Der helle Horizont
Roman. Ausgezeichnet mit dem Nike-Literaturpreis 1997
Eine Kindheit in Polen: Der junge Piotr lebt behütet auf dem Land. Als die Front in den letzten Kriegstagen immer näher rückt, heißt es Abschiednehmen vom ländlichen Idyll und der Geborgenheit der Großfamilie. Vater, Mutter und Kind flüchten sich in eine...
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Produktinformationen zu „Der helle Horizont “
Eine Kindheit in Polen: Der junge Piotr lebt behütet auf dem Land. Als die Front in den letzten Kriegstagen immer näher rückt, heißt es Abschiednehmen vom ländlichen Idyll und der Geborgenheit der Großfamilie. Vater, Mutter und Kind flüchten sich in eine kleine Stadt, wo sie Unterschlupf finden im Souterrain der beiden Fräulein Poncka, die ihr Leben offensichtlich mit Liebesdiensten bestreiten. Aber während die Eltern unter Flucht und Armut leiden und sich nur schwer an das neue Leben gewöhnen können, verliebt sich Piotr eines Tages in dieses schöne Mädchen aus der Nachbarschaft, das so wunderbar Orgel spielen kann.
In einer Prosa von seltener Meisterschaft, die schwebende Leichtigkeit mit virtuoser Sprachgewalt vereint, lässt Wieslaw Mysliwski das Polen der Nachkriegszeit wieder auferstehen. Ein großer Roman mit deutlich autobiografischen Zügen - über die Erinnerung, das Erwachsenwerden und die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit in Zeiten des Umbruchs.
Klappentext zu „Der helle Horizont “
Eine Kindheit in Polen: Der junge Piotr lebt behütet auf dem Land. Als die Front in den letzten Kriegstagen immer näher rückt, heißt es Abschiednehmen vom ländlichen Idyll und der Geborgenheit der Großfamilie. Vater, Mutter und Kind flüchten sich in eine kleine Stadt, wo sie Unterschlupf finden im Souterrain der beiden Fräulein Poncka, die ihr Leben offensichtlich mit Liebesdiensten bestreiten. Aber während die Eltern unter Flucht und Armut leiden und sich nur schwer an das neue Leben gewöhnen können, verliebt sich Piotr eines Tages in dieses schöne Mädchen aus der Nachbarschaft, das so wunderbar Orgel spielen kann ... In einer Prosa von seltener Meisterschaft, die schwebende Leichtigkeit mit virtuoser Sprachgewalt vereint, lässt Wieslaw Mysliwski das Polen der Nachkriegszeit wieder auferstehen. Ein großer Roman mit deutlich autobiografischen Zügen - über die Erinnerung, das Erwachsenwerden und die Sehnsucht nach Heimat und Geborgenheit in Zeiten des Umbruchs.
Lese-Probe zu „Der helle Horizont “
Die Schlacht bei CannäDamals wusste ich noch nichts von Ikarus, doch wenn ich von dem Hügel hinabsah in die Ebene, die sich da unten dehnte, lockte es mich mächtig, die Arme weit zu spannen, ein paarmal damit in der Luft zu wedeln und aufzusteigen, höher und höher, und, nach ein, zwei Runden über unserm Haus, weiterzusegeln bis hin zu den Pfefferbergen und auf deren vorspringender Spitze niederzugehen oder daneben, auf einem von den gewölbten Trägern der Eisenbahnbrücke, oder gar mit der Weichsel davonzuziehen, über ihr, solange meine Kräfte reichten, bis an ihr Ende.
Ich sah mich manches Mal, wie meine weit gespannten Arme mich hochrissen von dem Hügel, emportrugen - ich schwebe über der Treppe, jemand steigt sie hinauf, gebeugt, gekrümmt, sich am Geländer haltend, und wenn ich dann über unserm Haus bin, schwinge ich mich noch höher empor, damit die Mutter mich nicht erkennt, und sei es an dem Schatten, den ich auf die Erde werfe, schon liegt das Haus hinter mir, doch unglücklicherweise geht die Tür zu unserm Souterrain auf die Ebene hinaus, und aus dieser Tür kommt die Mutter gelaufen, wohl von einer Ahnung getrieben, denn meinen gleitenden Flug kann sie nicht gehört haben, und schreit mir in den Himmel nach:
"Hast du den Zucker gekauft?! Und das Salz?! Und das Brot?!"
Und augenblicks verlässt mich die Kraft, etwas zieht mich nach unten wie einen Drachen an der Schnur, ich gehe tiefer, sinke und lande beschämt vor ihr, denn ich habe nichts gekauft, denn ich habe mir Chalwa gekauft, und was übrig war, hab ich beim Fangen mit den Jungs verloren.
Und deshalb ging ich, wenn ich etwas bei ihr gutmachen wollte, und sie hatte mich wieder mal nach Zucker, Salz oder Brot in die Stadt geschickt, anstatt die Treppe hinabzusteigen, im Sturzflug vor unserm Haus nieder und ließ mich dicht vor der Tür zu unserm Souterrain von meinen weit gespannten Armen fallen. Obwohl ich für gewöhnlich die Treppe auch ohne zu fliegen in großen Sätzen nahm, zwei, drei, und von
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oben herunter fünf und sechs Stufen auf einmal, so dass die Mutter ihre an Angst grenzende Überraschung nie verbergen konnte, dass ich schon zurück war. Aber nicht mit einem Lob empfing sie mich, Lob schien ihr wohl nicht angemessen für meine Tat, und ihrer heimlichen Angst hätte es erst recht nicht entsprochen, sondern mit einer Warnung:
"Spring, immer spring, bis du dir noch mal ein Bein brichst."
Es sei denn, sie war heiter gestimmt, was unerhört selten vorkam und einzig in Momenten der Zerstreutheit oder wenn gerade ein Nachbar da war, dann schwang in ihrer Stimme beinahe Bewunderung für mich mit:
"Nein, Junge, wie du fliegst."
Die Treppe begann gleich hinter dem Haus und klomm, fast in gerader Linie, mit geringen Abweichungen bald zur einen, bald zur andern Seite, alle zehn Stufen von einem gepflasterten Absatz unterbrochen, hinauf bis zum Gipfel des Hügels, auf dem die Stadt lag. Oder andersherum, weil doch alles von unserem Standort im Raum abhängt, denn der Raum bestimmt unsere Vorstellungen und Empfindungen und also letztlich unser Geschick - sie begann auf dem Gipfel des Hügels, auf dem die Stadt lag, und stürzte auf dessen steilster Seite in Kaskaden abwärts bis zu der Stelle, wo jene weite Ebene ihren Anfang nahm. Genau da stand unser Haus, mit der Rückseite bis zur Höhe des Souterrains eingegraben in den sanft auslaufenden Hang, obgleich man auch sagen könnte, dass dies seine Vorderseite war und wir auf der Rückseite wohnten, zu jener weiten Ebene hinaus.
Außer der Treppe führten noch andere Wege in die Stadt, leichtere. Sie wanden sich in zahlreichen Schlaufen den Hügel hinauf, seine Steile mildernd, obwohl sie die Entfernung beträchtlich verlängerten. Man konnte auch die Brauereistraße nehmen, die, wie der Name sagt, von der Brauerei abging, die es einmal hier gegeben hatte, den Hügel vollständig umrundete und fast auf der gegenüberliegenden Seite einmündete in die Stadt. Doch über die Treppe war es am nächsten. Über die Treppe, das war wie bis in die Nachbarstraße, bloß dass die sehr weit oben lag. Und das Wichtigste - wenn man die Treppe hinaufstieg, hatte man das Gefühl, man wohnte in der Stadt und nicht in irgendeinem Flecken am Hang, den die Leute aus der Stadt herablassend Rybitwy nannten. Ja wohnte im ältesten Teil der Stadt, denn unmittelbar über sich, in einem Abstand, der einen befugte, sie als nächste Nachbarn zu betrachten, hatte man das Collegium Gostomianum, das Dlugosz-Haus, dahinter gleich die Kathedrale, das Bischofspalais und kam zudem auf geradem Wege auf dem Markt heraus.
Und darum gingen, auch wenn sie über die Treppe klagten, alle über die Treppe in die Stadt. Übrigens sah man, immer wenn man sie hinabstieg, so leicht, so schmerzlos, als liefen die Beine von allein und befreiten den übrigen Körper von jedweder Mühe, und eben kraxelten Leute qualvoll hinauf, am besten, welchen Preis sie dafür zahlten, im ältesten Teil der Stadt zu wohnen und nicht in irgend so einem Rybitwy. Körper, die krampfhaft am knarrenden Holzgeländer hingen, verzerrte Gesichter, und statt der Münder offene Löcher, mit denen sie nach Luft schnappten. Man konnte meinen, sie schleppten die Treppe an ihren Füßen wie zur Strafe nach oben. Es war regelrecht unangenehm, so jemandem zu begegnen. Am schlimmsten waren die Alten, jeden, der von oben kam, hätten sie am liebsten erschlagen aus Hass, als führte der Weg über die Treppe nur in die eine Richtung, wie sie ihn gingen, nach oben. Und als täte man, ihn herabkommend, seiner Bestimmung Gewalt an.
Am wenigsten in Rybitwy fand sich wohl die Mutter mit der Treppe ab, die immer, wenn sie aus der Stadt kam, beschloss, unbedingt eine andere Wohnung zu suchen, und sich schwor, das nächste Mal doch einen von diesen längeren, den Umgehungswegen, zu nehmen oder gar die Brauereistraße, selbst wenn sie einen halben Tag damit verplempern sollte. Doch wenn es so weit war und sie musste wieder in die Stadt, nahm sie die Treppe. Worauf sie wieder wütend heimkam und mit dem gleichen Entschluss, eine andere Wohnung würde sie suchen, vielleicht am Markt, vielleicht hinter der Kathedrale, vielleicht am andern Ende der Stadt, hier, dort, für welche Sünden sollen wir uns so schinden, auf dieser Treppe, und für was? Nach Zucker krauchst du fast bis in den Himmel, nach Salz fast bis in den Himmel, nach Brot bis in den Himmel. Und was ist mit Kartoffeln, Mehl, Graupen oder auch nur einem Streifchen Speck, nach allem bis in den Himmel. Jesus von Nazareth, macht was mit dieser Treppe, es ist, wie wenn wir in der Hölle wohnen, nicht auf der Erde! Und während sie ihren Entschluss so für sich selbst befestigte, übertrug sie ihre Verwünschungen von der Treppe auf den ganzen Hügel, auf dem die Stadt lag, der leibhaftige Satan habe sich vermutlich die Stadt da oben ausgedacht, denn Gott nicht, Gott würde jeden Menschen auf Rosen betten, wenn er nur könnte. Eine Stadt für Menschen soll das sein, auf dem Flachen müssen Städte liegen, die ganze Welt muss auf dem Flachen liegen.
Ihr Entschluss löste sich freilich so rasch in Luft auf, wie ihr Zorn verflog. Und wenig später wusste sie nicht mehr, dass sie beschlossen hatte, eine andere Wohnung zu suchen, bis zum nächsten Mal, wenn sie von neuem in die Stadt hinauf musste. Denn brach der Zorn auch jäh aus ihr heraus und griff, kaum war er gezündet, auch schon in Flammen um sich, wobei der Grund oft nichtig war, so erlosch er doch ebenso jäh und schlug augenblicklich um in Herzlichkeit, Friedfertigkeit, Verständnis für die Menschen, die Welt, für Gott, den kranken Vater, für mich Unfolgsamen, ja für diese Treppe, über die es zumindest so viel näher war bis in die Stadt.
Vielleicht lebte die Erinnerung wieder in ihr auf, wie sie sich sogar nach dieser Wohnung die Hacken abgelaufen hatte, und das ließ ihren Zorn auf die Treppe abkühlen und auf die Stadt da oben. Die Stadt wimmelte ja von Aussiedlern, Flüchtlingen, Schiffbrüchigen, dazu waren in den meisten Häusern Soldaten, in den ansehnlicheren Behörden einquartiert, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Obwohl sie Glück im Unglück gehabt hatte und die Front an ihr vorbeigezogen und gleich in sichere Entfernung gerückt war, so dass alles in allem nur ein paar Granaten eingeschlagen waren, ohne groß Schaden anzurichten, und wohl drei Bomben, von denen eine die Brauerei zerstört hatte, die nahe bei unserm Haus lag.
Sie hatte schon die Hoffnung aufgegeben, überhaupt einen Unterschlupf zu finden. Müde, ratlos hatte sie schließlich einen Laden betreten, ob sie nicht wüssten, wo hier was zu mieten wäre? Und in dem Laden traf sie auf eine elegante junge Dame, die sagte, in dem Haus, wo sie mit ihrer Schwester wohne, sei das Souterrain noch frei, doch das sei in Rybitwy. Wenn die Mutter wollte, erböte sie sich, mit der Besitzerin zu reden, die irgendwo am Markt wohnt. Die elegante Dame war eine von den Fräulein Poncka gewesen, Róza oder Ewelina, die Mutter erinnerte sich nicht mehr, obgleich sie, kaum hatten wir das Souterrain bezogen, Freundschaft mit ihnen schloss, denn Freundschaften schloss sie rasch, genauso rasch wie sie sie aufkündigte aus irgendeinem läppischen Grund.
Bei Vater freilich genossen die Fräulein Poncka kein Vertrauen, obwohl sie uns von allein, aus freien Stücken halfen, das Souterrain einzurichten und allerhand Sachen von sich anschleppten, zwei Stühle, ein Regal, einen Wandbehang, irgendeine Landschaft, einen Fenstervorhang, ein paar Teller, Gläser. Und auch später brachten sie dauernd irgendwas, wir könnten das brauchen, bei ihnen steht es nur rum, oder sie hätten jetzt etwas Neues, und das da sei zu nichts mehr nütze, oder sie hätten noch einmal das gleiche. Nun, aber vor allem wusste die Mutter endlich, zu wem sie gehen konnte, um zu schwatzen, ja Tangomusik zu hören, denn sie besaßen ein Grammophon und eine ganze Etagere voller Platten mit Tangos, und auch sie liebten, so wie die Mutter, Tangos.
Im übrigen war der Vater überhaupt verschlossen, schweigsam, seit wir das Souterrain bewohnten. Es freute ihn nicht einmal sehr, dass der Krieg vorbei war. Kaum war er aufgestanden, gewaschen, rasiert, hatte sich angezogen, gegessen, da legte er sich schon wieder in den Kleidern aufs gemachte Bett und starrte nur immer auf das Fenster vor sich oder an die Stubendecke über sich, so dass die Mutter ihn oftmals fragte, was siehst du bloß in diesem Fenster, an dieser Decke.
Nun fühlte sie sich verpflichtet, ihn fortwährend zu trösten, sich nicht zu grämen, er wird bestimmt gesund, wird einen Arzt haben, man muss bloß erst den besten finden, der gibt ihm Pillen, vielleicht auch Spritzen, bestimmt wird er gesund, so eine Krankheit ist das auch wieder nicht, das Herz, sind etwa wenig Leute herzkrank. Nach diesem Krieg ist das fast jeder, ihrs poltert mitunter auch so. Und wenn er dann gesund ist, findet er eine Anstellung, sogar eine bessere als die vorm Krieg. Sonntags gehn wir wieder ins Gasthaus, spazieren, ins Kino. Mein Gott, den ganzen Krieg waren wir nicht im Kino. Maria Walewska mit Greta Garbo, weißt du noch? Wie hieß der noch mal, der Napoleon, na, ich habs vergessen. Charles Boyer, half der Vater ein, und lebte sogar etwas auf, nicht wegen dem Film, mehr wegen Napoleon. Ich seh noch vor mir, wie sie auf dieser Treppe von ihm Abschied nimmt, weißt du noch? Bloß etwas zu klein war er für sie. Einen Größeren hätten sie nehmen sollen. Die Körpergröße sagt nichts über einen Menschen aus. Tja, aber für den Film hätten sie ruhig einen nehmen können, sie hätten besser zusammengepasst. Die Uniform sitzt auch besser bei einem Großen. Auf dem Pferd, da sah man es nicht so, aber auf dem Ball, wie sie getanzt haben, weißt du noch? Wo gibts denn so was, dass der Mann einen Kopf kleiner ist? Oder Der Kurier des Zaren. Hab ich was geweint, wie sie dem die Augen ausgebrannt haben. Einen Menschen so zu quälen, da muss man schon kein Fünkchen Mitleid haben. Das ganze Kino hat geweint. Meine Tusche war verschmiert, du hast mirs nicht einmal gesagt. Erst daheim hab ichs gemerkt, vorm Spiegel. Richtig schwarze Schlieren hatte ich auf den Backen von den Tränen. Und mit dem Taschentuch hab ich mir noch die Nase schwarz gemacht. Ach geh, es ist ein andres Leben, in der Stadt. Werd du nur erst gesund. Wir wechseln die Wohnung. Wenigstens zwei Zimmer hätt ich gern. Piotrek hätte seins und wir eins für uns. Und unbedingt nach Süden, jedenfalls das von Piotrek. Das Kind wird größer, braucht ein bisschen Sonne. Zum Lernen muss auch Sonne sein. Und hier haben wirs näher zur Familie. Wir würden ja ewig fahren von dort. Und noch mit Umsteigen. Ich möcht nicht mehr dahin zurück. Ein Katzensprung, und du hast dein Mehl oder deine Sahne, deine Eier oder deine Milch. Wo kriegst du heute solche Sahnemilch. Und die Kartoffeln für den Winter bringt uns der Stefan oder der Wladek. Und was die für Äpfel im Garten haben, was für Birnen, Pflaumen, Kirschen, ich könnte einmachen für den ganzen Winter, bei denen kommt sowieso das meiste um. Weißt du noch, wie viel die Kirschen vorm Krieg gekostet haben? Oder Suppen, Piroggen, wir essen doch Obstsuppen, Piroggen so gern. Piotrek könnte nachmittags mal schnell rüber und was pflücken. Und zur Ernte oder beim Kartoffelhacken, da gehn wir ihnen helfen dafür. Man hätte auch mehr Traute, was zu nehmen von ihnen. Und sparen würden wir. Ich weiß, wie viel ich hab ausgeben müssen für unser Leben.
Nein, wir gehn nicht dahin zurück. Für zwei hat er gearbeitet, hat nicht auf die Zeit geschaut und nicht auf die Gesundheit, oft über die Stunden hinaus. Sogar mit einer Lungenentzündung ist er mal hin, wie sie den Abschluss hatten, immerhin hat er Auszeichnungen aus dem Krieg, und ewig bloß Hauptbuchhalter und Hauptbuchhalter, und die andern klettern jedes Jahr höher. Selbst wenn sie herkämen, um ihn zu holen, wir gehn nicht zurück. Und wär es der Salacki persönlich. Du sagst keinen Ton. Den knöpf ich mir vor. Jahrelang ist mein Mann nicht eine Minute zu spät zur Arbeit gekommen. Sie haben selber zu ihm gesagt: Herr Zygmunt, jetzt ist die Beförderung aber fällig. Und damals, wie Sie den Durchfall hatten und gar nichts mehr geholfen hat, da hat Sie erst mein Mann mit so was Violettem, noch vom Militär, kuriert, und gleich war es wie weggeblasen. Denken Sie mal zurück. Obwohl, ich war nicht sehr erfreut, wie du dich dann mit dem geduzt hast. Zum Duzen trinkt man wenigstens einen zusammen oder lädt zum Essen. Statt so im Büro und bloß mit Handschlag. Befördert worden ist, wer sich eingekratzt hat oder gegen andere gestänkert. Nimm doch mal diesen Salacki, ich sage dir, nach einem Chef sah der nicht aus.
Ja sogar einen Trümo könnten sie sich heute kaufen, bei einem höheren Gehalt. Einen Trümo wollte sie schon immer haben, einen zum Ausklappen, mit Flügeln, dass man sich von der Seite sieht, von hinten, ob die Frisur richtig sitzt. Eine Kredenz vielleicht, ein Kanapee, eins mit Sesseln wär gut, vielleicht gleich alle Möbel. Denn die hier, aus dem Souterrain, ziehn doch nicht mit in die neue Wohnung. Zwei Zimmer müssen, ja die müssen nun mal sein. Und überhaupt, sind das denn Möbel. Und unbedingt Teppiche. Teppiche zuganzallererst. Weißt du noch, bei den Switalskis, die Teppiche? Man wusste nicht, wie drauf gehn. Draußen wars trocken, und die hatte alles voller Baboschen in der Diele, die musstest du anziehn. Und die Möbel später. Oder vielleicht die Möbel zuganzallererst? Was meinst du? Sie wollte unbedingt hellen Nussbaum. Das ertrotzte sie fast, dass sich der Vater zu hellem Nussbaum bereit fand, ebenso wie sie ertrotzte, dass er sich bereit fand zu Esche, als ihr der Sinn plötzlich nach Esche stand. Denn Esche ist heller als die Sonne, und sie wollte, dass es hell bei uns war.
Und obwohl sie diese ihre Zukunft, wenn er erst gesund wäre, so überzeugend, umsichtig, in den kleinsten Einzelheiten und mit solchem Eifer entwarf, dass sie manchmal fast außer sich geriet, starrte der Vater nur immer auf das Fenster vor sich oder an die Stubendecke über sich und ließ sich bloß mit Mühe abbringen von diesem Starren. Wer weiß, vielleicht hing er auch längst Ahnungen von seinem nahen Tod nach, die er tunlichst vor ihr verbarg. Obwohl, vielleicht verbarg auch sie vor ihm, während sie so an ihrer Zukunft baute, ihre Ahnung von seinem Tod, die sie zunehmend schmerzlicher bedrängte.
Was für einen Weg musste sie zurückgelegt haben seit jener ersten Beklommenheit wegen der Tropfen, als er an einem Sonntag heimgekommen war, noch im Krieg, und erklärte, er ginge nicht mehr zur Arbeit, die Organisation sei aufgeflogen, und diese Tropfen mitgebracht hatte. Ach was, Tropfen, hätte sie sich sagen können, doch jedesmal wenn er sie auf den Teelöffel zählte, trat Furcht in ihre Augen. Wie lange wirst du die noch nehmen? Ein, zwei Monate sollten es sein, und nun ist es das wievielte Fläschchen?
"Spring, immer spring, bis du dir noch mal ein Bein brichst."
Es sei denn, sie war heiter gestimmt, was unerhört selten vorkam und einzig in Momenten der Zerstreutheit oder wenn gerade ein Nachbar da war, dann schwang in ihrer Stimme beinahe Bewunderung für mich mit:
"Nein, Junge, wie du fliegst."
Die Treppe begann gleich hinter dem Haus und klomm, fast in gerader Linie, mit geringen Abweichungen bald zur einen, bald zur andern Seite, alle zehn Stufen von einem gepflasterten Absatz unterbrochen, hinauf bis zum Gipfel des Hügels, auf dem die Stadt lag. Oder andersherum, weil doch alles von unserem Standort im Raum abhängt, denn der Raum bestimmt unsere Vorstellungen und Empfindungen und also letztlich unser Geschick - sie begann auf dem Gipfel des Hügels, auf dem die Stadt lag, und stürzte auf dessen steilster Seite in Kaskaden abwärts bis zu der Stelle, wo jene weite Ebene ihren Anfang nahm. Genau da stand unser Haus, mit der Rückseite bis zur Höhe des Souterrains eingegraben in den sanft auslaufenden Hang, obgleich man auch sagen könnte, dass dies seine Vorderseite war und wir auf der Rückseite wohnten, zu jener weiten Ebene hinaus.
Außer der Treppe führten noch andere Wege in die Stadt, leichtere. Sie wanden sich in zahlreichen Schlaufen den Hügel hinauf, seine Steile mildernd, obwohl sie die Entfernung beträchtlich verlängerten. Man konnte auch die Brauereistraße nehmen, die, wie der Name sagt, von der Brauerei abging, die es einmal hier gegeben hatte, den Hügel vollständig umrundete und fast auf der gegenüberliegenden Seite einmündete in die Stadt. Doch über die Treppe war es am nächsten. Über die Treppe, das war wie bis in die Nachbarstraße, bloß dass die sehr weit oben lag. Und das Wichtigste - wenn man die Treppe hinaufstieg, hatte man das Gefühl, man wohnte in der Stadt und nicht in irgendeinem Flecken am Hang, den die Leute aus der Stadt herablassend Rybitwy nannten. Ja wohnte im ältesten Teil der Stadt, denn unmittelbar über sich, in einem Abstand, der einen befugte, sie als nächste Nachbarn zu betrachten, hatte man das Collegium Gostomianum, das Dlugosz-Haus, dahinter gleich die Kathedrale, das Bischofspalais und kam zudem auf geradem Wege auf dem Markt heraus.
Und darum gingen, auch wenn sie über die Treppe klagten, alle über die Treppe in die Stadt. Übrigens sah man, immer wenn man sie hinabstieg, so leicht, so schmerzlos, als liefen die Beine von allein und befreiten den übrigen Körper von jedweder Mühe, und eben kraxelten Leute qualvoll hinauf, am besten, welchen Preis sie dafür zahlten, im ältesten Teil der Stadt zu wohnen und nicht in irgend so einem Rybitwy. Körper, die krampfhaft am knarrenden Holzgeländer hingen, verzerrte Gesichter, und statt der Münder offene Löcher, mit denen sie nach Luft schnappten. Man konnte meinen, sie schleppten die Treppe an ihren Füßen wie zur Strafe nach oben. Es war regelrecht unangenehm, so jemandem zu begegnen. Am schlimmsten waren die Alten, jeden, der von oben kam, hätten sie am liebsten erschlagen aus Hass, als führte der Weg über die Treppe nur in die eine Richtung, wie sie ihn gingen, nach oben. Und als täte man, ihn herabkommend, seiner Bestimmung Gewalt an.
Am wenigsten in Rybitwy fand sich wohl die Mutter mit der Treppe ab, die immer, wenn sie aus der Stadt kam, beschloss, unbedingt eine andere Wohnung zu suchen, und sich schwor, das nächste Mal doch einen von diesen längeren, den Umgehungswegen, zu nehmen oder gar die Brauereistraße, selbst wenn sie einen halben Tag damit verplempern sollte. Doch wenn es so weit war und sie musste wieder in die Stadt, nahm sie die Treppe. Worauf sie wieder wütend heimkam und mit dem gleichen Entschluss, eine andere Wohnung würde sie suchen, vielleicht am Markt, vielleicht hinter der Kathedrale, vielleicht am andern Ende der Stadt, hier, dort, für welche Sünden sollen wir uns so schinden, auf dieser Treppe, und für was? Nach Zucker krauchst du fast bis in den Himmel, nach Salz fast bis in den Himmel, nach Brot bis in den Himmel. Und was ist mit Kartoffeln, Mehl, Graupen oder auch nur einem Streifchen Speck, nach allem bis in den Himmel. Jesus von Nazareth, macht was mit dieser Treppe, es ist, wie wenn wir in der Hölle wohnen, nicht auf der Erde! Und während sie ihren Entschluss so für sich selbst befestigte, übertrug sie ihre Verwünschungen von der Treppe auf den ganzen Hügel, auf dem die Stadt lag, der leibhaftige Satan habe sich vermutlich die Stadt da oben ausgedacht, denn Gott nicht, Gott würde jeden Menschen auf Rosen betten, wenn er nur könnte. Eine Stadt für Menschen soll das sein, auf dem Flachen müssen Städte liegen, die ganze Welt muss auf dem Flachen liegen.
Ihr Entschluss löste sich freilich so rasch in Luft auf, wie ihr Zorn verflog. Und wenig später wusste sie nicht mehr, dass sie beschlossen hatte, eine andere Wohnung zu suchen, bis zum nächsten Mal, wenn sie von neuem in die Stadt hinauf musste. Denn brach der Zorn auch jäh aus ihr heraus und griff, kaum war er gezündet, auch schon in Flammen um sich, wobei der Grund oft nichtig war, so erlosch er doch ebenso jäh und schlug augenblicklich um in Herzlichkeit, Friedfertigkeit, Verständnis für die Menschen, die Welt, für Gott, den kranken Vater, für mich Unfolgsamen, ja für diese Treppe, über die es zumindest so viel näher war bis in die Stadt.
Vielleicht lebte die Erinnerung wieder in ihr auf, wie sie sich sogar nach dieser Wohnung die Hacken abgelaufen hatte, und das ließ ihren Zorn auf die Treppe abkühlen und auf die Stadt da oben. Die Stadt wimmelte ja von Aussiedlern, Flüchtlingen, Schiffbrüchigen, dazu waren in den meisten Häusern Soldaten, in den ansehnlicheren Behörden einquartiert, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Obwohl sie Glück im Unglück gehabt hatte und die Front an ihr vorbeigezogen und gleich in sichere Entfernung gerückt war, so dass alles in allem nur ein paar Granaten eingeschlagen waren, ohne groß Schaden anzurichten, und wohl drei Bomben, von denen eine die Brauerei zerstört hatte, die nahe bei unserm Haus lag.
Sie hatte schon die Hoffnung aufgegeben, überhaupt einen Unterschlupf zu finden. Müde, ratlos hatte sie schließlich einen Laden betreten, ob sie nicht wüssten, wo hier was zu mieten wäre? Und in dem Laden traf sie auf eine elegante junge Dame, die sagte, in dem Haus, wo sie mit ihrer Schwester wohne, sei das Souterrain noch frei, doch das sei in Rybitwy. Wenn die Mutter wollte, erböte sie sich, mit der Besitzerin zu reden, die irgendwo am Markt wohnt. Die elegante Dame war eine von den Fräulein Poncka gewesen, Róza oder Ewelina, die Mutter erinnerte sich nicht mehr, obgleich sie, kaum hatten wir das Souterrain bezogen, Freundschaft mit ihnen schloss, denn Freundschaften schloss sie rasch, genauso rasch wie sie sie aufkündigte aus irgendeinem läppischen Grund.
Bei Vater freilich genossen die Fräulein Poncka kein Vertrauen, obwohl sie uns von allein, aus freien Stücken halfen, das Souterrain einzurichten und allerhand Sachen von sich anschleppten, zwei Stühle, ein Regal, einen Wandbehang, irgendeine Landschaft, einen Fenstervorhang, ein paar Teller, Gläser. Und auch später brachten sie dauernd irgendwas, wir könnten das brauchen, bei ihnen steht es nur rum, oder sie hätten jetzt etwas Neues, und das da sei zu nichts mehr nütze, oder sie hätten noch einmal das gleiche. Nun, aber vor allem wusste die Mutter endlich, zu wem sie gehen konnte, um zu schwatzen, ja Tangomusik zu hören, denn sie besaßen ein Grammophon und eine ganze Etagere voller Platten mit Tangos, und auch sie liebten, so wie die Mutter, Tangos.
Im übrigen war der Vater überhaupt verschlossen, schweigsam, seit wir das Souterrain bewohnten. Es freute ihn nicht einmal sehr, dass der Krieg vorbei war. Kaum war er aufgestanden, gewaschen, rasiert, hatte sich angezogen, gegessen, da legte er sich schon wieder in den Kleidern aufs gemachte Bett und starrte nur immer auf das Fenster vor sich oder an die Stubendecke über sich, so dass die Mutter ihn oftmals fragte, was siehst du bloß in diesem Fenster, an dieser Decke.
Nun fühlte sie sich verpflichtet, ihn fortwährend zu trösten, sich nicht zu grämen, er wird bestimmt gesund, wird einen Arzt haben, man muss bloß erst den besten finden, der gibt ihm Pillen, vielleicht auch Spritzen, bestimmt wird er gesund, so eine Krankheit ist das auch wieder nicht, das Herz, sind etwa wenig Leute herzkrank. Nach diesem Krieg ist das fast jeder, ihrs poltert mitunter auch so. Und wenn er dann gesund ist, findet er eine Anstellung, sogar eine bessere als die vorm Krieg. Sonntags gehn wir wieder ins Gasthaus, spazieren, ins Kino. Mein Gott, den ganzen Krieg waren wir nicht im Kino. Maria Walewska mit Greta Garbo, weißt du noch? Wie hieß der noch mal, der Napoleon, na, ich habs vergessen. Charles Boyer, half der Vater ein, und lebte sogar etwas auf, nicht wegen dem Film, mehr wegen Napoleon. Ich seh noch vor mir, wie sie auf dieser Treppe von ihm Abschied nimmt, weißt du noch? Bloß etwas zu klein war er für sie. Einen Größeren hätten sie nehmen sollen. Die Körpergröße sagt nichts über einen Menschen aus. Tja, aber für den Film hätten sie ruhig einen nehmen können, sie hätten besser zusammengepasst. Die Uniform sitzt auch besser bei einem Großen. Auf dem Pferd, da sah man es nicht so, aber auf dem Ball, wie sie getanzt haben, weißt du noch? Wo gibts denn so was, dass der Mann einen Kopf kleiner ist? Oder Der Kurier des Zaren. Hab ich was geweint, wie sie dem die Augen ausgebrannt haben. Einen Menschen so zu quälen, da muss man schon kein Fünkchen Mitleid haben. Das ganze Kino hat geweint. Meine Tusche war verschmiert, du hast mirs nicht einmal gesagt. Erst daheim hab ichs gemerkt, vorm Spiegel. Richtig schwarze Schlieren hatte ich auf den Backen von den Tränen. Und mit dem Taschentuch hab ich mir noch die Nase schwarz gemacht. Ach geh, es ist ein andres Leben, in der Stadt. Werd du nur erst gesund. Wir wechseln die Wohnung. Wenigstens zwei Zimmer hätt ich gern. Piotrek hätte seins und wir eins für uns. Und unbedingt nach Süden, jedenfalls das von Piotrek. Das Kind wird größer, braucht ein bisschen Sonne. Zum Lernen muss auch Sonne sein. Und hier haben wirs näher zur Familie. Wir würden ja ewig fahren von dort. Und noch mit Umsteigen. Ich möcht nicht mehr dahin zurück. Ein Katzensprung, und du hast dein Mehl oder deine Sahne, deine Eier oder deine Milch. Wo kriegst du heute solche Sahnemilch. Und die Kartoffeln für den Winter bringt uns der Stefan oder der Wladek. Und was die für Äpfel im Garten haben, was für Birnen, Pflaumen, Kirschen, ich könnte einmachen für den ganzen Winter, bei denen kommt sowieso das meiste um. Weißt du noch, wie viel die Kirschen vorm Krieg gekostet haben? Oder Suppen, Piroggen, wir essen doch Obstsuppen, Piroggen so gern. Piotrek könnte nachmittags mal schnell rüber und was pflücken. Und zur Ernte oder beim Kartoffelhacken, da gehn wir ihnen helfen dafür. Man hätte auch mehr Traute, was zu nehmen von ihnen. Und sparen würden wir. Ich weiß, wie viel ich hab ausgeben müssen für unser Leben.
Nein, wir gehn nicht dahin zurück. Für zwei hat er gearbeitet, hat nicht auf die Zeit geschaut und nicht auf die Gesundheit, oft über die Stunden hinaus. Sogar mit einer Lungenentzündung ist er mal hin, wie sie den Abschluss hatten, immerhin hat er Auszeichnungen aus dem Krieg, und ewig bloß Hauptbuchhalter und Hauptbuchhalter, und die andern klettern jedes Jahr höher. Selbst wenn sie herkämen, um ihn zu holen, wir gehn nicht zurück. Und wär es der Salacki persönlich. Du sagst keinen Ton. Den knöpf ich mir vor. Jahrelang ist mein Mann nicht eine Minute zu spät zur Arbeit gekommen. Sie haben selber zu ihm gesagt: Herr Zygmunt, jetzt ist die Beförderung aber fällig. Und damals, wie Sie den Durchfall hatten und gar nichts mehr geholfen hat, da hat Sie erst mein Mann mit so was Violettem, noch vom Militär, kuriert, und gleich war es wie weggeblasen. Denken Sie mal zurück. Obwohl, ich war nicht sehr erfreut, wie du dich dann mit dem geduzt hast. Zum Duzen trinkt man wenigstens einen zusammen oder lädt zum Essen. Statt so im Büro und bloß mit Handschlag. Befördert worden ist, wer sich eingekratzt hat oder gegen andere gestänkert. Nimm doch mal diesen Salacki, ich sage dir, nach einem Chef sah der nicht aus.
Ja sogar einen Trümo könnten sie sich heute kaufen, bei einem höheren Gehalt. Einen Trümo wollte sie schon immer haben, einen zum Ausklappen, mit Flügeln, dass man sich von der Seite sieht, von hinten, ob die Frisur richtig sitzt. Eine Kredenz vielleicht, ein Kanapee, eins mit Sesseln wär gut, vielleicht gleich alle Möbel. Denn die hier, aus dem Souterrain, ziehn doch nicht mit in die neue Wohnung. Zwei Zimmer müssen, ja die müssen nun mal sein. Und überhaupt, sind das denn Möbel. Und unbedingt Teppiche. Teppiche zuganzallererst. Weißt du noch, bei den Switalskis, die Teppiche? Man wusste nicht, wie drauf gehn. Draußen wars trocken, und die hatte alles voller Baboschen in der Diele, die musstest du anziehn. Und die Möbel später. Oder vielleicht die Möbel zuganzallererst? Was meinst du? Sie wollte unbedingt hellen Nussbaum. Das ertrotzte sie fast, dass sich der Vater zu hellem Nussbaum bereit fand, ebenso wie sie ertrotzte, dass er sich bereit fand zu Esche, als ihr der Sinn plötzlich nach Esche stand. Denn Esche ist heller als die Sonne, und sie wollte, dass es hell bei uns war.
Und obwohl sie diese ihre Zukunft, wenn er erst gesund wäre, so überzeugend, umsichtig, in den kleinsten Einzelheiten und mit solchem Eifer entwarf, dass sie manchmal fast außer sich geriet, starrte der Vater nur immer auf das Fenster vor sich oder an die Stubendecke über sich und ließ sich bloß mit Mühe abbringen von diesem Starren. Wer weiß, vielleicht hing er auch längst Ahnungen von seinem nahen Tod nach, die er tunlichst vor ihr verbarg. Obwohl, vielleicht verbarg auch sie vor ihm, während sie so an ihrer Zukunft baute, ihre Ahnung von seinem Tod, die sie zunehmend schmerzlicher bedrängte.
Was für einen Weg musste sie zurückgelegt haben seit jener ersten Beklommenheit wegen der Tropfen, als er an einem Sonntag heimgekommen war, noch im Krieg, und erklärte, er ginge nicht mehr zur Arbeit, die Organisation sei aufgeflogen, und diese Tropfen mitgebracht hatte. Ach was, Tropfen, hätte sie sich sagen können, doch jedesmal wenn er sie auf den Teelöffel zählte, trat Furcht in ihre Augen. Wie lange wirst du die noch nehmen? Ein, zwei Monate sollten es sein, und nun ist es das wievielte Fläschchen?
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Autoren-Porträt von Wieslaw Mysliwski
Wieslaw Mysliwski, geboren 1932 in Dwikozy bei Sandomierz. Nach dem Studium der polnischen Philologie in Lublin Arbeit im Verlagswesen, bevor er sich seiner Tätigkeit als Herausgeber und Schriftsteller zuwandte. Er ist Autor mehrerer Dramen und Romane. Ausgezeichnet u. a. mit dem polnischen Literaturpreis "Nike" und 1967 in seiner Heimat mit dem Stanislaw-Pietak-Preis.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wieslaw Mysliwski
- 2003, 1, 635 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Aus d. Poln. v. Roswitha Matwin-Buschmann. Mit e. Vorw. v. Olga Mannheimer
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442850584
- ISBN-13: 9783442850587
Rezension zu „Der helle Horizont “
"Wieslaw Mysliwskis Roman ist ein starkes Stück europäische Antikriegsliteratur". (Neuen Ruhr Zeitung, 26.01.04)"Wieslaw Mysliwski, Der helle Horizont hat alles, was große Literatur braucht. (...) ... entwirft Mysliwski im suggestiven Erinnerungsstrom des jungen Ich-Erzählers eine ganze Welt, wie sie nur bedeutende Literatur zu gestalten vermag." (Berliner Zeitung, 12.03.04)
"Einer der wichtigsten und meistgelesenen Autoren der Nachkriegszeit." (FAZ)
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