Die falsche Tochter
Roman
Als die Archäologin Callie Dunbrook an den Fundort eines fünftausend Jahre alten menschlichen Schädels gerufen wird, ahnt sie nicht, dass dieses Projekt auch ihre eigene Vergangenheit heraufbeschwören wird. Zuerst muss sie erfahren, dass...
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Produktinformationen zu „Die falsche Tochter “
Als die Archäologin Callie Dunbrook an den Fundort eines fünftausend Jahre alten menschlichen Schädels gerufen wird, ahnt sie nicht, dass dieses Projekt auch ihre eigene Vergangenheit heraufbeschwören wird. Zuerst muss sie erfahren, dass sie ausgerechnet mit ihrem Exmann Jake eng zusammenarbeiten soll, und dann sieht sie plötzlich ihre ganze Identität infrage gestellt. Denn eine fremde Frau, angeblich ihre leibliche Mutter, behauptet, dass Callies Eltern sie als Kind entführt haben. Heimlich stellt Callie Nachforschungen an - und fördert Erschreckendes zutage.
"Fesselnd, romantisch und exzellent konstruiert."
PUBLISHERS WEEKLY
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Klappentext zu „Die falsche Tochter “
Als die Archäologin Callie Dunbrook an den Fundort eines fünftausend Jahre alten menschlichen Schädels gerufen wird, ahnt sie nicht, dass dieses Projekt auch ihre eigene Vergangenheit heraufbeschwören wird. Zuerst muss sie erfahren, dass sie ausgerechnet mit ihrem Exmann Jake eng zusammenarbeiten soll, und dann sieht sie plötzlich ihre ganze Identität infrage gestellt. Denn eine fremde Frau, angeblich ihre leibliche Mutter, behauptet, dass Callies Eltern sie als Kind entführt haben. Heimlich stellt Callie Nachforschungen an - und fördert Erschreckendes zutage ...
Lese-Probe zu „Die falsche Tochter “
Die falsche Tochter von Nora RobertsPROLOG
12. Dezember 1974
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Douglas Edward Cullen musste dringend Pipi machen. Schuld daran waren seine Nervosität, die Aufregung und die Cola, die er bei McDonald's bekommen hatte, damit er artig war, während Mama einkaufte.
Gequält trat er von einem Fuß auf den anderen. Wie gern wäre er jetzt einfach losgerannt, oder wie gern hätte er laut geschrien! Sein Herz klopfte so heftig, dass er fast das Gefühl hatte zu explodieren.
Er liebte es, wenn im Fernsehen etwas explodierte.
Aber Mama hatte zu ihm gesagt, er müsse artig sein. Wenn kleine Jungen nicht artig waren, steckte der Nikolaus statt Spielzeug Kohle in ihre Strümpfe. Douglas wusste nicht genau, was Kohle war, aber dass er lieber Spielzeug wollte, das wusste er. Also stellte er sich nur vor, dass er schreien und rennen würde - wie immer, wenn es wirklich wichtig war, leise zu sein, und so, wie es ihm sein Daddy beigebracht hatte.
Der große Schneemann neben ihm grinste. Er war sogar noch dicker als Douglas' Tante Lucy. Douglas wusste nicht, wovon sich Schneemänner ernährten, aber dieser hier aß sicherlich immer eine Menge.
Die leuchtend rote Nase von Rudolf, dem Rentier, blinkte immerzu, bis alles vor Douglas' Augen verschwamm. Er versuchte, sich dadurch abzulenken, dass er die roten Punkte zählte, die vor seinen Augen tanzten, so wie Graf Zahl es immer in der Sesamstraße tat.
Eins, zwei, drei! Drei rote Punkte! Hahaha!
Aber es half nichts. Es wurde ihm sogar ein bisschen übel dabei.
Im Einkaufszentrum war es laut, von überall her ertönte Weihnachtsmusik, die Douglas' Ungeduld noch verstärkte, dazu das Schreien anderer Kinder, weinende Babys ...
Seit er eine kleine Schwester hatte, kannte er sich aus mit Babys. Wenn sie weinten, musste man sie auf den Arm nehmen, mit ihnen umhergehen und ihnen dabei etwas vorsingen. Oder man musste sich mit ihnen in den Schaukelstuhl setzen und ihnen so lange vorsichtig auf den Rücken klopfen, bis sie ein Bäuerchen machten.
Wenn Babys ganz laut rülpsten, brauchten sie sich nicht dafür zu entschuldigen. Klar, Babys konnten ja noch gar nicht sprechen.
Im Moment weinte Jessica jedoch nicht. Sie schlief in ihrem Buggy und sah in ihrem roten Kleidchen mit den weißen Rüschen wie eine Babypuppe aus. So nannte Grandma Jessica immer: ihre kleine Babypuppe. Aber manchmal schrie seine Schwester auch und hörte gar nicht mehr auf. Dann wurde ihr Gesicht ganz rot und verschrumpelt, und nichts konnte sie vom Schreien abhalten, weder das Singen noch das Hinundhergehen und auch nicht der Schaukelstuhl.
Douglas fand, dass Jessica in solchen Momenten gar nicht mehr wie eine Babypuppe aussah, sondern eher gemein und böse. Mama war dann immer zu müde, um mit ihm zu spielen. Bevor Jessica in ihren Bauch gekommen war, war sie nie zu müde dazu gewesen.
Aber meistens war es ganz in Ordnung, eine kleine Schwester zu haben. Douglas beobachtete gern, wie sie mit den Beinen strampelte. Und wenn siemanchmal nach seinem Finger griff und ihn richtig fest umklammerte, musste Douglas immer lachen.
Grandma sagte oft, er müsse Jessica beschützen, weil er ihr großer Bruder sei. Er hatte sich schon so viele Gedanken darüber gemacht, dass er sich eines Nachts sogar neben Jessicas Wiege auf den Fußboden gelegt hatte, für den Fall, dass die Monster, die im Schrank lebten, herauskämen und sie im Schlaf auffressen wollten. Aber am nächsten Morgen war er in seinem eigenen Bett aufgewacht. Vielleicht hatte er ja auch nur geträumt, dass er in Jessicas Zimmer gegangen war, um sie zu beschützen.
In diesem Augenblick bewegte sich die Schlange der wartenden Kinder weiter vor, und Douglas schielte ein wenig unbehaglich zu den Elfen hinüber, die um den Stand herumtanzten. Obwohl sie lächelten, wirkten sie ein wenig böse und gemein - wie Jessica, wenn sie so richtig laut schrie.
Wenn seine Schwester nicht endlich aufwachte, würde sie nicht beim Nikolaus auf dem Schoß sitzen können. Aber irgendwie wäre es ja auch blöd für Jessie, so fein gemacht auf seinem Schoß zu sitzen, wo sie ihm doch nicht einmal sagen könnte, was sie sich zu Weihnachten wünschte. Aber Douglas konnte es. Er war schon dreieinhalb Jahre alt - ein großer Junge, das sagten alle.
Jetzt beugte sich seine Mama zu ihm herunter und fragte ihn leise, ob er Pipi machen müsse. Er schüttelte den Kopf. Mama sah schon wieder so müde aus, und Douglas hatte Angst, dass sie sich wieder hinten anstellen würden und er nicht zum Nikolaus auf den Schoß käme, wenn sie jetzt zur Toilette gingen. Lächelnd drückte seine Mama ihm die Hand und versicherte ihm, es würde jetzt nicht mehr lange dauern.
Er wünschte sich ein Hot Wheels und einen G. I. Joe, eine Garage von Fisher Price, ein paar Matchbox-Autos und einen großen, gelben Bulldozer, wie ihn sein Freund Mitch zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Jessica war noch zu klein, um mit richtigem Spielzeug zu spielen. Sie hatte nur hübsche Kleider und Plüschtiere, richtigen Mädchenkram eben. Mädchen waren ganz schön blöd, aber Babys eigentlich noch mehr.
Doch Douglas würde dem Nikolaus trotzdem von Jessica erzählen, damit er nicht vergaß, auch für sie Geschenke mitzubringen, wenn er durch den Kamin in ihr Haus kam.
Mama unterhielt sich jetzt mit jemandem, aber Douglas hörte nicht hin. Das Gerede der Erwachsenen interessierte ihn nicht. Dann bewegte sich die Schlange der Wartenden erneut weiter, und Douglas konnte durch eine Lücke zwischen den Leuten den Nikolaus sehen. Er war groß - viel größer als in den Zeichentrickfilmen oder den Bilderbüchern, schien es Douglas - und saß auf einem Thron. Zahlreiche Elfen, Rentiere und Schneemänner standen und tanzten um ihn herum und lächelten breit. Nikolaus' Bart war so lang, dass Douglas sein Gesicht kaum erkennen konnte. Und als er ein dröhnendes »Ho, Ho, Ho! « ausstieß, hatte Douglas das Gefühl, als drückte es ihm direkt auf die Blase. Aber er war jetzt ein großer Junge, ganz bestimmt. Er hatte keine Angst vor Santa Claus.
In diesem Moment zog seine Mama ihn an der Hand und sagte, er sei jetzt an der Reihe und solle nach vorn gehen. Auch sie lächelte. Douglas trat einen Schritt vor, dann noch einen, und seine Beine begannen zu zittern. Der riesige Niklaus zog ihn auf den Schoß. Frohe Weihnachten! Warst du auch brav?
Vor Entsetzen wurde es Douglas eiskalt. Die Elfen kamen immer näher, Rudolfs rote Nase blinkte. Der Schneemann wandte seinen großen runden Kopf um und grinste Douglas höhnisch an. Der große Mann in dem roten Anzug hielt ihn fest umklammert und blickte ihn aus winzigen Knopfaugen an.
Schreiend und strampelnd rutschte Douglas vom Schoß des Nikolaus hinunter und landete unsanft auf dem Boden. Und dann konnte er das Pipi nicht mehr zurückhalten. Menschen umringten ihn und redeten auf ihn ein, aber er rollte sich zusammen und weinte jämmerlich. Dann war auf einmal Mama da, zog ihn an sich und sagte zu ihm, es sei alles in Ordnung. Sie wischte an ihm herum, weil er sich die Nase gestoßen hatte und blutete. Dann küsste sie ihn und schimpfte auch gar nicht, weil er sich in die Hose gemacht hatte. Schluchzend kuschelte Douglas sich an sie. Mama umarmte ihn fest und hob ihn hoch, sodass er sein Gesicht an ihrer Schulter verbergen konnte. Leise Trostworte murmelnd, drehte sie sich mit ihm zu Jessicas Buggy um. Und dann begann sie plötzlich zu schreien und rannte los.
Douglas klammerte sich an ihr fest und blickte nach unten. Der Buggy war leer.
1
Das Bauvorhaben am Antietam Creek wurde abrupt gestoppt, als die Schaufel von Billy Youngers Bagger den ersten Schädel zutage förderte.
Für Billy, der schwitzend und fluchend in seiner Baggerkabine gehockt hatte, war es eine unliebsame Überraschung. Ihm war es vollkommen egal, was mit dem Gelände geschehen sollte, und selbst in dieser grauenhaft feuchten Julihitze gefiel ihm nichts besser, als mit der Baggerschaufel in das Erdreich zu fahren und große Brocken herauszuholen. Ein Job war nun einmal ein Job, und Dolan bezahlte gut, fast so viel, dass es Bill für die ständigen Tiraden seiner Frau entschädigte.
Missy war entschieden gegen die Bebauung des Grundstücks und hatte Billy an diesem Morgen bereits mit schriller Stimme einen Vortrag gehalten, während er versucht hatte, sein Spiegelei und die Würstchen zu essen. Mit ihrem verfluchten Nörgeln hatte sie ihm regelrecht das Frühstück verdorben, dabei musste ein Mann doch etwas Anständiges im Magen haben, wenn er den Rest des Tages schuften sollte. Den ganzen Vormittag hatten ihm die wenigen Bissen, die er herunterbekommen hatte, wie ein Stein im Magen gelegen. Und als ihn jetzt aus der dunklen, fruchtbaren Erde ein schmutziger Schädel mit leeren Augenhöhlen angrinste, schrie der 233 Pfund schwere Billy entsetzt auf, sprang behände wie ein Tänzer von seiner Maschine herunter und rannte so schnell quer über die Baustelle davon, wie er in seinen besten Tagen auf der Highschool rund um den Sportplatz gerannt war.
Ihm war klar, dass ihn seine Kollegen gnadenlos mit dieser schreckhaften Reaktion aufziehen würden. Wahrscheinlich würde er am Ende seinem besten Freund die Nase blutig schlagen müssen, um zu beweisen, dass er trotz allem ein Mann war. Es dauerte eine Weile, bis Billy wieder zu Atem gekommen war und die ersten zusammenhängenden Sätze hervorbringen konnte. Er erstattete dem Vorarbeiter Bericht, der daraufhin sofort Ronald Dolan und den Bezirkssheriff informierte.
Als der Bezirkssheriff eintraf, hatten neugierige Arbeiter bereits weitere Knochen freigelegt. Der Sheriff ließ den Gerichtsmediziner holen, und schon bald tauchte auch ein Reporter von der Lokalzeitung auf, um Billy, Dolan und weitere Personen zu befragen. In Windeseile verbreiteten sich die ersten Gerüchte. Es war die Rede von Mord, von Massengräbern und Serienkillern, und als die Untersuchung abgeschlossen war und sich herausgestellt hatte, dass die Knochen sehr alt waren, wussten einige Leute nicht, ob sie erfreut oder enttäuscht sein sollten.
Für Dolan jedoch, der gegen Petitionen, Protestkundgebungen und Einwände gekämpft hatte, um das Bauprojekt auf dem fruchtbaren Ackerland durchzusetzen, spielte das Alter der Knochen keine Rolle. Allein die Tatsache, dass sie gefunden worden waren, war ihm ein Ärgernis.
Und als zwei Tage später Lana Campbell, eine Anwältin aus der Stadt, die es aufs Land verschlagen hatte, ihre Beine übereinander schlug und Dolan spöttisch anlächelte, musste er sehr an sich halten, um ihr nicht in ihr hübsches Gesicht zu springen.
»Die gerichtliche Verfügung ist glasklar«, erklärte Lana. Sie hatte am schärfsten gegen die Bebauung protestiert und jetzt allen Grund zum Lächeln.
»Sie brauchen keine gerichtliche Verfügung. Ich habe die Arbeiten ohnehin einstellen lassen und arbeite mit der Polizei und der Planungskommission zusammen.«
»Es ist nur eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Die Bezirksplanungskommission gibt Ihnen sechzig Tage Zeit, um einen Bericht vorzulegen und sie davon zu überzeugen, dass Sie mit der Bebauung fortfahren können.«
»Ich kenne die Bestimmungen, Schätzchen. Meine Firma baut seit sechsundvierzig Jahren Häuser in dieser Gegend.«
Dolan nannte die Anwältin absichtlich »Schätzchen«, um sie zu ärgern, doch Lana grinste nur. »Die Umweltschutzorganisation und die historische Gesellschaft haben mich engagiert, ich tue nur meine Arbeit. Mitglieder der archäologischen und anthropologischen Fakultäten der Universität von Maryland wollen das Gelände besichtigen. In ihrem Namen bitte ich Sie um Erlaubnis, dass sie Proben mitnehmen und untersuchen dürfen.«
»Engagierte Anwältin, Vertreterin der Universität.« Dolan, ein kräftig gebauter Ire mit rötlichem Gesicht, lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. »Sie haben viel zu tun.«
Er hakte die Daumen in seine roten Hosenträger, die er immer über einem blauen Arbeitshemd trug. Er betrachtete sie als Teil seiner Uniform, die ihn als Mitglied der arbeitenden Klasse auswies, ohne die seine Stadt und das ganze Land nicht zu dem geworden wären, was sie waren. Wie auch immer sein Bankkonto aussehen mochte - und er kannte den Betrag bis auf den Penny genau -, er brauchte keine vornehmen Kleider oder schicke Autos, um etwas darzustellen. Im Unterschied zu der hübschen Anwältin aus der Stadt war er in Woodsboro geboren und aufgewachsen. Und niemand, weder sie noch sonst irgendjemand, musste ihm sagen, was seine Gemeinde brauchte. Er wusste besser als die meisten anderen Leute, was für Woodsboro gut war. Er war ein Mann, der nach vorn blickte und sich um seine Zukunft kümmerte.
»Wir haben beide viel zu tun, deshalb komme ich gleich auf den Punkt.« Lana war entschlossen, das siegessichere Grinsen von Dolans Gesicht zu wischen. »Sie können mit den Bauarbeiten erst fortfahren, wenn das Gelände vom Bezirk überprüft und freigegeben worden ist. Dazu müssen Proben entnommen werden. Falls Kunstgegenstände ausgegraben werden, nützen sie Ihnen sowieso nichts. Wenn Sie sich in dieser Angelegenheit kooperativ verhalten, können unsere PR-Probleme dadurch beigelegt werden.«
»Für mich sind es keine Probleme.« Dolan hob seine großen Arbeiterhände. »Menschen brauchen Häuser. Die Gemeinde braucht Jobs. Das Bauvorhaben am Antietam Creek schafft beides. So etwas nennt man Fortschritt.«
»Dreißig neue Häuser. Mehr Verkehr auf Straßen, die nicht dafür ausgelegt sind, Schulen, die bereits jetzt überfüllt sind, der Verlust von Freiflächen und Ackerland.«
Das »Schätzchen« hatte Lana nicht erschüttern können, doch jetzt spürte sie den alten Ärger wieder in sich aufsteigen. Sie holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Die Gemeinde hat sich gegen das Bauprojekt gewehrt. So etwas nennt man Verlust von Lebensqualität. Aber das ist ein anderes Thema«, fügte sie hinzu, bevor er etwas erwidern konnte. »Bis die Knochen überprüft worden sind, arbeiten Sie nicht weiter.« Sie tippte mit dem Finger auf die gerichtliche Verfügung. »Sie werden diesen Prozess sicher beschleunigen wollen, indem Sie die Tests bezahlen, nicht wahr? Radiokarbonmethode. «
»Bezahlen ... «
Na, dachte sie, wer ist jetzt der Sieger? »Das Land gehört Ihnen, und damit gehören Ihnen auch die Fundstücke.« Lana hatte ihre Hausaufgaben gemacht. »Sie wissen, dass wir Sie mit Gerichtsbeschlüssen und einstweiligen Verfügungen überschütten werden, bis das alles geklärt ist. Bezahlen Sie die zwei Dollar, Mr Dolan« , erklärte sie und stand auf. »Ihre Anwälte werden Ihnen das Gleiche raten.«
Lana wartete, bis sie Dolans Bürotür hinter sich geschlossen hatte. Erst dann ließ sie es zu, dass sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht ausbreitete. Sie trat aus dem Gebäude und atmete die schwüle Sommerluft ein, während sie die Hauptstraße von Woodsboro entlangblickte. Beinahe wäre Lana wie eine Zehnjährige über den Gehweg gehüpft. Dies war jetzt ihre Stadt, ihr Zuhause. Sie hatte es schon so empfunden, als sie vor zwei Jahren von Baltimore nach Woodsboro gezogen war. Sie mochte diese kleine Stadt voller Tradition und Geschichte im Schatten der fernen Blue Ridge Mountains, die so weit vom großstädtischen Treiben Baltimores entfernt war.
Lana war in der Großstadt geboren und aufgewachsen und hatte sich mit der Entscheidung, nach Woodsboro zu ziehen, sehr schwer getan. Aber nachdem sie ihren Mann verloren hatte, konnte sie Baltimore, wo sie so viel an ihn erinnerte, nicht mehr ertragen. Steves Tod hatte sie völlig aus der Bahn geworfen, und es dauerte fast sechs Monate, bis sie die Trauer einigermaßen überwunden hatte und sich erneut dem Leben stellen konnte. Doch sie vermisste Steve noch immer schmerzlich. Er hatte eine große Lücke hinterlassen, die noch nicht wieder geschlossen war. Aber Lana musste funktionieren, schließlich hatte sie Tyler. Ihr Baby, ihren Jungen, ihren kleinen Schatz. Sie konnte ihm seinen Daddy nicht zurückbringen, aber sie konnte dafür sorgen, dass er eine schöne Kindheit hatte. In Woodsboro hatte Ty genug Platz zum Toben, er hatte einen Hund, Nachbarn und Freunde - und eine Mutter, die alles Menschenmögliche tat, um ihn sicher und glücklich aufwachsen zu lassen.
Im Gehen blickte Lana auf ihre Armbanduhr. Heute war Ty nach der Vorschule mit zu seinem Freund Brock gegangen. In einer Stunde würde sie bei Jo, Brocks Mutter, anrufen, um zu hören, ob alles in Ordnung war. An der Kreuzung blieb Lana stehen und wartete darauf, dass die Ampel grün wurde. Es herrschte nicht viel Verkehr, schließlich war Woodsboro eine Kleinstadt.
...
Übersetzung: Margarethe von Pée
Copyright © dieser Ausgabe 2012 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Douglas Edward Cullen musste dringend Pipi machen. Schuld daran waren seine Nervosität, die Aufregung und die Cola, die er bei McDonald's bekommen hatte, damit er artig war, während Mama einkaufte.
Gequält trat er von einem Fuß auf den anderen. Wie gern wäre er jetzt einfach losgerannt, oder wie gern hätte er laut geschrien! Sein Herz klopfte so heftig, dass er fast das Gefühl hatte zu explodieren.
Er liebte es, wenn im Fernsehen etwas explodierte.
Aber Mama hatte zu ihm gesagt, er müsse artig sein. Wenn kleine Jungen nicht artig waren, steckte der Nikolaus statt Spielzeug Kohle in ihre Strümpfe. Douglas wusste nicht genau, was Kohle war, aber dass er lieber Spielzeug wollte, das wusste er. Also stellte er sich nur vor, dass er schreien und rennen würde - wie immer, wenn es wirklich wichtig war, leise zu sein, und so, wie es ihm sein Daddy beigebracht hatte.
Der große Schneemann neben ihm grinste. Er war sogar noch dicker als Douglas' Tante Lucy. Douglas wusste nicht, wovon sich Schneemänner ernährten, aber dieser hier aß sicherlich immer eine Menge.
Die leuchtend rote Nase von Rudolf, dem Rentier, blinkte immerzu, bis alles vor Douglas' Augen verschwamm. Er versuchte, sich dadurch abzulenken, dass er die roten Punkte zählte, die vor seinen Augen tanzten, so wie Graf Zahl es immer in der Sesamstraße tat.
Eins, zwei, drei! Drei rote Punkte! Hahaha!
Aber es half nichts. Es wurde ihm sogar ein bisschen übel dabei.
Im Einkaufszentrum war es laut, von überall her ertönte Weihnachtsmusik, die Douglas' Ungeduld noch verstärkte, dazu das Schreien anderer Kinder, weinende Babys ...
Seit er eine kleine Schwester hatte, kannte er sich aus mit Babys. Wenn sie weinten, musste man sie auf den Arm nehmen, mit ihnen umhergehen und ihnen dabei etwas vorsingen. Oder man musste sich mit ihnen in den Schaukelstuhl setzen und ihnen so lange vorsichtig auf den Rücken klopfen, bis sie ein Bäuerchen machten.
Wenn Babys ganz laut rülpsten, brauchten sie sich nicht dafür zu entschuldigen. Klar, Babys konnten ja noch gar nicht sprechen.
Im Moment weinte Jessica jedoch nicht. Sie schlief in ihrem Buggy und sah in ihrem roten Kleidchen mit den weißen Rüschen wie eine Babypuppe aus. So nannte Grandma Jessica immer: ihre kleine Babypuppe. Aber manchmal schrie seine Schwester auch und hörte gar nicht mehr auf. Dann wurde ihr Gesicht ganz rot und verschrumpelt, und nichts konnte sie vom Schreien abhalten, weder das Singen noch das Hinundhergehen und auch nicht der Schaukelstuhl.
Douglas fand, dass Jessica in solchen Momenten gar nicht mehr wie eine Babypuppe aussah, sondern eher gemein und böse. Mama war dann immer zu müde, um mit ihm zu spielen. Bevor Jessica in ihren Bauch gekommen war, war sie nie zu müde dazu gewesen.
Aber meistens war es ganz in Ordnung, eine kleine Schwester zu haben. Douglas beobachtete gern, wie sie mit den Beinen strampelte. Und wenn siemanchmal nach seinem Finger griff und ihn richtig fest umklammerte, musste Douglas immer lachen.
Grandma sagte oft, er müsse Jessica beschützen, weil er ihr großer Bruder sei. Er hatte sich schon so viele Gedanken darüber gemacht, dass er sich eines Nachts sogar neben Jessicas Wiege auf den Fußboden gelegt hatte, für den Fall, dass die Monster, die im Schrank lebten, herauskämen und sie im Schlaf auffressen wollten. Aber am nächsten Morgen war er in seinem eigenen Bett aufgewacht. Vielleicht hatte er ja auch nur geträumt, dass er in Jessicas Zimmer gegangen war, um sie zu beschützen.
In diesem Augenblick bewegte sich die Schlange der wartenden Kinder weiter vor, und Douglas schielte ein wenig unbehaglich zu den Elfen hinüber, die um den Stand herumtanzten. Obwohl sie lächelten, wirkten sie ein wenig böse und gemein - wie Jessica, wenn sie so richtig laut schrie.
Wenn seine Schwester nicht endlich aufwachte, würde sie nicht beim Nikolaus auf dem Schoß sitzen können. Aber irgendwie wäre es ja auch blöd für Jessie, so fein gemacht auf seinem Schoß zu sitzen, wo sie ihm doch nicht einmal sagen könnte, was sie sich zu Weihnachten wünschte. Aber Douglas konnte es. Er war schon dreieinhalb Jahre alt - ein großer Junge, das sagten alle.
Jetzt beugte sich seine Mama zu ihm herunter und fragte ihn leise, ob er Pipi machen müsse. Er schüttelte den Kopf. Mama sah schon wieder so müde aus, und Douglas hatte Angst, dass sie sich wieder hinten anstellen würden und er nicht zum Nikolaus auf den Schoß käme, wenn sie jetzt zur Toilette gingen. Lächelnd drückte seine Mama ihm die Hand und versicherte ihm, es würde jetzt nicht mehr lange dauern.
Er wünschte sich ein Hot Wheels und einen G. I. Joe, eine Garage von Fisher Price, ein paar Matchbox-Autos und einen großen, gelben Bulldozer, wie ihn sein Freund Mitch zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte. Jessica war noch zu klein, um mit richtigem Spielzeug zu spielen. Sie hatte nur hübsche Kleider und Plüschtiere, richtigen Mädchenkram eben. Mädchen waren ganz schön blöd, aber Babys eigentlich noch mehr.
Doch Douglas würde dem Nikolaus trotzdem von Jessica erzählen, damit er nicht vergaß, auch für sie Geschenke mitzubringen, wenn er durch den Kamin in ihr Haus kam.
Mama unterhielt sich jetzt mit jemandem, aber Douglas hörte nicht hin. Das Gerede der Erwachsenen interessierte ihn nicht. Dann bewegte sich die Schlange der Wartenden erneut weiter, und Douglas konnte durch eine Lücke zwischen den Leuten den Nikolaus sehen. Er war groß - viel größer als in den Zeichentrickfilmen oder den Bilderbüchern, schien es Douglas - und saß auf einem Thron. Zahlreiche Elfen, Rentiere und Schneemänner standen und tanzten um ihn herum und lächelten breit. Nikolaus' Bart war so lang, dass Douglas sein Gesicht kaum erkennen konnte. Und als er ein dröhnendes »Ho, Ho, Ho! « ausstieß, hatte Douglas das Gefühl, als drückte es ihm direkt auf die Blase. Aber er war jetzt ein großer Junge, ganz bestimmt. Er hatte keine Angst vor Santa Claus.
In diesem Moment zog seine Mama ihn an der Hand und sagte, er sei jetzt an der Reihe und solle nach vorn gehen. Auch sie lächelte. Douglas trat einen Schritt vor, dann noch einen, und seine Beine begannen zu zittern. Der riesige Niklaus zog ihn auf den Schoß. Frohe Weihnachten! Warst du auch brav?
Vor Entsetzen wurde es Douglas eiskalt. Die Elfen kamen immer näher, Rudolfs rote Nase blinkte. Der Schneemann wandte seinen großen runden Kopf um und grinste Douglas höhnisch an. Der große Mann in dem roten Anzug hielt ihn fest umklammert und blickte ihn aus winzigen Knopfaugen an.
Schreiend und strampelnd rutschte Douglas vom Schoß des Nikolaus hinunter und landete unsanft auf dem Boden. Und dann konnte er das Pipi nicht mehr zurückhalten. Menschen umringten ihn und redeten auf ihn ein, aber er rollte sich zusammen und weinte jämmerlich. Dann war auf einmal Mama da, zog ihn an sich und sagte zu ihm, es sei alles in Ordnung. Sie wischte an ihm herum, weil er sich die Nase gestoßen hatte und blutete. Dann küsste sie ihn und schimpfte auch gar nicht, weil er sich in die Hose gemacht hatte. Schluchzend kuschelte Douglas sich an sie. Mama umarmte ihn fest und hob ihn hoch, sodass er sein Gesicht an ihrer Schulter verbergen konnte. Leise Trostworte murmelnd, drehte sie sich mit ihm zu Jessicas Buggy um. Und dann begann sie plötzlich zu schreien und rannte los.
Douglas klammerte sich an ihr fest und blickte nach unten. Der Buggy war leer.
1
Das Bauvorhaben am Antietam Creek wurde abrupt gestoppt, als die Schaufel von Billy Youngers Bagger den ersten Schädel zutage förderte.
Für Billy, der schwitzend und fluchend in seiner Baggerkabine gehockt hatte, war es eine unliebsame Überraschung. Ihm war es vollkommen egal, was mit dem Gelände geschehen sollte, und selbst in dieser grauenhaft feuchten Julihitze gefiel ihm nichts besser, als mit der Baggerschaufel in das Erdreich zu fahren und große Brocken herauszuholen. Ein Job war nun einmal ein Job, und Dolan bezahlte gut, fast so viel, dass es Bill für die ständigen Tiraden seiner Frau entschädigte.
Missy war entschieden gegen die Bebauung des Grundstücks und hatte Billy an diesem Morgen bereits mit schriller Stimme einen Vortrag gehalten, während er versucht hatte, sein Spiegelei und die Würstchen zu essen. Mit ihrem verfluchten Nörgeln hatte sie ihm regelrecht das Frühstück verdorben, dabei musste ein Mann doch etwas Anständiges im Magen haben, wenn er den Rest des Tages schuften sollte. Den ganzen Vormittag hatten ihm die wenigen Bissen, die er herunterbekommen hatte, wie ein Stein im Magen gelegen. Und als ihn jetzt aus der dunklen, fruchtbaren Erde ein schmutziger Schädel mit leeren Augenhöhlen angrinste, schrie der 233 Pfund schwere Billy entsetzt auf, sprang behände wie ein Tänzer von seiner Maschine herunter und rannte so schnell quer über die Baustelle davon, wie er in seinen besten Tagen auf der Highschool rund um den Sportplatz gerannt war.
Ihm war klar, dass ihn seine Kollegen gnadenlos mit dieser schreckhaften Reaktion aufziehen würden. Wahrscheinlich würde er am Ende seinem besten Freund die Nase blutig schlagen müssen, um zu beweisen, dass er trotz allem ein Mann war. Es dauerte eine Weile, bis Billy wieder zu Atem gekommen war und die ersten zusammenhängenden Sätze hervorbringen konnte. Er erstattete dem Vorarbeiter Bericht, der daraufhin sofort Ronald Dolan und den Bezirkssheriff informierte.
Als der Bezirkssheriff eintraf, hatten neugierige Arbeiter bereits weitere Knochen freigelegt. Der Sheriff ließ den Gerichtsmediziner holen, und schon bald tauchte auch ein Reporter von der Lokalzeitung auf, um Billy, Dolan und weitere Personen zu befragen. In Windeseile verbreiteten sich die ersten Gerüchte. Es war die Rede von Mord, von Massengräbern und Serienkillern, und als die Untersuchung abgeschlossen war und sich herausgestellt hatte, dass die Knochen sehr alt waren, wussten einige Leute nicht, ob sie erfreut oder enttäuscht sein sollten.
Für Dolan jedoch, der gegen Petitionen, Protestkundgebungen und Einwände gekämpft hatte, um das Bauprojekt auf dem fruchtbaren Ackerland durchzusetzen, spielte das Alter der Knochen keine Rolle. Allein die Tatsache, dass sie gefunden worden waren, war ihm ein Ärgernis.
Und als zwei Tage später Lana Campbell, eine Anwältin aus der Stadt, die es aufs Land verschlagen hatte, ihre Beine übereinander schlug und Dolan spöttisch anlächelte, musste er sehr an sich halten, um ihr nicht in ihr hübsches Gesicht zu springen.
»Die gerichtliche Verfügung ist glasklar«, erklärte Lana. Sie hatte am schärfsten gegen die Bebauung protestiert und jetzt allen Grund zum Lächeln.
»Sie brauchen keine gerichtliche Verfügung. Ich habe die Arbeiten ohnehin einstellen lassen und arbeite mit der Polizei und der Planungskommission zusammen.«
»Es ist nur eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme. Die Bezirksplanungskommission gibt Ihnen sechzig Tage Zeit, um einen Bericht vorzulegen und sie davon zu überzeugen, dass Sie mit der Bebauung fortfahren können.«
»Ich kenne die Bestimmungen, Schätzchen. Meine Firma baut seit sechsundvierzig Jahren Häuser in dieser Gegend.«
Dolan nannte die Anwältin absichtlich »Schätzchen«, um sie zu ärgern, doch Lana grinste nur. »Die Umweltschutzorganisation und die historische Gesellschaft haben mich engagiert, ich tue nur meine Arbeit. Mitglieder der archäologischen und anthropologischen Fakultäten der Universität von Maryland wollen das Gelände besichtigen. In ihrem Namen bitte ich Sie um Erlaubnis, dass sie Proben mitnehmen und untersuchen dürfen.«
»Engagierte Anwältin, Vertreterin der Universität.« Dolan, ein kräftig gebauter Ire mit rötlichem Gesicht, lehnte sich in seinem Schreibtischstuhl zurück. Seine Stimme triefte vor Sarkasmus. »Sie haben viel zu tun.«
Er hakte die Daumen in seine roten Hosenträger, die er immer über einem blauen Arbeitshemd trug. Er betrachtete sie als Teil seiner Uniform, die ihn als Mitglied der arbeitenden Klasse auswies, ohne die seine Stadt und das ganze Land nicht zu dem geworden wären, was sie waren. Wie auch immer sein Bankkonto aussehen mochte - und er kannte den Betrag bis auf den Penny genau -, er brauchte keine vornehmen Kleider oder schicke Autos, um etwas darzustellen. Im Unterschied zu der hübschen Anwältin aus der Stadt war er in Woodsboro geboren und aufgewachsen. Und niemand, weder sie noch sonst irgendjemand, musste ihm sagen, was seine Gemeinde brauchte. Er wusste besser als die meisten anderen Leute, was für Woodsboro gut war. Er war ein Mann, der nach vorn blickte und sich um seine Zukunft kümmerte.
»Wir haben beide viel zu tun, deshalb komme ich gleich auf den Punkt.« Lana war entschlossen, das siegessichere Grinsen von Dolans Gesicht zu wischen. »Sie können mit den Bauarbeiten erst fortfahren, wenn das Gelände vom Bezirk überprüft und freigegeben worden ist. Dazu müssen Proben entnommen werden. Falls Kunstgegenstände ausgegraben werden, nützen sie Ihnen sowieso nichts. Wenn Sie sich in dieser Angelegenheit kooperativ verhalten, können unsere PR-Probleme dadurch beigelegt werden.«
»Für mich sind es keine Probleme.« Dolan hob seine großen Arbeiterhände. »Menschen brauchen Häuser. Die Gemeinde braucht Jobs. Das Bauvorhaben am Antietam Creek schafft beides. So etwas nennt man Fortschritt.«
»Dreißig neue Häuser. Mehr Verkehr auf Straßen, die nicht dafür ausgelegt sind, Schulen, die bereits jetzt überfüllt sind, der Verlust von Freiflächen und Ackerland.«
Das »Schätzchen« hatte Lana nicht erschüttern können, doch jetzt spürte sie den alten Ärger wieder in sich aufsteigen. Sie holte tief Luft und stieß sie langsam wieder aus. »Die Gemeinde hat sich gegen das Bauprojekt gewehrt. So etwas nennt man Verlust von Lebensqualität. Aber das ist ein anderes Thema«, fügte sie hinzu, bevor er etwas erwidern konnte. »Bis die Knochen überprüft worden sind, arbeiten Sie nicht weiter.« Sie tippte mit dem Finger auf die gerichtliche Verfügung. »Sie werden diesen Prozess sicher beschleunigen wollen, indem Sie die Tests bezahlen, nicht wahr? Radiokarbonmethode. «
»Bezahlen ... «
Na, dachte sie, wer ist jetzt der Sieger? »Das Land gehört Ihnen, und damit gehören Ihnen auch die Fundstücke.« Lana hatte ihre Hausaufgaben gemacht. »Sie wissen, dass wir Sie mit Gerichtsbeschlüssen und einstweiligen Verfügungen überschütten werden, bis das alles geklärt ist. Bezahlen Sie die zwei Dollar, Mr Dolan« , erklärte sie und stand auf. »Ihre Anwälte werden Ihnen das Gleiche raten.«
Lana wartete, bis sie Dolans Bürotür hinter sich geschlossen hatte. Erst dann ließ sie es zu, dass sich ein Grinsen auf ihrem Gesicht ausbreitete. Sie trat aus dem Gebäude und atmete die schwüle Sommerluft ein, während sie die Hauptstraße von Woodsboro entlangblickte. Beinahe wäre Lana wie eine Zehnjährige über den Gehweg gehüpft. Dies war jetzt ihre Stadt, ihr Zuhause. Sie hatte es schon so empfunden, als sie vor zwei Jahren von Baltimore nach Woodsboro gezogen war. Sie mochte diese kleine Stadt voller Tradition und Geschichte im Schatten der fernen Blue Ridge Mountains, die so weit vom großstädtischen Treiben Baltimores entfernt war.
Lana war in der Großstadt geboren und aufgewachsen und hatte sich mit der Entscheidung, nach Woodsboro zu ziehen, sehr schwer getan. Aber nachdem sie ihren Mann verloren hatte, konnte sie Baltimore, wo sie so viel an ihn erinnerte, nicht mehr ertragen. Steves Tod hatte sie völlig aus der Bahn geworfen, und es dauerte fast sechs Monate, bis sie die Trauer einigermaßen überwunden hatte und sich erneut dem Leben stellen konnte. Doch sie vermisste Steve noch immer schmerzlich. Er hatte eine große Lücke hinterlassen, die noch nicht wieder geschlossen war. Aber Lana musste funktionieren, schließlich hatte sie Tyler. Ihr Baby, ihren Jungen, ihren kleinen Schatz. Sie konnte ihm seinen Daddy nicht zurückbringen, aber sie konnte dafür sorgen, dass er eine schöne Kindheit hatte. In Woodsboro hatte Ty genug Platz zum Toben, er hatte einen Hund, Nachbarn und Freunde - und eine Mutter, die alles Menschenmögliche tat, um ihn sicher und glücklich aufwachsen zu lassen.
Im Gehen blickte Lana auf ihre Armbanduhr. Heute war Ty nach der Vorschule mit zu seinem Freund Brock gegangen. In einer Stunde würde sie bei Jo, Brocks Mutter, anrufen, um zu hören, ob alles in Ordnung war. An der Kreuzung blieb Lana stehen und wartete darauf, dass die Ampel grün wurde. Es herrschte nicht viel Verkehr, schließlich war Woodsboro eine Kleinstadt.
...
Übersetzung: Margarethe von Pée
Copyright © dieser Ausgabe 2012 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Nora Roberts
Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren und gehört heute zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt. Auch in Deutschland erobert sie mit ihren Romanen regelmäßig die Bestsellerlisten. Zuletzt erschien ihr Roman Die falsche Tochter im Diana Verlag. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Keedysville/Maryland.
Bibliographische Angaben
- Autor: Nora Roberts
- 2012, 8. Aufl., 543 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Margarethe van Pée
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453355962
- ISBN-13: 9783453355965
- Erscheinungsdatum: 06.01.2012
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