Die Pforten der Ewigkeit
Historischer Roman
1250: Friedrich II. ist tot, das Reich in Aufruhr. Nur einer kennt das letzte Geheimnis des Kaisers: Rogers de Bezers, ein Katharer. Er begibt sich auf die Spur des Geheimnisses, das sein Leben für immer verändern wird. Zur gleichen Zeit macht...
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Produktinformationen zu „Die Pforten der Ewigkeit “
1250: Friedrich II. ist tot, das Reich in Aufruhr. Nur einer kennt das letzte Geheimnis des Kaisers: Rogers de Bezers, ein Katharer. Er begibt sich auf die Spur des Geheimnisses, das sein Leben für immer verändern wird. Zur gleichen Zeit macht sich eine Zisterzienserin auf, in der Abgeschiedenheit des Steigerwaldes eine neue Zelle zu gründen. Um eine Mitschwester vor der Inquisition zu bewahren, muss ihr Orden berühmt werden. Das Mittel: der Bau eines prächtigen Klosters. Als die Menschen im Ort Schwester Elsbeths Pläne ablehnen, greift sie auf die Hilfe dreier Fremder zurück. Einer von ihnen ist Rogers de Bezers. Elsbeth ahnt nicht, was ihn wirklich nach Wizinsten geführt hat.
Klappentext zu „Die Pforten der Ewigkeit “
1250. Friedrich II. ist tot, das Reich in Aufruhr. Nur einer kennt das letzte Geheimnis des Kaisers: Rogers de Bezers, ein Katharer. Er begibt sich auf die Spur des Geheimnisses, das sein Leben für immer verändern wird. Zur gleichen Zeit macht sich eine Zisterzienserin auf, in der Abgeschiedenheit des Steigerwaldes eine neue Zelle zu gründen. Um eine Mitschwester vor der Inquisition zu bewahren, muss ihr Orden berühmt werden. Das Mittel: der Bau eines prächtigen Klosters. Als die Menschen im Ort Schwester Elsbeths Pläne ablehnen, greift sie auf die Hilfe dreier Fremder zurück. Einer von ihnen ist Rogers de Bezers. Elsbeth ahnt nicht, was ihn wirklich nach Wizinsten geführt hat ...
Lese-Probe zu „Die Pforten der Ewigkeit “
Die Pforten der Ewigkeit von Richard DübellKapitel 1
Castel Florentino, Apulien
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Manchmal - zu ganz seltenen Gelegenheiten - tauchte das vorwurfsvolle Gesicht des Mannes, den er ermordet hatte, vor dem inneren Auge Graf Rudolfs von Habisburch auf.
Oh, getötet hatte er viele Männer, und auch einen Anteil an Frauen und Kindern. Wer Schlachten schlug und Städte eroberte, konnte nicht immer einhalten, wenn ihm jemand vor die Klinge lief, der eigentlich unschuldig war. Aber kaltblütig ermordet hatte er bislang nur einen Menschen. Hugo von Teufen hatte versucht, ihn ins Straucheln zu bringen auf dem Weg zur Macht. Hugo hatte es bereut, aber da war es zu spät gewesen, weil seine Eingeweide sich bereits auf dem Boden vor ihm gekräuselt hatten und das Leben durch seine verkrampften Finger rann. Danach hatte Graf Rudolf sich unter den Schutz des Hauses Hohenstaufen stellen müssen. Natürlich hatte der Kaiser nicht erfahren, wer der wirkliche Mörder Hugos gewesen war; Rudolf hatte die Schuld auf Hugos Verwalter geschoben, einen entfernten Verwandten des Hauses Habisburch, und so getan, als schütze er den Mann aus Familienräson. Den Verwalter hatte danach niemand mehr zu Gesicht bekommen, und der Kaiser war auf die vermeintlich noble Geste Rudolfs hereingefallen.
Warum fiel ihm jetzt Hugo von Teufen wieder ein? Ach ja - weil er liebend gern das eine oder andere Gesicht um diese essensbeladene Tafel herum so gesehen hätte wie zuletzt Hugos Fresse: vor Entsetzen verzerrt, während um ihn herum das Blut eine stinkende Lache bildete. Er musterte die Männer verstohlen:
Berardo de Castagna, die alte Schildkröte, auf deren Gesicht immer noch Spuren der Erleichterungstränen zu sehen waren; Riccardo de Montenero, die vertrocknete Bohnenstange; Manfredo, der grinsende junge Trottel; direkt neben ihm noch so ein nassforscher Jüngling, Hertwig von Staleberc, einer von denen, die den Kram glaubten, den ihnen Sangesvögel wie jener Wolfram ins Ohr trällerten, von wegen edlem Rittertum und der Suche nach dem heiligen Gral ... und all die anderen verfluchten Idioten, die sich freuten, weil der Kaiser dem Tod erneut ein Schnippchen geschlagen zu haben schien. Er hasste sie alle. Und er, Rudolf IV. Graf von Habisburch, Kyburc und Lewinsten, Landgraf von Turgovia? Er musste sich mitfreuen, weil das Überleben des Kaisers bedeutete, dass noch nicht alles verloren war, dass er den Kaiser würde überreden können, ihm den Schutz seines Geheimnisses anzuvertrauen. Des Geheimnisses, das über den Fortbestand des Reichs entscheiden würde - und aus wessen Haus der neue Kaiser stammte. Graf Rudolf hatte keine Schwierigkeiten zuzugeben, dass Letzteres ihm am meisten am Herzen lag. Rudolf war überzeugt, dass der nächste Kaiser ein Banner mit einem flammendroten Löwen tragen müsse. Ebenso überzeugt wie damals, als er gewusst hatte, dass Hugo von Teufen aus dem Weg geräumt werden müsse. »Es ist Gottes Wille«, flüsterte der Erzbischof von Palermo. »Unser Herr und Freund Federico ist der vom Herrn Gesalbte, der Jahrtausendkaiser. Auch der König von Frankreich hat sich auf seine Seite gestellt, kaum dass er aus dem Heiligen Land zurück war, und Rom die Schuld am Scheitern seines Kreuzzugs gegeben. Der König von England hat dem Papst sogar Asyl verweigert. « Rudolf starrte missmutig auf die Brotscheibe vor sich auf dem Tisch. Einer der Dienstboten huschte herbei und legte ihm ein weiteres safttriefendes Stück Braten vor. Rudolf hatte keinen Appetit, aber er hatte Lust, seine Zähne in Fleisch zu schlagen und es vom Knochen zu zerren und zu zerbeißen, um seinen Zorn abzureagieren.
»Der Papst weiß selbst, dass er am Ende ist«, erklärte Riccardo de Montenero. »Sonst hätte Innozenz IV. nicht die Friedensverhandlungen angeboten, zu denen wir unterwegs waren, bevor der Kaiser von der Krankheit befallen worden ist ...«
»Von der Gottes Güte ihn jetzt hat genesen lassen«, warf Berardo de Castagna ein.
»Dank sei dem Herrn«, sagte eine brüchige Stimme.
Alle sprangen auf. Der Kaiser stand am Eingang zum großen Saal, seinen Kammerdiener an der Seite. Rudolf fühlte beinahe so etwas wie Bestürzung. Federico lächelte, doch er sah schrecklich aus, das Gesicht hager und zerknittert; die Darmkrämpfe hatten Falten in seine Mundwinkel gekniffen, und das blonde Haar war fast vollkommen ergraut. Er hatte sich in dickes Fell gehüllt wie ein fröstelnder alter Mann. Die anderen hatten seinen Verfall die letzten Wochen über miterlebt und waren weniger überrascht als Rudolf.
Manfredo sprang auf und hob seinen Kelch: »Auf den wahren Kaiser des Heiligen Römischen Reichs!« Die Augen des jungen Mannes waren feucht. Rudolf kannte - und verachtete - Manfredos Treue zu seinem Vater. Er war sicher, wären die anderen nicht gewesen, hätte Manfredo sich auf den Kaiser gestürzt und laut »Papa!« gerufen. Er rollte die Augen und hob seinen Kelch, um nicht aufzufallen.
Der Kammerdiener winkte den Mundschenk heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Das Gesicht des Mundschenks wurde lang. »Birnen ... mit ... Zucker?«, stotterte er.
»Wenn es möglich wäre ...«, erklärte Federico mit der Freundlichkeit, die er seinen Dienstboten stets entgegenbrachte. Unwillkürlich warf der Mundschenk dem Leibarzt des Kaisers einen Blick zu, der mit am Tisch saß. Der Leibarzt strahlte. »Wenn Seine Majestät es wünschen.«
Es war offensichtlich, dass der Mundschenk gerne gefragt hätte, wo um alles in der Welt er im Dezember Birnen hernehmen sollte und ob der Kaiser beim nächsten Mal nicht vielleicht vorher Bescheid geben könnte, bevor er eine unbedeutende Burg in einem unbedeutenden Abschnitt Apuliens heimsuchte und dann nach Zucker verlangte. Doch der Mundschenk verbeugte sich nur. »Majestät werden keinen Grund zur Beschwerde haben.«
»Wie sollte er auch?«, lächelte der Leibarzt. »Wo sein Appetit doch bedeutet, dass er über den Berg ist.«
Graf Rudolf ließ sich auf seinen Platz zurücksinken und beobachtete, wie der Kaiser sich in den hochlehnigen Stuhl am Kopfende der Tafel setzte. Er senkte den Kopf, als Federico die Blicke um den Tisch wandern ließ, denn er fürchtete, seine Augen würden seine wahren Gefühle verraten. Die Brotscheibe war völlig vom Bratensaft durchweicht, das Fett auf dem Fleisch begann zu erkalten. Er schob das Brot vom Tisch auf den Boden. Mit den Füßen scharrte er die triefende Masse beiseite, doch der aufgeregte Anprall muffig riechender Körper gegen seine Beine und das Jappen und Jaulen verrieten, dass die Hunde sich schon darum balgten. Graf Rudolf verteilte ein paar Tritte, ohne hinzusehen. Das raufende Hundeknäuel rollte ein paar Stationen weiter und zwang Riccardo di Montenero, die Füße zu heben. Wenn Rudolf nicht so schlechter Laune gewesen wäre, hätte er böse gegrinst. Er biss in den Braten und schmeckte unter den Gewürzen und der Soße, dass das Fleisch einen Stich hatte. Wütend schluckte er den Bissen hinunter, den er im Mund hatte, und legte den Batzen zurück auf den Tisch.
Merkten sie überhaupt nicht, dass sie alle eine erbärmlich schlechte Komödie spielten? Der Kaiser wollte Birnen mit Zucker, weil es ihm besser ging? Hatten sie denn noch nie einem Menschen beim Sterben zugesehen? Der Mundschenk war davongeeilt, um die Bediensteten der Burg in die Hintern zu treten und ihnen alle Strafen der Hölle anzudrohen, damit sie ja ein paar Birnen und die letzten Vorräte Zucker fanden, und wenn sie sie einem Verhungernden in dem Dorf zu Füßen der Burg aus dem Maul ziehen mussten. Der Leibarzt strahlte fröhlich, der alte Erzbischof lächelte und bekreuzigte sich ein ums andere Mal, der dumme Manfredo ließ kein Auge von seinem Vater. Und der Kaiser selbst ...
... hatte immer noch die Macht, sie alle mit seiner eigenen Überzeugung zu verzaubern, selbst wenn jeder, der genau hinsah, hätte erkennen können, dass der Tod ihm nur die Hand von der Schulter genommen hatte, damit er mit der Sense besser ausholen konnte. Doch keiner sah genau hin - außer Rudolf.
Er fühlte den Blick Kaiser Federicos auf sich ruhen. Unwillkürlich setzte er sich gerader hin und verachtete sich selbst dafür. »Der Graf von Habisburch sieht so ärgerlich aus, als ob man ihm sein eigenes Pferd zum Essen vorgesetzt hätte«, sagte eine Stimme. Gelächter erhob sich. Rudolf suchte nach dem Sprecher. Er fand ein grinsendes, soßenglänzendes, jugendlich-verwegenes Gesicht.
»Herr Hertwig von Staleberc sieht so fröhlich aus, als ob ihm mein Pferd schmecken würde«, erwiderte Rudolf. Er fasste den jungen Ritter auf der anderen Seite der Tafel ins Auge, während das Gelächter noch lauter wurde und Hertwig gutmütig nickte und so tat, als gebe er sich geschlagen. Dann senkten sich die Brauen des jungen Mannes, als Rudolfs Blick ihn traf. Rudolf gab sich keine Mühe, sein Lächeln in etwas anderes zu verwandeln als das, was es war: Zähnefletschen.
»Das war schlagfertig!«, rief jemand. »Die Herren sollten ein jeu-parti wagen!«
Das fehlte noch: ein jeu-parti - ein Lied, das zwei Sänger gegeneinander sangen; einer sang eine Zeile, und der andere musste eine Antwortzeile darauf finden, die den ersten Gedanken weiterentwickelte und sich am besten auch noch darauf reimte. Manche Duellanten hatten schon ganze Abende mit ihren Stegreifballaden gefüllt, während die Zuhörer Trost im Wein suchten. Und das mit dem dummen Grünschnabel Hertwig von Staleberc? Das Bürschchen machte auch noch ein Gesicht, als könnte es sich vorstellen, darauf einzugehen, aber ein zweiter Blick in Graf Rudolfs Miene belehrte Staleberc offensichtlich eines Besseren. Er lehnte sich zurück und ignorierte die Aufforderung, indem er sich ein neues Stück Fleisch auftun ließ.
Rudolf fühlte die Blicke des Kaisers erneut auf sich ruhen. Er wandte Federico absichtlich den Rücken zu. Graf Rudolf hatte den Schutz des Hauses Hohenstaufen unter anderem deshalb akzeptiert, weil er es für schwach und abgehalftert hielt und überzeugt war, dass sein eigenes Geschlecht zur Führung des Reichs auserkoren war. Er hatte mit dem Kaiser sogar den Kirchenbann geteilt. Er hatte ihn in den Niedergang begleitet, anstatt seinen eigenen Namen zu Ruhm und Ehre zu führen. Wann kam endlich die Stunde der Belohnung dafür?
Als er hörte, dass der Kaiser ein Gespräch mit Riccardo de Montenero begann, musterte er ihn verstohlen. Da saß der Herr des Reichs, dünn und ausgemergelt, seine einstige kühne Schönheit vergangen in einem Leben aus Kampf und drei Wochen krampfartigen Darmentleerens. Rudolf hatte gehört, dass der Kaiser in seiner Kammer bereits sein Sterbegewand hatte bereitlegen lassen - eine graue Zisterzienserkutte. Ha! Gab es denn keinen Spiegel in der Schlafkammer des Kaisers, in dem er hätte sehen können, wie durchsichtig er bereits war? Wenn Rudolf etwas an Kaiser Federico geschätzt hatte, dann seinen Pragmatismus. Er konnte nicht in den Spiegel gesehen haben, sonst hätte er sich nicht hierhin gesetzt und alle glauben gemacht, das Leben würde weitergehen.
Hoffentlich hat er die Zisterzienserkutte noch nicht wieder weglegen lassen, dachte Rudolf gehässig. Er sah das graue Kleidungsstück vor Augen und verzog den Mund. Zisterzienser. Von all den Orden, die in Kutten und Tonsuren und entweder im Schlamm der Schweineställe, die ihre Klöster waren, oder im Saus und Braus ihrer Abteien die göttliche Vollendung suchten, waren dem Kaiser ausgerechnet die Zisterzienser ans Herz gewachsen. Weil sie die Einzigen gewesen waren, die in den grausamen Feldzügen der Kirche gegen die südfranzösischen Ketzer, denen heimlich das Herz des Kaisers in den letzten Jahren gehört hatte, verhältnismäßig vernünftig und milde vorgegangen waren? Rudolf wusste es nicht. Er wusste nur, dass der Krieg gegen die Albigenser oder Katharer (die Reinen! Pah!) tatsächlich mehr als grausam gewesen war; wusste es aus allererster Hand, sozusagen - dies war ein Geheimnis, das er dem Kaiser nie verraten hatte.
Und Rudolf wusste noch etwas. Er hasste keinen hier am Tisch mit solcher Inbrunst wie Kaiser Federico, Friedrich II. von Hohenstaufen, den Ketzer, den Antichrist, das Staunen der Welt - auch wenn dieser den morgigen Abend nicht mehr erleben würde.
Kapitel 2
Zisterzienserinnenabtei Sankt maria und Theodor, Papinberc
Schwester Elsbeth rannte den Gang entlang, der zum Hospiz führte. In ihrem Ohr hallte das Gespräch, das sie soeben mit Schwester Lucardis geführt hatte, der Äbtissin des Zisterzienserinnenkonvents Sankt Maria und Theodor in Papinberc.
»Aber warum ich, ehrwürdige Mutter?«
»Weil Bischof Heinrich eine starke Abneigung gegen unsere Schwester infirmaria hat, seit ihr Vater damals in seine Entführung und Freilassung gegen ein horrendes Lösegeld verwickelt war. Wenn er bei seiner jährlichen Besichtigung merkt, dass ich ihr zwischenzeitlich die Leitung des Hospizes anvertraut habe, können wir die Hoffnung begraben, dass er seine Geldzuwendungen erhöht.«
»Warum hast du ihr dann diese Stellung gegeben?«
»Weil sie die Beste ist.«
»Und warum sollen meine Novizinnen und ich dann den Bischof im Hospiz herumführen, ehrwürdige Mutter?«
»Weil du dafür die Beste bist.«
So weit war das Gespräch gut verlaufen. Elsbeth hatte sich sogar beinahe geschmeichelt gefühlt. Sie war jung für eine Novizenmeisterin - noch keine zwanzig Jahre alt. Aber das gesamte Kloster Sankt Maria und Theodor war ein sehr junges Kloster. Lucardis, die Äbtissin, war Mitte zwanzig. Die Regel der Zisterzienserinnen lautete, dass eine Äbtissin mindestens dreißig Jahre alt sein musste, aber das Papinbercer Zisterzienserinnenkloster war nicht immer regelkonform aufgestellt. Nicht einmal Bischof Heinrich von Bilvirncheim hatte Einspruch erhoben, als Lucardis vor zwei Jahren von ihrer Vorgängerin vorgeschlagen worden war. Die neue Äbtissin war bekannt dafür, einen Sinn für Zahlen zu haben, besonders wenn diese mit Finanzen verbunden waren. Der Bischof liebte es, wenn wenigstens in einem Bereich seiner weit gespannten Verantwortlichkeiten halbwegs Gewinne erwirtschaftet wurden.
Die Hierarchie von Sankt Maria und Theodor war flach - es gab die sacrista, die die Schlüsselgewalt und die Aufsicht über die liturgischen Gefäße innehatte, Um- und Neubauten beaufsichtigte und für die Herstellung der Hostien verantwortlich war; die cantrix als Chorleiterin und Bibliothekarin und direkte Vertreterin der Äbtissin - der Einfachkeit der regulae benedicti folgend, besaß das Zisterzienserinnenkloster weder Priorin noch Subpriorin -; die infirmaria; die vestiaria, in deren Verantwortungsbereich sämtliche Kleidung und die Tischtücher fielen; die celleraria für alle Verpflegungsfragen und die portaria, die über den Zugang von und zur heillosen Welt außerhalb der Klostermauern wachte. Bis auf die Pförtnerin waren alle Frauen noch jung.
Schwester Elsbeth, die scholastica oder Novizenmeisterin, war die Jüngste von ihnen. Die Postulantinnen und die Novizinnen, die das Kloster nach der ersten Begegnung mit der Schwester Pförtnerin vor Ehrfurcht und Angst erstarrt betraten, schlossen sie meist schon beim ersten Gespräch ins Herz.
»Bis jetzt hast immer du die Gespräche mit dem Bischof in deiner Zelle geführt«, hörte Elsbeth sich während der Unterredung mit der Äbtissin sagen und erinnerte sich an die leichte Panik in ihrer Stimme, während ihr der Atem beim Laufen langsam knapp wurde. Sankt Maria und Theodor war ebenso eng wie verwinkelt und in den Kaulberg hineingebaut. Das Kloster war als eine Art späte Idee um das ursprüngliche Hospiz herum entstanden, und wenn Elsbeth den Treppen und Fluren folgte, um an einen Ort zu gelangen, der von der Idealvorstellung eines Klosters her ganz woanders hätte liegen müssen, empfand sie meistens den dringenden Wunsch, den Konvent vollkommen umzubauen. Dieses Mal wünschte sie sich jedoch nur, so schnell wie möglich ins Hospiz zu gelangen. Die Erinnerung an den Schreck der Äbtissin überlagerte kurz das Echo des zuvor geführten Gesprächs: »Lauf, Elsbeth, lauf!«
»Ich habe Bischof Heinrich vor ein paar Wochen gebeten, das Hospiz mit vier Pfund jährlich zu unterstützen«, hatte Lucardis erklärt. »Ich habe ihm erläutert, dass wir mit dieser Investition einen kleinen Anbau errichten und einen Trakt für Adlige und wohlhabende Bürger schaffen können. Dann würden diejenigen von ihnen, die unsere Brüder in benedicto auf dem Michaelsberg auf Wartelisten gesetzt haben, weil ihr Hospiz überfüllt ist, stattdessen zu uns kommen. Das Hospiz von Sankt Maria und Theodor würde den Ruf verlieren, ein Pflegeheim nur für die Armen zu sein, und mehr Zuwendungen würden fließen, und ...«
»... aus vier Pfund Unterstützung im Jahr würden acht Pfund Dividende.«
Lucardis hatte gelächelt. »Offenbar hat Vater auch dich neben einem Geldwechslertisch gezeugt. Das wirft ein merkwürdiges Licht auf die nächtlichen Angewohnheiten unserer Eltern.«
»Ich stehe nur lange genug unter deinem schlechten Einfluss, Schwesterherz.«
Die Äbtissin und die Novizenmeisterin waren Schwestern nicht nur im übertragenen Sinn als Klosterangehörige, sondern auch im wirklichen Leben, als Lucardis noch Mechthild von Swartzenberc geheißen hatte und Elsbeth Yrmengard von Swartzenberc. Von Kindesbeinen an waren die beiden unzertrennlich gewesen. Es hatte niemals Geheimnisse zwischen ihnen gegeben.
Das hieß, bis vor einiger Zeit hatte es niemals Geheimnisse zwischen ihnen gegeben. Bis zu jenem Tag in Colnaburg.
»Hast du Schwester Hedwig in Sicherheit gebracht?«, hatte Lucardis gefragt.
»Ja, natürlich.«
Und dann war eine junge Schwester in die Zelle der Äbtissin geplatzt und hatte keuchend gemeldet, dass der Bischof samt Gefolge eingetroffen sei.
»Wie - samt Gefolge? Was für ein Gefolge?« »Seine Ehrwürden hat Propst Rinold, seinen Assistenten und seinen Kämmerer mitgebracht.«
»Den Kämmerer? Albert Sneydenwint? Heiliger Benedikt!«
Elsbeth hatte die junge Klosterschwester argwöhnisch gefragt: »Habe ich dich nicht gebeten, auf Schwester Hedwig achtzugeben? «
»Ja, Schwester Elsbeth. Aber dann hat die Schwester Pförtnerin mich beauftragt, die Mutter Oberin zu informieren, und ich habe Schwester Hedwig ins Hospiz geschickt, weil ich mir dachte, dort passt bestimmt jemand auf sie auf.«
Elsbeth und Lucardis hatten sich bestürzt angesehen.
»Albert Sneydenwint im Hospiz?«, hatte Lucardis hervorgestoßen, während Elsbeth gleichzeitig gekeucht hatte: »Schwester Hedwig im Hospiz?«
Das war der Zeitpunkt gewesen, an dem die Äbtissin gesagt hatte: »Lauf, Elsbeth, lauf!« Und als sie losgerannt war, hatte ihr Lucardis noch hinterhergerufen: »Sneydenwint darf unter keinen Umständen in den Trakt für die Geisteskranken! Unter gar keinen Umständen!«
© 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Manchmal - zu ganz seltenen Gelegenheiten - tauchte das vorwurfsvolle Gesicht des Mannes, den er ermordet hatte, vor dem inneren Auge Graf Rudolfs von Habisburch auf.
Oh, getötet hatte er viele Männer, und auch einen Anteil an Frauen und Kindern. Wer Schlachten schlug und Städte eroberte, konnte nicht immer einhalten, wenn ihm jemand vor die Klinge lief, der eigentlich unschuldig war. Aber kaltblütig ermordet hatte er bislang nur einen Menschen. Hugo von Teufen hatte versucht, ihn ins Straucheln zu bringen auf dem Weg zur Macht. Hugo hatte es bereut, aber da war es zu spät gewesen, weil seine Eingeweide sich bereits auf dem Boden vor ihm gekräuselt hatten und das Leben durch seine verkrampften Finger rann. Danach hatte Graf Rudolf sich unter den Schutz des Hauses Hohenstaufen stellen müssen. Natürlich hatte der Kaiser nicht erfahren, wer der wirkliche Mörder Hugos gewesen war; Rudolf hatte die Schuld auf Hugos Verwalter geschoben, einen entfernten Verwandten des Hauses Habisburch, und so getan, als schütze er den Mann aus Familienräson. Den Verwalter hatte danach niemand mehr zu Gesicht bekommen, und der Kaiser war auf die vermeintlich noble Geste Rudolfs hereingefallen.
Warum fiel ihm jetzt Hugo von Teufen wieder ein? Ach ja - weil er liebend gern das eine oder andere Gesicht um diese essensbeladene Tafel herum so gesehen hätte wie zuletzt Hugos Fresse: vor Entsetzen verzerrt, während um ihn herum das Blut eine stinkende Lache bildete. Er musterte die Männer verstohlen:
Berardo de Castagna, die alte Schildkröte, auf deren Gesicht immer noch Spuren der Erleichterungstränen zu sehen waren; Riccardo de Montenero, die vertrocknete Bohnenstange; Manfredo, der grinsende junge Trottel; direkt neben ihm noch so ein nassforscher Jüngling, Hertwig von Staleberc, einer von denen, die den Kram glaubten, den ihnen Sangesvögel wie jener Wolfram ins Ohr trällerten, von wegen edlem Rittertum und der Suche nach dem heiligen Gral ... und all die anderen verfluchten Idioten, die sich freuten, weil der Kaiser dem Tod erneut ein Schnippchen geschlagen zu haben schien. Er hasste sie alle. Und er, Rudolf IV. Graf von Habisburch, Kyburc und Lewinsten, Landgraf von Turgovia? Er musste sich mitfreuen, weil das Überleben des Kaisers bedeutete, dass noch nicht alles verloren war, dass er den Kaiser würde überreden können, ihm den Schutz seines Geheimnisses anzuvertrauen. Des Geheimnisses, das über den Fortbestand des Reichs entscheiden würde - und aus wessen Haus der neue Kaiser stammte. Graf Rudolf hatte keine Schwierigkeiten zuzugeben, dass Letzteres ihm am meisten am Herzen lag. Rudolf war überzeugt, dass der nächste Kaiser ein Banner mit einem flammendroten Löwen tragen müsse. Ebenso überzeugt wie damals, als er gewusst hatte, dass Hugo von Teufen aus dem Weg geräumt werden müsse. »Es ist Gottes Wille«, flüsterte der Erzbischof von Palermo. »Unser Herr und Freund Federico ist der vom Herrn Gesalbte, der Jahrtausendkaiser. Auch der König von Frankreich hat sich auf seine Seite gestellt, kaum dass er aus dem Heiligen Land zurück war, und Rom die Schuld am Scheitern seines Kreuzzugs gegeben. Der König von England hat dem Papst sogar Asyl verweigert. « Rudolf starrte missmutig auf die Brotscheibe vor sich auf dem Tisch. Einer der Dienstboten huschte herbei und legte ihm ein weiteres safttriefendes Stück Braten vor. Rudolf hatte keinen Appetit, aber er hatte Lust, seine Zähne in Fleisch zu schlagen und es vom Knochen zu zerren und zu zerbeißen, um seinen Zorn abzureagieren.
»Der Papst weiß selbst, dass er am Ende ist«, erklärte Riccardo de Montenero. »Sonst hätte Innozenz IV. nicht die Friedensverhandlungen angeboten, zu denen wir unterwegs waren, bevor der Kaiser von der Krankheit befallen worden ist ...«
»Von der Gottes Güte ihn jetzt hat genesen lassen«, warf Berardo de Castagna ein.
»Dank sei dem Herrn«, sagte eine brüchige Stimme.
Alle sprangen auf. Der Kaiser stand am Eingang zum großen Saal, seinen Kammerdiener an der Seite. Rudolf fühlte beinahe so etwas wie Bestürzung. Federico lächelte, doch er sah schrecklich aus, das Gesicht hager und zerknittert; die Darmkrämpfe hatten Falten in seine Mundwinkel gekniffen, und das blonde Haar war fast vollkommen ergraut. Er hatte sich in dickes Fell gehüllt wie ein fröstelnder alter Mann. Die anderen hatten seinen Verfall die letzten Wochen über miterlebt und waren weniger überrascht als Rudolf.
Manfredo sprang auf und hob seinen Kelch: »Auf den wahren Kaiser des Heiligen Römischen Reichs!« Die Augen des jungen Mannes waren feucht. Rudolf kannte - und verachtete - Manfredos Treue zu seinem Vater. Er war sicher, wären die anderen nicht gewesen, hätte Manfredo sich auf den Kaiser gestürzt und laut »Papa!« gerufen. Er rollte die Augen und hob seinen Kelch, um nicht aufzufallen.
Der Kammerdiener winkte den Mundschenk heran und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Das Gesicht des Mundschenks wurde lang. »Birnen ... mit ... Zucker?«, stotterte er.
»Wenn es möglich wäre ...«, erklärte Federico mit der Freundlichkeit, die er seinen Dienstboten stets entgegenbrachte. Unwillkürlich warf der Mundschenk dem Leibarzt des Kaisers einen Blick zu, der mit am Tisch saß. Der Leibarzt strahlte. »Wenn Seine Majestät es wünschen.«
Es war offensichtlich, dass der Mundschenk gerne gefragt hätte, wo um alles in der Welt er im Dezember Birnen hernehmen sollte und ob der Kaiser beim nächsten Mal nicht vielleicht vorher Bescheid geben könnte, bevor er eine unbedeutende Burg in einem unbedeutenden Abschnitt Apuliens heimsuchte und dann nach Zucker verlangte. Doch der Mundschenk verbeugte sich nur. »Majestät werden keinen Grund zur Beschwerde haben.«
»Wie sollte er auch?«, lächelte der Leibarzt. »Wo sein Appetit doch bedeutet, dass er über den Berg ist.«
Graf Rudolf ließ sich auf seinen Platz zurücksinken und beobachtete, wie der Kaiser sich in den hochlehnigen Stuhl am Kopfende der Tafel setzte. Er senkte den Kopf, als Federico die Blicke um den Tisch wandern ließ, denn er fürchtete, seine Augen würden seine wahren Gefühle verraten. Die Brotscheibe war völlig vom Bratensaft durchweicht, das Fett auf dem Fleisch begann zu erkalten. Er schob das Brot vom Tisch auf den Boden. Mit den Füßen scharrte er die triefende Masse beiseite, doch der aufgeregte Anprall muffig riechender Körper gegen seine Beine und das Jappen und Jaulen verrieten, dass die Hunde sich schon darum balgten. Graf Rudolf verteilte ein paar Tritte, ohne hinzusehen. Das raufende Hundeknäuel rollte ein paar Stationen weiter und zwang Riccardo di Montenero, die Füße zu heben. Wenn Rudolf nicht so schlechter Laune gewesen wäre, hätte er böse gegrinst. Er biss in den Braten und schmeckte unter den Gewürzen und der Soße, dass das Fleisch einen Stich hatte. Wütend schluckte er den Bissen hinunter, den er im Mund hatte, und legte den Batzen zurück auf den Tisch.
Merkten sie überhaupt nicht, dass sie alle eine erbärmlich schlechte Komödie spielten? Der Kaiser wollte Birnen mit Zucker, weil es ihm besser ging? Hatten sie denn noch nie einem Menschen beim Sterben zugesehen? Der Mundschenk war davongeeilt, um die Bediensteten der Burg in die Hintern zu treten und ihnen alle Strafen der Hölle anzudrohen, damit sie ja ein paar Birnen und die letzten Vorräte Zucker fanden, und wenn sie sie einem Verhungernden in dem Dorf zu Füßen der Burg aus dem Maul ziehen mussten. Der Leibarzt strahlte fröhlich, der alte Erzbischof lächelte und bekreuzigte sich ein ums andere Mal, der dumme Manfredo ließ kein Auge von seinem Vater. Und der Kaiser selbst ...
... hatte immer noch die Macht, sie alle mit seiner eigenen Überzeugung zu verzaubern, selbst wenn jeder, der genau hinsah, hätte erkennen können, dass der Tod ihm nur die Hand von der Schulter genommen hatte, damit er mit der Sense besser ausholen konnte. Doch keiner sah genau hin - außer Rudolf.
Er fühlte den Blick Kaiser Federicos auf sich ruhen. Unwillkürlich setzte er sich gerader hin und verachtete sich selbst dafür. »Der Graf von Habisburch sieht so ärgerlich aus, als ob man ihm sein eigenes Pferd zum Essen vorgesetzt hätte«, sagte eine Stimme. Gelächter erhob sich. Rudolf suchte nach dem Sprecher. Er fand ein grinsendes, soßenglänzendes, jugendlich-verwegenes Gesicht.
»Herr Hertwig von Staleberc sieht so fröhlich aus, als ob ihm mein Pferd schmecken würde«, erwiderte Rudolf. Er fasste den jungen Ritter auf der anderen Seite der Tafel ins Auge, während das Gelächter noch lauter wurde und Hertwig gutmütig nickte und so tat, als gebe er sich geschlagen. Dann senkten sich die Brauen des jungen Mannes, als Rudolfs Blick ihn traf. Rudolf gab sich keine Mühe, sein Lächeln in etwas anderes zu verwandeln als das, was es war: Zähnefletschen.
»Das war schlagfertig!«, rief jemand. »Die Herren sollten ein jeu-parti wagen!«
Das fehlte noch: ein jeu-parti - ein Lied, das zwei Sänger gegeneinander sangen; einer sang eine Zeile, und der andere musste eine Antwortzeile darauf finden, die den ersten Gedanken weiterentwickelte und sich am besten auch noch darauf reimte. Manche Duellanten hatten schon ganze Abende mit ihren Stegreifballaden gefüllt, während die Zuhörer Trost im Wein suchten. Und das mit dem dummen Grünschnabel Hertwig von Staleberc? Das Bürschchen machte auch noch ein Gesicht, als könnte es sich vorstellen, darauf einzugehen, aber ein zweiter Blick in Graf Rudolfs Miene belehrte Staleberc offensichtlich eines Besseren. Er lehnte sich zurück und ignorierte die Aufforderung, indem er sich ein neues Stück Fleisch auftun ließ.
Rudolf fühlte die Blicke des Kaisers erneut auf sich ruhen. Er wandte Federico absichtlich den Rücken zu. Graf Rudolf hatte den Schutz des Hauses Hohenstaufen unter anderem deshalb akzeptiert, weil er es für schwach und abgehalftert hielt und überzeugt war, dass sein eigenes Geschlecht zur Führung des Reichs auserkoren war. Er hatte mit dem Kaiser sogar den Kirchenbann geteilt. Er hatte ihn in den Niedergang begleitet, anstatt seinen eigenen Namen zu Ruhm und Ehre zu führen. Wann kam endlich die Stunde der Belohnung dafür?
Als er hörte, dass der Kaiser ein Gespräch mit Riccardo de Montenero begann, musterte er ihn verstohlen. Da saß der Herr des Reichs, dünn und ausgemergelt, seine einstige kühne Schönheit vergangen in einem Leben aus Kampf und drei Wochen krampfartigen Darmentleerens. Rudolf hatte gehört, dass der Kaiser in seiner Kammer bereits sein Sterbegewand hatte bereitlegen lassen - eine graue Zisterzienserkutte. Ha! Gab es denn keinen Spiegel in der Schlafkammer des Kaisers, in dem er hätte sehen können, wie durchsichtig er bereits war? Wenn Rudolf etwas an Kaiser Federico geschätzt hatte, dann seinen Pragmatismus. Er konnte nicht in den Spiegel gesehen haben, sonst hätte er sich nicht hierhin gesetzt und alle glauben gemacht, das Leben würde weitergehen.
Hoffentlich hat er die Zisterzienserkutte noch nicht wieder weglegen lassen, dachte Rudolf gehässig. Er sah das graue Kleidungsstück vor Augen und verzog den Mund. Zisterzienser. Von all den Orden, die in Kutten und Tonsuren und entweder im Schlamm der Schweineställe, die ihre Klöster waren, oder im Saus und Braus ihrer Abteien die göttliche Vollendung suchten, waren dem Kaiser ausgerechnet die Zisterzienser ans Herz gewachsen. Weil sie die Einzigen gewesen waren, die in den grausamen Feldzügen der Kirche gegen die südfranzösischen Ketzer, denen heimlich das Herz des Kaisers in den letzten Jahren gehört hatte, verhältnismäßig vernünftig und milde vorgegangen waren? Rudolf wusste es nicht. Er wusste nur, dass der Krieg gegen die Albigenser oder Katharer (die Reinen! Pah!) tatsächlich mehr als grausam gewesen war; wusste es aus allererster Hand, sozusagen - dies war ein Geheimnis, das er dem Kaiser nie verraten hatte.
Und Rudolf wusste noch etwas. Er hasste keinen hier am Tisch mit solcher Inbrunst wie Kaiser Federico, Friedrich II. von Hohenstaufen, den Ketzer, den Antichrist, das Staunen der Welt - auch wenn dieser den morgigen Abend nicht mehr erleben würde.
Kapitel 2
Zisterzienserinnenabtei Sankt maria und Theodor, Papinberc
Schwester Elsbeth rannte den Gang entlang, der zum Hospiz führte. In ihrem Ohr hallte das Gespräch, das sie soeben mit Schwester Lucardis geführt hatte, der Äbtissin des Zisterzienserinnenkonvents Sankt Maria und Theodor in Papinberc.
»Aber warum ich, ehrwürdige Mutter?«
»Weil Bischof Heinrich eine starke Abneigung gegen unsere Schwester infirmaria hat, seit ihr Vater damals in seine Entführung und Freilassung gegen ein horrendes Lösegeld verwickelt war. Wenn er bei seiner jährlichen Besichtigung merkt, dass ich ihr zwischenzeitlich die Leitung des Hospizes anvertraut habe, können wir die Hoffnung begraben, dass er seine Geldzuwendungen erhöht.«
»Warum hast du ihr dann diese Stellung gegeben?«
»Weil sie die Beste ist.«
»Und warum sollen meine Novizinnen und ich dann den Bischof im Hospiz herumführen, ehrwürdige Mutter?«
»Weil du dafür die Beste bist.«
So weit war das Gespräch gut verlaufen. Elsbeth hatte sich sogar beinahe geschmeichelt gefühlt. Sie war jung für eine Novizenmeisterin - noch keine zwanzig Jahre alt. Aber das gesamte Kloster Sankt Maria und Theodor war ein sehr junges Kloster. Lucardis, die Äbtissin, war Mitte zwanzig. Die Regel der Zisterzienserinnen lautete, dass eine Äbtissin mindestens dreißig Jahre alt sein musste, aber das Papinbercer Zisterzienserinnenkloster war nicht immer regelkonform aufgestellt. Nicht einmal Bischof Heinrich von Bilvirncheim hatte Einspruch erhoben, als Lucardis vor zwei Jahren von ihrer Vorgängerin vorgeschlagen worden war. Die neue Äbtissin war bekannt dafür, einen Sinn für Zahlen zu haben, besonders wenn diese mit Finanzen verbunden waren. Der Bischof liebte es, wenn wenigstens in einem Bereich seiner weit gespannten Verantwortlichkeiten halbwegs Gewinne erwirtschaftet wurden.
Die Hierarchie von Sankt Maria und Theodor war flach - es gab die sacrista, die die Schlüsselgewalt und die Aufsicht über die liturgischen Gefäße innehatte, Um- und Neubauten beaufsichtigte und für die Herstellung der Hostien verantwortlich war; die cantrix als Chorleiterin und Bibliothekarin und direkte Vertreterin der Äbtissin - der Einfachkeit der regulae benedicti folgend, besaß das Zisterzienserinnenkloster weder Priorin noch Subpriorin -; die infirmaria; die vestiaria, in deren Verantwortungsbereich sämtliche Kleidung und die Tischtücher fielen; die celleraria für alle Verpflegungsfragen und die portaria, die über den Zugang von und zur heillosen Welt außerhalb der Klostermauern wachte. Bis auf die Pförtnerin waren alle Frauen noch jung.
Schwester Elsbeth, die scholastica oder Novizenmeisterin, war die Jüngste von ihnen. Die Postulantinnen und die Novizinnen, die das Kloster nach der ersten Begegnung mit der Schwester Pförtnerin vor Ehrfurcht und Angst erstarrt betraten, schlossen sie meist schon beim ersten Gespräch ins Herz.
»Bis jetzt hast immer du die Gespräche mit dem Bischof in deiner Zelle geführt«, hörte Elsbeth sich während der Unterredung mit der Äbtissin sagen und erinnerte sich an die leichte Panik in ihrer Stimme, während ihr der Atem beim Laufen langsam knapp wurde. Sankt Maria und Theodor war ebenso eng wie verwinkelt und in den Kaulberg hineingebaut. Das Kloster war als eine Art späte Idee um das ursprüngliche Hospiz herum entstanden, und wenn Elsbeth den Treppen und Fluren folgte, um an einen Ort zu gelangen, der von der Idealvorstellung eines Klosters her ganz woanders hätte liegen müssen, empfand sie meistens den dringenden Wunsch, den Konvent vollkommen umzubauen. Dieses Mal wünschte sie sich jedoch nur, so schnell wie möglich ins Hospiz zu gelangen. Die Erinnerung an den Schreck der Äbtissin überlagerte kurz das Echo des zuvor geführten Gesprächs: »Lauf, Elsbeth, lauf!«
»Ich habe Bischof Heinrich vor ein paar Wochen gebeten, das Hospiz mit vier Pfund jährlich zu unterstützen«, hatte Lucardis erklärt. »Ich habe ihm erläutert, dass wir mit dieser Investition einen kleinen Anbau errichten und einen Trakt für Adlige und wohlhabende Bürger schaffen können. Dann würden diejenigen von ihnen, die unsere Brüder in benedicto auf dem Michaelsberg auf Wartelisten gesetzt haben, weil ihr Hospiz überfüllt ist, stattdessen zu uns kommen. Das Hospiz von Sankt Maria und Theodor würde den Ruf verlieren, ein Pflegeheim nur für die Armen zu sein, und mehr Zuwendungen würden fließen, und ...«
»... aus vier Pfund Unterstützung im Jahr würden acht Pfund Dividende.«
Lucardis hatte gelächelt. »Offenbar hat Vater auch dich neben einem Geldwechslertisch gezeugt. Das wirft ein merkwürdiges Licht auf die nächtlichen Angewohnheiten unserer Eltern.«
»Ich stehe nur lange genug unter deinem schlechten Einfluss, Schwesterherz.«
Die Äbtissin und die Novizenmeisterin waren Schwestern nicht nur im übertragenen Sinn als Klosterangehörige, sondern auch im wirklichen Leben, als Lucardis noch Mechthild von Swartzenberc geheißen hatte und Elsbeth Yrmengard von Swartzenberc. Von Kindesbeinen an waren die beiden unzertrennlich gewesen. Es hatte niemals Geheimnisse zwischen ihnen gegeben.
Das hieß, bis vor einiger Zeit hatte es niemals Geheimnisse zwischen ihnen gegeben. Bis zu jenem Tag in Colnaburg.
»Hast du Schwester Hedwig in Sicherheit gebracht?«, hatte Lucardis gefragt.
»Ja, natürlich.«
Und dann war eine junge Schwester in die Zelle der Äbtissin geplatzt und hatte keuchend gemeldet, dass der Bischof samt Gefolge eingetroffen sei.
»Wie - samt Gefolge? Was für ein Gefolge?« »Seine Ehrwürden hat Propst Rinold, seinen Assistenten und seinen Kämmerer mitgebracht.«
»Den Kämmerer? Albert Sneydenwint? Heiliger Benedikt!«
Elsbeth hatte die junge Klosterschwester argwöhnisch gefragt: »Habe ich dich nicht gebeten, auf Schwester Hedwig achtzugeben? «
»Ja, Schwester Elsbeth. Aber dann hat die Schwester Pförtnerin mich beauftragt, die Mutter Oberin zu informieren, und ich habe Schwester Hedwig ins Hospiz geschickt, weil ich mir dachte, dort passt bestimmt jemand auf sie auf.«
Elsbeth und Lucardis hatten sich bestürzt angesehen.
»Albert Sneydenwint im Hospiz?«, hatte Lucardis hervorgestoßen, während Elsbeth gleichzeitig gekeucht hatte: »Schwester Hedwig im Hospiz?«
Das war der Zeitpunkt gewesen, an dem die Äbtissin gesagt hatte: »Lauf, Elsbeth, lauf!« Und als sie losgerannt war, hatte ihr Lucardis noch hinterhergerufen: »Sneydenwint darf unter keinen Umständen in den Trakt für die Geisteskranken! Unter gar keinen Umständen!«
© 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
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Autoren-Porträt von Richard Dübell
Richard Dübell, geb. 1962, schreibt historische Erwachsenen- und Jugendromane und Drehbücher und ist Träger des Kulturpreises seiner Heimatstadt Landshut. Richard Dübells Romane sind in insgesamt 14 Sprachen weltweit übersetzt. Sein ironischer Schreibstil, die stets unerwarteten Wendungen in seinen Geschichten und seine prallen, lebensnahen Charaktere sind sein Markenzeichen, ebenso wie seine medialen Buchpräsentationen, die mit Video-, Musik- und Geräuscheinblendungen und Dübells komödiantischem Geschick zu literarischen Shows werden.Richard Dübell ist verheiratet, hat zwei Söhne und eine Katze und lebt in der Nähe seiner Heimatstadt Landshut.
Autoren-Interview mit Richard Dübell
Was ist die Teufelsbibel und wieso hat jene Sie zu einer Romantrilogie inspiriert?Richard Dübell: Die Teufelsbibel oder, wie ihr wissenschaftlicher Name lautet, der Codex Gigas ist die größte Handschrift der Welt - und eines der großen Rätsel, die das Mittelalter uns hinterlassen hat. Der 1 m x 50 cm messende Kodex, der 75 kg wiegt und für dessen Pergament angeblich 160 Esel ihr Leben lassen mussten, entstand Anfang des 13. Jahrhunderts und war als Enzyklopädie gedacht. Zusätzlich zu den Schriften des Alten und Neuen Testaments enthält die Teufelsbibel weitere Texte, die in ihrer Gesamtheit all das umfassen, was ein gebildeter Mensch von damals wissen musste. Galt das Buch anfangs noch als achtes Weltwunder, geriet es jedoch bald in Verruf, denn wegen einiger auch heute noch ungeklärten Besonderheiten bildete sich die Legende, dass der Teufel es in einer einzigen Nacht für einen Mönch geschrieben habe, der dafür seine Seele verpfändete. Statt weiterhin für Studienzwecke zur Verfügung zu stehen, wurde die Teufelsbibel in diversen Klöstern versteckt, bis sie Ende des 16. Jahrhunderts in der „Wunderkammer" von Kaiser Rudolf II. in Prag landete, wo sie am Ende des Dreißigjährigen Krieges - wahrscheinlich im Auftrag der schwedischen Königin Kristina - von den schwedischen Besatzern geraubt und nach Stockholm gebracht wurde. Dort befindet sie sich heute noch.
Wenn man als Autor, der auf der Suche nach einem Thema rund um Kaiser Rudolf II. ist (einer der bizarrsten Herrscher des Heiligen Römischen Reichs überhaupt), auf den Begriff „Teufelsbibel" stößt und die faszinierende Geschichte des größten Manuskripts der Welt recherchiert und dann auch noch erfährt, dass sich bisher noch keiner der Kollegen mit diesem Artefakt befasst hat - dann weiß man, dass man einen neuen Romanstoff gefunden hat.
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Ihre drei spannenden Bücher um die Teufelsbibel sind von ebenso unverwechselbaren wie eindrucksvollen Charakteren bevölkert. Gibt es für jene Vorbilder in Ihrem realen Leben oder entspringen die handelnden Personen ausschließlich Ihrer Phantasie und sind reine Fiktion?
Richard Dübell: Die erfundenen Charaktere sind tatsächlich reine Fiktion; die historischen Figuren gestalte ich peinlich genau auf Basis der Informationen, die zu diesen Personen existieren. Natürlich verwende ich Hilfsmittel, um mich in die erfundenen Charaktere so tief wie möglich hineindenken zu können. Dazu gehören seitenlange Charakteressays, aber auch der ganz simple Trick, die Rollen mit Schauspielern zu besetzen, die ich mir in einer Verfilmung des Stoffes vorstellen könnte. Glaubwürdige, dramatische Charaktere zu erschaffen gehört für mich ebenso zum Handwerk des Romanschreibens, wie eine spannende Story zu ersinnen.
Gestehen Sie beim Schreiben Ihren Heldinnen und Bösewichten ein Eigenleben zu oder ist jeder Handlungsstrang von Ihnen von langer Hand geplant?
Richard Dübell: Die Figuren sind insofern vorgeplant, als dass ich weiß, wie sie sich entwickeln und welche Veränderung am Ende mit ihnen vorgegangen ist. Innerhalb dieses Rahmen aber kommt es immer wieder vor, dass meine Charaktere mich überraschen. Geschieht dies, weiß man aber auch, dass die Figuren rund geworden sind - Abziehbilder erwachen nicht zum Leben.
Ihre Romantrilogie wird leitmotivisch durchzogen von den auch biblisch bedeutsamen Begriffen Glaube, Liebe, Hoffnung. Warum ist das so?
Richard Dübell: Das entstand daraus, dass das Zitat aus dem 1. Korintherbrief das Thema des ersten Romans war: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe; die Liebe aber ist das Größte von allen. DIE TEUFELSBIBEL ist ein Roman über die Liebe, der im Gewand eines historischen Abenteuer-, Verschwörungs- und Schelmenromans daherkommt. Als sich herausstellte, dass aus dem einen Roman insgesamt eine Trilogie würde, gab ich den beiden Folgebänden als Themen einfach die übriggebliebenen Werte aus dem Korintherbrief. So ist DIE WÄCHTER DER TEUFELSBIBEL ein Roman über den Glauben, weil er am Anfang des Dreißigjährigen Krieges spielt, der zum großen Teil an Glaubensfragen entbrannte; und DIE ERBIN DER TEUFELSBIBEL eine Geschichte über Hoffnung, weil sie am Ende des Dreißigjährigen Krieges platziert ist und die Menschen nach einem Krieg nichts nötiger brauchen als Hoffnung.
Bei der Beschreibung des Grauens des Dreißigjährigen Krieges sparen Sie nicht an Blut, Schweiß, Tränen, Dreck und unvorstellbaren Gewalttaten. Warum dieser besonders ungeschönte, klare und harte Blick auf historische Realitäten?
Richard Dübell: Es gibt nichts Lustiges an Gewalt und nichts Romantisches an Krieg. Gewalt stößt die meisten Menschen ab. Wenn man sie als Autor nicht abstoßend schildert, hat man meines Erachtens seine Arbeit nicht zur Gänze erledigt.
Ihre historischen Romane zeichnen sich durch eine erfreulich frische, moderne Sprache aus. Das ist auch diesmal so, doch zusätzlich bedienen Sie sich einer geschlossenen alten Soldaten-Sprache, für die Sie dem Leser eine Übersetzung mitliefern mussten. Warum diese Sprache?
Richard Dübell: Es stimmt, üblicherweise vermeide ich jede echte oder künstliche Rustikalität in der Sprache meiner Figuren. Aber die Welt der Soldaten, besonders der des Dreißigjährigen Krieges, war eine ganz eigene, und auch wenn man die Tagebücher des Peter Hagendorf studiert oder den Simplicissimus, wird man sie niemals ganz verstehen können. Um diese Verständnislosigkeit auch auf die Leser zu übertragen, habe ich mich sehr oft der Ausdrücke der damaligen Soldatensprache bedient, so wie ich sie in den zeitgenössischen Quellen gefunden habe.
Die weiblichen Charaktere in Ihren Büchern gelingen Ihnen immer besonders gut. Woher stammt Ihre so genaue Kenntnis der weiblichen Psyche?
Richard Dübell: Ich freue mich sehr über diese Beurteilung, aber tatsächlich ist die Frage schwer zu beantworten. Sicherlich spielt auch meine Frau eine große Rolle. Sie ist nicht nur meine Lebenspartnerin, sondern tatsächlich meine andere, bessere Hälfte. Ich glaube, eine über zwanzigjährige glückliche Ehe würde nicht so gut funktionieren, wenn man sich nicht ständig um ein tiefes Verständnis des anderen bemühen würde. Das Ganze hat aber auch eine praktische Komponente: Meine Frau ist meine erste, wichtigste Lektorin, und nur wenn sie sich mit den weiblichen Charakteren identifizieren kann, halte ich das Manuskript für gelungen.
Eine Ihrer interessantesten Roman-Figuren quält sich herum mit dem Problem des heiligen Zweckes, der die unheiligen Mittel heiligt. Wie denken Sie darüber?
Richard Dübell: Ja, wie denkt man über so ein scheinbar kleines Thema, das es in sich hat, die Grundfesten unserer Gesellschaft in Frage zu stellen? All meine eigenen Zweifel und meine Ratlosigkeit finden sich letztlich in dieser Figur wieder.
Werden Sie dem Genre des historischen Romans treu bleiben ?
Richard Dübell: Ich bleibe dem historischen Roman treu, keine Frage. Historische Romane zu schreiben macht einen Riesenspaß! Es ist eine interessante intellektuelle Herausforderung, durchaus modern scheinende Themen, die einen interessieren, schlüssig und ohne Anachronismen in die Vergangenheit zu transportieren.
Wie sehen Ihre nächsten schriftstellerischen Pläne aus?
Richard Dübell: Im Frühjahr 2011, rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse, wird mein nächstes Projekt erscheinen, das derzeit den Arbeitstitel DIE PFORTEN DER EWIGKEIT trägt und die Leserinnen und Leser mit ins 13. Jahrhundert nimmt, zu einer eigenwilligen Zisterziensernonne, ihrem ganz persönlichen Traum von der Liebe.
Das Interview führte Bettina Ruczynski.
Ihre drei spannenden Bücher um die Teufelsbibel sind von ebenso unverwechselbaren wie eindrucksvollen Charakteren bevölkert. Gibt es für jene Vorbilder in Ihrem realen Leben oder entspringen die handelnden Personen ausschließlich Ihrer Phantasie und sind reine Fiktion?
Richard Dübell: Die erfundenen Charaktere sind tatsächlich reine Fiktion; die historischen Figuren gestalte ich peinlich genau auf Basis der Informationen, die zu diesen Personen existieren. Natürlich verwende ich Hilfsmittel, um mich in die erfundenen Charaktere so tief wie möglich hineindenken zu können. Dazu gehören seitenlange Charakteressays, aber auch der ganz simple Trick, die Rollen mit Schauspielern zu besetzen, die ich mir in einer Verfilmung des Stoffes vorstellen könnte. Glaubwürdige, dramatische Charaktere zu erschaffen gehört für mich ebenso zum Handwerk des Romanschreibens, wie eine spannende Story zu ersinnen.
Gestehen Sie beim Schreiben Ihren Heldinnen und Bösewichten ein Eigenleben zu oder ist jeder Handlungsstrang von Ihnen von langer Hand geplant?
Richard Dübell: Die Figuren sind insofern vorgeplant, als dass ich weiß, wie sie sich entwickeln und welche Veränderung am Ende mit ihnen vorgegangen ist. Innerhalb dieses Rahmen aber kommt es immer wieder vor, dass meine Charaktere mich überraschen. Geschieht dies, weiß man aber auch, dass die Figuren rund geworden sind - Abziehbilder erwachen nicht zum Leben.
Ihre Romantrilogie wird leitmotivisch durchzogen von den auch biblisch bedeutsamen Begriffen Glaube, Liebe, Hoffnung. Warum ist das so?
Richard Dübell: Das entstand daraus, dass das Zitat aus dem 1. Korintherbrief das Thema des ersten Romans war: Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe; die Liebe aber ist das Größte von allen. DIE TEUFELSBIBEL ist ein Roman über die Liebe, der im Gewand eines historischen Abenteuer-, Verschwörungs- und Schelmenromans daherkommt. Als sich herausstellte, dass aus dem einen Roman insgesamt eine Trilogie würde, gab ich den beiden Folgebänden als Themen einfach die übriggebliebenen Werte aus dem Korintherbrief. So ist DIE WÄCHTER DER TEUFELSBIBEL ein Roman über den Glauben, weil er am Anfang des Dreißigjährigen Krieges spielt, der zum großen Teil an Glaubensfragen entbrannte; und DIE ERBIN DER TEUFELSBIBEL eine Geschichte über Hoffnung, weil sie am Ende des Dreißigjährigen Krieges platziert ist und die Menschen nach einem Krieg nichts nötiger brauchen als Hoffnung.
Bei der Beschreibung des Grauens des Dreißigjährigen Krieges sparen Sie nicht an Blut, Schweiß, Tränen, Dreck und unvorstellbaren Gewalttaten. Warum dieser besonders ungeschönte, klare und harte Blick auf historische Realitäten?
Richard Dübell: Es gibt nichts Lustiges an Gewalt und nichts Romantisches an Krieg. Gewalt stößt die meisten Menschen ab. Wenn man sie als Autor nicht abstoßend schildert, hat man meines Erachtens seine Arbeit nicht zur Gänze erledigt.
Ihre historischen Romane zeichnen sich durch eine erfreulich frische, moderne Sprache aus. Das ist auch diesmal so, doch zusätzlich bedienen Sie sich einer geschlossenen alten Soldaten-Sprache, für die Sie dem Leser eine Übersetzung mitliefern mussten. Warum diese Sprache?
Richard Dübell: Es stimmt, üblicherweise vermeide ich jede echte oder künstliche Rustikalität in der Sprache meiner Figuren. Aber die Welt der Soldaten, besonders der des Dreißigjährigen Krieges, war eine ganz eigene, und auch wenn man die Tagebücher des Peter Hagendorf studiert oder den Simplicissimus, wird man sie niemals ganz verstehen können. Um diese Verständnislosigkeit auch auf die Leser zu übertragen, habe ich mich sehr oft der Ausdrücke der damaligen Soldatensprache bedient, so wie ich sie in den zeitgenössischen Quellen gefunden habe.
Die weiblichen Charaktere in Ihren Büchern gelingen Ihnen immer besonders gut. Woher stammt Ihre so genaue Kenntnis der weiblichen Psyche?
Richard Dübell: Ich freue mich sehr über diese Beurteilung, aber tatsächlich ist die Frage schwer zu beantworten. Sicherlich spielt auch meine Frau eine große Rolle. Sie ist nicht nur meine Lebenspartnerin, sondern tatsächlich meine andere, bessere Hälfte. Ich glaube, eine über zwanzigjährige glückliche Ehe würde nicht so gut funktionieren, wenn man sich nicht ständig um ein tiefes Verständnis des anderen bemühen würde. Das Ganze hat aber auch eine praktische Komponente: Meine Frau ist meine erste, wichtigste Lektorin, und nur wenn sie sich mit den weiblichen Charakteren identifizieren kann, halte ich das Manuskript für gelungen.
Eine Ihrer interessantesten Roman-Figuren quält sich herum mit dem Problem des heiligen Zweckes, der die unheiligen Mittel heiligt. Wie denken Sie darüber?
Richard Dübell: Ja, wie denkt man über so ein scheinbar kleines Thema, das es in sich hat, die Grundfesten unserer Gesellschaft in Frage zu stellen? All meine eigenen Zweifel und meine Ratlosigkeit finden sich letztlich in dieser Figur wieder.
Werden Sie dem Genre des historischen Romans treu bleiben ?
Richard Dübell: Ich bleibe dem historischen Roman treu, keine Frage. Historische Romane zu schreiben macht einen Riesenspaß! Es ist eine interessante intellektuelle Herausforderung, durchaus modern scheinende Themen, die einen interessieren, schlüssig und ohne Anachronismen in die Vergangenheit zu transportieren.
Wie sehen Ihre nächsten schriftstellerischen Pläne aus?
Richard Dübell: Im Frühjahr 2011, rechtzeitig zur Leipziger Buchmesse, wird mein nächstes Projekt erscheinen, das derzeit den Arbeitstitel DIE PFORTEN DER EWIGKEIT trägt und die Leserinnen und Leser mit ins 13. Jahrhundert nimmt, zu einer eigenwilligen Zisterziensernonne, ihrem ganz persönlichen Traum von der Liebe.
Das Interview führte Bettina Ruczynski.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Richard Dübell
- Altersempfehlung: 16 - 99 Jahre
- 2012, 3. Aufl., 861 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404167333
- ISBN-13: 9783404167333
- Erscheinungsdatum: 16.11.2012
Rezension zu „Die Pforten der Ewigkeit “
"Wer üppige Zeitreisen liebt, ist hier genau richtig." Bild Köln
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