Der Tränenpalast

Ralf Isau, geboren 1956 in Berlin, arbeitete lange als Informatiker. In seinen Büchern entwirft der mehrfach preisgekrönte Autor detailreiche Welten und gilt als großer Erzähler phantastischer Literatur. Seine Romane werden in 14 Sprachen übersetzt.

James, der Held dieser Geschichte, ist nicht irgendein Junge, er verfügt über einen außergewöhnlichen Reichtum an Phantasie. Nur Kinder, die mit dieser Begabung ausgestattet sind, können Mitglied im "Zirkel der Phantanauten" werden. Ihre Aufgabe ist es, dem Reich der Träume immer wieder neues Land abzuringen und zu versuchen, Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Denn nur so ist es möglich, dass Neues und Inspirierendes in unsere "Welt der Sinne" eingebracht werden kann. Wie in vielen phantastischen Kinderbüchern muss James ein sehr gefährliches Initiationsritual bestehen. Er muss in einen ausgewählten See tauchen, der als Tor zu einer Schattenwelt dient, in der die "Wiederholung" des immer Gleichen jede Veränderung verhindert. Beherrscht vom grausamen "Perpeto", dessen Name bereits darüber Auskunft gibt, was er lebt und wozu er all seine Untertanen zwingt, gibt es hier keine Möglichkeit mehr, irgendeine Geschichte zu erzählen, denn überall, wo die Diktatur der ewigen Wiederkehr des Gleichen alle Abweichungen verfolgt, kann sich keine Phantasie mehr entwickeln. Der Autor benutzt ein eindrucksvolles Bild, um diese Methode der Unterdrückung zu verdeutlichen: Eine Tränenkelter presst den Kindern die Tränen und die Ängste aus. Dieser Gedanke ist nicht neu, aber immer wieder faszinierend: Die "schöne, neue Welt" ist in Wirklichkeit der Untergang des wirklich gelebten Lebens. Es ist also dringend erforderlich, dass James viel Unterstützung erfährt von vielen Lesern, die ebenfalls Phantanauten werden wollen. (Rezension von Gabriele Hoffmann aus dem LibriFachkatalog Harry & Pooh 2009/2010)