Die Austern des Monsieur Balzac
Eine delikate Biografie
Wie sollte man sich Balzac anders vorstellen denn als unersättlichen Schlemmer, lebenshungrig, gierig nach Geld, nach Frauen, nach Ruhm?
Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner...
Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner...
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Produktinformationen zu „Die Austern des Monsieur Balzac “
Wie sollte man sich Balzac anders vorstellen denn als unersättlichen Schlemmer, lebenshungrig, gierig nach Geld, nach Frauen, nach Ruhm?
Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner sinnlichen Pracht wiederauferstehen.
Honoré de Balzac war Asket und Gourmet, Hungerleider und Vielfraß in einer Person. Vor allem aber war der Autor der Menschlichen Komödie genial maßlos im Darben wie im Luxus: Phasen mönchischer Arbeitsdisziplin mit frugalstem Speiseplan wechselten bei Balzac mit regelrechten Freßzügen durch die Feinkostläden, Märkte und Bäckereien von Paris. Balzacs Leben fällt in eins mit dem Siegeszug der für die Zeitgenossen erstaunlichsten Hervorbringung der französischen Revolution: des Restaurants. Für den Romancier wie für den Menschen Balzac war das Restaurant eine Bühne, der ideale Ort zur Inszenierung seiner Sittengemälde und seiner Lust am Exzess. Balzacs Speiseplan ist ein Gesellschaftsroman eigener Art, sein obsessiver Konsum von Birnen, Kaffee oder Weintrauben verrät viel über seine Form der Weltaneignung.
Die französische Autorin Anka Muhlstein folgt Balzac durch dick und dünn und gewinnt dabei verblüffend neue und sehr unterhaltsame Einsichten ins Leben und ins Werk des großen Getriebenen der französischen Literatur. Warum brachte Balzac zeit seines Lebens Nüsse mit Armut in Verbindung? Weshalb bedeutete ihm ein Makkaroniauflauf mit süßen Beigaben das Paradies? Und wieso vergleicht Balzac reizvolle Frauen stets mit Früchten? Die 88 Bände von Balzacs "Menschlicher Komödie" sind, so der erstaunliche Befund Anka Muhlsteins, "eine Sittenstudie anhand der Küche, ein regelrechter Guide Michelin des 19. Jahrhunderts."
Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner sinnlichen Pracht wiederauferstehen.
Honoré de Balzac war Asket und Gourmet, Hungerleider und Vielfraß in einer Person. Vor allem aber war der Autor der Menschlichen Komödie genial maßlos im Darben wie im Luxus: Phasen mönchischer Arbeitsdisziplin mit frugalstem Speiseplan wechselten bei Balzac mit regelrechten Freßzügen durch die Feinkostläden, Märkte und Bäckereien von Paris. Balzacs Leben fällt in eins mit dem Siegeszug der für die Zeitgenossen erstaunlichsten Hervorbringung der französischen Revolution: des Restaurants. Für den Romancier wie für den Menschen Balzac war das Restaurant eine Bühne, der ideale Ort zur Inszenierung seiner Sittengemälde und seiner Lust am Exzess. Balzacs Speiseplan ist ein Gesellschaftsroman eigener Art, sein obsessiver Konsum von Birnen, Kaffee oder Weintrauben verrät viel über seine Form der Weltaneignung.
Die französische Autorin Anka Muhlstein folgt Balzac durch dick und dünn und gewinnt dabei verblüffend neue und sehr unterhaltsame Einsichten ins Leben und ins Werk des großen Getriebenen der französischen Literatur. Warum brachte Balzac zeit seines Lebens Nüsse mit Armut in Verbindung? Weshalb bedeutete ihm ein Makkaroniauflauf mit süßen Beigaben das Paradies? Und wieso vergleicht Balzac reizvolle Frauen stets mit Früchten? Die 88 Bände von Balzacs "Menschlicher Komödie" sind, so der erstaunliche Befund Anka Muhlsteins, "eine Sittenstudie anhand der Küche, ein regelrechter Guide Michelin des 19. Jahrhunderts."
Klappentext zu „Die Austern des Monsieur Balzac “
"Wie sollte man sich Balzac anders vorstellen denn als unersättlichen Schlemmer, lebenshungrig, gierig nach Geld, nach Frauen, nach Ruhm?" Anka Muhlstein lässt in ihrer grandiosen Lebensbeschreibung Balzacs das Paris des 19. Jahrhunderts in all seiner sinnlichen Pracht wiederauferstehen. Honoré de Balzac war Asket und Gourmet, Hungerleider und Vielfraß in einer Person. Vor allem aber war der Autor der Menschlichen Komödie genial maßlos im Darben wie im Luxus: Phasen mönchischer Arbeitsdisziplin mit frugalstem Speiseplan wechselten bei Balzac mit regelrechten Freßzügen durch die Feinkostläden, Märkte und Bäckereien von Paris. Balzacs Leben fällt in eins mit dem Siegeszug der für die Zeitgenossen erstaunlichsten Hervorbringung der französischen Revolution: des Restaurants. Für den Romancier wie für den Menschen Balzac war das Restaurant eine Bühne, der ideale Ort zur Inszenierung seiner Sittengemälde - und seiner Lust am Exzess. Balzacs Speiseplan ist ein Gesellschaftsroman eigener Art, sein obsessiver Konsum von Birnen, Kaffee oder Weintrauben verrät viel über seine Form der Weltaneignung. Die französische Autorin Anka Muhlstein folgt Balzac durch dick und dünn - und gewinnt dabei verblüffend neue und sehr unterhaltsame Einsichten ins Leben und ins Werk des großen Getriebenen der französischen Literatur. Warum brachte Balzac zeit seines Lebens Nüsse mit Armut in Verbindung? Weshalb bedeutete ihm ein Makkaroniauflauf mit süßen Beigaben das Paradies? Und wieso vergleicht Balzac reizvolle Frauen stets mit Früchten? Die 88 Bände von Balzacs "Menschlicher Komödie" sind, so der erstaunliche Befund Anka Muhlsteins, 'eine Sittenstudie anhand der Küche, ein regelrechter Guide Michelin des 19. Jahrhunderts.'
Lese-Probe zu „Die Austern des Monsieur Balzac “
Die Austern des Monsieur Balzac von Anka MuhlsteinII
Herr Ober, die Karte!
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Es gibt viele Gründe, nach Frankreich zu reisen: gotische Kathedralen, romanische Kirchen, Königsschlösser - lauter berühmte, reizvolle Sehenswürdigkeiten, aber der wahre Grund so mancher Tour de France ist doch die Jagd nach Sternen, den Michelin-Sternen, versteht sich. Historisch betrachtet ist das etwas Neues. Im achtzehnten Jahrhundert wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Aufenthalt in Frankreich gastronomisch zu begründen. Man aß dort sehr schlecht. Gewiss, bei den hohen Adligen und den kultivierten Bürgern gab es vorzügliche Tafeln, so reich gedeckt, dass die Tischgesellschaft kaum ein Drittel der dargebotenen Pracht verzehrte - was übrig blieb, ging zuerst an die Dienerschaft, dann an die sogenannten »Auskratzer«, die auf Resteverwertung spezialisierten Höker. Aber die Fremden, die keine Freunde, kein Empfehlungsschreiben hatten, waren unangenehmen Gastwirten ausgeliefert und beklagten sich sowohl über die derbe Kost als auch über die Unbequemlichkeit der Unterkunft. Sie mussten sich mit dem begnügen, was ungefragt und meistens schlecht gekocht auf den Teller kam. In der Herberge zahlte man nicht für ein Gericht, sondern für das Recht, sich an den Gemeinschaftstisch zu setzen. Eine andere, kaum bessere Möglichkeit bestand darin, sich am Mittagstisch in einer Art Pension einzufinden, wo sich die angestammten Kostgänger zur festgelegten Zeit versammelten. Wenn ein Stuhl frei blieb, durfte der Fremde Platz nehmen, wenn nicht, musste er sein Glück anderswo versuchen. Angenehm war die Erfahrung nie. Nach den Schilderungen von Louis Sébastien Mercier, der uns in Mein Bild von Paris Einblick in die Verhältnisse des Jahres 1788 gibt, belagerten die Stammesser stets die Mitte des Tisches, wo die Hauptspeisen standen. Unermüdlich kauend machten sie sich darüber her und ließen nur Krümel für den armen Reisenden, der nie auf seine Kosten kam und sich obendrein ihr lärmendes und dämliches Geschwätz anhören musste. Der berühmte englische Agronom Arthur Young hat sich besonders über die aufgezwungene Nachbarschaft mit ungehobelten Tischgenossen beschwert.
Oft gab der Besucher auf und kaufte sich am Ende lieber eine Wurst oder eine Scheibe Schinken beim Metzger, oder er suchte sich einen Grillkoch, wo es Gebratenes gab, ein Kotelett, vielleicht einen Hähnchenflügel, und aß aus der Hand, in seinem Zimmer. Wenn er ein Ragout wollte, musste er sich an einen Speisewirt wenden. Die Zünfte machten den unterschiedlichen Gewerben strenge Vorschriften und legten genau fest, wer was verkaufen oder zubereiten durfte. Somit verbot
sich ein Restaurantbetrieb, wie wir ihn kennen, im Sinne eines Lokals, wo man an Einzeltischen eine selbst gewählte Mahlzeit essen kann und nur bezahlt, was man bestellt hat. Tatsächlich bezeichnete das französische Wort »restaurant« im achtzehnten Jahrhundert keinen Ort, sondern allgemein etwas Stärkendes, »Restaurierendes«, in fester wie in flüssiger Form: ein Glas Wein, einen Likör oder auch eine besonders konzentrierte Bouillon, fast ein Fleischextrakt.
Als dann um 1780 in Paris einige unklassifizierbare Gaststätten auftauchten, weder Herbergen noch Garküchen oder Mittagstische, sondern saubere, diskrete Etablissements, wo eine Dame allein sich an einen Tisch mit weißem Tischtuch setzen und eine Bouillon oder einen Salat bestellen konnte, nannte man sie Restaurants, weil sie nicht dazu bestimmt schienen, den großen Hunger zu stillen, sondern den Passanten lediglich ein »restaurant«, eine Stärkung, boten.
Das erste Restaurant dieser Art eröffnete in der Rue des Poulies, der heutigen Rue du Louvre, und wurde einige Jahre später ins Hôtel d'Aligre in der Rue SaintHonoré verlegt. Der Wirt, ein Suppenkoch namens Boulanger, servierte Geflügel im Salzbett, frische Eier und natürlich stark konzentrierte Fleischbrühe. Er durfte zwar keine Ragouts verkaufen, war aber nicht an die streng reglementierten Zeiten gebunden, die für Garköche und Mittagstische galten. Das Reizvolle an seinem Angebot bestand darin, dass man tagsüber, wenn man erschöpft war, bei ihm einkehren und etwas zu sich nehmen konnte. Einige experimentierfreudige Geister ahmten es ihm nach, aber zunächst sehr wenige. Vor 1789 gab es in Paris nur vier oder fünf derartige Lokale. Unter den Gästen des berühmtesten, des »Vacossin«, war auch Jean -Jacques Rousseau, der sein Essen dort als ein »Picknick« bezeichnete, was sich sowohl auf die leichte Kost wie auf die geteilte Rechnung bezog.
Neben allen großen Umwälzungen ließ die Revolution eine ganz neue gastronomische Landschaft in Paris entstehen. Es mag frivol erscheinen, sich in einer Zeit, die ganz im Zeichen der Gewalt und des Terrors stand, beherrscht von einem mörderischen Krieg und einer Hungersnot, welche 1794 ihren Höhepunkt erreichte, mit der Küche zu beschäftigen. Doch das unglaubliche Defilee an feinen Speisen, die täglich in die Gefängnisse geliefert wurden - die Verurteilten arrangierten sich mit Garköchen und Bäckern, deren Karten sie im Kerker herumreichten, um sich Fleisch und Pasteten bringen zu lassen -, die prunkvollen öffentlichen Festgelage und vor allem die Veränderungen der Esskultur, die einen neuen Markt hervorbrachten, sind Grund genug, diesem Thema Beachtung zu schenken.
Als der Fürst von Condé drei Tage nach dem Sturm auf die Bastille ins Exil floh, hinterließ er ein ganzes Heer von Küchenchefs, Bratköchen und Feinbäckern, die alle dem Befehl von Monsieur Robert unterstanden. Dieser zögerte nicht lange und gründete ein Restaurant,
das seinen Namen trug, das »Robert«, Rue de Richelieu Nummer 104, ein wirkliches Restaurant in unserem Sinne, mit großer Speisekarte, wo er anbieten konnte, was er wollte. Kurz zuvor waren die teilweise aus dem Mittelalter überkommenen Vorschriften endlich gelockert worden, was insbesondere diesen Neulingen, die sich Restaurateure nannten, zugutekam. Auch der oberste Küchenchef des Grafen von Provence - der als Bruder des Königs im Juni 1791 die Flucht ergriff- ließ nach der Abreise seines Dienstherrn keine Zeit verstreichen und eröffnete alsbald ein Restaurant in der Galerie de Valois am Palais-Royal, wo er seinen Gästen einen höchst luxuriösen Rahmen bot und eine Speisekarte, die schwer war wie ein Pflasterstein. Bald wurde das gesamte Viertel zum Treffpunkt der Feinschmecker. Und es gab ihrer genug.
Eine ganze Klasse bereicherte sich während der Revolution, aber wer wollte in diesen unruhigen Zeiten schon seine Reichtümer zur Schau stellen? Ein Haus mit großem Pomp zu führen, sich den Neidern oder Denunzianten auszusetzen war gefährlich. Besser, man lud ins Restaurant ein, empfing dort, wo abgeteilte Nischen oder Nebenräume sogar eine gewisse Diskretion ermöglichten. Und, wichtiger noch: Paris füllte sich mit Männern, die sich allein dort aufhielten, Abgeordneten der Versammlungen, Journalisten, Neugierigen, ausländischen Beobachtern. Ohne Bindungen in der Hauptstadt, mussten sie sich schließlich irgendwie ernähren und stürzten sich geradezu auf diese erfreulichen neuartigen Einrichtungen, wo es für jeden Geldbeutel und zu jeder Tageszeit etwas zu essen gab. Die Annehmlichkeiten dieses Angebots führten dazu, dass Restaurants in allen Vierteln nur so aus dem Boden schossen. Unter dem Konsulat und dem Ersten Kaiserreich nahm die Bewegung weiter zu, und als ein englischer Journalist, Francis Blagdon,1802 in das wieder friedliche Paris kam, um die Folgen von zehn Jahren Krieg und Revolution zu sehen, beschrieb er die Hauptstadt mit einem einzigen Wort: »Restaurants«. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Zahl auf etwa zweitausend geschätzt, aber dabei blieb es nicht. Unter der Restauration sprach man bereits von dreitausend. Die offenen Mittagstische allerdings waren größtenteils verschwunden oder hatten sich der neuen Mode angepasst. Die Wirte hatten dem Gastraum ein paar Einzeltische hinzugefügt und sich auf eine Auswahl an Speisen umgestellt. Im Zuge dieser Entwicklung änderten sich die Essenszeiten, mit einschneidenden Folgen für den gesamten Tagesablauf der Pariser.
Vor der Revolution hatte man in der guten Gesellschaft dreimal am Tag gegessen. Morgens, zwischen sechs und acht, etwas auf die Schnelle, gegen zwei Uhr mittags das »dîner« und abends, nach neun, wurde ein » souper« gereicht. Bauern und Arbeiter begnügten sich mit zwei Mahlzeiten. Das » souper« war den Privilegierten vorbehalten, denen, die zum Ball oder ins Theater gingen. Während der Revolution geriet das System aus
den Fugen: Die Herren, die zu früher Stunde in Paris ausschwärmten, um in den politischen Versammlungen, in Klubs oder Gesellschaften erregt zu debattieren, hatten gegen elf einen knurrenden Magen und setzten sich beglückt am späten Vormittag ins Restaurant, was sie nicht hinderte, um sechs Uhr abends erneut ihren Hunger zu stillen. Im Lauf der Zeit nahm das Mittagessen den Namen »déjeuner« an, im Unterschied zum Frühstück, dem »petit déjeuner«, und die letzte Mahlzeit des Tages wurde »dîner« genannt, während das »souper« in der Regel entfiel. Welch ein Glück für die Restaurants, die nun zweimal am Tag Hauptgerichte servieren konnten. Und welche Lust für Balzac, der sich, wie wir sehen werden, begeistert daranmacht, die gesellschaftlichen Aspekte der neuen Essenszeiten in all ihren Nuancen zu beleuchten und die Einführung des »déjeuner« zu feiern.
Als Balzac das Pariser Leben kennenlernt und seine Erziehung des Gaumens beginnt, geht das Kaiserreich gerade zu Ende. Während seines Aufenthalts im Schülerpensionat hatten ihn seine Eltern - genau wie die fiktiven Eltern des jungen Felix de Vandenesse - nie zum Essen in ein gutes Restaurant mitgenommen, aber seine verwöhnteren Kameraden werden untereinander wohl von solchen Festmahlen erzählt haben. Der zukünftige Romancier entdeckte die gastronomischen Möglichkeiten der Hauptstadt erst, als er sich einer Gruppe junger Schriftsteller anschloss, die für Auguste Le Poitevin und dessen Romanfabrik arbeiteten. Genau wie seine neuen Freunde machte sich Balzac daran, unter Pseudonym serienmäßig Unterhaltungsromane zu fabrizieren, verdiente damit seinen Lebensunterhalt und begann, Paris zu entdecken. Sein Eintritt in die Literatur erfolgte also 1818, unter der Restauration, und seine Karriere endete mit der Februarrevolution von 1848. Die Figuren der Menschlichen Komödie sind seine Zeitgenossen, ihr Leben entfaltet sich in den Jahren 1799 bis 1850, einer Zeit, da die Gastronomie kein Privileg mehr war, sondern ein zunehmend verbreiteter Genuss. Die Kleinbürger ergötzten sich an Pasteten und ließen Champagner fließen, die Studenten träumten von ihrem Leibgericht, Masthühnchen oder Fasan, das ihnen auf einer weißen Tischdecke serviert würde, die Arbeiter genossen ihren Milchkaffee. In den tausend Restaurants der Hauptstadt fand jeder etwas nach seinem Geschmack und nach seinem Geldbeutel.
Was für eine Fundgrube für einen Romancier, der wie Balzac vor allem ein Gesellschaftsmaler war und das große Tableau liebte. Seine Figuren sind selten allein: Sie reden viel zu gern, immer erpicht darauf, sich einander mitzuteilen. Aber natürlich brauchen sie einen Ort, wo sie sich treffen und lange Gespräche führen können. Kein Wunder, dass die große Epoche des französischen Romans mit der Geburt des Restaurants beginnt - hier verabredet man sich oder läuft sich über den Weg, hier
kommt beispielhaft zusammen, was durch den gesellschaftlichen Umbruch in Bewegung geraten ist. Das soll nicht heißen, der Salon hätte ausgedient. Er bleibt ein nützliches Instrument, um die Mechanismen einer geschlossenen Gesellschaft zu beschreiben, sei es der einer Herzogin, die alles von sich weist, was nicht zu ihrer Welt gehört, oder der einer Kleinbürgerin, die nichts anderes kennt als ihre eigene kleine Welt. Das Restaurant dagegen ist der ideale Ort für die Vermischung der unterschiedlichsten Menschen. Nur in einem Restaurant des ~uartier Latin können Personen wie der tugendhafte Künstler Daniel d'Arthez und der opportunistische, immer zu Späßen aufgelegte Journalist Lousteau zusammenfinden. Eine Einladung ins Restaurant verpflichtet aus mondäner Sicht zu nichts, und ein Herzog kann dort ein Souper veranstalten, bei dem Schriftsteller, Kurtisanen und Bankiers auf Tuchfühlung miteinander kommen. Umgekehrt akzeptieren der Herzog oder der Dichter umstandslos die Einladung des neureichen Seidenhändlers Cardot beziehungsweise die seines Sohnes, des ewig beschwipsten Notars. Man versammelt sich in aller Freiheit unter dem Zeichen der Kurtisane und dem Aushängeschild des Restaurants.
Hier darf man sich eine freundschaftliche Geste erlauben, hier bietet sich die Möglichkeit zu einem vertraulichen Gespräch. Wie könnte ein Diener leichter die Gunst eines Postboten gewinnen als durch die Einladung zu einem guten Essen? Henri de Marsay, der sich in Das Mädchen mit den Goldaugen Zutritt zum Haus der begehrten Unbekannten verschaffen will, trägt seinem Kammerdiener auf, sich ins Vertrauen des einfachen, aber womöglich hilfreichen Briefausträgers einzuschleichen. Mit einer Einladung zu ein paar Dutzend Austern mit einer Flasche Chablis und einem anschließenden Rinderfilet auf Champignons gelangt der Diener schnell ans Ziel; aber das Lokal, »Puits sans Vin«, an der Ecke Rue de la Chaussée-d'Antin und Rue Neuve-des-Mathurin, mitten im Geschäftsviertel gelegen, ist ein Restaurant der kleinen Leute, wo man das Déjeuner schon vor zehn Uhr bekommt.27
Eine Frau von Welt trifft ihren Liebhaber in einem eleganten Café. Nun hat der Romancier die Wahl, ob er das Pärchen öffentlich speisen lässt, die Intimität der beiden ungeniert zur Schau stellt, oder ob er ihnen ein Separee reserviert und die Dame allein oder gar durch eine zweite Tür eintreten lässt. Abgesehen davon - auch dies ein Vorteil für den Romancier - sind die Gäste im Saal eines Restaurants weniger auf der Hut als etwa im Salon, und sei es nur, weil im ersten mehr getrunken wird: daher die freimütigen Worte, die manchmal unbeherrschten Geständnisse und vor allem, dank der dünnen Scheidewände zwischen den abgeteilten Räumen, die Möglichkeit, Vertraulichkeiten aufzuschnappen. Der ganze Roman Das BankhausNucingen besteht aus einem beim Diner belauschten Gespräch.
Schließlich macht die Beschreibung des Rahmens, in
dem die Charaktere sich entfalten, bei der Abfassung eines Romans einen wesentlichen Teil der Arbeit aus. Ist es für einen eiligen Schreiber wie Balzac nicht ein Geschenk des Himmels, wenn er die Figuren in eine Umgebung stellen kann, die seine Leser ebenso gut kennen wie er selbst? Die balzacschen Restaurants sind nie erfunden, und sehr schnell reicht ein Name aus, um die jeweilige Szene zu beleuchten. Das Restaurant wird für Balzac ein unschätzbares Arbeitsinstrument.
Übersetzung: Grete Osterwald
Es gibt viele Gründe, nach Frankreich zu reisen: gotische Kathedralen, romanische Kirchen, Königsschlösser - lauter berühmte, reizvolle Sehenswürdigkeiten, aber der wahre Grund so mancher Tour de France ist doch die Jagd nach Sternen, den Michelin-Sternen, versteht sich. Historisch betrachtet ist das etwas Neues. Im achtzehnten Jahrhundert wäre niemand auf die Idee gekommen, einen Aufenthalt in Frankreich gastronomisch zu begründen. Man aß dort sehr schlecht. Gewiss, bei den hohen Adligen und den kultivierten Bürgern gab es vorzügliche Tafeln, so reich gedeckt, dass die Tischgesellschaft kaum ein Drittel der dargebotenen Pracht verzehrte - was übrig blieb, ging zuerst an die Dienerschaft, dann an die sogenannten »Auskratzer«, die auf Resteverwertung spezialisierten Höker. Aber die Fremden, die keine Freunde, kein Empfehlungsschreiben hatten, waren unangenehmen Gastwirten ausgeliefert und beklagten sich sowohl über die derbe Kost als auch über die Unbequemlichkeit der Unterkunft. Sie mussten sich mit dem begnügen, was ungefragt und meistens schlecht gekocht auf den Teller kam. In der Herberge zahlte man nicht für ein Gericht, sondern für das Recht, sich an den Gemeinschaftstisch zu setzen. Eine andere, kaum bessere Möglichkeit bestand darin, sich am Mittagstisch in einer Art Pension einzufinden, wo sich die angestammten Kostgänger zur festgelegten Zeit versammelten. Wenn ein Stuhl frei blieb, durfte der Fremde Platz nehmen, wenn nicht, musste er sein Glück anderswo versuchen. Angenehm war die Erfahrung nie. Nach den Schilderungen von Louis Sébastien Mercier, der uns in Mein Bild von Paris Einblick in die Verhältnisse des Jahres 1788 gibt, belagerten die Stammesser stets die Mitte des Tisches, wo die Hauptspeisen standen. Unermüdlich kauend machten sie sich darüber her und ließen nur Krümel für den armen Reisenden, der nie auf seine Kosten kam und sich obendrein ihr lärmendes und dämliches Geschwätz anhören musste. Der berühmte englische Agronom Arthur Young hat sich besonders über die aufgezwungene Nachbarschaft mit ungehobelten Tischgenossen beschwert.
Oft gab der Besucher auf und kaufte sich am Ende lieber eine Wurst oder eine Scheibe Schinken beim Metzger, oder er suchte sich einen Grillkoch, wo es Gebratenes gab, ein Kotelett, vielleicht einen Hähnchenflügel, und aß aus der Hand, in seinem Zimmer. Wenn er ein Ragout wollte, musste er sich an einen Speisewirt wenden. Die Zünfte machten den unterschiedlichen Gewerben strenge Vorschriften und legten genau fest, wer was verkaufen oder zubereiten durfte. Somit verbot
sich ein Restaurantbetrieb, wie wir ihn kennen, im Sinne eines Lokals, wo man an Einzeltischen eine selbst gewählte Mahlzeit essen kann und nur bezahlt, was man bestellt hat. Tatsächlich bezeichnete das französische Wort »restaurant« im achtzehnten Jahrhundert keinen Ort, sondern allgemein etwas Stärkendes, »Restaurierendes«, in fester wie in flüssiger Form: ein Glas Wein, einen Likör oder auch eine besonders konzentrierte Bouillon, fast ein Fleischextrakt.
Als dann um 1780 in Paris einige unklassifizierbare Gaststätten auftauchten, weder Herbergen noch Garküchen oder Mittagstische, sondern saubere, diskrete Etablissements, wo eine Dame allein sich an einen Tisch mit weißem Tischtuch setzen und eine Bouillon oder einen Salat bestellen konnte, nannte man sie Restaurants, weil sie nicht dazu bestimmt schienen, den großen Hunger zu stillen, sondern den Passanten lediglich ein »restaurant«, eine Stärkung, boten.
Das erste Restaurant dieser Art eröffnete in der Rue des Poulies, der heutigen Rue du Louvre, und wurde einige Jahre später ins Hôtel d'Aligre in der Rue SaintHonoré verlegt. Der Wirt, ein Suppenkoch namens Boulanger, servierte Geflügel im Salzbett, frische Eier und natürlich stark konzentrierte Fleischbrühe. Er durfte zwar keine Ragouts verkaufen, war aber nicht an die streng reglementierten Zeiten gebunden, die für Garköche und Mittagstische galten. Das Reizvolle an seinem Angebot bestand darin, dass man tagsüber, wenn man erschöpft war, bei ihm einkehren und etwas zu sich nehmen konnte. Einige experimentierfreudige Geister ahmten es ihm nach, aber zunächst sehr wenige. Vor 1789 gab es in Paris nur vier oder fünf derartige Lokale. Unter den Gästen des berühmtesten, des »Vacossin«, war auch Jean -Jacques Rousseau, der sein Essen dort als ein »Picknick« bezeichnete, was sich sowohl auf die leichte Kost wie auf die geteilte Rechnung bezog.
Neben allen großen Umwälzungen ließ die Revolution eine ganz neue gastronomische Landschaft in Paris entstehen. Es mag frivol erscheinen, sich in einer Zeit, die ganz im Zeichen der Gewalt und des Terrors stand, beherrscht von einem mörderischen Krieg und einer Hungersnot, welche 1794 ihren Höhepunkt erreichte, mit der Küche zu beschäftigen. Doch das unglaubliche Defilee an feinen Speisen, die täglich in die Gefängnisse geliefert wurden - die Verurteilten arrangierten sich mit Garköchen und Bäckern, deren Karten sie im Kerker herumreichten, um sich Fleisch und Pasteten bringen zu lassen -, die prunkvollen öffentlichen Festgelage und vor allem die Veränderungen der Esskultur, die einen neuen Markt hervorbrachten, sind Grund genug, diesem Thema Beachtung zu schenken.
Als der Fürst von Condé drei Tage nach dem Sturm auf die Bastille ins Exil floh, hinterließ er ein ganzes Heer von Küchenchefs, Bratköchen und Feinbäckern, die alle dem Befehl von Monsieur Robert unterstanden. Dieser zögerte nicht lange und gründete ein Restaurant,
das seinen Namen trug, das »Robert«, Rue de Richelieu Nummer 104, ein wirkliches Restaurant in unserem Sinne, mit großer Speisekarte, wo er anbieten konnte, was er wollte. Kurz zuvor waren die teilweise aus dem Mittelalter überkommenen Vorschriften endlich gelockert worden, was insbesondere diesen Neulingen, die sich Restaurateure nannten, zugutekam. Auch der oberste Küchenchef des Grafen von Provence - der als Bruder des Königs im Juni 1791 die Flucht ergriff- ließ nach der Abreise seines Dienstherrn keine Zeit verstreichen und eröffnete alsbald ein Restaurant in der Galerie de Valois am Palais-Royal, wo er seinen Gästen einen höchst luxuriösen Rahmen bot und eine Speisekarte, die schwer war wie ein Pflasterstein. Bald wurde das gesamte Viertel zum Treffpunkt der Feinschmecker. Und es gab ihrer genug.
Eine ganze Klasse bereicherte sich während der Revolution, aber wer wollte in diesen unruhigen Zeiten schon seine Reichtümer zur Schau stellen? Ein Haus mit großem Pomp zu führen, sich den Neidern oder Denunzianten auszusetzen war gefährlich. Besser, man lud ins Restaurant ein, empfing dort, wo abgeteilte Nischen oder Nebenräume sogar eine gewisse Diskretion ermöglichten. Und, wichtiger noch: Paris füllte sich mit Männern, die sich allein dort aufhielten, Abgeordneten der Versammlungen, Journalisten, Neugierigen, ausländischen Beobachtern. Ohne Bindungen in der Hauptstadt, mussten sie sich schließlich irgendwie ernähren und stürzten sich geradezu auf diese erfreulichen neuartigen Einrichtungen, wo es für jeden Geldbeutel und zu jeder Tageszeit etwas zu essen gab. Die Annehmlichkeiten dieses Angebots führten dazu, dass Restaurants in allen Vierteln nur so aus dem Boden schossen. Unter dem Konsulat und dem Ersten Kaiserreich nahm die Bewegung weiter zu, und als ein englischer Journalist, Francis Blagdon,1802 in das wieder friedliche Paris kam, um die Folgen von zehn Jahren Krieg und Revolution zu sehen, beschrieb er die Hauptstadt mit einem einzigen Wort: »Restaurants«. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Zahl auf etwa zweitausend geschätzt, aber dabei blieb es nicht. Unter der Restauration sprach man bereits von dreitausend. Die offenen Mittagstische allerdings waren größtenteils verschwunden oder hatten sich der neuen Mode angepasst. Die Wirte hatten dem Gastraum ein paar Einzeltische hinzugefügt und sich auf eine Auswahl an Speisen umgestellt. Im Zuge dieser Entwicklung änderten sich die Essenszeiten, mit einschneidenden Folgen für den gesamten Tagesablauf der Pariser.
Vor der Revolution hatte man in der guten Gesellschaft dreimal am Tag gegessen. Morgens, zwischen sechs und acht, etwas auf die Schnelle, gegen zwei Uhr mittags das »dîner« und abends, nach neun, wurde ein » souper« gereicht. Bauern und Arbeiter begnügten sich mit zwei Mahlzeiten. Das » souper« war den Privilegierten vorbehalten, denen, die zum Ball oder ins Theater gingen. Während der Revolution geriet das System aus
den Fugen: Die Herren, die zu früher Stunde in Paris ausschwärmten, um in den politischen Versammlungen, in Klubs oder Gesellschaften erregt zu debattieren, hatten gegen elf einen knurrenden Magen und setzten sich beglückt am späten Vormittag ins Restaurant, was sie nicht hinderte, um sechs Uhr abends erneut ihren Hunger zu stillen. Im Lauf der Zeit nahm das Mittagessen den Namen »déjeuner« an, im Unterschied zum Frühstück, dem »petit déjeuner«, und die letzte Mahlzeit des Tages wurde »dîner« genannt, während das »souper« in der Regel entfiel. Welch ein Glück für die Restaurants, die nun zweimal am Tag Hauptgerichte servieren konnten. Und welche Lust für Balzac, der sich, wie wir sehen werden, begeistert daranmacht, die gesellschaftlichen Aspekte der neuen Essenszeiten in all ihren Nuancen zu beleuchten und die Einführung des »déjeuner« zu feiern.
Als Balzac das Pariser Leben kennenlernt und seine Erziehung des Gaumens beginnt, geht das Kaiserreich gerade zu Ende. Während seines Aufenthalts im Schülerpensionat hatten ihn seine Eltern - genau wie die fiktiven Eltern des jungen Felix de Vandenesse - nie zum Essen in ein gutes Restaurant mitgenommen, aber seine verwöhnteren Kameraden werden untereinander wohl von solchen Festmahlen erzählt haben. Der zukünftige Romancier entdeckte die gastronomischen Möglichkeiten der Hauptstadt erst, als er sich einer Gruppe junger Schriftsteller anschloss, die für Auguste Le Poitevin und dessen Romanfabrik arbeiteten. Genau wie seine neuen Freunde machte sich Balzac daran, unter Pseudonym serienmäßig Unterhaltungsromane zu fabrizieren, verdiente damit seinen Lebensunterhalt und begann, Paris zu entdecken. Sein Eintritt in die Literatur erfolgte also 1818, unter der Restauration, und seine Karriere endete mit der Februarrevolution von 1848. Die Figuren der Menschlichen Komödie sind seine Zeitgenossen, ihr Leben entfaltet sich in den Jahren 1799 bis 1850, einer Zeit, da die Gastronomie kein Privileg mehr war, sondern ein zunehmend verbreiteter Genuss. Die Kleinbürger ergötzten sich an Pasteten und ließen Champagner fließen, die Studenten träumten von ihrem Leibgericht, Masthühnchen oder Fasan, das ihnen auf einer weißen Tischdecke serviert würde, die Arbeiter genossen ihren Milchkaffee. In den tausend Restaurants der Hauptstadt fand jeder etwas nach seinem Geschmack und nach seinem Geldbeutel.
Was für eine Fundgrube für einen Romancier, der wie Balzac vor allem ein Gesellschaftsmaler war und das große Tableau liebte. Seine Figuren sind selten allein: Sie reden viel zu gern, immer erpicht darauf, sich einander mitzuteilen. Aber natürlich brauchen sie einen Ort, wo sie sich treffen und lange Gespräche führen können. Kein Wunder, dass die große Epoche des französischen Romans mit der Geburt des Restaurants beginnt - hier verabredet man sich oder läuft sich über den Weg, hier
kommt beispielhaft zusammen, was durch den gesellschaftlichen Umbruch in Bewegung geraten ist. Das soll nicht heißen, der Salon hätte ausgedient. Er bleibt ein nützliches Instrument, um die Mechanismen einer geschlossenen Gesellschaft zu beschreiben, sei es der einer Herzogin, die alles von sich weist, was nicht zu ihrer Welt gehört, oder der einer Kleinbürgerin, die nichts anderes kennt als ihre eigene kleine Welt. Das Restaurant dagegen ist der ideale Ort für die Vermischung der unterschiedlichsten Menschen. Nur in einem Restaurant des ~uartier Latin können Personen wie der tugendhafte Künstler Daniel d'Arthez und der opportunistische, immer zu Späßen aufgelegte Journalist Lousteau zusammenfinden. Eine Einladung ins Restaurant verpflichtet aus mondäner Sicht zu nichts, und ein Herzog kann dort ein Souper veranstalten, bei dem Schriftsteller, Kurtisanen und Bankiers auf Tuchfühlung miteinander kommen. Umgekehrt akzeptieren der Herzog oder der Dichter umstandslos die Einladung des neureichen Seidenhändlers Cardot beziehungsweise die seines Sohnes, des ewig beschwipsten Notars. Man versammelt sich in aller Freiheit unter dem Zeichen der Kurtisane und dem Aushängeschild des Restaurants.
Hier darf man sich eine freundschaftliche Geste erlauben, hier bietet sich die Möglichkeit zu einem vertraulichen Gespräch. Wie könnte ein Diener leichter die Gunst eines Postboten gewinnen als durch die Einladung zu einem guten Essen? Henri de Marsay, der sich in Das Mädchen mit den Goldaugen Zutritt zum Haus der begehrten Unbekannten verschaffen will, trägt seinem Kammerdiener auf, sich ins Vertrauen des einfachen, aber womöglich hilfreichen Briefausträgers einzuschleichen. Mit einer Einladung zu ein paar Dutzend Austern mit einer Flasche Chablis und einem anschließenden Rinderfilet auf Champignons gelangt der Diener schnell ans Ziel; aber das Lokal, »Puits sans Vin«, an der Ecke Rue de la Chaussée-d'Antin und Rue Neuve-des-Mathurin, mitten im Geschäftsviertel gelegen, ist ein Restaurant der kleinen Leute, wo man das Déjeuner schon vor zehn Uhr bekommt.27
Eine Frau von Welt trifft ihren Liebhaber in einem eleganten Café. Nun hat der Romancier die Wahl, ob er das Pärchen öffentlich speisen lässt, die Intimität der beiden ungeniert zur Schau stellt, oder ob er ihnen ein Separee reserviert und die Dame allein oder gar durch eine zweite Tür eintreten lässt. Abgesehen davon - auch dies ein Vorteil für den Romancier - sind die Gäste im Saal eines Restaurants weniger auf der Hut als etwa im Salon, und sei es nur, weil im ersten mehr getrunken wird: daher die freimütigen Worte, die manchmal unbeherrschten Geständnisse und vor allem, dank der dünnen Scheidewände zwischen den abgeteilten Räumen, die Möglichkeit, Vertraulichkeiten aufzuschnappen. Der ganze Roman Das BankhausNucingen besteht aus einem beim Diner belauschten Gespräch.
Schließlich macht die Beschreibung des Rahmens, in
dem die Charaktere sich entfalten, bei der Abfassung eines Romans einen wesentlichen Teil der Arbeit aus. Ist es für einen eiligen Schreiber wie Balzac nicht ein Geschenk des Himmels, wenn er die Figuren in eine Umgebung stellen kann, die seine Leser ebenso gut kennen wie er selbst? Die balzacschen Restaurants sind nie erfunden, und sehr schnell reicht ein Name aus, um die jeweilige Szene zu beleuchten. Das Restaurant wird für Balzac ein unschätzbares Arbeitsinstrument.
Übersetzung: Grete Osterwald
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Autoren-Porträt von Anka Muhlstein
Anka Muhlstein, geb. 1935 in Paris, Historikerin und Autorin, lebt zusammen mit ihrem Mann, dem Romancier und Anwalt Louis Begley, seit 1974 in New York. 1996 wurde sie mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet.Grete Osterwald wurde 1947 in Bielefeld geboren und lebt als freie Übersetzerin aus dem Englischen und dem Französischen in Frankfurt am Main. Sie erhielt u. a. 2001 den Übersetzerpreis des Verlages C.H.Beck und 2007 den Wilhelm-Merton-Preis für ihr umfangreiches Gesamtwerk.
Bibliographische Angaben
- Autor: Anka Muhlstein
- 2011, 188 Seiten, Maße: 12,3 x 20 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Osterwald, Grete
- Übersetzer: Grete Osterwald
- Verlag: ARCHE VERLAG
- ISBN-10: 3716026107
- ISBN-13: 9783716026106
Kommentar zu "Die Austern des Monsieur Balzac"
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