß ich meine Töchter nicht gehörig besorgen und beaufsichtigen kann; sie sind jetzt unten im Grasgarten, damit sie doch die Luft genießen."
„Warum habt Ihr sie nicht in die Schule geschickt." fragte Marie.
„Ich möchte wohl gern", entgegnete die Alte, „aber ich fürchte mich vor dem Herrn Schulmeister. Der hat neulich schon so gezankt, daß sie so schmutzig in die Schule kämen, ich bin aber nicht im Stande sie zu waschen, zu kleiden und ihre Kleider zu reinigen und habe Niemanden, der mir das besorgt.
„Warte, liebe Alte," sprach Marie, da wollen wir bald Rath schaffen. Du hast doch eine Wanne im Hause?" -
„Ja und über dem Ofen hängt ein Kessel mit gewärmten Wasser."
Sogleich ging Marie die Treppe hinunter, rief die Mädchen vom Grasgarten herein, wo sie allerdings nicht reinlicher geworden waren, goß warmes und kaltes Wasser in die Wanne und begann die Kinder zu entkleiden.
Auf einmal ging die Thüre der Stube auf und mit noch einem Begleiter trat Schulz ein. "Sie hier, Herr Schulz! was führt Sie hieher?"
© 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart
Sie gingen nun alle Drei durch das Haus, wo der Wirthschaftsinspector und der Jäger in erwartender Stellung harrten, nach dem Garten. Er war von ziemlich großem Umfange, auch sah man hier und da hübsche Bäume und Blumenbeete, die einfache Buchsbaumränder umgaben, aber auch Stellen, die mit Kartoffeln und anderem Gemüse bepflanzt waren. Am Schlusse des Gartens führte eine Thüre nach einem Fußsteige auf einem mit schönen Eichen besetzten Damme, der zwischen einem Bache und blumenreichen grünen Wiesen hinlief. Die Mädchen konnten sich nicht enthalten auf demselben weiter vorzudringen, indeß der Vater halb zögernd ihnen nachging. Plötzlich schien der Weg von einer Umzäunung abgeschlossen.
„Schade", sagte Marie, „daß die hübsche Promenade schon zu Ende ist." -
„Nein, nein", rief Luise, [„]es ist eine Thüre in der Umzäunung und sie ist nicht verschlossen und jenseits derselben kommt man in einen allerliebsten wohlgehaltenen Garten." Luise hatte dieses kaum gesagt, als sie sofort in den Garten eintrat, während die Schwester ihr folgte. „Kinder! was thut ihr denn?" rief der General. „Es ist ein fremdes Grundstück und wir sind vielleicht dem Besitzer lästig." -
„Ach Papa," sprach Luise, „warum hat er die Thüre aufgelassen; er muß doch gern sehen, daß man seinen Garten besucht!" -
Blühende Büsche, reiche Blumenparkete, wohlgehaltene und in Windungen gelegte Wege verkündigten den sorgfältigen Besitzer. In der Ferne sah man zwischen den Büschen ein zierliches Wohnhaus und einen kleinen Springbrunnen hervorleuchten. Ehe der General noch seine Töchter abhalten konnte in die Nähe des Wohnhauses vorzudringen, trat ein junger ernster aber wohlgebildeter Mann zwischen den Büschen hervor und grüßte die Ankommenden. Als er die beiden schönen Mädchen sah - Marie war blond mit einem sanften Madonnengesichte, Luise hatte lebhafte braune Augen, die wie ein heiterer Frühlings- morgen glänzten -, so überstrahlte seine ernsten Züge ein freundliches Lächeln.
„Wir müssen um Verzeihung bitten, daß wir so ohne Erlaubniß hier eingedrungen sind," sprach der General, „aber meine Töchter waren nicht zu halten; es sind, wie Sie sehen, echte Kinder Eva's." -
„Ich freue mich sehr", sprach der junge Mann, „daß Sie mein Gut mit Ihrem Besuche beehren wollen, und hoffe, Sie werden sich desselben auch künftig nach Ihrem Belieben bedienen, denn wie ich vermuthe, sehe ich in Ihnen meinen neuangekommenen Nachbar." -
„Ganz recht, General von Steinau und seine beiden Töchter, Marie und Luise. Doch mit wem haben wir die Ehre zu sprechen?" -
Der junge Mann zögerte einen Augenblick, dann sprach er: „Rittergtutsbesitzer Schulz auf Merwitz. Darf ich Sie noch weiter in meinem Garten herumführen?" Er geleitete sie nun zu einem Teiche unweit des Wohnhauses. An demselben befand sich eine Laube, wo er die Fremden bat sich niederzulassen. Auf seinen Wink wurden einige Erfrischungen herbeigebracht und der Gärtner überreichte den beiden jungen Damen zwei sehr zierliche Blumensträuße.
„Aber nun," sprach der General, nachdem die Unterredung von den gewöhnlichen Nachbarfragen ausgehend sich mehr belebt hatte, „ist es Zeit, daß wir nach Hause gehen; unser Gepäck wird hoffentlich angekommen sein und wir haben noch Mehres zu ordnen." -
„Ich bedaure sehr", entgegnete der junge Mann, „daß Sie schonscheidenwollen; indeß hoffe ich, Sie werden meinen Antrag annehmen und diesen Garten als den Ihrigen betrachten."
Mit herzlichstem Danke für die schönen Blumen schieden die jungen Damen von dem liebenswürdigen Wirthe und gingen wieder über den Damm zurück.
„Das scheint eine recht angenehme Nachbarschaft werden zu können," sprach Luise; „Papa! Du mußt den jungen Herrn Schulz bald einmal zur Tafel laden." -
„Halt halt, Kinder! ich muß doch erst Näheres über den Herrn Nachbar erfahren, ehe ich förmliche Nachbarschaft mit ihm schließe; wir wissen ja gar nicht, welches Geistes Kind er ist."
Unter diesen Reden gelangten sie wieder nach Gründorf und traten ins Haus, wo indessen schon Alles voll Kisten und Schachteln stand. Ehe sie aber noch mit ihrer Einrichtung beginnen konnten, meldete der Wirthschaftsinspector den Pastor und Schulmeister des Orts an, die ihren Kirchen-und Schulpatron begrüßen wollten. Nach einigen Reden allgemeinerer Art sprach der General zu dem Pastor:
„Wir haben schon einen recht hübschen Spatiergang nach Merwitz gemacht und dort den Besitzer Herrn Schulz in seinem Garten getroffen. Kennen Sie den Mann genauer? welchen Ruf genießt er?" -
„O das ist ein trefflicher jungen Mann," sagte der Pastor. „Er ist zwar erst seit einem Jahre hier, aber allgemein beliebt, er thut unendlich viel Gutes und Alles mit größter Umsicht, betheiligt sich bei allen öffentlichen Angelegenheiten und ist besonders ein großer Kinderfreund. Neulich hat er einen Knaben mit eigener Lebensgefahr aus dem Wasser gerettet." -
Die Mädchen hörten mit Vergnügen zu und als der Pastor hinausgegangen war, sprach Marie: „Nichtwahr, Vater! er kann eingeladen werden?" -
„Unter diesen Umständen habe ich kein Bedenken dagegen; es soll nächstens geschehen."
Kapitel II. Fortgesetzte Bekanntschaft.
Einige Tage nachher ging am frühen Morgen Schulz durch seinen Garten auf sein Feld, um die Frühlingsbestellung zu überwachen. Die frische Morgenluft und der Thau, der auf Feld und Wiese perlte, stimmte ihn heiter und als er bei jener Laube vorbeikam, trat das liebliche Bild der beiden Mädchen lebhafter vor seine Seele, besonders das der sanften Marie, das wie ein milder Mondschein über sein Leben aufgegangen war. Da kam mit raschen Schritten sein Diener ihm nach und sagte: „General von Steinau läßt Sie für heute Mittag drei Uhr zu Tische laden."
Ein freudiges Gefühl durchzuckte zuerst den jungen Mann; dann plötzlich trat ein trüber Gedanke wie eine Wolke vor seine Seele. Soll ich die Einladung annehmen? Dann gleichsam wie befriedigt von sich selbst, eine Entschuldigung gefunden zu haben, dachte er bei sich - : „es würde ja doch unfreundlich sein, wenn ich nicht ginge." Darauf zum Diener gewandt: „Ich werde die Ehre haben zu erscheinen."
Zur bestimmten Stunde verfügte sich Schulz in seinem leichten Wagen nach Gründorf, wurde dort im Gartensalon freundlich empfangen und ihm bei Tische der Platz zwischen dem General und Fräulein Marie angewiesen.
Während der Mahlzeit begann Fräulein Luise, die auf der anderen Seite ihres Vaters saß: „Wir haben schon viel von Ihnen gehört, wir wissen auch, daß Sie einen Knaben aus dem Wasser gezogen haben." -
„Die Sache ist keines Aufhebens werth["], sprach Schulz; [„]das Wasser war nicht tief und ich bin ein guter Schwimmer." -
„Ich weiß aber noch mehr," sagte Fräulein Marie, zu ihrem Nachbar gewendet, „ich weiß, daß Sie den Knaben, der ein talentvolles Kind sein soll, bei dem Rektor zu R. auf Ihre Kosten unterrichten lassen." -
„Gnädiges Fräulein!" entgegnete der junge Mann, „ich bin wohlhabend und habe keine Angehörigen, die Mutter des Knaben ist arm und kränklich und hat noch drei Kinder; da ist es wohl nur Pflicht, daß ich Etwas von meinem Ueberflusse für ihn thue." -
„Ja wohl," sprach Marie, „aber doch thuen es nicht Alle und die Wenigsten erkennen, daß es eine Pflicht der Reichen sei, wie Sie." -
„Aber woher haben Sie dieses Alles erfahren?" -
„Ich hörte, daß die arme Mutter krank sei und an manchem Nothwenigen Mangel leide. Da habe ich sie besucht und sie hat mir erzählt, was Sie an ihrem Sohne gethan.["]
Der junge Mann schien freudig bewegt von dieser Unterredung, aber plötzlich brach er sie ab und begann mit dem General ein langes Gespräch über landwirthschaftliche Gegenstände, Stallfütterung, Fruchtwechsel, Guanodüngung u. s. w., das bis zur Beendigung der Mahlzeit fortdauerte, an deren Schlusse der General den Vorschlag machte, den Kaffee im Garten unter der Linde zu trinken, wo ein Tisch und einige Bänke standen. Hier nahm die ganze Gesellschaft Platz. „Ich wäre doch begierig zu wissen," sagte der General, „was Sie von der Feldeintheilung und dem Wirthschaftsturnus denken, den mir ein ökonomischer Rathgeber vorgeschlagen hat. Aus dem Kopfe weiß ich ihn leider nicht, aber ich will den Wirthschaftsplan herunterholen" - und damit begab er sich in das Haus.
Fräulein Luise war in diesem Augenblicke nach dem Hofe gegangen, um die Hühner zu füttern, die sich schon gewöhnt hatten, zu dieser Stunde sich der Vermachung des Gartens zu nahen und einige Brosamen von der Tafel des Herrn in Empfang zu nehmen. So fand sich denn Schulz mit Fräulein Marie allein unter der Linde.
Innerlich bewegt wagte er es nicht ein Wort hervorzubringen. Marie, um der Verlegenheit abzuhelfen, begann die Schönheit des freundlichen Abends zu loben.
„Jawohl," sprach der junge Mann, „ist der Abendschön, aber schon droht von Ferne eine finstere Wolke. Der Mensch ist einmal mehr zu entbehren und zu dulden als zum Genusse auf dieser Welt." -
„Aber den Genuß Gutes zu thun kann Nichts uns rauben," sagte Marie.
Schulz war nahe daran auf dieses Wort Marien die Hand zu drücken. Als der Vater mit dem Wirthschaftsplane zurückkam, wendete er sich sogleich diesem zu und vertiefte sich mit demselben wieder in landwirthschaftliche Unterredungen und nahm dann ziemlich schnell und kurz von der Gesellschaft Abschied. -
„Das war kurz abgemacht," sprach der General, „er muß zu Hause etwas Dringendes zu thun haben." -
„Ein liebenswürdiger junger Mann," sagte Luise,
„und ein treffliches Herz" fügte Marie tief bewegt hinzu" - und alle Drei gingen in das Haus zurück.
Des anderen Tages erhielt Marie von ihrer Dienerin, die mit den armen Leuten im Dorfe bekannt war, die Nachricht, daß die alte Hummitsch, die Mutter des geretteten Knaben, seit einigen Tagen bedeutend erkrankt sei. Sie beschloß sogleich dieselbe zu besuchen.
Das Haus der Hummitsch war eine kleine Häuslerwohnung in Lehmwänden erbaut. Im Erdgeschoß war nur ein schmales Vorhaus und eine mäßige Stube, in der das Bett der Kinder neben dem Ofen stand, der zu gleicher Zeit zum Heitzen und Kochen diente. Von dem Vorhause, führte eine enge und steile Holzstiege in ein kleines Oberstübchen, wo die kranke Frau auf ihrem Bette lag.
Marie stieg sogleich da hinauf und sprach eintretend: „Wie geht es dir[,] liebe Alte?" -
„Ach, gnädigstes Fräulein!" - antwortete diese, „mir geht es schlecht, seit mehren Tagen leide ich unsägliche Schmerzen und kann nicht aufdauern. Am Meisten leid thut es mir aber, daß ich meine Töchter nicht gehörig besorgen und beaufsichtigen kann; sie sind jetzt unten im Grasgarten, damit sie doch die Luft genießen."
„Warum habt Ihr sie nicht in die Schule geschickt." fragte Marie.
„Ich möchte wohl gern", entgegnete die Alte, „aber ich fürchte mich vor dem Herrn Schulmeister. Der hat neulich schon so gezankt, daß sie so schmutzig in die Schule kämen, ich bin aber nicht im Stande sie zu waschen, zu kleiden und ihre Kleider zu reinigen und habe Niemanden, der mir das besorgt.
„Warte, liebe Alte," sprach Marie, da wollen wir bald Rath schaffen. Du hast doch eine Wanne im Hause?" -
„Ja und über dem Ofen hängt ein Kessel mit gewärmten Wasser."
Sogleich ging Marie die Treppe hinunter, rief die Mädchen vom Grasgarten herein, wo sie allerdings nicht reinlicher geworden waren, goß warmes und kaltes Wasser in die Wanne und begann die Kinder zu entkleiden.
Auf einmal ging die Thüre der Stube auf und mit noch einem Begleiter trat Schulz ein. "Sie hier, Herr Schulz! was führt Sie hieher?"
© 2012 W. Kohlhammer, Stuttgart
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Autoren-Porträt von Silke Marburg
Dr. Silke Marburg arbeitet als Historikerin in Dresden und hat Publikationen zur Adels- und Monarchiegeschichte des 19. Jahrhunderts vorgelegt.
Bibliographische Angaben
- Autor: Silke Marburg
- 2012, 76 Seiten, Maße: 11,6 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Kohlhammer
- ISBN-10: 317022428X
- ISBN-13: 9783170224285
- Erscheinungsdatum: 19.12.2012
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