Der Katalane
Roman
Katalonien, 1874: Vier lange Jahre war Josep im fernen Languedoc, um sich vor den Schergen zu verstecken, die den Grafen von Reus ermordet hatten. Nun kehrt er in sein Heimatdorf zurück. Doch dann taucht dieser Mann im Dorf auf. Und Josep wird von seiner Vergangenheit eingeholt.
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Produktinformationen zu „Der Katalane “
Katalonien, 1874: Vier lange Jahre war Josep im fernen Languedoc, um sich vor den Schergen zu verstecken, die den Grafen von Reus ermordet hatten. Nun kehrt er in sein Heimatdorf zurück. Doch dann taucht dieser Mann im Dorf auf. Und Josep wird von seiner Vergangenheit eingeholt.
Klappentext zu „Der Katalane “
Mit der Kraft des spanischen WeinsNachdem er Zeuge eines kaltblütigen Mordes wurde, versteckt sich Josep vier lange Jahre in Frankreich. Nun, zurück in seinem Heimatdorf in Katalonien, will er sich seinen Lebenstraum erfüllen: vollmundigen Wein auf dem Gut seiner Väter zu keltern. Doch die Reben sind vertrocknet, die Geldforderungen seines Bruders für den Erbhof horrend. Zusammen mit seiner Geliebten Maria nimmt Josep den Kampf ums Überleben auf, bis ihn die Vergangenheit einholt.
Abenteuerlicher Spannungsroman und historisches Liebesdrama - wie es nur Noah Gordon gelingt!
Vier lange Jahre war Josep Àlvarez im fernen Languedoc, um die große Kunst des Weinmachens zu erlernen und um sich vor den Schergen zu verstecken, die den Grafen von Reus des Nächtens in Madrid kaltblütig ermordet hatten. Nun, zurück in seinem Heimatdorf, hofft Josep, dass er sich seinen Lebenstraum erfüllen kann. Vollmundigen Wein möchte er auf dem Gut seiner Väter kultivieren. Doch die Reben sind vertrocknet, die Geldforderungen seines Bruders für den Erbhof horrend. Tapfer nimmt Josep zusammen mit seiner Geliebten den Kampf ums Überleben auf, bis ihn die Vergangenheit einholt.
Lese-Probe zu „Der Katalane “
Der Katalane von Noah GordonERSTER TEIL
Die Rückkehr
Vor dem Dorf Roquebrun
in der Provinz Languedoc in Südfrankreich
22. Februar 1874
Nach Hause zurück
An dem Morgen, als sich alles änderte, arbeitete Josep im Weinberg der Familie Mendès, und schon bald gingen ihm die Bewegungen wie in Trance von der Hand, er schritt von Rebstock zu Rebstock und entfernte die trockenen, müden Zweige, an denen die Früchte gehangen hatten, die sie im Oktober, als jede Traube saftig gewesen war wie eine reife Frau, geerntet hatten. Er stutzte mit unbarmherziger Hand und hinterließ karge Stöcke, die die nächste Generation von Trauben hervorbringen würden. Es war ein selten lieblicher Tag in einem bis dahin tristen Februar, und trotz der Kühle schien die Sonne mit Macht in den unermesslichen französischen Himmel zu steigen. Wenn er hin und wieder eine verschrumpelte Beere fand, die von den Pflückern übersehen worden war, aß er diese Fer- Servadou-Rosine mit großem Genuss. Am Ende jeder Reihe schichtete er die Abschnitte zu einem Haufen auf und holte vom vorherigen Feuer eine brennende Rebe, um ihn zu entzünden, und der beißende Rauch erhöhte noch seine Freude an der Arbeit.
Er hatte gerade einen neuen Haufen in Brand gesetzt, und als er den Kopf hob, sah er Léon Mendès quer durch den Weinberg auf sich zukommen, ohne mit einem der vier anderen Arbeiter ein Wort zu wechseln. »Monsieur«, sagte er respektvoll, als Mendès dann vor ihm stand.
»Senyor.« Es war ein kleiner Witz zwischen den beiden, dass der Besitzer Josep ansprach, als wäre er der Besitzer und nicht der Arbeiter, aber Mendès lächelte nicht.
Er war, wie immer, höflich, aber direkt. »Ich habe heute Morgen mit Henri Fontaine gesprochen, der erst kürzlich aus Katalonien zurückgekehrt ist.
... mehr
Josep, ich habe eine schlechte Nachricht. Dein Vater ist tot.«
Josep fühlte sich, als wäre ein Knüppel auf ihn niedergesaust, und brachte kein Wort heraus. Mein Vater? Wie kann mein Vater tot sein? Schließlich fragte er einfältig:
»Was war die Ursache?«
Mendès schüttelte den Kopf. »Henri hat nur gehört, dass er Ende August gestorben ist. Mehr weiß er nicht.«
»Dann muss ich nach Spanien zurück, Monsieur.«
»Aber ist es da auch … sicher für dich?«, fragte Mendès sanft.
»Ich glaube schon, Monsieur. Ich denke schon lange über eine Rückkehr nach. Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit. Dass Sie mich aufgenommen haben. Und mich so vieles gelehrt haben.«
Mendès zuckte die Achseln. »Das ist doch nichts.
Beim Wein hört man nie auf zu lernen. Den Tod deines Vaters bedaure ich sehr, Josep. Ich meine mich zu erinnern, dass du noch einen älteren Bruder hast. Ist das nicht so?«
»Ja. Donat.«
»Wo du herkommst, erbt da der Älteste? Wird Donat den Weinberg deines Vaters bekommen?«
»Wo ich herkomme, ist es der Brauch, dass der älteste Sohn zwei Drittel erbt und alle jüngeren Söhne sich den Rest teilen und eine Arbeit erhalten, die ihnen den Lebens unterhalt sichert. Aber in unserer Familie ist es der Brauch – weil wir so wenig Land besitzen –, dass alles an den ältesten Sohn geht. Mein Vater hatte mir immer zu verstehen gegeben, dass meine Zukunft in der Armee oder in der Kirche liegen würde … Leider eigne ich mich für beides nicht.«
Mendès lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln.
»Ich kann dagegen nichts einwenden. In Frankreich hat die Aufteilung des Erbes unter allen überlebenden Kindern zu einigen lächerlich kleinen Höfen geführt. «
»Unser Weinberg umfasst nur vier Hektar. Das ist kaum genug Land, um eine Familie zu ernähren, wenn man nur Trauben erzeugt, aus denen billiger Essig gemacht wird.«
»Eure Trauben sind anfangs ja recht gut. Sie haben angenehme, vielversprechende Aromen – eigentlich viel zu gut für billigen Essig! Vier Hektar können, richtig bestellt, eine Ernte abwerfen, aus der man einen guten Wein machen kann. Ihr müsstet allerdings Keller graben, damit der Wein in der Sommerhitze nicht sauer wird«, sagte Mendès freundlich.
Josep hatte große Achtung vor Mendès, aber was wusste der französische Weinmacher denn schon von Katalonien oder vom Anbau von Reben, die zur Essigherstellung benutzt wurden. »Monsieur, Sie haben unsere kleinen cases mit ihren Lehmböden gesehen«, sagte er zu ungeduldig, weil er gerade vom Schmerz wie betäubt an seinen Vater dachte. »Wir haben keine großen châteaux. Es ist kein Geld da für den Bau von prächtigen Höfen mit Weinkellern.«
Es war offensichtlich, dass Monsieur Mendès nicht diskutieren wollte. »Da du den Weinberg nicht erbst, was wirst du in Spanien tun?«
Josep zuckte die Achseln. »Mir eine Anstellung suchen. « Aber mit ziemlicher Sicherheit nicht bei meinem Bruder Donat, dachte er.
»Vielleicht nicht in deinem Dorf? Die spanische Rioja-Region hat einige Weingüter, die sich glücklich schätzen würden, dich zu beschäftigen, denn du bist ein geborener Weinbauer. Du spürst, was die Reben brauchen, und deine Hände sind glücklich in der Erde. Natürlich ist Rioja nicht Bordeaux, aber man macht dort einige ganz passable Rote«, sagte er leichthin. »Aber wenn du je hierher zurückkommen willst, wirst du bei mir sofort wieder Arbeit finden.«
Josep dankte ihm noch einmal. »Ich glaube nicht, dass ich nach Rioja gehen oder in das Languedoc zurückkehren werde, Monsieur. Ich gehöre nach Katalonien.«
Mendès nickte verständnisvoll. »Der Ruf der Heimat ist immer laut. Geh mit Gott, Josep«, sagte er. Dann lächelte er. »Sag deinem Bruder, er soll einen Weinkeller graben.«
Josep lächelte ebenfalls, schüttelte aber den Kopf. Do- nat würde nicht einmal ein Loch für ein Scheißhaus graben, dachte er.
»Du gehst weg? Ah … Dann viel Glück.« Margit Fontaine, Joseps Vermieterin, nahm die Nachricht von seiner Abreise mit ihrem verstohlenen, verschmitzten kleinen Lächeln auf – sogar mit Freude, wie er vermutete.
Sie war zwar eine Witwe in mittleren Jahren, hatte aber noch immer ein schönes Gesicht und einen Körper, der Joseps Herz gerührt hatte, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, aber sie war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nach einiger Zeit ihren Liebreiz verloren hatte. Sie hatte ihn mit nachlässig bereiteten Mahlzeiten und einem weichen Bett versorgt, das sie manchmal voller Hohn mit ihm geteilt und ihn dabei behandelt hatte, als wäre er ein Schüler in ihrer strengen sexuellen Akademie. »Langsam, mit Bedacht. Zärtlich! Mon Dieu, Junge, das ist doch kein Wettrennen!« Es stimmte, dass sie ihm akribisch alles beigebracht hatte, was ein Mann tun konnte. Er war fasziniert gewesen von ihren Lektionen und ihrer Attraktivität, aber es waren nie zärtliche Gefühle zwischen ihnen entstanden, und sein Vergnügen war begrenzt, da sich bei ihm sehr bald eine Abneigung gegen sie entwickelt hatte. Er wusste, dass sie ihn als grobschlächtigen Bauernjungen betrachtete, dem sie erst von Grund auf beibringen musste, wie man eine Frau befriedigte, ein uninteressanter Spanier, der die Regionalsprache Okzitanisch nur schlecht und Französisch so gut wie gar nicht sprach.
Und deshalb brach er mit einem unromantischen »Adieu!« am nächsten Morgen auf, so, wie er nach Frankreich gekommen war, leise, unbemerkt und ohne jemanden zu stören. Auf einer Schulter trug er eine Stofftasche mit Würsten, einem Baguette und einer Flasche Wasser, auf der anderen Schulter eine zusammengerollte Decke und ein Geschenk von Monsieur Mendès, einen kleinen ledernen Weinschlauch an einem Seilriemen.
Die Sonne war kaum zu sehen, der Himmel grau wie ein Taubenhals, der Tag kühl, aber trocken, und die staubige Straße fest – gute Bedingungen für einen Fußmarsch. Zum Glück waren seine Beine und Füße von der Arbeit gestählt. Er hatte einen weiten Weg vor sich und schritt deshalb beharrlich, aber ohne Hast aus. Sein Ziel an diesem ersten Tag auf der Straße war ein château im Dorf Ste. Claire.
Als er dort ankam, ging er zu der kleinen Kirche St. Nazaire und fragte den Priester nach dem Weg zum Weingut eines Mannes namens Charles Houdon, eines Freundes von Léon Mendès, und als er das Gut gefunden und Monsieur Houdon die Grüße von Monsieur Mendès ausgerichtet hatte, erlaubte ihm Houdon, in seinem Fassraum zu schlafen.
Als der Abend hereinbrach, saß er vor den Fässern auf dem Boden und aß Brot und Wurst. Houdons Fassraum war makellos sauber. Die schwere Süße der gärenden Trauben konnte den herben Geruch neuen Eichenholzes nicht überdecken und auch den Gestank des Schwefels nicht, den die Franzosen in ihren Flaschen und Fässern verbrannten, um sie zu sterilisieren. In Südfrankreich wurde sehr viel Schwefel verbrannt, man hatte große Angst vor allen Krankheiten, vor allem aber vor Phylloxera, einer Seuche, die die Weingärten im Norden vernichtete und verursacht wurde von einer winzigen Laus, der Reblaus, die an den Wurzeln der Stöcke saugte. Dieser Fassraum erinnerte ihn an den auf Mendès’ Weingut, auch wenn Léon Mendès rote Weine machte und Houdon nur Weiß weine aus der Chardonnay- Traube herstellte, wie Josep erfahren hatte.
Josep bevorzugte Rotwein, und jetzt gestattete er sich einen Schluck aus seinem Schlauch. Der Wein blühte in seinem Mund auf, scharf und rein – vin ordinaire, ein gewöhnlicher Wein, den sich in Frankreich auch die Arbeiter leisten konnten, aber doch viel besser als alles, was Josep je in seinem Dorf getrunken hatte.
Er hatte für Mendès zwei Jahre im Weinberg gearbeitet, dann ein weiteres Jahr im Keller und das vierte im Fassraum, wo er die Gelegenheit hatte, Weine zu kosten, deren Qualität er sich nie auch nur hatte vorstellen können.
»Das Languedoc ist bekannt für einen anständigen vin ordi naire. Ich mache einen ehrlichen Wein, der etwas besser ist als der ganz gewöhnliche. Manchmal aber auch, aus Pech oder Dummheit, ist er ziemlich minderwertig«, hatte Monsieur Mendès ihm gesagt, »aber meistens ist, Gott sei Dank, mein Wein gut. Natürlich habe ich noch nie einen wirklich großen Wein gemacht, einen Jahrhundertwein, wie die Kreationen der berühmten Weinhersteller Lafite oder Haut-Brion.«
Aber Mendès hörte nie auf, es zu versuchen. Wenn er bei seiner unablässigen Suche nach dem höchsten cru – einer Vollkommenheit, die er selbst »Gottes Wein« nannte – einen Jahrgang erzeugte, der Gaumen und Kehle Freude bereitete, dann strahlte er eine ganze Woche lang. »Riechst du das Aroma?«, fragte er Josep dann. »Spürst du die Tiefe, den dunklen Duft, der die Seele reizt, den Blumengeruch, den Pflaumengeschmack?«
Mendès hatte ihm eine Ahnung davon vermittelt, wie Wein schmecken konnte. Es wäre wohl gnädiger gewesen, Josep in Unwissenheit zu lassen. Das dünne, saure Zeug, das die Winzer seines Dorfes herstellten, war armseliger Wein, das erkannte er nun. Pferdepisse, sagte er sich mürrisch. Wahrscheinlich wäre es für ihn besser gewesen, wenn er bei Mendès in Frankreich geblieben wäre und sich bemüht hätte, bessere Jahrgänge zu erzeugen, als jetzt mit der Gefahr zu spielen und nach Katalonien zurückzukehren. Er tröstete sich mit der Vermutung, dass es für ihn inzwischen zu Hause wohl wieder sicher sein würde. Vier Jahre waren vergangen ohne einen einzigen Hinweis darauf, dass die spanischen Behörden ihn suchten.
Die bittere Erkenntnis, dass Generationen seiner Familie ihr Leben vergeudet hatten, um so schlechten Wein zu erzeugen, gefiel ihm nicht. Dennoch waren es gute Menschen gewesen. Hart arbeitende Menschen. Was ihn wieder auf seinen Vater brachte. Er versuchte, sich Marcel Àlvarez vorzustellen, aber er konnte sich nur an kleine, einfache Details erinnern – die großen Hände seines Vaters, das seltene Lächeln. In der unteren Zahnreihe hatte er vorn eine Lücke gehabt, weil ein Schneidezahn fehlte, und die beiden Zähne neben der Lücke waren schief. Sein Vater hatte auch einen krummen Zeh, den kleinen Zeh seines linken Fußes, weil er immer schlechtes Schuhwerk trug. Manchmal hatte sein Vater ohne Schuhe gearbeitet – er mochte das Gefühl der Erde unter seinen Sohlen und zwischen seinen knotigen Zehen. Josep legte sich zurück und schwelgte in Erinnerungen, und während die Dunkelheit durch die beiden hohen Fenster in den Raum drang, gestattete er sich zum ersten Mal ein wahres Gefühl der Trauer.
Schließlich schlief er betrübt zwischen den Fässern ein.
Übersetzung: Klaus Berr
Copyright © 2009 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Josep fühlte sich, als wäre ein Knüppel auf ihn niedergesaust, und brachte kein Wort heraus. Mein Vater? Wie kann mein Vater tot sein? Schließlich fragte er einfältig:
»Was war die Ursache?«
Mendès schüttelte den Kopf. »Henri hat nur gehört, dass er Ende August gestorben ist. Mehr weiß er nicht.«
»Dann muss ich nach Spanien zurück, Monsieur.«
»Aber ist es da auch … sicher für dich?«, fragte Mendès sanft.
»Ich glaube schon, Monsieur. Ich denke schon lange über eine Rückkehr nach. Ich danke Ihnen für Ihre Freundlichkeit. Dass Sie mich aufgenommen haben. Und mich so vieles gelehrt haben.«
Mendès zuckte die Achseln. »Das ist doch nichts.
Beim Wein hört man nie auf zu lernen. Den Tod deines Vaters bedaure ich sehr, Josep. Ich meine mich zu erinnern, dass du noch einen älteren Bruder hast. Ist das nicht so?«
»Ja. Donat.«
»Wo du herkommst, erbt da der Älteste? Wird Donat den Weinberg deines Vaters bekommen?«
»Wo ich herkomme, ist es der Brauch, dass der älteste Sohn zwei Drittel erbt und alle jüngeren Söhne sich den Rest teilen und eine Arbeit erhalten, die ihnen den Lebens unterhalt sichert. Aber in unserer Familie ist es der Brauch – weil wir so wenig Land besitzen –, dass alles an den ältesten Sohn geht. Mein Vater hatte mir immer zu verstehen gegeben, dass meine Zukunft in der Armee oder in der Kirche liegen würde … Leider eigne ich mich für beides nicht.«
Mendès lächelte, aber es war ein trauriges Lächeln.
»Ich kann dagegen nichts einwenden. In Frankreich hat die Aufteilung des Erbes unter allen überlebenden Kindern zu einigen lächerlich kleinen Höfen geführt. «
»Unser Weinberg umfasst nur vier Hektar. Das ist kaum genug Land, um eine Familie zu ernähren, wenn man nur Trauben erzeugt, aus denen billiger Essig gemacht wird.«
»Eure Trauben sind anfangs ja recht gut. Sie haben angenehme, vielversprechende Aromen – eigentlich viel zu gut für billigen Essig! Vier Hektar können, richtig bestellt, eine Ernte abwerfen, aus der man einen guten Wein machen kann. Ihr müsstet allerdings Keller graben, damit der Wein in der Sommerhitze nicht sauer wird«, sagte Mendès freundlich.
Josep hatte große Achtung vor Mendès, aber was wusste der französische Weinmacher denn schon von Katalonien oder vom Anbau von Reben, die zur Essigherstellung benutzt wurden. »Monsieur, Sie haben unsere kleinen cases mit ihren Lehmböden gesehen«, sagte er zu ungeduldig, weil er gerade vom Schmerz wie betäubt an seinen Vater dachte. »Wir haben keine großen châteaux. Es ist kein Geld da für den Bau von prächtigen Höfen mit Weinkellern.«
Es war offensichtlich, dass Monsieur Mendès nicht diskutieren wollte. »Da du den Weinberg nicht erbst, was wirst du in Spanien tun?«
Josep zuckte die Achseln. »Mir eine Anstellung suchen. « Aber mit ziemlicher Sicherheit nicht bei meinem Bruder Donat, dachte er.
»Vielleicht nicht in deinem Dorf? Die spanische Rioja-Region hat einige Weingüter, die sich glücklich schätzen würden, dich zu beschäftigen, denn du bist ein geborener Weinbauer. Du spürst, was die Reben brauchen, und deine Hände sind glücklich in der Erde. Natürlich ist Rioja nicht Bordeaux, aber man macht dort einige ganz passable Rote«, sagte er leichthin. »Aber wenn du je hierher zurückkommen willst, wirst du bei mir sofort wieder Arbeit finden.«
Josep dankte ihm noch einmal. »Ich glaube nicht, dass ich nach Rioja gehen oder in das Languedoc zurückkehren werde, Monsieur. Ich gehöre nach Katalonien.«
Mendès nickte verständnisvoll. »Der Ruf der Heimat ist immer laut. Geh mit Gott, Josep«, sagte er. Dann lächelte er. »Sag deinem Bruder, er soll einen Weinkeller graben.«
Josep lächelte ebenfalls, schüttelte aber den Kopf. Do- nat würde nicht einmal ein Loch für ein Scheißhaus graben, dachte er.
»Du gehst weg? Ah … Dann viel Glück.« Margit Fontaine, Joseps Vermieterin, nahm die Nachricht von seiner Abreise mit ihrem verstohlenen, verschmitzten kleinen Lächeln auf – sogar mit Freude, wie er vermutete.
Sie war zwar eine Witwe in mittleren Jahren, hatte aber noch immer ein schönes Gesicht und einen Körper, der Joseps Herz gerührt hatte, als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, aber sie war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie nach einiger Zeit ihren Liebreiz verloren hatte. Sie hatte ihn mit nachlässig bereiteten Mahlzeiten und einem weichen Bett versorgt, das sie manchmal voller Hohn mit ihm geteilt und ihn dabei behandelt hatte, als wäre er ein Schüler in ihrer strengen sexuellen Akademie. »Langsam, mit Bedacht. Zärtlich! Mon Dieu, Junge, das ist doch kein Wettrennen!« Es stimmte, dass sie ihm akribisch alles beigebracht hatte, was ein Mann tun konnte. Er war fasziniert gewesen von ihren Lektionen und ihrer Attraktivität, aber es waren nie zärtliche Gefühle zwischen ihnen entstanden, und sein Vergnügen war begrenzt, da sich bei ihm sehr bald eine Abneigung gegen sie entwickelt hatte. Er wusste, dass sie ihn als grobschlächtigen Bauernjungen betrachtete, dem sie erst von Grund auf beibringen musste, wie man eine Frau befriedigte, ein uninteressanter Spanier, der die Regionalsprache Okzitanisch nur schlecht und Französisch so gut wie gar nicht sprach.
Und deshalb brach er mit einem unromantischen »Adieu!« am nächsten Morgen auf, so, wie er nach Frankreich gekommen war, leise, unbemerkt und ohne jemanden zu stören. Auf einer Schulter trug er eine Stofftasche mit Würsten, einem Baguette und einer Flasche Wasser, auf der anderen Schulter eine zusammengerollte Decke und ein Geschenk von Monsieur Mendès, einen kleinen ledernen Weinschlauch an einem Seilriemen.
Die Sonne war kaum zu sehen, der Himmel grau wie ein Taubenhals, der Tag kühl, aber trocken, und die staubige Straße fest – gute Bedingungen für einen Fußmarsch. Zum Glück waren seine Beine und Füße von der Arbeit gestählt. Er hatte einen weiten Weg vor sich und schritt deshalb beharrlich, aber ohne Hast aus. Sein Ziel an diesem ersten Tag auf der Straße war ein château im Dorf Ste. Claire.
Als er dort ankam, ging er zu der kleinen Kirche St. Nazaire und fragte den Priester nach dem Weg zum Weingut eines Mannes namens Charles Houdon, eines Freundes von Léon Mendès, und als er das Gut gefunden und Monsieur Houdon die Grüße von Monsieur Mendès ausgerichtet hatte, erlaubte ihm Houdon, in seinem Fassraum zu schlafen.
Als der Abend hereinbrach, saß er vor den Fässern auf dem Boden und aß Brot und Wurst. Houdons Fassraum war makellos sauber. Die schwere Süße der gärenden Trauben konnte den herben Geruch neuen Eichenholzes nicht überdecken und auch den Gestank des Schwefels nicht, den die Franzosen in ihren Flaschen und Fässern verbrannten, um sie zu sterilisieren. In Südfrankreich wurde sehr viel Schwefel verbrannt, man hatte große Angst vor allen Krankheiten, vor allem aber vor Phylloxera, einer Seuche, die die Weingärten im Norden vernichtete und verursacht wurde von einer winzigen Laus, der Reblaus, die an den Wurzeln der Stöcke saugte. Dieser Fassraum erinnerte ihn an den auf Mendès’ Weingut, auch wenn Léon Mendès rote Weine machte und Houdon nur Weiß weine aus der Chardonnay- Traube herstellte, wie Josep erfahren hatte.
Josep bevorzugte Rotwein, und jetzt gestattete er sich einen Schluck aus seinem Schlauch. Der Wein blühte in seinem Mund auf, scharf und rein – vin ordinaire, ein gewöhnlicher Wein, den sich in Frankreich auch die Arbeiter leisten konnten, aber doch viel besser als alles, was Josep je in seinem Dorf getrunken hatte.
Er hatte für Mendès zwei Jahre im Weinberg gearbeitet, dann ein weiteres Jahr im Keller und das vierte im Fassraum, wo er die Gelegenheit hatte, Weine zu kosten, deren Qualität er sich nie auch nur hatte vorstellen können.
»Das Languedoc ist bekannt für einen anständigen vin ordi naire. Ich mache einen ehrlichen Wein, der etwas besser ist als der ganz gewöhnliche. Manchmal aber auch, aus Pech oder Dummheit, ist er ziemlich minderwertig«, hatte Monsieur Mendès ihm gesagt, »aber meistens ist, Gott sei Dank, mein Wein gut. Natürlich habe ich noch nie einen wirklich großen Wein gemacht, einen Jahrhundertwein, wie die Kreationen der berühmten Weinhersteller Lafite oder Haut-Brion.«
Aber Mendès hörte nie auf, es zu versuchen. Wenn er bei seiner unablässigen Suche nach dem höchsten cru – einer Vollkommenheit, die er selbst »Gottes Wein« nannte – einen Jahrgang erzeugte, der Gaumen und Kehle Freude bereitete, dann strahlte er eine ganze Woche lang. »Riechst du das Aroma?«, fragte er Josep dann. »Spürst du die Tiefe, den dunklen Duft, der die Seele reizt, den Blumengeruch, den Pflaumengeschmack?«
Mendès hatte ihm eine Ahnung davon vermittelt, wie Wein schmecken konnte. Es wäre wohl gnädiger gewesen, Josep in Unwissenheit zu lassen. Das dünne, saure Zeug, das die Winzer seines Dorfes herstellten, war armseliger Wein, das erkannte er nun. Pferdepisse, sagte er sich mürrisch. Wahrscheinlich wäre es für ihn besser gewesen, wenn er bei Mendès in Frankreich geblieben wäre und sich bemüht hätte, bessere Jahrgänge zu erzeugen, als jetzt mit der Gefahr zu spielen und nach Katalonien zurückzukehren. Er tröstete sich mit der Vermutung, dass es für ihn inzwischen zu Hause wohl wieder sicher sein würde. Vier Jahre waren vergangen ohne einen einzigen Hinweis darauf, dass die spanischen Behörden ihn suchten.
Die bittere Erkenntnis, dass Generationen seiner Familie ihr Leben vergeudet hatten, um so schlechten Wein zu erzeugen, gefiel ihm nicht. Dennoch waren es gute Menschen gewesen. Hart arbeitende Menschen. Was ihn wieder auf seinen Vater brachte. Er versuchte, sich Marcel Àlvarez vorzustellen, aber er konnte sich nur an kleine, einfache Details erinnern – die großen Hände seines Vaters, das seltene Lächeln. In der unteren Zahnreihe hatte er vorn eine Lücke gehabt, weil ein Schneidezahn fehlte, und die beiden Zähne neben der Lücke waren schief. Sein Vater hatte auch einen krummen Zeh, den kleinen Zeh seines linken Fußes, weil er immer schlechtes Schuhwerk trug. Manchmal hatte sein Vater ohne Schuhe gearbeitet – er mochte das Gefühl der Erde unter seinen Sohlen und zwischen seinen knotigen Zehen. Josep legte sich zurück und schwelgte in Erinnerungen, und während die Dunkelheit durch die beiden hohen Fenster in den Raum drang, gestattete er sich zum ersten Mal ein wahres Gefühl der Trauer.
Schließlich schlief er betrübt zwischen den Fässern ein.
Übersetzung: Klaus Berr
Copyright © 2009 dieser Ausgabe
by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Noah Gordon
Noah Gordon (1926 bis 2021) lebte in Boston, Massachusetts, und arbeitete lange Jahre als Journalist beim »Boston Herald«. Mit »Der Medicus« gelang ihm ein internationaler Bestseller, der auch in Deutschland viele Monate auf der Bestsellerliste stand. Noah Gordon wurde weltweit mit mehr als einem Dutzend literarischer Preise ausgezeichnet. Alle seine Romane waren sensationelle Erfolge. Klaus Berr, geb. 1957 in Schongau, Studium der Germanistik und Anglistik in München, einjähriger Aufenthalt in Wales als "Assistant Teacher", ist der Übersetzer von u.a. Lawrence Ferlinghetti, Tony Parsons, William Owen Roberts, Will Self.
Bibliographische Angaben
- Autor: Noah Gordon
- 2009, Erstmals im TB, 510 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Klaus Berr
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453470915
- ISBN-13: 9783453470910
- Erscheinungsdatum: 06.10.2009
Rezension zu „Der Katalane “
"Noah Gordon vermag es, einer Story Saft und Kraft zu geben."
Pressezitat
"Noah Gordon vermag es, einer Story Saft und Kraft zu geben." Der Spiegel
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