Dunkles Blut / Detective Sergeant Logan McRae Bd.6
Thriller
Jeder verdient eine zweite Chance. Auch Richard Knox. Sechs Jahre saß er wegen Vergewaltigung im Gefängnis. In dieser Zeit hat er zu Gott gefunden, seine Fehler bereut und sich für den Pfad der Tugend entschieden. Leider ist die Polizei davon so wenig...
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Produktinformationen zu „Dunkles Blut / Detective Sergeant Logan McRae Bd.6 “
Klappentext zu „Dunkles Blut / Detective Sergeant Logan McRae Bd.6 “
Jeder verdient eine zweite Chance. Auch Richard Knox. Sechs Jahre saß er wegen Vergewaltigung im Gefängnis. In dieser Zeit hat er zu Gott gefunden, seine Fehler bereut und sich für den Pfad der Tugend entschieden. Leider ist die Polizei davon so wenig überzeugt wie die Einwohner von Aberdeen. DS Logan McRae gehört zu einem Team von Beamten, die Knox vor dem Zorn seiner Nachbarschaft beschützen und gleichzeitig ein Auge auf ihn haben sollen. Und doch ahnt an jenem kalten Januartag, an dem Knox in Aberdeen eintrifft, noch niemand, welch blutiger Alptraum sich anbahnt ...
Lese-Probe zu „Dunkles Blut / Detective Sergeant Logan McRae Bd.6 “
Dunkles Blut von Stuart MacBrideAus dem Englischen von Andreas Jäger
1
Laufen. nicht stehenbleiben. Weiter, weiter ...
Der dicke, fette Mond macht alles schwarz und weiß. Raureif und Schatten. Leben und Tod.
Steve strauchelt. Die aufgewühlte Erde ist hart gefroren - es geht auf und ab, wie auf einer Achterbahn. Ein fuß bleibt an der Kante eines steinharten Zackens hängen, und er fällt der Länge nach auf den vereisten Boden. unterdrückt einen Schrei, als der messerscharfe Schmerz durch seinen Arm schießt.
Irgendwo in der Dunkelheit bellt ein Hund. Ein großer Hund. Ein unheimlich großer Hund, so ein richtiges ungeheuer - ein Rottweiler oder Dobermann oder so was in der Art. Groß und schwarz, mit zig Zähnen. und er ist hinter ihm her.
»Scheiße ...« Das Wort steigt in den Nachthimmel auf, begleitet von einer weißen Atemwolke.
Großer Hund.
Er rappelt sich auf; steht da und versucht, das Gleichgewicht zu halten. Ihm ist schlecht. Viel zu viel Whisky. Macht alles irgendwie verschwommen und warm, obwohl es hier draußen so kalt ist, dass ihm die Finger wehtun. und alles riecht irgendwie verbrannt.
Steve stolpert weiter, den Arm an die Brust gedrückt, hält sich im Schatten am Rand der Baustelle, wo die Bäume Deckung vor dem scheinwerferhellen Mond gewähren.
Wenn er Glück hat, wird niemand die Blutspur sehen, die er hinter sich herzieht ...
Der Hund bellt wieder. Er kommt näher.
Aber einer wie Steve hat ja normalerweise immer ein Scheißpech.
Er beschleunigt seine Schritte. Taumelt, strauchelt, kämpft sich weiter.
Sein linker Fuß bricht durch die Eisschicht auf einer Pfütze, und er bleibt stehen. hält den Atem an.
... mehr
Er dreht sich um, blickt zum Baucontainer zurück. Taschenlampen streichen über den matschigen Boden, gedämpfte Stimmen kommen auf ihn zu. und dieser Scheißköter jault und winselt und weist ihnen den Weg.
Lauf weiter.
nicht stehenbleiben.
Einen Fuß vor den anderen.
Immer an dem zweieinhalb Meter hohen Zaun entlang; Maschendraht mit Stacheldraht obendrauf, um die ganze Baustelle herum.
Als er das nächste Mal stolpert, fällt er kopfüber in einen Graben und schlittert die Böschung hinunter. Äste knacken, Schmerz schießt durch seinen Arm, etwas krallt mit dornigen Klauen an seiner Wange. Eis splittert, und dann das Wasser, so kalt, dass es sich anfühlt, als bekäme er noch einmal eine Faust ins Gesicht.
Er taucht spuckend und prustend aus dem kleinen Bach auf. Das Wasser ist nicht tief, aber schweinekalt. Er rudert mit den Armen, kämpft sich durch das Dornengestrüpp ans Land. Schlottert so brutal, als hätte er einen Presslufthammer im Arsch. Seine Zähne klappern so heftig, dass der Zahnschmelz schier Risse kriegt.
Der Hund bellt wieder. Eindeutig näher als vorhin. Wahrscheinlich haben sie das verdammte Vieh von der Leine gelassen. Los, du dreckige Bestie, such Steve und beiß diesem miesen Dieb und Verräter die Kehle durch.
Steve sinkt auf die Uferböschung nieder, versucht nicht zu heulen, als das eiskalte Wasser seine Hose tränkt, die Jacke, die Socken, jedes verdammte Teil. Diese blöden Schotten - sogar das Wasser ist nasser bei denen.
Ausruhen. nur eine Minute. In der Dunkelheit ausruhen, im Schutz des Grabens, wo niemand ihn sehen kann. Eigentlich gar nicht so übel. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Kälte.
nur ein paar Sekunden die Augen zumachen. Ein bisschen verschnaufen.
Ein Weilchen ausruhen ...
und als er das nächste Mal die Augen aufschlägt, starrt ihm etwas direkt ins Gesicht. Ein massiges, muskelbepacktes Etwas in der Dunkelheit, dampfender Atem, der zwischen scharfen Zähnen hervorquillt. Schwarzes Fell, das im Mondschein glänzt.
Braves Hundchen.
Er bellt - mit jedem furchterregenden Blaffen zuckt sein ganzer Körper vor und zurück, und Geifer spritzt durch die Gegend.
Oh, verdammte Scheiße.
Das Messer. Er hat ein Teppichmesser in der Tasche, aber seine erfrorenen Wurstfinger gehorchen ihm nicht. Sie nesteln ungeschickt an seiner zerrissenen Jacke herum. Flüche. Tränen. Kälte. HOL DAS BESCHISSENE MESSER RAUS!
und dann hört er die Stimme. »Scheiße, Mann - Mauser, wehe, das is' wieder mal nur 'n verdammtes Karnickel.« Knirschende Schritte auf gefrorenem Gras.
Steve zieht das Teppichmesser aus der Tasche, hält es in seiner zitternden Hand, versucht den Metallschieber herunterzudrücken. Komm schon, komm schon, komm schon.
und dann tritt ein Mann zu dem Monster. Der Mond steht in seinem Rücken, verdunkelt sein Gesicht, macht ihn zu einem Geschöpf der Finsternis, das in der plötzlichen Stille Schwefeldämpfe ausstößt.
»He, Steve«, sagt er. »Wo willst'n hin, Mann? Wir fangen doch grade erst an ...«
2
»Inspector?« Ein schlotternder Constable packte das blau-weiße Polizeiband und hob es an, um ihn durchzulassen. »Sie sind da drüben, Sir.«
Logan McRae schloss seinen schlammbespritzten Audi mit der Fernbedienung ab, schlüpfte unter dem Absperrband hindurch und stapfte über den rutschigen hellen Sand auf das kleine Grüppchen zu, das sich vor dem Zelt der Spurensicherung versammelt hatte. Es stand zwischen zwei gewaltigen Sanddünen, gebeutelt vom eisigen Wind, der von der Nordsee her wehte und an den weißen Plastikplanen zerrte. Der Himmel war wolkenlos, doch die tief stehende Sonne hatte sich noch nicht über den mit zerrupftem Pampasgras bewachsenen Dünenkamm erhoben, und der ganze Tatort war in tiefblaue Schatten gehüllt.
Der Strand von Balmedie reichte auch zu den besten Zeiten nicht ganz an die Costa del Sol heran, aber um halb elf an einem kalten Januarmorgen hätte sich hier sogar ein Eisbär den Arsch abgefroren. Aberdeen - zwei Grad nördlich von Moskau.
hätte die Stadt einen Zoo gehabt, man hätte den Pinguinen im Winter Pudelmützen aufsetzen müssen.
»Inspector! Inspector McRae!« Ein Mitarbeiter der Spurensicherung in der obligatorischen Kluft aus weißem Overall und blauen Plastiküberschuhen winkte ihn herbei. »Genau wie all die anderen, Sir. Sie hatten recht.«
Na toll - und das, wo er ausnahmsweise mal froh gewesen wäre, wenn er sich geirrt hätte.
Logan trug sich in die Liste der Tatortaufsicht ein und nahm dann den Kampf mit seinem Spusi-Overall auf. Das Ding leistete bis zum Schluss Widerstand, unterstützt vom Wind, der an Beinen und Ärmeln zerrte, um ihm bei der flucht zu helfen. »Rechtsmedizin?«
»Schon drin, Sir. Fotos und Proben sind gemacht, also sagen Sie uns einfach Bescheid, wenn Sie wollen, dass wir sie ...« Er deutete auf das Zelt, von dem Logan bereits wusste, was ihn darin erwartete. »Dass wir das abtransportieren.«
Die ganze Konstruktion knarrte und wackelte, und der Wind blies heulend durch die Fugen, als Logan eintrat. Sie hatten ein paar Bogenlampen aufgebaut, deren grellweißer Schein vom Sand zurückgeworfen wurde und Logans Atem zu einer schillernden Wolke werden ließ, als er sich zu der Rechtsmedizinerin kniete.
Sie sah zu ihm auf, und ihre Augen funkelten über der Maske, die Nase und Mund bedeckte. Dann senkte sie den Blick wieder auf den Kopf, der auf der Seite im hellen Sand lag.
Der Kopf gehörte einer frau - Anfang zwanzig, die Augen glasig und eingesunken; rötliches Haar, das im Licht der Bogenlampen fast blond wirkte. Sommersprossen stachen dunkel von der porzellanfarbenen haut ab; der Mund war offen. hinter ihren Zähnen hatte sich ein wenig Sand angesammelt, und in der dunklen höhle dahinter glitzerte etwas golden. Genau wie bei den anderen sechs.
»Woher hast du es gewusst?« Die Rechtsmedizinerin grub den abgetrennten Kopf aus dem Sand aus. »Sie war genau da, wo du es vorhergesagt hattest.«
Logan sah zu, wie sie Lucys Kopf in einen Beweismittelbeutel aus transparentem Plastik betteten, den sie versiegelten und beschrifteten. Ein weiteres Exemplar für die Sammlung im Leichenschauhaus.
»Todeszeitpunkt?«
Dr. Isobel McAllister streifte sich die blauen Nitrilhandschuhe von den Händen, nahm die Maske ab und schob sich die Kapuze ihres Tatort-Overalls in den Nacken. Das lange dunkle haar wallte ihr über die Schultern. »Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann.«
Logan machte den Mund auf, um etwas zu sagen, und schloss ihn gleich wieder, als Isobel ihm eine Hand auf die Brust legte. In dem kalten Zelt fühlte sie sich glühend heiß an.
Sie sah ihm tief in die Augen. »Du hast mir gefehlt -«
»Isobel, ich -«
»O nein, kommt gar nicht in Frage!« Eine Kriminaltechnikerin kam herbeigestapft - es war Samantha, deren haare im gleißenden Lampenschein grellrot leuchteten. Sie zog den Reißverschluss ihres Overalls herunter und ließ ihr blasses, von Tattoos umgebenes Dekolletee sehen. »Er gehört mir. nicht wahr, Logan?«
Isobel biss sich auf die Unterlippe. Sie sah weg. »Oh. Tut mir leid, das habe ich nicht gewusst.«
»Aber vielleicht ...« Samantha trat näher und strich mit den Fingerspitzen über Isobels Wange. »Vielleicht teil ich ihn ja mit dir.«
Ein jäher Schmerz zuckte durch Logans Rippen. »Au, was war denn -«
»Vielleicht können wir alle zusammen ... was ganz Besonderes machen.«
»Das würde mir gefallen.« Isobel fuhr sich mit der Zungenspitze über die blutroten Lippen und legte die Hand um Samanthas rechte Brust. »Das würde mir sehr - hör gefälligst auf zu schnarchen!«
»Mmmmpff ...?« Detective Sergeant Logan McRae richtete sich mühsam in seinem Sitz auf. »Ich bin wach, ich bin wach.« Kalt. Dunkel. Ein rasselnder husten schüttelte seinen ganzen Körper durch und endete in einem Schauder. »Mein Gott.« Er zog die Nase hoch, rieb sich das Gesicht und spürte die Stoppeln unter seinen Händen. »Wie spät ist es?«
DI Steel war in der Dunkelheit kaum auszumachen, doch er konnte hören, wie sie auf dem Beifahrersitz seines schrottigen braunen Fiat herumrutschte. »Du hast geschnarcht.«
Steel drückte auf den Knopf des Zigarettenanzünders, wartete, bis er heraussprang, zog ihn aus der Öffnung im Armaturenbrett und steckte sich eine Silk Cut an. Im orangefarbenen Schein verwandelte sich ihr Gesicht in eine Landkarte aus falten und Schatten. Ihre Katastrophenfrisur war unter einer Pelzmütze versteckt.
»Arschkalt hier ...« Logan blinzelte zu der beschlagenen Frontscheibe auf, wischte mit dem Ärmel ein Guckloch frei und spähte in die mondbeschienene Landschaft hinaus. Sie hatten an einem kleinen Feldweg geparkt, der von der A90 zwischen Aberdeen und Ellon abzweigte. Von dort hatten sie das weitläufige neubaugebiet gut im Blick. Logan gähnte. »Muss mal pinkeln.«
»hättest du mal nicht so viel Kaffee gesoffen, hm?«
»Wusst ich's doch, dass er nicht aufkreuzen würde.«
»Ich meine, wie kann man so blöd sein, zu einer Observierung koffeinfreien Kaffee mitzunehmen?«
»Also, wo steckt er denn nun?«
»Wenn ich das wüsste, würde ich jetzt nicht in dieser Schrottkarre hocken und mir dein elendes Geschnarche anhören, oder?«
»Okay, dann eben nicht.« Logan nahm sich eine von Steels Zigaretten und zündete sie mit einem Sturmfeuerzeug an, während er in die eisige Nacht hinauskletterte.
»Mach die verdammte Tür zu!«
RUMMS.
Er blieb einen Moment fröstelnd stehen, sog sich den Rauch tief in die Lunge und ging dann den Weg entlang auf ein kleines Waldstück zu. Es knirschte und knackte unter seinen Sohlen, Gras mit einer dicken Reifschicht darüber, alle Farben im Licht des nahezu vollen Mondes ausgebleicht. Es war beinahe taghell.
Logan bog vom Weg ab und schlug sich in die Büsche.
Mann, war das kalt. Diese blöde Steel und ihr verdammter V-Mann. Was hatte so eine verdeckte Operation für einen Sinn, wenn der V-Mann so verdeckt operierte, dass er gar nicht mehr aufzufinden war?
Ritsch. Ein Griff, ein Stöhnen, und ... aaaaahhhh. O ja, das war schon viel besser.
Er stand da, umwabert von einer bittersüßen Dampfwolke, die Zigarette im Mundwinkel. Zwölf Tage am Stück ohne einen einzigen freien Tag. Kein Wunder, dass er fix und fertig war.
Von hier aus konnte man das gesamte Neubaugebiet überblicken - eine weite Fläche aus gefrorenem Matsch, umschlossen von Maschendrahtzaun; von Bulldozern aufgeschichtete Erdhaufen, zwischen denen sich die helleren Betonfundamente abhoben. Zwanzig bis dreißig Häuser schienen fast fertig zu sein, ein weiteres halbes Dutzend waren eingerüstete Rohbauten. Insgesamt sollten es vierhundert von den verdammten Dingern werden, allesamt Marke McLennan Homes. Scheußliche kastenförmige Kaninchenställe für Leute mit mehr Geld als Verstand.
Wie der Mistkerl zu der Baugenehmigung gekommen war, mochte der himmel wissen.
Das Baubüro war in einem kleinen Container untergebracht. Während Logan hinsah, ging die Tür auf, und blassgelbes Licht fiel aus dem Inneren auf die aufgewühlte Erde. Ein Hund bellte. Ein Radio dudelte. Dann fiel die Tür wieder zu, und das Licht ging aus, ersetzt durch den schwachen Schein einer Taschenlampe, der langsam am Zaun entlangwanderte. Man musste schon ganz schön verzweifelt sein, um im Winter einen Job als Nachtwächter auf einer Baustelle anzunehmen. und dabei zu wissen, dass Malcolm McLennan einem die Eier abreißen würde, falls irgendetwas verschwinden sollte.
Und das war keine Metapher.
Logan machte den Reißverschluss zu und eilte zum warmen Wagen zurück. Als er die Tür hinter sich zuzog, murmelte er: »Echt sibirische Verhältnisse da draußen ...« Er schaltete die Zündung ein, drehte die Heizung voll auf und hielt die Hände über die Lüftungsschlitze.
DI Steel saß da und stierte mit finsterer Miene auf die allmählich frei werdende Windschutzscheibe. »Scheiß drauf, jetzt ist der Kerl schon zwei Stunden überfällig. Mir reicht's - hab schließlich 'ne schwangere frau, die daheim auf mich wartet.«
Logan würgte unter lautem Knirschen den Rückwärtsgang rein, drehte sich um und spähte durch die Heckscheibe, um mit Hilfe des Mondscheins den Weg zu finden. Der schrottige Fiat rumpelte rückwärts den Weg hinauf. »Ich hab's doch gleich gesagt, dass er nicht aufkreuzen wird.«
»Bla, bla, bla.«
»Ich sag's ja nur - niemand ist so blöd, Malk the Knife zu verpfeifen. « Logan setzte auf die Zufahrtsstraße zurück, schaltete das Licht ein und trat das Gaspedal durch. Er hatte gehofft, dass die Räder ein bisschen durchdrehen würden, aber stattdessen war nur ein dumpfes Ächzen zu hören, als die Rostlaube mühsam auf achtzig Sachen beschleunigte.
»Fahr auf dem Rückweg kurz beim Asda raus, wir haben kein Eis mehr im Haus.«
»Bei diesem Wetter?«
»Schwangerschaftsgelüste. Susan will Chocolate-Chips-Eiskrem und Käse-Nachos. Alles in einer Schüssel. und bevor du irgendwas sagst - ich weiß. Ich muss mir schließlich anschauen, wie sie das isst.« Steel rutschte auf ihrem Sitz vor. »Fährt diese Kiste nicht schneller?«
»Nein.«
Sie saßen schweigend da, während die mondbeschienene Landschaft vorbeizog. Raureif auf den Wiesen, umgepflügte Äcker, depressiv dreinschauende Schafe, dicke runde heuballen, in schwarze Plastikfolie gewickelt.
Am Kreisverkehr kurz vor Bridge of Don bremste Logan ab. »Wie wär's mit 'nem Bierchen - nur zur Feier des Tages, weil ich endlich mal wieder dienstfrei habe? Das Dodgy Pete's hat sicher noch offen.«
»Schwangere frau - schon vergessen?« Steel holte wieder ihre Zigaretten hervor. »und ich will, dass du am Donnerstagmorgen um sieben in alter frische im Büro aufkreuzt. Mr. Knox soll doch nicht denken, dass wir uns nicht freuen, ihn zu sehen, oder? Wer weiß, was der kleine Widerling sonst noch anstellt.«
3
Die Jetstream 41 der Eastern Airways war winzig im Vergleich mit der 737 von British Midlands auf dem Standplatz nebenan. Logan stand unter dem schützenden Plastikdach einer Fußgängerpassage vor dem Terminal und sah zu, wie das kleine blauweiße Flugzeug vom Rollfeld heranfuhr. Die beiden Propeller rotierten dröhnend im Nieselregen, und die Positionslampen funkelten im Dämmerlicht.
Der Himmel, von dem die Maschine herabgekommen war, hatte die Farbe nassen Lehms, eine dichte, dunkelgraue Decke, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. nur ein paar hauchdünne hellere Streifen am äußersten Rand kündigten die Morgendämmerung an.
»Pünktlich wie die Maurer.« DI Steel zog die Hände unter den Achseln hervor, gerade lange genug, um eine Schachtel Zigaretten hervorzukramen, sich eine in den Mund zu stecken und sie anzuzünden. »Obwohl, ich schätz mal, bis wir hier endlich wegkommen -«
»he! Sie da!« Ein kleiner Mann in einer fluoreszierenden Warnweste kam auf sie zugerannt. »Sie dürfen hier nicht rauchen. Der gesamte Flughafen ist eine Nichtraucherzone!«
Steel nahm die Kippe aus dem Mund und forderte ihn auf, sich zu verpissen. »Polizei.«
»und wenn Sie der Papst persönlich sind - hier wird nicht geraucht!«
»O Mann, ich glaub's nicht.« Sie nahm einen letzten trotzigen Zug und ließ die Zigarette auf den Betonboden fallen, um sie mit einem abgestoßenen Schuh auszutreten. »So, sind Sie jetzt glücklich?«
»Dass mir das ja nicht noch einmal vorkommt.« Er reckte die Nase in die Luft, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon.
Steel zeigte seiner Rückfront den Stinkefinger und murmelte: »Blöder Westentaschen-Nazi.«
Die Triebwerke der Jetstream heulten noch ein letztes Mal auf, und die Maschine kam ruckelnd zum Stehen. Während die Propeller ausliefen, konnte man das Quietschen der Scheibenwischer hören, die träge auf den Cockpitfenstern hin und her schwenkten. Drei Männer mit verdreckten Overalls und Ohrenschützern begannen Gepäckstücke aus dem Frachtraum zu wuchten und auf einen Buggy zu stapeln.
Es tat einen dumpfen Schlag, die vordere Tür sprang auf, klappte nach unten und verwandelte sich dabei in eine Gangway. Eine Flugbegleiterin steckte den Kopf in die kalte Morgenluft hinaus, worauf sofort ein Windstoß ihre langen braunen Haare erfasste und ihr eine Headbanger-Sturmfrisur verpasste. Ihre Miene verfinsterte sich, und sie verschwand rasch wieder in der Kabine. Willkommen in Aberdeen.
Logan lehnte sich mit dem Rücken gegen die kalte Plastikwand des Durchgangs und unterdrückte ein Gähnen.
Steel sah ihn an und rümpfte die Nase. »Wie viel hast du denn gestern Abend gesoffen?«
Achselzucken. »Ein paar Gläser Wein.«
»Aye, und den ganzen Rest. Du riechst wie 'ne Pennerunterhose. «
»Ich hatte frei.« Zwei herrliche Tage lang schlafen, schlafen, schlafen und nicht mehr an die kriminelle Bagage von Aberdeen denken.
»hast wohl die ganze Zeit durchgesoffen, wie?« Sie kramte in ihrer Tasche und holte eine Packung extra starker Pfefferminzbonbons hervor. »Los, essen.«
Logan tat, wie ihm geheißen, und kaute knirschend vor sich hin, während die Bodencrew die letzten Gepäckstücke aus der Maschine holte.
Ein uniformierter Constable tauchte an Logans Seite auf, beladen mit drei großen Wachspapierbechern. Der bittere Geruch von geröstetem Kaffee mischte sich mit dem Gestank nach Abgasen und heißem Metall und verdrängte ihn nach und nach. PC Guthrie blies die Backen auf und starrte in den Regen hinaus. Seine rotblonden Augenbrauen verschwanden fast unter dem Schirm seiner Mütze. »Vielleicht wirft er ja einen Blick auf das Wetter hier und düst gleich wieder ab nach Newcastle?«
Guthrie grinste, was ihm das Aussehen einer vergnügten Kartoffel verlieh.
Steel bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Sie haben sich ja verdammt viel Zeit gelassen.«
»Ein dringendes Bedürfnis.« Der Constable verteilte die Kaffeebecher und kramte dann in der Tasche seiner schwarzen Fleecejacke. »hab Ihnen auch 'nen Muffin besorgt ...«
»Dann nehme ich alles zurück - auch das über Ihre Oma, die es mit Eseln treibt.«
und dann tranken sie alle drei ihren Kaffee und aßen ihre Muffins.
Eine lange Schlange von Passagieren stapfte die Gangway hinunter und weiter auf dem markierten Weg in Richtung Terminal. Sie zogen die Köpfe ein und drückten ihre Laptops schützend an die Brust, während ihre Krawatten und Anzugjacken im Wind flatterten.
Steel sah auf ihre Uhr. »In drei Tagen werde ich aus meiner Maschine steigen. nur dass ich auf den Kanaren sein werde, anstatt mir im sonnigen Aberdeen die Nippel abzufrieren.«
Der letzte Passagier nahm einen kleinen roten Koffer vom Wagen und schleppte ihn durch die Pfützen hinter sich her.
Steel stampfte mit den Füßen auf, die Hände um ihren dampfenden Pappbecher geschlungen. »Bist du sicher, dass er in dem Flieger war?«
»Ganz sicher.«
»Und wo zum Henker steckt er dann? Ist ja nicht so, als ob ...« Sie brach ab. Ein großer pinkfarbener Kopf war in der offenen Tür der Jetstream erschienen, die spärlichen Reste des Haupthaars in etwa auf die Länge des Dreitagebarts gestutzt, der beide Kinne bedeckte. Ein breites Grinsen ließ zwei Reihen makellos weißer Zähne sehen.
»Detective Inspector Steel, wenn ich mich nicht irre?« Der Newcastle-Akzent war nicht zu überhören, als das dröhnende Organ durch die diesige Morgenluft schallte und den Triebwerken der verspäteten BD0671, die gerade in einiger Entfernung in den trüben Himmel aufstieg, ernsthaft Konkurrenz machte.
Steel zog das Foto aus der Tasche, das die Northumbria Police gemailt hatte, betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen, stutzte und beugte sich dann vor, um Logan zuzuflüstern: »Wenn das Knox ist, dann ist er aber ganz schön auseinandergegangen. « Sie hob eine Hand und winkte.
Der füllige Mann humpelte die Stufen hinunter. unten blieb er stehen und starrte hinauf zur Kabine. »na los, kommen Sie schon - das war schließlich Ihre Idee.«
Ein schmales Gesicht lugte heraus: Richard Knox. Spitze Nase, spitzes Kinn, schiefe Zähne und ein Überbiss fügten sich zu einem Gesamtbild, das an eine teilrasierte Ratte erinnerte. Dazu ein Haaransatz, der offenbar auf der Flucht vor diesem Gesicht war. »Kalt hier.«
Der Dicke schloss einen Moment die Augen und bewegte tonlos die Lippen. und dann sagte er: »Das haben wir doch alles schon diskutiert, Richard, nich' wahr?«
»War nur 'ne Feststellung.« Knox' Stimme klang fast eine Oktave höher, doch sein Geordie-Akzent war genauso ausgeprägt. Er hielt sich am Geländer fest und stakste vorsichtig die Stufen hinunter, bis er auf dem nassen Asphalt stand. »Ist doch hoffentlich nicht das ganze Jahr so, oder?«
DI Steel grinste ihn an. »nein, die meiste Zeit ist es noch viel schlimmer. Warum suchen Sie sich nicht was, wo es wärmer ist? Die Hölle zum Beispiel. Da soll es um diese Jahreszeit sehr angenehm sein.«
Knox erwiderte ihren Blick mit ausdrucksloser Miene. »Komisch. Sie sind eine komische frau.«
»und Sie sind ein mieses kleines Vergewaltiger-Arschloch.«
»hab meine Zeit abgesessen. Meine Schuld gegenüber der Gesellschaft abgetragen, wenn Sie so wollen. Gott hat mir vergeben. «
»So eine gequirlte Scheiße! Leute wie Sie -«
»Okay.« Der Dicke trat hinkend zwischen sie. »Ich glaube, für heute Morgen haben wir genug Freundlichkeiten ausgetauscht. « Er hielt Steel die Hand hin. »Detective Superintendent Danby.«
Sie beäugte seine Hand einen Moment lang und ergriff sie dann. Ihre Finger verschwanden komplett in der Pranke des DSI. »Detective Inspector Steel.«
»hervorragend.« Danby nickte, dass sein Doppelkinn nur so wabbelte. »Also, könnten wir jetzt langsam mal reingehen, ehe wir hier alle erfrieren?«
Auf dem Weg in die Stadt war Knox sehr schweigsam. Er saß auf dem Rücksitz des Streifenwagens, eingeklemmt zwischen Logan und PC Guthrie, und klammerte sich an eine Asda-Einkaufstüte, während Steel fuhr.
DSI Danby war wesentlich gesprächiger. »Da machen wir uns also auf die Suche, praktisch die halbe Polizeitruppe von Newcastle, aber unseren verschwundenen Opa können wir ums Verrecken nicht finden. Wir haben schon in den Geschäften nachgeschaut, in der Post, in sämtlichen Schuppen und Garagen im Umkreis von drei Meilen um sein Haus. und dann wird es dunkel, und wir müssen die Suche vorläufig abbrechen. Aufrufe in den Zeitungen und im Radio; sogar in den lokalen fernsehnachrichten haben wir zwei Minuten Sendezeit gekriegt. Ergebnis: null.«
Knox wand sich unbehaglich auf seinem Platz neben Logan. Aus der Nähe roch er nach Lavendel und Pfefferminz - wie die Handtasche einer alten Dame. »Muss ich mir das wirklich noch mal anhören?«
»Drei Tage später taucht der alte Knabe in der Stadtbibliothek auf, noch im Schlafanzug, und faselt etwas davon, dass er von Außerirdischen entführt worden sei. natürlich wissen alle, dass er Alzheimer hat, nich' wahr? Also tätscheln sie ihm den Kopf und lassen ihn nach Hause bringen. Aber er gibt keine Ruhe und erzählt, wie die Außerirdischen ihn in ihr unterirdisches Labor verschleppt hätten und mit ihm Experimente durchgeführt hätten. Analsonden und so was.«
Danby zog die Nase hoch, eine Hand am Haltegriff über der Beifahrertür, und starrte aus dem Fenster. »Am Ende ruft seine Schwester also den Arzt an, und der untersucht den alten Herrn, nich' wahr? und wissen Sie was?«
Knox räusperte sich. »Sie machen das mit Absicht, oder? um mir das Leben schwerzumachen.«
»Ich mache bloß Konversation.«
»Lassen Sie das. Es ist nicht witzig.«
»Wie Sie wollen.« Der DSI starrte wieder aus dem Fenster in die eintönige graue Landschaft hinaus. An einem guten Tag funkelte Aberdeen wie ein Edelstein ... aber heute war kein guter Tag. Die Granitbauten duckten sich unter den schweren Wolken, ihre grauen Fassaden dunkel vom Dauerregen.
Der nasse Asphalt glitzerte im Scheinwerferlicht, und in dem Schleier aus Sprühregen glommen rote Rücklichter wie entzündete Augen.
DI Steel durchbrach die Stille, indem sie das Radio einschaltete. Annie Lennox - ein waschechtes Aberdeener Mädel, das es zu was gebracht hatte - sang darüber, wie sie auf Glasscherben ging. Dann war der Song zu Ende, und es folgte ein wenig banales Geplapper von einem DJ, der sich offenbar für weit witziger hielt, als er tatsächlich war. Dann noch eine Platte, und dann die Nachrichten.
»Nichts geht mehr in London - Schneestürme haben inzwischen ganz England fest im Griff. Die A96 zwischen Inverurie und Huntly ist nach einem Auffahrunfall mit fünf Fahrzeugen gesperrt. McLennan Homes verspricht zahlreiche neue Jobs in der krisengeplagten Bauindustrie des Nordostens. Und heute wird gegen die geplante Erweiterung von Donald Trumps Golfanlage Klage eingereicht. Hi, mein Name ist Karen MacDonald. Heute hat die Balmedie Dunes Preservation Society bestätigt, dass sie Klage -«
PC Guthrie schnaubte. »Komisch, wie kommt es nur, dass in England immer gleich alles zusammenbricht, wenn mal ein halber Millimeter Schnee liegt? Was für ein Haufen von jämmerlichen Weich- « Er brach ab. DSI Danby hatte sich auf dem Beifahrersitz umgedreht und starrte in den Fond des Streifenwagens.
»Äh ...« Die Wangen des Constables liefen rot an. »Ich meine ... es ...« Er sah Logan an. »Wir ...«
Logan schüttelte den Kopf. »Keine Chance - du bist auf dich gestellt, Freundchen.«
Idiot.
»nun kommen Sie schon, Constable.« Danbys Stimme füllte den engen Fahrgastraum aus. »Sie haben etwas zu sagen, also lassen Sie es uns hören.«
»Ich wollte nur ... es ... äh ...« Hüstel. »Wegen dem Schnee, also der kam ja wohl, na ja, ziemlich unerwartet, und die Straßen werden nicht gestreut ...« Er wand sich auf seinem Sitz. »Ich hab ja nichts gegen die Engländer. Viele von meinen Freunden sind Engländer ...«
Danby sah ihn an. »Wie lange sind Sie schon bei der Truppe?«
Guthrie leckte sich die Lippen. »Äh ... sieben Jahre?«
»Ich gebe Ihnen einen Tipp, Constable. Wenn Sie je zum Sergeant befördert werden wollen, müssen Sie lernen, besser zu lügen. Im Moment machen Sie das nämlich mehr als stümperhaft. nich' wahr?«
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Er dreht sich um, blickt zum Baucontainer zurück. Taschenlampen streichen über den matschigen Boden, gedämpfte Stimmen kommen auf ihn zu. und dieser Scheißköter jault und winselt und weist ihnen den Weg.
Lauf weiter.
nicht stehenbleiben.
Einen Fuß vor den anderen.
Immer an dem zweieinhalb Meter hohen Zaun entlang; Maschendraht mit Stacheldraht obendrauf, um die ganze Baustelle herum.
Als er das nächste Mal stolpert, fällt er kopfüber in einen Graben und schlittert die Böschung hinunter. Äste knacken, Schmerz schießt durch seinen Arm, etwas krallt mit dornigen Klauen an seiner Wange. Eis splittert, und dann das Wasser, so kalt, dass es sich anfühlt, als bekäme er noch einmal eine Faust ins Gesicht.
Er taucht spuckend und prustend aus dem kleinen Bach auf. Das Wasser ist nicht tief, aber schweinekalt. Er rudert mit den Armen, kämpft sich durch das Dornengestrüpp ans Land. Schlottert so brutal, als hätte er einen Presslufthammer im Arsch. Seine Zähne klappern so heftig, dass der Zahnschmelz schier Risse kriegt.
Der Hund bellt wieder. Eindeutig näher als vorhin. Wahrscheinlich haben sie das verdammte Vieh von der Leine gelassen. Los, du dreckige Bestie, such Steve und beiß diesem miesen Dieb und Verräter die Kehle durch.
Steve sinkt auf die Uferböschung nieder, versucht nicht zu heulen, als das eiskalte Wasser seine Hose tränkt, die Jacke, die Socken, jedes verdammte Teil. Diese blöden Schotten - sogar das Wasser ist nasser bei denen.
Ausruhen. nur eine Minute. In der Dunkelheit ausruhen, im Schutz des Grabens, wo niemand ihn sehen kann. Eigentlich gar nicht so übel. Mit der Zeit gewöhnt man sich an die Kälte.
nur ein paar Sekunden die Augen zumachen. Ein bisschen verschnaufen.
Ein Weilchen ausruhen ...
und als er das nächste Mal die Augen aufschlägt, starrt ihm etwas direkt ins Gesicht. Ein massiges, muskelbepacktes Etwas in der Dunkelheit, dampfender Atem, der zwischen scharfen Zähnen hervorquillt. Schwarzes Fell, das im Mondschein glänzt.
Braves Hundchen.
Er bellt - mit jedem furchterregenden Blaffen zuckt sein ganzer Körper vor und zurück, und Geifer spritzt durch die Gegend.
Oh, verdammte Scheiße.
Das Messer. Er hat ein Teppichmesser in der Tasche, aber seine erfrorenen Wurstfinger gehorchen ihm nicht. Sie nesteln ungeschickt an seiner zerrissenen Jacke herum. Flüche. Tränen. Kälte. HOL DAS BESCHISSENE MESSER RAUS!
und dann hört er die Stimme. »Scheiße, Mann - Mauser, wehe, das is' wieder mal nur 'n verdammtes Karnickel.« Knirschende Schritte auf gefrorenem Gras.
Steve zieht das Teppichmesser aus der Tasche, hält es in seiner zitternden Hand, versucht den Metallschieber herunterzudrücken. Komm schon, komm schon, komm schon.
und dann tritt ein Mann zu dem Monster. Der Mond steht in seinem Rücken, verdunkelt sein Gesicht, macht ihn zu einem Geschöpf der Finsternis, das in der plötzlichen Stille Schwefeldämpfe ausstößt.
»He, Steve«, sagt er. »Wo willst'n hin, Mann? Wir fangen doch grade erst an ...«
2
»Inspector?« Ein schlotternder Constable packte das blau-weiße Polizeiband und hob es an, um ihn durchzulassen. »Sie sind da drüben, Sir.«
Logan McRae schloss seinen schlammbespritzten Audi mit der Fernbedienung ab, schlüpfte unter dem Absperrband hindurch und stapfte über den rutschigen hellen Sand auf das kleine Grüppchen zu, das sich vor dem Zelt der Spurensicherung versammelt hatte. Es stand zwischen zwei gewaltigen Sanddünen, gebeutelt vom eisigen Wind, der von der Nordsee her wehte und an den weißen Plastikplanen zerrte. Der Himmel war wolkenlos, doch die tief stehende Sonne hatte sich noch nicht über den mit zerrupftem Pampasgras bewachsenen Dünenkamm erhoben, und der ganze Tatort war in tiefblaue Schatten gehüllt.
Der Strand von Balmedie reichte auch zu den besten Zeiten nicht ganz an die Costa del Sol heran, aber um halb elf an einem kalten Januarmorgen hätte sich hier sogar ein Eisbär den Arsch abgefroren. Aberdeen - zwei Grad nördlich von Moskau.
hätte die Stadt einen Zoo gehabt, man hätte den Pinguinen im Winter Pudelmützen aufsetzen müssen.
»Inspector! Inspector McRae!« Ein Mitarbeiter der Spurensicherung in der obligatorischen Kluft aus weißem Overall und blauen Plastiküberschuhen winkte ihn herbei. »Genau wie all die anderen, Sir. Sie hatten recht.«
Na toll - und das, wo er ausnahmsweise mal froh gewesen wäre, wenn er sich geirrt hätte.
Logan trug sich in die Liste der Tatortaufsicht ein und nahm dann den Kampf mit seinem Spusi-Overall auf. Das Ding leistete bis zum Schluss Widerstand, unterstützt vom Wind, der an Beinen und Ärmeln zerrte, um ihm bei der flucht zu helfen. »Rechtsmedizin?«
»Schon drin, Sir. Fotos und Proben sind gemacht, also sagen Sie uns einfach Bescheid, wenn Sie wollen, dass wir sie ...« Er deutete auf das Zelt, von dem Logan bereits wusste, was ihn darin erwartete. »Dass wir das abtransportieren.«
Die ganze Konstruktion knarrte und wackelte, und der Wind blies heulend durch die Fugen, als Logan eintrat. Sie hatten ein paar Bogenlampen aufgebaut, deren grellweißer Schein vom Sand zurückgeworfen wurde und Logans Atem zu einer schillernden Wolke werden ließ, als er sich zu der Rechtsmedizinerin kniete.
Sie sah zu ihm auf, und ihre Augen funkelten über der Maske, die Nase und Mund bedeckte. Dann senkte sie den Blick wieder auf den Kopf, der auf der Seite im hellen Sand lag.
Der Kopf gehörte einer frau - Anfang zwanzig, die Augen glasig und eingesunken; rötliches Haar, das im Licht der Bogenlampen fast blond wirkte. Sommersprossen stachen dunkel von der porzellanfarbenen haut ab; der Mund war offen. hinter ihren Zähnen hatte sich ein wenig Sand angesammelt, und in der dunklen höhle dahinter glitzerte etwas golden. Genau wie bei den anderen sechs.
»Woher hast du es gewusst?« Die Rechtsmedizinerin grub den abgetrennten Kopf aus dem Sand aus. »Sie war genau da, wo du es vorhergesagt hattest.«
Logan sah zu, wie sie Lucys Kopf in einen Beweismittelbeutel aus transparentem Plastik betteten, den sie versiegelten und beschrifteten. Ein weiteres Exemplar für die Sammlung im Leichenschauhaus.
»Todeszeitpunkt?«
Dr. Isobel McAllister streifte sich die blauen Nitrilhandschuhe von den Händen, nahm die Maske ab und schob sich die Kapuze ihres Tatort-Overalls in den Nacken. Das lange dunkle haar wallte ihr über die Schultern. »Du weißt, dass ich dir das nicht sagen kann.«
Logan machte den Mund auf, um etwas zu sagen, und schloss ihn gleich wieder, als Isobel ihm eine Hand auf die Brust legte. In dem kalten Zelt fühlte sie sich glühend heiß an.
Sie sah ihm tief in die Augen. »Du hast mir gefehlt -«
»Isobel, ich -«
»O nein, kommt gar nicht in Frage!« Eine Kriminaltechnikerin kam herbeigestapft - es war Samantha, deren haare im gleißenden Lampenschein grellrot leuchteten. Sie zog den Reißverschluss ihres Overalls herunter und ließ ihr blasses, von Tattoos umgebenes Dekolletee sehen. »Er gehört mir. nicht wahr, Logan?«
Isobel biss sich auf die Unterlippe. Sie sah weg. »Oh. Tut mir leid, das habe ich nicht gewusst.«
»Aber vielleicht ...« Samantha trat näher und strich mit den Fingerspitzen über Isobels Wange. »Vielleicht teil ich ihn ja mit dir.«
Ein jäher Schmerz zuckte durch Logans Rippen. »Au, was war denn -«
»Vielleicht können wir alle zusammen ... was ganz Besonderes machen.«
»Das würde mir gefallen.« Isobel fuhr sich mit der Zungenspitze über die blutroten Lippen und legte die Hand um Samanthas rechte Brust. »Das würde mir sehr - hör gefälligst auf zu schnarchen!«
»Mmmmpff ...?« Detective Sergeant Logan McRae richtete sich mühsam in seinem Sitz auf. »Ich bin wach, ich bin wach.« Kalt. Dunkel. Ein rasselnder husten schüttelte seinen ganzen Körper durch und endete in einem Schauder. »Mein Gott.« Er zog die Nase hoch, rieb sich das Gesicht und spürte die Stoppeln unter seinen Händen. »Wie spät ist es?«
DI Steel war in der Dunkelheit kaum auszumachen, doch er konnte hören, wie sie auf dem Beifahrersitz seines schrottigen braunen Fiat herumrutschte. »Du hast geschnarcht.«
Steel drückte auf den Knopf des Zigarettenanzünders, wartete, bis er heraussprang, zog ihn aus der Öffnung im Armaturenbrett und steckte sich eine Silk Cut an. Im orangefarbenen Schein verwandelte sich ihr Gesicht in eine Landkarte aus falten und Schatten. Ihre Katastrophenfrisur war unter einer Pelzmütze versteckt.
»Arschkalt hier ...« Logan blinzelte zu der beschlagenen Frontscheibe auf, wischte mit dem Ärmel ein Guckloch frei und spähte in die mondbeschienene Landschaft hinaus. Sie hatten an einem kleinen Feldweg geparkt, der von der A90 zwischen Aberdeen und Ellon abzweigte. Von dort hatten sie das weitläufige neubaugebiet gut im Blick. Logan gähnte. »Muss mal pinkeln.«
»hättest du mal nicht so viel Kaffee gesoffen, hm?«
»Wusst ich's doch, dass er nicht aufkreuzen würde.«
»Ich meine, wie kann man so blöd sein, zu einer Observierung koffeinfreien Kaffee mitzunehmen?«
»Also, wo steckt er denn nun?«
»Wenn ich das wüsste, würde ich jetzt nicht in dieser Schrottkarre hocken und mir dein elendes Geschnarche anhören, oder?«
»Okay, dann eben nicht.« Logan nahm sich eine von Steels Zigaretten und zündete sie mit einem Sturmfeuerzeug an, während er in die eisige Nacht hinauskletterte.
»Mach die verdammte Tür zu!«
RUMMS.
Er blieb einen Moment fröstelnd stehen, sog sich den Rauch tief in die Lunge und ging dann den Weg entlang auf ein kleines Waldstück zu. Es knirschte und knackte unter seinen Sohlen, Gras mit einer dicken Reifschicht darüber, alle Farben im Licht des nahezu vollen Mondes ausgebleicht. Es war beinahe taghell.
Logan bog vom Weg ab und schlug sich in die Büsche.
Mann, war das kalt. Diese blöde Steel und ihr verdammter V-Mann. Was hatte so eine verdeckte Operation für einen Sinn, wenn der V-Mann so verdeckt operierte, dass er gar nicht mehr aufzufinden war?
Ritsch. Ein Griff, ein Stöhnen, und ... aaaaahhhh. O ja, das war schon viel besser.
Er stand da, umwabert von einer bittersüßen Dampfwolke, die Zigarette im Mundwinkel. Zwölf Tage am Stück ohne einen einzigen freien Tag. Kein Wunder, dass er fix und fertig war.
Von hier aus konnte man das gesamte Neubaugebiet überblicken - eine weite Fläche aus gefrorenem Matsch, umschlossen von Maschendrahtzaun; von Bulldozern aufgeschichtete Erdhaufen, zwischen denen sich die helleren Betonfundamente abhoben. Zwanzig bis dreißig Häuser schienen fast fertig zu sein, ein weiteres halbes Dutzend waren eingerüstete Rohbauten. Insgesamt sollten es vierhundert von den verdammten Dingern werden, allesamt Marke McLennan Homes. Scheußliche kastenförmige Kaninchenställe für Leute mit mehr Geld als Verstand.
Wie der Mistkerl zu der Baugenehmigung gekommen war, mochte der himmel wissen.
Das Baubüro war in einem kleinen Container untergebracht. Während Logan hinsah, ging die Tür auf, und blassgelbes Licht fiel aus dem Inneren auf die aufgewühlte Erde. Ein Hund bellte. Ein Radio dudelte. Dann fiel die Tür wieder zu, und das Licht ging aus, ersetzt durch den schwachen Schein einer Taschenlampe, der langsam am Zaun entlangwanderte. Man musste schon ganz schön verzweifelt sein, um im Winter einen Job als Nachtwächter auf einer Baustelle anzunehmen. und dabei zu wissen, dass Malcolm McLennan einem die Eier abreißen würde, falls irgendetwas verschwinden sollte.
Und das war keine Metapher.
Logan machte den Reißverschluss zu und eilte zum warmen Wagen zurück. Als er die Tür hinter sich zuzog, murmelte er: »Echt sibirische Verhältnisse da draußen ...« Er schaltete die Zündung ein, drehte die Heizung voll auf und hielt die Hände über die Lüftungsschlitze.
DI Steel saß da und stierte mit finsterer Miene auf die allmählich frei werdende Windschutzscheibe. »Scheiß drauf, jetzt ist der Kerl schon zwei Stunden überfällig. Mir reicht's - hab schließlich 'ne schwangere frau, die daheim auf mich wartet.«
Logan würgte unter lautem Knirschen den Rückwärtsgang rein, drehte sich um und spähte durch die Heckscheibe, um mit Hilfe des Mondscheins den Weg zu finden. Der schrottige Fiat rumpelte rückwärts den Weg hinauf. »Ich hab's doch gleich gesagt, dass er nicht aufkreuzen wird.«
»Bla, bla, bla.«
»Ich sag's ja nur - niemand ist so blöd, Malk the Knife zu verpfeifen. « Logan setzte auf die Zufahrtsstraße zurück, schaltete das Licht ein und trat das Gaspedal durch. Er hatte gehofft, dass die Räder ein bisschen durchdrehen würden, aber stattdessen war nur ein dumpfes Ächzen zu hören, als die Rostlaube mühsam auf achtzig Sachen beschleunigte.
»Fahr auf dem Rückweg kurz beim Asda raus, wir haben kein Eis mehr im Haus.«
»Bei diesem Wetter?«
»Schwangerschaftsgelüste. Susan will Chocolate-Chips-Eiskrem und Käse-Nachos. Alles in einer Schüssel. und bevor du irgendwas sagst - ich weiß. Ich muss mir schließlich anschauen, wie sie das isst.« Steel rutschte auf ihrem Sitz vor. »Fährt diese Kiste nicht schneller?«
»Nein.«
Sie saßen schweigend da, während die mondbeschienene Landschaft vorbeizog. Raureif auf den Wiesen, umgepflügte Äcker, depressiv dreinschauende Schafe, dicke runde heuballen, in schwarze Plastikfolie gewickelt.
Am Kreisverkehr kurz vor Bridge of Don bremste Logan ab. »Wie wär's mit 'nem Bierchen - nur zur Feier des Tages, weil ich endlich mal wieder dienstfrei habe? Das Dodgy Pete's hat sicher noch offen.«
»Schwangere frau - schon vergessen?« Steel holte wieder ihre Zigaretten hervor. »und ich will, dass du am Donnerstagmorgen um sieben in alter frische im Büro aufkreuzt. Mr. Knox soll doch nicht denken, dass wir uns nicht freuen, ihn zu sehen, oder? Wer weiß, was der kleine Widerling sonst noch anstellt.«
3
Die Jetstream 41 der Eastern Airways war winzig im Vergleich mit der 737 von British Midlands auf dem Standplatz nebenan. Logan stand unter dem schützenden Plastikdach einer Fußgängerpassage vor dem Terminal und sah zu, wie das kleine blauweiße Flugzeug vom Rollfeld heranfuhr. Die beiden Propeller rotierten dröhnend im Nieselregen, und die Positionslampen funkelten im Dämmerlicht.
Der Himmel, von dem die Maschine herabgekommen war, hatte die Farbe nassen Lehms, eine dichte, dunkelgraue Decke, die sich von Horizont zu Horizont erstreckte. nur ein paar hauchdünne hellere Streifen am äußersten Rand kündigten die Morgendämmerung an.
»Pünktlich wie die Maurer.« DI Steel zog die Hände unter den Achseln hervor, gerade lange genug, um eine Schachtel Zigaretten hervorzukramen, sich eine in den Mund zu stecken und sie anzuzünden. »Obwohl, ich schätz mal, bis wir hier endlich wegkommen -«
»he! Sie da!« Ein kleiner Mann in einer fluoreszierenden Warnweste kam auf sie zugerannt. »Sie dürfen hier nicht rauchen. Der gesamte Flughafen ist eine Nichtraucherzone!«
Steel nahm die Kippe aus dem Mund und forderte ihn auf, sich zu verpissen. »Polizei.«
»und wenn Sie der Papst persönlich sind - hier wird nicht geraucht!«
»O Mann, ich glaub's nicht.« Sie nahm einen letzten trotzigen Zug und ließ die Zigarette auf den Betonboden fallen, um sie mit einem abgestoßenen Schuh auszutreten. »So, sind Sie jetzt glücklich?«
»Dass mir das ja nicht noch einmal vorkommt.« Er reckte die Nase in die Luft, machte auf dem Absatz kehrt und stapfte davon.
Steel zeigte seiner Rückfront den Stinkefinger und murmelte: »Blöder Westentaschen-Nazi.«
Die Triebwerke der Jetstream heulten noch ein letztes Mal auf, und die Maschine kam ruckelnd zum Stehen. Während die Propeller ausliefen, konnte man das Quietschen der Scheibenwischer hören, die träge auf den Cockpitfenstern hin und her schwenkten. Drei Männer mit verdreckten Overalls und Ohrenschützern begannen Gepäckstücke aus dem Frachtraum zu wuchten und auf einen Buggy zu stapeln.
Es tat einen dumpfen Schlag, die vordere Tür sprang auf, klappte nach unten und verwandelte sich dabei in eine Gangway. Eine Flugbegleiterin steckte den Kopf in die kalte Morgenluft hinaus, worauf sofort ein Windstoß ihre langen braunen Haare erfasste und ihr eine Headbanger-Sturmfrisur verpasste. Ihre Miene verfinsterte sich, und sie verschwand rasch wieder in der Kabine. Willkommen in Aberdeen.
Logan lehnte sich mit dem Rücken gegen die kalte Plastikwand des Durchgangs und unterdrückte ein Gähnen.
Steel sah ihn an und rümpfte die Nase. »Wie viel hast du denn gestern Abend gesoffen?«
Achselzucken. »Ein paar Gläser Wein.«
»Aye, und den ganzen Rest. Du riechst wie 'ne Pennerunterhose. «
»Ich hatte frei.« Zwei herrliche Tage lang schlafen, schlafen, schlafen und nicht mehr an die kriminelle Bagage von Aberdeen denken.
»hast wohl die ganze Zeit durchgesoffen, wie?« Sie kramte in ihrer Tasche und holte eine Packung extra starker Pfefferminzbonbons hervor. »Los, essen.«
Logan tat, wie ihm geheißen, und kaute knirschend vor sich hin, während die Bodencrew die letzten Gepäckstücke aus der Maschine holte.
Ein uniformierter Constable tauchte an Logans Seite auf, beladen mit drei großen Wachspapierbechern. Der bittere Geruch von geröstetem Kaffee mischte sich mit dem Gestank nach Abgasen und heißem Metall und verdrängte ihn nach und nach. PC Guthrie blies die Backen auf und starrte in den Regen hinaus. Seine rotblonden Augenbrauen verschwanden fast unter dem Schirm seiner Mütze. »Vielleicht wirft er ja einen Blick auf das Wetter hier und düst gleich wieder ab nach Newcastle?«
Guthrie grinste, was ihm das Aussehen einer vergnügten Kartoffel verlieh.
Steel bedachte ihn mit einem finsteren Blick. »Sie haben sich ja verdammt viel Zeit gelassen.«
»Ein dringendes Bedürfnis.« Der Constable verteilte die Kaffeebecher und kramte dann in der Tasche seiner schwarzen Fleecejacke. »hab Ihnen auch 'nen Muffin besorgt ...«
»Dann nehme ich alles zurück - auch das über Ihre Oma, die es mit Eseln treibt.«
und dann tranken sie alle drei ihren Kaffee und aßen ihre Muffins.
Eine lange Schlange von Passagieren stapfte die Gangway hinunter und weiter auf dem markierten Weg in Richtung Terminal. Sie zogen die Köpfe ein und drückten ihre Laptops schützend an die Brust, während ihre Krawatten und Anzugjacken im Wind flatterten.
Steel sah auf ihre Uhr. »In drei Tagen werde ich aus meiner Maschine steigen. nur dass ich auf den Kanaren sein werde, anstatt mir im sonnigen Aberdeen die Nippel abzufrieren.«
Der letzte Passagier nahm einen kleinen roten Koffer vom Wagen und schleppte ihn durch die Pfützen hinter sich her.
Steel stampfte mit den Füßen auf, die Hände um ihren dampfenden Pappbecher geschlungen. »Bist du sicher, dass er in dem Flieger war?«
»Ganz sicher.«
»Und wo zum Henker steckt er dann? Ist ja nicht so, als ob ...« Sie brach ab. Ein großer pinkfarbener Kopf war in der offenen Tür der Jetstream erschienen, die spärlichen Reste des Haupthaars in etwa auf die Länge des Dreitagebarts gestutzt, der beide Kinne bedeckte. Ein breites Grinsen ließ zwei Reihen makellos weißer Zähne sehen.
»Detective Inspector Steel, wenn ich mich nicht irre?« Der Newcastle-Akzent war nicht zu überhören, als das dröhnende Organ durch die diesige Morgenluft schallte und den Triebwerken der verspäteten BD0671, die gerade in einiger Entfernung in den trüben Himmel aufstieg, ernsthaft Konkurrenz machte.
Steel zog das Foto aus der Tasche, das die Northumbria Police gemailt hatte, betrachtete es mit zusammengekniffenen Augen, stutzte und beugte sich dann vor, um Logan zuzuflüstern: »Wenn das Knox ist, dann ist er aber ganz schön auseinandergegangen. « Sie hob eine Hand und winkte.
Der füllige Mann humpelte die Stufen hinunter. unten blieb er stehen und starrte hinauf zur Kabine. »na los, kommen Sie schon - das war schließlich Ihre Idee.«
Ein schmales Gesicht lugte heraus: Richard Knox. Spitze Nase, spitzes Kinn, schiefe Zähne und ein Überbiss fügten sich zu einem Gesamtbild, das an eine teilrasierte Ratte erinnerte. Dazu ein Haaransatz, der offenbar auf der Flucht vor diesem Gesicht war. »Kalt hier.«
Der Dicke schloss einen Moment die Augen und bewegte tonlos die Lippen. und dann sagte er: »Das haben wir doch alles schon diskutiert, Richard, nich' wahr?«
»War nur 'ne Feststellung.« Knox' Stimme klang fast eine Oktave höher, doch sein Geordie-Akzent war genauso ausgeprägt. Er hielt sich am Geländer fest und stakste vorsichtig die Stufen hinunter, bis er auf dem nassen Asphalt stand. »Ist doch hoffentlich nicht das ganze Jahr so, oder?«
DI Steel grinste ihn an. »nein, die meiste Zeit ist es noch viel schlimmer. Warum suchen Sie sich nicht was, wo es wärmer ist? Die Hölle zum Beispiel. Da soll es um diese Jahreszeit sehr angenehm sein.«
Knox erwiderte ihren Blick mit ausdrucksloser Miene. »Komisch. Sie sind eine komische frau.«
»und Sie sind ein mieses kleines Vergewaltiger-Arschloch.«
»hab meine Zeit abgesessen. Meine Schuld gegenüber der Gesellschaft abgetragen, wenn Sie so wollen. Gott hat mir vergeben. «
»So eine gequirlte Scheiße! Leute wie Sie -«
»Okay.« Der Dicke trat hinkend zwischen sie. »Ich glaube, für heute Morgen haben wir genug Freundlichkeiten ausgetauscht. « Er hielt Steel die Hand hin. »Detective Superintendent Danby.«
Sie beäugte seine Hand einen Moment lang und ergriff sie dann. Ihre Finger verschwanden komplett in der Pranke des DSI. »Detective Inspector Steel.«
»hervorragend.« Danby nickte, dass sein Doppelkinn nur so wabbelte. »Also, könnten wir jetzt langsam mal reingehen, ehe wir hier alle erfrieren?«
Auf dem Weg in die Stadt war Knox sehr schweigsam. Er saß auf dem Rücksitz des Streifenwagens, eingeklemmt zwischen Logan und PC Guthrie, und klammerte sich an eine Asda-Einkaufstüte, während Steel fuhr.
DSI Danby war wesentlich gesprächiger. »Da machen wir uns also auf die Suche, praktisch die halbe Polizeitruppe von Newcastle, aber unseren verschwundenen Opa können wir ums Verrecken nicht finden. Wir haben schon in den Geschäften nachgeschaut, in der Post, in sämtlichen Schuppen und Garagen im Umkreis von drei Meilen um sein Haus. und dann wird es dunkel, und wir müssen die Suche vorläufig abbrechen. Aufrufe in den Zeitungen und im Radio; sogar in den lokalen fernsehnachrichten haben wir zwei Minuten Sendezeit gekriegt. Ergebnis: null.«
Knox wand sich unbehaglich auf seinem Platz neben Logan. Aus der Nähe roch er nach Lavendel und Pfefferminz - wie die Handtasche einer alten Dame. »Muss ich mir das wirklich noch mal anhören?«
»Drei Tage später taucht der alte Knabe in der Stadtbibliothek auf, noch im Schlafanzug, und faselt etwas davon, dass er von Außerirdischen entführt worden sei. natürlich wissen alle, dass er Alzheimer hat, nich' wahr? Also tätscheln sie ihm den Kopf und lassen ihn nach Hause bringen. Aber er gibt keine Ruhe und erzählt, wie die Außerirdischen ihn in ihr unterirdisches Labor verschleppt hätten und mit ihm Experimente durchgeführt hätten. Analsonden und so was.«
Danby zog die Nase hoch, eine Hand am Haltegriff über der Beifahrertür, und starrte aus dem Fenster. »Am Ende ruft seine Schwester also den Arzt an, und der untersucht den alten Herrn, nich' wahr? und wissen Sie was?«
Knox räusperte sich. »Sie machen das mit Absicht, oder? um mir das Leben schwerzumachen.«
»Ich mache bloß Konversation.«
»Lassen Sie das. Es ist nicht witzig.«
»Wie Sie wollen.« Der DSI starrte wieder aus dem Fenster in die eintönige graue Landschaft hinaus. An einem guten Tag funkelte Aberdeen wie ein Edelstein ... aber heute war kein guter Tag. Die Granitbauten duckten sich unter den schweren Wolken, ihre grauen Fassaden dunkel vom Dauerregen.
Der nasse Asphalt glitzerte im Scheinwerferlicht, und in dem Schleier aus Sprühregen glommen rote Rücklichter wie entzündete Augen.
DI Steel durchbrach die Stille, indem sie das Radio einschaltete. Annie Lennox - ein waschechtes Aberdeener Mädel, das es zu was gebracht hatte - sang darüber, wie sie auf Glasscherben ging. Dann war der Song zu Ende, und es folgte ein wenig banales Geplapper von einem DJ, der sich offenbar für weit witziger hielt, als er tatsächlich war. Dann noch eine Platte, und dann die Nachrichten.
»Nichts geht mehr in London - Schneestürme haben inzwischen ganz England fest im Griff. Die A96 zwischen Inverurie und Huntly ist nach einem Auffahrunfall mit fünf Fahrzeugen gesperrt. McLennan Homes verspricht zahlreiche neue Jobs in der krisengeplagten Bauindustrie des Nordostens. Und heute wird gegen die geplante Erweiterung von Donald Trumps Golfanlage Klage eingereicht. Hi, mein Name ist Karen MacDonald. Heute hat die Balmedie Dunes Preservation Society bestätigt, dass sie Klage -«
PC Guthrie schnaubte. »Komisch, wie kommt es nur, dass in England immer gleich alles zusammenbricht, wenn mal ein halber Millimeter Schnee liegt? Was für ein Haufen von jämmerlichen Weich- « Er brach ab. DSI Danby hatte sich auf dem Beifahrersitz umgedreht und starrte in den Fond des Streifenwagens.
»Äh ...« Die Wangen des Constables liefen rot an. »Ich meine ... es ...« Er sah Logan an. »Wir ...«
Logan schüttelte den Kopf. »Keine Chance - du bist auf dich gestellt, Freundchen.«
Idiot.
»nun kommen Sie schon, Constable.« Danbys Stimme füllte den engen Fahrgastraum aus. »Sie haben etwas zu sagen, also lassen Sie es uns hören.«
»Ich wollte nur ... es ... äh ...« Hüstel. »Wegen dem Schnee, also der kam ja wohl, na ja, ziemlich unerwartet, und die Straßen werden nicht gestreut ...« Er wand sich auf seinem Sitz. »Ich hab ja nichts gegen die Engländer. Viele von meinen Freunden sind Engländer ...«
Danby sah ihn an. »Wie lange sind Sie schon bei der Truppe?«
Guthrie leckte sich die Lippen. »Äh ... sieben Jahre?«
»Ich gebe Ihnen einen Tipp, Constable. Wenn Sie je zum Sergeant befördert werden wollen, müssen Sie lernen, besser zu lügen. Im Moment machen Sie das nämlich mehr als stümperhaft. nich' wahr?«
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2011 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Stuart MacBride
MacBride, StuartBereits »Die dunklen Wasser von Aberdeen«, Stuart MacBrides erster Roman um den Ermittler Logan McRae, wurde als bestes Krimidebüt des Jahres ausgezeichnet. Seither sind die brillanten Spannungsromane des Schotten aus den internationalen Bestsellerlisten nicht mehr wegzudenken. Stuart MacBride lebt mit seiner Frau im Nordosten Schottlands.
Bibliographische Angaben
- Autor: Stuart MacBride
- 2013, 576 Seiten, Maße: 12,1 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Jäger, Andreas
- Übersetzer: Andreas Jäger
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442478677
- ISBN-13: 9783442478675
- Erscheinungsdatum: 18.02.2013
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