Die Reise nach Tell al-Lahm
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Die Reise nach Tell al-Lahm von Najem Wali
LESEPROBE
Prolog
Zuerst dachte ich, es wäre die Radiostimme, die michgeweckt hatte, nachdem sie mit voller Lautstärke aus dem Transistorradioan meine Ohren gedrungen war. Ich hatte das Gerät mitgenommen und dort stehenlassen, wo schon lange das Telefon hätte stehensollen. In dem Moment, als ich aufwachte, hörte ich eine abgehackteStimme, die klang, als würde Holz gesägt. Sie sprach von einem Ort,der »Tell al-Lahm« hieß, und davon,wie jemand sich erschoß. »Auch eine Artzu sterben«, sagte ich mir, als ich meine Hand ausstreckte, um denApparat auszuschalten. Ich dachte, ich könnte weiterschlafen, undbemühte mich, die Gedanken zu verscheuchen, die der Name des Ortes inmeinem Geist aufgewirbelt hatte. Ich war gerade erst eingeschlafen – dieTage waren lang –, aber da war diese Stimme aus dem Radio, die mich auseinem Meer von Schlaf, in dem ich versunken war, herauszuziehen versuchte. So mußte ich versuchen, mich zu erinnern: Wo hatte ichfrüher schon von »Tell al-Lahm«gehört? Jemand, ich weiß bis jetzt nicht, wer, hatte mir von dem Orterzählt (wenn man diesen Flecken einen Ort nennen kann), ohne mir zusagen, wo er lag. Hatte sich damit begnügt, ihn mir zu beschreiben: seineEigenheit, das ausgetrocknete Land, den Treibsand, in dem ihr Auto verschwand,als hätten sie es über Ameisen gelenkt. Und da begann ich zubegreifen. Es durchdrang meinen Körper, bis ich aufschreckte.
Aber er war immer noch da, der beharrliche Wunsch weiterzuschlafen. Es war nurmeine Hand, die sich zum Radio streckte, um es auszuschalten (beim erstenVersuch hatte ich offensichtlich nur den Ton leiser gestellt), und damit denKatarakt der Erinnerung an »Tell al-Lahm«zu verdrängen. Nach einem weiteren Satzfetzen erreichte mich dann einganzer Satz: »Er erschoß sichdort.« Was auch immer das bedeutet und ob es einen Zusammenhang zwischen»Tell al-Lahm« und diesen Worten gab odernicht (denn ich begann an der Existenz dieses Ortes zu zweifeln). Auch was derSprecher im folgenden nur undeutlich sagte, spielt keine Rolle. Es war, alskäme seine Stimme aus einer anderen Welt. Vielleicht war es meinhartnäckiger Widerstand gegen das Aufwachen, der »Tell al-Lahm« aus meinem Bewußtseinvertrieb.
Doch wie sich zeigte, war es mir nicht vergönnt, das Unternehmen Schlaf zuEnde zu bringen. Kurz nachdem ich das Radio ausgeschaltet hatte, meinte icheine Stimme durchs Haus tönen zu hören. Zum letztenmalversuchte ich zu schlafen. Doch unser Körper besitzt seine eigenen Strategienund Tricks – verborgene und sichtbare –, unseren Wünschen zuentkommen. Obwohl »Tell al-Lahm«, dieAmeisen, der Treibsand und das verschwommene Bild der Person, die sich erschoß und von der mir jemand erzählt hatte (ichweiß nicht, wer!), im Meer meines Schlafes versanken, fühlte ich, daß sich meine Lider nicht einig waren: eines willerwachen, das andere bittet inständig um Schlaf. Bis jetzt wußte ich nicht, was los war.
Ich rieb mir verwirrt die Augen, konnte noch nicht auseinanderhalten,was Wirklichkeit war und was Einbildung, was Alpdruck und was Wunschdenken. Eswar ein Spiel, der Versuch zu erkennen, was tatsächlich stattfand und wasich mir einbildete. Für jemanden wie mich, der das Sofa nichtverließ, auf dem er sich entspannte (vielleicht rede ich mir das nur ein,da ich ja sicherlich sehr tief geschlafen hatte), war es schwierig zuunterscheiden. Sonst wäre es nicht zu dem Widerhall dieses Echos gekommen,dem Echo von »Tell al-Lahm«, das sichvermischte mit dem Ameisenstrom, dem Bild des Treibsands und dem Mann, der sichvermutlich umgebracht hat. Wäre ich wach gewesen, hätten sich Visionund Gewißheit, Realität und Phantasienicht vermengt.
Vor drei Tagen bin ich aus dem Krieg zurückgekehrt.Irgendwie hatte er ein Ende gefunden, zumindest für die kriegerischenParteien. Für uns aber fand er nie ein Ende! Uns kocht sein Erbrochenesentgegen wie Lava aus einem Vulkan. Wir sind der heiße Dreck, der sich imBauch des Vulkans sammelt. Ich gehöre zu diesem Dreck, mit dem jedesmenschliche Wesen leben kann, wenn es nur einen Anlaßgibt, einen Tag, einen Monat, ein Jahr, in denen sich der Kreis um das Wesenschließt. Es gibt einen Zusammenhang zwischen diesem Dreck, mit dem wirtäglich konfrontiert werden (besonders wenn wir allein sind), und dem, dersich in der Müllkiste und im Abfallbeutel ansammelt. Aber es ist ein Dreckder besonderen Art, denn er bietet auch Schutz. Und dieser Schutz ist es wohl,der mir an diesem Tag Halt gab, während ich mich auf dem Sofa ausruhteoder im Fieber des Schlafs versank. Bis zum Aufstehen wußteich nicht einmal, daß ich noch am Leben war (inmeinen Ohren hallte nur das Echo dieses seltsamen Namens »Tell al-Lahm« wider, das dann allmählich verebbte).Ich schuldete niemandem Dank, mußte nur dieRegeln des Spiels akzeptieren und bis zum Ende des Lieds befolgen, denn es warein Spiel und nichts sonst, das mir bis jetzt zu existieren erlaubte. Ich binnoch am Leben, weil meine Rolle genau darin besteht – unterVoraussetzungen, die diese Rolle überhaupt erst nötig machen. Ich muß meine einsame Lage akzeptieren – bis jetzt,bis zu dem Moment, in dem die Hausklingel läutet. Ich mußakzeptieren, daß mir möglicherweise nurdas Schicksal bleibt, daß jene Hand, die dasiebenmal heftig klingelt, auch die Kraft hätte, siebenmal oder öftereine Pistole abzufeuern, um zu töten. Auf irgendein Ziel, aus puremVergnügen am Abknallen.
Wenn ich davon ausgehe, daß diese Hand ohneHintergedanken klingelt und daß es ihr gleichist, was sie mit dem Klingeln bewirkt, muß ichihr antworten. Doch sie gibt mir nicht genügend Zeit, mir, dem Soldaten,der aus dem Krieg zurückgekehrt ist, welcher schlimmer war als dasHöllenfeuer. Vielleicht kennt diese Hand das Feuer nicht, oder sieklingelt mit solchem Nachdruck, weil sie es kennt und mir nicht genügendZeit lassen will, wieder einzuschlafen. Sie zwingt mich, vom Sofa aufzustehen,im Wohnzimmer, in der Finsternis des Hauses, der Nacht – und der Stille,die sich ungewöhnlich früh über die Stadt gelegt hat.
Die Stille wird nur vom Zirpen der Zikaden durchtrennt, begleitet von einemLaut wie dem eines traurigen Cellos, und dieser Laut löst mich füreinen Moment vom Zimmer los, von der Stadt, vom Süden, vom Land. Aberplötzlich sehe ich die Lichter eines Schiffs, das den Schattal-Arab verläßt.Es verschwindet, gleitet an dem zum Flußhinausgehenden Wohnzimmerfenster vorbei. Ich wünsche mir, daß Wadschîha bei mirwäre, meine Frau, damit wir sofort abreisen und nicht zurückkehren.
Aber ich erwache vollends von leichtem Pochen an das andere Fenster, das nochvon einer Gardine bedeckt ist, begleitet von einem sanften Flüstern:»Mach auf, ich bin’s, deine Nachbarin!«
© CarlHanser Verlag
Übersetzung:Imke Ahlf-Wien
Interview mit Najem Wali
Auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse ist die„Arabische Welt“ Ehrengast. Der Botschafter der Arabischen Liga inBerlin, Salem Quateen, hat angekündigt, dass in Frankfurt „keinAutor, kein Buch oder Gedanke ausgeschlossen würde“. Wie sehen Siedas?
Ich kannIhnen viele Autoren nennen, die wegen ihrer kritischen Haltungen zum arabischenRegime, ja wegen ihrer erklärten Abscheu gegen die islamistischen Gruppenin der Region nicht eingeladen wurden. Die von der Arabischen Liga zurBuchmesse eingeladenen Autoren und vorgestellten Bücher sind von denjeweiligen arabischen Kulturministerien bestimmt worden. Deshalb ist auf derTeilnehmerliste überwiegend die offizielle Seite vertreten: DieFunktionäre, die seit Jahren auf jeder Konferenz und jeder Veranstaltungwaren. Man trifft sich in den arabischen Ländern immer unter sich, mantauscht Adressen und Einladungen. Das ist im Falle der Lyriker und Romanciersnicht tragisch, das kann man teilweise sogar nachvollziehen, aber bedeutsam wirdes, wo es die so genannten Intellektuellen und die Wissenschaftler betrifft.
Waskritisieren Sie an der Auswahl der Arabischen Liga?
Auf derListe stehen mehr oder weniger die Leute, die für die Stagnation in derarabischen Kultur verantwortlich sind, alte Herren wie Anis Mansour oderAbdelwahab Elmesseri beispielsweise. Leute wie er bestätigen stets dieKlischees in der arabischen Welt. Das Klischee lautet dabeifolgendermaßen: Wir sind Opfer einer „zionistischen“Weltverschwörung. Man hat oft gesagt, man ginge nach Frankfurt, um derWelt zu zeigen, dass eine imperialistische, zionistische Verschwörunggegen die arabische Welt gebe, und mit dieser Verschwörung gelte es inFrankfurt aufzuräumen. Es geht also nicht um die arabische Kultur alssolche.
Angesichtsdieser Liste der Eingeladenen könnte man sagen: Wir haben nicht kapiert,worum es geht, was wir repräsentieren wollen. Wir hätten in Frankfurtdie Gelegenheit gehabt, uns kritisch mit unserer Kultur auseinanderzusetzen.Erleben werden wir aber die „Opferkultur“. Dabei rede ich von dergroßen Mehrheit, es gibt einige wenige Ausnahmen, fünf Prozent derEingeladenen vielleicht.
Wiebeurteilen Sie die Buchmesse-Veranstaltungen zur „Arabischen Welt“?
Es gibtkeine Veranstaltung in Frankfurt, die sich mit unseren Problemenauseinandersetzt: Warum ist der Terrorismus auf dem Vormarsch? Warum herrschtbei uns die Kultur des Mordens? Warum verbreitet man Judenhass? Warum gibt esbei uns soviel Diktaturen und so viele Selbstmörder? Wer könnte Liberalitätim arabischen Raum fördern? Welche Bücher sind verboten und warum?Welche Schriftsteller sitzen im Gefängnis? Es wird auch keineVeranstaltung in Frankfurt geben, die die Zensur problematisiert. Selbst dieeingeladenen Verlage sind Regierungsverlage. Es ist kein unabhängigerVerlag dabei, der kritische Literatur veröffentlicht hat. Es war vonvornherein ein großer Fehler, der Arabischen Liga die Verantwortung zuübergeben. Denn die Arabische Liga ist eine politische Organisation.
IhrRoman „Die Reise nach Tell al-Lahm“ ist mittlerweile in mehrerenarabischen Ländern wie Ägypten, Jordanien, Syrien, Kuwait und SaudiArabien verboten worden. Mit welcher Begründung?
Inzwischenhabe ich erfahren, dass der Roman auch in Jemen, Sudan und Libyen verboten ist.Das heißt fast in der Hälfte der arabischen Länder. So kann mandas katastrophale Ausmaß der Zensur erfahren. Man wirft mir vor:Gotteslästerung, Sittenwidrig und Pornographie. Bemerkenswert ist derVorwurf: Judenfreund, weil eine meiner Personen im Roman nicht nur Jüdinist, sondern weil ich sie sympathisch dargestellt habe. Außerdem ist derRoman in fünf Kapiteln aufgeteilt, die wie die fünf Bücher Mosesbetitelt sind: Dies verzeiht man mir auf keinen Fall!
Im Irak hatder Besitz meiner Bücher bis 9 April 2003 ins Gefängnis geführthat. In Kuwait sind alle meine Bücher auf dem Index. Die Kuwaitis habeninsbesondere mit diesem Roman verrückt gespielt. Sie haben mir sogar imletzten Dezember die Einreise verweigert, obwohl ich von einer renommierendeZeitschrift (Al-Arabi) zu einer Diskussionsrunde dort eingeladen war. In denarabischen Ländern bestimmen die Islamistischen seit Jahren das kulturelleLeben, die Regierungen machen einfach mit. Kuwait ist das beste Beispiel.
Wiehaben Sie auf die Zensur reagiert?
Man sollweiter machen, gegen die geltenden Tabus weiter schreiben, noch energischer,solange man lebt. Ungeachtet des gefährlichen Vormarsches derIslamistischen soll man die Wahrheit laut sagen, koste es, was es wolle. DerNobelpreisträger Nagib Mahfuz hat kurz nach der Verleihung derAuszeichnung ein islamisches Messer im Hals bekommen! Er schrieb weiter. SalmanRuschdie tut das Gleiche.
ErzählenSie uns, wovon Ihr neues Buch „Die Reise nach Tell al-Lahm“handelt!
Der Romanist aufgebaut in Prolog, drei Kapitel und Epilog: Genesis, Exodus, Lavitikus,Numeri und Deuteronomium, wie die fünf Bücher Moses. Es wird dieGeschichte eines Soldaten erzählt, der aus dem Krieg zurückkehrt.Ähnlich wie Kafka in „Die Verwandlung“ oder Proust in der„Recherche“ sind die ersten Seiten streng minuziös,gleichzeitig aber emotional und philosophisch-träumerisch. Das Erwachendes Ich-Erzählers ist begleitet von Gedankenfetzen, die sich erstallmählich greifen und zusammenfügen lassen, kreisend um den Begriff„Tell al-Lahm“, einen Ort im Südirak, dessen zufälligeErwähnung im Radio den Stream of Consciousness auslöst.
Erinnerungenan die Zeit des Krieges und die Geliebte kommen hoch. Dies sind die beidenKerngeschichten: der Krieg und die Liebe. Mein Anlegen war der Versuch, emotionaleTiefe mit einem „good read“ zu verbinden, gewürzt mit einerPortion Lokalkolorit (Irak) und Zeitgeschichte (Golfkrieg).
1980, zuBeginn des Iran-Irak-Krieges, emigrierten Sie nach Deutschland. Anfang 2004waren Sie nach 24 Jahren zum ersten Mal wieder im Irak. Was waren IhreEindrücke?
Auf einerSeite ist das Land im Aufbruch. Wie Alladins Wunderlampe: Der Deckel wurdegeöffnet und alles strömt frei heraus. Es gibt Handys; Satelliten-TVund die neue Freiheit. Meine Neffen diskutieren frei über allesMögliche, das ist neu. Es entsteht eine völlig neue Lebenskultur. Manhört überall, unterwegs in den Bussen, wie die Menschen gierig sind,über alles zu diskutieren. Jahrelang lebten sie isoliert von der ganzenWelt. Der Besitz von Faxgeräte oder selbst eine Schreibmaschine hat sieins Gefängnis geführt. Jedoch ist heute nicht alles blumig. Da stehendie Briten und ihre imperialen Nachfolger, die Amerikaner, heute vor demScherbenhaufen, den sie selbst mit angerichtet haben. Sie haben ein Landerobert, dem durch den achtjährigen Krieg mit dem Nachbarn Iran(1980-1988) und durch den Krieg um die Befreiung des Scheichtums Kuwaits(1991), durch einen zehnjährigen Wirtschaftskrieg, genannt Embargo,wirtschaftlich und gesellschaftlich unermesslicher Schaden zugefügt wurde.
Nun dieAmerikaner mit ihren Verbündeten, den Briten, kamen als Befreier, mit derDevise: Demokratie und Widerbau. Das sind die Zauberworte, mit denen sie seitdem 9. April 2003 locken. Nun sieht die Realität anders aus. Die Befreierhaben sich zum Besatzer entwickelt. Kein Mensch versteht, welchen Plan dieAmerikaner verfolgen, es scheint, als ob alles planlos läuft. Noch immersind über 60% Prozent der Bevölkerung auf staatliche Essenrationenangewiesen. Der Strom läuft im vielen Haushalte nicht. DieArbeitslosigkeit nimmt sogar zu. Viele junge Technokraten, die auf neueBeschäftigung gehofft haben, sind enttäuscht, sie sehen die Zukunftdüster. Die Ministerien haben angeblich kein Geld, um Arbeitschancenanzubieten. Das Einzige, was reibungslos funktioniert, ist dasÖlministerium. Es funktioniert wie eine Schweizer Uhr. Die von denBesatzungskräften bezahlten Löhne sind Hungerlöhne. Was dieAmerikaner Privatisierung nennen, heißt für die Iraker praktisch derVerkauf ihrer Volkswirtschaft. Denn es gibt selten einheimisches Kapital.Deshalb werden die Investoren aus dem Ausland die Rosinen picken. Abgesehendavon floriert die Vetterwirtschaft und die Korruption nimmt ein großesMaß an. Es entstehen neue Familienbände, neue Oligarchie, die das politischeKartell um die Regierungsmitglieder befördert. Die Politiker nutzten jedeGelegenheit, um sich schnell wie möglich bereichern zu können.
Auf deranderen Seite braucht man Sicherheit, um den neuen Prozess voranzubringen. Unddie verschlechtert sich Tag zu Tag. Der Tod lauert um jede Ecke, dieEntführungen von Kinder, um von denn Eltern Lösegeld zu erpressen,hört nicht auf. Die Verschlechterung der Sicherheitslage zeigt dieUnfähigkeit der von den Besatzern eingesetzten Regierung. DieRegierungsmitglieder sind damit beschäftigt ein politisches Kartell zubilden, also Mehrheiten zu schaffen, die ihre Meinungen den Anderen aufzwingt,ohne darüber diskutieren und abstimmen zu müssen. Dieses Verhaltenhilft nicht dabei, den demokratischen Prozess zu beschleunigen. Wie könnendie Menschen, die 35 Jahre unter einer Diktatur gelebt haben, ein neuespolitisches, kulturelles demokratisches Bewusstsein gewinnen, wenn die imwahren Sinne des Wortes die herrschende Elite nicht demokratisch ist. DasEinzige, was diesen Menschen bleibt, ist ihre Hoffnung. Und das ist heutzutagedie kostbarste Ware im Irak!
Wasdenken Sie: Wird Saddam Hussein die Todesstrafe erhalten?
Ich wurdeein Mal falsch verstanden, als ich auf diese Frage geantwortet habe, als ob ichfür die Todesstrafe wäre. Man hat meine Antwort aus dem Kontextherausgerissen. Ich stelle hier noch Mal klar: Ich bin ein erklärterGegner der Todesstrafe. Ich möchte den Tod Saddams nicht auf dem Gewissenhaben, obwohl ich Wochen lang in seinen Folterkammern saß, obwohl ichdrei Mal in seiner Amtzeit mit der Todesstrafe bedroht war: Einmal im Irak (manschickte mich stattdessen als Soldat in den Norden, um dort zu sterben, wo dieRegierungstruppen gegen die Kurden den Krieg führten). Zwei andere Male imAusland (in Deutschland), als man mich 1982 an den Irak ausliefern wollte, woich als Andersdenkender und Fahnenflüchtige schon zum Tode verurteiltwurde.
ImZweifelfall bin ich für die Verbannung von Saddam Hussein nach Halabdscha,damit er mit den Hinterbliebenen seiner Giftgasmassaker selbst konfrontiert. Ermuss die Verantwortung für sein Verbrechen selbst übernehmen. Aberich bin Literat und kein Strafrichter.
DieStrafrichter werden dies anders sehen. So oder so kann Saddam seinemTodesurteil nicht ausweichen. Selbst wenn sie ihn für lebenslänglichverurteilen, bedeutet dies nichts anders als seinen Tod: Er ist 65 Jahre alt.Ich glaube, dass die Richter es schwer haben würden, wenn er nicht dieTodesstrafe erhalten wird. Sie werden mit dem Wut von Millionen Irakernkonfrontiert: Wie wollen sie das dann den Hinterbliebenen der Giftgastoten vonHalabdscha, wie den trauernden Mütter an den Massengräbernerklären? Zu Saddams Zeit wurde die Todesstrafe für 167 Vergehenvorgesehen. Saddam Hussein hat ein Leben geführt, das nicht anders endenkann. Haben Sie ihn in seinem letzten Fernseherauftritt gesehen? Er hat seineTaten nicht bereut. Er war und ist eine menschliche Bestie. Niemand wird SaddamHussein eine Träne nachweinen. Er hat Kurden, Schiiten und Sunniten gleichermaßenumgebracht und in anderen Volker viel Unheil eingerichtet. Der Prozess gegenihn gehört allen. Das muss so schnell wie möglich erfolgen. Dasirakische Volk erwartet es und es hat ein Recht darauf. Aber es ist vielleichtunsere Aufgabe als Literaten, den Menschen zu erklären, dass es sehrwichtig ist, dann die Todesstrafe abzuschaffen.
Die Fragen stellte Nicole Brunner / lorenzspringermedien
- Autor: Najem Wali
- 2004, Überarb. Ausg., 319 Seiten, Maße: 15,3 x 22,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung:Ahlf-Wien, Imke
- Übersetzer: Imke Ahlf-Wien
- Verlag: HANSER
- ISBN-10: 3446205381
- ISBN-13: 9783446205383
- Erscheinungsdatum: 10.09.2004
"Manche dieser Geschichten muten trotz des ernsten Hintergrundes höchst phantastisch an, märchenhaft wie aus 'Tausendundeiner Nacht'." Christine Dössel, Süddeutsche Zeitung, 05.10.04
"In Walis märchenhaften und burlesken Erzählstil mischen sich immer wieder politische Anspielungen." Daniel Bax, Die Tageszeitung, 06.10.04
"(E)in bitterer, ein tiefschwarzer, tabuloser Roman über die Nachtseiten der Diktatur Saddam Husseins. Najem Wali (...) besticht durch seinen illusionslosen Blick auf die allgegenwärtige rituelle Heuchelei, auf Machtmißbrauch, sexuelle Nötigung, Verrat und Menschenverachtung. (...) Doch fächert er die beziehungsreich verschachtelte, zwischen den Zeiten hin und her springende Handlung in eine Vielzahl von zum Teil wunderbar bizarren Lebensgeschichten auf." Christoph Vormweg, Deutschlandfunk, 19.11.04
"Najem Wali ist ein eindrückliches und bedeutendes Buch gelungen." Fridolin Furger, Der Bund, 02.10.04
Der neue Roman ist "von Anfang an als fantastisches Roadmovie, als sinnlich-überbordende Burleske und zugleich als feinsinnige Satire angelegt." Susanne Schanda, Berner Zeitung, 02.10.04
"Was an diesem Roman berührt, ist (...) die schleichende Entwirklichung, die den Ich-Erzähler ergreift und bald auch den Leser." Martin Ebel, Tages-Anzeiger-Zürich, 05.10.04
"Ein starkes, bilderreiches Buch, eine Traumreise durch Erfahrungen, die Albträume sind." Irene Jung, Hamburger Abendblatt, 02./03.10.04"Letztlich ist sein Roman vor allem eine Anklage gegen Krieg und Diktatur und das, was sie aus den Menschen machen. Sehnsüchte und Einsichten, Bitterkeit und Wut verarbeitet er in wilden Geschichten, die in Tell al-Lahm enden. Oder erstrichtig anfangen." Antje Weber,
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