Die Euro-Lügner
Unsinnige Rettungspakete, vertuschte Risiken - So werden wir getäuscht
Wer sind die Politiker, die das Festhalten am Euro um jeden Preis und den Euro-Rettungsschirm als alternativlose Heilsbringer propagieren? Sind die selbst von ihren Botschaften überzeugt? Und was ist ihre wahre Agenda? Hans-Olaf Henkel über die...
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Produktinformationen zu „Die Euro-Lügner “
Wer sind die Politiker, die das Festhalten am Euro um jeden Preis und den Euro-Rettungsschirm als alternativlose Heilsbringer propagieren? Sind die selbst von ihren Botschaften überzeugt? Und was ist ihre wahre Agenda? Hans-Olaf Henkel über die eklatantesten Schwachstellen der Euro-Rettungspolitik.
Klappentext zu „Die Euro-Lügner “
Das Debatten-Buch gegen das Märchen von der Alternativlosigkeit der Euro-Rettung, die präziseste Analyse der KriseWer sind die Politiker, die das Festhalten am Euro um jeden Preis und den Euro-Rettungsschirm als alternativlosen Heilsbringer propagieren? Sind sie selber von ihren Botschaften überzeugt? Was ist ihre wahre Agenda? Hans-Olaf Henkel macht es sich zur Aufgabe, den Finger auf die eklatanten Schwachstellen der Euro-Rettungspolitik zu legen, ihre Risiken klar zu identifizieren und mutige Wege aus der Krise zu suchen. Vor allem aber nennt er endlich die beim Namen, die uns über die wahren Gefahren zu täuschen versuchen, die durch das Klammern an die Währungs-Union drohen. Er nutzt seine persönlichen Einblicke hinter die Kulissen der europäischen Finanzpolitik, um ein klares Bild von Täuschung und Wahrheit zu zeichnen und um aufzuzeigen: Es ist noch nicht zu spät, um sich von Propaganda und Wunschdenken freizumachen und neue Wege zu gehen.
Lese-Probe zu „Die Euro-Lügner “
Die Euro-Lügner von Hans-Olaf HenkelVORWORT
Von Lügnern und Fantasten
Wir sind zum Glück ein freies Land. Die Welt bewundert uns für unseren Wohlstand und unsere Liberalität. Auch für die Meinungsfreiheit, die bei uns herrscht. Zu Recht sind wir stolz auf diese Errungenschaft der Demokratie, die uns über jene Staatsformen erhebt, in denen man das, was von der offiziellen Sicht abweicht, nicht offen sagen darf. Bei uns kann man das. Jedenfalls theoretisch.
Mit der Praxis sieht es ein wenig anders aus. Wer allzu sorglos dieses Vorrecht der Demokratie in Anspruch nimmt und aus seinem Herzen keine Mördergrube macht, kann sich ganz schnell im Abseits wiederfinden: Man hat etwas gesagt und entdeckt am nächsten Tag in den Medien, dass man erledigt ist. Wie man in vergangenen dunklen Zeiten missliebige Menschen einfach verschwinden ließ, entfernt man sie heute aus der Öffentlichkeit. Die Ansichten, mit denen sie Anstoß erregen, finden sich nicht mehr in den Medien. War da was? War da wer? Er lebt noch, gewiss, aber er existiert nicht mehr.
Wer das vermeiden möchte, gewöhnt sich im Kontakt mit den Medien eine doppelte Buchführung an: Offen sagt man, was man sagen kann, ohne Anstoß zu erregen. Und off the record, sozusagen hinter vorgehaltener Hand, fügt man hinzu, was man eigentlich gern auch offen sagen würde. Aber nicht kann, ohne die eigene Position zu gefährden.
Automatisch teilt sich ein solches Gespräch in ein Vorher und ein Nachher auf: Vorher äußert man, was gedruckt oder gesendet wird - nachher, was nicht zur Publikation geeignet ist, was der Journalist aber wissen muss, um das offen Gesagte richtig einordnen zu können.
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Diese vorsichtige Zweiteilung scheint nicht mit dem Recht auf Meinungsfreiheit vereinbar zu sein. In Wahrheit jedoch ermöglicht sie es: Wer klug ist und nicht alles offen sagt, was er denkt, dem bleibt die »Meinungsfreiheit« erhalten - die Freiheit nämlich, seine Meinung auch weiterhin gedruckt und gesendet zu sehen. Diese simple Verhaltensregel wird von allen beherzigt, die vor Mikrofonen und Kameras stehen und auch nach dem Interview noch ihre Posten als Politiker, Mandatsträger oder Beamte innehaben möchten. Auch ich habe mich an diese Regel gehalten und meiner öffentlichen Botschaft immer - schon aus Selbsterhaltungsgründen - einige diskrete Bemerkungen angefügt.
Seit ungefähr einem Jahr aber hat sich das Blatt gewendet. Nun sind es die Journalisten, die nach dem Interview gern etwas off the record loswerden möchten. Es drängt sie förmlich dazu, mir einzugestehen, dass sie der offiziellen, auch von ihrem jeweiligen Medium vertretenen Sichtweise nicht länger folgen können. »Ich sehe das ganz ähnlich wie Sie, Herr Henkel«, sagen sie dann. »Aber ich kann das nicht schreiben. « Oder: »In unserer Redaktion wäre diese Sichtweise vielleicht sogar mehrheitsfähig, aber wir bringen sie nicht.« Was normalerweise heißt, dass der Chefredakteur sie nicht will. Basta.
Um welche Sichtweise geht es hier? Natürlich um die auf den Euro. Selten wurde eine Währung mit solch tiefer, geradezu sakrosankter Bedeutung befrachtet. Der Euro ist heute Glaubenssache, scheint über Krieg und Frieden, Sein oder Nichtsein zu entscheiden. Jahrelang waren die Journalisten der offiziellen Meinung treu gefolgt. Bis die Krise kam, die eine Eurokrise war, aber den harmloseren Titel »Schuldenkrise« verpasst bekam.
Was bedeutet diese Krise für uns? Dass man europäische Freunde, auch solche, die einen gar nicht mögen, aus ihrer Schuldennot befreien muss. Koste es, was es wolle. Um dieser heiligen Pflicht willen werden immer neue, immer tollkühnere Rettungsschirme beschlossen. Am Ende sind sie so tollkühn, dass die Retter im Ernstfall selbst einen Schirm brauchen werden. Nur dass dann kein Dummer mehr da sein wird, der ihn aufspannen könnte.
Wer dies öffentlich sagen will, muss sich warm anziehen. Seit es um den Euro ging, hatte ich in den öffentlich-rechtlichen Talkshows einen schweren Stand. Es zeigte sich nämlich, dass mir gerade dann besonderer Applaus gespendet wurde, wenn ich die kostspielige, vermutlich sogar unbezahlbar teure Rettungsphilosophie kritisierte. Das schien den Redaktionen, wenn nicht sogar den Intendanten, zu missfallen. Zumindest kam es mir vor, als glaubten die Redaktionen, es könne ihrem Intendanten missfallen. Diese Art von Selbstzensur nennt man wohl vorauseilenden Gehorsam.
Irgendwann begannen die Moderatoren, mich an der Darstellung meiner Sichtweise zu hindern, indem sie mich ständig unterbrachen oder einem anderen das Wort erteilten. Dass dieser mir dann vehement widersprach, war zu erwarten - nicht aber, dass ich von Rettungsschirm-Befürwortern förmlich eingekreist wurde. Ermutigt vom Moderator, spielten sie Meinungs-Pingpong, möglichst ohne mich zum Zug kommen zu lassen. Vermutlich sollten sie sicherstellen, dass beim fernsehenden Millionenpublikum kein Unmut über die Regierungspolitik aufkam. Da aber, wie Umfragen bewiesen, über drei Viertel der Deutschen die Rettungsaktionen ablehnten, während nur eine kleine Minderheit ihnen zustimmte, schien es mir unlogisch, dass in den Diskussionsrunden das Verhältnis umgekehrt war.
Um nicht den ständigen Unterbrechungen und Anfeindungen ausgesetzt zu sein, beschloss ich im Herbst 2011, nicht mehr in Talkshows zu gehen. Ich wollte versuchen, der Öffentlichkeit meine Meinung zu präsentieren, ohne die voreingenommenen Medien in Anspruch zu nehmen. Einem Konzertveranstalter schlug ich vor, statt David Garrett, Patricia Kaas oder den Toten Hosen einmal den lebendigen Henkel zu bringen. Die DEAG- Agentur war einverstanden, zumal ich kein Honorar verlangte und sogar meine Reisekosten zu bezahlen versprach. In Münster, Hamburg und Berlin waren die Säle gefüllt mit jeweils 300 bis 400 Zuhörern. Und seltsam - sie hörten mir zu, unterbrachen mich nicht, buhten mich nicht aus für meine Ablehnung des Euro.
Einmal stellte ich zu Beginn des Vortrags die Frage: »Wer von Ihnen könnte sich vorstellen, den Euro durch einen Nord-Euro zu ersetzen?« Ungefähr 10 Prozent hoben die Hände. Nach meiner Rede, die ich ohne Podium oder Manuskript hielt, wiederholte ich die Frage. Nun waren es mindestens drei Viertel meiner Zuhörer, die mir recht gaben. Zweifellos würden alle Deutschen so reagieren, wenn Sie die Gelegenheit bekämen, meine Argumente für den Abschied vom Euro und den Einstieg in den Nord-Euro zu hören. Meine kleine Aufklärungstournee »an den Medien vorbei« wurde übrigens ein voller Erfolg.
Wenn ich sage, ich wollte meine Botschaft an den Medien vorbei vortragen, so ist mir dies allerdings auch in einem unbeabsichtigten Sinn gelungen: Die Presse blieb meinen Vorträgen meist fern. Obwohl die Konzertagentur über genügend Erfahrung mit PR-Maßnahmen verfügt und »die Werbetrommel rührte«, rührte sich kein Blatt im Blätterwald. Wenn sich aber doch ein Journalist in meinen Vortrag verirrte, dann berichtete er über unpassende Meinungsäußerungen aus dem Publikum wie »Wir brauchen Europa nicht!«. Die hatten zwar mit meinem Vortrag nichts zu tun, rückten mein Anliegen aber in ein schiefes Licht. Plädierte ich dagegen für eine Aufnahme der Türkei in die EU, wurde das verschwiegen, weil es dem »rechten« Etikett widersprach, das man mir anheften wollte. Natürlich war auch kein einziges Wort darüber zu lesen, dass die Zuschauer bei allen drei Veranstaltungen von der Idee des Nord-Euro sehr angetan waren.
Dafür spekulierte man aus der Distanz, was mich zu meinen drei Auftritten getrieben haben könnte. Natürlich, so hieß es, hinge es damit zusammen, dass ich eine Partei gesucht hatte, die meine Alternative zum Euro in ihr Programm aufnehmen könnte. Da ich offenbar nicht fündig geworden wäre - wer würde sich schon für etwas so Absurdes hergeben! -, hätte ich kurzerhand beschlossen, selbst eine Partei zu gründen. Meine Auftritte seien dafür die Versuchsballons gewesen. Das war reiner Unsinn, aber es las sich gut, und nur darauf kommt es im Endeffekt an.
Der Stern, der die falsche Spur ebenfalls aufnahm, fragte mich damals, ob es überhaupt jemanden in Deutschland gebe, der eine solche Partei gründen könne. Ich nannte Friedrich Merz, den einstigen ökonomischen Hoffnungsträger der CDU, den Angela Merkel weggebissen hatte. Und was machten einige Zeitungen, allen voran die Bild, daraus? Henkel hätte bei Merz angefragt, ob er nicht mit ihm eine Partei gründen wolle. Dabei hatte ich nie mit ihm über derlei gesprochen.
Wie bei Intrigen üblich, wurde der CDU-Mann indirekt zu einem Dementi gezwungen, das mich beschädigen sollte. »Ich habe Herrn Henkel einen Brief geschrieben mit der Aufforderung«, so schrieb er harsch, »davon Abstand zu nehmen, meinen Namen im Zusammenhang mit einer Parteigründung weiterhin zu nennen.« Nie hatte ich an eine Parteigründung mit Friedrich Merz gedacht - und doch warf man mir die ganze dreiste Erfindung vor die Füße.
Neben der gezielten Beschädigung meiner Person habe ich auch deren Pendant, die gezielte Unterstützung meiner Gegner, kennengelernt. Als ich nach fast einjähriger Abstinenz im Frühjahr 2013 wieder an einer Talkshow, hart aber fair, zum Thema Euro teilnahm, traf ich dort auf die üblichen Verdächtigen, die keine andere Funktion zu erfüllen hatten, als den Euro in den höchsten Tönen zu loben. Neben dem einstigen Finanzminister Hans Eichel, der in seiner dozierenden Art von dessen unermesslichen Vorteilen für unser Land zu schwärmen pflegt, saß dort auch der eher gemütlich wirkende Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU. Erwartungsgemäß stimmte auch er in das Loblied des Euro ein, was mich nicht weiter beschäftigt hätte, wäre mir nicht eine eigenartige Koinzidenz aufgefallen: Als er etwas vermeintlich Überzeugendes gesagt hatte, begann im Publikum die zweite Reihe rechts zu klatschen. Alle gleichzeitig, wie auf geheime Verabredung. Dieser schlafwandlerische Automatismus, bei dem eine eng zusammensitzende Gruppe in plötzliche Begeisterung ausbrach, amüsierte mich. Ich konnte die Gesichter nicht erkennen, erinnerte mich aber, eine solche Gruppe - es dürften mindestens fünf Leute gewesen sein - vor der Sendung im Warteraum gesehen zu haben. Auf meine Frage, ob sie denn alle in der Sendung aufträten, hatte ich die Antwort erhalten, nein, sie »gehörten zu Herrn Gröhe«. Seltsam, dachte ich, zu mir »gehört« hier keiner.
Als sich nach der Sendung Moderator Frank Plasberg dafür entschuldigte, mich unterbrochen zu haben, wies ich auf Herrn Gröhes Begleitkommando hin. Eine solche organisierte Claque hatte ich sonst nur im Theater erlebt, wo sie mir schon lächerlich genug vorgekommen war. Und sie traten auch noch wie ein Verein auf! Dass die Gröhe-Leute nichts dabei fanden, so auffällig zusammenzusitzen, statt sich über den Zuschauerraum zu verteilen, hing wohl mit dem Umstand zusammen, dass das Millionenpublikum vor den Fernsehern nur ihren Applaus hörte, sie aber, im Gegensatz zu mir, beim Klatschen nicht sehen konnte. Bei den Fernsehzuschauern, die sich per Internet zu Wort meldeten, schien die Manipulation zum Glück nicht zu verfangen. In den Kommentaren zur Sendung, die eine junge Dame verlas, unterstützte eine deutliche Mehrheit meine eurokritische Position. Es würde mich nicht wundern, wenn die Bank, auf der Gröhes Stimmungstruppe saß, eigens für sie reserviert worden wäre. Denn der Euro-Fanatismus, der angeblich von allen geteilt wird, in Wahrheit aber solch künstlicher Unterstützung bedarf, ist auch in den Fernsehanstalten Dogma. Man glaubt einfach, dass der Euro gut für Deutschland ist und die Euro-Gegner dumm, böse oder einfach lächerlich sind.
Beim Begriff »Dogma« erinnere ich mich an meine Zeit als Messdiener in Hamburg. An der St.-Elisabeth-Kirche in Harvestehude lernte ich alles über Marias unbefleckte Empfängnis und wie Jesus von den Toten auferstanden und gen Himmel gefahren sei. Ich staunte. Nicht, dass es mir freigestellt gewesen wäre, diese Vorstellungen anzunehmen oder abzulehnen. Sie waren ein unantastbares Muss. Der Rotwein, den die Priester tranken, war echtes Blut Christi, die Hostie, die ich essen musste, sein wirkliches Fleisch. Allerdings wunderte ich mich, dass es nicht wie Fleisch, sondern wie Oblate schmeckte. Heute wundere ich mich, dass unsere Politiker ihre Liebe zum Euro wie eine Hostie vor sich hertragen. Und wehe, einer sagt, es handle sich um ein Stück Selbstgebackenes, von dessen Genuss abgeraten werden muss.
In fundamentalistischen Staaten wird umgebracht, wer einem Dogma den Glauben verweigert. Bei uns wird man nur mundtot gemacht. Man büßt es, anderer Meinung über den Euro zu sein als die Kanzlerin und die Presse. Dann wird, um des vermeintlich moralisch Guten und der Völkerfreundschaft willen, über einen gelogen, dass sich die Balken biegen. Aber es gibt auch vernünftige Medien in Deutschland, die sich vom Dogma nicht einschüchtern lassen. Was früher tabu war, wird von ihnen offen angeprangert.
Wenn ich heute mit Journalisten der FAZ, der Wirtschaftswoche, dem Handelsblatt oder Manager Magazin spreche, höre ich von ihnen kritische Worte über diese verzweifelten Rettungsmaßnahmen, die zugunsten der künstlichen Währung und zulasten der realen Steuerzahler gehen. Je höher die Bürgschaften, umso schärfer wird die Kritik daran. Und diese bleibt längst nicht mehr auf den diskreten Bereich des off the record beschränkt. Sie wird auch gedruckt, was unsere Politiker freilich nicht beeindruckt.
Offen werden in den Medien neuerdings die Rettungsmaßnahmen kritisiert, durch die ganze Nationen in Geiselhaft genommen werden. Lautstark empört man sich über die Kanzlerin, die ihre fatalen Entscheidungen als »alternativlos« verkauft: »Schluss mit dem Milliarden-Wahnsinn der Bürgschaften!«, rufen viele in der Presse. »Schluss mit den immer gewagteren Versprechen, für andere Schulden abzutragen, für die man selbst Schulden aufnehmen muss!«
Aber seltsam - das, wofür gebürgt wird, genießt weiterhin den Schutz der Medien und der Öffentlichkeit: der Euro. Die Währung, die uns das Desaster gebracht hat, bleibt unantastbar. Gerade auch die Journalisten, die in Sachen Rettungsschirme meiner Meinung sind, fügen am Ende des Gesprächs regelmäßig hinzu: »Aber der Euro soll bleiben.«
Der Euro soll also bleiben. Doch die Maßnahmen, die sein Überleben garantieren sollen, nicht. Offenbar ist keinem meiner Gesprächspartner die Unlogik dieser Sichtweise aufgefallen: Ohne unsere Bürgschaft von Hunderten Milliarden Euro gibt es keinen Euro. Aber man will den Euro. Um jeden Preis. Auch wenn damit die Logik auf den Kopf gestellt wird.
Ich nenne das Euro-Schizophrenie. Vor ihr sind nicht einmal Wissenschaftler geschützt, die sonst Hochachtung verdienen. Nehmen wir Hans-Werner Sinn, den Chef des ifo-Instituts, das übrigens zur Leibniz-Gemeinschaft gehört, deren Chef ich einmal war. Unabhängig davon habe ich ihn immer gegen Angriffe in Schutz genommen: Als man ihn unberechtigterweise als Verharmloser des Nazireichs outen wollte oder Peer Steinbrück ihn in seiner zartfühlenden Weise als »Professor Unsinn« abkanzelte, habe ich ihm beigestanden.
Dennoch: Bei aller Verbundenheit muss ich Hans-Werner Sinn heute doch entgegenhalten, dass auch er die Sprengkraft dieser Währung unterschätzt. Er beklagt die Rettungsmaßnahmen, aber hält fest an dem, was auf unsere Kosten gerettet wird. Der sonst so kluge ifo-Chef hat sich dem großen Euro-Dogma gebeugt, auch wenn er, nach längerem Zögern, inzwischen den Austritt Griechenlands befürwortet. Sein Beharren erinnert mich an die lateinische Warnung fiat iustitia, et pereat mundus, zu Deutsch etwa: Das Gesetz muss durchgesetzt werden, auch wenn die Welt darüber zugrunde geht. Meine Variante würde lauten: Der Euro muss durchgesetzt werden, auch wenn Europa darüber zugrunde geht.
Was geht hier eigentlich vor? Jeder will den Euro behalten, koste es, was es wolle. Doch unter vier Augen bekennen immer mehr Gesprächspartner, dass ihnen die Kosten doch zu hoch sind. Unbemerkt ist Deutschland zur »Vieraugengesellschaft « geworden. Nach außen die Nibelungentreue, das Bekenntnis zum Euro - nach innen die Zweifel an den Rettungsmaßnahmen, der Ärger über die Verschuldungsspirale und, als deren Folge, die Angst vor zukünftiger Inflation. Aber keine Sorge, die ist längst da. Man hat es nur noch nicht bemerkt.
Nicht zum ersten Mal findet Deutschland sich zweigeteilt - in das, was man offen sagen kann, und das, was man nur im Vertrauen weitergeben darf. Ein »Vieraugenland« gab es schon zur Hitler-Zeit, dann im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat, und in beiden Fällen war es überlebensnotwendig, den Unterschied zwischen offen und vertraulich zu kennen. Auch bei uns wird heute auf Wohlverhalten und Political Correctness größter Wert gelegt. Das Dogma, das alle vereinigen und jeden Andersdenkenden abschrecken soll, ist der Euro.
Dabei ist die Bundesrepublik doch ein freies Land, in dem jeder sich seine eigene Meinung bilden kann. Bilden ja, aber ob er sie sagen kann, ohne die Folgen tragen zu müssen, ist eine andere Frage. In der Treue der Deutschen zum Euro sehe ich ein massenpsychologisches Phänomen. Man ist krank, aber da alle krank sind, glaubt man, gesund zu sein. Man könnte die Euro-Schizophrenie als neue Volkskrankheit bezeichnen.
Trotz der Angst der Deutschen »vor der nicht durchschaubaren Eurokrise«, so das Handelsblatt im April 2013, scheinen sie sich immer mehr »von Euroskeptikern in Euro-Befürworter zu verwandeln«. Zwar wenden sich in anonymen Umfragen rund 80 Prozent gegen neue Hilfen für Griechenland, Zypern oder andere klamme Mittelmeerstaaten - doch zugleich stehen, laut Forsa-Umfrage, knapp 70 Prozent eisern zur Brüsseler Kunstwährung. Tendenz steigend. Ja, so meinen sie, wir alle wollen den Gemeinschafts-Euro, aber bitte zum Nulltarif. Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Dem öffentlichen Bekenntnis folgt das vertrauliche Geständnis, dass man »Brüssel« satthat. Nur übersieht man, dass Brüssel der Euro ist. Wenn der Euro scheitert, dann scheitert - nein, nicht Europa, wie uns weisgemacht wird. Dann scheitert Brüssel.
Am wenigsten wollen dies unsere Politiker, deren Parteifreunde in der Europazentrale sich ans großzügige Geldverteilen gewöhnt haben. Um das darüber besorgte Wahlvolk zu beruhigen, passen sich die Parteien der herrschenden Euro-Schizophrenie an. Schlau bedienen sie beide Seiten. Sie singen das Hosianna des Eurogeldes und lassen gleichzeitig Kritiker der Euro-Rettung von der Leine.
Zu den Politikern, die scheinbar der Vernunft das Wort reden, gehört der FDP-Mann Frank Schäffler. Mit gut durchdachten Argumenten zieht er durch die Lande, um seine Hörer vom Unsinn der Euro-Rettung zu überzeugen. Wie es gerade kommt, predigt er leidenschaftlich gegen die diversen Griechenland - Hilfen, die Bankenunion, die deutschen Zypernmilliarden und das ganze ungebremste Schuldenmachen. Das spricht dem Publikum aus dem Herzen.
Aber wo es um Wahrheit geht, sind Leidenschaft und Herz nicht genug. Die Wahrheit ist, dass Europa nicht durch die Krise des Euro, sondern durch den Euro selbst bedroht ist. Wer an ihm festhalten will und sich gleichzeitig gegen seine Rettung wehrt, ist schizophren - aber diese Krankheit ist unter Politikern weitverbreitet.
Unter Parteien ebenfalls. Der sonst so kluge Frank Schäffler scheut die Einsicht, dass der Euro nicht die Lösung, sondern das Problem darstellt, wie der Teufel das Weihwasser. Hinter dieser Inkonsequenz des zeitweiligen FDP-Vorstandsmitglieds steht niemand anderes als seine Partei. Sie benutzt ihn für das Doppelspiel, einerseits im Schulterschluss mit der CDU/CSU die Euro-Rettung zu unterstützen, um sich andrerseits in Gestalt Frank Schäfflers davon zu distanzieren. Sie lässt ihn im Bundestag polemisieren und sogar die eigene Parteispitze ordentlich kritisieren, und reserviert ihm im Gegenzug, unbeeindruckt von seiner Schelte, einen hoffnungsvollen Listenplatz in Nordrhein- Westfalen. Der gute Herr Schäffler ist also nur ein Bauer auf dem Schachbrett seiner Partei. Ob er das Spiel völlig durchschaut, bezweifle ich.
Anders Peter Gauweiler, der durchaus weiß, welchen Dienst er der CSU leistet. Regelmäßig tritt er, sprachgewaltig und publikumswirksam, vor die Mikrofone, um als schwarzer Rebell gegen die Euro-Rettung aufzubegehren, zu deren Abwendung er sogar vor das Bundesverfassungsgericht zieht. Doch bei allem Kanonendonner hütet er sich, gegen die Einheitswährung aufzutreten. Und eine Rückkehr zur D-Mark oder gar die Einführung eines Nord-Euro kommen für ihn nicht infrage. Schon 2011 sagte er der Bild-Zeitung: »Mein Ziel ist es, die Grundlagen des Maastricht-Vertrags, die Geschäftsgrundlage des Euro, wiederherzustellen.« Dabei ist der Maastricht-Vertrag schon im Mai 2010 eines gewaltsamen Todes gestorben. Genauso könnte man am Grab eines geliebten Verwandten verkünden: »Mein Ziel ist es, ihn wieder zum Leben zu erwecken.« Bei genauerem Hinsehen erweist sich der edle Kämpfer für Bürgerrechte als nützlicher Parteisoldat. Die CSU weiß sehr wohl, was sie an dem vermeintlichen Querdenker und -treiber hat: Mit seiner Kritik hält er ein Hintertürchen für jene Massen an Wählern offen, die mit den immer neuen Milliardenbürgschaften nicht einverstanden sind.
Eine traurige Rolle in diesem Spiel hat auch die Wirtschaft übernommen. Mir kommt es wie der reine Trotz vor, dass sie an etwas festhält, das auch für sie zum Vabanquespiel geworden ist. Im September 2011 wurde ich vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dessen Präsident ich von Anfang 1995 bis Ende 2000 gewesen war, zur Jahrestagung eingeladen. Lange Zeit hatte ich den BDI gemieden - warum ich jetzt die Einladung annahm? Vielleicht weil ich hoffte, dass hier irgendwann in Sachen Euro die Vernunft obsiegen würde.
Auf eine Enttäuschung war ich eingestellt, nicht aber auf die Blamage, deren Zeuge ich dann wurde. Aufs Podium trat der damalige BDI-Präsident Hans-Peter Keitel und begrüßte die Ehrengäste: In der ersten Reihe saß neben Kanzlerin Merkel der griechische Ministerpräsident Papandreou, von dem man inzwischen weiß, dass er die Kunst der politischen Lüge perfektioniert hat. Keitel, der dies nicht ahnte, zelebrierte dem Griechen ein wahres Hochamt an Bewunderung und Schmeichelei, und die Versammlung geriet beim Vortrag des griechischen Sozialisten förmlich aus dem Häuschen.
Den Gipfelpunkt seiner Rede bildete das Versprechen »Ich kann garantieren, dass Griechenland seine Verpflichtungen erfüllen wird«. Und er krönte dies noch mit dem seit Obama klassischen Ausruf: »Yes, we can!« So beschwor Papandreou die neu geschmiedete Schicksalsgemeinschaft zwischen griechischem Sozialismus und deutscher Großindustrie.
Der Saal applaudierte begeistert und lange, nicht viel fehlte zur Standing Ovation. Über so viel Naivität konnte ich nur den Kopf schütteln. Wäre man nicht dem Dogma vom unbefleckten Euro verfallen, hätte man sich kaum von diesem windigen Menschen so hinreißen lassen.
Mich wunderte nicht, als Papandreou bald darauf ungeniert erkennen ließ, dass er die hochmögenden Industriellen vom BDI samt der ihm gewogenen Kanzlerin an der Nase herumgeführt hatte. Alle Versprechungen wurden von ihm gebrochen, alle guten Vorsätze, für die man ihn in den höchsten Tönen gelobt hatte, über den Haufen geworfen. Sein Wortbruch gipfelte in dem Entschluss, zu allem, was er den Deutschen als Fait accompli vorgetragen hatte, erst einmal »das Volk zu befragen«, wozu es dann allerdings nicht kam, da er sein Amt verlor. Die Einstellung unserer Industriellen hat das nicht im Geringsten verändert: Einmal Euro, immer Euro. Augen zu und durch.
Schon Monate vor der Jubeltagung des BDI hatte ich erfahren, dass Gerhard Cromme, damals noch Aufsichtsratsvorsitzender von ThyssenKrupp, Anstoß an mir nahm: Ihm missfi el, dass ich die Euro-Politik der Bundesregierung kritisierte. Als treuer Verbündeter, so kolportierte man, wurde er bei Angela Merkel vorstellig, ob es nicht angebracht sei, die Einheitswährung einmal als Erfolgsstory flächendeckend zu propagieren. Zusammen mit deutschen und französischen Kollegen, so soll er ihr vorgeschlagen haben, wollte er in allen großen Tageszeitungen Anzeigen zum Lobpreis des Euro schalten - was nebenbei auch als Ergebenheitsadresse an die Euro-Kanzlerin zu verstehen war. Angela Merkel, so hieß es, sei über den Plan höchst erfreut gewesen, und Cromme sammelte die erwünschten Unterschriften.
Die ganzseitigen Anzeigen erschienen, pompös bis zur Geschmacklosigkeit, und man fragte sich, ob es mit einer Währung, die derlei Unterstützung nötig hatte, allzu weit her sein konnte. Abgesehen von der Fragwürdigkeit der ganzen Kampagne, die eine »Ware« anpries, die längst »gekauft« war, wies ich in einem Kommentar für das Handelsblatt darauf hin, dass die Lobhudelei auch einige sachliche Fehler enthielt. Nicht, dass ich die geschätzten Unterzeichner als Lügner bezeichnen wollte - aber mir erschien doch sehr fragwürdig, was Millionen Zeitungslesern als »Wahrheit über den Euro« angeboten wurde.
»Erstaunlich ist die Aussage der französischen und deutschen Kollegen«, so schrieb ich im Handelsblatt als Reaktion auf die Anzeige, »dass mit der Einführung des Euro auch ein gemeinsamer Markt entstanden sei. Ist ihnen entgangen, dass der europäische Binnenmarkt schon lange vor Einführung des Euro entstanden ist? Und dass sie - zweitens - munter in die zehn EU-Länder exportieren können, die den Euro nicht haben (wollen)? Und dass - drittens - der Anteil ihrer Exporte in die Euro-Zone seit Einführung des Euro gesunken ist?« Damals schloss ich mit den versöhnlichen Worten: »Seien wir froh, dass die Unterzeichner ihre Unternehmen besser führen als die Politiker den Euro.« Heute würde ich nachfragen, warum sie sich nicht besser informierten, bevor sie über ein so fragwürdiges Objekt in Begeisterungsstürme ausbrechen.
Dass alle Unterzeichner ihre Unternehmen gut führen, lässt sich ebenfalls nicht behaupten. Auch der Initiator des Euro- Jubels Gerhard Cromme hat gegen Grundprinzipien der Unternehmensführung verstoßen - ausgerechnet als Vorsitzender der »Regierungskommission für gute Unternehmensführung«. In dieser Funktion stellte er allerlei Regeln auf, die er deutschen Managern ans Herz legte, während er selbst einige von ihnen im eigenen Interesse verletzte. Für Skandale seines Unternehmens, die zu seiner Amtszeit gehäuft auftraten, weigerte er sich, die Verantwortung zu übernehmen. Sie perlten an ihm ab, weshalb ich ihn im Handelsblatt den »Teflonmann« nannte. Die Aufforderung an ihn, den Hut zu nehmen, wurde im Januar 2013 von der Vereinigung der deutschen Aufsichtsräte bekräftigt. Worauf Berthold Beitz ihn an die Luft setzte.
Keiner der 20 deutschen und 30 französischen Unternehmensfürsten, die auf Crommes Aufforderung hin den Treueschwur unterschrieben, würde sich in seiner eigenen Firma eine solche Nachlässigkeit erlauben. In Vieraugengesprächen gaben das einige der Unterzeichner auch zu: Sie hätten gar nicht gewusst, was Cromme da hineingeschrieben hatte. Und so, wie es da stand, fügten sie beschämt hinzu, hätten sie das nie genehmigt. Ihre Scham, fand ich, war berechtigt. In existenziellen Angelegenheiten, die über Wohl und Wehe von einer drei viertel Milliarde Menschen entscheiden, ist äußerste Gewissenhaftigkeit gefordert. Und daran haben es die Euro-Jubler fehlen lassen.
Copyright © 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
Diese vorsichtige Zweiteilung scheint nicht mit dem Recht auf Meinungsfreiheit vereinbar zu sein. In Wahrheit jedoch ermöglicht sie es: Wer klug ist und nicht alles offen sagt, was er denkt, dem bleibt die »Meinungsfreiheit« erhalten - die Freiheit nämlich, seine Meinung auch weiterhin gedruckt und gesendet zu sehen. Diese simple Verhaltensregel wird von allen beherzigt, die vor Mikrofonen und Kameras stehen und auch nach dem Interview noch ihre Posten als Politiker, Mandatsträger oder Beamte innehaben möchten. Auch ich habe mich an diese Regel gehalten und meiner öffentlichen Botschaft immer - schon aus Selbsterhaltungsgründen - einige diskrete Bemerkungen angefügt.
Seit ungefähr einem Jahr aber hat sich das Blatt gewendet. Nun sind es die Journalisten, die nach dem Interview gern etwas off the record loswerden möchten. Es drängt sie förmlich dazu, mir einzugestehen, dass sie der offiziellen, auch von ihrem jeweiligen Medium vertretenen Sichtweise nicht länger folgen können. »Ich sehe das ganz ähnlich wie Sie, Herr Henkel«, sagen sie dann. »Aber ich kann das nicht schreiben. « Oder: »In unserer Redaktion wäre diese Sichtweise vielleicht sogar mehrheitsfähig, aber wir bringen sie nicht.« Was normalerweise heißt, dass der Chefredakteur sie nicht will. Basta.
Um welche Sichtweise geht es hier? Natürlich um die auf den Euro. Selten wurde eine Währung mit solch tiefer, geradezu sakrosankter Bedeutung befrachtet. Der Euro ist heute Glaubenssache, scheint über Krieg und Frieden, Sein oder Nichtsein zu entscheiden. Jahrelang waren die Journalisten der offiziellen Meinung treu gefolgt. Bis die Krise kam, die eine Eurokrise war, aber den harmloseren Titel »Schuldenkrise« verpasst bekam.
Was bedeutet diese Krise für uns? Dass man europäische Freunde, auch solche, die einen gar nicht mögen, aus ihrer Schuldennot befreien muss. Koste es, was es wolle. Um dieser heiligen Pflicht willen werden immer neue, immer tollkühnere Rettungsschirme beschlossen. Am Ende sind sie so tollkühn, dass die Retter im Ernstfall selbst einen Schirm brauchen werden. Nur dass dann kein Dummer mehr da sein wird, der ihn aufspannen könnte.
Wer dies öffentlich sagen will, muss sich warm anziehen. Seit es um den Euro ging, hatte ich in den öffentlich-rechtlichen Talkshows einen schweren Stand. Es zeigte sich nämlich, dass mir gerade dann besonderer Applaus gespendet wurde, wenn ich die kostspielige, vermutlich sogar unbezahlbar teure Rettungsphilosophie kritisierte. Das schien den Redaktionen, wenn nicht sogar den Intendanten, zu missfallen. Zumindest kam es mir vor, als glaubten die Redaktionen, es könne ihrem Intendanten missfallen. Diese Art von Selbstzensur nennt man wohl vorauseilenden Gehorsam.
Irgendwann begannen die Moderatoren, mich an der Darstellung meiner Sichtweise zu hindern, indem sie mich ständig unterbrachen oder einem anderen das Wort erteilten. Dass dieser mir dann vehement widersprach, war zu erwarten - nicht aber, dass ich von Rettungsschirm-Befürwortern förmlich eingekreist wurde. Ermutigt vom Moderator, spielten sie Meinungs-Pingpong, möglichst ohne mich zum Zug kommen zu lassen. Vermutlich sollten sie sicherstellen, dass beim fernsehenden Millionenpublikum kein Unmut über die Regierungspolitik aufkam. Da aber, wie Umfragen bewiesen, über drei Viertel der Deutschen die Rettungsaktionen ablehnten, während nur eine kleine Minderheit ihnen zustimmte, schien es mir unlogisch, dass in den Diskussionsrunden das Verhältnis umgekehrt war.
Um nicht den ständigen Unterbrechungen und Anfeindungen ausgesetzt zu sein, beschloss ich im Herbst 2011, nicht mehr in Talkshows zu gehen. Ich wollte versuchen, der Öffentlichkeit meine Meinung zu präsentieren, ohne die voreingenommenen Medien in Anspruch zu nehmen. Einem Konzertveranstalter schlug ich vor, statt David Garrett, Patricia Kaas oder den Toten Hosen einmal den lebendigen Henkel zu bringen. Die DEAG- Agentur war einverstanden, zumal ich kein Honorar verlangte und sogar meine Reisekosten zu bezahlen versprach. In Münster, Hamburg und Berlin waren die Säle gefüllt mit jeweils 300 bis 400 Zuhörern. Und seltsam - sie hörten mir zu, unterbrachen mich nicht, buhten mich nicht aus für meine Ablehnung des Euro.
Einmal stellte ich zu Beginn des Vortrags die Frage: »Wer von Ihnen könnte sich vorstellen, den Euro durch einen Nord-Euro zu ersetzen?« Ungefähr 10 Prozent hoben die Hände. Nach meiner Rede, die ich ohne Podium oder Manuskript hielt, wiederholte ich die Frage. Nun waren es mindestens drei Viertel meiner Zuhörer, die mir recht gaben. Zweifellos würden alle Deutschen so reagieren, wenn Sie die Gelegenheit bekämen, meine Argumente für den Abschied vom Euro und den Einstieg in den Nord-Euro zu hören. Meine kleine Aufklärungstournee »an den Medien vorbei« wurde übrigens ein voller Erfolg.
Wenn ich sage, ich wollte meine Botschaft an den Medien vorbei vortragen, so ist mir dies allerdings auch in einem unbeabsichtigten Sinn gelungen: Die Presse blieb meinen Vorträgen meist fern. Obwohl die Konzertagentur über genügend Erfahrung mit PR-Maßnahmen verfügt und »die Werbetrommel rührte«, rührte sich kein Blatt im Blätterwald. Wenn sich aber doch ein Journalist in meinen Vortrag verirrte, dann berichtete er über unpassende Meinungsäußerungen aus dem Publikum wie »Wir brauchen Europa nicht!«. Die hatten zwar mit meinem Vortrag nichts zu tun, rückten mein Anliegen aber in ein schiefes Licht. Plädierte ich dagegen für eine Aufnahme der Türkei in die EU, wurde das verschwiegen, weil es dem »rechten« Etikett widersprach, das man mir anheften wollte. Natürlich war auch kein einziges Wort darüber zu lesen, dass die Zuschauer bei allen drei Veranstaltungen von der Idee des Nord-Euro sehr angetan waren.
Dafür spekulierte man aus der Distanz, was mich zu meinen drei Auftritten getrieben haben könnte. Natürlich, so hieß es, hinge es damit zusammen, dass ich eine Partei gesucht hatte, die meine Alternative zum Euro in ihr Programm aufnehmen könnte. Da ich offenbar nicht fündig geworden wäre - wer würde sich schon für etwas so Absurdes hergeben! -, hätte ich kurzerhand beschlossen, selbst eine Partei zu gründen. Meine Auftritte seien dafür die Versuchsballons gewesen. Das war reiner Unsinn, aber es las sich gut, und nur darauf kommt es im Endeffekt an.
Der Stern, der die falsche Spur ebenfalls aufnahm, fragte mich damals, ob es überhaupt jemanden in Deutschland gebe, der eine solche Partei gründen könne. Ich nannte Friedrich Merz, den einstigen ökonomischen Hoffnungsträger der CDU, den Angela Merkel weggebissen hatte. Und was machten einige Zeitungen, allen voran die Bild, daraus? Henkel hätte bei Merz angefragt, ob er nicht mit ihm eine Partei gründen wolle. Dabei hatte ich nie mit ihm über derlei gesprochen.
Wie bei Intrigen üblich, wurde der CDU-Mann indirekt zu einem Dementi gezwungen, das mich beschädigen sollte. »Ich habe Herrn Henkel einen Brief geschrieben mit der Aufforderung«, so schrieb er harsch, »davon Abstand zu nehmen, meinen Namen im Zusammenhang mit einer Parteigründung weiterhin zu nennen.« Nie hatte ich an eine Parteigründung mit Friedrich Merz gedacht - und doch warf man mir die ganze dreiste Erfindung vor die Füße.
Neben der gezielten Beschädigung meiner Person habe ich auch deren Pendant, die gezielte Unterstützung meiner Gegner, kennengelernt. Als ich nach fast einjähriger Abstinenz im Frühjahr 2013 wieder an einer Talkshow, hart aber fair, zum Thema Euro teilnahm, traf ich dort auf die üblichen Verdächtigen, die keine andere Funktion zu erfüllen hatten, als den Euro in den höchsten Tönen zu loben. Neben dem einstigen Finanzminister Hans Eichel, der in seiner dozierenden Art von dessen unermesslichen Vorteilen für unser Land zu schwärmen pflegt, saß dort auch der eher gemütlich wirkende Hermann Gröhe, Generalsekretär der CDU. Erwartungsgemäß stimmte auch er in das Loblied des Euro ein, was mich nicht weiter beschäftigt hätte, wäre mir nicht eine eigenartige Koinzidenz aufgefallen: Als er etwas vermeintlich Überzeugendes gesagt hatte, begann im Publikum die zweite Reihe rechts zu klatschen. Alle gleichzeitig, wie auf geheime Verabredung. Dieser schlafwandlerische Automatismus, bei dem eine eng zusammensitzende Gruppe in plötzliche Begeisterung ausbrach, amüsierte mich. Ich konnte die Gesichter nicht erkennen, erinnerte mich aber, eine solche Gruppe - es dürften mindestens fünf Leute gewesen sein - vor der Sendung im Warteraum gesehen zu haben. Auf meine Frage, ob sie denn alle in der Sendung aufträten, hatte ich die Antwort erhalten, nein, sie »gehörten zu Herrn Gröhe«. Seltsam, dachte ich, zu mir »gehört« hier keiner.
Als sich nach der Sendung Moderator Frank Plasberg dafür entschuldigte, mich unterbrochen zu haben, wies ich auf Herrn Gröhes Begleitkommando hin. Eine solche organisierte Claque hatte ich sonst nur im Theater erlebt, wo sie mir schon lächerlich genug vorgekommen war. Und sie traten auch noch wie ein Verein auf! Dass die Gröhe-Leute nichts dabei fanden, so auffällig zusammenzusitzen, statt sich über den Zuschauerraum zu verteilen, hing wohl mit dem Umstand zusammen, dass das Millionenpublikum vor den Fernsehern nur ihren Applaus hörte, sie aber, im Gegensatz zu mir, beim Klatschen nicht sehen konnte. Bei den Fernsehzuschauern, die sich per Internet zu Wort meldeten, schien die Manipulation zum Glück nicht zu verfangen. In den Kommentaren zur Sendung, die eine junge Dame verlas, unterstützte eine deutliche Mehrheit meine eurokritische Position. Es würde mich nicht wundern, wenn die Bank, auf der Gröhes Stimmungstruppe saß, eigens für sie reserviert worden wäre. Denn der Euro-Fanatismus, der angeblich von allen geteilt wird, in Wahrheit aber solch künstlicher Unterstützung bedarf, ist auch in den Fernsehanstalten Dogma. Man glaubt einfach, dass der Euro gut für Deutschland ist und die Euro-Gegner dumm, böse oder einfach lächerlich sind.
Beim Begriff »Dogma« erinnere ich mich an meine Zeit als Messdiener in Hamburg. An der St.-Elisabeth-Kirche in Harvestehude lernte ich alles über Marias unbefleckte Empfängnis und wie Jesus von den Toten auferstanden und gen Himmel gefahren sei. Ich staunte. Nicht, dass es mir freigestellt gewesen wäre, diese Vorstellungen anzunehmen oder abzulehnen. Sie waren ein unantastbares Muss. Der Rotwein, den die Priester tranken, war echtes Blut Christi, die Hostie, die ich essen musste, sein wirkliches Fleisch. Allerdings wunderte ich mich, dass es nicht wie Fleisch, sondern wie Oblate schmeckte. Heute wundere ich mich, dass unsere Politiker ihre Liebe zum Euro wie eine Hostie vor sich hertragen. Und wehe, einer sagt, es handle sich um ein Stück Selbstgebackenes, von dessen Genuss abgeraten werden muss.
In fundamentalistischen Staaten wird umgebracht, wer einem Dogma den Glauben verweigert. Bei uns wird man nur mundtot gemacht. Man büßt es, anderer Meinung über den Euro zu sein als die Kanzlerin und die Presse. Dann wird, um des vermeintlich moralisch Guten und der Völkerfreundschaft willen, über einen gelogen, dass sich die Balken biegen. Aber es gibt auch vernünftige Medien in Deutschland, die sich vom Dogma nicht einschüchtern lassen. Was früher tabu war, wird von ihnen offen angeprangert.
Wenn ich heute mit Journalisten der FAZ, der Wirtschaftswoche, dem Handelsblatt oder Manager Magazin spreche, höre ich von ihnen kritische Worte über diese verzweifelten Rettungsmaßnahmen, die zugunsten der künstlichen Währung und zulasten der realen Steuerzahler gehen. Je höher die Bürgschaften, umso schärfer wird die Kritik daran. Und diese bleibt längst nicht mehr auf den diskreten Bereich des off the record beschränkt. Sie wird auch gedruckt, was unsere Politiker freilich nicht beeindruckt.
Offen werden in den Medien neuerdings die Rettungsmaßnahmen kritisiert, durch die ganze Nationen in Geiselhaft genommen werden. Lautstark empört man sich über die Kanzlerin, die ihre fatalen Entscheidungen als »alternativlos« verkauft: »Schluss mit dem Milliarden-Wahnsinn der Bürgschaften!«, rufen viele in der Presse. »Schluss mit den immer gewagteren Versprechen, für andere Schulden abzutragen, für die man selbst Schulden aufnehmen muss!«
Aber seltsam - das, wofür gebürgt wird, genießt weiterhin den Schutz der Medien und der Öffentlichkeit: der Euro. Die Währung, die uns das Desaster gebracht hat, bleibt unantastbar. Gerade auch die Journalisten, die in Sachen Rettungsschirme meiner Meinung sind, fügen am Ende des Gesprächs regelmäßig hinzu: »Aber der Euro soll bleiben.«
Der Euro soll also bleiben. Doch die Maßnahmen, die sein Überleben garantieren sollen, nicht. Offenbar ist keinem meiner Gesprächspartner die Unlogik dieser Sichtweise aufgefallen: Ohne unsere Bürgschaft von Hunderten Milliarden Euro gibt es keinen Euro. Aber man will den Euro. Um jeden Preis. Auch wenn damit die Logik auf den Kopf gestellt wird.
Ich nenne das Euro-Schizophrenie. Vor ihr sind nicht einmal Wissenschaftler geschützt, die sonst Hochachtung verdienen. Nehmen wir Hans-Werner Sinn, den Chef des ifo-Instituts, das übrigens zur Leibniz-Gemeinschaft gehört, deren Chef ich einmal war. Unabhängig davon habe ich ihn immer gegen Angriffe in Schutz genommen: Als man ihn unberechtigterweise als Verharmloser des Nazireichs outen wollte oder Peer Steinbrück ihn in seiner zartfühlenden Weise als »Professor Unsinn« abkanzelte, habe ich ihm beigestanden.
Dennoch: Bei aller Verbundenheit muss ich Hans-Werner Sinn heute doch entgegenhalten, dass auch er die Sprengkraft dieser Währung unterschätzt. Er beklagt die Rettungsmaßnahmen, aber hält fest an dem, was auf unsere Kosten gerettet wird. Der sonst so kluge ifo-Chef hat sich dem großen Euro-Dogma gebeugt, auch wenn er, nach längerem Zögern, inzwischen den Austritt Griechenlands befürwortet. Sein Beharren erinnert mich an die lateinische Warnung fiat iustitia, et pereat mundus, zu Deutsch etwa: Das Gesetz muss durchgesetzt werden, auch wenn die Welt darüber zugrunde geht. Meine Variante würde lauten: Der Euro muss durchgesetzt werden, auch wenn Europa darüber zugrunde geht.
Was geht hier eigentlich vor? Jeder will den Euro behalten, koste es, was es wolle. Doch unter vier Augen bekennen immer mehr Gesprächspartner, dass ihnen die Kosten doch zu hoch sind. Unbemerkt ist Deutschland zur »Vieraugengesellschaft « geworden. Nach außen die Nibelungentreue, das Bekenntnis zum Euro - nach innen die Zweifel an den Rettungsmaßnahmen, der Ärger über die Verschuldungsspirale und, als deren Folge, die Angst vor zukünftiger Inflation. Aber keine Sorge, die ist längst da. Man hat es nur noch nicht bemerkt.
Nicht zum ersten Mal findet Deutschland sich zweigeteilt - in das, was man offen sagen kann, und das, was man nur im Vertrauen weitergeben darf. Ein »Vieraugenland« gab es schon zur Hitler-Zeit, dann im sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat, und in beiden Fällen war es überlebensnotwendig, den Unterschied zwischen offen und vertraulich zu kennen. Auch bei uns wird heute auf Wohlverhalten und Political Correctness größter Wert gelegt. Das Dogma, das alle vereinigen und jeden Andersdenkenden abschrecken soll, ist der Euro.
Dabei ist die Bundesrepublik doch ein freies Land, in dem jeder sich seine eigene Meinung bilden kann. Bilden ja, aber ob er sie sagen kann, ohne die Folgen tragen zu müssen, ist eine andere Frage. In der Treue der Deutschen zum Euro sehe ich ein massenpsychologisches Phänomen. Man ist krank, aber da alle krank sind, glaubt man, gesund zu sein. Man könnte die Euro-Schizophrenie als neue Volkskrankheit bezeichnen.
Trotz der Angst der Deutschen »vor der nicht durchschaubaren Eurokrise«, so das Handelsblatt im April 2013, scheinen sie sich immer mehr »von Euroskeptikern in Euro-Befürworter zu verwandeln«. Zwar wenden sich in anonymen Umfragen rund 80 Prozent gegen neue Hilfen für Griechenland, Zypern oder andere klamme Mittelmeerstaaten - doch zugleich stehen, laut Forsa-Umfrage, knapp 70 Prozent eisern zur Brüsseler Kunstwährung. Tendenz steigend. Ja, so meinen sie, wir alle wollen den Gemeinschafts-Euro, aber bitte zum Nulltarif. Wasch mich, aber mach mich nicht nass. Dem öffentlichen Bekenntnis folgt das vertrauliche Geständnis, dass man »Brüssel« satthat. Nur übersieht man, dass Brüssel der Euro ist. Wenn der Euro scheitert, dann scheitert - nein, nicht Europa, wie uns weisgemacht wird. Dann scheitert Brüssel.
Am wenigsten wollen dies unsere Politiker, deren Parteifreunde in der Europazentrale sich ans großzügige Geldverteilen gewöhnt haben. Um das darüber besorgte Wahlvolk zu beruhigen, passen sich die Parteien der herrschenden Euro-Schizophrenie an. Schlau bedienen sie beide Seiten. Sie singen das Hosianna des Eurogeldes und lassen gleichzeitig Kritiker der Euro-Rettung von der Leine.
Zu den Politikern, die scheinbar der Vernunft das Wort reden, gehört der FDP-Mann Frank Schäffler. Mit gut durchdachten Argumenten zieht er durch die Lande, um seine Hörer vom Unsinn der Euro-Rettung zu überzeugen. Wie es gerade kommt, predigt er leidenschaftlich gegen die diversen Griechenland - Hilfen, die Bankenunion, die deutschen Zypernmilliarden und das ganze ungebremste Schuldenmachen. Das spricht dem Publikum aus dem Herzen.
Aber wo es um Wahrheit geht, sind Leidenschaft und Herz nicht genug. Die Wahrheit ist, dass Europa nicht durch die Krise des Euro, sondern durch den Euro selbst bedroht ist. Wer an ihm festhalten will und sich gleichzeitig gegen seine Rettung wehrt, ist schizophren - aber diese Krankheit ist unter Politikern weitverbreitet.
Unter Parteien ebenfalls. Der sonst so kluge Frank Schäffler scheut die Einsicht, dass der Euro nicht die Lösung, sondern das Problem darstellt, wie der Teufel das Weihwasser. Hinter dieser Inkonsequenz des zeitweiligen FDP-Vorstandsmitglieds steht niemand anderes als seine Partei. Sie benutzt ihn für das Doppelspiel, einerseits im Schulterschluss mit der CDU/CSU die Euro-Rettung zu unterstützen, um sich andrerseits in Gestalt Frank Schäfflers davon zu distanzieren. Sie lässt ihn im Bundestag polemisieren und sogar die eigene Parteispitze ordentlich kritisieren, und reserviert ihm im Gegenzug, unbeeindruckt von seiner Schelte, einen hoffnungsvollen Listenplatz in Nordrhein- Westfalen. Der gute Herr Schäffler ist also nur ein Bauer auf dem Schachbrett seiner Partei. Ob er das Spiel völlig durchschaut, bezweifle ich.
Anders Peter Gauweiler, der durchaus weiß, welchen Dienst er der CSU leistet. Regelmäßig tritt er, sprachgewaltig und publikumswirksam, vor die Mikrofone, um als schwarzer Rebell gegen die Euro-Rettung aufzubegehren, zu deren Abwendung er sogar vor das Bundesverfassungsgericht zieht. Doch bei allem Kanonendonner hütet er sich, gegen die Einheitswährung aufzutreten. Und eine Rückkehr zur D-Mark oder gar die Einführung eines Nord-Euro kommen für ihn nicht infrage. Schon 2011 sagte er der Bild-Zeitung: »Mein Ziel ist es, die Grundlagen des Maastricht-Vertrags, die Geschäftsgrundlage des Euro, wiederherzustellen.« Dabei ist der Maastricht-Vertrag schon im Mai 2010 eines gewaltsamen Todes gestorben. Genauso könnte man am Grab eines geliebten Verwandten verkünden: »Mein Ziel ist es, ihn wieder zum Leben zu erwecken.« Bei genauerem Hinsehen erweist sich der edle Kämpfer für Bürgerrechte als nützlicher Parteisoldat. Die CSU weiß sehr wohl, was sie an dem vermeintlichen Querdenker und -treiber hat: Mit seiner Kritik hält er ein Hintertürchen für jene Massen an Wählern offen, die mit den immer neuen Milliardenbürgschaften nicht einverstanden sind.
Eine traurige Rolle in diesem Spiel hat auch die Wirtschaft übernommen. Mir kommt es wie der reine Trotz vor, dass sie an etwas festhält, das auch für sie zum Vabanquespiel geworden ist. Im September 2011 wurde ich vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), dessen Präsident ich von Anfang 1995 bis Ende 2000 gewesen war, zur Jahrestagung eingeladen. Lange Zeit hatte ich den BDI gemieden - warum ich jetzt die Einladung annahm? Vielleicht weil ich hoffte, dass hier irgendwann in Sachen Euro die Vernunft obsiegen würde.
Auf eine Enttäuschung war ich eingestellt, nicht aber auf die Blamage, deren Zeuge ich dann wurde. Aufs Podium trat der damalige BDI-Präsident Hans-Peter Keitel und begrüßte die Ehrengäste: In der ersten Reihe saß neben Kanzlerin Merkel der griechische Ministerpräsident Papandreou, von dem man inzwischen weiß, dass er die Kunst der politischen Lüge perfektioniert hat. Keitel, der dies nicht ahnte, zelebrierte dem Griechen ein wahres Hochamt an Bewunderung und Schmeichelei, und die Versammlung geriet beim Vortrag des griechischen Sozialisten förmlich aus dem Häuschen.
Den Gipfelpunkt seiner Rede bildete das Versprechen »Ich kann garantieren, dass Griechenland seine Verpflichtungen erfüllen wird«. Und er krönte dies noch mit dem seit Obama klassischen Ausruf: »Yes, we can!« So beschwor Papandreou die neu geschmiedete Schicksalsgemeinschaft zwischen griechischem Sozialismus und deutscher Großindustrie.
Der Saal applaudierte begeistert und lange, nicht viel fehlte zur Standing Ovation. Über so viel Naivität konnte ich nur den Kopf schütteln. Wäre man nicht dem Dogma vom unbefleckten Euro verfallen, hätte man sich kaum von diesem windigen Menschen so hinreißen lassen.
Mich wunderte nicht, als Papandreou bald darauf ungeniert erkennen ließ, dass er die hochmögenden Industriellen vom BDI samt der ihm gewogenen Kanzlerin an der Nase herumgeführt hatte. Alle Versprechungen wurden von ihm gebrochen, alle guten Vorsätze, für die man ihn in den höchsten Tönen gelobt hatte, über den Haufen geworfen. Sein Wortbruch gipfelte in dem Entschluss, zu allem, was er den Deutschen als Fait accompli vorgetragen hatte, erst einmal »das Volk zu befragen«, wozu es dann allerdings nicht kam, da er sein Amt verlor. Die Einstellung unserer Industriellen hat das nicht im Geringsten verändert: Einmal Euro, immer Euro. Augen zu und durch.
Schon Monate vor der Jubeltagung des BDI hatte ich erfahren, dass Gerhard Cromme, damals noch Aufsichtsratsvorsitzender von ThyssenKrupp, Anstoß an mir nahm: Ihm missfi el, dass ich die Euro-Politik der Bundesregierung kritisierte. Als treuer Verbündeter, so kolportierte man, wurde er bei Angela Merkel vorstellig, ob es nicht angebracht sei, die Einheitswährung einmal als Erfolgsstory flächendeckend zu propagieren. Zusammen mit deutschen und französischen Kollegen, so soll er ihr vorgeschlagen haben, wollte er in allen großen Tageszeitungen Anzeigen zum Lobpreis des Euro schalten - was nebenbei auch als Ergebenheitsadresse an die Euro-Kanzlerin zu verstehen war. Angela Merkel, so hieß es, sei über den Plan höchst erfreut gewesen, und Cromme sammelte die erwünschten Unterschriften.
Die ganzseitigen Anzeigen erschienen, pompös bis zur Geschmacklosigkeit, und man fragte sich, ob es mit einer Währung, die derlei Unterstützung nötig hatte, allzu weit her sein konnte. Abgesehen von der Fragwürdigkeit der ganzen Kampagne, die eine »Ware« anpries, die längst »gekauft« war, wies ich in einem Kommentar für das Handelsblatt darauf hin, dass die Lobhudelei auch einige sachliche Fehler enthielt. Nicht, dass ich die geschätzten Unterzeichner als Lügner bezeichnen wollte - aber mir erschien doch sehr fragwürdig, was Millionen Zeitungslesern als »Wahrheit über den Euro« angeboten wurde.
»Erstaunlich ist die Aussage der französischen und deutschen Kollegen«, so schrieb ich im Handelsblatt als Reaktion auf die Anzeige, »dass mit der Einführung des Euro auch ein gemeinsamer Markt entstanden sei. Ist ihnen entgangen, dass der europäische Binnenmarkt schon lange vor Einführung des Euro entstanden ist? Und dass sie - zweitens - munter in die zehn EU-Länder exportieren können, die den Euro nicht haben (wollen)? Und dass - drittens - der Anteil ihrer Exporte in die Euro-Zone seit Einführung des Euro gesunken ist?« Damals schloss ich mit den versöhnlichen Worten: »Seien wir froh, dass die Unterzeichner ihre Unternehmen besser führen als die Politiker den Euro.« Heute würde ich nachfragen, warum sie sich nicht besser informierten, bevor sie über ein so fragwürdiges Objekt in Begeisterungsstürme ausbrechen.
Dass alle Unterzeichner ihre Unternehmen gut führen, lässt sich ebenfalls nicht behaupten. Auch der Initiator des Euro- Jubels Gerhard Cromme hat gegen Grundprinzipien der Unternehmensführung verstoßen - ausgerechnet als Vorsitzender der »Regierungskommission für gute Unternehmensführung«. In dieser Funktion stellte er allerlei Regeln auf, die er deutschen Managern ans Herz legte, während er selbst einige von ihnen im eigenen Interesse verletzte. Für Skandale seines Unternehmens, die zu seiner Amtszeit gehäuft auftraten, weigerte er sich, die Verantwortung zu übernehmen. Sie perlten an ihm ab, weshalb ich ihn im Handelsblatt den »Teflonmann« nannte. Die Aufforderung an ihn, den Hut zu nehmen, wurde im Januar 2013 von der Vereinigung der deutschen Aufsichtsräte bekräftigt. Worauf Berthold Beitz ihn an die Luft setzte.
Keiner der 20 deutschen und 30 französischen Unternehmensfürsten, die auf Crommes Aufforderung hin den Treueschwur unterschrieben, würde sich in seiner eigenen Firma eine solche Nachlässigkeit erlauben. In Vieraugengesprächen gaben das einige der Unterzeichner auch zu: Sie hätten gar nicht gewusst, was Cromme da hineingeschrieben hatte. Und so, wie es da stand, fügten sie beschämt hinzu, hätten sie das nie genehmigt. Ihre Scham, fand ich, war berechtigt. In existenziellen Angelegenheiten, die über Wohl und Wehe von einer drei viertel Milliarde Menschen entscheiden, ist äußerste Gewissenhaftigkeit gefordert. Und daran haben es die Euro-Jubler fehlen lassen.
Copyright © 2013 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH.
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Autoren-Porträt von Hans-Olaf Henkel
Hans-Olaf Henkel, Jahrgang 1940, arbeitete über dreißig Jahre bei IBM, zuletzt als Europachef. Von 1995 bis 2000 war er Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie, heute ist er Präsident der Wissenschaftsgemeinschaft Gottfried Wilhelm Leibniz und Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Mannheim. Seine Autobiografie 'Die Macht der Freiheit' landete auf Platz 3 der Spiegel-Jahresbestsellerliste 2001.Bibliographische Angaben
- Autor: Hans-Olaf Henkel
- 2013, 272 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453200586
- ISBN-13: 9783453200586
- Erscheinungsdatum: 22.07.2013
Rezension zu „Die Euro-Lügner “
Der 73-Jährige macht seinem Ruf als eisenharter Klartext-Redner alle Ehre.
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