Die Insel des zweiten Gesichts
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Die Inseldes zweiten Gesichts von AlbertVigoleis Thelen
LESEPROBE
Gepriesensei der Himmel nebst allen Heiligen,
der unsendlich ein Abenteuer beschert hat, das etwas einträgt!
DON QUIJOTE DE LA MANCHA
Puta la madre, puta la hija, puta la manta, que lascobija.
EIN ALTSPANISCHES SPRICHWORT
Jederwird mit seinem Norden oder Süden gleich geboren, ob in einem äußeren dazu - dasmacht wenig.
JEAN PAUL
Ringsum hatte sich die graue Schicht der Nacht gehoben, alswir das Achterdeck betraten, unausgeschlafen, wie aus der Naht getrennt, leichtfröstelnd in der Brise, die den Kimm reinfegte und uns bald schon dasSchauspiel der näher rückenden Steilküste Mallorcas bot. Am Vorabend hatte eineTrübung des Himmels den in jedem Reisehandbuch anempfohlenen letzten Blick aufdie ins Meer versinkende Kette des sagenhaften Monsalwatsch verwehrt. Nunwurden wir reichlich entschädigt, und ich um so mehr, je weniger mich die Landschaft,das Schöne in der Natur als ihr großes Los zu fesseln vermag. Denn daß mir dieWelt so hin und wieder durch ihre Laterna magica eine berühmte Ansichtskarte inihrer vorbildlichen Form vor die Augen stellt, ist nicht mehr als billig, seheich es von dem Standpunkte eines Beobachters, der sein Dasein immer noch nichtals eine kleine Vergnügungsreise mit Plaid und Parapluie auffassen kann. Ichbin kein Parvenu, ich wüßte ja nicht einmal, woraus und woran ich emporkommenkönnte; aber so an der Reling neben Beatrice stehend, hatte ich alles an mirvon einem eitlen Fant, der das, was ihm da geboten wird, schon tausendmalschöner und erhabener gesehen hat. Gesehen aber hatte ich in meinem Leben fastnoch nichts. Ein paar Reisen in Deutschland, der Tschechoslowakei, in Hollandund in der Schweiz, zu mehr hatte es nicht gelangt. Doch wäre das schonübergenug gewesen, hätte ich nicht ständig meine Augen nach innen gerichtet gehalten,auf die Landschaft meiner selbst. Da gab es fürwahr nicht viel zu besichtigen,verglichen mit der Loreley, den Tulpenfeldern in Lisse, dem Hradschin odereinem Luzerner Gletscherschliff mit Erklärungen von Professor Heim. Bei meinerGletschermühle hätte auch der eingeschwätzteste Cicerone mit einem Mund vollerZähne dagestanden, denn da bot sich nur der Anblick einer Schlackenhalde, ausder freilich nie ein Escorial würde entstehen können.
Beatricens Begeisterung war groß und ungeteilt. KeineVergleiche mit den Stationen ihrer weiten Reisen mischten sich in ihre Freude,die sich entzündete an jeder Farbenstrahlung, an einer Möwe, die einen BissenBrot im kreischenden Taumel aus der Luft schnappte, am Spiel der Delphine undselbst am Kielwasser, das sich verbreiterte, je näher es dem Horizont kam, unddort eins wurde mit einem aufwärts gerichteten Streifen Licht.
Wie ich aber im akustischen Sinne amusisch bin, ist sieaußerstande, sich mit der Feder ihrem musikalischen Gesetz entsprechend auszudrücken,sonst bäte ich sie, gleich hier eine Beschreibung des Sonnenaufgangs folgen zulassen, die dem Grade ihrer damaligen Begeisterung entspräche, da vielleichtder eine oder andere Leser sie ganz am Platze fände. Sie wäre es und das um somehr, wo jedem Mitfahrenden als einmalig erscheinen mußte, was sich bei einigerGunst der Witterung allmorgendlich mit einer am Chronometer der Kommandobrückezu überprüfenden Pünktlichkeit abspielte und Beatrice zu immer neuen Ausrufender Ergriffenheit hinriß, bei einem sonst so verschlossenen Menschen einemerkwürdige Anerkennung der Leistungen unserer Allmutter Natur. Es gibt Orteauf der Welt, wo diese Mutter mit dem ihr eigenen, ob auch wenig mütterlichenschlechten Gewissen wettmacht, was sie an anderen Stellen dem Menschen anSchönheit vorenthält. Ein Sonnenaufgang zum Beispiel auf 9° 45'16" nördlicher Breite und 2° 8' 28" östlicher Länge könntemich für 365 alltägliche Sonnenfinsternisse in dem Kleinleuteviertel derdritten Amsterdamer Helmersstraße entschädigen, wenn mir an einem Aufgangdieses Gestirns überhaupt etwas gelegen wäre. Von mir aus kann es ewig unterder Wasserhöhe bleiben, solange ich das Geld aufbringe, meinen Bullerofen zustochen und die Ampel zu speisen.
Viel der Worte fürwahr, sich an der Schilderung einesmittelmeerischen Fiat Lux vorbeizudrücken, das sich inzwischen mit allen Aus-,An- und Überstrahlungen soweit vollzogen hat, daß man mit Fug sagen könnte: esist Tag. Sogar die Siebenschläfer sind nun aufgewacht und an Deck geeilt. Eswimmelt von Passagieren, Rufe fliegen hin und her, und mancher Mund bleibteinfach offenstehen, 'das Wort des Erstaunens kommt nicht mal mehr aus ihmheraus. Das ist die kindlichste und darum wohl göttlichste Art der Teilnahme aneinem Phänomen der uns umgebenden Welt. Wir haben nur nicht den Mut, sie unsimmer zu leisten, denn der offene Mund gilt als nicht fein. Wer ihn nichthalten konnte, erläuterte das Schauspiel, von einer stillen Andacht keine Spur.Viele Sprachen klangen durcheinander, doch schien mir das Spanischevorzuherrschen, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß es meinem Ohre nochfremd war. Auch Englisch und Amerikanisch, was ich schon unterscheiden gelernt hatte,mischte sich in den allgemeinen Jubel der Tagwerdung, und dann Deutsch.
Neben uns wurde diese Sprache von einem Pärchengesprochen, das mit erzwungener Ungezwungenheit den Zustand zu verbergen suchte,wo man das Licht eher scheut als sucht, besonders wenn es wie hier in einer somajestätischen Freigebigkeit von dem rasch steigenden Sonnenball auf uns alleniedergegossen wurde. Die beiden im sichtlichen Glück noch Unglücklichen hattenwohl nicht mit den Schmarotzern gerechnet, die da unten ihr Wesen trieben. Ernannte sie Lissy, und sie nannte ihn Heiner. Mit Heinrich und Elisabeth werdensie sich heute traktieren, wenn sie noch nicht gestorben sind. MeineAufmerksamkeit vermochten sie nicht länger in Anspruch zu nehmen, als ich Zeitnötig habe, ihrer hier zu gedenken. Ich tue es auch nur der kosmopolitischenPalette wegen, auf die ich noch schnell eine ältliche Engländerin auftupfenwill, die mit Beatrice ins Gespräch geriet und selig war, ihre eingefleischten»sightseeing«Phrasen gegen ein höfliches Verständnis zwanglos einzutauschen.Sie »täte« die Insel, ja, allein - und mit solchen schlotternden Baumwollstrümpfenund dem unrasierten Kinn würde sie wohl kaum mehr einen Partner finden, derüber ein »yes« und »no« der Unterhaltung hinaus an ihrem Leben Anteil nehmenmöchte, weder außen, die Rente schien kümmerlich zu sein, noch innen, wo estrotz ihres gefältelten Lächelns muffig roch nach kleinstem Glück. Aber Engländersind ja nie und nirgend allein, solange ihr Empire ihnen anhängt wie die sichverbreiternde Kette der Glieder am Kopf eines Bandwurms. Ich habe solcherSpinster im späteren Leben mehr getroffen. Sie sind zeitlos, wie die Spatzenauch sie an keinen Strich gebunden, und sie werden selbst die Ära ihresschlimmsten Feindes noch überleben, der da heißt: Nylonstrumpf. (...)
© Ullstein Heyne List GmbH & Co. KG, München 2003
- Autor: Albert V. Thelen
- 2011, 7. Aufl., 944 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: List TB.
- ISBN-10: 3548605141
- ISBN-13: 9783548605142
- Erscheinungsdatum: 15.02.2005
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