Der Heiler der Pferde
Roman
Kastilien, 1195: Diego hat die wunderbare Gabe, mit Pferden sprechen zu können, und fühlt sich zum Pferdeheiler berufen. Doch sein Schicksal zwingt ihn immer wieder zur Flucht. Aber dabei vergisst er nie, um seinen großen Lebenstraum zu kämpfen.
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Produktinformationen zu „Der Heiler der Pferde “
Kastilien, 1195: Diego hat die wunderbare Gabe, mit Pferden sprechen zu können, und fühlt sich zum Pferdeheiler berufen. Doch sein Schicksal zwingt ihn immer wieder zur Flucht. Aber dabei vergisst er nie, um seinen großen Lebenstraum zu kämpfen.
Klappentext zu „Der Heiler der Pferde “
Kastilien, 1195: Die Familie des 14-jährigen Diego von Malagón wird von arabischen Almohaden brutal überfallen, mit letzter Kraft entkommt er. In Toledo wird er Lehrling eines muslimischen Pferdeheilers, muss die Stadt wegen einer Frau aber verlassen. Diegos Abenteuer führen ihn mitten in die politischen Konflikte der spanischen Reiche und zwingen ihn immer wieder zu Flucht und Neuanfang. Mit dem Glück des Mutigen kämpft er jedoch um seine Berufung und die Erfüllung seiner großen Liebe.
Lese-Probe zu „Der Heiler der Pferde “
Der Heiler der Pferde von Gonzalo Giner1
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Die »Imesebelen« oder »Gefesselten« waren von Geburt an zum Töten bestimmt. Sie stammten aus Schwarzafrika. Schon im
Knabenalter wurden sie zu Leibwächtern der Kalifen von Al-Andalus ausgebildet - eine »Schwarze Garde« wilder mordlüsterner Krieger. Für sie gab es keine größere Ehre, als ihr Leben dem Almohadenherrscher zu opfern.
An jenem Tag bebte die Erde in Alarcos unter den Hufen ihrer dahinjagenden Pferde. Wie Besessene fegten die mehr als tausend Krieger übers Land. Ihre Mission war es, den christlichen Feind auszumerzen.
In den Köpfen der Männer hallte noch der Befehl ihres Anführers nach - eines seltsamen Mannes von adeligem Geblüt und eines Verräters: Einst hatte er dem kastilischen Herrscher treu gedient. Nun bekämpfte er erbittert seinen König.
»Metzelt sie alle nieder! Zündet ihre Felder an und plündert ihre Habe. Nehmt euch die Frauen und zerstört die Häuser. Aber vergesst nicht: Es darf niemand am Leben bleiben. Ich will keine Zeugen.«
»Und wenn wir diesen Krieg nicht gewinnen, Vater? Wir wohnen viel zu nah an der Grenze zu Al-Andalus. Wenn sie uns angreifen ... « Voller Furcht stürzte der junge Diego ans Bett seines Vaters.
»Es wird nicht so weit kommen, mein Sohn. Die Ritter vom Calatrava-Orden werden uns beschützen. Vergiss nicht, wir sind ihre Vasallen.«
»Und wenn nicht? Was machen wir dann, Vater?«
Schweigend betrachtete Don Marcelo seinen Sohn. Ihm war ebenso bang. Aber er wollte den Jungen nicht noch mehr beunruhigen. Die Lage war denkbar ungünstig. Deshalb hoffte der Alte inbrünstig auf die Hilfe des Ritterordens. Er selbst konnte die Seinen nicht beschützen, und Diego war erst vierzehn. Fast noch ein Kind. Wie sollte der Junge den Gasthof und die Familie verteidigen?
Don Marcelo ahnte das Anrücken der »Schwarzen Garde«. Im Gasthof erzählte man sich schreckliche Dinge über die grausamen Krieger aus Afrika. Die bloße Vorstellung ließ den alten Mann erschauern, doch er bezwang die Furcht. Sein Sohn brauchte jetzt die moralische Unterstützung des Vaters, um Mut und Zuversicht zu fassen.
»Komm näher.«
Don Marcelo nahm Diegos Hände zwischen die seinen. Er konnte die angstvolle Anspannung des Jungen fühlen.
»Ich glaube ganz fest an dich, mein Sohn. Was auch immer geschehen mag, du wirst sicher das Richtige tun. Mach dir keine Sorgen. Es wird alles wieder gut. Du schaffst es bestimmt. Du bist klug, zielstrebig und ein treuer Sohn. Aber höre mir jetzt gut zu. Ich muss dich um etwas sehr Wichtiges bitten ... « Er holte tief Luft und fuhr feierlich fort: »Schwöre, dass du tust, worum ich dich bitte, auch wenn du es nicht verstehst. Schwörst du es?«
»Sprecht, Vater«, erwiderte Diego, den Ernst der Stunde erfassend. Er war ganz Ohr.
Mühsam legte der alte Mann die Hand auf die Brust.
»Wir werden bestimmt alles gut überstehen, aber es könnte auch anders kommen: Möglicherweise reißt der muslimische Überfall die Familie auseinander, vielleicht bin ich danach nicht mehr an deiner Seite. Dann wäre unser bescheidenes Gasthaus deins. Auch unser Vertrag mit dem Orden der Calatrava-Ritter ginge in diesem Fall auf dich über. Aber genau das möchte ich nicht ... «
Diego stutzte.
»Ich möchte nicht, dass du als Vasall endest wie ich. Auf gar keinen Fall, hörst du. Zieh mit deinen Schwestern fort. Hier in die Nähe, meinetwegen nach Toledo. Aber trete nicht in meine Fußstapfen. Du sollst es besser haben als ich, es zu etwas bringen. Greif nach den Sternen und dir werden Flügel wachsen. Suche dir eine Stelle bei einem Gelehrten. Sei ehrgeizig, aber rücksichtsvoll und gewissenhaft. Lass dir in der Arbeit nie etwas nachsagen. Wenn du gegen andere antreten musst, versuche als Sieger hervorzugehen. Schäme dich nicht deiner einfachen Herkunft. Deswegen musst du nicht buckeln und dich unterwerfen. Kämpfe hart für deine Träume und du wirst alles erreichen, was du willst. Schließlich bitte ich dich, für deine Schwestern zu sorgen. Und vergiss eins nicht, mein Sohn: Ich liebe dich über alles. Irgendwann werde ich voller Stolz vom Himmel auf dich herabblicken.«
»Ich will nie von Eurer Seite weichen, Vater«, erwiderte Diego. »Der Gasthof und der Stall müssen nur ein wenig auf Vordermann gebracht werden ... «
Don Marcelo legte ihm die Hand auf den Mund.
»Schwöre, dass du meinem Wunsch folgen wirst!«
Als der Junge dem Vater in die Augen sah, beugte er sich seinem Willen.
»Ihr habt mein Wort, Vater.«
»So ist es recht.« Er strich Diego über die Wange. »Und jetzt geh wieder in den Stall. Die Arbeit wartet.«
»Vater, wann muss ich fort?«
»Du wirst es selbst merken, wenn die Zeit gekommen ist, mein Sohn. Präge dir meine Worte gut ein. Sie zu erfüllen ist deine heilige Pflicht.«
Der Junge nickte.
»Vergiss auch nicht, für deine Schwestern zu sorgen, hörst du.« »Ich verspreche, sie immer zu beschützen.«
2
In der Nähe des Ortes Malagón betrieb Don Marcelo einen einfachen Gasthof. Dieser lag am Großen See, am Weg von Toledo nach
Al-Andalus. Für den Hof zahlte er - wenn auch nicht immer regelmäßig - Lehenzins an die Mönche von Calatrava. Meistens stand er in der Schuld der frommen Ritter.
Bevor sich Don Marcelo diesem Gewerbe verschrieb, hatte er Schafe gehütet, sich als Schmied, Tagelöhner und Bauer verdingt. Obwohl er immer hart gearbeitet hatte, blieb das Brot knapp. Viel Schweiß und kein Preis, lautete Don Marcelos traurige Bilanz.
Schon drei Jahre waren seit dem Tod seiner Frau vergangen. Er selbst war seit zweien ans Bett gefesselt. Ein tückisches Fieber hatte ihn niedergestreckt und gelähmt.
Den Gasthof betrieben Don Marcelos vier Kinder. Belinda, Blanca und Estela teilten sich die Arbeit im Haus, in der Küche und Gaststube. Diego sah nach dem Stall, der alten Mühle und der Schmiede. Vom Vater hatte er nicht nur das Handwerk des Schmieds gelernt, sondern auch den Umgang mit Pferden. Der Junge war regelrecht vernarrt in die Tiere und wusste jede ihrer Regungen zu deuten. Es hieß, er könne sogar deren Gedanken lesen.
Die drei Mädchen waren rothaarig wie die Mutter. Diego hingegen hatte das dunkle borstige Haar vom Vater.
Von seinen Schwestern mochte Diego die dreizehnjährige, sommersprossige Estela am liebsten. Sie war immer guter Dinge und zum Scherzen aufgelegt.
Belinda hingegen war ein Energiebündel, das keine Muße kannte.
Mit ihrer Geschäftigkeit ging sie den anderen Geschwistern auf die Nerven. Alles drehte sich bei ihr um Sauberkeit und Ordnung. Wenn es nicht nach ihrem Kopf ging, schimpfte und tobte sie. Im Grunde ihres Wesens aber war sie herzensgut. Dem Zauber ihrer himmelblauen Augen - auch die waren Mutters Erbe - konnte sich niemand entziehen. Ein Blick Belindas genügte, um jeden Unmut zu bezwingen und ihren Willen durchzusetzen.
Blanca war die zweitälteste. Der Vater behauptete, sie sei aus dem gleichen Holz wie die Mutter, genauso aufopfernd und sanftmütig.
Das Wirtshaus war nie gut gegangen, auch nicht zu Friedenszeiten, als die Straße zwischen Toledo und Calatrava noch frei passierbar war. Nur selten zog es Fremde in die Gegend. Und wenn, kehrten sie lieber ein paar Meilen weiter in einem für sein gutes Essen bekannten Gasthof ein. Bei Don Marcelo schauten nur gelegentlich die paar verbliebenen Nachbarn vorbei. Besonders jetzt, wo ein Krieg unmittelbar bevorzustehen schien, verirrte sich selten ein Durchreisender - und wenn, dann meistens ein Soldat - in die bescheidene Wirtsstube. Soldaten aber brachten keine Einnahmen, denn sie beriefen sich auf das Recht der freien Speisung.
In Don Marcelos Kasse war Geld immer rar gewesen. Doch seit einigen Monaten herrschte darin gähnende Leere.
Es war ein heißer Abend. Die Kirchturmuhr von Malagón hatte eben sieben geschlagen. In der Wirtsstube befanden sich kaum ein halbes Dutzend Gäste. - Da geschah etwas Grauenvolles ...
Estela und Blanca bedienten gerade in der Gaststube. Belinda stand am Herd und bereitete das Abendessen vor. Im Stall striegelte Diego Sabba - seine fuchsrote Araberstute.
Plötzlich stürzte ein Mann in die Wirtsstube, ein Soldat. Die Haare standen ihm wild vom Kopf; die Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet. Den ganzen Kerl bedeckte eine dicke Schicht aus Staub, Schmutz und Schweiß. Taumelnd schleppte er sich an den Tischen vorbei. Er rempelte gegen zwei Stühle, die krachend umfielen. Schließlich brach er mit einem grellen Schrei zusammen. Wie vom Donner gerührt blickten sich die Anwesenden an. Der Mann war schwer verletzt. In seinem Rücken steckten drei Pfeile.
»Die Schwarze Garde«, stieß er mühsam hervor, »sie ist schon hier ... Flieht!«
Bei den letzten Worten schrie der Verletzte vor Schmerz noch einmal jäh auf.
Es konnte nicht schlimmer sein. Offenbar standen die Afrikaner bereits vor der Tür. Das konnte nur heißen, dass die Almohaden die Schlacht gewonnen hatten. Die »Schwarze Garde« des Kalifen war gefürchtet für ihren Blutdurst und ihre Grausamkeit. Alle waren starr vor Angst. Nichts konnte sie mehr vor dem schrecklichen Gemetzel retten. Auch die Calatrava-Ritter nicht. Bestimmt waren sie schon tot oder über alle Berge.
Panik brach aus. Als wäre ihnen der Leibhaftige auf den Fersen, rannten die Gäste aus der Stube. Geschirr klirrte, Bänke und Tische krachten in der Hast zu Boden. Zurück blieben drei tief verängstigte Mädchen.
Endlich riss sich Blanca los und rannte zum Bruder in den Stall. Ratlos blieb Estela bei dem Schwerverwundeten.
Was tun? Ihre Familie konnte nicht fliehen. Der Vater war ans Bett gefesselt. Wie sollten sie ihn auf einen Karren hieven?
Das Mädchen beugte sich zum Sterbenden und sah ihm in die Augen.
»Ich flehe Euch an: Bitte sagt mir, wie nahe ist die Schwarze Garde?«
Der Soldat umkrallte Estelas Arm, als könnte er so die schwindenden Lebensgeister zurückhalten.
»Euch bleibt kaum Zeit ... Sie haben mich angegriffen«, die Stimme des Mannes war nur noch ein schwaches Flüstern, »sie ritten auf Schimmeln, diese Söhne des Satans.«
Verzweifelt versuchte Estela, den eisernen Griff des Sterbenden zu lösen. Aus Leibeskräften schrie sie um Hilfe.
Belinda eilte aus der Küche herbei. Mit dem Fleischmesser, das sie noch in der Hand trug, drohte sie dem Soldaten.
»Lasst sie endlich los!« Dabei hielt sie ihm die Klinge unter die Nase. »Sonst müssen wir alle sterben. Ihr habt großen Mut bewiesen, als Ihr Euch hierhergeschleppt habt, um uns zu warnen.«
Als der Sterbende Belindas Augen sah, glaubte er bereits im Himmel zu sein. Estelas hingegen waren weit aufgerissen vor Grauen.
»Gott sei mit Euch!« Endlich lockerte er den Griff. Die Hand des Soldaten fiel von Estela ab und glitt zu Boden.
In diesem Augenblick stürzten die anderen beiden Geschwister herein.
»Ich habe die Pferde vor den Wagen gespannt«, sagte Diego ruhig. »Sobald wir den Vater heruntergebracht haben, können wir los.«
Da begannen die Kirchturmglocken, Sturm zu läuten. Die Zeit drängte, der Feind musste schon im Dorf sein. Hastig rannten die Geschwister nach oben ans Bett des Vaters. Der Alte begriff zwar sofort den Ernst der Lage, aber er weigerte sich, mit den Kindern zu fliehen. Da half kein Bitten und Betteln. Er sei nur eine Last. Ohne ihn könnten sie vielleicht davonkommen.
»Ich werde das Haus nicht verlassen ... « Don Marcelo klammerte sich an die Bettlaken. »Es ist mein Zuhause, das ich mit eurer Mutter geteilt habe. Hier seid ihr alle geboren. Fort mit euch! Bringt euch in Sicherheit! Das ist ein Befehl! Ich bleibe!«
Don Marcelo hatte die Stimme erhoben. Die Kinder verstummten. »Ich möchte, dass ihr ohne mich flieht. Habt ihr verstanden?« »Aber das können wir nicht tun, Vater. Entweder wir gehen alle
oder wir bleiben«, entgegnete Belinda als Älteste.
Eindringlich sah der Vater zu Diego hinüber. Dieser verstand sofort. Ihre Unterredung lag erst wenige Stunden zurück. Jetzt musste er die Verantwortung für die Familie übernehmen.
Unter Tränen küsste er den Vater auf die Stirn.
»Tut, was Vater sagt, und folgt mir. Die Zeit ist knapp. Schnell, lasst uns gehen!«
Diego blieb hart, obwohl die Schwestern sich sträubten. Er hoffte auf die Einsicht der Ältesten und zog die beiden Jüngeren mit sich fort.
»So sei es denn.« Belinda erhob sich und zerrte nun ebenfalls ihre Schwestern davon. Ihr Herz blutete, aber ihnen blieb keine andere Wahl.
Vom Schmerz betäubt, nahmen die drei Mädchen Abschied vom Vater. Sie bedeckten seine Hände und Wangen mit Küssen, konnten sich nicht von ihm losreißen, während er sie von sich schob.
Da ließ das Geräusch von Pferdehufen und Männerstimmen im Hof sie aufhorchen.
»Verschwindet endlich!«, schrie der Vater verzweifelt.
Die Geschwister stürzten die Treppe hinunter und rannten zum Stall. Unruhig, als ahnten sie die Gefahr, scharrten die angespannten Pferde. Diego half den Schwestern auf den Wagen. Er selbst schwang sich neben Belinda auf den Kutschbock und riss die Zügel an sich. Die Pferde rasten los.
Durch den Lärm des Wagens hindurch hörte Diego hinter sich ein Wiehern. Als er zurückblickte, sah er seine Stute Sabba ihnen nachjagen. Jeder Muskel des Tieres vibrierte vor Anspannung, der edle Blick war auf seinen Herrn gerichtet. Für Diego war es in diesem Moment das schönste Pferd der Welt. Der Vater hatte es ihm nach dem Tod der Mutter als Trost geschenkt. Er hatte viel dafür bezahlt - weit mehr als sich die Familie leisten konnte. Aber es hatte Don Marcelo nie gereut. Im Gegenteil: Er freute sich immer aufs Neue an dem engen Band zwischen Pferd und Sohn.
Als Diego seine Stute rief, galoppierte sie zu ihrem Herrn. Sabba schnaubte wohlig, während ihr Diego die Stirn tätschelte. Im treuen Blick des Tieres blitzte Furcht auf.
»Meine arme Sabba, fast hätte ich dich vergessen.«
Bei diesem Satz musste Diego an den Vater denken. Sein Herz krampfte sich zusammen. Schuldbewusst sah er Belinda an und reichte ihr die Zügel. Mit einem Satz saß er auf Sabbas Rücken.
»Ich kann Vater nicht allein lassen ... «, rief er dem sich rasch entfernenden Wagen nach. »Haltet erst, wenn ihr in Toledo seid. Ich komme nach, sobald ich kann. Geht, lasst euch nicht aufhalten. Wir sehen uns in Toledo.«
...
Übersetzung: Eva Maria del Carmen Kobetz Revuelta
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Blanvalet Verlag,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.
Die »Imesebelen« oder »Gefesselten« waren von Geburt an zum Töten bestimmt. Sie stammten aus Schwarzafrika. Schon im
Knabenalter wurden sie zu Leibwächtern der Kalifen von Al-Andalus ausgebildet - eine »Schwarze Garde« wilder mordlüsterner Krieger. Für sie gab es keine größere Ehre, als ihr Leben dem Almohadenherrscher zu opfern.
An jenem Tag bebte die Erde in Alarcos unter den Hufen ihrer dahinjagenden Pferde. Wie Besessene fegten die mehr als tausend Krieger übers Land. Ihre Mission war es, den christlichen Feind auszumerzen.
In den Köpfen der Männer hallte noch der Befehl ihres Anführers nach - eines seltsamen Mannes von adeligem Geblüt und eines Verräters: Einst hatte er dem kastilischen Herrscher treu gedient. Nun bekämpfte er erbittert seinen König.
»Metzelt sie alle nieder! Zündet ihre Felder an und plündert ihre Habe. Nehmt euch die Frauen und zerstört die Häuser. Aber vergesst nicht: Es darf niemand am Leben bleiben. Ich will keine Zeugen.«
»Und wenn wir diesen Krieg nicht gewinnen, Vater? Wir wohnen viel zu nah an der Grenze zu Al-Andalus. Wenn sie uns angreifen ... « Voller Furcht stürzte der junge Diego ans Bett seines Vaters.
»Es wird nicht so weit kommen, mein Sohn. Die Ritter vom Calatrava-Orden werden uns beschützen. Vergiss nicht, wir sind ihre Vasallen.«
»Und wenn nicht? Was machen wir dann, Vater?«
Schweigend betrachtete Don Marcelo seinen Sohn. Ihm war ebenso bang. Aber er wollte den Jungen nicht noch mehr beunruhigen. Die Lage war denkbar ungünstig. Deshalb hoffte der Alte inbrünstig auf die Hilfe des Ritterordens. Er selbst konnte die Seinen nicht beschützen, und Diego war erst vierzehn. Fast noch ein Kind. Wie sollte der Junge den Gasthof und die Familie verteidigen?
Don Marcelo ahnte das Anrücken der »Schwarzen Garde«. Im Gasthof erzählte man sich schreckliche Dinge über die grausamen Krieger aus Afrika. Die bloße Vorstellung ließ den alten Mann erschauern, doch er bezwang die Furcht. Sein Sohn brauchte jetzt die moralische Unterstützung des Vaters, um Mut und Zuversicht zu fassen.
»Komm näher.«
Don Marcelo nahm Diegos Hände zwischen die seinen. Er konnte die angstvolle Anspannung des Jungen fühlen.
»Ich glaube ganz fest an dich, mein Sohn. Was auch immer geschehen mag, du wirst sicher das Richtige tun. Mach dir keine Sorgen. Es wird alles wieder gut. Du schaffst es bestimmt. Du bist klug, zielstrebig und ein treuer Sohn. Aber höre mir jetzt gut zu. Ich muss dich um etwas sehr Wichtiges bitten ... « Er holte tief Luft und fuhr feierlich fort: »Schwöre, dass du tust, worum ich dich bitte, auch wenn du es nicht verstehst. Schwörst du es?«
»Sprecht, Vater«, erwiderte Diego, den Ernst der Stunde erfassend. Er war ganz Ohr.
Mühsam legte der alte Mann die Hand auf die Brust.
»Wir werden bestimmt alles gut überstehen, aber es könnte auch anders kommen: Möglicherweise reißt der muslimische Überfall die Familie auseinander, vielleicht bin ich danach nicht mehr an deiner Seite. Dann wäre unser bescheidenes Gasthaus deins. Auch unser Vertrag mit dem Orden der Calatrava-Ritter ginge in diesem Fall auf dich über. Aber genau das möchte ich nicht ... «
Diego stutzte.
»Ich möchte nicht, dass du als Vasall endest wie ich. Auf gar keinen Fall, hörst du. Zieh mit deinen Schwestern fort. Hier in die Nähe, meinetwegen nach Toledo. Aber trete nicht in meine Fußstapfen. Du sollst es besser haben als ich, es zu etwas bringen. Greif nach den Sternen und dir werden Flügel wachsen. Suche dir eine Stelle bei einem Gelehrten. Sei ehrgeizig, aber rücksichtsvoll und gewissenhaft. Lass dir in der Arbeit nie etwas nachsagen. Wenn du gegen andere antreten musst, versuche als Sieger hervorzugehen. Schäme dich nicht deiner einfachen Herkunft. Deswegen musst du nicht buckeln und dich unterwerfen. Kämpfe hart für deine Träume und du wirst alles erreichen, was du willst. Schließlich bitte ich dich, für deine Schwestern zu sorgen. Und vergiss eins nicht, mein Sohn: Ich liebe dich über alles. Irgendwann werde ich voller Stolz vom Himmel auf dich herabblicken.«
»Ich will nie von Eurer Seite weichen, Vater«, erwiderte Diego. »Der Gasthof und der Stall müssen nur ein wenig auf Vordermann gebracht werden ... «
Don Marcelo legte ihm die Hand auf den Mund.
»Schwöre, dass du meinem Wunsch folgen wirst!«
Als der Junge dem Vater in die Augen sah, beugte er sich seinem Willen.
»Ihr habt mein Wort, Vater.«
»So ist es recht.« Er strich Diego über die Wange. »Und jetzt geh wieder in den Stall. Die Arbeit wartet.«
»Vater, wann muss ich fort?«
»Du wirst es selbst merken, wenn die Zeit gekommen ist, mein Sohn. Präge dir meine Worte gut ein. Sie zu erfüllen ist deine heilige Pflicht.«
Der Junge nickte.
»Vergiss auch nicht, für deine Schwestern zu sorgen, hörst du.« »Ich verspreche, sie immer zu beschützen.«
2
In der Nähe des Ortes Malagón betrieb Don Marcelo einen einfachen Gasthof. Dieser lag am Großen See, am Weg von Toledo nach
Al-Andalus. Für den Hof zahlte er - wenn auch nicht immer regelmäßig - Lehenzins an die Mönche von Calatrava. Meistens stand er in der Schuld der frommen Ritter.
Bevor sich Don Marcelo diesem Gewerbe verschrieb, hatte er Schafe gehütet, sich als Schmied, Tagelöhner und Bauer verdingt. Obwohl er immer hart gearbeitet hatte, blieb das Brot knapp. Viel Schweiß und kein Preis, lautete Don Marcelos traurige Bilanz.
Schon drei Jahre waren seit dem Tod seiner Frau vergangen. Er selbst war seit zweien ans Bett gefesselt. Ein tückisches Fieber hatte ihn niedergestreckt und gelähmt.
Den Gasthof betrieben Don Marcelos vier Kinder. Belinda, Blanca und Estela teilten sich die Arbeit im Haus, in der Küche und Gaststube. Diego sah nach dem Stall, der alten Mühle und der Schmiede. Vom Vater hatte er nicht nur das Handwerk des Schmieds gelernt, sondern auch den Umgang mit Pferden. Der Junge war regelrecht vernarrt in die Tiere und wusste jede ihrer Regungen zu deuten. Es hieß, er könne sogar deren Gedanken lesen.
Die drei Mädchen waren rothaarig wie die Mutter. Diego hingegen hatte das dunkle borstige Haar vom Vater.
Von seinen Schwestern mochte Diego die dreizehnjährige, sommersprossige Estela am liebsten. Sie war immer guter Dinge und zum Scherzen aufgelegt.
Belinda hingegen war ein Energiebündel, das keine Muße kannte.
Mit ihrer Geschäftigkeit ging sie den anderen Geschwistern auf die Nerven. Alles drehte sich bei ihr um Sauberkeit und Ordnung. Wenn es nicht nach ihrem Kopf ging, schimpfte und tobte sie. Im Grunde ihres Wesens aber war sie herzensgut. Dem Zauber ihrer himmelblauen Augen - auch die waren Mutters Erbe - konnte sich niemand entziehen. Ein Blick Belindas genügte, um jeden Unmut zu bezwingen und ihren Willen durchzusetzen.
Blanca war die zweitälteste. Der Vater behauptete, sie sei aus dem gleichen Holz wie die Mutter, genauso aufopfernd und sanftmütig.
Das Wirtshaus war nie gut gegangen, auch nicht zu Friedenszeiten, als die Straße zwischen Toledo und Calatrava noch frei passierbar war. Nur selten zog es Fremde in die Gegend. Und wenn, kehrten sie lieber ein paar Meilen weiter in einem für sein gutes Essen bekannten Gasthof ein. Bei Don Marcelo schauten nur gelegentlich die paar verbliebenen Nachbarn vorbei. Besonders jetzt, wo ein Krieg unmittelbar bevorzustehen schien, verirrte sich selten ein Durchreisender - und wenn, dann meistens ein Soldat - in die bescheidene Wirtsstube. Soldaten aber brachten keine Einnahmen, denn sie beriefen sich auf das Recht der freien Speisung.
In Don Marcelos Kasse war Geld immer rar gewesen. Doch seit einigen Monaten herrschte darin gähnende Leere.
Es war ein heißer Abend. Die Kirchturmuhr von Malagón hatte eben sieben geschlagen. In der Wirtsstube befanden sich kaum ein halbes Dutzend Gäste. - Da geschah etwas Grauenvolles ...
Estela und Blanca bedienten gerade in der Gaststube. Belinda stand am Herd und bereitete das Abendessen vor. Im Stall striegelte Diego Sabba - seine fuchsrote Araberstute.
Plötzlich stürzte ein Mann in die Wirtsstube, ein Soldat. Die Haare standen ihm wild vom Kopf; die Augen waren vor Entsetzen weit geöffnet. Den ganzen Kerl bedeckte eine dicke Schicht aus Staub, Schmutz und Schweiß. Taumelnd schleppte er sich an den Tischen vorbei. Er rempelte gegen zwei Stühle, die krachend umfielen. Schließlich brach er mit einem grellen Schrei zusammen. Wie vom Donner gerührt blickten sich die Anwesenden an. Der Mann war schwer verletzt. In seinem Rücken steckten drei Pfeile.
»Die Schwarze Garde«, stieß er mühsam hervor, »sie ist schon hier ... Flieht!«
Bei den letzten Worten schrie der Verletzte vor Schmerz noch einmal jäh auf.
Es konnte nicht schlimmer sein. Offenbar standen die Afrikaner bereits vor der Tür. Das konnte nur heißen, dass die Almohaden die Schlacht gewonnen hatten. Die »Schwarze Garde« des Kalifen war gefürchtet für ihren Blutdurst und ihre Grausamkeit. Alle waren starr vor Angst. Nichts konnte sie mehr vor dem schrecklichen Gemetzel retten. Auch die Calatrava-Ritter nicht. Bestimmt waren sie schon tot oder über alle Berge.
Panik brach aus. Als wäre ihnen der Leibhaftige auf den Fersen, rannten die Gäste aus der Stube. Geschirr klirrte, Bänke und Tische krachten in der Hast zu Boden. Zurück blieben drei tief verängstigte Mädchen.
Endlich riss sich Blanca los und rannte zum Bruder in den Stall. Ratlos blieb Estela bei dem Schwerverwundeten.
Was tun? Ihre Familie konnte nicht fliehen. Der Vater war ans Bett gefesselt. Wie sollten sie ihn auf einen Karren hieven?
Das Mädchen beugte sich zum Sterbenden und sah ihm in die Augen.
»Ich flehe Euch an: Bitte sagt mir, wie nahe ist die Schwarze Garde?«
Der Soldat umkrallte Estelas Arm, als könnte er so die schwindenden Lebensgeister zurückhalten.
»Euch bleibt kaum Zeit ... Sie haben mich angegriffen«, die Stimme des Mannes war nur noch ein schwaches Flüstern, »sie ritten auf Schimmeln, diese Söhne des Satans.«
Verzweifelt versuchte Estela, den eisernen Griff des Sterbenden zu lösen. Aus Leibeskräften schrie sie um Hilfe.
Belinda eilte aus der Küche herbei. Mit dem Fleischmesser, das sie noch in der Hand trug, drohte sie dem Soldaten.
»Lasst sie endlich los!« Dabei hielt sie ihm die Klinge unter die Nase. »Sonst müssen wir alle sterben. Ihr habt großen Mut bewiesen, als Ihr Euch hierhergeschleppt habt, um uns zu warnen.«
Als der Sterbende Belindas Augen sah, glaubte er bereits im Himmel zu sein. Estelas hingegen waren weit aufgerissen vor Grauen.
»Gott sei mit Euch!« Endlich lockerte er den Griff. Die Hand des Soldaten fiel von Estela ab und glitt zu Boden.
In diesem Augenblick stürzten die anderen beiden Geschwister herein.
»Ich habe die Pferde vor den Wagen gespannt«, sagte Diego ruhig. »Sobald wir den Vater heruntergebracht haben, können wir los.«
Da begannen die Kirchturmglocken, Sturm zu läuten. Die Zeit drängte, der Feind musste schon im Dorf sein. Hastig rannten die Geschwister nach oben ans Bett des Vaters. Der Alte begriff zwar sofort den Ernst der Lage, aber er weigerte sich, mit den Kindern zu fliehen. Da half kein Bitten und Betteln. Er sei nur eine Last. Ohne ihn könnten sie vielleicht davonkommen.
»Ich werde das Haus nicht verlassen ... « Don Marcelo klammerte sich an die Bettlaken. »Es ist mein Zuhause, das ich mit eurer Mutter geteilt habe. Hier seid ihr alle geboren. Fort mit euch! Bringt euch in Sicherheit! Das ist ein Befehl! Ich bleibe!«
Don Marcelo hatte die Stimme erhoben. Die Kinder verstummten. »Ich möchte, dass ihr ohne mich flieht. Habt ihr verstanden?« »Aber das können wir nicht tun, Vater. Entweder wir gehen alle
oder wir bleiben«, entgegnete Belinda als Älteste.
Eindringlich sah der Vater zu Diego hinüber. Dieser verstand sofort. Ihre Unterredung lag erst wenige Stunden zurück. Jetzt musste er die Verantwortung für die Familie übernehmen.
Unter Tränen küsste er den Vater auf die Stirn.
»Tut, was Vater sagt, und folgt mir. Die Zeit ist knapp. Schnell, lasst uns gehen!«
Diego blieb hart, obwohl die Schwestern sich sträubten. Er hoffte auf die Einsicht der Ältesten und zog die beiden Jüngeren mit sich fort.
»So sei es denn.« Belinda erhob sich und zerrte nun ebenfalls ihre Schwestern davon. Ihr Herz blutete, aber ihnen blieb keine andere Wahl.
Vom Schmerz betäubt, nahmen die drei Mädchen Abschied vom Vater. Sie bedeckten seine Hände und Wangen mit Küssen, konnten sich nicht von ihm losreißen, während er sie von sich schob.
Da ließ das Geräusch von Pferdehufen und Männerstimmen im Hof sie aufhorchen.
»Verschwindet endlich!«, schrie der Vater verzweifelt.
Die Geschwister stürzten die Treppe hinunter und rannten zum Stall. Unruhig, als ahnten sie die Gefahr, scharrten die angespannten Pferde. Diego half den Schwestern auf den Wagen. Er selbst schwang sich neben Belinda auf den Kutschbock und riss die Zügel an sich. Die Pferde rasten los.
Durch den Lärm des Wagens hindurch hörte Diego hinter sich ein Wiehern. Als er zurückblickte, sah er seine Stute Sabba ihnen nachjagen. Jeder Muskel des Tieres vibrierte vor Anspannung, der edle Blick war auf seinen Herrn gerichtet. Für Diego war es in diesem Moment das schönste Pferd der Welt. Der Vater hatte es ihm nach dem Tod der Mutter als Trost geschenkt. Er hatte viel dafür bezahlt - weit mehr als sich die Familie leisten konnte. Aber es hatte Don Marcelo nie gereut. Im Gegenteil: Er freute sich immer aufs Neue an dem engen Band zwischen Pferd und Sohn.
Als Diego seine Stute rief, galoppierte sie zu ihrem Herrn. Sabba schnaubte wohlig, während ihr Diego die Stirn tätschelte. Im treuen Blick des Tieres blitzte Furcht auf.
»Meine arme Sabba, fast hätte ich dich vergessen.«
Bei diesem Satz musste Diego an den Vater denken. Sein Herz krampfte sich zusammen. Schuldbewusst sah er Belinda an und reichte ihr die Zügel. Mit einem Satz saß er auf Sabbas Rücken.
»Ich kann Vater nicht allein lassen ... «, rief er dem sich rasch entfernenden Wagen nach. »Haltet erst, wenn ihr in Toledo seid. Ich komme nach, sobald ich kann. Geht, lasst euch nicht aufhalten. Wir sehen uns in Toledo.«
...
Übersetzung: Eva Maria del Carmen Kobetz Revuelta
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Blanvalet Verlag,
einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.
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Autoren-Porträt von Gonzalo Giner
Gonzalo Giner, 1962 in Madrid geboren, schrieb 2004 seinen ersten Roman, der in sechs Sprachen übersetzt wurde. Der Heiler der Pferde ist sein dritter Roman - und sein persönlichster, denn Gonzalo Giner studierte Veterinärmedizin und ist praktizierender Tierarzt. Er erzählt von der hohen Kunst der Tierheiler im Mittelalter, eingebettet in die prächtige historische Kulisse Spaniens im 12. und 13. Jahrhundert.
Bibliographische Angaben
- Autor: Gonzalo Giner
- 2011, Erstmals im TB, 672 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Eva Maria del Carmen Kobetz Revuelta
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442373301
- ISBN-13: 9783442373307
- Erscheinungsdatum: 16.12.2011
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