Desire / Detective Bentz und Montoya Bd.7
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Aus dem Amerikanischen von Kristina Lake-Zapp
Kapitel eins
Es ist so weit«, sagte die Stimme. Sie war deutlich zu hören.
Camille lächelte in sich hinein und verspürte eine unglaubliche Erleichterung, als sie das letzte Knöpfchen durch die kleine Schlinge steckte. Sie betrachtete sich in dem winzigen Spiegel und richtete ihren Schleier.
»Du bist ein Traum in Weiß«, schwärmte ihr Vater.
Aber er war ja gar nicht hier, oder doch? Er geleitete sie nicht den Mittelgang entlang zum Altar. Nein, nein, natürlich nicht. Schließlich war er seit Jahren tot. Zumindest nahm sie das an. Außerdem war ihr Vater gar nicht ihr Vater ... nur von Rechts wegen. Nicht wahr? Camille blinzelte. Benommen versuchte sie, einen klaren Kopf zu bekommen, das Gefühl abzuschütteln, neben sich zu stehen.
Das liegt daran, dass heute dein Hochzeitstag ist, deine Nerven spielen dir einen Streich.
»Dein Bräutigam wartet.« Die Stimme drängte sie zur Eile, und sie fragte sich, ob wirklich jemand zu ihr sprach oder ob sie sich das nur einbildete.
Du Dummkopf, natürlich ist das echt!
Camille verließ das kleine Zimmer, in dem sie sich angekleidet hatte, und ging unsicheren Schrittes durch den dunklen Korridor, der nur von ein paar fl ackernden Wandleuchtern erhellt wurde.
Sie schritt eine breite Treppe hinunter, die blank getreten war von Tausenden auf und ab huschender Füße, und gelangte in eine kleine Kapelle. Dort, so wusste sie, würde er sie erwarten.
Ihr Herz pochte laut vor Aufregung, und das Blut pulsierte durch ihre Adern.
Was für eine herrliche, wundervolle Nacht!
Mit einer Hand hielt sie sich an dem langen, glatten Treppengeländer fest, ihre Fingerspitzen glitten über den polierten Handlauf.
»Beeil dich«, befahl ihr eine barsche Stimme direkt an ihrem Ohr, und sie wäre beinahe über ihr Kleid gestolpert. »Du darfst ihn nicht warten lassen!«
»Das wird nicht geschehen«, versprach sie. Ihre Stimme warf ein entferntes Echo, als hallte sie durch einen Tunnel, aber vielleicht war auch das nur Einbildung.
Sie raffte ihren Rock, um schneller gehen zu können. Ihre Füße berührten kaum den Fußboden. Sie fühlte sich leicht, als würde sie schweben, und die Vorfreude trieb sie voran.
Mondlicht fiel verschwommen durch die großen Maßwerkfenster aus Buntglas, warf Schatten und farbige Muster auf den Boden. Als sie die Kapelle erreichte, zitterten ihre Beine, als trüge sie hohe Absätze.
Doch ihre Füße waren nackt, die Kälte des Steinfußbodens kroch durch ihre Fußsohlen.
Armut, Keuschheit, Gehorsam.
Die Wörter wirbelten durch Camilles Kopf, als sie durch die geöffnete Tür trat. In ihrem Innern erklang Musik, die Stimmen der Engel stiegen auf an ihrem heutigen Hochzeitstag in der Kapelle von St. Marguerite.
Hochzeitsnacht ... es ist Nacht.
Auf dem Altar flackerten Kerzen, darüber erhob sich ein gewaltiges Kruzifix, welches sie an das Leiden Christi gemahnte. Sie bekreuzigte sich und kniete nieder, dann ging sie langsam nach vorn.
Armut. Keuschheit. Gehorsam.
Ihre Finger schlossen sich um die glatten Perlen ihres Rosenkranzes. Die Musik in ihrem Kopf wurde lauter.
Als sie den Altar erreichte, begann die Kirchenglocke zu läuten, und sie sank vor dem Angesicht Gottes auf die Knie. Sie war bereit, ihre Gelübde abzulegen, ihr Leben dem zu schenken, den sie liebte.
»Gut ... sehr gut ... perfekt.«
Immer noch auf den Knien, senkte Camille ihren Kopf im Gebet. Dann hob sie ihn wieder, blickte zum Kruzifix auf und betrachtete die Wunden auf Jesu ausgemergeltem Körper, wurde Zeugin seines Opfers für ihre eigenen weltlichen Sünden.
O ja, sie hatte gesündigt.
Wieder und wieder.
Jetzt würde sie davon freigesprochen werden.
Geliebt werden.
Für immer.
Sie schloss die Augen und senkte mit einiger Mühe erneut den Kopf, der sich plötzlich schwer anfühlte, ihre zum Gebet gefalteten Hände ungelenk. Die Kapelle veränderte sich, wurde finsterer, die Statue der Heiligen Jungfrau mit den Engeln neben dem Taufbecken starrte sie auf einmal mit anklagendem Blick an.
Sie hörte das Scharren eines Schuhs auf dem Steinboden. Ihre Unbeschwertheit und Freude wichen Furcht.
Du darfst nicht verzagen. Nicht heute Nacht ...
Doch selbst ihr Hochzeitskleid fühlte sich nicht mehr seidig und weich an - der Stoff war plötzlich grob und kratzig, ein modrig-muffiger Geruch stieg daraus auf.
Camille beschlich ein so beklommenes Gefühl, dass die Haut in ihrem Nacken unter dem Schleier zu kribbeln anfing.
Nein, nein, nein ... hier stimmt etwas nicht.
»Dann weißt du es jetzt also«, zischte die Stimme an ihrem Ohr scharf. Sie schreckte zurück. »Der Sünde Lohn ist ...«
»Der Tod«, flüsterte sie.
Nacktes Entsetzen ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. O Gott! In plötzlicher Todesangst bemühte sich Camille, auf die Füße zu kommen.
In diesem Augenblick schlug das Schicksal zu.
Der Rosenkranz wurde ihr aus den Händen gezerrt, die Schnur riss, die Perlen hüpften über den Boden.
Obwohl sie mit aller Macht aufzustehen versuchte, versagten ihre Knie, und ihre Beine waren wie aus Gummi. Es war ohnehin zu spät.
Eine feste Schnur legte sich um ihren Hals und zog sich zusammen.
NEIN! Was soll das?
Scharfkantige Perlen schnitten tief in ihren Hals.
Panik durchflutete sie.
Nein, nein, nein! Das darf nicht sein!
Helft mir!
Glühender Schmerz schoss durch ihren Körper. Sie machte einen Ruck nach vorn und versuchte, ihrem Angreifer zu entrinnen, doch sie bekam keine Luft mehr, konnte nicht mehr atmen. Ihre Lungen dehnten sich unter dem Druck.
Mein Gott, was geschah nur mit ihr?
Und warum?
Das Kirchenschiff schien sich zu drehen, die hohe Decke geriet ins Trudeln, als das Monster in ihrem Rücken die tödliche Schnur engerzog.
Entsetzen packte Camille. Verzweifelt versuchte sie, sich zu befreien, sich zu winden und um sich zu treten, aber ihr Körper wollte ihr nicht gehorchen. Das Gewicht in ihrem Rücken war erdrückend, die Schnur mit den scharfen Perlen schnitt tiefer und tiefer in das weiche Fleisch ihres Halses.
Das Blut pochte hinter ihren Augäpfeln und hallte dröhnend in ihren Ohren wider. Ihre Finger tasteten panisch nach der Schnur, ein Fingernagel brach ab.
Sie drückte den Rücken durch und kämpfte wie wild - vergeblich.
Bitte, bitte, bitte! Lieber Vater, verschone mich! Ich habe gesündigt, aber bitte -
Ihre Füße rutschten fort. Sie ruderte schwach mit den Armen. Langsam verließen sie ihre Kräfte.
Nein, Camille. Kämpfe! Gib nicht auf! Jemand wird dich retten.
Ihr Blick fiel auf das Kruzifix, doch das ausgemergelte Gesicht von Jesus Christus verschwamm. Es tut mir leid ...
Sie war jetzt sehr schwach, ihre Versuche, sich zur Wehr zu setzen, sinn- und zwecklos.
Ihr Körper erschlaffte.
»Bitte«, bettelte sie, doch ihr Flehen war leise und kaum zu verstehen.
Der Dämon, der seinen Fuß in diese Kapelle gesetzt, das Monster, das diesen heiligen Boden entweiht hatte, hielt sie fest. Zog an der Schnur. Unbarmherzig. Mit einem fi nsteren, tödlichen Ziel.
Camilles Lungen brannten, ihr Herz klopfte so heftig, dass sie sicher war, es würde zerspringen. Sie hatte die Augen vor Angst weit aufgerissen, doch sie sah nichts als einen roten Schleier.
Oh, lieber Gott, dieser Schmerz!
Wieder versuchte sie, nach Luft zu schnappen, doch es gelang ihr nicht.
Die Schnur zog sich mit brutaler Stärke nur noch weiter zu. Camille zuckte in ihrer Todesqual.
»Hure«, klagte die Stimme sie an. »Tochter Satans!«
Nein!
Ihr Blick richtete sich erneut auf Jesus am Kreuz. Er hatte einen blutroten Schleier über dem schönen Gesicht, Blut- tränen liefen ihm aus den Augen.
Ich liebe dich.
Die Sintflut von Sünden, die sie ihr Leben genannt hatte, brach über sie herein - Bilder derer, die sie betrogen hatte, flackerten vor ihr auf. Ihre Mutter und ihr Vater, ihre Schwester, ihre beste Freundin ... so viele Menschen, darunter manche, die sie geliebt hatten ... die Unschuldigen.
Das hier war ihre Strafe, wurde ihr nun klar. Sie griff nicht mehr nach der Schnur, sondern ließ die Hände vom Hals über ihren Bauch gleiten, wo sie auf dem Unterleib liegen blieben.
Zisch! Ein helles Licht flammte vor ihren Augen auf, dann war alles dunkel.
Im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes. Wasche mich rein von meinen Sünden ... Vergib mir, denn ich habe gesündigt ...
Kapitel zwei
Um Himmels willen!« Valerie drückte immer und immer wieder auf die Escape-Taste ihres Laptops, als könnte sie so den völlig überholten Computer mit seiner antiquierten Festplatte ins Leben zurückholen. »Komm schon, komm schon!«, murmelte sie mit zusammengebissenen Zähnen, dann gab sie auf, unfähig, das verdammte Ding abzuschalten, ohne den Akku herauszunehmen.
Jetzt reichte es! Morgen würde sie sich einen neuen Computer kaufen, egal, was ihr Konto dazu sagte. Der Verfügungsrahmen ihrer Kreditkarte war noch nicht ganz ausgereizt, doch eine Ausgabe in der Höhe würde ihn sicherlich sprengen.
Der Preis einer Scheidung, gestand sie sich ein und schob den Laptop von ihrem Schoß auf das zerknitterte Bettzeug. In ihrem Pyjama, dessen Hose und Oberteil nicht zusammenpassten, ging sie in die Küche der kleinen Remise und hielt den Kopf unter den Wasserhahn, um zu trinken. Dann starrte sie durch das Fenster, das voller Regentropfen war, in die Nacht hinaus.
Hier in New Orleans war die Luft erfüllt vom bevorstehenden Sommer, und ein leichter Schweißfilm bildete sich auf ihrer Haut. Sie öffnete das Fenster einen Spaltbreit, so dass der dumpfige Geruch des langsam fließenden Flusses hereinwehte. In weiter Ferne war der Verkehr auf dem Freeway zu hören, ein permanentes Rauschen, das im Wettstreit stand mit dem Zirpen der Grillen und dem Rufen der Kröten.
Die Glocken von St. Marguerite läuteten Mitternacht, einsam hallten die Schläge durch die Dunkelheit.
Unerklärlicherweise fing Vals Haut an zu kribbeln. Ihre Polizistinneninstinkte schalteten auf Schnellgang, und wieder einmal hatte sie das Gefühl, beobachtet zu werden. Verborgene Augen verfolgten sie.
»Zu viele Nächte mit Science-Fiction-Filmen«, sagte sie zu sich selbst. »Zu viele Alpträume.«
Für eine flüchtige Sekunde schoss ihr eine Erinnerung mit scharfen, brüchigen Kanten durch den Kopf. Verschwommen. Bedrohlich.
Das Bild, das sie vor ihrem inneren Auge sah, ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Gehüllt in schwarze Gewänder, mit grausam funkelnden Augen, wurde die unheilvolle Kreatur größer. In der klauenähnlichen Hand baumelte eine glitzernde Kette, die sie zu einer Art Schlinge formte. Valerie meinte, einen fauligen Geruch wahrzunehmen.
Niemand könnte ihr helfen.
Niemand könnte sie retten.
»Sssss«, zischte die Kreatur und senkte die silbrige Schlinge.
»Sssss.«
Camille!, dachte Val voller Entsetzen. Der Dämon will Camille ...
Im selben Augenblick verschwand das entsetzliche Bild, versank in den Tiefen ihrer Seele. Aus Erfahrung wusste Val, dass es dort lauerte, bis es ungebeten erneut an die Oberfläche dringen würde.
»Lass mich in Ruhe«, murmelte sie und ignorierte die feinen Härchen, die sich auf ihren Armen gesträubt hatten. Dieser Teufel war ein Ausbund ihrer Phantasie, mehr nicht - nichts, woran eine geistig gesunde, bodenständige Frau glauben sollte.
Val holte tief Luft, um sich zu beruhigen. Immer noch hallte der Glockenschlag von St. Marguerite in klagendem Ton durch die Nacht. Innerlich fröstelnd, hielt sie sich an der Kante des Küchentresens fest.
Denk nicht mehr daran, ermahnte sie sich. Sich näher mit den heimtückischen Bildern in ihrem Kopf zu befassen würde zu nichts anderem als einer sich selbst bewahrheitenden, abscheulichen Prophezeiung führen.
»Alles ist in Ordnung«, sagte sie laut, obwohl sie innerlich zitterte, geschüttelt von einer Angst, die sie zu verbergen suchte. Niemand durfte davon etwas wissen. Sie war eine starke Frau. Alpträume oder Visionen, heraufbeschworen von ihrem so bereitwilligen Gehirn, würden sie nicht das Fürchten lehren. »Um Gottes willen, reiß dich zusammen!«, befahl sie sich.
Sie war lediglich gestresst. Wer wäre das nicht an ihrer Stelle? Vor ihr lag eine Scheidung, mit ihrer Karriere war es zu Ende, sie stand unmittelbar vor dem Bankrott, und sie hatte eine Schwester - nur diese einzige - , die im Begriff war, ihre Gelübde in einem Konvent abzulegen, der direkt aus dem Mittelalter zu stammen schien! Und dann war da noch diese E-Mail von Camille, ihrer Schwester, die ziemlich beunruhigend klang.
Val dachte an St. Marguerite, die historische Kathedrale, in der Camille zur Braut Jesu werden wollte.
Vorausgesetzt die Klostervorsteherin akzeptierte ihren Wunsch.
Diese Entscheidung war einfach untypisch für Camille, das Partygirl, das immer einen Freund, immer mit Problemen zu kämpfen gehabt hatte. Valerie bezweifelte, dass ausgerechnet ein Konvent wie St. Marguerite Camille ihre Sünden vergeben würde. Dieses Frauenkloster mit den verschlossenen Toren, dem antiquierten Kommunikationssystem und den strikten Regeln erinnerte sie mehr an eine mittelalterliche Festung als an ein Gotteshaus. Es war ein vom Rest der Welt isolierter Ort, an dem das einundzwanzigste Jahrhundert vorbeigezogen war. Die Menschen in den heiligen Mauern dort orientierten sich an vergangenen Jahrhunderten, in denen archaische Sitten, grausame Disziplin und vorsintflutliche Meinungen vorgeherrscht hatten. Vielleicht wegen der Äbtissin oder Mutter Oberin oder wie sich die alte Fledermaus von Klostervorsteherin, Schwester Charity, nennen mochte. Diese Schwester Charity, die den alten Zeiten anhing, in welchen die Nonnen düstere Gewänder trugen und nichtsahnenden Schülern auf die Finger schlugen, in denen Drohungen und Einschüchterungen noch vor den Lobpreisungen standen, erinnerte eher an eine Gefängnisaufseherin als an eine geistliche Führerin.
Warum Camille beschlossen hatte, ausgerechnet in einer so strengen Einrichtung wie St. Marguerite ihr Gelübde abzulegen, war Valerie ein Rätsel.
Nein, das ist dir keineswegs ein Rätsel. Du kennst die Gründe - du willst sie dir nur nicht eingestehen.
Pssst!
Ein Flüstern des Bösen drang in Schwester Lucys Gehirn.
Sie riss die Augen auf und starrte in die Dunkelheit ihres winzigen Zimmers im Konvent. Ihre Haut kribbelte, ihr Mund schmeckte nach Metall. Vater im Himmel, bitte lass das bloß den Nachklang eines schlechten Traums sein, eines Alptraums, der -
Pssst!
Da war es wieder, der entsetzliche Vorbote dessen, was kommen würde. Sie warf die dünnen Decken von sich und fi el auf die Knie. Ihr Nachthemd bauschte sich um sie, als sie in stinktiv nach dem Rosenkranz griff, den sie über den Pfosten des Metallbetts gehängt hatte. Schwester Lucy schlug mit dem daran befestigten Kruzifix das Kreuzzeichen und begann, stumm das Apostolikum aufzusagen. Schweiß sammelte sich auf ihrer Stirn. »Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde ...«
Und sie glaubte tatsächlich. Voller Inbrunst. Für gewöhnlich fand sie Trost in diesem Ritual, das sie seit ihrer Jugend kannte. In Zeiten großer Belastung, Sorge oder Not tröstete es sie, ihre Finger über die glänzenden Perlen gleiten zu lassen und die Gebete zu flüstern, die sie Gott näherbrachten. Pssst! Wieder dieses elektrisierende Kribbeln unter ihrer Haut. Der Schweiß lief ihr zu den Augenbrauen.
Nicht hier, bitte nicht hier ... nicht im Konvent! Ihr Gebet war unterbrochen, und sie begann von vorn, die Augenlider zusammengepresst, die Ellbogen auf die dünne Matratze gestemmt. Ihr Kopf surrte.
Wieder berührte sie mit dem Kruzifix ihre Stirn und begann mit der Folge von Gebeten, die ihr so leicht in den Sinn kamen.
Das muss ein Irrtum sein, dachte sie, während sie stumm die vertrauten Worte murmelte. Seit sie dem Konvent von St. Marguerite beigetreten war, in der Absicht, ihre letzten Ordensgelübde abzulegen, waren derartige »Zwischenfälle « - wie ihre Mutter sie genannt hatte - nicht mehr vorgekommen. Schwester Lucy hatte gemeint, hier in Sicherheit zu sein.
»Ich glaube an - «
Pssst! Lauter diesmal.
Schwester Lucy - ehedem Lucia Costa - holte scharf Luft und ließ ihren Rosenkranz fallen. Abermals war ihr Gebet unterbrochen worden. Sie erhob sich und gab es auf, dem Unvermeidlichen aus dem Weg gehen zu wollen. Barfuß schritt sie über den Hartholzboden und spürte, wie sich Ärger zusammenbraute, und zwar so gewiss wie ein Hurrikan vor der Küste Louisianas. Vor ihrem inneren Auge sah sie die Kapelle dieser Kirchengemeinde und blinzelte gegen eine wahre Flut von Bildern an.
Rot flackerndes Licht.
Ein verschwommenes Gesicht.
Ein abgetragenes, vergilbtes Kleid. Fadenscheinig. Zerrissen.
Ein wogendes, dunkles Gewand.
Verkniffene, todbringende Lippen.
Eine schwere Tür, die klickend ins Schloss fiel.
Ein blutiges Kruzifix, aus Christi heiligen Wunden tropfte es blutrot.
Tod, psalmodierte eine Stimme über das statische Rauschen in ihrem Kopf hinweg.
Sie stürmte in die Halle, die schwach von vereinzelten Wandleuchtern erhellt war, und rannte die Treppe hinunter. Ihre Finger glitten über den abgenutzten Handlauf. Sie folgte einem vorbestimmten Weg. Blasses Licht fiel durch die Buntglasscheiben, und die Hitze des Junitages war auch nachts noch zu spüren.
Warum?, fragte sich Lucia verzweifelt. Warum jetzt? Warum hier? Es ist nichts ... bloß ein schlechter Traum. All deine Ängste kristallisieren sich, mehr steckt nicht dahinter.
Ihr Herz trommelte ungleichmäßig. Sie wandte sich der Kapelle zu - dem kleineren Ort der Andacht, im Gegensatz zu der gewaltigen Kathedrale. Ein Gefühl der Ungewissheit trieb sie vorwärts, und sie drückte gegen die zweiflügelige Tür, die sich leichtgängig öffnete, und betrat das Haus Gottes. Die Kapelle war für gewöhnlich ein Ort der Helligkeit, der Güte und Tugend, des Vergebens und der Erlösung, doch heute Nacht spürte Lucia, dass hier das Böse lauerte, so dunkel wie Satans Seele.
»Vater, steh mir bei.« Lucia tauchte die Fingerspitzen in geweihtes Wasser, bekreuzigte sich und betrat das Kirchenschiff. Es war, als sähe sie die Szene aus ihrem Kopf vor sich: Rote Votivkerzen flackerten und warfen zuckende Schatten auf die Steinwände. Ein riesiges Kruzifix hing von der Deckenwölbung über dem Altar, von wo aus Jesus in seiner Todesqual die Kapelle überblickte.
Instinktiv schlug Lucia erneut das Kreuz. Das Surren in ihrem Kopf verwandelte sich in ein Hämmern.
Aus dem Augenwinkel nahm sie eine flüchtige Bewegung wahr - eine dunkle Gestalt in sich bauschenden Gewändern, die durch eine Tür verschwand.
»Vater?«, rief sie in der Annahme, die Person, die aus der Kapelle eilte, sei ein Priester. Die Tür fiel mit einem Klicken ins Schloss. »Warten Sie! Bitte ...« Sie lief zur Tür. »Vater - o nein ...!« Ihre Stimme verklang, als sie auf dem Steinfußboden vor der ersten Bankreihe den Zipfel eines hauchzarten weiß-gelblichen Spitzenstoffes erblickte. Was war das?
Um ein Haar wäre ihr Herz stehengeblieben.
Die Bilder, die ihr zuvor durch den Kopf geschossen waren, fielen ihr wieder ein.
Ein vergilbtes Kleid.
Grausame Lippen.
Eine Tür, die ins Schloss fiel.
Die Szene vor ihr war genau wie in ihrer Phantasie.
Wieder vernahm sie das Flüstern des Bösen. Lucia stürmte nach vorn, Richtung Altar, und wäre beinahe gestolpert. Ihre nackten Füße klatschten auf den kalten Steinboden, das Geräusch hallte von der hohen, gewölbten Decke wider.
Das kann nicht sein! Es kann einfach nicht sein!
Voller Angst, was sie vorfinden würde, stürzte sie in den vorderen Teil der Apsis, der von den prächtigen, jetzt dunklen Buntglasfenstern umgeben war. Das Kruzifix ragte hoch auf, der Sohn Gottes starrte in seinem Schmerz auf sie herab. »O Gott!«, schrie Lucia. »Dios! Mi Dios!«
Eine gekrümmte Gestalt lag vor der ersten Bankreihe neben dem Taufbecken.
»No, por favor, Jesús. No, no, no!«
Der Anblick ließ ihr das Blut in den Adern gefrieren. Lucia unterdrückte mühsam einen weiteren Schrei und fiel neben der Braut in dem zarten, abgetragenen Brautkleid auf die Knie. Ein dünner Schleier bedeckte deren Gesicht.
Lucias Magen drehte sich um, als sie Schwester Camille erkannte - das Gesicht leichenblass, die Lippen blau, die Augen weit aufgerissen, starrte sie sie durch die durchsichtige Spitze blicklos an.
»Um Himmels willen ...« Lucia schnappte nach Luft. Sie berührte Camilles noch warme Haut und tastete an ihrem Hals, an dem sich kleine Blutergüsse und Einschnitte zeigten, nach dem Puls. Fast hätte sie sich übergeben. Jemand hatte versucht, Camille zu töten. Aber, o Gott, war sie überhaupt noch am Leben? Spürte sie tatsächlich einen leichten Pulsschlag, oder bildete sie sich das nur ein?
»Camille«, krächzte Lucia verzweifelt und mit brechender Stimme, »halte durch! Bitte, halte durch ... Mi Dios!«
Die Glockenschläge über ihrem Kopf klangen wie ein Totengeläut.
Sie blickte auf. »Hilfe! So hilf mir doch jemand!« Ihre Stimme stieg auf zu den Dachsparren und hallte zu ihr zurück. »Bitte!«
Der Frau, von der sie nicht wusste, ob sie noch lebte oder schon tot war, flüsterte sie zu: »Camille, ich bin's, Lucia. Halte durch ... Bitte, bitte ... Deine Zeit ist noch nicht gekommen ...« Aber jemand hatte beschlossen, dass Camille sterben sollte, und Lucia kannte die Person, die Camille Renard bestimmt gern tot gesehen hätte.
Aus tiefster Seele murmelte sie ein rasches Gebet, dann beugte sie sich mit Tränen in den Augen dicht an Camilles Ohr: »Bitte halte durch.« Mit ihrem Nachthemd versuchte Lucia, das immer stärker aus Camilles Halswunden austretende Blut zu stoppen.
Camille regte sich nicht.
Ihre Pupillen waren starr.
Ihre aschfahle Haut wurde kälter.
Lucia geriet in Panik. Sie musste etwas tun! Irgendetwas!
Bitte, lieber Gott, nimm sie nicht zu dir. Noch nicht ... O Vater!
»Hilfe!«, schrie Lucia wieder. Sie wollte die Freundin, die seit über einem Jahr zu ihrer Vertrauten geworden war, nicht verlieren, eine Frau, die sie einen Großteil ihres Lebens gekannt hatte. Sie durfte nicht sterben ...
Bilder von Schwester Camille stürzten auf Lucia ein. Wie schön sie war mit ihrem geheimnisvollen Lächeln und den Augenbrauen, die oft amüsiert oder ungläubig in die Höhe schossen!
Mit zusammengeschnürter Kehle flüsterte sie wieder: »Deine Zeit ist noch nicht gekommen, Camille, hörst du? Geh nicht ...«
Doch die arme, gequälte Frau war tot, ihr Geist stieg aus der leblosen Hülle ihres Körpers zum Himmel empor. Des Körpers, dessen man sie gewaltsam beraubt hatte.
»Nein ... bitte ... Vater - «
Wumm! Irgendwo schlug eine Tür zu.
Lucia sprang auf.
Jemand war zu ihnen unterwegs!
Gut. »Halte einfach nur durch«, sagte sie zu der aschfahlen Gestalt, obwohl sie intuitiv wusste, dass es zu spät war. »Hilfe ist unterwegs.« Ihre Worte hingen in der kühlen Nachtluft.
Zweifel befielen Lucia. Sie verschränkte ihre Finger mit denen ihrer Freundin und schickte ein weiteres Gebet zum Himmel.
Nahte tatsächlich Hilfe? Oder kehrte die Person, die Camille das angetan hatte, zurück?
Kapitel drei
Val fühlte sich jetzt ruhiger, das innere Zittern hatte nachgelassen. Sie füllte ihre angeschlagene Lieblingstasse mit heißem Wasser und stellte sie in die Mikrowelle. Camille hatte sie ihr zu Weihnachten geschenkt, damals, als nichts und niemand einen Keil zwischen sie hätte treiben können, nicht einmal Slade Houston.
»Oh, Cammie«, flüsterte sie und schüttelte den Kopf über ihre lächerlichen Auseinandersetzungen. Die Mikrowelle klingelte. Vorsichtig fasste Val die Tasse am Griff, zog den letzten Teebeutel aus der Schachtel und tauchte ihn in das fast kochende Wasser.
Obwohl es schon nach Mitternacht war, würde Valerie noch stundenlang nicht einschlafen können, wenn überhaupt. Was hatte Slade immer behauptet? Ihre Schlaflosigkeit sei einer der Gründe, warum das Department sie behalten hätte - sie war ein Workaholic, der wegen seiner Unfähigkeit zu schlafen sechzehn Stunden durcharbeiten konnte, auch wenn er nur acht bezahlt bekam.
Aber Slade neigte eben dazu, zu übertreiben, das war Teil seines lächerlichen Humors.
Val massierte die Knoten in ihrem Nacken und schloss die Augen. Für einen Augenblick sah sie wieder das Gesicht ihres Ehemanns vor sich: ein kräftiges, bartbeschattetes Kinn, ein schiefes Grinsen, das weiße Zähne entblößte, die von der unerbittlichen Texas-Sonne gebräunte Haut, durchdringende blaugraue Augen. Slade Houston. Zäh wie altes Leder, ganz der wilde Cowboy und höllisch sexy, was nichts als Schwierigkeiten bedeutete.
Warum dachte sie dann heute Nacht an ihn?
Und warum hatte sie gestern Nacht an ihn gedacht und in der Nacht zuvor ...
»Idiotin«, murmelte sie und bemühte sich, Slades Bild vor ihren Augen zum Verschwinden zu bringen. Die Kirchenglocken waren endlich verstummt. Gut. Ruhe. Frieden.
Doch das unheimliche Gefühl, dass heute Nacht irgendetwas ganz und gar nicht stimmte, hielt an, und ihre innere Unruhe wollte nicht nachlassen.
Morgen würde sie Camille einen Besuch abstatten, gleichgültig, welche machiavellistischen Methoden die alte Fledermaus anwenden würde, um sie davon abzubringen. »Es tut mir leid, aber im Augenblick ist es unmöglich, Ihre Schwester zu besuchen. Wir haben hier strikte Regeln«, hatte Schwester Charity Val das letzte Mal mitgeteilt, als sie Camille unangemeldet hatte sehen wollen. »Regeln, an die wir uns halten, Regeln, die uns von Gott, dem Herrn, auferlegt sind.«
Ganz bestimmt. Wenn Schwester Charity irgendwelche guten Absichten hatte, hatte zumindest Val noch nichts davon bemerkt. Ihrer Ansicht nach war die Mutter Oberin einzig und allein machtbesessen, befeuert von Selbstüberschätzung und einem verzerrten Religionsbild.
Was immer eine schlechte Kombination abgab.
Aber diesmal hatte Valerie vor, den Spieß umzudrehen.
Im Treppenhaus vor der Kapelle war jetzt das Geräusch von Schritten zu vernehmen. Lucia starrte die tote junge Frau an. Ihre Haut kribbelte. Sie versuchte zu beten, aber es wollten ihr nicht die rechten Worte einfallen. Wer hatte Camille das angetan? Warum? Und dieses merkwürdige Brautkleid, die Kette aus Blutstropfen um ihren Hals - was hatte das alles zu bedeuten?
Sie blickte auf die Seitentür, die sich gerade geschlossen hatte, als sie eingetroffen war, und ihr Herz hämmerte. Es hatte noch jemand Schwester Camille auf dem Boden der Kapelle liegen sehen - der Mörder oder aber ein Zeuge. Vor Angst sträubten sich Lucias Nackenhärchen. Entweder war Hilfe im Anmarsch ... oder der Mörder kehrte zurück.
Lucia bekreuzigte sich, wandte sich der Tür zum Treppenhaus zu und schrie aus vollen Lungen: »Hilfe!«
Die Tür wurde aufgestoßen und prallte krachend gegen die Wand. Die Mutter Oberin, eine stattliche Frau in einem langen, schwarzen Ordensgewand, eilte in die Kapelle. Ihr ergrauendes Haar, das für gewöhnlich unter dem Nonnenschleier verborgen war, wirkte unordentlich und zerzaust. »Schwester Lucy! Was in Gottes Namen geht hier vor?« Ihre Röcke fegten über den glatten Fußboden, ihr Gesicht war eine Maske der Missbilligung, ihr Mund ein schmaler Strich. Plötzlich schien ihr bewusstzuwerden, wo sie sich befand, und sie schlug schnell das Kreuz über ihrem üppigen Busen. »Es geht um Schwester Camille ...« Lucia rappelte sich hoch, den Blick noch immer auf die am Boden liegende Frau gerichtet.
»Was ist denn ...? Oh!« Die Mutter Oberin zog scharf die Luft ein, während sie die vordere Bankreihe umrundete. »Gott steh uns bei.« Mit wehenden Röcken eilte sie an die Seite des Opfers und ließ sich auf die Knie fallen.
»Es ist zu spät. Sie ist tot!«
»Aber wieso? Weshalb?«, flüsterte Schwester Charity, als rechnete sie mit einer Antwort von Gott persönlich. »Wer könnte das getan haben?«
»Ich weiß es nicht. Es war jemand hier, unmittelbar bevor ich gekommen bin«, sagte Lucia und versuchte, die Tatsachen von den Bildern zu trennen, die sie in ihrem Kopf gesehen hatte. »Ich habe bemerkt, wie die Tür zum Garten ins Schloss gefallen ist.« Ja, ja, das stimmte. Lucia wies auf die Seitentür. »Und ... ich denke, da hat Schwester Camille noch gelebt.«
Die ältere Nonne berührte Camilles Handgelenk, hielt ihr Ohr dicht an Camilles Nase und lauschte nach einem Lebenszeichen. Lucia wusste, dass sie keins finden würde.
»Was hatten Sie eigentlich hier zu suchen, Schwester Lucy?«, fragte die Mutter Oberin plötzlich.
»Ich, ähm, ich habe etwas gehört«, log Lucia, wie schon so oft in der Vergangenheit. Niemand hier im Konvent kannte ihr Geheimnis, nicht einmal die Priester, bei denen sie die Beichte ablegte.
»Etwas gehört? Waren Sie nicht in Ihrem Zimmer?«
»Ich war unterwegs zur Toilette.«
Als würde ihr plötzlich klar, dass es momentan wichtigere Themen gab, befahl Schwester Charity, die immer noch neben Camille kniete: »Gehen Sie zu Vater Paul und sagen Sie ihm, er soll unverzüglich in die Kapelle kommen.«
»Müssen wir nicht die Polizei rufen?«
Die Mutter Oberin schloss die Augen, als ersuche sie um Geduld. »Tun Sie, was ich sage. Wenn Sie Vater Paul hergeschickt haben, begeben Sie sich in mein Büro und wählen den Notruf.«
»Aber sollten wir die Polizei nicht zuerst informieren - «
»Keine Widerrede! Das Beste, was wir für Schwester Camille tun können, ist, für ihre Seele zu beten. Und jetzt gehen Sie! Und wenn eine der anderen aufgewacht ist, schicken Sie sie zurück in ihr Zimmer!« Der Gesichtsausdruck der Mutter Oberin ließ keinerlei Widerspruch zu. Lucia drehte sich um und schritt eilig durch genau die Tür, durch die sie zuvor jemanden hatte verschwinden sehen. Die anderen Nonnen in ihre Zimmer zurückschicken? »Zellen« war wohl das passendere Wort. Oder Zwinger. Wie für Hunde. O Gott, sie wusste, dass sie nicht zur Nonne gemacht war. Nicht wenn sie unreine Gedanken hegte wie diese.
Mit klopfendem Herzen schloss Lucia die Tür hinter sich und sprintete los - , doch nicht in Richtung Bogengang, der zu den Wohnungen von Vater Paul und Vater Frank führte, sondern auf das Gebäude zu, aus dem sie gekommen war. Sie schlüpfte hinein und eilte die Treppe in den ersten Stock hinauf, direkt zum Büro der Mutter Oberin. Sollte sie sie ruhig bestrafen - Lucia wusste, dass Camille Vorrang hatte. Sie stieß die Tür mit dem Milchglasfenster auf und stürmte in Schwester Charitys Heiligtum.
Alles war ordentlich in Bücherregalen verstaut, die die Wände säumten: Bücher, Kerzen, Kruzifixe, eine gesunde Amaryllis mit einer üppigen weißen Blüte, ein einzelnes Bild des Papstes. Lucia umrundete den großen, abgenutzten Schreibtisch, vor dem sie unzählige Male auf einem der unbequemen Besucherstühle gesessen hatte, die Hände vor Aufregung verkrampft, während die Mutter Oberin ihr einen Vortrag über die Ausdehnung von lackiertem Walnussholz hielt. Sie griff nach dem Telefon, einem schwarzen Dinosaurier aus längst vergangenen Jahrzehnten, hob den schweren Hörer ab und wählte rasch, wobei sie ungeduldig darauf wartete, dass sich die Wählscheibe mit einem Klackern zurückdrehte.
»Hier 911. Möchten Sie einen Notfall melden?«, sagte eine Frauenstimme.
»Schwester Camille ist tot! Hier im Konvent St. Marguerite ist irgendetwas passiert - nein, in der Kapelle - , und sie ist tot! Ich ... ich glaube, sie ist ermordet worden. Bitte schicken Sie rasch jemanden her!« Lucias ohnehin zittrige Stimme überschlug sich bei jedem Wort.
»Wie lautet die Adresse?«
Lucia nannte die Straße, dann - als sie dazu aufgefordert wurde - ihren Namen und ihre Telefonnummer.
»Was genau ist denn vorgefallen?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ... vielleicht ist sie erwürgt worden. Jedenfalls ist sie tot! Die Mutter Oberin ist jetzt bei ihr.«
»Ein Mord.«
»Oh, ich weiß es nicht! Wir brauchen Hilfe. Bitte, bitte schicken Sie Hilfe!«
»Das tun wir. Es sind bereits Beamte unterwegs. Bleiben Sie in der Leitung.«
»Das geht nicht ... ich muss es Vater Paul sagen.«
»Bitte, Miss Costa, legen Sie nicht auf. Bleiben Sie in der Leitung - «
Doch Lucia ignorierte die Anweisung und ließ den Hörer fallen. Dann rannte sie in vollem Tempo durch die Hintertür des Büros, die sonst nur Schwester Charity benutzte.
Lucias Herz schlug wie eine Trommel, als sie durch die dunklen Flure mit ihren glänzenden Fußböden die Treppe hinunter- und durch die Doppeltür in den Garten hinausrannte. Als wäre ihr der Teufel persönlich auf den Fersen, stürmte sie an einem Springbrunnen vorbei durch den regennassen Kreuzgang, der zu den Wohnungen der Priester führte. Der Wind fegte über die großen Steinplatten, wirbelte nasse Blätter auf und riss am durchweichten Saum ihres Nachthemds.
Sie durfte niemandem verraten, wodurch sie mitten in der Nacht so abrupt geweckt worden war. Was sollte sie bloß sagen? Jeder, dem sie von der Stimme erzählte, die sie geleitet, von dem Ungeheuer, das sie von der Leine gelassen hatte, würde sie für unzurechnungsfähig halten. Sie war der Ansicht, die Stimme in ihrem Kopf ginge nur sie und Gott etwas an und sonst niemanden. Nicht einmal Vater Paul oder Vater Frank. Sie würden womöglich annehmen, sie sei von einem Dämon besessen, und vielleicht war sie das ja auch, aber sie wollte keine unnötige Aufmerksamkeit auf sich ziehen.
Hier geht es nicht um dich! Camille ist tot! Jemand hat sie umgebracht und tot in der Kapelle liegen lassen.
Und irgendwie hat die Stimme davon gewusst. Und dich geweckt.
Oh, das war alles so verwirrend.
Endlich stand sie vor Vater Pauls Tür und hämmerte verzweifelt dagegen.
»Vater!«, schrie sie, während sie zitternd im fahlen Schein der Eingangsbeleuchtung stand. »Bitte! Vater! Es hat einen ... Unfall gegeben!«
Über das Tropfen des Regens hinweg hörte sie Schritte hinter sich, das Scharren von Leder auf nassen Steinen. Aus dem Augenwinkel sah sie eine Bewegung in der Dunkelheit, eine düstere Gestalt, die durch ein Gartentor schlüpfte. Sie schnappte nach Luft und trat einen Schritt zurück, wobei sie fast über den Saum ihres Nachthemds gefallen wäre. Ein großer Mann erschien, das Gesicht weiß und ernst, die tief in den Höhlen liegenden Augen verschattet.
»Vater Frank«, flüsterte sie, als sie den jüngeren Priester erkannte. Sie schlug sich die Hand vor die Brust und stellte fest, dass ihr Nachthemd völlig durchnässt war und eng an ihrer Haut anlag. »Es hat einen Unfall gegeben oder ... oder ...«
Sie schluckte mühevoll und dachte an all die Geheimnisse, die sie mit Schwester Camille geteilt hatte. Geheimnisse, die diesen großen Mann betrafen, der hier vor ihr stand. »Es geht um Schwester Camille, sie ist in der Kapelle. Sie ... sie ...« In diesem Augenblick sah sie das Blut auf seiner Soutane, das in roten Rinnsalen auf die glatten, glänzenden Steinplatten rann.
»Sie ist tot«, sagte er mit seiner rauhen Stimme, die über das Gurgeln des Regenwassers in den Gullys kaum zu vernehmen war. Sein Blick wirkte gequält. »Und das ist meine Schuld. Gott vergebe mir, es ist alles meine Schuld.«
Copyright der deutschsprachige Ausgabe: © 2012 Knaur Verlag Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München.
- Autor: Lisa Jackson
- 2013, 2. Aufl., 560 Seiten, Maße: 12,5 x 19 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung:Lake-Zapp, Kristina
- Übersetzer: Kristina Lake-Zapp
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426510960
- ISBN-13: 9783426510964
- Erscheinungsdatum: 01.08.2013

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38 von 56 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Schwyter, 10.09.2013
Als Buch bewertetSo schnell habe ich ein Buch noch nie gelesen...bis zum Schluss spannend,spannend!
Die beiden Ermittler Montoya und Bentz brillieren in Ihrer Rolle und ich bin gespannt, ob Sie den Killer im nächsten Band endlich erwischen...
Werde ich mir auf jeden Fall wieder reinziehen !!! -
3 Sterne
21 von 34 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Tania M., 05.07.2015
Als eBook bewertetDies war mein erstes Buch von der Autorin Lisa Jackson. Es gehört zur New Orleans Reihe mit den Detectiven Bentz und Montoya und ist bereits der 7. Fall des Duos. Obwohl ich die Vorgänger-Bücher nicht kenne, konnte ich mich recht schnell in die Geschichte einlesen.
Störend fand ich an der Geschichte, dass es hat mehrere Handlungsstränge hat, welche die eigentliche Geschichte der toten Nonne nicht wirklich voran treiben, sondern einfach die weissen Seiten des Buches füllen. Es wird leider viel Zeit verschwendet z. B., um die komplizierte Beziehung der Schwester und Ihrem Mann zu erörtern.
Ausserdem wird der Showdown in den letzten Seiten schnell dahin geschrieben, was ein wenig wirkt, als hätte die Kreativität und die Lust der Schreiberin nachgelassen.
Zusatzinformation: Da die Geschichte ja noch weiter gehen würde, bin ich ein wenig enttäuscht, dass bis heute noch kein Nachfolgeroman von dieser Serie New Orleans veröffentlicht wurde - sehr schade. Dies hätte mich sehr gereizt zu wissen, wie es weitergeht.
Mein Fazit: Im Grossen und Ganzen hat mir der Thriller wirklich sehr gut gefallen, ein spannendes Buch; passend zum Sommer, eine sehr gute Strandlektüre. -
5 Sterne
20 von 37 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
inken j., 04.12.2016
Als Buch bewertetLisa Jackson ist einmalig .Spannung von Anfang bis Ende .Habe schon viele Bücher von Lisa Jackson gelesen Es sind Bücher die man auch ein zweites Mal wieder gerne liest
-
4 Sterne
6 von 10 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Bodo S., 11.09.2019
Als eBook bewertetSehr gutes Buch kann man richtig gut lesen und die Spannung bleibt erhalten bis zum Schluss
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