Die Dirne und der Bischof
Roman
Würzburg, 1430: Die junge Elisabeth wird verletzt und ohne Gedächtnis gefunden. Die Eselswirtin pflegt sie gesund. Doch dafür verlangt sie von der jungen Frau, im Dirnenhaus zu arbeiten. Eines Tages ruft sie der Bischof zu sich und Elisabeths Erinnerung kehrt schlagartig zurück.
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Produktinformationen zu „Die Dirne und der Bischof “
Würzburg, 1430: Die junge Elisabeth wird verletzt und ohne Gedächtnis gefunden. Die Eselswirtin pflegt sie gesund. Doch dafür verlangt sie von der jungen Frau, im Dirnenhaus zu arbeiten. Eines Tages ruft sie der Bischof zu sich und Elisabeths Erinnerung kehrt schlagartig zurück.
Klappentext zu „Die Dirne und der Bischof “
Ein sinnlicher historischer Roman um eine faszinierende Frau im deutschen MittelalterWürzburg, 1430: Von ihren Verfolgern bewusstlos geschlagen und lebensgefährlich verletzt, wird die junge Elisabeth gerade noch rechtzeitig gefunden und in das nächst gelegene Haus gebracht. Am Leib genesen, aber ohne Gedächtnis, hat sie keine andere Wahl, als in ebendiesem Haus zu bleiben und zu arbeiten. Es ist das Dirnenhaus der Stadt. Mehr als ein Jahr wird sie dort verbringen, bis eines Tages der Landesherr, Bischof Johann von Brunn, die Dienste der schönen Dirne in Anspruch nehmen will. Elisabeth wird abgeholt und zum Bischofssitz gebracht, und dort kehren ihre Erinnerungen schlagartig zurück ...
Lese-Probe zu „Die Dirne und der Bischof “
Die Dirne und der Bischof von Ulrike SchweickertProlog
Nebel stieg vom Main her auf und hüllte den Fuß des Marienberges ein. Nur die Festung ragte noch aus dem Meer weiß wirbelnder Wogen und starrte aus
dunklen Fenstern über das weite Land Bischof Johanns II. von Brunn. Der Fluss, den die steinerne Brücke in weiten Bögen überspannte, schien verschwunden, und auch von der Vorstadt am Fuß des Berges mit seinen drei Klöstern und den Kirchtürmen war nichts mehr zu sehen.
Die beiden Männer fluchten. Sie zerrten den schweren Sack die Uferböschung hinauf und trugen ihn zwischen den im Nebel verschwimmenden Holzstapeln hinüber zur Pforte in der Stadtmauer. Normalerweise hätte sie um diese Zeit verschlossen sein müssen, doch nach einem kräftigen Stoß mit der Schulter schwang sie mit einem Quietschen zurück.
»Was hast du vor?«, flüsterte der Kleinere der beiden und lud sich mit einer Grimasse den Sack wieder auf die Schultern. »Was suchen wir hier?«
»Einen sicheren Ort für unsere Fracht. Schon vergessen?«, grummelte der andere.
»Nein, wie sollte ich das vergessen?«, schimpfte der Erste und rückte den Sack zurecht. »Aber warum haben wir sie nicht einfach in den Main geworfen? Ist das nicht der rechte Platz für so etwas?«
Der Größere spuckte auf den Boden und ging voran durch die nächtliche Gasse der Vorstadt. Er bemühte sich, leise aufzutreten, und ließ den Blick aufmerksam umherhuschen, um zu erkunden, ob nicht ein Licht oder ein Geräusch das Nahen der Scharwächter anzeigte.
»Der rechte Platz vielleicht schon, aber nicht das, was er sich vorstellt. Er hat gesagt, sie soll verschwinden – für immer verschwinden. Und er hat ganz genaue Anweisungen gegeben, wie das zu passieren hat! «
Der Kleinere
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mühte sich, mit ihm Schritt zu halten und in der Dunkelheit nicht zu stolpern.
»Und jetzt willst du sie vergraben, oder was?«, fragte er spöttisch und sah erstaunt, dass der andere nickte.
»Ja, die Toten gehören unter die Erde.«
»Du willst sie auf dem Kirchhof verscharren?«, fragte sein Begleiter ungläubig und sah zu dem vor ihnen aufragenden Turm von St. Gertraud hinüber, aber der andere ging ohne ein Wort zu sagen weiter. Sie passierten den Kirchhof, ohne dass der Größere anhielt. Die Bebauung wurde spärlicher. Gärten wechselten sich mit Hütten und Häusern ab. Zu ihrer Rechten konnten sie den Graben mit der Kürnach und dahinter die aufragende Stadtmauer erahnen, die die Vorstadt Pleichach vom alten Stadtkern trennte. Da ging dem Kleineren ein Licht auf.
»Du willst sie zwischen den Juden verscharren! Hat er das befohlen?« Er pfiff leise durch die Zähne. »Er muss sie gehasst haben. Dagegen wäre ein Grab draußen zwischen den Weinbergen gnädig!«
Der andere nickte und ließ den Sack zu Boden gleiten. »Wir sollten sie vorher ausziehen. Sicher ist sicher.«
Er zog seinen Dolch vom Gürtel und schlitzte den Sack auf. Grob riss er an den Gewändern. Der Kleine half ihm.
»Du machst ja die Kleider kaputt«, schimpfte er. »So können wir sie nicht mal mehr verkaufen.«
»Verkaufen? Dummer Kerl! Willst du dein eigenes Grab schaufeln? Wir werden sie verbrennen!«
Bevor der andere etwas erwidern konnte, ließ ein Geräusch die beiden Männer herumfahren. Ein Lichtschein näherte sich von der Kirche her, und sie ahnten den Klang von Schritten.
Der Große fluchte lästerlich und sah sich gehetzt um. Dann packte er den nackten, weiblichen Körper und warf ihn über die Böschung, dass er bis in das trübe Wasser der Kürnach hinunterrollte. Ohne zu zögern raffte er Kleider und Sack zusammen und rannte geduckt über den alten Judenfriedhof davon. Der andere folgte ihm. Sie liefen bis ins Hauger Viertel hinüber und ließen sich dann schwer atmend in einem Garten ins dichte Gebüsch fallen. Eine Weile lauschten sie ängstlich, konnten aber nichts hören, was nicht zu den gewohnten Geräu schen der Nacht gehörte.
Nach einer Weile wagte der Kleinere die Stille zu durchbrechen. »Ich glaube, die Scharwächter haben uns nicht gesehen.«
»Hoffentlich nicht«, erwiderte der andere und fluchte noch einmal.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sein Begleiter unsicher, nachdem sie wieder eine ganze Weile geschwiegen hatten. Er kratzte sich. Ein Büschel Nesseln hatte ihm die nackten Waden verbrannt.
»Was wohl? Wir gehen zurück und sagen, dass wir den Auftrag wie befohlen ausgeführt haben. Dann nehmen wir unseren Beutel und sehen zu, dass wir lange Zeit dem Würzburger Land nicht mehr zu nahe kommen.«
»Wir begraben sie nicht auf dem Judenfriedhof?«, wagte der Kleinere nachzuhaken und rückte ein Stück von den Nesseln weg.
»Hast du nicht gesehen? Ich habe sie in die Kürnach gestoßen! Meinst du, ich taste nun im Schlamm nach einer Leiche, bis mich die Scharwächter herausziehen und mir ein schönes Quartier in einem der Türme anbieten? Nein! Der Körper wird dort im Schlamm verrotten. Und wenn nicht, dann finden sie ihn erst, wenn wir schon weit weg sind. Wir haben unseren Teil getan, und wir werden uns unseren Lohn dafür holen.«
»Du hast also nicht vor, von unserem ... äh ... Missgeschick zu berichten?«
Der Große schnaubte durch die Nase. »Hältst du mich für dämlich? Ich hänge am Leben und will es noch eine Weile genießen! Und das werde ich – und du auch, wenn wir uns nicht ganz dumm anstellen.«
»Möge Sankt Kilian geben, dass du recht behältst!«, seufzte der Kleine und bekreuzigte sich.
Der Große lachte rau. »Seit wann ist Sankt Kilian der Schutzherr der Taugenichtse und Mörder?«
»Ich bin kein Mörder!«, widersprach der Kleine, »und du auch nicht.«
»Nein«, stimmte ihm sein Begleiter zu, während sie auf die unbewachte Pforte zugingen, die sie aus der Stadt brachte. »Manches Mal kann man das den feinen Wamsträgern überlassen.«
Der Kleinere wandte sich noch einmal um und sah in die Richtung, in der irgendwo der Bach an den alten Judengräbern vorbeifloss. Er bekreuzigte sich. »Die Kürnach hat sie verschlungen. Möge der Herr ihrer Seele gnädig sein«, flüsterte er.
Er irrte sich in zwei Dingen. Erstens hatte die Kürnach den Körper nicht verschlungen. Er war an einem der zahlreichen Querdämme hängen geblieben, die das Wasser des Baches auf stauten, sodass der gesamte Graben um die Stadt bis zum Main hinunter stets mit Wasser gefüllt war. So ragte der weiße Frauenleib nun halb aus dem Wasser. Nur die Beine und einer der Arme waren von der schlammigen Flut bedeckt. Und zweitens war die Frau nicht tot. Noch war ihre Seele nicht von ihr gewichen. Auch wenn sie schon stundenlang durch die Tiefen der Finsternis taumelte.
Und in noch einem Punkt hatten sich die beiden Männer mit ihrer verbotenen Last geirrt: Es war nicht die Scharwache gewesen, die sie aufgescheucht und bei ihrem Auftrag gestört hatte.
Kapitel 1
Wilhelm, was ist denn nun schon wieder? «, rief der Mann mit schwerer Zunge, schob sich den Hut in den Nacken, der schon wieder in seine Stirn
gerutscht war, und blieb schwankend auf unsicheren Beinen stehen.
»Ich muss pissen«, rief der Kumpan zurück, der auf die Böschung der Kürnach zustakste. Er war offensichtlich genauso betrunken wie der andere, der nun den Kienspan etwas höher hielt.
»Muss das hier sein? Das kannst du auch hinter der Eselsstube machen. Ich will endlich etwas trinken, und ich will ein Weib!«
Wilhelm kicherte. »Erstens hast du schon genug getrun - ken – ich übrigens auch«, er rülpste vernehmlich, »zweitens kriegst du eh keinen mehr hoch, und drittens muss ich jetzt pissen, sonst passt nichts mehr in mich rein!« Er nestelte an seinen Hosen.
»Robert, komm her, und leuchte mir! «, befahl er.
Der Gerufene schwankte heran. »Zu Befehl, mein Hauptmann«, lallte er und lachte.
Wilhelm ließ sein Wams sinken und vergaß den Druck auf seiner Blase. Seine Stimme hörte sich fast nüchtern an. »Leuchte mal dort drüben. Was ist das?« Gehorsam ging Robert ein paar Schritte in die ihm gewiesene Richtung. Der Feuer schein der Fackel wanderte über den Boden und erhellte kniehohes Unkraut, kleine Büsche und so manchen Unrat. Als der Feuerschein ihn nicht mehr blendete, hieß Wilhelm seinen Freund stehen bleiben. Er betrachtete das niedergedrückte
Gras, das sich bereits wieder aufzurichten begann. Sein Blick wanderte über das Unkraut die Böschung hinunter, wo etwas Großes, Helles aus dem Wasser ragte. Er ließ es nicht aus den Augen, während er langsam näher trat. Nach und nach erfasste er einen Bauch, zwei feste Brüste und einen Arm, der sich um den Kopf gelegt hatte, der von langem, honigblondem Haar verhüllt wurde.
»Ein Weib«, stotterte Robert und starrte auf den Körper hinunter. »Ein junges Weib.«
Wilhelm trat noch ein Stück näher. »Ja, und wie es scheint, ein junges, totes Weib.«
Robert wich zurück. »Mir sind sie lebendig lieber. Komm, lass uns gehen. Im Eselshaus ist es warm und lustig, und wir bekommen was zu trinken.«
Doch Wilhelm hörte nicht auf ihn, sondern stieg die Böschung hinunter, bis seine Schuhspitzen vom schlammigen Wasser umspült wurden. Er ging in die Hocke und schob mit dem Zeigefinger die blonden Locken zur Seite.
»Ein hübsches, junges, totes Weib«, sagte er.
»Das nützt jetzt auch nichts mehr«, erwiderte sein Freund und schwenkte die Fackel. »Also, komm jetzt!«
Wilhelm ignorierte das Drängen. »Seltsam«, murmelte er, »wa rum liegt sie hier?«
Rudolf seufzte und kam nun auch die Böschung herunter. »Vermutlich, weil sie hier gestorben ist«, sagte er. »Warum auch sonst? Und nun lass sie. Vielleicht war es das Fieber oder die Pest! Also rühr sie um Gottes willen nicht an. «
»Und wo sind ihre Kleider?«, wollte Wilhelm wissen.
Robert hob die Schultern und ließ sie dann wieder fallen. »Woher soll ich das wissen?« Er sah sich suchend um. »Hier sind sie jedenfalls nicht. Vielleicht hat sie sich vorher ausgezogen, oder jemand anderes hat es getan und die Kleider mitgenommen.«
»Genau!«, rief sein Freund. »Jedenfalls wird sie sich kaum selbst ausgezogen und zum Sterben hierher gelegt haben!«
Roberts Gesicht zeigte Unbehagen. »Aber dann ist das vielleicht eine Sache für den Schultheiß und den Rat. Ganz sicher geht es uns nichts an.« Er begann die Böschung wieder zu erklimmen. »Und nun komm! Mein schöner Rausch ist schon fast verflogen, weil du so rücksichtslos bist, mich mit toten Leichen zu belästigen. Dafür bist du mir einmal huren und einen Humpen Wein schuldig.« Er drehte sich um und grinste seinen Freund entwaffnend an. »Ich habe eh keine einzige Münze mehr, mit der ich bezahlen könnte – und du bist schließlich mein Freund und kannst nicht zulassen, dass ich darben muss, während du dich deinen Freuden hingibst.«
»Du bist ein Schuft, Robert, ein ganz hinterhältiger Schuft!«, schimpfte Wilhelm, erhob sich und betrachtete seine nun schlammigen Schuhspitzen mit einem Seufzer. Sein Freund lachte gackernd.
»Du wirst es mir nicht abschlagen. Das kannst du gar nicht!«, bettelte er sehnsuchtsvoll.
»Vermutlich sollte ich das aber«, begann Wilhelm und brach dann mitten im Satz ab. Er stützte die Handflächen auf die Oberschenkel und beugte sich nach vorn.
»Was ist? «
»Komm näher, ich brauche Licht!«
Robert schüttelte übertrieben heftig den Kopf. »Nein, nein, nein«, quengelte er. »Ich mag keine Leichen.«
»Nein, da ist etwas, dort im Wasser. Es glitzert wie Gold!« Schon stand Robert an seiner Seite.
»Wo? Ich kann nichts erkennen.« Er beugte sich herab und ließ den Schein der Fackel übers Wasser gleiten.
Wilhelm ließ es zu, dass der Schlamm sich noch einmal schmatzend an seine Sohlen saugte. »Da drüben, ein wenig weiter nach links!«
»Ja, nun sehe ich es! «, jauchzte Robert. Ohne auf Beinlinge und Schuhe Rücksicht zu nehmen, watete er zwei Schritte ins Wasser, bückte sich und angelte eine goldene Kette an die Ober fläche, an deren Ende ein flaches, ovales Medaillon hing.
Ein tropfenförmiger Rubin, der von einem Ring kleiner Perlen umgeben war, glitzerte im Flammenschein. Robert pfiff durch die Zähne.
»Dann ist heute ja doch mein Glückstag!« Feierlich reckte er sich und zog das Wams über seiner Brust glatt.
»Mein Freund, ich spendiere dir heute so viele Huren, wie du schaffen kannst.«
Wilhelm feixte. »Ich denke, die alte Frauenhauswirtin hat nur sechs Mädchen im Angebot.«
Robert schnaubte. »Ach, und du meinst, du könntest die alle bedienen? Noch heute Nacht? In deinem Zustand?«
Der Freund sah ihn empört an. »Was soll das heißen, in meinem Zustand? Ich bin wieder völlig nüchtern und im Besitz all meiner Kräfte.«
Robert lachte hell auf und hakte sich bei ihm unter. »Dann will ich aber was sehen!«
Sie hatten den bleichen Körper dort am Ufer bereits vergessen, noch ehe sie sich zwei Schritte von ihm entfernt hatten, als ein leises Seufzen und eine Bewegung, die er im Augenwinkel erhaschte, Wilhelm innehalten ließen.
»Hast du eben den Seufzer getan?«
Robert schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollte ich? Obwohl, warum nicht? Aus Vorfreude auf die Brüste, die ich gleich zwischen den Fingern haben werde?«
»Blödsinn!«, fauchte Wilhelm und drehte sich zögernd um. Er starrte auf den weißen Frauenkörper, der still und bewegungslos halb im Wasser lag. Er hatte sich getäuscht. Natürlich hatte er sich getäuscht! Leichen seufzten und bewegten sich nicht. Erleichterung durchflutete ihn, aber noch ehe er sich abwenden konnte, zuckte der Leib und warf einen Ring kleiner Wellen auf, die sich träge nach allen Seiten ausbreiteten. Auch Robert hatte die Bewegung gesehen.
»Meinst du, die lebt etwa noch?«
Zögernd beugte sich Wilhelm herab und legte seine Hand an ihren Hals. Die Haut unter seinen Fingern war kalt, aber er konnte deutlich ein Pochen im Innern spüren. Und dann zuck - ten ihre Lippen, und ein zweiter Seufzer entwich in die Nacht. »Ja, sie lebt!«, verkündete Wilhelm.
»Und was machen wir nun mit ihr?«, fragte Robert. »Ich kenne mich da nicht aus. Ich habe noch nicht allzu viele nackte Weiber im Stadtgraben gefunden.«
Wilhelm kaute auf seiner Lippe. »Vermutlich wäre es richtig, den Schultheiß zu holen oder zumindest die Scharwächter. «
Robert, der die Freuden der Nacht schwinden sah, seufzte tief. »Ade, du lustiges Frauenhaus«, lamentierte er, dann ruckte sein Kopf nach oben. »Glaubst du, dass sie eins der Mädchen der alten Eselswirtin ist? Das würde alles erklären. Sie ist mit einem Besucher hinausgegangen – und dann wurde sie ohnmächtig, und er bekam es mit der Angst zu tun, weil er dachte, sie wäre tot. Und dann hat er sie hier liegen lassen und sich davongemacht.« Er strahlte. »Na, wie habe ich das Rätsel gelöst?«
Wilhelm wiegte den Kopf hin und her. »Das wäre eine Möglichkeit. Dann sollten wir sie zurückbringen. Die Buhle-rin wird schon wissen, was mit ihr zu tun ist. « Wilhelm packte die beiden Handgelenke. »Los, fass mit an! «
Froh, dass sie nun doch noch zum Frauenhaus gingen, fasste Robert die Beine der Bewusstlosen und half seinem Freund, sie die Böschung hinaufzutragen. Die Vorstadt lag in der Dunkelheit der Nacht, doch aus dem niederen Haus vor der Mauer, die den Judenfriedhof begrenzte, drang trübes Licht durch die Pergamentscheiben. Die beiden Männer schleppten die junge Frau auf das Frauenhaus zu. Zweimal stolperten sie, und einmal rutschte ihnen der Körper gar aus den Händen und fiel auf den mit Unkraut bedeckten Boden, aber die Frau erwachte nicht. Nicht einmal ein Stöhnen entrang sich ihren Lippen. Sie schien dem Tod näher als dem Leben.
© der Originalausgabe 2008 by Blanvalet Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Und jetzt willst du sie vergraben, oder was?«, fragte er spöttisch und sah erstaunt, dass der andere nickte.
»Ja, die Toten gehören unter die Erde.«
»Du willst sie auf dem Kirchhof verscharren?«, fragte sein Begleiter ungläubig und sah zu dem vor ihnen aufragenden Turm von St. Gertraud hinüber, aber der andere ging ohne ein Wort zu sagen weiter. Sie passierten den Kirchhof, ohne dass der Größere anhielt. Die Bebauung wurde spärlicher. Gärten wechselten sich mit Hütten und Häusern ab. Zu ihrer Rechten konnten sie den Graben mit der Kürnach und dahinter die aufragende Stadtmauer erahnen, die die Vorstadt Pleichach vom alten Stadtkern trennte. Da ging dem Kleineren ein Licht auf.
»Du willst sie zwischen den Juden verscharren! Hat er das befohlen?« Er pfiff leise durch die Zähne. »Er muss sie gehasst haben. Dagegen wäre ein Grab draußen zwischen den Weinbergen gnädig!«
Der andere nickte und ließ den Sack zu Boden gleiten. »Wir sollten sie vorher ausziehen. Sicher ist sicher.«
Er zog seinen Dolch vom Gürtel und schlitzte den Sack auf. Grob riss er an den Gewändern. Der Kleine half ihm.
»Du machst ja die Kleider kaputt«, schimpfte er. »So können wir sie nicht mal mehr verkaufen.«
»Verkaufen? Dummer Kerl! Willst du dein eigenes Grab schaufeln? Wir werden sie verbrennen!«
Bevor der andere etwas erwidern konnte, ließ ein Geräusch die beiden Männer herumfahren. Ein Lichtschein näherte sich von der Kirche her, und sie ahnten den Klang von Schritten.
Der Große fluchte lästerlich und sah sich gehetzt um. Dann packte er den nackten, weiblichen Körper und warf ihn über die Böschung, dass er bis in das trübe Wasser der Kürnach hinunterrollte. Ohne zu zögern raffte er Kleider und Sack zusammen und rannte geduckt über den alten Judenfriedhof davon. Der andere folgte ihm. Sie liefen bis ins Hauger Viertel hinüber und ließen sich dann schwer atmend in einem Garten ins dichte Gebüsch fallen. Eine Weile lauschten sie ängstlich, konnten aber nichts hören, was nicht zu den gewohnten Geräu schen der Nacht gehörte.
Nach einer Weile wagte der Kleinere die Stille zu durchbrechen. »Ich glaube, die Scharwächter haben uns nicht gesehen.«
»Hoffentlich nicht«, erwiderte der andere und fluchte noch einmal.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte sein Begleiter unsicher, nachdem sie wieder eine ganze Weile geschwiegen hatten. Er kratzte sich. Ein Büschel Nesseln hatte ihm die nackten Waden verbrannt.
»Was wohl? Wir gehen zurück und sagen, dass wir den Auftrag wie befohlen ausgeführt haben. Dann nehmen wir unseren Beutel und sehen zu, dass wir lange Zeit dem Würzburger Land nicht mehr zu nahe kommen.«
»Wir begraben sie nicht auf dem Judenfriedhof?«, wagte der Kleinere nachzuhaken und rückte ein Stück von den Nesseln weg.
»Hast du nicht gesehen? Ich habe sie in die Kürnach gestoßen! Meinst du, ich taste nun im Schlamm nach einer Leiche, bis mich die Scharwächter herausziehen und mir ein schönes Quartier in einem der Türme anbieten? Nein! Der Körper wird dort im Schlamm verrotten. Und wenn nicht, dann finden sie ihn erst, wenn wir schon weit weg sind. Wir haben unseren Teil getan, und wir werden uns unseren Lohn dafür holen.«
»Du hast also nicht vor, von unserem ... äh ... Missgeschick zu berichten?«
Der Große schnaubte durch die Nase. »Hältst du mich für dämlich? Ich hänge am Leben und will es noch eine Weile genießen! Und das werde ich – und du auch, wenn wir uns nicht ganz dumm anstellen.«
»Möge Sankt Kilian geben, dass du recht behältst!«, seufzte der Kleine und bekreuzigte sich.
Der Große lachte rau. »Seit wann ist Sankt Kilian der Schutzherr der Taugenichtse und Mörder?«
»Ich bin kein Mörder!«, widersprach der Kleine, »und du auch nicht.«
»Nein«, stimmte ihm sein Begleiter zu, während sie auf die unbewachte Pforte zugingen, die sie aus der Stadt brachte. »Manches Mal kann man das den feinen Wamsträgern überlassen.«
Der Kleinere wandte sich noch einmal um und sah in die Richtung, in der irgendwo der Bach an den alten Judengräbern vorbeifloss. Er bekreuzigte sich. »Die Kürnach hat sie verschlungen. Möge der Herr ihrer Seele gnädig sein«, flüsterte er.
Er irrte sich in zwei Dingen. Erstens hatte die Kürnach den Körper nicht verschlungen. Er war an einem der zahlreichen Querdämme hängen geblieben, die das Wasser des Baches auf stauten, sodass der gesamte Graben um die Stadt bis zum Main hinunter stets mit Wasser gefüllt war. So ragte der weiße Frauenleib nun halb aus dem Wasser. Nur die Beine und einer der Arme waren von der schlammigen Flut bedeckt. Und zweitens war die Frau nicht tot. Noch war ihre Seele nicht von ihr gewichen. Auch wenn sie schon stundenlang durch die Tiefen der Finsternis taumelte.
Und in noch einem Punkt hatten sich die beiden Männer mit ihrer verbotenen Last geirrt: Es war nicht die Scharwache gewesen, die sie aufgescheucht und bei ihrem Auftrag gestört hatte.
Kapitel 1
Wilhelm, was ist denn nun schon wieder? «, rief der Mann mit schwerer Zunge, schob sich den Hut in den Nacken, der schon wieder in seine Stirn
gerutscht war, und blieb schwankend auf unsicheren Beinen stehen.
»Ich muss pissen«, rief der Kumpan zurück, der auf die Böschung der Kürnach zustakste. Er war offensichtlich genauso betrunken wie der andere, der nun den Kienspan etwas höher hielt.
»Muss das hier sein? Das kannst du auch hinter der Eselsstube machen. Ich will endlich etwas trinken, und ich will ein Weib!«
Wilhelm kicherte. »Erstens hast du schon genug getrun - ken – ich übrigens auch«, er rülpste vernehmlich, »zweitens kriegst du eh keinen mehr hoch, und drittens muss ich jetzt pissen, sonst passt nichts mehr in mich rein!« Er nestelte an seinen Hosen.
»Robert, komm her, und leuchte mir! «, befahl er.
Der Gerufene schwankte heran. »Zu Befehl, mein Hauptmann«, lallte er und lachte.
Wilhelm ließ sein Wams sinken und vergaß den Druck auf seiner Blase. Seine Stimme hörte sich fast nüchtern an. »Leuchte mal dort drüben. Was ist das?« Gehorsam ging Robert ein paar Schritte in die ihm gewiesene Richtung. Der Feuer schein der Fackel wanderte über den Boden und erhellte kniehohes Unkraut, kleine Büsche und so manchen Unrat. Als der Feuerschein ihn nicht mehr blendete, hieß Wilhelm seinen Freund stehen bleiben. Er betrachtete das niedergedrückte
Gras, das sich bereits wieder aufzurichten begann. Sein Blick wanderte über das Unkraut die Böschung hinunter, wo etwas Großes, Helles aus dem Wasser ragte. Er ließ es nicht aus den Augen, während er langsam näher trat. Nach und nach erfasste er einen Bauch, zwei feste Brüste und einen Arm, der sich um den Kopf gelegt hatte, der von langem, honigblondem Haar verhüllt wurde.
»Ein Weib«, stotterte Robert und starrte auf den Körper hinunter. »Ein junges Weib.«
Wilhelm trat noch ein Stück näher. »Ja, und wie es scheint, ein junges, totes Weib.«
Robert wich zurück. »Mir sind sie lebendig lieber. Komm, lass uns gehen. Im Eselshaus ist es warm und lustig, und wir bekommen was zu trinken.«
Doch Wilhelm hörte nicht auf ihn, sondern stieg die Böschung hinunter, bis seine Schuhspitzen vom schlammigen Wasser umspült wurden. Er ging in die Hocke und schob mit dem Zeigefinger die blonden Locken zur Seite.
»Ein hübsches, junges, totes Weib«, sagte er.
»Das nützt jetzt auch nichts mehr«, erwiderte sein Freund und schwenkte die Fackel. »Also, komm jetzt!«
Wilhelm ignorierte das Drängen. »Seltsam«, murmelte er, »wa rum liegt sie hier?«
Rudolf seufzte und kam nun auch die Böschung herunter. »Vermutlich, weil sie hier gestorben ist«, sagte er. »Warum auch sonst? Und nun lass sie. Vielleicht war es das Fieber oder die Pest! Also rühr sie um Gottes willen nicht an. «
»Und wo sind ihre Kleider?«, wollte Wilhelm wissen.
Robert hob die Schultern und ließ sie dann wieder fallen. »Woher soll ich das wissen?« Er sah sich suchend um. »Hier sind sie jedenfalls nicht. Vielleicht hat sie sich vorher ausgezogen, oder jemand anderes hat es getan und die Kleider mitgenommen.«
»Genau!«, rief sein Freund. »Jedenfalls wird sie sich kaum selbst ausgezogen und zum Sterben hierher gelegt haben!«
Roberts Gesicht zeigte Unbehagen. »Aber dann ist das vielleicht eine Sache für den Schultheiß und den Rat. Ganz sicher geht es uns nichts an.« Er begann die Böschung wieder zu erklimmen. »Und nun komm! Mein schöner Rausch ist schon fast verflogen, weil du so rücksichtslos bist, mich mit toten Leichen zu belästigen. Dafür bist du mir einmal huren und einen Humpen Wein schuldig.« Er drehte sich um und grinste seinen Freund entwaffnend an. »Ich habe eh keine einzige Münze mehr, mit der ich bezahlen könnte – und du bist schließlich mein Freund und kannst nicht zulassen, dass ich darben muss, während du dich deinen Freuden hingibst.«
»Du bist ein Schuft, Robert, ein ganz hinterhältiger Schuft!«, schimpfte Wilhelm, erhob sich und betrachtete seine nun schlammigen Schuhspitzen mit einem Seufzer. Sein Freund lachte gackernd.
»Du wirst es mir nicht abschlagen. Das kannst du gar nicht!«, bettelte er sehnsuchtsvoll.
»Vermutlich sollte ich das aber«, begann Wilhelm und brach dann mitten im Satz ab. Er stützte die Handflächen auf die Oberschenkel und beugte sich nach vorn.
»Was ist? «
»Komm näher, ich brauche Licht!«
Robert schüttelte übertrieben heftig den Kopf. »Nein, nein, nein«, quengelte er. »Ich mag keine Leichen.«
»Nein, da ist etwas, dort im Wasser. Es glitzert wie Gold!« Schon stand Robert an seiner Seite.
»Wo? Ich kann nichts erkennen.« Er beugte sich herab und ließ den Schein der Fackel übers Wasser gleiten.
Wilhelm ließ es zu, dass der Schlamm sich noch einmal schmatzend an seine Sohlen saugte. »Da drüben, ein wenig weiter nach links!«
»Ja, nun sehe ich es! «, jauchzte Robert. Ohne auf Beinlinge und Schuhe Rücksicht zu nehmen, watete er zwei Schritte ins Wasser, bückte sich und angelte eine goldene Kette an die Ober fläche, an deren Ende ein flaches, ovales Medaillon hing.
Ein tropfenförmiger Rubin, der von einem Ring kleiner Perlen umgeben war, glitzerte im Flammenschein. Robert pfiff durch die Zähne.
»Dann ist heute ja doch mein Glückstag!« Feierlich reckte er sich und zog das Wams über seiner Brust glatt.
»Mein Freund, ich spendiere dir heute so viele Huren, wie du schaffen kannst.«
Wilhelm feixte. »Ich denke, die alte Frauenhauswirtin hat nur sechs Mädchen im Angebot.«
Robert schnaubte. »Ach, und du meinst, du könntest die alle bedienen? Noch heute Nacht? In deinem Zustand?«
Der Freund sah ihn empört an. »Was soll das heißen, in meinem Zustand? Ich bin wieder völlig nüchtern und im Besitz all meiner Kräfte.«
Robert lachte hell auf und hakte sich bei ihm unter. »Dann will ich aber was sehen!«
Sie hatten den bleichen Körper dort am Ufer bereits vergessen, noch ehe sie sich zwei Schritte von ihm entfernt hatten, als ein leises Seufzen und eine Bewegung, die er im Augenwinkel erhaschte, Wilhelm innehalten ließen.
»Hast du eben den Seufzer getan?«
Robert schüttelte den Kopf. »Nein, warum sollte ich? Obwohl, warum nicht? Aus Vorfreude auf die Brüste, die ich gleich zwischen den Fingern haben werde?«
»Blödsinn!«, fauchte Wilhelm und drehte sich zögernd um. Er starrte auf den weißen Frauenkörper, der still und bewegungslos halb im Wasser lag. Er hatte sich getäuscht. Natürlich hatte er sich getäuscht! Leichen seufzten und bewegten sich nicht. Erleichterung durchflutete ihn, aber noch ehe er sich abwenden konnte, zuckte der Leib und warf einen Ring kleiner Wellen auf, die sich träge nach allen Seiten ausbreiteten. Auch Robert hatte die Bewegung gesehen.
»Meinst du, die lebt etwa noch?«
Zögernd beugte sich Wilhelm herab und legte seine Hand an ihren Hals. Die Haut unter seinen Fingern war kalt, aber er konnte deutlich ein Pochen im Innern spüren. Und dann zuck - ten ihre Lippen, und ein zweiter Seufzer entwich in die Nacht. »Ja, sie lebt!«, verkündete Wilhelm.
»Und was machen wir nun mit ihr?«, fragte Robert. »Ich kenne mich da nicht aus. Ich habe noch nicht allzu viele nackte Weiber im Stadtgraben gefunden.«
Wilhelm kaute auf seiner Lippe. »Vermutlich wäre es richtig, den Schultheiß zu holen oder zumindest die Scharwächter. «
Robert, der die Freuden der Nacht schwinden sah, seufzte tief. »Ade, du lustiges Frauenhaus«, lamentierte er, dann ruckte sein Kopf nach oben. »Glaubst du, dass sie eins der Mädchen der alten Eselswirtin ist? Das würde alles erklären. Sie ist mit einem Besucher hinausgegangen – und dann wurde sie ohnmächtig, und er bekam es mit der Angst zu tun, weil er dachte, sie wäre tot. Und dann hat er sie hier liegen lassen und sich davongemacht.« Er strahlte. »Na, wie habe ich das Rätsel gelöst?«
Wilhelm wiegte den Kopf hin und her. »Das wäre eine Möglichkeit. Dann sollten wir sie zurückbringen. Die Buhle-rin wird schon wissen, was mit ihr zu tun ist. « Wilhelm packte die beiden Handgelenke. »Los, fass mit an! «
Froh, dass sie nun doch noch zum Frauenhaus gingen, fasste Robert die Beine der Bewusstlosen und half seinem Freund, sie die Böschung hinaufzutragen. Die Vorstadt lag in der Dunkelheit der Nacht, doch aus dem niederen Haus vor der Mauer, die den Judenfriedhof begrenzte, drang trübes Licht durch die Pergamentscheiben. Die beiden Männer schleppten die junge Frau auf das Frauenhaus zu. Zweimal stolperten sie, und einmal rutschte ihnen der Körper gar aus den Händen und fiel auf den mit Unkraut bedeckten Boden, aber die Frau erwachte nicht. Nicht einmal ein Stöhnen entrang sich ihren Lippen. Sie schien dem Tod näher als dem Leben.
© der Originalausgabe 2008 by Blanvalet Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Ulrike Schweikert
Schweikert, UlrikeUlrike Schweikert arbeitete nach einer Banklehre als Wertpapierhändlerin und studierte Geologie und Journalismus. Seit ihrem fulminanten Romandebüt »Die Tochter des Salzsieders« ist sie eine der erfolgreichsten deutschen Autorinnen historischer Romane. Ihr Markenzeichen sind faszinierende, lebensnahe Heldinnen, was sie in in ihren Romanen um La Caminata erneut unter Beweis stellt. Ulrike Schweikert lebt und schreibt in der Nähe von Stuttgart.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ulrike Schweikert
- 2010, 448 Seiten, Maße: 12,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442374537
- ISBN-13: 9783442374533
- Erscheinungsdatum: 12.04.2010
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