Der Verrat der Drachen
Azoth, der Herr der Drachen, will mit seinen Armeen das Reich Saranthium überfallen. Die junge Shaan und ihr Bruder Tallis versuchen Verbündete im Kampf gegen die Drachenarmee zu finden. Eine Vision offenbart Shaan, wie sie ihre Heimat retten könnte. Doch wird ihr das gelingen?
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Produktinformationen zu „Der Verrat der Drachen “
Azoth, der Herr der Drachen, will mit seinen Armeen das Reich Saranthium überfallen. Die junge Shaan und ihr Bruder Tallis versuchen Verbündete im Kampf gegen die Drachenarmee zu finden. Eine Vision offenbart Shaan, wie sie ihre Heimat retten könnte. Doch wird ihr das gelingen?
Klappentext zu „Der Verrat der Drachen “
Wenn die Drachen sich erheben ...Zwei junge Menschen im Kampf gegen den grausamen Drachengott - die spannende Fortsetzung der großen All-Age-Trilogie!Azoth, der grausame Herr der Drachen, versammelt seine Armeen, um das Reich Saranthium zu unterwerfen. Die junge Shaan flieht mit ihrem Zwillingsbruder Tallis in die Wüste und hofft, dort Verbündete gegen die Drachenarmee zu finden. Doch die Clans begegnen ihnen nur mit Misstrauen und Verachtung. Da erscheinen Shaan in einer Vision die alten Götter der Wüste und offenbaren ihr, wie sie ihre Heimat retten kann. Sie muss den Schöpferstein, Azoths Quell der Macht, zerstören. Doch gleichzeitig muss sie auch verhindern, dass der Herr der Drachen getötet wird, sonst wird die Welt im Chaos versinken. Und während Shaan das Leben ihres schlimmsten Feindes beschützt, zweifeln ihre Freunde an ihrer Loyalität, und die Mächtigen von Saranthium halten sie für eine Verräterin. Einzig Tallis vertraut seiner Zwilingsschwester weiterhin - und bereitet sich darauf vor, sein Leben zu geben, damit sie ihr Vorhaben erfüllen kann ...Ein unvergessliches Fantasy-Leseerlebnis voller Drachen, Helden und Magie!
Lese-Probe zu „Der Verrat der Drachen “
Die Nacht hatte sich über die uralte Stadt gesenkt, und mit ihr war der Regen gekommen, der wie Nebel über die Mauern wallte. Der Mond war hinter Wolken verborgen; die Flammen der Straßenlaternen flackerten und waberten in der Nässe und warfen ein schwaches, orangefarbenes Licht.Azoth schritt durch die regennassen Straßen. Ein Alhanti folgte ihm auf den Fersen.
"Sorg dafür, dass einige Sklaven morgen daran zu arbeiten beginnen." Er wies auf die Ruine eines ausgedehnten Gebäudes zu seiner Linken. Es hatte kein Dach mehr, und die meisten Mauern waren nur hüfthoch; der Rest der Steine lag in Haufen auf dem gesprungenen Pflaster.
Der Alhanti grunzte eine kehlige, zustimmende Antwort.
Arak, die Azim haben das Tor vollendet. Nuathins Stimme drang in Azoths Geist, und er sah im gleichen Moment den alten Drachen von der Stadtmauer her auf sich zugleiten.
Gut. Wähle einen von ihnen dazu aus, belohnt zu werden, antwortete er und spürte, wie Hoffnung in der alten Echse aufkeimte. Nuathin wollte auserkoren werden, mit dem Sterblichen verschmolzen zu werden. Azoth lächelte.
Noch nicht, Getreuer. Ich benötige deine Flügel noch.
Die Enttäuschung in Nuathins Geist war mit Händen zu greifen, aber Azoth ignorierte sie; erst galt es an andere zu denken.
Er warf einen Blick zurück auf die Seherin, die von dem Alhanti geführt wurde. Alterin, so nannten sie sie. Sie begegnete seinem Blick mit einer furchtlosen Nachdenklichkeit, die ihn erheiterte. Seherinnen! Sie hielten sich alle für unantastbar. Sogar Fortuse - die ursprüngliche Seherin, ihre Schöpferin - hatte ihn unterschätzt und würde ihren Widerstand noch bereuen!
Sie gingen zwischen den Ruinen hindurch und kamen auf den Tempelplatz hinaus. Die Gebäude hier waren schon fast wieder heil. Der Tempel hatte neue Türen, und seine schwarzen Steinwände summten vom Klang des Schöpfersteins, der nun unter dem Kuppeldach in Sicherheit war.
"Warum sind wir hier?", fragte Alterin.
"Weil es für den Verlauf der
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kommenden Ereignisse erforderlich ist." Er blieb stehen und streckte die Hand aus, um ihr dunkles Haar zu streicheln. Eine Erinnerung drängte an die Oberfläche, eine, die so alt war, dass sie ihm nur zudriftete, wie ein Traum.
Ihr Gesicht. Es blitzte in seinem Verstand auf. Ein Flüstern, dann war es verschwunden. Seine Hand zitterte leicht, als er sich vom Blick der Seherin abwandte.
Sie war vom selben Volk wie diese Seherin gewesen. Schwäche, tadelte er sich selbst. Er hatte jenen alten Schmerz schon vor Jahrhunderten hinter sich gelassen: Die Vergrößerung seines Reichs hatte ihn gelindert, und das Wachsen seines neuen Reichs würde ihn auslöschen, wie Azoth auch jene Göttergeschwister auslöschen würde, die den Schmerz verursacht hatten. Er lächelte. Er würde Shaan so viel mitzuteilen haben, wenn er wieder einmal in ihre Träume kroch.
"Komm." Er bedeutete dem Alhanti, die Seherin in den Tempel zu führen. "Ich habe dir etwas zu zeigen."
Alterins Herz klopfte schnell, als sie die innere Kammer des Tempels betrat. Die Hand des Geschöpfs hatte sich eng um ihren Oberarm geschlossen und drohte, ihr die Schulter auszurenken, wenn sie sich wegbewegte. Sie konnte es nicht ertragen, es anzusehen, die dicke, echsenhafte Haut, die seinen Hals vom neu geformten Kamm bis zu den breiten Schultern bedeckte. Sie wollte nicht in das Gesicht aufsehen und den jungen Mann wiedererkennen, den sie einst gekannt hatte. Er hatte in ihrem Dorf gelebt, als Kind mit ihr gespielt; jetzt war nichts mehr von ihm übrig als die Hülle seines Körpers, der jetzt so viel größer und völlig verändert war.
Wieder fragte sie sich, warum die Geister sie auserwählt hatten, Zeugin zu werden. Sie hatten sie mit dem Namen "Uriel" belegt: Zeugin unaussprechlicher Dinge. Nein, sie war sich keineswegs sicher, ob sie stark genug war, das zu überleben.
"Du siehst" - Azoth drehte sich um und breitete die Arme weit aus, um den ganzen Raum zu umfassen - "den Beginn einer neuen Welt."
Alterin sagte nichts. Im Zentrum der höhlenartigen Ausdehnung schwebte, getragen von ungesehenen Kräften, der Schöpferstein. Um ihn herum befanden sich drei Kokons; jeder war durch ein Bündel Lichtstrahlen mit ihm verbunden. Dunkle Schatten lagen in der Mitte jeder der Hüllen, warteten darauf, zu schlüpfen. In der Nähe schwebte ein weiteres Lichtbündel; Fühler streckten sich nach seinem nächsten Opfer aus.
"Hast du nichts zu sagen?" Er musterte sie.
"Nichts, was ich sage, kann deinen Willen ändern."
"Du wirst dich vielleicht wundern." Ein Blick hinter sie. "Komm." Er sprach in der Drachenzunge, einem leisen Zischen, das ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.
Ein Geräusch wie Messer, die über Stein kratzten, ertönte, und eine schwarzhäutige Echse schob sich durch den Torbogen. Ihre Krallen klackten auf dem polierten Boden; das Wesen erzitterte und stieß einen heißen Atemzug aus; seine gelben Augen betrachteten sie, als es an ihr vorbeikam. Alterin kämpfte gegen das Bedürfnis an, so weit zurückzuweichen, wie sie konnte. Es war einer der älteren Drachen, so uralt, dass sie spürte, wie er seinen Wahnsinn hinter sich herzog wie eine Kielwelle im Wasser. Es war einer der sechs, die als Erste begonnen hatten, die Bewohner der Toten Lande anzugreifen, bevor Azoth zurückgekehrt war. Sie fragte sich, ob dies die schwarze Bestie war, die sie in Tallis' Geist gesehen hatte.
Azoths Blick heftete sich auf sie, seine Augen dunkellilafarben.
"Du weißt, dass ich den Namen nicht gerne höre", sagte er. "Sogar unausgesprochen."
"Warum?", sagte Alterin. "Weil er dich besiegt hat? Weil er Shaan mitgenommen hat?"
Azoth schnippte sich Regenwasser vom Hemd. "Ich habe zugelassen, dass er sie mitgenommen hat, ein Fehler, den ich berichtigen werde - zu seinem Schaden. Aber du solltest dir jetzt um jemand anderen Gedanken machen. - Hol ihn", befahl Azoth einem anderen Alhanti, der in den Schatten wartete, und schenkte der Seherin ein wissendes Lächeln. Alterin verspürte einen Moment lang Furcht. Wen holen?
"Sag mir", sagte Azoth, "was würdest du tun, um das Leben deines Geliebten zu retten?"
"Alterin, du?"
Die Stimme ließ sie beinahe in Ohnmacht fallen, als der Alhanti Jared durch die Eingangstür schleifte.
Sie schrie auf, und der Alhanti an ihrer Seite schlug sie, streckte sie zu Boden. Sie schmeckte Blut, als ihr Kopf auf den kalten Stein prallte.
"Alterin!" Jared mühte sich ab, zu ihr zu gelangen.
Azoth schritt auf sie zu und riss sie vom Fußboden hoch, so dass sie Jareds Gesicht sehen konnte, das panisch vor Angst und Zorn war, während er vergeblich gegen den Griff seines Wärters ankämpfte.
"Lass sie gehen!" Jared starrte Azoth finster an, aber der Gefallene lächelte nur und sah Alterin an.
"Du hast die Wahl, Seherin. Wenn du auf den Geistpfaden wandelst und meine Geschwister aufspürst, überlebt er. Wenn du mir trotzt, stirbt er. Ich könnte die Drachen augenblicklich mit seinem Blut füttern." Er grub einen Fingernagel in ihr Fleisch. "Oder soll ich euch beide töten?"
Alterin hätte vor Wut schreien mögen. Die Geister hatten sie hiervor nicht gewarnt, sie hatten ihr nicht geholfen. Dies hier war keine Wahl. Sie hatte Jared nicht mehr gesehen, seit Azoth sie beide vor Wochen in den Palast hatte bringen lassen. Sie hatte gehofft, er sei vielleicht entkommen, nach Süden geflüchtet. Einigen Leuten aus ihrem Dorf war das gelungen; sie waren in den Dschungel geflohen, als Azoth das erste Mal erschienen war, bevor er sie hatte aufhalten können. Aber Jared war geblieben - ihretwegen.
Sein Gesicht war zerkratzt und mit Prellungen übersät, sein Hemd blutig und in Fetzen gerissen, da man ihn ausgepeitscht hatte. Sie konnte den Ausdruck von Liebe und Trotz in seinen Augen nicht ertragen.
"Tu's nicht", sagte er. "Er kann dich nicht zwingen, ihm zu helfen."
Aber das konnte er. Jared hatte keine Angst, zu sterben, aber sie konnte ihn nicht aufgeben. Das Gewicht ihrer Antwort lastete wie ein Stein um ihren Hals.
"Alterin, nein!" Jared hielt ihren Blick fest. "Einer für die vielen, meine Liebe. Sei stark."
Azoth wusste bereits, wie ihre Antwort lauten würde. "Sag es", befahl er, den Mund nahe an ihrem Ohr.
Als ihre Stimme etwas hervorbrachte, war es ein Flüstern. "Lass ihn am Leben."
"So sei es. Bring ihn zum Stein."
"Was?", schrie Alterin. Begreifen stand in Jareds Augen, und er begann, ihren Namen zu schreien, während der Alhanti ihn auf die ausgreifenden Lichtranken zuzerrte.
"Nein!" Sie wandte sich zu Azoth um. "Du hast gesagt, er würde am Leben bleiben!"
"Das wird er auch, als Alhanti." Azoths Gesicht war ausdruckslos.
"Nein!" Sie bäumte sich in seinem Griff auf. "Ich werde es nicht tun! Ich werde sie nicht suchen, wenn du das tust!"
"Doch, das wirst du." Sein Ton war ruhig und nüchtern, während zugleich der erste Ausläufer des Lichts Jareds Haut berührte und er zu schreien begann.
Zeugin, flüsterten die Geister, und Verzweiflung überkam Alterin.
Paretim und Fortuse waren schon fünf Tage lang durch die Berge gereist, als sie ein abgeschiedenes Dorf erreichten. Die Siedlung war klein: kaum mehr als hundert Einwohner. Die Wälder, von denen sie umgeben war, waren hoch und uralt, und die Straße, die hindurchführte, war wenig begangen. Die Dorfleute hatten sich daran gewöhnt, einfach zu leben, und stellten wenige Fragen über das, was jenseits der Laternen vorging, die die Grenze ihres Städtchens markierten.
Der magere Jugendliche, der die Theke im Dorfkrug wischte, war der Erste, der sie sah, als sie durch die Tür kamen. Er hatte schon früher Fremde gesehen, aber meistens im Wald, flüchtige Schatten, die er aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Diese beiden waren anders. Das sah er an der Art, wie der Mann sich ohne zu blinzeln in dem kleinen Raum umschaute. Er roch es an der völligen Abwesenheit von Schweiß, den man an Reisenden hätte erwarten sollen, aber vor allem spürte er es an dem schwachen Prickeln, das ihm die Wirbelsäule hinauflief. Er hatte einen anderen wie ihn zehn Tage zuvor in den Wäldern gesehen, als er draußen gewesen war, um die Ziegen heimzutreiben: einen Mann, hochgewachsen und leichtfüßig, mit kurzem, weißem Haar. Er hatte einen Blick darauf erhascht, wie er flink wie ein Hirsch zwischen den Bäumen hindurchgerannt war. Der Junge erinnerte sich, dass er damals denselben Gedanken gehabt hatte, der ihm jetzt kam: unnatürlich.
Er beobachtete, wie der Wirt auf sie zutrat. An der Art, wie Kree- gan sich die Vorderseite des Hemds immer wieder abwischte, als hätte er etwas darauf verschüttet, erkannte er, wie nervös er war.
Der Mann sagte etwas, das der Junge nicht hören konnte, und wenn er redete, sah er an Kreegan vorbei, als ob er mehr mit sich selbst als mit einer anderen Person sprach. So, als sei Kreegan ein Pfosten oder ein Hund.
Die Frau, die neben ihm stand, war die schönste Frau, die der Junge je gesehen hatte. Sie war beinahe so groß wie der Mann und hatte langes, lockiges rotes Haar, Lippen, die voll wie wilde Beeren waren, und Brüste, die sich blass und gerundet aus dem eckigen Ausschnitt ihres Kleids hervorwölbten. Aber irgendetwas an ihr ließ seine Eier den Wunsch verspüren, sich möglichst weit nach oben in seinen Körper hinein zu verkriechen. Er wischte weiter die Theke ab und hoffte, dass sie nicht mit ihm sprechen wollen würden, spürte aber dann, dass der Mann vor ihm stand.
Er sah auf und hielt inne; das in einer Faust zusammengeknüllte Tuch sog den plötzlichen Schweiß seiner Handfläche auf.
Der Fremde lächelte und musterte ihn aus funkelnden, blauen Augen. "Du hast schon einen anderen herkommen sehen."
Es war keine Frage, und der Junge wusste, dass dieser Mann es wissen würde, wenn er ihn belog. Er leckte sich die Lippen ab und wünschte, jemand anders wäre an jenem Tag die Ziegen holen gegangen, etwa der dicke Dewy, der Sohn des Schmieds, oder dieser Knirps Geffin.
Der Fremde musterte ihn, ohne zu blinzeln, und hinter ihm starrte die Frau das Stroh auf dem Boden und die rauchgeschwärzten Wände an, als hätte sie so etwas noch nie gesehen. Er schluckte.
"Ich hab im Wald einen Mann gesehen", sagte er, räusperte sich und fügte dann hinzu: "Er ist gerannt." Er wusste nicht, ob das wichtig war, aber er sagte es einfach.
Der hochgewachsene, dunkelhaarige Fremde nickte. "Ja. In welche Richtung?"
Der Junge zuckte die Schultern. "Nach Süden, schätze ich. Bergab."
Der Mann stieß ein Lachen aus, kurz wie ein Husten, und sah sich nach der Frau um, als teile er einen Scherz mit ihr. Die Frau lächelte, und der Junge bemerkte mit einem Schlag, dass ihre Augen immer wieder die Farbe wechselten: Erst grau, dann grün, und als sie ihn direkt ansah, wurden sie blau, genau wie die des Mannes.
Er wich zurück, bis er das Regal hinter sich spüren konnte, und war froh über die Theke, die sie voneinander trennte. Er sah zu Kreegan hinüber, aber der Wirt starrte sie alle nur an, als würde er zusehen, wie sein Haus abbrannte.
Der Junge fragte sich, wer sie waren, warum sie hier waren. Der seltsame Mann hörte auf zu lachen und wandte sich ihm abrupt wieder zu, als hätte er seinen Gedanken gehört. Er sah ihn einen Moment lang an und sagte dann: "Wir sind gekommen, um euch zu retten."
"Wovor?", fragte der Junge und verdrehte den Wischlappen zwischen den Händen.
Der Mann lächelte, und erst später, als der Junge spürte, wie seine Seele befreit wurde und die kühlen Finger der Frau ihn geradezu besessen machten, verstand er: Sie waren nicht mehr gottlos.
Die Stadt Salmut, Saranthium S haan konnte ihren linken Arm nicht richtig durchs Wasser ziehen. Er trieb von ihrem Körper weg wie Seetang, als sie versuchte, einen Schwimmzug vorwärts zu machen. Sie ächzte, zwang ihren Arm über die Wasseroberfläche und ließ ihn dann spritzend wieder versinken; Schmerz breitete sich von ihrer Schulter bis in die Finger aus.
"Noch einmal", sagte Tallis. Er stand neben ihr bis zur Taille im Wasser, eine Hand unter ihrem Bauch, um sie oben zu halten. "Mach es noch einmal und benutze diesmal deine Schultermuskeln. Hör auf, deinen Arm aus dem Rücken heraus vorschnellen zu lassen."
"Das habe ich nicht getan", sagte sie.
"Hast du doch, ich konnte es spüren. Diesmal werde ich loslassen. Jetzt - tritt zu." Seine Hand verschwand, und Shaan ging unter. Salzwasser stieg ihr in Nase und Mund, als sie zu fluchen versuchte.
Sie sah den Meeresgrund unter sich, Sand, der von Tallis' Füßen aufgewirbelt wurde, als er zurücktrat. In ihrer Wut trat sie hart zu und zog sich mit dem gesunden rechten Arm nach vorn. Ihr linkes Bein konnte nicht mithalten, und sie trieb im Kreis zu ihrem Bruder zurück, so dass sie seine Hüfte rammte. Er zog sie an die Oberfläche.
"Dungschnäuziger Muthuhirte!" Sie packte ihn am Unterarm, zog sich hoch und spuckte Meerwasser.
"Verteile dein Gewicht auf beide Beine", sagte Tallis.
"Das tue ich."
Er hielt ihre Ellenbogen, um sie zu stützen, als sie sich das Haar aus dem Gesicht strich und sich das Wasser aus den Augen rieb. "Tust du nicht. Das merke ich", sagte er.
"Na gut!" Shaan ließ zu, dass sich ihr Gewicht auf den linken Fuß verlagerte. Ein dumpfer Schmerz sagte ihr, dass die Muskeln die Last aufnahmen, unterstützt vom Auftrieb des Wassers. Einen Moment lang hielt sie sich am Arm ihres Bruders fest und sah auf ihre Füße unter Wasser hinab, während der Sand in der Strömung forttrieb und das Meer wieder klar wurde.
Hinter ihnen brandeten die Wellen an den Strand, und Shaan konnte gerade eben die gedämpften Rufe von Reitern bei ihren Waffenübungen von den Klippen oberhalb herabschallen hören. Sie kamen nun schon eine Woche lang jeden Tag kurz nach Sonnenaufgang hierher, um in der geschützten Bucht unterhalb der Drachenanlage zu schwimmen. Es tat weh - es war qualvoll -, aber sie musste zugeben, dass es wirkte. Sie konnte jetzt gehen, und ihr linker Arm gewann Kraft und Beweglichkeit zurück.
Sie sah Tallis an. "Ich bin fertig", sagte sie, und er lächelte.
"In Ordnung, das ist für heute genug, denke ich, aber morgen schwimmen wir zu dem Felsen da hinaus." Er wies auf einen einsamen roten Felsen, der mitten in der Bucht aus dem Wasser ragte.
"Ich hasse dich", sagte sie.
"Ich weiß. Komm schon." Er ließ ihren Arm los und stupste sie, zwang sie, allein zum Strand zurückzugehen.
Shaan seufzte und watete durchs Wasser; ihr Bein schmerzte, als sie sich vorwärtsschob. Eine kleine Welle bildete sich, und mit einem listigen Blick auf ihren Bruder ließ sie sich vornüberfallen und vom Wasser ans Ufer tragen.
"Du schummelst!", rief Tallis.
"Dungschnauze!", rief sie zurück. Ihr Bauch stieß auf den Strand, und sie lag in der Brandung und wartete darauf, dass er sie einholte. Sandiges Wasser spülte bis zu ihrer Taille hoch und strömte wieder fort, hinterließ Sandkörner, die sich in ihren kurzen Hosen festsetzten. Sie schloss die Augen und öffnete sie dann fast sofort wieder, da die Entspannung sie in den Schlaf zu ziehen drohte. Nein, Schlaf war keine gute Idee. Sie rollte sich auf den Rücken und starrte in den Himmel hinauf. Die Regenzeit machte ihn zu einer eintönigen Masse tiefhängender Wolken; die Luft war schwer vor Feuchtigkeit. Shaan blinzelte sich Wasser aus den Augen und versuchte, nicht an die Träume zu denken, die wieder begonnen hatten: die Dunkelheit, den Schmerz des Steins, der sie versengte, und Azoth, dessen Finger sich auf ihrer Haut so echt anfühlten ^ Zu echt. Sie rieb sich die Arme.
"Frierst du?" Tallis war aus dem Wasser gekommen und stand über sie gebeugt da; Wassertropfen besprenkelten ihr Gesicht.
"Nein." Sie winkte ihm, Abstand zu halten. "Hör auf zu tropfen."
"Du bist schon nass." Er schüttelte den Kopf und verspritzte mehr Wasser, während die Silberröhrchen an den Enden seiner Zöpfe aneinanderklimperten. "Was ist los?"
"Nichts."
Er runzelte die Stirn. "Lügnerin."
"Ich bin nur müde." Sie schloss die Augen, so dass sie seinem Blick nicht begegnen musste.
"Wieder Träume von Azoth?", fragte er.
Sie hatte ihm nicht alles erzählt: wie wirklich sie geworden waren, dass es sich anfühlte, als ob Azoth neben ihr im Bett lag. Wie sollte man das dem eigenen Bruder anvertrauen? Sie seufzte. "Du musst dir keine Sorgen machen, es sind nur Albträume. Ich werde nicht ausreißen, um ihn zu suchen."
"Das hatte ich auch nicht angenommen."
Sein Tonfall war ruhig, aber Shaan spürte die Besorgnis dahinter.
Er streckte ihr eine Hand hin. "Komm schon, steh auf. Du bist bald ganz voller Sand."
"Macht nichts." Sie schloss die Augen.
"Fein, dann bleib da." Er entfernte sich, und sie hörte, wie er in dem kleinen Bündel herumwühlte, das sie auf ein paar Felsen hatten stehen lassen. "Aua!"
Als Shaan die Augen öffnete und sich herumwälzte, sah sie Tal- lis auf einem Felsen hocken; er hielt sich den Daumen.
"Was ist geschehen?"
"Krebs im Bündel", sagte er und verzog das Gesicht.
"Was?" Sie beobachtete ihn lächelnd. "Hast du etwa nicht nachgesehen, bevor du die Hand hineingesteckt hast?"
Er schenkte ihr einen Blick, der ihr sagte, wo sie sich ihren Kommentar hinstecken konnte.
Stöhnend stieß sie sich hoch, bis sie saß. "Wie tief ist die Wunde?"
Er kam zu ihr, kniete sich neben sie und zeigte ihr einen tiefen Schnitt quer über den Ballen seines rechten Daumens.
Shaan starrte das glänzende Blut an, und ihre Heiterkeit verflog, als sich ein Druck in ihrer Brust bildete und ein leichtes Kribbeln ihren linken Arm hinunterfloss.
"Was ist?", fragte Tallis. "Ist es wieder dieses Gefühl?"
"Ja." Sie war unfähig, von der Wunde wegzusehen. Irgendetwas, irgendeine Kraft in ihr, versuchte hervorzubrechen, drang auf sie ein. Sie wusste, was es wollte. Seit Azoth sie gezwungen hatte, den Schöpferstein von jenem dunklen Ort zu holen, seit der Stein sie berührt und beinahe getötet hatte, war sie in der Lage gewesen, einen Teil davon in sich zu spüren. Er hatte sie mit der Kraft seiner Wiedergeburt gelähmt, aber auch etwas zurückgelassen. Sie fühlte sich mit ihm verbunden, als sei ein Stück von ihm unter ihrer Haut zurückgeblieben.
Tallis legte ihr die Hand auf die Schulter. "Ich kann es in dir spüren. Es ist eine Helligkeit, aber ihr wohnt auch Dunkelheit inne, eine Anspannung."
"Ich spüre es." Shaan starrte die Wunde an seinem Daumen an und ballte die Hand zur Faust.
"Es kommt von dem Stein, nicht wahr?", sagte er. Als sie nicht antwortete, beugte er sich näher heran.
"Du kannst das nicht einfach übergehen, Shaan. Wir müssen herausfinden, was es bedeutet."
"Ich übergehe es nicht."
"Dann versuch's", sagte er. "Versuche es zu benutzen, jetzt, bei mir. Das ist der beste Weg. Wenn etwas schiefgeht Sie wusste, worauf er hinauswollte. Er glaubte, über genug Macht zu verfügen, um was auch immer ihr innewohnte aufzuhalten, um jegliche Dunkelheit einzumauern, die vielleicht entkommen würde. Seine Augen waren so ruhig, furchtlos. Sie spürte die Kraft in ihm, die mit jedem Tag stärker wurde, als ob er dadurch, dass er sie gerettet und den Drachen Befehle erteilt hatte, den Käfig um seine Stärke aufgeschlossen hätte. Aber das Risiko ^ "Es ist zu gefährlich. Ich will das nicht, Tallis."
"Du hast keine Wahl. Was, wenn diese ^ Fähigkeit deiner Kontrolle entgleitet? Du kannst nicht warten, bis sie dich kontrolliert. Wenn ich in der Wüste schon gewusst hätte, wozu ich fähig war Er hielt inne; Schmerz huschte über sein Gesicht. "Du musst versuchen, herauszufinden, was du bewirken kannst, Shaan."
Die Last in ihrer Brust drängte nach Befreiung wie ein gefangener Drache.
"In Ordnung", sagte sie. "Aber ."
"Hör auf, wann immer du willst", schloss er und hielt ihr die Hand hin. Glänzendes Blut bildete Tropfen auf seiner Haut.
Sie berührte seine Wunde langsam mit einer Fingerspitze ihrer linken Hand. Das Blut war warm, und als sie damit in Berührung kam, durchfuhr ein heftiges Aufblitzen von Wissen ihren Geist: wie das Blut aus seinem Herzen hervorpulsierte . Das verästelte Netzwerk aus Adern, die Muskeln, die Organe, die Haut und wie alles zusammenpasste, um das Ganze zu bilden. Sie blinzelte; sie konnte sehen, wie sie es heilen konnte. Sie hörte das Pochen des Herzens ihres Bruders laut in ihrem Kopf, den Atem in seiner Lunge, fühlte sich ihm näher als je zuvor. Es war überwältigend, und mit einem Keuchen zog sie sich zurück.
"Nein." Sie faltete die Hände und zog sie an sich.
Tallis saß sehr still, und sie schwiegen beide, während sie Atem schöpfte.
"Du hast es gespürt, nicht wahr?", sagte er nach einem Augenblick. "Du wusstest, wie der Schnitt geheilt werden kann."
"Ja . ^ Ich glaube schon. Ich weiß es nicht, aber es war zu viel, ich konnte ." Sie hielt inne, wollte es nicht aussprechen.
"Du wusstest, dass du auch mein Herz zum Stillstand bringen könntest, wenn du wolltest", schloss Tallis für sie, und sie nickte.
"Ich glaube ja, vielleicht. Wahrscheinlich." Der Druck war immer noch da, hatte sich aber verringert, als ob das bloße Berühren der Wunde ihn irgendwie gelindert hätte. Shaan stand auf und ging zur Wasserkante, sah hinaus auf die gedrängten Wolken am Horizont. Tallis folgte ihr und watete ins Wasser, um sich den Sand von den Beinen zu waschen.
"Früher bin ich einfach hierhergekommen, um Fische zu fangen", sagte sie. "Das war alles, was ich getan habe - Fische fangen, im Gasthaus beim Servieren helfen, in der Drachenanlage arbeiten. Jetzt ." Sie holte tief Atem. "Früher wollte ich mehr als das. Ich wollte die Drachen reiten, anders sein. Der Wunsch ist mir erfüllt worden, nicht wahr?"
"Ich denke, wir waren beide schon damals anders", sagte Tallis, "es war uns nur nicht bewusst."
"Bis ich Azoth zurückgebracht habe." Shaan starrte die Wellen an.
"Es war nicht deine Schuld."
"Ich bin mit ihm gegangen. Ich habe den Stein zurückgeholt."
"Du hattest keine Wahl. Er war stärker."
"Das ist er immer noch - besonders jetzt."
"Vielleicht", sagte Tallis.
Shaan stieß den Sand mit dem Fuß an. "Ich weiß nicht, wie wir ihn bekämpfen sollen."
"Vielleicht wird es Rorc gelingen, eine Armee zu bilden, die groß genug ist."
"Um den Stein zu besiegen?" Shaan schüttelte den Kopf. "Seine Kraft ist . Er öffnete ein Loch in der Luft, Tallis, wie eine Tür ins Nichts."
Seine Stirn legte sich in Falten. "Ich weiß, aber wir müssen es versuchen."
Shaan dachte an das, was die Frau aus den Wildlanden, Alterin, ihr erzählt hatte. "Vielleicht werden die Vier Verlorenen Götter kommen", sagte sie.
"Glaubst du, dass es sie wirklich gibt?"
"Ich weiß es nicht. Sie sind eine Legende, ein Mythos." Sie zuckte die Schultern. "Aber das war auch Azoth." Sie lächelte kurz. "Morfessa wurde ganz aufgeregt, als ich ihm erzählt habe, was Alterin gesagt hat - dass sie geträumt hätte, sie seien zurück. Doch ich spüre sie nicht. Du etwa . Sie sah ihn an, aber er schüttelte den Kopf.
Ihr Bein tat weh, und sie verlagerte ihr Gewicht. "Noch vier Götter; wäre das etwas Gutes, selbst wenn sie ihn aufhalten?"
"Ich weiß es nicht."
Nein, das wusste keiner von ihnen. Aber zu viel an die Götter zu denken, rief ihr Azoth ins Gedächtnis, und so sagte Shaan: "Wie steht es um deine Ausbildung bei den Verführern?"
"Ach Tallis kam aus dem Wasser, hob einen kleinen Stein hoch und ließ ihn auf der Hand auf und ab tanzen. "Sie mögen mich nicht."
"Weil du besser bist als sie?"
"Nur bei manchen Dingen", sagte er und ließ den Stein übers Wasser hüpfen. "Und weil ich bin, wer ich bin."
"Du machst sie nervös."
"So scheint es."
"Dennoch muss das besser sein, als nicht viel tun zu können." Seit sie sich gut genug fühlte, um nicht mehr im Bett zu liegen, hatte Shaan einen Großteil ihrer Tage in den Tempelgärten verbracht, oder damit, den Schwestern zu helfen, die Myriaden von alten Geschichtsschriftrollen zu katalogisieren, die sie zu bewachen schienen. Es begann an ihren Nerven zu zerren, aber sie war noch zu schwach, um Arbeit außerhalb des Tempels zu finden.
Ihr Gesicht. Es blitzte in seinem Verstand auf. Ein Flüstern, dann war es verschwunden. Seine Hand zitterte leicht, als er sich vom Blick der Seherin abwandte.
Sie war vom selben Volk wie diese Seherin gewesen. Schwäche, tadelte er sich selbst. Er hatte jenen alten Schmerz schon vor Jahrhunderten hinter sich gelassen: Die Vergrößerung seines Reichs hatte ihn gelindert, und das Wachsen seines neuen Reichs würde ihn auslöschen, wie Azoth auch jene Göttergeschwister auslöschen würde, die den Schmerz verursacht hatten. Er lächelte. Er würde Shaan so viel mitzuteilen haben, wenn er wieder einmal in ihre Träume kroch.
"Komm." Er bedeutete dem Alhanti, die Seherin in den Tempel zu führen. "Ich habe dir etwas zu zeigen."
Alterins Herz klopfte schnell, als sie die innere Kammer des Tempels betrat. Die Hand des Geschöpfs hatte sich eng um ihren Oberarm geschlossen und drohte, ihr die Schulter auszurenken, wenn sie sich wegbewegte. Sie konnte es nicht ertragen, es anzusehen, die dicke, echsenhafte Haut, die seinen Hals vom neu geformten Kamm bis zu den breiten Schultern bedeckte. Sie wollte nicht in das Gesicht aufsehen und den jungen Mann wiedererkennen, den sie einst gekannt hatte. Er hatte in ihrem Dorf gelebt, als Kind mit ihr gespielt; jetzt war nichts mehr von ihm übrig als die Hülle seines Körpers, der jetzt so viel größer und völlig verändert war.
Wieder fragte sie sich, warum die Geister sie auserwählt hatten, Zeugin zu werden. Sie hatten sie mit dem Namen "Uriel" belegt: Zeugin unaussprechlicher Dinge. Nein, sie war sich keineswegs sicher, ob sie stark genug war, das zu überleben.
"Du siehst" - Azoth drehte sich um und breitete die Arme weit aus, um den ganzen Raum zu umfassen - "den Beginn einer neuen Welt."
Alterin sagte nichts. Im Zentrum der höhlenartigen Ausdehnung schwebte, getragen von ungesehenen Kräften, der Schöpferstein. Um ihn herum befanden sich drei Kokons; jeder war durch ein Bündel Lichtstrahlen mit ihm verbunden. Dunkle Schatten lagen in der Mitte jeder der Hüllen, warteten darauf, zu schlüpfen. In der Nähe schwebte ein weiteres Lichtbündel; Fühler streckten sich nach seinem nächsten Opfer aus.
"Hast du nichts zu sagen?" Er musterte sie.
"Nichts, was ich sage, kann deinen Willen ändern."
"Du wirst dich vielleicht wundern." Ein Blick hinter sie. "Komm." Er sprach in der Drachenzunge, einem leisen Zischen, das ihr die Nackenhaare zu Berge stehen ließ.
Ein Geräusch wie Messer, die über Stein kratzten, ertönte, und eine schwarzhäutige Echse schob sich durch den Torbogen. Ihre Krallen klackten auf dem polierten Boden; das Wesen erzitterte und stieß einen heißen Atemzug aus; seine gelben Augen betrachteten sie, als es an ihr vorbeikam. Alterin kämpfte gegen das Bedürfnis an, so weit zurückzuweichen, wie sie konnte. Es war einer der älteren Drachen, so uralt, dass sie spürte, wie er seinen Wahnsinn hinter sich herzog wie eine Kielwelle im Wasser. Es war einer der sechs, die als Erste begonnen hatten, die Bewohner der Toten Lande anzugreifen, bevor Azoth zurückgekehrt war. Sie fragte sich, ob dies die schwarze Bestie war, die sie in Tallis' Geist gesehen hatte.
Azoths Blick heftete sich auf sie, seine Augen dunkellilafarben.
"Du weißt, dass ich den Namen nicht gerne höre", sagte er. "Sogar unausgesprochen."
"Warum?", sagte Alterin. "Weil er dich besiegt hat? Weil er Shaan mitgenommen hat?"
Azoth schnippte sich Regenwasser vom Hemd. "Ich habe zugelassen, dass er sie mitgenommen hat, ein Fehler, den ich berichtigen werde - zu seinem Schaden. Aber du solltest dir jetzt um jemand anderen Gedanken machen. - Hol ihn", befahl Azoth einem anderen Alhanti, der in den Schatten wartete, und schenkte der Seherin ein wissendes Lächeln. Alterin verspürte einen Moment lang Furcht. Wen holen?
"Sag mir", sagte Azoth, "was würdest du tun, um das Leben deines Geliebten zu retten?"
"Alterin, du?"
Die Stimme ließ sie beinahe in Ohnmacht fallen, als der Alhanti Jared durch die Eingangstür schleifte.
Sie schrie auf, und der Alhanti an ihrer Seite schlug sie, streckte sie zu Boden. Sie schmeckte Blut, als ihr Kopf auf den kalten Stein prallte.
"Alterin!" Jared mühte sich ab, zu ihr zu gelangen.
Azoth schritt auf sie zu und riss sie vom Fußboden hoch, so dass sie Jareds Gesicht sehen konnte, das panisch vor Angst und Zorn war, während er vergeblich gegen den Griff seines Wärters ankämpfte.
"Lass sie gehen!" Jared starrte Azoth finster an, aber der Gefallene lächelte nur und sah Alterin an.
"Du hast die Wahl, Seherin. Wenn du auf den Geistpfaden wandelst und meine Geschwister aufspürst, überlebt er. Wenn du mir trotzt, stirbt er. Ich könnte die Drachen augenblicklich mit seinem Blut füttern." Er grub einen Fingernagel in ihr Fleisch. "Oder soll ich euch beide töten?"
Alterin hätte vor Wut schreien mögen. Die Geister hatten sie hiervor nicht gewarnt, sie hatten ihr nicht geholfen. Dies hier war keine Wahl. Sie hatte Jared nicht mehr gesehen, seit Azoth sie beide vor Wochen in den Palast hatte bringen lassen. Sie hatte gehofft, er sei vielleicht entkommen, nach Süden geflüchtet. Einigen Leuten aus ihrem Dorf war das gelungen; sie waren in den Dschungel geflohen, als Azoth das erste Mal erschienen war, bevor er sie hatte aufhalten können. Aber Jared war geblieben - ihretwegen.
Sein Gesicht war zerkratzt und mit Prellungen übersät, sein Hemd blutig und in Fetzen gerissen, da man ihn ausgepeitscht hatte. Sie konnte den Ausdruck von Liebe und Trotz in seinen Augen nicht ertragen.
"Tu's nicht", sagte er. "Er kann dich nicht zwingen, ihm zu helfen."
Aber das konnte er. Jared hatte keine Angst, zu sterben, aber sie konnte ihn nicht aufgeben. Das Gewicht ihrer Antwort lastete wie ein Stein um ihren Hals.
"Alterin, nein!" Jared hielt ihren Blick fest. "Einer für die vielen, meine Liebe. Sei stark."
Azoth wusste bereits, wie ihre Antwort lauten würde. "Sag es", befahl er, den Mund nahe an ihrem Ohr.
Als ihre Stimme etwas hervorbrachte, war es ein Flüstern. "Lass ihn am Leben."
"So sei es. Bring ihn zum Stein."
"Was?", schrie Alterin. Begreifen stand in Jareds Augen, und er begann, ihren Namen zu schreien, während der Alhanti ihn auf die ausgreifenden Lichtranken zuzerrte.
"Nein!" Sie wandte sich zu Azoth um. "Du hast gesagt, er würde am Leben bleiben!"
"Das wird er auch, als Alhanti." Azoths Gesicht war ausdruckslos.
"Nein!" Sie bäumte sich in seinem Griff auf. "Ich werde es nicht tun! Ich werde sie nicht suchen, wenn du das tust!"
"Doch, das wirst du." Sein Ton war ruhig und nüchtern, während zugleich der erste Ausläufer des Lichts Jareds Haut berührte und er zu schreien begann.
Zeugin, flüsterten die Geister, und Verzweiflung überkam Alterin.
Paretim und Fortuse waren schon fünf Tage lang durch die Berge gereist, als sie ein abgeschiedenes Dorf erreichten. Die Siedlung war klein: kaum mehr als hundert Einwohner. Die Wälder, von denen sie umgeben war, waren hoch und uralt, und die Straße, die hindurchführte, war wenig begangen. Die Dorfleute hatten sich daran gewöhnt, einfach zu leben, und stellten wenige Fragen über das, was jenseits der Laternen vorging, die die Grenze ihres Städtchens markierten.
Der magere Jugendliche, der die Theke im Dorfkrug wischte, war der Erste, der sie sah, als sie durch die Tür kamen. Er hatte schon früher Fremde gesehen, aber meistens im Wald, flüchtige Schatten, die er aus dem Augenwinkel wahrgenommen hatte. Diese beiden waren anders. Das sah er an der Art, wie der Mann sich ohne zu blinzeln in dem kleinen Raum umschaute. Er roch es an der völligen Abwesenheit von Schweiß, den man an Reisenden hätte erwarten sollen, aber vor allem spürte er es an dem schwachen Prickeln, das ihm die Wirbelsäule hinauflief. Er hatte einen anderen wie ihn zehn Tage zuvor in den Wäldern gesehen, als er draußen gewesen war, um die Ziegen heimzutreiben: einen Mann, hochgewachsen und leichtfüßig, mit kurzem, weißem Haar. Er hatte einen Blick darauf erhascht, wie er flink wie ein Hirsch zwischen den Bäumen hindurchgerannt war. Der Junge erinnerte sich, dass er damals denselben Gedanken gehabt hatte, der ihm jetzt kam: unnatürlich.
Er beobachtete, wie der Wirt auf sie zutrat. An der Art, wie Kree- gan sich die Vorderseite des Hemds immer wieder abwischte, als hätte er etwas darauf verschüttet, erkannte er, wie nervös er war.
Der Mann sagte etwas, das der Junge nicht hören konnte, und wenn er redete, sah er an Kreegan vorbei, als ob er mehr mit sich selbst als mit einer anderen Person sprach. So, als sei Kreegan ein Pfosten oder ein Hund.
Die Frau, die neben ihm stand, war die schönste Frau, die der Junge je gesehen hatte. Sie war beinahe so groß wie der Mann und hatte langes, lockiges rotes Haar, Lippen, die voll wie wilde Beeren waren, und Brüste, die sich blass und gerundet aus dem eckigen Ausschnitt ihres Kleids hervorwölbten. Aber irgendetwas an ihr ließ seine Eier den Wunsch verspüren, sich möglichst weit nach oben in seinen Körper hinein zu verkriechen. Er wischte weiter die Theke ab und hoffte, dass sie nicht mit ihm sprechen wollen würden, spürte aber dann, dass der Mann vor ihm stand.
Er sah auf und hielt inne; das in einer Faust zusammengeknüllte Tuch sog den plötzlichen Schweiß seiner Handfläche auf.
Der Fremde lächelte und musterte ihn aus funkelnden, blauen Augen. "Du hast schon einen anderen herkommen sehen."
Es war keine Frage, und der Junge wusste, dass dieser Mann es wissen würde, wenn er ihn belog. Er leckte sich die Lippen ab und wünschte, jemand anders wäre an jenem Tag die Ziegen holen gegangen, etwa der dicke Dewy, der Sohn des Schmieds, oder dieser Knirps Geffin.
Der Fremde musterte ihn, ohne zu blinzeln, und hinter ihm starrte die Frau das Stroh auf dem Boden und die rauchgeschwärzten Wände an, als hätte sie so etwas noch nie gesehen. Er schluckte.
"Ich hab im Wald einen Mann gesehen", sagte er, räusperte sich und fügte dann hinzu: "Er ist gerannt." Er wusste nicht, ob das wichtig war, aber er sagte es einfach.
Der hochgewachsene, dunkelhaarige Fremde nickte. "Ja. In welche Richtung?"
Der Junge zuckte die Schultern. "Nach Süden, schätze ich. Bergab."
Der Mann stieß ein Lachen aus, kurz wie ein Husten, und sah sich nach der Frau um, als teile er einen Scherz mit ihr. Die Frau lächelte, und der Junge bemerkte mit einem Schlag, dass ihre Augen immer wieder die Farbe wechselten: Erst grau, dann grün, und als sie ihn direkt ansah, wurden sie blau, genau wie die des Mannes.
Er wich zurück, bis er das Regal hinter sich spüren konnte, und war froh über die Theke, die sie voneinander trennte. Er sah zu Kreegan hinüber, aber der Wirt starrte sie alle nur an, als würde er zusehen, wie sein Haus abbrannte.
Der Junge fragte sich, wer sie waren, warum sie hier waren. Der seltsame Mann hörte auf zu lachen und wandte sich ihm abrupt wieder zu, als hätte er seinen Gedanken gehört. Er sah ihn einen Moment lang an und sagte dann: "Wir sind gekommen, um euch zu retten."
"Wovor?", fragte der Junge und verdrehte den Wischlappen zwischen den Händen.
Der Mann lächelte, und erst später, als der Junge spürte, wie seine Seele befreit wurde und die kühlen Finger der Frau ihn geradezu besessen machten, verstand er: Sie waren nicht mehr gottlos.
Die Stadt Salmut, Saranthium S haan konnte ihren linken Arm nicht richtig durchs Wasser ziehen. Er trieb von ihrem Körper weg wie Seetang, als sie versuchte, einen Schwimmzug vorwärts zu machen. Sie ächzte, zwang ihren Arm über die Wasseroberfläche und ließ ihn dann spritzend wieder versinken; Schmerz breitete sich von ihrer Schulter bis in die Finger aus.
"Noch einmal", sagte Tallis. Er stand neben ihr bis zur Taille im Wasser, eine Hand unter ihrem Bauch, um sie oben zu halten. "Mach es noch einmal und benutze diesmal deine Schultermuskeln. Hör auf, deinen Arm aus dem Rücken heraus vorschnellen zu lassen."
"Das habe ich nicht getan", sagte sie.
"Hast du doch, ich konnte es spüren. Diesmal werde ich loslassen. Jetzt - tritt zu." Seine Hand verschwand, und Shaan ging unter. Salzwasser stieg ihr in Nase und Mund, als sie zu fluchen versuchte.
Sie sah den Meeresgrund unter sich, Sand, der von Tallis' Füßen aufgewirbelt wurde, als er zurücktrat. In ihrer Wut trat sie hart zu und zog sich mit dem gesunden rechten Arm nach vorn. Ihr linkes Bein konnte nicht mithalten, und sie trieb im Kreis zu ihrem Bruder zurück, so dass sie seine Hüfte rammte. Er zog sie an die Oberfläche.
"Dungschnäuziger Muthuhirte!" Sie packte ihn am Unterarm, zog sich hoch und spuckte Meerwasser.
"Verteile dein Gewicht auf beide Beine", sagte Tallis.
"Das tue ich."
Er hielt ihre Ellenbogen, um sie zu stützen, als sie sich das Haar aus dem Gesicht strich und sich das Wasser aus den Augen rieb. "Tust du nicht. Das merke ich", sagte er.
"Na gut!" Shaan ließ zu, dass sich ihr Gewicht auf den linken Fuß verlagerte. Ein dumpfer Schmerz sagte ihr, dass die Muskeln die Last aufnahmen, unterstützt vom Auftrieb des Wassers. Einen Moment lang hielt sie sich am Arm ihres Bruders fest und sah auf ihre Füße unter Wasser hinab, während der Sand in der Strömung forttrieb und das Meer wieder klar wurde.
Hinter ihnen brandeten die Wellen an den Strand, und Shaan konnte gerade eben die gedämpften Rufe von Reitern bei ihren Waffenübungen von den Klippen oberhalb herabschallen hören. Sie kamen nun schon eine Woche lang jeden Tag kurz nach Sonnenaufgang hierher, um in der geschützten Bucht unterhalb der Drachenanlage zu schwimmen. Es tat weh - es war qualvoll -, aber sie musste zugeben, dass es wirkte. Sie konnte jetzt gehen, und ihr linker Arm gewann Kraft und Beweglichkeit zurück.
Sie sah Tallis an. "Ich bin fertig", sagte sie, und er lächelte.
"In Ordnung, das ist für heute genug, denke ich, aber morgen schwimmen wir zu dem Felsen da hinaus." Er wies auf einen einsamen roten Felsen, der mitten in der Bucht aus dem Wasser ragte.
"Ich hasse dich", sagte sie.
"Ich weiß. Komm schon." Er ließ ihren Arm los und stupste sie, zwang sie, allein zum Strand zurückzugehen.
Shaan seufzte und watete durchs Wasser; ihr Bein schmerzte, als sie sich vorwärtsschob. Eine kleine Welle bildete sich, und mit einem listigen Blick auf ihren Bruder ließ sie sich vornüberfallen und vom Wasser ans Ufer tragen.
"Du schummelst!", rief Tallis.
"Dungschnauze!", rief sie zurück. Ihr Bauch stieß auf den Strand, und sie lag in der Brandung und wartete darauf, dass er sie einholte. Sandiges Wasser spülte bis zu ihrer Taille hoch und strömte wieder fort, hinterließ Sandkörner, die sich in ihren kurzen Hosen festsetzten. Sie schloss die Augen und öffnete sie dann fast sofort wieder, da die Entspannung sie in den Schlaf zu ziehen drohte. Nein, Schlaf war keine gute Idee. Sie rollte sich auf den Rücken und starrte in den Himmel hinauf. Die Regenzeit machte ihn zu einer eintönigen Masse tiefhängender Wolken; die Luft war schwer vor Feuchtigkeit. Shaan blinzelte sich Wasser aus den Augen und versuchte, nicht an die Träume zu denken, die wieder begonnen hatten: die Dunkelheit, den Schmerz des Steins, der sie versengte, und Azoth, dessen Finger sich auf ihrer Haut so echt anfühlten ^ Zu echt. Sie rieb sich die Arme.
"Frierst du?" Tallis war aus dem Wasser gekommen und stand über sie gebeugt da; Wassertropfen besprenkelten ihr Gesicht.
"Nein." Sie winkte ihm, Abstand zu halten. "Hör auf zu tropfen."
"Du bist schon nass." Er schüttelte den Kopf und verspritzte mehr Wasser, während die Silberröhrchen an den Enden seiner Zöpfe aneinanderklimperten. "Was ist los?"
"Nichts."
Er runzelte die Stirn. "Lügnerin."
"Ich bin nur müde." Sie schloss die Augen, so dass sie seinem Blick nicht begegnen musste.
"Wieder Träume von Azoth?", fragte er.
Sie hatte ihm nicht alles erzählt: wie wirklich sie geworden waren, dass es sich anfühlte, als ob Azoth neben ihr im Bett lag. Wie sollte man das dem eigenen Bruder anvertrauen? Sie seufzte. "Du musst dir keine Sorgen machen, es sind nur Albträume. Ich werde nicht ausreißen, um ihn zu suchen."
"Das hatte ich auch nicht angenommen."
Sein Tonfall war ruhig, aber Shaan spürte die Besorgnis dahinter.
Er streckte ihr eine Hand hin. "Komm schon, steh auf. Du bist bald ganz voller Sand."
"Macht nichts." Sie schloss die Augen.
"Fein, dann bleib da." Er entfernte sich, und sie hörte, wie er in dem kleinen Bündel herumwühlte, das sie auf ein paar Felsen hatten stehen lassen. "Aua!"
Als Shaan die Augen öffnete und sich herumwälzte, sah sie Tal- lis auf einem Felsen hocken; er hielt sich den Daumen.
"Was ist geschehen?"
"Krebs im Bündel", sagte er und verzog das Gesicht.
"Was?" Sie beobachtete ihn lächelnd. "Hast du etwa nicht nachgesehen, bevor du die Hand hineingesteckt hast?"
Er schenkte ihr einen Blick, der ihr sagte, wo sie sich ihren Kommentar hinstecken konnte.
Stöhnend stieß sie sich hoch, bis sie saß. "Wie tief ist die Wunde?"
Er kam zu ihr, kniete sich neben sie und zeigte ihr einen tiefen Schnitt quer über den Ballen seines rechten Daumens.
Shaan starrte das glänzende Blut an, und ihre Heiterkeit verflog, als sich ein Druck in ihrer Brust bildete und ein leichtes Kribbeln ihren linken Arm hinunterfloss.
"Was ist?", fragte Tallis. "Ist es wieder dieses Gefühl?"
"Ja." Sie war unfähig, von der Wunde wegzusehen. Irgendetwas, irgendeine Kraft in ihr, versuchte hervorzubrechen, drang auf sie ein. Sie wusste, was es wollte. Seit Azoth sie gezwungen hatte, den Schöpferstein von jenem dunklen Ort zu holen, seit der Stein sie berührt und beinahe getötet hatte, war sie in der Lage gewesen, einen Teil davon in sich zu spüren. Er hatte sie mit der Kraft seiner Wiedergeburt gelähmt, aber auch etwas zurückgelassen. Sie fühlte sich mit ihm verbunden, als sei ein Stück von ihm unter ihrer Haut zurückgeblieben.
Tallis legte ihr die Hand auf die Schulter. "Ich kann es in dir spüren. Es ist eine Helligkeit, aber ihr wohnt auch Dunkelheit inne, eine Anspannung."
"Ich spüre es." Shaan starrte die Wunde an seinem Daumen an und ballte die Hand zur Faust.
"Es kommt von dem Stein, nicht wahr?", sagte er. Als sie nicht antwortete, beugte er sich näher heran.
"Du kannst das nicht einfach übergehen, Shaan. Wir müssen herausfinden, was es bedeutet."
"Ich übergehe es nicht."
"Dann versuch's", sagte er. "Versuche es zu benutzen, jetzt, bei mir. Das ist der beste Weg. Wenn etwas schiefgeht Sie wusste, worauf er hinauswollte. Er glaubte, über genug Macht zu verfügen, um was auch immer ihr innewohnte aufzuhalten, um jegliche Dunkelheit einzumauern, die vielleicht entkommen würde. Seine Augen waren so ruhig, furchtlos. Sie spürte die Kraft in ihm, die mit jedem Tag stärker wurde, als ob er dadurch, dass er sie gerettet und den Drachen Befehle erteilt hatte, den Käfig um seine Stärke aufgeschlossen hätte. Aber das Risiko ^ "Es ist zu gefährlich. Ich will das nicht, Tallis."
"Du hast keine Wahl. Was, wenn diese ^ Fähigkeit deiner Kontrolle entgleitet? Du kannst nicht warten, bis sie dich kontrolliert. Wenn ich in der Wüste schon gewusst hätte, wozu ich fähig war Er hielt inne; Schmerz huschte über sein Gesicht. "Du musst versuchen, herauszufinden, was du bewirken kannst, Shaan."
Die Last in ihrer Brust drängte nach Befreiung wie ein gefangener Drache.
"In Ordnung", sagte sie. "Aber ."
"Hör auf, wann immer du willst", schloss er und hielt ihr die Hand hin. Glänzendes Blut bildete Tropfen auf seiner Haut.
Sie berührte seine Wunde langsam mit einer Fingerspitze ihrer linken Hand. Das Blut war warm, und als sie damit in Berührung kam, durchfuhr ein heftiges Aufblitzen von Wissen ihren Geist: wie das Blut aus seinem Herzen hervorpulsierte . Das verästelte Netzwerk aus Adern, die Muskeln, die Organe, die Haut und wie alles zusammenpasste, um das Ganze zu bilden. Sie blinzelte; sie konnte sehen, wie sie es heilen konnte. Sie hörte das Pochen des Herzens ihres Bruders laut in ihrem Kopf, den Atem in seiner Lunge, fühlte sich ihm näher als je zuvor. Es war überwältigend, und mit einem Keuchen zog sie sich zurück.
"Nein." Sie faltete die Hände und zog sie an sich.
Tallis saß sehr still, und sie schwiegen beide, während sie Atem schöpfte.
"Du hast es gespürt, nicht wahr?", sagte er nach einem Augenblick. "Du wusstest, wie der Schnitt geheilt werden kann."
"Ja . ^ Ich glaube schon. Ich weiß es nicht, aber es war zu viel, ich konnte ." Sie hielt inne, wollte es nicht aussprechen.
"Du wusstest, dass du auch mein Herz zum Stillstand bringen könntest, wenn du wolltest", schloss Tallis für sie, und sie nickte.
"Ich glaube ja, vielleicht. Wahrscheinlich." Der Druck war immer noch da, hatte sich aber verringert, als ob das bloße Berühren der Wunde ihn irgendwie gelindert hätte. Shaan stand auf und ging zur Wasserkante, sah hinaus auf die gedrängten Wolken am Horizont. Tallis folgte ihr und watete ins Wasser, um sich den Sand von den Beinen zu waschen.
"Früher bin ich einfach hierhergekommen, um Fische zu fangen", sagte sie. "Das war alles, was ich getan habe - Fische fangen, im Gasthaus beim Servieren helfen, in der Drachenanlage arbeiten. Jetzt ." Sie holte tief Atem. "Früher wollte ich mehr als das. Ich wollte die Drachen reiten, anders sein. Der Wunsch ist mir erfüllt worden, nicht wahr?"
"Ich denke, wir waren beide schon damals anders", sagte Tallis, "es war uns nur nicht bewusst."
"Bis ich Azoth zurückgebracht habe." Shaan starrte die Wellen an.
"Es war nicht deine Schuld."
"Ich bin mit ihm gegangen. Ich habe den Stein zurückgeholt."
"Du hattest keine Wahl. Er war stärker."
"Das ist er immer noch - besonders jetzt."
"Vielleicht", sagte Tallis.
Shaan stieß den Sand mit dem Fuß an. "Ich weiß nicht, wie wir ihn bekämpfen sollen."
"Vielleicht wird es Rorc gelingen, eine Armee zu bilden, die groß genug ist."
"Um den Stein zu besiegen?" Shaan schüttelte den Kopf. "Seine Kraft ist . Er öffnete ein Loch in der Luft, Tallis, wie eine Tür ins Nichts."
Seine Stirn legte sich in Falten. "Ich weiß, aber wir müssen es versuchen."
Shaan dachte an das, was die Frau aus den Wildlanden, Alterin, ihr erzählt hatte. "Vielleicht werden die Vier Verlorenen Götter kommen", sagte sie.
"Glaubst du, dass es sie wirklich gibt?"
"Ich weiß es nicht. Sie sind eine Legende, ein Mythos." Sie zuckte die Schultern. "Aber das war auch Azoth." Sie lächelte kurz. "Morfessa wurde ganz aufgeregt, als ich ihm erzählt habe, was Alterin gesagt hat - dass sie geträumt hätte, sie seien zurück. Doch ich spüre sie nicht. Du etwa . Sie sah ihn an, aber er schüttelte den Kopf.
Ihr Bein tat weh, und sie verlagerte ihr Gewicht. "Noch vier Götter; wäre das etwas Gutes, selbst wenn sie ihn aufhalten?"
"Ich weiß es nicht."
Nein, das wusste keiner von ihnen. Aber zu viel an die Götter zu denken, rief ihr Azoth ins Gedächtnis, und so sagte Shaan: "Wie steht es um deine Ausbildung bei den Verführern?"
"Ach Tallis kam aus dem Wasser, hob einen kleinen Stein hoch und ließ ihn auf der Hand auf und ab tanzen. "Sie mögen mich nicht."
"Weil du besser bist als sie?"
"Nur bei manchen Dingen", sagte er und ließ den Stein übers Wasser hüpfen. "Und weil ich bin, wer ich bin."
"Du machst sie nervös."
"So scheint es."
"Dennoch muss das besser sein, als nicht viel tun zu können." Seit sie sich gut genug fühlte, um nicht mehr im Bett zu liegen, hatte Shaan einen Großteil ihrer Tage in den Tempelgärten verbracht, oder damit, den Schwestern zu helfen, die Myriaden von alten Geschichtsschriftrollen zu katalogisieren, die sie zu bewachen schienen. Es begann an ihren Nerven zu zerren, aber sie war noch zu schwach, um Arbeit außerhalb des Tempels zu finden.
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Autoren-Porträt von Lara Morgan
Lara Morgan ist in Westaustralien aufgewachsen und hat große Teile Europas ebenso bereist wie die Dschungel Borneos. Sie hat mehrere künstlerische Projekte geleitet und als Redakteurin gearbeitet. Im Jahr 2004 gewann sie den Kurzgeschichtenwettbewerb von Australian Women's Weekly.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lara Morgan
- 2010, 558 Seiten, Maße: 16 x 23,3 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch. v. Maike Claußnitzer
- Übersetzer: Maike Claußnitzer
- Verlag: Penhaligon
- ISBN-10: 3764530650
- ISBN-13: 9783764530655
Rezension zu „Der Verrat der Drachen “
Für Fantasy-Freunde ein Muss. Passauer Neue Presse
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