Die Opferstätte
Die Archäologin Illaun Bowe interessiert sich eigentlich nur für die Geschichte einer heidnischen Opferstätte. Doch als sie im irischen Kilkee auf die Überreste eines Mordopfers stößt, steckt sie plötzlich mitten in...
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Produktinformationen zu „Die Opferstätte “
Die Archäologin Illaun Bowe interessiert sich eigentlich nur für die Geschichte einer heidnischen Opferstätte. Doch als sie im irischen Kilkee auf die Überreste eines Mordopfers stößt, steckt sie plötzlich mitten in einem Strudel aus Mord und einer jahrhundertealten Verschwörung.
Klappentext zu „Die Opferstätte “
Manchmal bedarf es einer Archäologin, einen längst verjährten Mord aufzuklären...Eigentlich interessierte sich die Archäologin Illaun Bowe nur für die Geschichte eines Unglück bringenden christlichen Kreuzes, das auf einer heidnischen Opferstätte errichtet wurde. Aber da entdeckt sie am Strand des irischen Städtchens Kilkee die Überreste eines Mordopfers...Plötzlich befindet sich Illaun mitten in einem Strudel aus Mord, Drogen und einer jahrealten Verschwörung des Schweigens. Einzig ihre Freundin Kim und der attraktive Pilot Barry stehen ihr bei. Ging es bei dem Mord wirklich nur um ein riesiges Immobiliengeschäft, das vor Jahren auf dubiose Weise zustande kam, oder steckt mehr dahinter? Schließlich wurden die Häuser auf einer uralten Kultstätte errichtet. Da begehen die Verschwörer einen weiteren Mord, und Illaun könnte das nächste Opfer sein. Doch als ihr dies bewusst wird, steht sie dem Killer bereits gegenüber, hoch über den Klippen der Steilküste Irlands, an denen nicht nur Seeleute ihr Leben verloren.
"Patrick Dunnes Thriller bescheren Gänsehaut!" -- Münchener Merkur
"Patrick Dunne raubt einem so manche Nachtstunde!" -- Buchkultur
"Feine Lektüre für einen schönen Lesetag." -- unterhaltung-themenguide.de
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Lese-Probe zu „Die Opferstätte “
Die Opferstätte von Patrick DunneIhr hattet Muß', im Augenblick des Todes,
Der Tiefe Heimlichkeiten auszuspäh'n?
SHAKESPEARE, KÖNIG RICHARD III.
1
Ich glaube, da vorn ist der Abfallhaufen, Illaun«, sagte Mahon.
Wir beide gingen über einen windgepeitschten Kiesstrand in der Shannon-Mündung. Links von uns endete das Küstenweideland abrupt an einer nackten Uferböschung aus sandiger, mit Steinen durchsetzter Erde. Zu unserer Rechten erstreckte sich kabbeliges, graues Wasser bis zur Küste von Kerry, die als verschwommenes Grün in der Ferne erkennbar war. Über uns drohte sich eine gewaltige Regenwolke zu entladen, während wir über die losen Steine stolperten, die mit allerlei Unrat übersät waren, den die Flut herangetragen hatte: Plastikwasserflaschen, rostige Sprühdosen, ein Stück blaues Nylonseil, das an einer Boje befestigt war, die Ringe von einer Sechserpackung Getränke, eine rosa Kinderbadelatsche. Ich musste über die Ironie lächeln wir bahnten uns einen Weg über einen neuzeitlichen Abfallhaufen, um zu einem prähistorischen zu gelangen.
Einige Kilometer weiter westlich krachten haushohe Atlantikwellen entlang der Halbinsel Loop Head gegen Klippen und brandeten in kleine Buchten und Meereshöhlen. Was bedeutete, dass das Schiffswrack, nach dem Mahon tauchen sollte, im Moment nicht zugänglich war.
Theo Mahon war Meereshistoriker und sah auch aus wie einer. Er trug eine Seemannsmütze und eine marineblaue, zweireihige Jacke, die sich mit Mühe über einen grauen Rollkragenpullover mit Zopfmuster spannte. Der kratzige weiße Bart, der aus seinen wohl gefütterten Backen spross, erinnerte an eine Scheuerbürste, ein Eindruck, der durch das Fehlen eines Schnurrbarts noch unterstrichen wurde. »Ich rasiere mir den Schnauzer ab, wenn ich tauche«, hatte er
... mehr
erklärt. »Sonst sickert immer Wasser in meine Maske.«
Es war Mahon gewesen, der vorgeschlagen hatte, dass wir zur Flussmündung hinausfahren sollten, um Berichte zu überprüfen, ein Muschelhaufen sei infolge eines Zusammenspiels von hohen Gezeiten und rauer See freigelegt worden. Es war September, und der Vollmond war in einer Linie mit Erde und Sonne. Das allein verursachte bereits besonders hohe und niedrige Gezeitenstände. Aber wenn man die bevorstehende Tagundnachtgleiche sowie den Umstand, dass der Mond näher zur Erde stand und irgendwie geneigt war, mit berücksichtigte, wurde es noch komplizierter. Ich versuchte schon lange nicht mehr, diese Wissenschaft zu verstehen, aber alles in allem war es offenbar ein Rezept für extreme Gezeiten.
Regen setzte ein und prasselte auf meine Windjacke. Ich zog die Kapuze über den Kopf, doch ehe ich sie festbinden konnte, erfasste der Wind das Zugband und ließ den Knebel gegen mein Gesicht schlagen. Es brannte, obwohl meine Wangen taub waren von der Kälte. Die Witterung war eher wie Ende Januar als wie Frühherbst.
»Da ist er«, sagte Mahon. Der Erdwall, an dem wir entlanggegangen waren, erhob sich etwa drei Meter hoch und lag genauso viel über der normalen Hochwassermarke. Doch da, wo wir beide jetzt standen, war die Fassade der Böschung auf den Strand abgerutscht, und man sah einen Haufen weggeworfener Schalen von Meeresweichtieren, Stücke von Tierknochen, verbrannte Steine und Sand, der mit Spuren von Holzkohle durchsetzt war.
»Es ist tatsächlich ein Muschelhaufen«, sagte ich und fragte mich, welchen Umfang er wohl haben mochte. An solchen Orten waren regelmäßig prähistorische Grillabende veranstaltet worden, die im gesellschaftlichen Leben der nomadischen Jäger und Sammler offenbar eine große Rolle gespielt hatten. Als Folge davon konnten die über Generationen angehäuften Abfallberge eine erstaunliche Größe erreichen.
»Was halten Sie davon, wenn Sie weitergehen und schauen, wie weit der Abbruch reicht?«, sagte ich. Ich hatte bemerkt, dass die Kiesel in der unmittelbaren Umgebung von verwitterter Erde zusammengebacken worden waren, was es leichter machte, einen Halt für die Füße zu finden.
Mahon ging ein kleines Stück, blieb stehen und drehte sich um. »Hier endet er. Und der Muschelhaufen ebenfalls.«
»Dann ist unter der Uferböschung wahrscheinlich noch mehr davon. Wie weit sind Sie von mir entfernt? Fünf Meter?«
Er nickte.
»Vielleicht sollten wir weitergehen und schauen, ob es noch mehr abgetragene Stellen gibt.«
Eine in die Flussmündung drückende Flutwelle lief über die Kiesel zu uns herauf.
Mahon schüttelte den Kopf. »Die Flut kommt. Wir sollten besser kein Risiko eingehen.«
Kiesel klickten und klapperten, als das Wasser zwischen ihnen zurückströmte.
Ich holte meine Digitalkamera aus der Tasche. »Ich mache lieber ein paar Fotos, für den Fall, dass der ganze Abfallhaufen weggespült wird.«
Auf dem Rückweg blieb Mahon plötzlich stehen. »He, sehen Sie sich das an«, sagte er und bückte sich, um etwas von einer Stelle aufzuheben, wo noch viel von dem abgerutschten Erdreich lag. »Das ist von einem Menschen.«
Er legte das Fundstück auf seine breite Handfläche und hielt es mir entgegen. Es war ein kompletter Unterkiefer.
»Das ist wirklich interessant«, sagte ich. »Aber rühren Sie sich erst mal nicht vom Fleck. Ich schaue mich um, ob es noch mehr Knochen gibt.« Ich wollte nicht, dass wir beide darauf herumtrampelten.
Die meisten Muschelhaufen stammen aus der Bronzezeit oder später, aber menschliche Überreste würden darauf hindeuten, dass dieser hier aus der Steinzeit war; manche mesolithischen Gesellschaften bestatteten ihre Toten, indem sie sie den Elementen aussetzten, bis das Fleisch von den Knochen gefault war.
Ich sah keine weiteren Skelettteile herumliegen, aber ich fragte mich jetzt, ob andere der in den Muschelhaufen eingebetteten Knochenfragmente womöglich ebenfalls menschlichen Ursprungs waren.
»Sehen Sie sich das nur gut an«, sagte Mahon, während ich mich ihm vorsichtig näherte.
Ich betrachtete den Unterkiefer, der in seiner Handfläche lag, genauer. Alle Zähne schienen noch vorhanden zu sein, aber sie waren von einer Menge zusammengebackener Erde bedeckt.
Ich untersuchte abwechselnd die beiden Unterkieferäste, die senkrechten Abschnitte, die den Unterkiefer mit dem Schädelknochen verbinden. »Hey, schauen Sie hier«, sagte ich und deutete auf den u-förmigen oberen Teil des rechten Astes. »Sieht aus wie Biss- oder Schnittspuren.«
»Sieht für mich wie angenagt aus«, sagte Mahon, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte. »Höchstwahrscheinlich von Aasfressern.« »Nanu, was ist das?« Ich hatte mit dem Fingernagel etwas Sand aus demselben Teil des linken Astes gekratzt. Es gab weitere, jedoch tiefere Schnitte im Knochen und was noch aussagekräftiger war eines der U-Häkchen war ganz abgetrennt worden.
Die Zerstückelung des verwesten Körpers war der nächste Schritt bei der prähistorischen Leichenentsorgung. Und an Stellen, an denen die Knochen noch von Bändern und Sehnen zusammengehalten wurden, hatte man das Skelett auseinandergeschnitten.
Mahon hielt den Unterkiefer am intakten rechten Ast fest und drehte ihn zu sich herum. »Na, mein Hübscher. Und was hast du uns nach all der Zeit zu sagen?«
»Machen wir lieber ein paar Fotos, ehe wir ihn wegnehmen«, sagte ich. Ich wollte den Fund nicht unnötig bewegen und überlegte bereits, wie wir ihn transportieren konnten.
»Natürlich.« Mahon legte ihn dorthin zurück, wo er ihn gefunden hatte, und trat beiseite.
Ich begann, aus verschiedenen Winkeln Bilder von dem Kiefer und dem Abfallhaufen zu machen. Zum Glück hatte ich den Regen im Rücken er war nicht heftiger geworden, aber er schien uns waagrecht entgegenzukommen.
Mahon stocherte in dem Abfallhaufen. »So schlecht ist die globale Erwärmung wohl doch nicht, wenn sie uns zu solchen Funden verhilft.«
Selbst als Archäologin erschien es mir nicht als guter Tausch. Ich lenkte das Gespräch in eine leicht andere Richtung. »Aber der Meeresspiegel steigt in diesem Gebiet seit rund zehntausend Jahren, oder?«
»Stimmt. Es gibt sogar einen untergegangenen Wald aus der Steinzeit nicht weit von hier.« Er steckte eine Hand in die Jacke. »Und einer Legende zufolge befindet sich in der Mündung des Flusses eine Kirche im Meer. Wahrscheinlich stand sie früher einmal an Land. Voilà!«, rief er aus und holte einen Zahnstocher hervor.
Ich ließ die Kamera sinken
»Fertig?«
»Ja. Ich brauche nur noch etwas ...« Ich suchte in dem herumliegenden Müll nach einem Transportbehälter. Als ich gerade die abgebrochene Ecke einer Fischkiste ausprobieren wollte, bemerkte ich, dass Mahon den Kiefer wieder in die Hand genommen hatte.
»Damit du auf deiner Reise einen guten Eindruck machst«, sagte er zu ihm und schwang den Zahnstocher. Nachdem er etwas von der festgeklebten Erde gelockert hatte, drehte er den Knochen um und stieß ihn ein paar Mal mit dem Zeigefinger an. »Und ich denke, ein letztes Foto geht auch in Ordnung.« Er hielt den Unterkiefer vor sein Kinn und grinste durch ihn hindurch, dann schob er ihn etwas höher, sodass sein Bart aus ihm herauszuwachsen schien. »Cheese.«
Ein bisschen krass, dachte ich, lächelte aber dennoch. Ein wenig Schauspielerei war typisch für den Mann, wie ich allmählich herausfand.
»Ach, kommen Sie, Illaun.« Er merkte mir meine mangelnde Begeisterung offenbar an.
»Also gut.« Ich bedeutete ihm, genau vor der Kamera in die Hocke zu gehen, machte ein Bild und zoomte dann zu einer Nahaufnahme heran. Der Größenunterschied zwischen seinem Gesicht und dem Kiefer war frappant. Der Knochen gehörte offenbar zu einer Frau.
Aber dann sah ich etwas, das mich vor Schreck erstarren ließ.
»Was ist los?« Ich ließ die Kamera sinken. »Schauen Sie sich die Zähne an, Theo. Da ist etwas ...« Ich schluckte. »Da ist etwas, das nicht da sein dürfte ...«
»O mein Gott«, sagte er. Plötzlich wusste er nicht mehr, wohin mit dem Stück Mensch, das er in der Hand hielt.
Einer der Backenzähne enthielt eine Metallfüllung.
© der Originalausgabe 2008 by Patrick Dunne
© der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Limes Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Übersetzung: Fred Kinzel
Es war Mahon gewesen, der vorgeschlagen hatte, dass wir zur Flussmündung hinausfahren sollten, um Berichte zu überprüfen, ein Muschelhaufen sei infolge eines Zusammenspiels von hohen Gezeiten und rauer See freigelegt worden. Es war September, und der Vollmond war in einer Linie mit Erde und Sonne. Das allein verursachte bereits besonders hohe und niedrige Gezeitenstände. Aber wenn man die bevorstehende Tagundnachtgleiche sowie den Umstand, dass der Mond näher zur Erde stand und irgendwie geneigt war, mit berücksichtigte, wurde es noch komplizierter. Ich versuchte schon lange nicht mehr, diese Wissenschaft zu verstehen, aber alles in allem war es offenbar ein Rezept für extreme Gezeiten.
Regen setzte ein und prasselte auf meine Windjacke. Ich zog die Kapuze über den Kopf, doch ehe ich sie festbinden konnte, erfasste der Wind das Zugband und ließ den Knebel gegen mein Gesicht schlagen. Es brannte, obwohl meine Wangen taub waren von der Kälte. Die Witterung war eher wie Ende Januar als wie Frühherbst.
»Da ist er«, sagte Mahon. Der Erdwall, an dem wir entlanggegangen waren, erhob sich etwa drei Meter hoch und lag genauso viel über der normalen Hochwassermarke. Doch da, wo wir beide jetzt standen, war die Fassade der Böschung auf den Strand abgerutscht, und man sah einen Haufen weggeworfener Schalen von Meeresweichtieren, Stücke von Tierknochen, verbrannte Steine und Sand, der mit Spuren von Holzkohle durchsetzt war.
»Es ist tatsächlich ein Muschelhaufen«, sagte ich und fragte mich, welchen Umfang er wohl haben mochte. An solchen Orten waren regelmäßig prähistorische Grillabende veranstaltet worden, die im gesellschaftlichen Leben der nomadischen Jäger und Sammler offenbar eine große Rolle gespielt hatten. Als Folge davon konnten die über Generationen angehäuften Abfallberge eine erstaunliche Größe erreichen.
»Was halten Sie davon, wenn Sie weitergehen und schauen, wie weit der Abbruch reicht?«, sagte ich. Ich hatte bemerkt, dass die Kiesel in der unmittelbaren Umgebung von verwitterter Erde zusammengebacken worden waren, was es leichter machte, einen Halt für die Füße zu finden.
Mahon ging ein kleines Stück, blieb stehen und drehte sich um. »Hier endet er. Und der Muschelhaufen ebenfalls.«
»Dann ist unter der Uferböschung wahrscheinlich noch mehr davon. Wie weit sind Sie von mir entfernt? Fünf Meter?«
Er nickte.
»Vielleicht sollten wir weitergehen und schauen, ob es noch mehr abgetragene Stellen gibt.«
Eine in die Flussmündung drückende Flutwelle lief über die Kiesel zu uns herauf.
Mahon schüttelte den Kopf. »Die Flut kommt. Wir sollten besser kein Risiko eingehen.«
Kiesel klickten und klapperten, als das Wasser zwischen ihnen zurückströmte.
Ich holte meine Digitalkamera aus der Tasche. »Ich mache lieber ein paar Fotos, für den Fall, dass der ganze Abfallhaufen weggespült wird.«
Auf dem Rückweg blieb Mahon plötzlich stehen. »He, sehen Sie sich das an«, sagte er und bückte sich, um etwas von einer Stelle aufzuheben, wo noch viel von dem abgerutschten Erdreich lag. »Das ist von einem Menschen.«
Er legte das Fundstück auf seine breite Handfläche und hielt es mir entgegen. Es war ein kompletter Unterkiefer.
»Das ist wirklich interessant«, sagte ich. »Aber rühren Sie sich erst mal nicht vom Fleck. Ich schaue mich um, ob es noch mehr Knochen gibt.« Ich wollte nicht, dass wir beide darauf herumtrampelten.
Die meisten Muschelhaufen stammen aus der Bronzezeit oder später, aber menschliche Überreste würden darauf hindeuten, dass dieser hier aus der Steinzeit war; manche mesolithischen Gesellschaften bestatteten ihre Toten, indem sie sie den Elementen aussetzten, bis das Fleisch von den Knochen gefault war.
Ich sah keine weiteren Skelettteile herumliegen, aber ich fragte mich jetzt, ob andere der in den Muschelhaufen eingebetteten Knochenfragmente womöglich ebenfalls menschlichen Ursprungs waren.
»Sehen Sie sich das nur gut an«, sagte Mahon, während ich mich ihm vorsichtig näherte.
Ich betrachtete den Unterkiefer, der in seiner Handfläche lag, genauer. Alle Zähne schienen noch vorhanden zu sein, aber sie waren von einer Menge zusammengebackener Erde bedeckt.
Ich untersuchte abwechselnd die beiden Unterkieferäste, die senkrechten Abschnitte, die den Unterkiefer mit dem Schädelknochen verbinden. »Hey, schauen Sie hier«, sagte ich und deutete auf den u-förmigen oberen Teil des rechten Astes. »Sieht aus wie Biss- oder Schnittspuren.«
»Sieht für mich wie angenagt aus«, sagte Mahon, nachdem er einen Blick darauf geworfen hatte. »Höchstwahrscheinlich von Aasfressern.« »Nanu, was ist das?« Ich hatte mit dem Fingernagel etwas Sand aus demselben Teil des linken Astes gekratzt. Es gab weitere, jedoch tiefere Schnitte im Knochen und was noch aussagekräftiger war eines der U-Häkchen war ganz abgetrennt worden.
Die Zerstückelung des verwesten Körpers war der nächste Schritt bei der prähistorischen Leichenentsorgung. Und an Stellen, an denen die Knochen noch von Bändern und Sehnen zusammengehalten wurden, hatte man das Skelett auseinandergeschnitten.
Mahon hielt den Unterkiefer am intakten rechten Ast fest und drehte ihn zu sich herum. »Na, mein Hübscher. Und was hast du uns nach all der Zeit zu sagen?«
»Machen wir lieber ein paar Fotos, ehe wir ihn wegnehmen«, sagte ich. Ich wollte den Fund nicht unnötig bewegen und überlegte bereits, wie wir ihn transportieren konnten.
»Natürlich.« Mahon legte ihn dorthin zurück, wo er ihn gefunden hatte, und trat beiseite.
Ich begann, aus verschiedenen Winkeln Bilder von dem Kiefer und dem Abfallhaufen zu machen. Zum Glück hatte ich den Regen im Rücken er war nicht heftiger geworden, aber er schien uns waagrecht entgegenzukommen.
Mahon stocherte in dem Abfallhaufen. »So schlecht ist die globale Erwärmung wohl doch nicht, wenn sie uns zu solchen Funden verhilft.«
Selbst als Archäologin erschien es mir nicht als guter Tausch. Ich lenkte das Gespräch in eine leicht andere Richtung. »Aber der Meeresspiegel steigt in diesem Gebiet seit rund zehntausend Jahren, oder?«
»Stimmt. Es gibt sogar einen untergegangenen Wald aus der Steinzeit nicht weit von hier.« Er steckte eine Hand in die Jacke. »Und einer Legende zufolge befindet sich in der Mündung des Flusses eine Kirche im Meer. Wahrscheinlich stand sie früher einmal an Land. Voilà!«, rief er aus und holte einen Zahnstocher hervor.
Ich ließ die Kamera sinken
»Fertig?«
»Ja. Ich brauche nur noch etwas ...« Ich suchte in dem herumliegenden Müll nach einem Transportbehälter. Als ich gerade die abgebrochene Ecke einer Fischkiste ausprobieren wollte, bemerkte ich, dass Mahon den Kiefer wieder in die Hand genommen hatte.
»Damit du auf deiner Reise einen guten Eindruck machst«, sagte er zu ihm und schwang den Zahnstocher. Nachdem er etwas von der festgeklebten Erde gelockert hatte, drehte er den Knochen um und stieß ihn ein paar Mal mit dem Zeigefinger an. »Und ich denke, ein letztes Foto geht auch in Ordnung.« Er hielt den Unterkiefer vor sein Kinn und grinste durch ihn hindurch, dann schob er ihn etwas höher, sodass sein Bart aus ihm herauszuwachsen schien. »Cheese.«
Ein bisschen krass, dachte ich, lächelte aber dennoch. Ein wenig Schauspielerei war typisch für den Mann, wie ich allmählich herausfand.
»Ach, kommen Sie, Illaun.« Er merkte mir meine mangelnde Begeisterung offenbar an.
»Also gut.« Ich bedeutete ihm, genau vor der Kamera in die Hocke zu gehen, machte ein Bild und zoomte dann zu einer Nahaufnahme heran. Der Größenunterschied zwischen seinem Gesicht und dem Kiefer war frappant. Der Knochen gehörte offenbar zu einer Frau.
Aber dann sah ich etwas, das mich vor Schreck erstarren ließ.
»Was ist los?« Ich ließ die Kamera sinken. »Schauen Sie sich die Zähne an, Theo. Da ist etwas ...« Ich schluckte. »Da ist etwas, das nicht da sein dürfte ...«
»O mein Gott«, sagte er. Plötzlich wusste er nicht mehr, wohin mit dem Stück Mensch, das er in der Hand hielt.
Einer der Backenzähne enthielt eine Metallfüllung.
© der Originalausgabe 2008 by Patrick Dunne
© der deutschsprachigen Ausgabe 2010 by Limes Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Übersetzung: Fred Kinzel
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Autoren-Porträt von Patrick Dunne
Patrick Dunne, geboren in Dublin, studierte zwar Literatur, wollte jedoch ursprünglich Musiker werden. Heute blickt er auf über zwanzig Jahre als renommierter Regisseur und Produzent beim irischen Rundfunk und Fernsehen zurück. Außerdem gehört er zu den erfolgreichsten Autoren Irlands, und auch in Deutschland war bislang jeder seiner Romane monatelang auf den Bestsellerlisten vertreten.
Bibliographische Angaben
- Autor: Patrick Dunne
- 2010, 377 Seiten, Maße: 14,5 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Dtsch.v . Fred Kinzel
- Übersetzer: Fred Kinzel
- Verlag: Limes
- ISBN-10: 380902564X
- ISBN-13: 9783809025641
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