Die Päpste
Herrscher über den Glauben - von Petrus bis Franziskus
Von Petrus bis Benedikt XVI. - die Geschichte der Päpste
Seit 2000 Jahren herrschen die Päpste als Stellvertreter Christi auf Erden. Aus bescheidensten Anfängen erkämpften sie sich die Autorität der obersten Kircheninstanz und...
Seit 2000 Jahren herrschen die Päpste als Stellvertreter Christi auf Erden. Aus bescheidensten Anfängen erkämpften sie sich die Autorität der obersten Kircheninstanz und...
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Produktinformationen zu „Die Päpste “
Von Petrus bis Benedikt XVI. - die Geschichte der Päpste
Seit 2000 Jahren herrschen die Päpste als Stellvertreter Christi auf Erden. Aus bescheidensten Anfängen erkämpften sie sich die Autorität der obersten Kircheninstanz und etablierten Rom als geistliches Zentrum und einflussreiche Macht der christlichen Welt. Bis ins Spätmittelalter rangen Papst und Kaiser um die Vorherrschaft, wobei die Kirchenfürsten zwar Siege davontrugen, jedoch langfristig geschwächt wurden. Reformation und Säkularisation ließen ihre Macht weiter schwinden. Erst im 20. Jahrhundert erlebte das Papsttum wieder einen Aufschwung. Päpste wie Johannes XXIII. und Johannes Paul II. wurden weltweit respektiert. In spannenden Geschichten porträtieren die Autoren die großen Persönlichkeiten unter den Stellvertretern Christi, korrupte Machtmenschen wie die Borgia-Päpste, unbarmherzige Inquisitoren und weitblickende Reformer. Sie beleuchten die Pracht ihrer Herrschaftsentfaltung und das dichte Netz von Riten und Traditionen, die das Papsttum hervorgebracht hat, um oft ganz weltliche Ansprüche durchzusetzen.
Seit 2000 Jahren herrschen die Päpste als Stellvertreter Christi auf Erden. Aus bescheidensten Anfängen erkämpften sie sich die Autorität der obersten Kircheninstanz und etablierten Rom als geistliches Zentrum und einflussreiche Macht der christlichen Welt. Bis ins Spätmittelalter rangen Papst und Kaiser um die Vorherrschaft, wobei die Kirchenfürsten zwar Siege davontrugen, jedoch langfristig geschwächt wurden. Reformation und Säkularisation ließen ihre Macht weiter schwinden. Erst im 20. Jahrhundert erlebte das Papsttum wieder einen Aufschwung. Päpste wie Johannes XXIII. und Johannes Paul II. wurden weltweit respektiert. In spannenden Geschichten porträtieren die Autoren die großen Persönlichkeiten unter den Stellvertretern Christi, korrupte Machtmenschen wie die Borgia-Päpste, unbarmherzige Inquisitoren und weitblickende Reformer. Sie beleuchten die Pracht ihrer Herrschaftsentfaltung und das dichte Netz von Riten und Traditionen, die das Papsttum hervorgebracht hat, um oft ganz weltliche Ansprüche durchzusetzen.
Lese-Probe zu „Die Päpste “
Die Päpste von Norbert F. Pötzl und Johannes Saltzwedel TEIL I
NACHFOLGER DES APOSTELS
Die Monarchen Gottes
Was heißt es, ein Papst zu sein? Bewegende Porträts, aber auch Schmähungen und Karikaturen zeigen, wie eine Institution aus der Defensive zur Weltmarke wurde und sich hielt - oft gegen alle Erwartung.
Von Johannes Saltzwedel
Keiner kann ihm ausweichen, diesem Blick. Prüfend, erfahren, durchdringend, misstrauisch und doch auch ein wenig verständnisvoll schaut der ältere Herr die Betrachter an.
Gewiss, hier posiert ein Regent, das zeigen schon thronartiger Sessel, schimmernder Atlasstoff und feine, blütenweiße Spitze. Aber die Pracht umhüllt einen Charakter, dessen Energie von der wenig virilen Tracht mit dem schürzenähnlichen Vorderteil schwer zu bändigen scheint. Ein Porträt der Gegensätze: machtbewusst und milde, geborgen wie auch exponiert, stolz, aber seltsam wehrlos, in überindividuellem Faltenwurf und dennoch einmalig erscheint die Gestalt - wie nur ein Papst es sein kann.
Bloß ein paar Sitzungen soll Diego Velázquez 1650 gebraucht haben, um das Bildnis des 75-jährigen Innozenz X. zu malen. Seit 1644 saß der Jurist aus dem römischen Adelshaus der Doria Pamphili auf dem Stuhl Petri.
Kein großer Mann, eher das Gegenteil: Von der Schwägerin ausgenutzt, durch Frankreichs Kardinal Jules Mazarin drangsaliert, glücklos im Westfälischen Frieden, machte Innozenz eine denkbar unerfreuliche Figur. Er war berüchtigt für Wutausbrüche, seit seinem Vernichtungsfeldzug gegen ein kleines Fürstentum bei vielen Landsleuten regelrecht verhasst. Aber zeigt das nicht trotz alledem ein Wesen, für das gewöhnliche Maßstäbe wenig gelten?
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So ist es anscheinend mit Päpsten: Wie irdisch, ja zuweilen kläglich sie auch handeln, ihr unvergleichlicher Posten als Stellvertreter Christi entrückt sie ins Überwirkliche. Sakramente und Segen, Kirchenlehre und Ritus betreuen sie nur wie oberste Verwalter, doch eben als letzte Instanz; im Stil können sie sich stärker voneinander unterscheiden als Orchesterdirigenten. Die Monarchen Gottes gebieten kaum über irdische Gewaltmittel, dennoch brauchen sie sich nicht einmal den Regeln für Könige oder Kaiser zu unterwerfen. Und obgleich viele Jahrhunderte das Amt in ein dichtes Geflecht aus Tradition und Routine eingesponnen haben, lässt es die Persönlichkeit derer, die es ausüben, meist umso schärfer hervortreten. Papst sein, das ist ein Paradox.
Schon der übliche Wechsel des Namens enthebt den Träger des Fischerrings seinem bisherigen Lebenslauf. Den Anfang machte 533 ein Mercurius, der als Bischof von Rom nicht mehr nach einem antiken Gott, sondern lieber Johannes II. heißen wollte. Seit dem 10. Jahrhundert taten es ihm die meisten nach; als letzter bisher blieb Marcellus II. (1555) bei seinem Taufnamen. Seit langem gilt die Verkündung des neuen Namens als kürzeste Regierungserklärung der Welt: Ausdrücklich ver einigte so 1978 Albino Luciani alias Johannes Paul I.seine beiden recht gegensätzlichen Vorgänger. Als Karol Wojtyla ihm keine fünf Wochen später mit demselben Namen folgte, gab er ein starkes Signal der Kontinuität. Papst Benedikt XVI. beschwor sicherheitshalber gleich 15 Vorläufer im Amt, obendrein den wichtigsten frühmittelalterlichen Ordensgründer herauf und gab sich damit eine Aura von Frömmigkeit und Führungsstärke.
Gegen den allmählich zusammengeschmolzenen Fundus an Papstnamen hebt sich grell ab, was in frühen Zeiten möglich war: Dioskur, Siricius, Konon, Anterus, Lando, ja der schwer altpersisch klingende Hormisdas stehen in den Annalen, auch ein Miltiades, Namensvetter des legendären Siegers von Marathon. Als Staatsreligion des römischen Kaiserreiches zeigte sich das Christentum zunächst eben weit stärker griechisch geprägt, als die spätere lateinische Überformung es heute erkennbar macht.
Solch weniger bekannte Facetten hat die Papstgeschichte reichlich zu bieten. Es ließe sich geradezu ein Quiz veranstalten mit Fragen wie:
Ist jemand mehrfach auf den Stuhl Petri gelangt? Sogar zwei: Bonifaz VII. kam 974 durch den Clan der Crescentier auf den Thron und amtierte dann wieder 984 bis 985; Benedikt IX., ein Graf von Tusculum, der mit etwa 15 Jahren Papst geworden war, wurde 1044 verjagt und von einem Silvester III. verdrängt, konnte zurückkehren, ließ sich dann mit Geld abfinden, war zweieinhalb Jahre später aber wieder Kirchenoberhaupt.
Seit wann residiert der Papst im Vatikan, neben dem Petersdom? Dauerhaft erst seit Mitte des 15. Jahrhunderts; zuvor war San Giovanni im Lateran das angestammte bischöfliche Zentrum Roms.
Sind vor Benedikt XVI. Päpste zurückgetreten? Mehrere, und nicht nur Gegenpäpste: 537 gab Silverius auf oströmischen Druck hin drei Wochen vor seinem Tod das Amt auf; Johannes von Velletri, 1059 als Benedikt X. inthronisiert, konnte sich kein Jahr halten, wurde obendrein exkommuniziert, starb aber erst nach 1073; Coelestin V. trat Ende 1294 zurück und starb 1296; Gregor XII. endlich, schon 1409 abgesetzt, erklärte 1415 auch offiziell seinen Rücktritt.
Im Ringen um die geistliche Führung der Christenheit ist es bis in die Neuzeit kaum weniger ruppig zugegangen als zwischen weltlichen Dynastien. Obwohl es nominell keinen Amtserben geben kann, berichtet auch die Historie des Papsttums von Sippenfehden und Verwandtenmord. Dass der Heilige Vater dennoch, all den vielen Schauergeschichten über Usurpation, Ämterkauf und -verkauf (Simonie), Vetternwirtschaft und Komplotte zum Trotz, seit 1500 Jahren seine Weltgröße behauptet, könnte ein frommer Chronist als Wunder hinstellen.
Doch der Erfolg hat irdische Gründe, nüchtern säkulare, ganz ohne Parade von Helden oder Heiligen. Auf eine Formel gebracht: Immer hat das Zwitterdasein spiritueller und profaner Amtsgewalt dem Papsttum die nötige Chance gelassen; oft genug brauchten sich die Inhaber des Stuhles Petri nur dem zu fügen, was man ohnehin von ihnen erwartete, damit sie als würdige Regenten durchgingen. Papsttum, das ist die windungsreiche Erfolgsgeschichte eines Images, das zur festen Größe im kollektiven Unbewussten der halben Menschheit geworden ist, einer institutionellen Marke, die bis heute ihre Konkurrenten überflügelt.
Denkbar bescheiden fing es an. Da sieht man rechts neben einer Gedenknische einen bartlosen Mann in Tunika und Sandalen stehen, geschmückt mit dem bischöflichen Pallium, in den Händen eine Schriftrolle. Die Figur unter Girlanden, eine Wandmalerei in der römischen Praetextatus-Katakombe, ist als »Liberius« bezeichnet; entstanden sein mag dieses früheste bekannte Bild eines Papstes relativ bald nach dessen Tod im Jahr
366. Wohl ein Sonderfall: Ähnliche Porträts, meist Stifterdarstellungen am Rand von Apsismosaiken, sind erst seit etwa 500 bekannt, zunächst nur aus Rom. Auch nachdem das Christentum, anfangs eine belächelte Erlösungssekte, den bis heute verblüffenden Durchbruch zur Staatsreligion des Reiches geschafft hatte, konnte also von päpstlicher Regentenpracht noch lange kaum die Rede sein. Mochten Kaiser ihr Konterfei zur Propaganda nutzen - für die Nachfolger Petri galt bildliche Individualität sehr wenig. Als im 8. Jahrhundert ein Künstler inmitten anderer Apostel und Heiligen den längst legendären Retter Roms vor den Hunnen, Leo I., darstellte, ließ er äußerlichen Prunk weitgehend fort, betonte dagegen in byzantinisch eindringlichem Andachtsstil die Augen.
Erst Hadrian I. (772-795) wagte es einmal, sein Porträt auf Münzen prägen zu lassen - vermutlich um anderen weltlichen Hoheitsansprüchen, zum Beispiel aus Byzanz, entgegenzutreten. Ein entscheidender Image-Coup glückte dann seinem Nachfolger Leo III. Auf zwei Mosaikbildern im Speisesaal des Lateranpalastes ließ er darstellen, wie aus seiner Sicht die Macht auf Erden verteilt war: Links gab Christus an Petrus die Schlüssel des Himmels und an Kaiser Konstantin das Feldzeichen irdischer Macht; rechts reichte Petrus das bischöfliche Pallium an Leo und eine Standarte an den mächtigen Frankenkönig Karl. Symbolisch rückten damit Papst und künftiger Kaiser auf gleiche Ebene.
Noch immer knien auf diesem Bild unter Petrus zwei eher schlichte Gestalten, in ihrer Würde vorwiegend durch edle Gewänder und einen quadratischen Heiligenschein (für Lebende) bezeichnet. Doch einmal auf der politischen Bühne präsent - auch als Herren des karolingisch verbrieften Kirchenstaates -, fingen die Päpste an, ihre Ebenbürtigkeit zum Regenten auch äußerlich darzustellen. Purpurmantel und hohe Kopfbedeckung, die später den alten Namen Tiara bekam, hoben vom 10. Jahrhundert an den geistlichen Oberhirten hervor. Buchminiaturen, Mosaiken, Skulpturen und Fresken hielten immer häufiger Schlüssel momente seines Wirkens fest.
Die Selbstsicherheit, mit der Rom weltlichen Großen begegnete, wurde im Investiturstreit mit dem Kaiser endgültig zum Politikum. Jedes Detail hatte seine Tücken, erst recht in der Bildsymbolik: Wer kniet vor wem und wie demütig? Wem wenden Christus oder Maria sich zu? Pochten säkulare Rechtsbücher wie der weitverbreitete »Sachsenspiegel« auf Gleichrangigkeit und Unabhängigkeit der »zwei Schwerter«, so ließ das päpstliche Lager, juristisch und propagandistisch ebenso versiert, keinen Zweifel am Vorrang des Heiligen Vaters.
Wie tief die Konfrontation beider Machtsphären die Gemüter verstörte, zeigen schlaglichtartig einige zornbebende Verse Walthers von der Vogelweide, wohl aus den Jahren 1212 oder 1213. Mit dem »hellemor«, dem schwarzen Teufel aus der Hölle, sei Papst Innozenz III. im Bunde, ja Gottes »hirte ist z'einem wolve im worden under sinen Schafen«. Erst habe er den Welfen Otto IV., dann den Staufer Friedrich II. protegiert, alles nur, um Aufruhr zu säen, um des eigenen Vorteils willen. »Ahi wie kristenliche nu der babest lachet«, spottete der vielerprobte Liedermacher zornig. Die Kirche fülle ihre Truhen mit Ablassgeld, Roms Priester könnten dank der Kreuzzugsabgaben Hühner und Wein schmausen, während das deutsche Glaubensvolk darbe. Das Herz drehe sich einem um, ansehen zu müssen, wie »der babest selbe dort den ungelouben meret«. Solche Wendungen bewegten sich hart am Rand eines Ketzerverfahrens - immerhin hatte derselbe Innozenz 1204 die Plünderung der christlichen Metropole Konstantinopel mitverschuldet und 1209 zum grausamen Feldzug gegen die südfranzösische Sekte der Albigenser aufgerufen.
Dem fatalen Widerspruch von weltlicher Handlungsmacht und geistlichem Auftrag sollte das Papsttum fortan nicht mehr entkommen. Natürlich gab es Rom-Kritik schon seit Jahrhunderten; nun aber wendeten sich oft ganze Herrscherhäuser ab. In der gewaltigen Jenseitsvision seiner »Göttlichen Komödie« ließ Dante Alighieri bald nach 1300 gleich mehrere Päpste in der Hölle büßen; der machtversessene Nikolaus III. zum Beispiel steckt als Simonist (Ämter-Schacherer) kopfüber in einem Felsloch und wird an den Füßen geröstet.
Den nächsten Prestigeverlust erlitt das kirchliche Regiment, als zwischen 1378 und 1415 /17 zwei, schließlich sogar drei Päpste amtierten, deren jeder unter Europas Fürsten Anhänger fand. Brauchte es da noch mehr Beweise, dass die Kirche kein Garant des Seelenheils, sondern vorwiegend ein Pfründen- und Sündenpfuhl war? Vielleicht half nur noch Widerstand. Zu diesem Schluss jedenfalls gelangte nach 1517 ein Augustinermönch und Theologieprofessor namens Martin Luther, als seine biblisch fundierte Kritik an Praktiken wie dem Ablasswesen - dem als Bescheinigung käuflichen Erlass von Sündenstrafen, mittlerweile zum einträglichen Gewerbe ausgeartet - kein Gehör fand.
Bis 1520 plädierte er dafür, der Papst solle auf jeden Hofstaat, ja sogar seine priesterlichen Privilegien verzichten und in der Nachfolge Christi vorbildlich arm leben. Nach dem Bann aus Rom aber begann Luther zu kontern, die Kurie halte die Kirche in »babylonischer Gefangenschaft«. In Rom regiere »ein Erzkirchendieb und Kirchenräuber der Schlüssel, aller Güter, beide der Kirchen und der weltlichen Herrn«, polterte der Deutsche. Das Oberhaupt der westlichen Christenheit sei »ein Mörder der Könige und Hetzer zu allerlei Blutvergießen, ein Hurenwirt über alle Hurenwirte und aller Unzucht, auch die nicht zu nennen ist, ein Widerchrist, ein Mensch der Sünden und Kind des Verderbens, ein rechter Bärwolf«.
Selbst den Teufel und den Antichristen sah der Reformator im Papst verkörpert - Schmähbilder, die protestantische Künstler sogleich begeistert aufgriffen. Vom »Papstesel« bis zum apokalyptischen Ungeheuer mit Tiara zog etwa der phantasievolle Lucas Cranach d. Ä. alle Register der Karikatur. Die Angriffe, durch den jungen Buchdruck massenwirksam verbreitet, konnte der Katholizismus kaum in gleicher Münze heimzahlen; die allbekannten Insignien von Papst- und Mönchtum aber eigneten sich vortrefflich zum visuellen Spott.
Auf Pressefehden um sein Image ging die stolze römische Kurie so gut wie nicht ein. Wenigstens traten die Päpste nun etwas bescheidener auf: Seit dem faktischen Scheitern spiritueller Großmachtansprüche und dem Einzug des Humanismus zeigten sich die Stellvertreter Christi nicht mehr ostentativ in Triumphpose.
So ließ sich Julius II., der immerhin Truppen geführt und 1506 den Grundstein zum neuen Petersdom gelegt hatte, vom Malerstar Raffael als weiser, besorgter Altvater des Glaubens darstellen. Auch sein Nachfolger Leo X. beauftragte Raffael zu einem Porträt ähnlichen Typs. Während Nordeuropa bis um 1650 immer wieder von blutigen Fehden mit konfessionellem Hintergrund erschüttert wurde, setzten die Päpste vorwiegend auf Festigung dessen, was sicher bleiben sollte: Territorial im Kirchenstaat, geistig in Bibliothek, Archiv und Geschichtsschreibung, äußerlich durch nützliche, möglichst pompöse Bauten und Kunstwerke. Denn so eifrig das Papsttum mit dem Konzil von Trient oder dem neuen, geistkämpferischen Jesuitenorden einzuholen versuchte, was glaubenspolitisch verspielt war - intellektuell sah sich die Kirche der Barockzeit aus ihrer bisherigen Führungsrolle verdrängt.
Neuen Wissenschaftszweigen wie der philologischen Textkritik, experimenteller Naturforschung und erst recht dem Selbstbewusstsein aufgeklärter Vernunft hatte Rom wenig entgegenzusetzen. Da lag es nahe, zumindest das Feld der großen Emotion imagepolitisch zu besetzen. Repräsentant dieser letzten Aufwallung ins Erhaben-Monumentale wurde der geniale neapolitanische Künstler Gian Lorenzo Bernini (1598 -1680).
Ein erstes Zeichen setzte er im Petersdom mit dem riesigen und doch verspielten Altarbaldachin, für dessen bronzene Korkenziehersäulen unter anderem - zum Entsetzen von Altertums- freunden - Deckenverkleidung des antiken Pantheons eingeschmolzen worden sein soll. Bernini war es auch, der Jahrzehnte später die beiden wuchtigen, perspektivisch trickreich konstruierten Säulenkolonnaden vor die Fassade stellte, ein gebautes Umarmungssymbol für den weiterhin allumfassenden Seelsorge- und Lehranspruch des Katholizismus. Höhepunkt von Berninis skulpturaler Rhetorik aber wurde das Gedenkporträt seines großen Gönners, Urbans VIII.
Die pompöse Marmorfigur, 1640 im Auftrag der Stadt Rom vollendet, zeigt einen segenspendenden, tiarabekrönten Wundermann in dekorativ wallenden Gewändern. Wie souverän Faltenwurf, Spitze und Stickereien aus dem Marmor gemeißelt sind, verblasst vor dem Gesamteindruck: Überirdisch beseelt, fordert diese Gestalt Ehrerbietung von den Betrachtern; sie brauchen nichts mehr zu deuten, schon gar nicht in furchtsamem Respekt zu erstarren, sondern sollen ganz unmittelbar majestätische Huld empfinden.
Der Appell ans Gefühl war freilich nichts, womit die Päpste lange auftrumpfen konnten. Raffael wie später Bernini und ihre vielen Kollegen trafen das Empfinden des Publikums auch in ihren sehr weltlichen Werken. Protestantische Kirchenmusik rührte mindestens ebenso tief die Herzen wie weihevolle Messen. Für Kritiker Roms bot teure künstlerische Pracht zudem ein willkommenes Ziel - falls sie sich mit derlei Äußerlichkeiten noch abgaben. Denn selbst unter gemäßigten Aufklärern des
18. Jahrhunderts, die Gott nicht rundweg leugneten, galt das Papsttum in der Regel als Zentrum geistiger Finsternis. So nutzte Voltaire, emanzipatives Gewissen seines Jahrhunderts, jede Gelegenheit, sich über Heilige Väter lustig zu machen. Den berüchtigten Borgia-Papst Alexander VI. (1492-1503) ließ er im Haus seiner Geliebten kichernd einen Inzest bekennen und dann darüber maulen, es sei doch auch für den Papst wenig sinnvoll, »Gott zu erklären, man glaube an etwas, woran man nicht glauben kann«. Auf Voltaires Landgut bei Genf steht eine Kapelle mit der bitterbös galanten Inschrift von Gleich zu Gleich: »Deo erexit Voltaire, 1761« - »Voltaire baute dies für Gott«.
Das war noch ein eher zahmer Witz. Graf Mirabeau, Vordenker freiheitlichen Geistes, hatte 1783 ein Büchlein über die sexuellen Ausschweifungen im Altertum erscheinen lassen, das sofort konfisziert wurde - wegen Unzucht, nicht weil frech auf dem Titelblatt stand: »Rom, Druckerei des Vatikans«. Revolutionäre wie er sahen im römischen Ritus nur noch ein historisches Relikt. Als 1798 napoleonische Truppen den Kirchenstaat besetzten und Papst Pius VI. bald darauf nach vielen Demütigungen in Frankreich starb, hielt sich die öffentliche Bestürzung in Grenzen. Der Katholizismus schien erledigt.
»Das alte Papsttum liegt im Grabe, und Rom ist zum zweiten Mal eine Ruine geworden«, notierte der 27-jährige Bergbauingenieur Friedrich von Hardenberg, der sich als Poet Novalis nannte. Gerade das aber, schloss er in kühner Volte, spreche dafür, »Die Christenheit oder Europa« - so der Titel des Essays - werde sich, wenn überhaupt, nur auf religiöser Basis erneuern, vielleicht »aus dem heiligen Schoße eines ehrwürdigen europäischen Konziliums«. Vernunfttrunkene Aufklärung und revolutionärer Furor, bilanzierte Novalis, hätten bloß einen Glauben hervorgebracht, »der aus lauter Wissen zusammengeklebt« sei, und so »die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle« entzaubert.
Etliche junge Intellektuelle begannen in den folgenden chaotischen Kriegsjahren ähnlich zu denken. Aufgerüttelt vom Unheil der Zeit, suchten sie Halt in Transzendenz und Ritus. Verblüffend viele der enttäuschten Rationalisten hofften auf den neuen Papst Pius VII., der, oh Wunder, schon 1800 wieder in Rom regieren konnte und sich auch später vor Napoleons Übergriffen nicht duckte.
Als der Wiener Kongress die alte Staatsordnung restaurierte, frohlockten viele dieser romantisch-konservativen Visionäre. Doch die christliche Einung Europas blieb aus. Stattdessen klapperten immer rascher und lauter die Mühlen der Industrialisierung - während dem römischen Katholizismus im Tumult nationalen und imperialen Fortschrittseifers fast nur noch kraftlos- reaktionär wirkende Gesten übrig blieben.
Papst-Porträts dieser Zeit wirken melancholisch, mild und müde. Selbst wenn ein Lächeln erscheint, die Substanz wirkt angegriffen. Pius IX., erst für seine Liberalität bejubelt, dann von Nationalisten als Vaterlandsfeind verfemt, musste für anderthalb Jahre in die Hafenstadt Gaëta fliehen und sogar Attentatsversuchen trotzen. Nur wenige Wochen nach seiner Verkündung des Dogmas der Unfehlbarkeit - das viel Häme auslöste, aber auch zur Abspaltung der Altkatholiken führte - besetzte das geeinte Italien im September 1870 den Kirchenstaat. Die skeptische Ansicht vieler Mitteleuropäer über Rom spiegelte sich damals in Richard Wagners »Tannhäuser«, dessen bußwilliger Titelheld den mächtigen Herrn des Vatikans nur als beinharten Verkünder ewiger Höllenqualen erlebt.
Konnte es mit dem Image noch weiter abwärts gehen? Offenbar schon, wie sich im 20. Jahrhundert erwiesen hat. Rolf Hochhuths Skandalstück »Der Stellvertreter« von 1963 verarbeitete Dokumente zur direkten Anklage: Papst Pius XII., der Deutschland aus seiner Zeit als Nuntius gut kannte, sei durch sein Schweigen gegen das NS-Regime moralisch mitverantwortlich für den millionenfachen Judenmord. Dass der Vorwurf offenkundig bis heute am vatikanischen Gewissen nagt, mag ein Grund sein für mehrere Selig- oder Heiligsprechungen von Priestern und Gläubigen, die sich in Lagern für Mithäftlinge opferten.
Gegen fatale Hypotheken dieser Art wirken Indiskretionen, wie sie unlängst aus dem engsten Umfeld Benedikts XVI. an die Öffentlichkeit drangen, wie Musterfälle aus dem Lehrbuch absoluter Macht: Bei Hof waren von jeher Scheu und Geheimniskrämerei die Regel, samt Eifersucht, Tuscheleien und gelegentlich einem deftigen Skandal.
Durchschnittliche Zeitungsleser und Fernsehzuschauer erfahren demgemäß vom geistlichen Oberhaupt der Katholiken inzwischen ganz ähnliche Dinge wie von anderen Monarchen, die Auslandsbesuche machen, sorgsam präparierte Thronreden halten und zwischendrin unartige Angehörige - im Falle Roms renitente oder als peinlich verschriene Kleriker - in die Schranken weisen müssen.
Fast könnte es scheinen, als bleibe den Päpsten nur dieser bescheidene mediale Part im weltpolitischen Spektakel. Doch selbst Ungläubige sehen das stabile Normal-Image des alten, gütig-eigensinnigen Regenten gelegentlich durchkreuzt - von einer religiösen Botschaft, ja Mission, die dann doch rasch wieder alles Persönliche übersteigt.
Mindestens einmal hat sich diese Außergewöhnlichkeit auch künstlerisch offenbart. In einer Serie teils großformatiger Bilder ist der britische Maler Francis Bacon seit 1945 über das berühmte Velázquez-Porträt Innozenz' X. geradezu hergefallen: Einsam, gefesselt, deformiert und häufig schreiend vor Wut oder Qual, zeigt sich der geistliche Potentat in ein Opfer verwandelt, ohne dabei auch nur ein bisschen sympathisch zu wirken. Er ist geschunden von namenlosen Mächten, von der Welt, vom heftigen Pinselstrich, ja selbst noch von den Blicken der Betrachter.
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So ist es anscheinend mit Päpsten: Wie irdisch, ja zuweilen kläglich sie auch handeln, ihr unvergleichlicher Posten als Stellvertreter Christi entrückt sie ins Überwirkliche. Sakramente und Segen, Kirchenlehre und Ritus betreuen sie nur wie oberste Verwalter, doch eben als letzte Instanz; im Stil können sie sich stärker voneinander unterscheiden als Orchesterdirigenten. Die Monarchen Gottes gebieten kaum über irdische Gewaltmittel, dennoch brauchen sie sich nicht einmal den Regeln für Könige oder Kaiser zu unterwerfen. Und obgleich viele Jahrhunderte das Amt in ein dichtes Geflecht aus Tradition und Routine eingesponnen haben, lässt es die Persönlichkeit derer, die es ausüben, meist umso schärfer hervortreten. Papst sein, das ist ein Paradox.
Schon der übliche Wechsel des Namens enthebt den Träger des Fischerrings seinem bisherigen Lebenslauf. Den Anfang machte 533 ein Mercurius, der als Bischof von Rom nicht mehr nach einem antiken Gott, sondern lieber Johannes II. heißen wollte. Seit dem 10. Jahrhundert taten es ihm die meisten nach; als letzter bisher blieb Marcellus II. (1555) bei seinem Taufnamen. Seit langem gilt die Verkündung des neuen Namens als kürzeste Regierungserklärung der Welt: Ausdrücklich ver einigte so 1978 Albino Luciani alias Johannes Paul I.seine beiden recht gegensätzlichen Vorgänger. Als Karol Wojtyla ihm keine fünf Wochen später mit demselben Namen folgte, gab er ein starkes Signal der Kontinuität. Papst Benedikt XVI. beschwor sicherheitshalber gleich 15 Vorläufer im Amt, obendrein den wichtigsten frühmittelalterlichen Ordensgründer herauf und gab sich damit eine Aura von Frömmigkeit und Führungsstärke.
Gegen den allmählich zusammengeschmolzenen Fundus an Papstnamen hebt sich grell ab, was in frühen Zeiten möglich war: Dioskur, Siricius, Konon, Anterus, Lando, ja der schwer altpersisch klingende Hormisdas stehen in den Annalen, auch ein Miltiades, Namensvetter des legendären Siegers von Marathon. Als Staatsreligion des römischen Kaiserreiches zeigte sich das Christentum zunächst eben weit stärker griechisch geprägt, als die spätere lateinische Überformung es heute erkennbar macht.
Solch weniger bekannte Facetten hat die Papstgeschichte reichlich zu bieten. Es ließe sich geradezu ein Quiz veranstalten mit Fragen wie:
Ist jemand mehrfach auf den Stuhl Petri gelangt? Sogar zwei: Bonifaz VII. kam 974 durch den Clan der Crescentier auf den Thron und amtierte dann wieder 984 bis 985; Benedikt IX., ein Graf von Tusculum, der mit etwa 15 Jahren Papst geworden war, wurde 1044 verjagt und von einem Silvester III. verdrängt, konnte zurückkehren, ließ sich dann mit Geld abfinden, war zweieinhalb Jahre später aber wieder Kirchenoberhaupt.
Seit wann residiert der Papst im Vatikan, neben dem Petersdom? Dauerhaft erst seit Mitte des 15. Jahrhunderts; zuvor war San Giovanni im Lateran das angestammte bischöfliche Zentrum Roms.
Sind vor Benedikt XVI. Päpste zurückgetreten? Mehrere, und nicht nur Gegenpäpste: 537 gab Silverius auf oströmischen Druck hin drei Wochen vor seinem Tod das Amt auf; Johannes von Velletri, 1059 als Benedikt X. inthronisiert, konnte sich kein Jahr halten, wurde obendrein exkommuniziert, starb aber erst nach 1073; Coelestin V. trat Ende 1294 zurück und starb 1296; Gregor XII. endlich, schon 1409 abgesetzt, erklärte 1415 auch offiziell seinen Rücktritt.
Im Ringen um die geistliche Führung der Christenheit ist es bis in die Neuzeit kaum weniger ruppig zugegangen als zwischen weltlichen Dynastien. Obwohl es nominell keinen Amtserben geben kann, berichtet auch die Historie des Papsttums von Sippenfehden und Verwandtenmord. Dass der Heilige Vater dennoch, all den vielen Schauergeschichten über Usurpation, Ämterkauf und -verkauf (Simonie), Vetternwirtschaft und Komplotte zum Trotz, seit 1500 Jahren seine Weltgröße behauptet, könnte ein frommer Chronist als Wunder hinstellen.
Doch der Erfolg hat irdische Gründe, nüchtern säkulare, ganz ohne Parade von Helden oder Heiligen. Auf eine Formel gebracht: Immer hat das Zwitterdasein spiritueller und profaner Amtsgewalt dem Papsttum die nötige Chance gelassen; oft genug brauchten sich die Inhaber des Stuhles Petri nur dem zu fügen, was man ohnehin von ihnen erwartete, damit sie als würdige Regenten durchgingen. Papsttum, das ist die windungsreiche Erfolgsgeschichte eines Images, das zur festen Größe im kollektiven Unbewussten der halben Menschheit geworden ist, einer institutionellen Marke, die bis heute ihre Konkurrenten überflügelt.
Denkbar bescheiden fing es an. Da sieht man rechts neben einer Gedenknische einen bartlosen Mann in Tunika und Sandalen stehen, geschmückt mit dem bischöflichen Pallium, in den Händen eine Schriftrolle. Die Figur unter Girlanden, eine Wandmalerei in der römischen Praetextatus-Katakombe, ist als »Liberius« bezeichnet; entstanden sein mag dieses früheste bekannte Bild eines Papstes relativ bald nach dessen Tod im Jahr
366. Wohl ein Sonderfall: Ähnliche Porträts, meist Stifterdarstellungen am Rand von Apsismosaiken, sind erst seit etwa 500 bekannt, zunächst nur aus Rom. Auch nachdem das Christentum, anfangs eine belächelte Erlösungssekte, den bis heute verblüffenden Durchbruch zur Staatsreligion des Reiches geschafft hatte, konnte also von päpstlicher Regentenpracht noch lange kaum die Rede sein. Mochten Kaiser ihr Konterfei zur Propaganda nutzen - für die Nachfolger Petri galt bildliche Individualität sehr wenig. Als im 8. Jahrhundert ein Künstler inmitten anderer Apostel und Heiligen den längst legendären Retter Roms vor den Hunnen, Leo I., darstellte, ließ er äußerlichen Prunk weitgehend fort, betonte dagegen in byzantinisch eindringlichem Andachtsstil die Augen.
Erst Hadrian I. (772-795) wagte es einmal, sein Porträt auf Münzen prägen zu lassen - vermutlich um anderen weltlichen Hoheitsansprüchen, zum Beispiel aus Byzanz, entgegenzutreten. Ein entscheidender Image-Coup glückte dann seinem Nachfolger Leo III. Auf zwei Mosaikbildern im Speisesaal des Lateranpalastes ließ er darstellen, wie aus seiner Sicht die Macht auf Erden verteilt war: Links gab Christus an Petrus die Schlüssel des Himmels und an Kaiser Konstantin das Feldzeichen irdischer Macht; rechts reichte Petrus das bischöfliche Pallium an Leo und eine Standarte an den mächtigen Frankenkönig Karl. Symbolisch rückten damit Papst und künftiger Kaiser auf gleiche Ebene.
Noch immer knien auf diesem Bild unter Petrus zwei eher schlichte Gestalten, in ihrer Würde vorwiegend durch edle Gewänder und einen quadratischen Heiligenschein (für Lebende) bezeichnet. Doch einmal auf der politischen Bühne präsent - auch als Herren des karolingisch verbrieften Kirchenstaates -, fingen die Päpste an, ihre Ebenbürtigkeit zum Regenten auch äußerlich darzustellen. Purpurmantel und hohe Kopfbedeckung, die später den alten Namen Tiara bekam, hoben vom 10. Jahrhundert an den geistlichen Oberhirten hervor. Buchminiaturen, Mosaiken, Skulpturen und Fresken hielten immer häufiger Schlüssel momente seines Wirkens fest.
Die Selbstsicherheit, mit der Rom weltlichen Großen begegnete, wurde im Investiturstreit mit dem Kaiser endgültig zum Politikum. Jedes Detail hatte seine Tücken, erst recht in der Bildsymbolik: Wer kniet vor wem und wie demütig? Wem wenden Christus oder Maria sich zu? Pochten säkulare Rechtsbücher wie der weitverbreitete »Sachsenspiegel« auf Gleichrangigkeit und Unabhängigkeit der »zwei Schwerter«, so ließ das päpstliche Lager, juristisch und propagandistisch ebenso versiert, keinen Zweifel am Vorrang des Heiligen Vaters.
Wie tief die Konfrontation beider Machtsphären die Gemüter verstörte, zeigen schlaglichtartig einige zornbebende Verse Walthers von der Vogelweide, wohl aus den Jahren 1212 oder 1213. Mit dem »hellemor«, dem schwarzen Teufel aus der Hölle, sei Papst Innozenz III. im Bunde, ja Gottes »hirte ist z'einem wolve im worden under sinen Schafen«. Erst habe er den Welfen Otto IV., dann den Staufer Friedrich II. protegiert, alles nur, um Aufruhr zu säen, um des eigenen Vorteils willen. »Ahi wie kristenliche nu der babest lachet«, spottete der vielerprobte Liedermacher zornig. Die Kirche fülle ihre Truhen mit Ablassgeld, Roms Priester könnten dank der Kreuzzugsabgaben Hühner und Wein schmausen, während das deutsche Glaubensvolk darbe. Das Herz drehe sich einem um, ansehen zu müssen, wie »der babest selbe dort den ungelouben meret«. Solche Wendungen bewegten sich hart am Rand eines Ketzerverfahrens - immerhin hatte derselbe Innozenz 1204 die Plünderung der christlichen Metropole Konstantinopel mitverschuldet und 1209 zum grausamen Feldzug gegen die südfranzösische Sekte der Albigenser aufgerufen.
Dem fatalen Widerspruch von weltlicher Handlungsmacht und geistlichem Auftrag sollte das Papsttum fortan nicht mehr entkommen. Natürlich gab es Rom-Kritik schon seit Jahrhunderten; nun aber wendeten sich oft ganze Herrscherhäuser ab. In der gewaltigen Jenseitsvision seiner »Göttlichen Komödie« ließ Dante Alighieri bald nach 1300 gleich mehrere Päpste in der Hölle büßen; der machtversessene Nikolaus III. zum Beispiel steckt als Simonist (Ämter-Schacherer) kopfüber in einem Felsloch und wird an den Füßen geröstet.
Den nächsten Prestigeverlust erlitt das kirchliche Regiment, als zwischen 1378 und 1415 /17 zwei, schließlich sogar drei Päpste amtierten, deren jeder unter Europas Fürsten Anhänger fand. Brauchte es da noch mehr Beweise, dass die Kirche kein Garant des Seelenheils, sondern vorwiegend ein Pfründen- und Sündenpfuhl war? Vielleicht half nur noch Widerstand. Zu diesem Schluss jedenfalls gelangte nach 1517 ein Augustinermönch und Theologieprofessor namens Martin Luther, als seine biblisch fundierte Kritik an Praktiken wie dem Ablasswesen - dem als Bescheinigung käuflichen Erlass von Sündenstrafen, mittlerweile zum einträglichen Gewerbe ausgeartet - kein Gehör fand.
Bis 1520 plädierte er dafür, der Papst solle auf jeden Hofstaat, ja sogar seine priesterlichen Privilegien verzichten und in der Nachfolge Christi vorbildlich arm leben. Nach dem Bann aus Rom aber begann Luther zu kontern, die Kurie halte die Kirche in »babylonischer Gefangenschaft«. In Rom regiere »ein Erzkirchendieb und Kirchenräuber der Schlüssel, aller Güter, beide der Kirchen und der weltlichen Herrn«, polterte der Deutsche. Das Oberhaupt der westlichen Christenheit sei »ein Mörder der Könige und Hetzer zu allerlei Blutvergießen, ein Hurenwirt über alle Hurenwirte und aller Unzucht, auch die nicht zu nennen ist, ein Widerchrist, ein Mensch der Sünden und Kind des Verderbens, ein rechter Bärwolf«.
Selbst den Teufel und den Antichristen sah der Reformator im Papst verkörpert - Schmähbilder, die protestantische Künstler sogleich begeistert aufgriffen. Vom »Papstesel« bis zum apokalyptischen Ungeheuer mit Tiara zog etwa der phantasievolle Lucas Cranach d. Ä. alle Register der Karikatur. Die Angriffe, durch den jungen Buchdruck massenwirksam verbreitet, konnte der Katholizismus kaum in gleicher Münze heimzahlen; die allbekannten Insignien von Papst- und Mönchtum aber eigneten sich vortrefflich zum visuellen Spott.
Auf Pressefehden um sein Image ging die stolze römische Kurie so gut wie nicht ein. Wenigstens traten die Päpste nun etwas bescheidener auf: Seit dem faktischen Scheitern spiritueller Großmachtansprüche und dem Einzug des Humanismus zeigten sich die Stellvertreter Christi nicht mehr ostentativ in Triumphpose.
So ließ sich Julius II., der immerhin Truppen geführt und 1506 den Grundstein zum neuen Petersdom gelegt hatte, vom Malerstar Raffael als weiser, besorgter Altvater des Glaubens darstellen. Auch sein Nachfolger Leo X. beauftragte Raffael zu einem Porträt ähnlichen Typs. Während Nordeuropa bis um 1650 immer wieder von blutigen Fehden mit konfessionellem Hintergrund erschüttert wurde, setzten die Päpste vorwiegend auf Festigung dessen, was sicher bleiben sollte: Territorial im Kirchenstaat, geistig in Bibliothek, Archiv und Geschichtsschreibung, äußerlich durch nützliche, möglichst pompöse Bauten und Kunstwerke. Denn so eifrig das Papsttum mit dem Konzil von Trient oder dem neuen, geistkämpferischen Jesuitenorden einzuholen versuchte, was glaubenspolitisch verspielt war - intellektuell sah sich die Kirche der Barockzeit aus ihrer bisherigen Führungsrolle verdrängt.
Neuen Wissenschaftszweigen wie der philologischen Textkritik, experimenteller Naturforschung und erst recht dem Selbstbewusstsein aufgeklärter Vernunft hatte Rom wenig entgegenzusetzen. Da lag es nahe, zumindest das Feld der großen Emotion imagepolitisch zu besetzen. Repräsentant dieser letzten Aufwallung ins Erhaben-Monumentale wurde der geniale neapolitanische Künstler Gian Lorenzo Bernini (1598 -1680).
Ein erstes Zeichen setzte er im Petersdom mit dem riesigen und doch verspielten Altarbaldachin, für dessen bronzene Korkenziehersäulen unter anderem - zum Entsetzen von Altertums- freunden - Deckenverkleidung des antiken Pantheons eingeschmolzen worden sein soll. Bernini war es auch, der Jahrzehnte später die beiden wuchtigen, perspektivisch trickreich konstruierten Säulenkolonnaden vor die Fassade stellte, ein gebautes Umarmungssymbol für den weiterhin allumfassenden Seelsorge- und Lehranspruch des Katholizismus. Höhepunkt von Berninis skulpturaler Rhetorik aber wurde das Gedenkporträt seines großen Gönners, Urbans VIII.
Die pompöse Marmorfigur, 1640 im Auftrag der Stadt Rom vollendet, zeigt einen segenspendenden, tiarabekrönten Wundermann in dekorativ wallenden Gewändern. Wie souverän Faltenwurf, Spitze und Stickereien aus dem Marmor gemeißelt sind, verblasst vor dem Gesamteindruck: Überirdisch beseelt, fordert diese Gestalt Ehrerbietung von den Betrachtern; sie brauchen nichts mehr zu deuten, schon gar nicht in furchtsamem Respekt zu erstarren, sondern sollen ganz unmittelbar majestätische Huld empfinden.
Der Appell ans Gefühl war freilich nichts, womit die Päpste lange auftrumpfen konnten. Raffael wie später Bernini und ihre vielen Kollegen trafen das Empfinden des Publikums auch in ihren sehr weltlichen Werken. Protestantische Kirchenmusik rührte mindestens ebenso tief die Herzen wie weihevolle Messen. Für Kritiker Roms bot teure künstlerische Pracht zudem ein willkommenes Ziel - falls sie sich mit derlei Äußerlichkeiten noch abgaben. Denn selbst unter gemäßigten Aufklärern des
18. Jahrhunderts, die Gott nicht rundweg leugneten, galt das Papsttum in der Regel als Zentrum geistiger Finsternis. So nutzte Voltaire, emanzipatives Gewissen seines Jahrhunderts, jede Gelegenheit, sich über Heilige Väter lustig zu machen. Den berüchtigten Borgia-Papst Alexander VI. (1492-1503) ließ er im Haus seiner Geliebten kichernd einen Inzest bekennen und dann darüber maulen, es sei doch auch für den Papst wenig sinnvoll, »Gott zu erklären, man glaube an etwas, woran man nicht glauben kann«. Auf Voltaires Landgut bei Genf steht eine Kapelle mit der bitterbös galanten Inschrift von Gleich zu Gleich: »Deo erexit Voltaire, 1761« - »Voltaire baute dies für Gott«.
Das war noch ein eher zahmer Witz. Graf Mirabeau, Vordenker freiheitlichen Geistes, hatte 1783 ein Büchlein über die sexuellen Ausschweifungen im Altertum erscheinen lassen, das sofort konfisziert wurde - wegen Unzucht, nicht weil frech auf dem Titelblatt stand: »Rom, Druckerei des Vatikans«. Revolutionäre wie er sahen im römischen Ritus nur noch ein historisches Relikt. Als 1798 napoleonische Truppen den Kirchenstaat besetzten und Papst Pius VI. bald darauf nach vielen Demütigungen in Frankreich starb, hielt sich die öffentliche Bestürzung in Grenzen. Der Katholizismus schien erledigt.
»Das alte Papsttum liegt im Grabe, und Rom ist zum zweiten Mal eine Ruine geworden«, notierte der 27-jährige Bergbauingenieur Friedrich von Hardenberg, der sich als Poet Novalis nannte. Gerade das aber, schloss er in kühner Volte, spreche dafür, »Die Christenheit oder Europa« - so der Titel des Essays - werde sich, wenn überhaupt, nur auf religiöser Basis erneuern, vielleicht »aus dem heiligen Schoße eines ehrwürdigen europäischen Konziliums«. Vernunfttrunkene Aufklärung und revolutionärer Furor, bilanzierte Novalis, hätten bloß einen Glauben hervorgebracht, »der aus lauter Wissen zusammengeklebt« sei, und so »die unendliche schöpferische Musik des Weltalls zum einförmigen Klappern einer ungeheuren Mühle« entzaubert.
Etliche junge Intellektuelle begannen in den folgenden chaotischen Kriegsjahren ähnlich zu denken. Aufgerüttelt vom Unheil der Zeit, suchten sie Halt in Transzendenz und Ritus. Verblüffend viele der enttäuschten Rationalisten hofften auf den neuen Papst Pius VII., der, oh Wunder, schon 1800 wieder in Rom regieren konnte und sich auch später vor Napoleons Übergriffen nicht duckte.
Als der Wiener Kongress die alte Staatsordnung restaurierte, frohlockten viele dieser romantisch-konservativen Visionäre. Doch die christliche Einung Europas blieb aus. Stattdessen klapperten immer rascher und lauter die Mühlen der Industrialisierung - während dem römischen Katholizismus im Tumult nationalen und imperialen Fortschrittseifers fast nur noch kraftlos- reaktionär wirkende Gesten übrig blieben.
Papst-Porträts dieser Zeit wirken melancholisch, mild und müde. Selbst wenn ein Lächeln erscheint, die Substanz wirkt angegriffen. Pius IX., erst für seine Liberalität bejubelt, dann von Nationalisten als Vaterlandsfeind verfemt, musste für anderthalb Jahre in die Hafenstadt Gaëta fliehen und sogar Attentatsversuchen trotzen. Nur wenige Wochen nach seiner Verkündung des Dogmas der Unfehlbarkeit - das viel Häme auslöste, aber auch zur Abspaltung der Altkatholiken führte - besetzte das geeinte Italien im September 1870 den Kirchenstaat. Die skeptische Ansicht vieler Mitteleuropäer über Rom spiegelte sich damals in Richard Wagners »Tannhäuser«, dessen bußwilliger Titelheld den mächtigen Herrn des Vatikans nur als beinharten Verkünder ewiger Höllenqualen erlebt.
Konnte es mit dem Image noch weiter abwärts gehen? Offenbar schon, wie sich im 20. Jahrhundert erwiesen hat. Rolf Hochhuths Skandalstück »Der Stellvertreter« von 1963 verarbeitete Dokumente zur direkten Anklage: Papst Pius XII., der Deutschland aus seiner Zeit als Nuntius gut kannte, sei durch sein Schweigen gegen das NS-Regime moralisch mitverantwortlich für den millionenfachen Judenmord. Dass der Vorwurf offenkundig bis heute am vatikanischen Gewissen nagt, mag ein Grund sein für mehrere Selig- oder Heiligsprechungen von Priestern und Gläubigen, die sich in Lagern für Mithäftlinge opferten.
Gegen fatale Hypotheken dieser Art wirken Indiskretionen, wie sie unlängst aus dem engsten Umfeld Benedikts XVI. an die Öffentlichkeit drangen, wie Musterfälle aus dem Lehrbuch absoluter Macht: Bei Hof waren von jeher Scheu und Geheimniskrämerei die Regel, samt Eifersucht, Tuscheleien und gelegentlich einem deftigen Skandal.
Durchschnittliche Zeitungsleser und Fernsehzuschauer erfahren demgemäß vom geistlichen Oberhaupt der Katholiken inzwischen ganz ähnliche Dinge wie von anderen Monarchen, die Auslandsbesuche machen, sorgsam präparierte Thronreden halten und zwischendrin unartige Angehörige - im Falle Roms renitente oder als peinlich verschriene Kleriker - in die Schranken weisen müssen.
Fast könnte es scheinen, als bleibe den Päpsten nur dieser bescheidene mediale Part im weltpolitischen Spektakel. Doch selbst Ungläubige sehen das stabile Normal-Image des alten, gütig-eigensinnigen Regenten gelegentlich durchkreuzt - von einer religiösen Botschaft, ja Mission, die dann doch rasch wieder alles Persönliche übersteigt.
Mindestens einmal hat sich diese Außergewöhnlichkeit auch künstlerisch offenbart. In einer Serie teils großformatiger Bilder ist der britische Maler Francis Bacon seit 1945 über das berühmte Velázquez-Porträt Innozenz' X. geradezu hergefallen: Einsam, gefesselt, deformiert und häufig schreiend vor Wut oder Qual, zeigt sich der geistliche Potentat in ein Opfer verwandelt, ohne dabei auch nur ein bisschen sympathisch zu wirken. Er ist geschunden von namenlosen Mächten, von der Welt, vom heftigen Pinselstrich, ja selbst noch von den Blicken der Betrachter.
Copyright © 2013 Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH und SPIEGEL-Verlag, Hamburg
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Autoren-Porträt von Norbert F. Pötzl, Johannes Saltzwedel
Norbert F. Pötzl, geboren 1948, von 1972 bis 2013 SPIEGEL-Redakteur, ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher. Er veröffentlichte u.a. den Bestseller "Der Fall Barschel - Anatomie einer deutschen Karriere" (1988), "Erich Honecker - Eine deutsche Biographie" (2002) und "Beitz - Eine deutsche Geschichte" (2011). Der Autor lebt und arbeitet in Hamburg. Johannes Saltzwedel, geboren 1962, ist seit 1991 Redakteur beim SPIEGEL. Er hat literaturgeschichtliche und bibliographische Studien veröffentlicht, unter anderem zur Goethezeit und zu Rudolf Borchardt. Er ist Herausgeber zahlreicher SPIEGEL/DVA-Bücher darunter »Die Bibel« (2015), »Rom« (2016) und »Die Aufklärung« (2017).
Bibliographische Angaben
- Autoren: Norbert F. Pötzl , Johannes Saltzwedel
- 2013, 336 Seiten, mit Abbildungen, Maße: 14,3 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben: Norbert F. Pötzl, Johannes Saltzwedel
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421045984
- ISBN-13: 9783421045980
- Erscheinungsdatum: 08.04.2013
Rezension zu „Die Päpste “
»Ein spannend zu lesendes Buch.«
Pressezitat
»Ein spannend zu lesendes Buch.« dpa
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