Die Schlafwandler
Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Ausgezeichnet mit dem Bruno-Kreisky-Preis für das politische Buch 2013. Ausgezeichnet im DAMALS-Buchwettbewerb in der Kategorie Erster Weltkrieg mit dem 2. Platz 2014
2014 ist das Jahr, in dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der europäischen Urkatastrophe, zum hundertsten Mal jährt. Der Zusammenstoß der Großmächte kostete Millionen Menschen das Leben. Wie kam es zu...
lieferbar
versandkostenfrei
Buch (Gebunden)
42.00 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Schlafwandler “
2014 ist das Jahr, in dem sich der Ausbruch des Ersten Weltkriegs, der europäischen Urkatastrophe, zum hundertsten Mal jährt. Der Zusammenstoß der Großmächte kostete Millionen Menschen das Leben. Wie kam es zu dieser vier Jahre andauernden Katastrophe?
Christopher Clark, ein hoch angesehener Historiker und Autor, schildert in seinem Buch "Die Schlafwandler" die Vorgeschichte des Krieges, wie sie noch nie dargestellt wurde.
Wir sehen, wie eine Welt "ungewollt" an den Rand des Abgrunds gerät. Es wird klar, dass keiner der verantwortlichen Staatsmänner sich 1914 so schlafwandlerisch verhalten hätte, wenn sie gewusst hätten, was später z.B. in der Schlacht um Verdun geschehen sollte. Man dachte an etwas "Geballer", kurze Kavallerie- und Bajonett-Gefechte - und die Soldaten sollten schon nach ein paar Monaten wieder zu Hause sein.
Das Buch "Die Schlafwandler" zeigt, wie Fehleinschätzungen, gegenseitiges Misstrauen, Überheblichkeit und nationalistische Bestrebungen zu einer Situation führten, in der ein Funke genügte, den Krieg auszulösen.
Die Fachwelt war sich über viele Jahrzehnte weitgehend einig: Die Hauptverantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges trägt das deutsche Kaiserreich. Im Buch "Die Schlafwandler" kommt Christopher Clark zu einer ganz anderen Einschätzung. Bereits jetzt steht fest, dass "Die Schlafwandler" eines der wichtigsten Bücher zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ist.
Das meint die Presse zum Buch "Die Schlafwandler":
"Clarks Buch ist blendend erzählt, es glitzert oft in tragisch-grotesken Farben. Es ist spannend und auch quälend, denn der Leser möchte den blinden Akteuren dieser Tragödie auf jeder Seite zurufen, was sie nun richtig machen sollten, um die absehbare Katastrophe zu vermeiden."
Süddeutsche Zeitung
"Wer dieses Buch gelesen hat, sieht nicht nur die Vergangenheit deutlich schärfer."
Abendzeitung
Christopher Clark, ein hoch angesehener Historiker und Autor, schildert in seinem Buch "Die Schlafwandler" die Vorgeschichte des Krieges, wie sie noch nie dargestellt wurde.
Wir sehen, wie eine Welt "ungewollt" an den Rand des Abgrunds gerät. Es wird klar, dass keiner der verantwortlichen Staatsmänner sich 1914 so schlafwandlerisch verhalten hätte, wenn sie gewusst hätten, was später z.B. in der Schlacht um Verdun geschehen sollte. Man dachte an etwas "Geballer", kurze Kavallerie- und Bajonett-Gefechte - und die Soldaten sollten schon nach ein paar Monaten wieder zu Hause sein.
Das Buch "Die Schlafwandler" zeigt, wie Fehleinschätzungen, gegenseitiges Misstrauen, Überheblichkeit und nationalistische Bestrebungen zu einer Situation führten, in der ein Funke genügte, den Krieg auszulösen.
Die Fachwelt war sich über viele Jahrzehnte weitgehend einig: Die Hauptverantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkrieges trägt das deutsche Kaiserreich. Im Buch "Die Schlafwandler" kommt Christopher Clark zu einer ganz anderen Einschätzung. Bereits jetzt steht fest, dass "Die Schlafwandler" eines der wichtigsten Bücher zum 100. Jahrestag des Ausbruchs des Ersten Weltkriegs ist.
Das meint die Presse zum Buch "Die Schlafwandler":
"Clarks Buch ist blendend erzählt, es glitzert oft in tragisch-grotesken Farben. Es ist spannend und auch quälend, denn der Leser möchte den blinden Akteuren dieser Tragödie auf jeder Seite zurufen, was sie nun richtig machen sollten, um die absehbare Katastrophe zu vermeiden."
Süddeutsche Zeitung
"Wer dieses Buch gelesen hat, sieht nicht nur die Vergangenheit deutlich schärfer."
Abendzeitung
Klappentext zu „Die Schlafwandler “
Das Standardwerk zum Ersten WeltkriegLange Zeit galt es als ausgemacht, dass das deutsche Kaiserreich wegen seiner Großmachtträume die Hauptverantwortung am Ausbruch des Ersten Weltkriegs trug. In seinem bahnbrechenden Werk kommt der renommierte Historiker und Bestsellerautor Christopher Clark zu einer anderen Einschätzung. Clark beschreibt minutiös die Interessen und Motivationen der wichtigsten politischen Akteure in den europäischen Metropolen und zeichnet das Bild einer komplexen Welt, in der gegenseitiges Misstrauen, Fehleinschätzungen, Überheblichkeit, Expansionspläne und nationalistische Bestrebungen zu einer Situation führten, in der ein Funke genügte, den Krieg auszulösen, dessen verheerende Folgen kaum jemand abzuschätzen vermochte.
Ausstattung: mit Abbildungen
Lese-Probe zu „Die Schlafwandler “
Die Schlafwandler von Christopher Clark EINLEITUNG
Auf dem europäischen Kontinent herrschte Frieden an jenem Morgen des 28. Juni 1914, einem Sonntag, als Erzherzog Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Chotek auf dem Bahnhof von Sarajevo ankamen. Nur 37 Tage später befand sich Europa im Krieg. Der Konflikt, der in jenem Sommer begann, mobilisierte 65 Millionen Soldaten, brachte drei Reiche zu Fall und forderte 20 Millionen militärische und zivile Todesopfer sowie 21 Millionen Verwundete. Die Gräuel des 20. Jahrhunderts in Europa gingen aus dieser Katastrophe hervor; es war, wie der amerikanische Historiker Fritz Stern es nannte, »die erste Katastrophe des 20. Jahrhunderts, der Große Krieg, aus der sich alle folgenden Katastrophen ergaben«. Die Diskussion, warum es dazu kam, begann, noch ehe die ersten Schüsse fielen, und sie ist bis heute nicht beendet. Sie hat historische Literatur von einzigartiger Fülle, Differenziertheit und moralischer Intensität hervorgebracht. Für Theoretiker der internationalen Beziehungen sind die Ereignisse von 1914 immer noch die politische Krise par excellence, so verworren, dass sie unzähligen Hypothesen Raum geben.
... mehr
Ein Historiker, der den Ursprung des Ersten Weltkriegs untersucht, stößt auf mehrere Probleme. Das naheliegendste Problem ist das Überangebot an Quellen. Jeder kriegführende Staat hat mehrbändige, offizielle Editionen der diplomatischen Akten herausgegeben, das umfassende Werk mühsamer, kollektiver Archivarbeit. Staatsmänner, Befehlshaber, Minister, hohe Regierungsvertreter, Adjutanten und Höflinge haben Tagebücher und Memoiren geschrieben, alles in allem Zehntausende von Seiten. In diesem Meer von Quellen gibt es tückische Strömungen. Die meisten offiziellen Quelleneditionen, die in der Zwischenkriegszeit erschienen sind, haben eine apologetische Tendenz.
Die 57-bändige deutsche Publikation Die Große Politik, die 15 889 Dokumente, geordnet nach 300 Themenfeldern, umfasst, wurde keineswegs aus rein wissenschaftlichem Interesse herausgegeben; man hoffte, die Offenlegung der Quellen vor dem Krieg werde ausreichen, um die in den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags enthaltene These der »Kriegsschuld« zu widerlegen. Auch für die französische Regierung war die Veröffentlichung der Dokumente ein Projekt von »im Grunde politischem Charakter«, wie Außenminister Jean Louis Barthou es im Mai 1934 ausdrückte. Es hatte zum Ziel, »ein Gegengewicht zu der Kampagne zu bilden, die Deutschland nach dem Vertrag von Versailles lancierte«. In Wien setzte man sich, wie Ludwig Bittner, der Mitherausgeber der achtbändigen Sammlung Österreich-Ungarns Außenpolitik, im Jahr 1926 darlegte, zum Ziel, eine maßgebliche Quellenedition zusammenzustellen, ehe ein internationales Gremium (womöglich der Völkerbund?) die österreichische Regierung zur Veröffentlichung unter weniger günstigen Vorzeichen zwang. Die frühen sowjetischen Quelleneditionen litten zum Teil unter dem Bestreben, den Nachweis zu erbringen, dass der Krieg vom autokratischen Zaren und seinem Bündnispartner, dem bürgerlichen Raymond Poincaré, initiiert worden sei. Die Sowjetregierung hoffte, auf diese Weise französischen Forderungen nach Rückzahlung der Vorkriegsdarlehen die rechtliche Grundlage zu entziehen. Selbst in Großbritannien, wo die Edition British Documents on the Origins of the War unter hehren Appellen an die unparteiische akademische Lehre veröffentlicht wurde, war die erschienene Quellenedition nicht ganz frei von tendenziösen Auslassungen, die ein leicht unausgewogenes Bild von dem Platz Großbritanniens bei den Ereignissen unmittelbar vor Kriegsausbruch im Jahr 1914 ergeben. Mit einem Wort, die großen europäischen Quelleneditionen waren, bei all ihrem unleugbaren Wert für die Forscher, Munition in einem »Weltkrieg der Dokumente«, wie der deutsche Militärhistoriker Bernhard Schwertfeger in einer kritischen Studie aus dem Jahr 1929 anmerkte.
Die Memoiren der Staatsmänner, Befehlshaber und anderer Entscheidungsträger sind nicht weniger problematisch, so unverzichtbar sie auch für jeden sind, der die Ereignisse zu verstehen versucht, die sich im Vorfeld des Krieges abspielten. Einige sind ausgerechnet bei den brennenden Fragen enttäuschend zugeknöpft. Nehmen wir nur drei Beispiele: Die Betrachtungen zum Weltkriege, die der deutsche Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg 1919 veröffentlichte, sagen so gut wie nichts über seine eigenen Handlungen oder die seiner Kollegen während der Julikrise 1914 aus; die politischen Memoiren des russischen Außenministers Sergej Sasonow sind oberflächlich, aufgebläht, hier und da verlogen und absolut nichtssagend im Hinblick auf seinen Anteil an den maßgeblichen Ereignissen; die zehnbändigen Memoiren des französischen Präsidenten Poincaré über seine Jahre an der Macht sind eher propagandistisch als erhellend - es bestehen eklatante Diskrepanzen zwischen seinen »Erinnerungen« an die Ereignisse während der Krise und den zeitgenössischen Notizen in seinem unveröffentlichten Tagebuch. Die liebenswürdigen Memoiren des britischen Außenministers Sir Edward Grey sind lückenhaft in der heiklen Frage nach den Zusagen, die er den Ententemächten vor August 1914 gemacht hatte, und nach der Rolle, die diese beim Krisenmanagement gespielt hatten.
Als der amerikanische Historiker Bernadotte Everly Schmitt von der University of Chicago Ende der 1920er Jahre mit Empfehlungsschreiben nach Europa reiste, um ehemalige Politiker zu interviewen, die an den Ereignissen beteiligt gewesen waren, war er schockiert über die augenscheinliche, völlige Immunität seiner Gesprächspartner gegen jeden Selbstzweifel. (Die einzige Ausnahme war Grey, der »spontan anmerkte«, dass er einen taktischen Fehler begangen hatte, als er versuchte, in der Julikrise mittels der Berliner Regierung mit Wien zu verhandeln, dabei war die erwähnte Fehleinschätzung von untergeordneter Bedeutung und der Kommentar entsprach eher einer typisch englischen Selbstkasteiung als einem echten Eingeständnis einer Mitverantwortung.) Einige hatten auch Probleme mit dem Gedächtnis. Schmitt spürte Peter Bark auf, den ehemaligen russischen Finanzminister, der inzwischen als Banker in London tätig war. Im Jahr 1914 hatte Bark an Sitzungen teilgenommen, bei denen Entscheidungen von enormer Tragweite getroffen wurden. Aber als Schmitt sich mit ihm traf, blieb Bark hartnäckig dabei, dass er »kaum eine Erinnerung an Ereignisse aus jener Ära habe«. Zum Glück sind die eigenen Notizen des Ministers aus jener Zeit aufschlussreicher. Als der Forscher Luciano Magrini im Herbst 1937 nach Belgrad fuhr, um jeden Überlebenden zu interviewen, der nach dem damaligen Wissensstand in irgendeiner Form mit der Verschwörung von Sarajevo in Verbindung stand, stellte er fest, dass manche Zeugen zu Angelegenheiten Aussagen machten, von denen sie eigentlich nichts wissen konnten, andere hingegen »stumm blieben oder eine falsche Darstellung von dem, was sie wissen, lieferten« und wieder andere »ihre eigenen Aussagen noch ausschmückten oder in erster Linie an Selbstrechtfertigung interessiert waren«.
Überdies bestehen immer noch beträchtliche Wissenslücken. Ein Teil der wichtigen Kommunikation zwischen Hauptakteuren spielte sich verbal ab und ist nicht dokumentiert - der Meinungsaustausch kann in diesen Fällen lediglich über indirekte Hinweise oder spätere Aussagen rekonstruiert werden. Die serbischen Organisationen, die mit dem Attentat zu tun hatten, waren extrem verschwiegen und hinterließen so gut wie keine schriftlichen Spuren. Dragutin Dimitrijevic, der Chef des serbischen Militärgeheimdienstes, ein zentraler Akteur bei der Verschwörung gegen Franz Ferdinand in Sarajevo, verbrannte in regelmäßigen Abständen alle seine Unterlagen. Von dem genauen Inhalt der ersten Gespräche zwischen Wien und Berlin darüber, was als Reaktion auf die Schüsse in Sarajevo unternommen werden sollte, ist vieles unbekannt. Die Protokolle der Gipfeltreffen zwischen der französischen und russischen politischen Führung, die vom 20. bis 23. Juni in St. Petersburg stattfanden, Dokumente von potenziell enormer Bedeutung für das Verständnis der letzten Phase der Krise, sind nie gefunden worden (die russischen Protokolle sind vermutlich schlichtweg verschollen; das französische Team, das die Documents Diplomatiques Français herausgab, konnte die französische Fassung nicht finden). Die Bolschewiken veröffentlichten viele zentrale diplomatische Dokumente in dem Versuch, die imperialistischen Machenschaften der Großmächte zu diskreditieren, aber sie erschienen in unregelmäßigen Abständen, ohne bestimmte Ordnung und konzentrierten sich generell auf bestimmte Themen wie die russischen Pläne am Bosporus. Einige Dokumente (die genaue Zahl ist nicht bekannt) gingen im Chaos des Bürgerkriegs beim Transport verloren, und die Sowjetunion gab nie eine systematisch zusammengestellte Quellensammlung heraus, die sich mit den britischen, französischen, deutschen und österreichischen Editionen messen konnte. Die veröffentlichten Quellen auf russischer Seite sind bis heute alles andere als vollständig.
Die außerordentlich enge Verflechtung der Krise ist ein weiteres Kennzeichen. Die Kubakrise war schon komplex genug, dabei waren nur zwei Hauptakteure daran beteiligt (die USA und die Sowjetunion), sowie eine Reihe von Stellvertretern und untergeordneten Akteuren. Eine Darstellung, wie der Erste Weltkrieg zustande kam, muss hingegen die multilateralen Interaktionen von fünf autonomen, gleichwertigen Akteuren (Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich, Russland und Großbritannien) - sechs, wenn man Italien mitzählt - berücksichtigen. Hinzu kommen mehrere strategisch wichtige und ebenso autonome, souveräne Akteure wie das Osmanische Reich und die Staaten auf der Balkanhalbinsel, einer Region, die in den Jahren vor Kriegsausbruch von starken, politischen Spannungen und einer extremen Instabilität geprägt war.
Verkompliziert wird das Ganze durch die Tatsache, dass die politischen Entscheidungsprozesse in den von der Krise betroffenen Staaten häufig alles andere als transparent sind. Man kann in den Ereignissen des Juli 1914 eine »internationale« Krise sehen, ein Begriff, der eine Gruppe von Nationalstaaten impliziert, die man sich als kompakte, autonome, eigenständige Einheiten vorstellen muss, wie Billardkugeln auf einem Tisch. Aber die souveränen Strukturen, die in der Krise die Politik gestalteten, waren ausgesprochen uneinheitlich. Damals herrschte eine Unsicherheit (und unter Historikern besteht sie noch heute), wer innerhalb der verschiedenen Regierungsbehörden denn genau die Macht hatte, den politischen Kurs zu bestimmen; überdies gingen »politische Maßnahmen« (oder zumindest eine Politik fördernde Initiativen der verschiedensten Art) nicht unbedingt vom Zentrum des Systems aus; sie konnten von recht peripheren Orten im diplomatischen Apparat, von militärischen Befehlshabern, von Ministerialbeamten und sogar von Botschaftern ausgehen, die häufig auf eigene Faust Entscheidungsträger waren.
Die erhaltenen Quellen präsentieren uns somit ein Wirrwarr aus Versprechungen, Drohungen, Plänen und Prognosen - genau dies ist nicht zuletzt der Grund dafür, dass der Kriegsausbruch auf so irritierend vielfältige Weise interpretiert wurde und wird. So gut wie jede Sichtweise der Ursprünge lässt sich anhand einer Auswahl der verfügbaren Quellen belegen. Und das erklärt wiederum zum Teil, weshalb die Literatur zu den »Anfängen des Ersten Weltkriegs« so gigantische Ausmaße erreicht hat, dass kein einziger Historiker (nicht einmal eine Fantasiegestalt, welche alle erforderlichen Sprachen fließend beherrscht) jemals hoffen kann, alle diese Werke zu Lebzeiten zu lesen - schon vor zwanzig Jahren umfasste eine Bibliographie der damaligen Literatur 25 000 Bücher und Artikel. Manche Darstellungen haben sich ganz auf die Frage der Verantwortung eines schwarzen Schafes unter den europäischen Staaten kapriziert (mit Deutschland als häufigstem Kandidaten, aber keine einzige Großmacht blieb von der Zuweisung der Hauptverantwortung völlig verschont); andere haben die Schuld aufgeteilt oder nach Fehlern im »System« gesucht. Die Frage war stets so aktuell und vielschichtig, dass die Diskussion unablässig weiterging. Und im Kontext der historischen Diskussionen, die sich tendenziell mit den Fragen der Schuld oder der Beziehung zwischen individueller Urheberschaft und strukturellen Zwängen befassten, erstreckt sich ein weites Feld an Kommentaren zu den internationalen Beziehungen, in denen Kategorien wie Abschreckung, Entspannung und Unabsichtlichkeit oder verallgemeinerbare Mechanismen wie Ausbalancieren, Verhandeln und Einreihen in den Vordergrund rücken. Obwohl die Erörterung dieser Frage inzwischen fast hundert Jahre alt ist, besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie obsolet ist.
Auch wenn die Diskussion alt ist, so ist das Thema immer noch aktuell, eigentlich ist es heute sogar aktueller und bedeutsamer als vor zwanzig oder dreißig Jahren. Die Umbrüche in unserer eigenen Welt haben unsere Sichtweise der Ereignisse von 1914 verändert. Es war einfach, sich die Katastrophe von Europas »letztem Sommer« als ein Kostümspektakel der Ära Eduards VII. vorzustellen. Die verweichlichten Rituale und pompösen Uniformen, der »Ornamentalismus« einer Welt, die immer noch zum großen Teil in erblichen Monarchien organisiert war, hatten eine distanzierende Wirkung auf die heutige Erinnerung. Sie schienen zu signalisieren, dass die Protagonisten Menschen aus einer anderen, untergegangenen Welt waren. Die Vermutung hielt sich hartnäckig, dass die Akteure, wenn sie schon buschige, grüne Straußenfedern auf ihren Hüten trugen, auch entsprechende Gedanken und Motive gehabt haben mussten.
Dabei muss jedem Leser aus dem 21. Jahrhundert, der den Verlauf der Krise von 1914 aufmerksam verfolgt, deren Aktualität ins Auge springen. Alles fing mit einem Kommando von Selbstmordattentätern und einem Autokorso an. Hinter der Gräueltat von Sarajevo stand eine erklärte Terrororganisation, die einen Opfer-, Todes- und Rachekult pflegte; überdies war diese Terrororganisation extraterritorial und kannte keinen eindeutigen geographischen oder politischen Ort. Sie war in Zellen über politische Grenzen hinweg verstreut, man konnte sie nicht zur Rechenschaft ziehen, zu einer souveränen Regierung unterhielt sie lediglich indirekt und heimlich Kontakte, die für Außenstehende kaum auszumachen waren. Tatsächlich könnte man sogar behaupten, dass die Julikrise 1914 uns heute weniger fremd - weniger unerklärlich - ist als noch in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge von Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte - ein Zustand, der zum Vergleich mit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt. Dieser Perspektivwechsel veranlasst uns, die Geschichte der Entwicklung zum Krieg neu zu betrachten. Wenn man sich dieser Herausforderung stellt, so heißt das keineswegs, mit aller Gewalt einen banalen Gegenwartsbezug herzustellen, der sich die Vergangenheit so zurechtbastelt, dass sie den Bedürfnissen der Gegenwart entspricht, sondern es geht darum, jene Merkmale der Vergangenheit zu erkennen, auf die wir durch unseren veränderten Standpunkt einen klareren Blick erhalten haben.
Dazu zählt etwa der Balkankontext des Kriegsbeginns. Serbien ist einer der blinden Flecke der Historiographie zur Julikrise. Das Attentat in Sarajevo wird in vielen Darstellungen als reiner Vorwand behandelt, als ein Ereignis ohne großen Einfluss auf die eigentlichen Kräfte, deren Zusammenspiel den Konflikt herbeiführte. In einer ausgezeichneten Studie zum Ausbruch des Krieges 1914 erklären die Autoren: »Die Morde [in Sarajevo] allein lösten nichts aus. Erst die Art und Weise, wie dieses Ereignis ausgenutzt wurde, führte die Nationen in den Krieg.« Die Marginalisierung der serbischen und damit der breiteren Balkandimension der Geschichte setzte schon während der Julikrise ein, die als eine Antwort auf die Morde in Sarajevo begann, aber später eine andere Richtung erhielt und in eine geopolitische Phase eintrat, in der Serbien und seine Aktionen eine untergeordnete Rolle spielten.
Auch unser moralischer Kompass hat sich verändert. Die Tatsache, dass ein serbisch dominiertes Jugoslawien als einer der Siegerstaaten aus diesem Krieg hervorging, schien implizit die Tat des Mannes zu rechtfertigen, der am 28. Juni die Schüsse abgab - so sahen es mit Sicherheit die jugoslawischen Behörden, die den Ort des Attentats mit Fußabdrücken aus Bronze und einer Tafel markierten, welche die »ersten Schritte in die Freiheit der Jugoslawen« feierten. In einer Zeit, in der die nationale Idee noch jung und voller Versprechungen war, herrschte intuitiv Sympathie mit dem Nationalismus der Südslawen und wenig Sympathie für die schwerfällige Völkergemeinschaft des Habsburger Reichs. Die Kriege im Ex-Jugoslawien der neunziger Jahre haben uns an die Tödlichkeit des Nationalismus auf dem Balkan erinnert. Seit Srebrenica und der Belagerung Sarajevos fällt es schwerer, Serbien als reines Objekt oder Opfer der Großmachtpolitik zu sehen, stattdessen kann man sich leichter den serbischen Nationalismus als eigene historische Kraft vorstellen. Aus der Sicht der heutigen Europäischen Union betrachten wir den zerfallenen Flickenteppich des habsburgischen Österreich-Ungarn tendenziell mit mehr Sympathie - oder zumindest weniger Verachtung.
Schließlich dürfte heute kaum jemand auf die Idee kommen, die beiden Morde in Sarajevo als ein bloßes Unglück abzutun, das unmöglich gewichtigere Folgen zeitigen konnte. Die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 haben uns exemplarisch vor Augen geführt, inwiefern ein einziges, symbolträchtiges Ereignis - so tief es auch in einem größeren historischen Prozess verwurzelt sein mag - die Politik unwiderruflich verändern kann, indem es bisherige Optionen zunichte- macht und neuen Optionen eine unvorhersehbare Dringlichkeit verleiht. Wenn man Sarajevo und den Balkan wieder in den Mittelpunkt der Geschichte rückt, so heißt das keineswegs, dass die Serben oder ihre Politiker dämonisiert werden, noch entlässt es uns aus der Verpflichtung, die Kräfte zu verstehen, die auf und in den serbischen Politikern, Offizieren und Aktivisten wirkten, deren Verhalten und Entscheidungen nicht zuletzt bestimmten, welche Konsequenzen die Schüsse von Sarajevo haben würden.
Das vorliegende Buch setzt sich zum Ziel, die Julikrise von 1914 als ein modernes Ereignis zu verstehen, als das komplexeste Ereignis der heutigen Zeit, womöglich bislang aller Zeiten. Es befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam. Die Fragen nach dem Warum und Wie sind logisch untrennbar miteinander verbunden, aber sie führen uns in verschiedene Richtungen. Die Frage nach dem Wie fordert uns auf, die Abfolge der Interaktionen näher zu untersuchen, die bestimmte Ergebnisse bewirkten. Hingegen lädt uns die Frage nach dem Warum ein, nach fernen und nach Kategorien geordneten Ursachen zu suchen: Imperialismus, Nationalismus, Rüstung, Bündnisse, Hochfinanz, Vorstellungen der nationalen Ehre, Mechanismen der Mobilisierung. Der »Warum-Ansatz« bringt zwar eine gewisse analytische Klarheit, aber er hat auch einen verzerrenden Effekt, weil er die Illusion eines ständig wachsenden Kausaldrucks erzeugt. Die Faktoren türmen sich auf und drücken auf die Ereignisse; politische Akteure werden zu reinen ausführenden Organen der Kräfte, die sich längst etabliert haben und ihrer Kontrolle entziehen.
In der Geschichte, die dieses Buch erzählt, bestimmen handlungsfähige und -bereite Entscheidungsträger das Bild. Diese Entscheidungsträger (Könige, Kaiser, Außenminister, Botschafter, Militärs und eine Fülle kleinerer Beamter) bewegten sich mit behutsamen, wohlberechneten Schritten auf die Gefahr zu. Der Ausbruch des Krieges war der Höhepunkt in einer Kette von Entscheidungen, die von politischen Akteuren mit bewussten Zielen getroffen wurden. Diese Akteure waren bis zu einem gewissen Grad der Selbstreflexion fähig, sie erkannten eine Auswahl von Optionen und bildeten sich auf der Basis der besten Informationen, die ihnen vorlagen, ein Urteil. Nationalismus, Rüstung, Bündnisse und Hochfinanz waren allesamt Teil der Geschichte, aber man kann ihnen lediglich dann eine echte erklärende Bedeutung beimessen, wenn man aufzeigen kann, dass sie Entscheidungen beeinflussten, die - zusammengenommen - den Krieg ausbrechen ließen.
Ein bulgarischer Historiker der Balkankriege stellte unlängst treffend fest: »Sobald wir die Frage ›warum‹ stellen, wird Schuld zum Brennpunkt. « Fragen nach der Schuld und Verantwortung für den Kriegsausbruch flossen schon vor Beginn des Krieges in diese Geschichte ein. Der gesamte Quellenbestand steckt voller Schuldzuschreibungen (denn es ist eine Eigenart dieser Krise, dass alle Handelnden dem Gegner aggressive Absichten unterstellten und sich selbst defensive Intentionen bescheinigten), und das Urteil, das Artikel 231 des Friedensvertrags von Versailles enthält, hat dafür gesorgt, dass die »Kriegsschuldfrage« weiterhin aktuell ist. Auch hier legt der Fokus auf dem Wie eine alternative Vorgehensweise nahe: eine Reise durch die Ereignisse, die nicht von der Notwendigkeit getrieben wird, eine Anklageschrift gegen diesen oder jenen Staat oder diese oder jene Person zu schreiben, sondern sich zum Ziel setzt, die Entscheidungen zu erkennen, die den Krieg herbeiführten, und die Gründe und Emotionen zu verstehen, die dahintersteckten. Das heißt nicht, dass die Frage nach der Verantwortung ganz aus der Diskussion ausgeklammert wird - nach Möglichkeit sollen die Antworten auf die Warum-Frage jedoch aus den Antworten auf Fragen nach dem Wie erwachsen, statt umgekehrt.
Dieses Buch erzählt, wie der Krieg nach Europa kam. Es zeichnet die Pfade zum Krieg in einem mehrschichtigen Narrativ nach, das die wichtigsten Entscheidungszentren in Wien, Berlin, St. Petersburg, Paris, London und Belgrad umfasst, mit kurzen Exkursionen nach Rom, Konstantinopel und Sofia. Es ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil konzentriert sich auf die beiden Antagonisten Serbien und Österreich- Ungarn, deren Streit den Konflikt auslöste. Er zeichnet ihre Interaktionen bis zum Vorabend der Morde in Sarajevo nach. Teil II unterbricht den erzählerischen Ansatz und geht in vier Kapiteln vier Fragen auf den Grund: Wie kam die Polarisierung Europas in entgegengesetzte Bündnisblöcke eigentlich zustande? Wie gestalteten die Regierungen der europäischen Staaten die Außenpolitik? Wie kam es, dass der Balkan - eine Randzone fernab von den europäischen Zentren der Macht und des Geldes - zum Schauplatz einer so gigantischen Krise wurde? Wie brachte ein internationales System, das allem Anschein nach in eine Phase der Entspannung eintrat, einen allgemeinen Krieg hervor? Teil III beginnt mit dem Attentat in Sarajevo und schildert die Julikrise selbst, wobei die Wechselbeziehungen zwischen den wichtigen Entscheidungszentren untersucht und die Kalkulationen, Missverständnisse und Entscheidungen ans Licht gebracht werden, welche die Krise in die nächste Phase eintreten ließen.
Eine zentrale These dieses Buches lautet, dass man die Ereignisse vom Juli 1914 nur dann verstehen kann, wenn man die Wege, welche die Hauptentscheidungsträger beschritten, beleuchtet und ihre Sicht der Ereignisse schildert. Dazu genügt es allerdings nicht, einfach die Abfolge der internationalen »Krisen« Revue passieren zu lassen, die dem Kriegsausbruch vorausgingen - wir müssen uns vor Augen führen, wie jene Ereignisse empfunden und in Narrative eingewoben wurden, welche die Wahrnehmungen prägten und Verhalten motivierten. Warum verhielten sich jene Männer, deren Entscheidungen Europa in den Krieg führten, ausgerechnet so und sahen die Dinge auf diese Weise? Wie lassen sich das Gefühl der Angst und die dunklen Vorahnungen, die einem in so vielen Quellen begegnen, in Einklang bringen mit der Arroganz und Prahlerei, auf die wir stoßen - häufig zum Ausdruck gebracht von ein und derselben Person? Warum spielten so exotische Besonderheiten der Vorkriegszeit wie die albanische Frage und das »bulgarische Darlehen« eine so große Rolle, und wie trafen sie in den Köpfen jener Personen, die die politische Macht innehatten, aufeinander? Als die Entscheidungsträger über die internationale Lage oder externe Bedrohungen diskutierten, sahen sie da die Realität oder projizierten sie ihre eigenen Ängste und Wünsche auf ihre Widersacher, oder beides? So anschaulich wie möglich sollen hier die überaus dynamischen »Entscheidungspositionen « rekonstruiert werden, die von den Hauptakteuren im Vorfeld und während des Sommers 1914 eingenommen wurden.
In einer der interessantesten jüngeren Publikationen über diesen Krieg wird die These aufgestellt, dass er nicht nur keineswegs unvermeidlich, sondern tatsächlich »unwahrscheinlich« gewesen sei - zumindest bis zu seinem Ausbruch. Daraus würde folgen, dass der Konflikt nicht die Konsequenz einer langfristigen Verschlechterung der Beziehungen war, sondern kurzfristiger Erschütterungen des internationalen Systems. Ob man diese Anschauung nun teilt oder nicht, sie hat den Vorteil, dass sie das Element des Zufalls in das Geschehen einbringt. Und es trifft mit Sicherheit zu, dass manche Entwicklungen, die ich hier untersuche, zwar unmissverständlich in die Richtung der tatsächlichen Ereignisse von 1914 weisen, dass andere Vektoren des Wandels vor dem Krieg aber auch auf Ergebnisse hindeuten, die schließlich nicht Realität wurden. Dies im Hinterkopf, möchte ich in diesem Buch zeigen, wie die einzelnen Puzzleteilchen der Kausalität zusammenkamen, die, sobald sie an Ort und Stelle lagen, den Kriegsausbruch ermöglichten. Allerdings möchte ich dabei den Ausgang nicht allzu sehr im Voraus festlegen. Ich habe versucht, mir stets vor Augen zu halten, dass die in diesem Buch beschriebenen Menschen, Ereignisse und Kräfte in sich den Keim für andere, vielleicht nicht ganz so schreckliche Zukünfte trugen.
TEIL I
WEGE NACH SARAJEVO
KAPITEL 1
Serbische Schreckgespenster
Mord in Belgrad
Kurz nach zwei Uhr morgens am 11. Juni 1903 näherten sich 28 Offiziere der serbischen Armee dem Haupteingang des Königspalastes in Belgrad. Nach einem Schusswechsel wurden die Wachen vor dem Gebäude verhaftet und entwaffnet. Mit den Schlüsseln, die sie dem befehlshabenden Offizier abnahmen, drangen die Verschwörer in die Empfangshalle ein und begaben sich zu den königlichen Schlafgemächern. Eilig rannten sie die Stufen hoch und die Korridore entlang. Als die Verschwörer feststellten, dass die königlichen Gemächer von einer schweren Eichentür versperrt waren, sprengten sie die Tür mit einer Schachtel Dynamit auf. Die Sprengladung war so stark, dass die Flügel aus den Angeln gerissen und quer durch das Vorzimmer geschleudert wurden. Der Adjutant des Königs, der hinter der Tür gestanden hatte, wurde tödlich getroffen. Die Detonation ließ darüber hinaus im Palast den Strom ausfallen, sodass es im ganzen Gebäude stockfinster wurde. Die Eindringlinge ließen sich davon nicht abhalten, entdeckten in einem Nachbarzimmer ein paar Kerzen und stürmten weiter. Als sie das Schlafzimmer erreichten, waren König Alexander und Königin Draga nicht mehr dort. Aber der französische Roman, den die Königin gelesen hatte, lag aufgeschlagen mit den Seiten nach unten auf dem Nachttisch. Jemand berührte die Laken und spürte, dass das Bett noch warm war - offenbar hatte das Paar es erst vor kurzem verlassen. Nachdem die Eindringlinge vergeblich das Schlafzimmer durchsucht hatten, durchkämmten sie mit Kerzen und gezogenem Revolver in den Händen den ganzen Palast.
Während die Offiziere von Zimmer zu Zimmer zogen und auf Schränke, Wandteppiche und andere potenzielle Verstecke schossen, kauerten König Alexander und Königin Draga im ersten Stock in einem winzigen Anbau zur Schlafkammer, wo die Dienstmädchen der Königin in der Regel ihre Kleider bügelten und stopften. Fast zwei Stunden dauerte die Suche. Der König nutzte diese Pause, um sich so leise wie möglich eine Hose und ein rotes Seidenhemd anzuziehen; er wollte nicht, dass seine Feinde ihn nackt fanden. Der Königin gelang es derweil, sich mit einem Unterrock, einem Korsett aus weißer Seide und einem einzigen gelben Strumpf notdürftig zu bekleiden.
Unterdessen wurden in der Stadt weitere Opfer aufgetrieben und getötet: Die beiden Brüder der Königin, die allgemein verdächtigt wurden, Ränke gegen den serbischen Thron zu schmieden, wurden aus dem Haus ihrer Schwester in Belgrad gejagt und »zu einer Wache in der Nähe des Palastes gebracht, wo sie beschimpft und barbarisch niedergemacht wurden«. Auch in die Wohnungen des Regierungschefs Dimitrije Cincar-Markovic und des Kriegsministers Milovan Pavlovic drangen Mörder ein. Beide wurden erschlagen; auf Pavlovic, der sich in einer Holzkiste versteckt hatte, wurden 25 Schüsse abgegeben. Innenminister Belimir Theodorovic wurde angeschossen und irrtümlich für tot gehalten, erholte sich später aber von seinen Wunden; andere Minister wurden unter Arrest gestellt.
Im Palast wurde der loyale erste Adjutant des Königs, Lazar Petrovic, den man nach einem Schusswechsel entwaffnet und gefasst hatte, von den Verschwörern durch die dunklen Zimmer geführt und gezwungen, den König von jeder Tür aus zu rufen. Als sie zu einer zweiten Suche in die Schlafkammer zurückkehrten, entdeckten sie schließlich hinter dem Wandteppich einen versteckten Eingang. Ein Angreifer schlug vor, kurzerhand die Wand mit einer Axt einzuschlagen. Da erkannte Petrovic, dass das Spiel aus war, und erklärte sich bereit, den König aufzufordern, sein Versteck zu verlassen. Hinter der Täfelung fragte der König nach, wer denn rufe, worauf der Adjutant antwortete: »Ich bin's, Euer Laza, öffnet Euren Offizieren die Tür!« Der König erwiderte: »Kann ich mich auf den Eid meiner Offiziere verlassen?« Die Verschwörer antworteten zustimmend. Einer Version zufolge erschien der König, vor Angst zitternd, die Brille auf der Nase und notdürftig mit dem roten Hemd bekleidet, in seinen Armen die Königin. Das Paar wurde in einem Kugelhagel aus nächster Nähe niedergeschossen. Petrovic, der einen versteckten Revolver in einem aussichtslosen Versuch zog, seinen Herrn zu schützen (zumindest wurde das später behauptet), wurde ebenfalls getötet. Es folgte eine Orgie sinnloser Gewalt. Die Leichen wurden, laut der späteren Aussage des traumatisierten, italienischen Barbiers des Königs, dem man den Befehl erteilte, die Körper abzuholen und sie für das Begräbnis einzukleiden, mit Säbeln zerstochen, mit einem Bajonett aufgerissen, teilweise ausgenommen und mit einer Axt zerhackt, bis sie zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren. Der Leichnam der Königin wurde zum Geländer des Schlafzimmerfensters geschleppt und, so gut wie nackt und völlig blutverschmiert, in den Garten geworfen. Als die Mörder versuchten, mit Alexander ebenso zu verfahren, schloss sich dem Vernehmen nach eine Hand des Königs für einen Moment um das Geländer. Ein Offizier hackte die Faust mit einem Säbel durch. Die einzelnen Finger und der Körper des Monarchen fielen zu Boden. Als sich die Attentäter im Garten versammelt hatten, um eine Zigarette zu rauchen und ihr Zerstörungswerk zu inspizieren, fing es an zu regnen.
Die Ereignisse vom 11. Juni 1903 markierten einen Neubeginn in der serbischen politischen Geschichte. Die Dynastie Obrenovic, die Serbien während des größten Teils der kurzen Existenz des Landes als unabhängiger Staat regiert hatte, war ausgelöscht. Nur wenige Stunden nach dem Attentat verkündeten die Verschwörer das Ende der Obrenovic-Linie und die Thronbesteigung durch Peter Karadjordjevic, der damals in der Schweiz im Exil lebte.
Warum wurde mit der Obrenovic-Dynastie so schonungslos abgerechnet? Die Monarchie hatte in Serbien nie stabile Institutionen etabliert. Die Wurzel des Problems lag nicht zuletzt im Nebeneinander rivalisierender dynastischer Familien. Zwei große Sippen, die der Obrenovic und der Karadjordjevic, hatten sich in dem Befreiungskrieg gegen die osmanische Herrschaft ausgezeichnet. Der dunkelhäutige einstige Viehhirte »Kara Djordje« (serbisch für »Schwarzer Georg«) Petrovic, der Begründer der Karadjordjevic-Linie, führte im Jahr 1804 einen Aufstand an, mit dem es ihm gelang, für einige Jahre die Osmanen aus Serbien zu vertreiben. Im Jahr 1813 flüchtete er jedoch ins österreichische Exil, als die Osmanen eine Gegenoffensive begannen. Zwei Jahre danach brach unter der Führung von Miloš Obrenovic ein zweiter Aufstand aus. Dem geschickten Politiker Obrenovic gelang es, mit den osmanischen Behörden die Anerkennung eines serbischen Fürstentums auszuhandeln. Als Karadjordjevic aus dem Exil nach Serbien zurückkehrte, wurde er auf Befehl von Obrenovic und mit dem Einverständnis der Osmanen ermordet. Nachdem Obrenovic sich seinen ärgsten Widersacher vom Hals geschafft hatte, wurde ihm der Titel Fürst (serbisch: knez) von Serbien verliehen. Angehörige des Obrenovic-Clans regierten Serbien während des größten Teils seines Bestehens als Fürstentum innerhalb des Osmanischen Reiches (1817-1878).
Die beiden rivalisierenden Dynastien, eine exponierte Lage zwischen dem Osmanischen und dem Habsburgischen Reich und eine ausgesprochen respektlose politische Kultur, die von Kleinbauern dominiert wurde - alle diese Faktoren zusammengenommen sorgten dafür, dass die Monarchie eine umstrittene Einrichtung blieb. Es ist bezeichnend, wie wenige serbische Regenten des 19. Jahrhunderts auf dem Thron eines natürlichen Todes starben. Der Gründer des Fürstentums, Miloš Obrenovic, war ein grausamer Autokrat, dessen Herrschaft immer wieder von Aufständen erschüttert wurde. Im Sommer 1839 dankte er zugunsten seines ältesten Sohnes Milan ab, der zu dem Zeitpunkt so schwer an den Masern erkrankt war, dass er bei seinem Tod 13 Tage später noch immer nichts von seinem Aufstieg mitbekommen hatte. Die Herrschaft des jüngeren Sohnes Mihailo fand ein vorzeitiges Ende, als er durch eine Rebellion im Jahr 1842 abgesetzt wurde. Damit war der Weg frei für die Einsetzung eines Karadjordjevic - keines anderen als Alexander, Sohn des »Schwarzen Georgs«. Aber im Jahr 1858 wurde auch Alexander gezwungen abzudanken, ihn löste wiederum Mihailo ab, der im Jahr 1860 auf den Thron zurückkehrte. Mihailo war in seiner zweiten Regierungszeit nicht beliebter als in der ersten; acht Jahre später fiel er gemeinsam mit einer Kusine einer Verschwörung zum Opfer, die möglicherweise der Karadjordjevic-Clan unterstützt hatte.
Die lange Regierungszeit von Mihailos Nachfolger, Fürst Milan Obrenovic (1868-1889), brachte ein gewisses Maß an politischer Stabilität. Im Jahr 1882, vier Jahre nachdem der Berliner Kongress Serbien den Status eines unabhängigen Staates zuerkannt hatte, erklärte Milan das Land zu einem Königreich und sich selbst zum König. Doch die außerordentlich starken politischen Turbulenzen blieben ein Problem. Im Jahr 1883 lösten die Bemühungen der Regierung, die Feuerwaffen der Bauernmilizen im Nordosten Serbiens zu konfiszieren, einen großen Provinzaufstand aus: den Timoker Aufstand. Milan antwortete mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Rebellen und einer Hexenjagd auf führende politische Persönlichkeiten in Belgrad, die im Verdacht standen, die Unruhen geschürt zu haben.
Die serbische politische Kultur wandelte sich Anfang der 1880er Jahre durch das Aufkommen moderner politischer Parteien mit eigenen Zeitungen, Versammlungen, Manifesten, Wahlkampfstrategien und lokalen Ausschüssen. Auf diese beeindruckende neue Kraft im öffentlichen Leben antwortete der König im Stil eines echten Autokraten. Als die Wahlen von 1883 eine feindliche Mehrheit im serbischen Parlament (der sogenannten Skupština) ergaben, weigerte sich der König kurzerhand, eine von der dominierenden Radikalen Volkspartei gestellte Regierung zu ernennen, und beschloss stattdessen, ein Kabinett aus Bürokraten zusammenzustellen. Die Skupština wurde per Dekret eröffnet und zehn Minuten danach wiederum per Dekret geschlossen. Ein katastrophaler Krieg gegen Bulgarien im Jahr 1885 (die Folge von Entscheidungen königlicher Vertreter, die ohne jede Rücksprache mit Ministern geschweige denn dem Parlament getroffen wurden) sowie eine erbitterte und skandalöse Scheidung von seiner Frau Königin Nathalie schadeten zusätzlich dem Ruf des Monarchen. Als Milan 1889 abdankte (nicht zuletzt in der Hoffnung, die hübsche junge Frau seines Privatsekretärs zu ehelichen), schien sein Abgang längst überfällig.
Die Regentschaft, die während der Minderjährigkeit von Milans Sohn Kronprinz Alexander als serbische Regierung eingesetzt wurde, hatte vier Jahre lang Bestand. Im Jahr 1893 stürzte Alexander selbst im Alter von nur 16 Jahren in einem bizarren Staatsstreich die Regentschaft: Die Kabinettsminister wurden zu einem Abendessen eingeladen, und ihnen wurde bei einem Trinkspruch in aller Freundschaft mitgeteilt, dass sie alle unter Arrest ständen. Der junge König kündigte an, dass er die Absicht habe, die »volle königliche Autorität« für sich zu beanspruchen; zentrale Ministerialgebäude und das Telegrafenamt waren bereits vom Militär besetzt worden. Die Bürger von Belgrad sahen am nächsten Morgen an jeder Straßenecke Plakate, die bekannt gaben, dass Alexander die Macht übernommen habe.
In Wirklichkeit hielt hinter den Kulissen immer noch Ex-König Milan die Fäden in der Hand. Milan hatte seinerzeit die Regentschaft eingesetzt, und Milan hatte auch den Putsch im Namen seines Sohnes inszeniert. In einem grotesken familieninternen Schachzug, für den man in Europa kaum eine zeitgenössische Parallele finden dürfte, diente der abgetretene Vater als höchster Berater für den königlichen Sohn. In den Jahren 1897 bis 1900 wurde dieses Arrangement in der »Milan Alexander-Dyarchie« offiziell bestätigt. »Königvater Milan« wurde zum Oberbefehlshaber der serbischen Armee ernannt, der erste und letzte Zivilist in diesem Amt.
Unter Alexanders Herrschaft begann die Endphase der Geschichte der Obrenovic-Dynastie. Mit der Rückendeckung seines Vaters verspielte Alexander rasch das hoffnungsfrohe Wohlwollen der Bevölkerung, das häufig mit der Einsetzung einer neuen Ordnung einhergeht. Er ignorierte die vergleichsweise liberalen Bestimmungen der serbischen Verfassung und führte stattdessen eine Art neoabsolutistischer Herrschaft ein: Geheime Wahlen wurden abgeschafft, die Pressefreiheit wurde aufgehoben, Zeitungen wurden geschlossen. Als die Führung der Radikalen Volkspartei protestierte, sahen sie sich kurzerhand ausgeschlossen von der Machtausübung. In der Manier eines Möchtegern-Diktators schaffte Alexander Verfassungen ab, führte neue ein und setzte sie wieder aus. Er zeigte nicht den geringsten Respekt für die Unabhängigkeit der Justiz und intrigierte sogar gegen hohe Politiker. Das Spektakel, wie der König und Königvater Milan skrupellos im Tandem die Hebel der Macht bedienten - ganz zu schweigen von Königinmutter Nathalie, die trotz der gescheiterten Ehe mit Milan immer noch großen Einfluss hatte -, wirkte sich verheerend auf das Ansehen der Dynastie aus.
Alexanders Entscheidung, die umstrittene Witwe eines ominösen Ingenieurs zu heiraten, trug nicht gerade dazu bei, die Lage zu entspannen. Er hatte Draga Mašin 1897 kennengelernt, als sie als Hofdame bei seiner Mutter gedient hatte. Draga war zehn Jahre älter als der König, in der Belgrader Gesellschaft unbeliebt, galt gemeinhin als unfruchtbar und war für ihre angeblich zahlreichen sexuellen Beziehungen hinlänglich bekannt. Während einer hitzigen Sitzung des Kronrats, als die Minister vergeblich versuchten, den König von einer Heirat mit Mašin abzubringen, brachte der Innenminister Djordje Gencic ein gewichtiges Argument vor: »Sire, Ihr könnt sie nicht heiraten. Sie war die Mätresse von allen und jedem - auch meine.« Die Belohnung für die Offenherzigkeit des Ministers war eine heftige Ohrfeige - Gencic sollte sich später einer Mordverschwörung gegen den König anschließen. Mit anderen hohen Regierungsvertretern kam es zu ähnlichen Auseinandersetzungen. Auf einer sehr gereizten Kabinettssitzung schlug der amtierende Regierungschef sogar vor, den König im Palast unter Hausarrest zu stellen oder ihn gefesselt und geknebelt außer Landes zu schaffen, um die Trauung zu verhindern. Der Widerstand gegen Mašin in den herrschenden Schichten war so stark, dass es dem König eine Zeitlang schwerfiel, geeignete Kandidaten für hohe Ämter zu finden; schon die Meldung von der Verlobung Alexanders und Dragas führte dazu, dass die Kabinettsminister geschlossen ihren Rücktritt erklärten, und der König musste sich notgedrungen mit einem lückenhaften »Hochzeitskabinett « aus unbekannten Persönlichkeiten abfinden.
Der Streit um die Ehe belastete auch die Beziehung zwischen dem König und seinem Vater. Milan war so empört über die Aussicht, dass Draga seine Schwiegertochter werden sollte, dass er von seinem Posten als Oberbefehlshaber der Armee zurücktrat. In einem Brief an seinen Sohn vom Juni 1900 erklärte er, dass Alexander »Serbien in einen Abgrund stürze«, und schloss mit einer unverhüllten Warnung: »Ich werde als Erster die Regierung begeistert begrüßen, die Euch nach einer solchen Dummheit von Eurer Seite aus dem Land jagt.« Alexander hielt dennoch an seinem Vorhaben fest (er und Draga wurden am 23. Juni 1900 in Belgrad getraut) und nutzte die Gelegenheit, die der Rücktritt seines Vaters bot, um die eigene Kontrolle über das Offizierskorps zu stärken. Es folgte eine »Säuberung« von Milans Freunden (und Dragas Gegnern) aus hohen militärischen und zivilen Posten. Der Königvater wurde weiterhin ständig observiert, dann gebeten, Serbien zu verlassen, und anschließend wurde ihm die Rückkehr untersagt. Es war eine gewisse Erleichterung für das königliche Paar, als Milan, der sich in Österreich niedergelassen hatte, im Januar 1901 starb.
Ende 1900 stieg für kurze Zeit die Beliebtheit des Monarchen wiederum, als der Palast bekannt gab, dass die Königin ein Kind erwarte. Es folgte eine Woge öffentlicher Sympathiebekundungen. Allerdings war im April 1901 die Woge der Empörung entsprechend heftig, als sich herausstellte, dass Dragas Schwangerschaft lediglich eine List gewesen war, um die öffentliche Meinung zu besänftigen (in der Hauptstadt kursierten gar Gerüchte von einem vereitelten Plan, ein »untergeschobenes Kind« als serbischen Thronerben einzusetzen). Blind und taub für die Stimmung im Volk inszenierte Alexander einen regelrechten Kult um Getty Images seine Königin, feierte ihren Geburtstag mit pompösen öffentlichen Veranstaltungen und benannte Regimenter, Schulen und sogar Dörfer nach ihr. Gleichzeitig leistete er sich immer dreistere Spielchen mit der Verfassung. In einem berühmten Fall im März 1903 hob der König mitten in der Nacht die serbische Verfassung auf, führte eilends neue repressive Bestimmungen im Presse- und Versammlungsrecht in die Gesetzbücher ein und setzte die Verfassung nur 45 Minuten später wieder in Kraft.
Im Frühjahr 1903 hatten Alexander und Draga den größten Teil der serbischen Gesellschaft gegen sich. Die Radikale Volkspartei, die bei den Wahlen im Juli 1901 eine absolute Mehrheit der Sitze erlangt hatte, verabscheute die autokratischen Maßnahmen des Königs. Unter den einflussreichen Kaufmanns- und Bankiersfamilien (insbesondere jenen, die am Export von Vieh und Lebensmitteln beteiligt waren) werteten viele die Wien-freundliche Außenpolitik der Obrenovic-Dynastie als Fesselung der serbischen Wirtschaft an ein österreichisches Monopol und als Hindernis für die einheimischen Kapitalisten beim Zugang zu den Weltmärkten. Am 6. April 1903 wurde eine Demonstration in Belgrad, die gegen die Verfassungsmanipulation des Königs protestierte, von der Polizei und Gendarmen brutal aufgelöst. Achtzehn Menschen kamen ums Leben, weitere fünfzig wurden verletzt. Über hundert Menschen, darunter etliche Offiziere, wurden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, die meisten wurden jedoch nach wenigen Tagen wieder entlassen.
Im Zentrum des wachsenden Widerstands gegen die Krone stand die serbische Armee. Um die Jahrhundertwende zählte die Armee zu den dynamischsten Einrichtungen in der serbischen Gesellschaft. In einer immer noch weitgehend ländlichen und unterentwickelten Wirtschaft, wo es kaum Möglichkeiten gab, eine vielversprechende Laufbahn einzuschlagen, war ein Offizierspatent ein bevorzugter Weg zu Status und Einfluss. Dieses Übergewicht war von König Milan noch verstärkt worden, indem er dem Militär reichlich Mittel zukommen ließ und das Offizierskorps aufstockte, während er zugleich die ohnehin mageren Ausgaben des Staates für höhere Bildung kürzte. Doch die fetten Jahre fanden nach dem Abschied des Königvaters im Jahr 1900 ein jähes Ende: Alexander kürzte das Militärbudget, man ließ es zu, dass Offiziersgehälter monatelang in Rückstand gerieten, und eine Vetternwirtschaft bei Hofe sorgte dafür, dass Freunde oder Verwandte des Königs und seiner Frau über die Köpfe ihrer Kollegen hinweg auf zentrale Posten befördert wurden. Dieser Groll wurde noch durch die (trotz offizieller Dementis) verbreitete Überzeugung geschürt, dass der König, da er keinen biologischen Thronerben hervorgebracht hatte, die Absicht habe, Königin Dragas Bruder Nikodije Lunjevica als Nachfolger auf den serbischen Thron zu setzen.
Im Sommer 1901 bildete sich um einen talentierten jungen Leutnant der serbischen Armee, der bei den Ereignissen im Juli 1914 eine wichtige Rolle spielen sollte, eine Verschwörung heraus. Dragutin Dimitrijevic, der später wegen seiner massigen Gestalt »Apis« genannt wurde, weil seine Anhänger ihn mit dem Stiergott des alten Ägyptens verglichen, war unmittelbar nach seinem Examen an der serbischen Militärakademie auf einen Posten im Generalstab befördert worden, ein untrügliches Zeichen für die hohe Meinung, die seine Vorgesetzten von ihm hatten. Dimitrijevic war wie geschaffen für die Welt der politischen Verschwörungen. Der geradezu manisch heimlichtuerische, ganz in seiner militärischen und politischen Arbeit aufgehende Apis, der bei der Wahl seiner Methoden keine Skrupel kannte und in kritischen Augenblicken stets einen kühlen Kopf behielt, eignete sich nicht dafür, eine große Volks bewegung anzuführen. Sein großes Talent bestand vielmehr darin, innerhalb kleiner Gruppen und in privaten Kreisen Anhänger zu gewinnen und aufzubauen, seinen Gefolgsleuten ein Gefühl der Bedeutung ihrer Aufgabe zu vermitteln, Zweifel verstummen zu lassen und zu extremen Aktionen zu motivieren. Ein Verschwörer beschrieb ihn als »geheime Kraft, der ich mich selbst zur Verfügung stellen musste, obwohl mir mein Verstand keinen Grund dafür nennen konnte«. Ein anderer Königsmörder wunderte sich über die Gründe für den Einfluss Apis': Weder seine Intelligenz, noch seine Redegewandtheit, noch die Kraft seiner Ideen schienen seine Wirkung ausreichend zu erklären. »Aber er war der Einzige unter uns, der allein durch seine Präsenz imstande war, meine Gedanken in seine Richtung zu lenken, und konnte mit wenigen, ganz normal dahingesagten Worten aus mir einen gehorsamen Vollstrecker seines Willens machen.« Das Milieu, in dem Dimitrijevic diese Talente einsetzte, war dezidiert männlich. Frauen kamen in seinem Erwachsenenleben nur am Rande vor; er ließ nie ein sexuelles Interesse an ihnen erkennen. Sein gewohntes Umfeld und der Schauplatz aller seiner Intrigen waren die rauchgeschwängerte, Männern vorbehaltene Welt der Belgrader Kaffeehäuser - ein Ort, der zugleich privat und öffentlich war, wo Gespräche geführt werden konnten, ohne dass sie zwangsläufig belauscht wurden. Die bekannteste erhaltene Aufnahme von ihm zeigt den Schnurrbart tragenden Ränkeschmied mit zwei Kameraden in einer charakteristisch verschwörerischen Pose.
Dimitrijevic hatte ursprünglich die Absicht, das königliche Paar auf einem Ball im Zentrum Belgrads am 11. September (dem Geburtstag der Königin) zu ermorden. Nach einem Plan, der aus einem Agententhriller von Ian Fleming stammen könnte, sollten zwei Offiziere das Kraftwerk an der Donau angreifen, das ganz Belgrad mit Strom versorgte, während ein anderer das kleinere Kraftwerk ausschalten sollte, das das Gebäude belieferte, in dem der Ball stattfand. Sobald die Lichter ausgegangen waren, wollten die vier Attentäter, die am Ball teilnahmen, die Vorhänge in Brand stecken, den Feueralarm auslösen und den König und seine Frau ermorden, indem sie die beiden zwangen, Gift zu schlucken (Feuerwaffen wären bei einer möglichen Durchsuchung entdeckt worden). Das Gift hatte man erfolgreich an einer Katze getestet, aber ansonsten scheiterte der Plan in jeder Beziehung. Das Kraftwerk erwies sich als zu schwer bewacht, und die Königin beschloss ohnehin, nicht an dem Ball teilzunehmen.
Die Verschwörer ließen sich von diesem und anderen gescheiterten Anschlägen nicht abschrecken und dehnten in den folgenden zwei Jahren die Reichweite der Verschwörung eifrig aus. Über einhundert Offiziere wurden rekrutiert, darunter viele jüngere Militärs. Ende 1901 bestanden auch Kontakte zu zivilen politischen Führern, darunter der ehemalige Innenminister Djordje Gencic, eben jener, der einst wegen seines offenen Protests gegen die Heiratspläne des Königs geohrfeigt worden war. Im Herbst 1902 erhielt die Verschwörung in einem geheimen Schwur förmlich Ausdruck. Der von Dimitrijevic-Apis stammende Wortlaut machte kein Hehl aus dem Ziel des Unternehmens: »In der Erwartung des sicheren Zusammenbruchs des Staates [...] und da wir dafür in erster Linie den König und die Mätresse Draga Mašin verantwortlich machen, schwören wir, dass wir sie ermorden werden, und setzen zu diesem Zweck unsere Unterschrift darunter.«
Im Frühjahr 1903, als dem Komplott zwischen 120 und 150 Verschwörer angehörten, war der Plan, das Königspaar im eigenen Palast zu ermorden, ausgereift. Die Durchführung erforderte jedoch umfassende Vorbereitungen, weil der König und seine Frau, die inzwischen von einer völlig berechtigten Paranoia erfasst worden waren, die Sicherheitsvorkehrungen verschärft hatten. Der König zeigte sich nie in der Stadt, außer in der Gesellschaft einer Schar von Begleitern; Draga hatte so große Angst vor einem Anschlag, dass sie sich einmal sechs Wochen lang nicht mehr aus dem Palast wagte. Die Wachen in und um das Gebäude wurden verdoppelt. Die Gerüchte um einen bevorstehenden Putsch waren so weit verbreitet, dass selbst die Londoner Times vom 27. April 1903 eine »vertrauliche« Belgrader Quelle mit folgenden Worten zitierte: »Es existiert eine so weitreichende militärische Verschwörung gegen den Thron, dass weder der König noch die Regierung es wagen, Schritte zu unternehmen, um sie zu zerschlagen.« Durch die Rekrutierung wichtiger Insider, darunter auch Offiziere der Palastwache und der eigene Adjutant des Königs, verfügten die Verschwörer über eine Möglichkeit, an der Reihe der Wachen vorbeizukommen und sich Zutritt zu den innersten Gemächern zu verschaffen. Das Datum für den Anschlag wurde erst drei Tage zuvor festgelegt, als bekannt war, dass alle wichtigen Verschwörer an Ort und Stelle und an ihren jeweiligen Posten im Dienst sein würden. Es wurde vereinbart, dass die Sache mit der größtmöglichen Eile durchgezogen und anschließend sofort bekannt gegeben werden musste, um einem Eingreifen der Polizei oder der Regimenter, die dem König die Treue hielten, zuvorzukommen. Das Bestreben, den Erfolg des Unternehmens so schnell wie möglich publik zu machen, dürfte nicht zuletzt erklären, weshalb man beschloss, die königlichen Leichen über den Balkon beim Schlafzimmer zu werfen. Apis schloss sich dem Mordkommando an, das sich Zutritt zu dem Palast verschaffte, verpasste jedoch den letzten Akt des Dramas: Er wurde bei einem Schusswechsel mit den Wachen am Haupteingang angeschossen und schwer verwundet. Er brach zusammen, verlor das Bewusstsein und wäre um ein Haar verblutet.
»Verantwortungslose Akteure«
»Stadt ruhig, Bevölkerung scheint allgemein ungerührt«, bemerkte Sir George Bonham, der britische Botschafter in Belgrad in einer lapidaren Note am Abend des 11. Juni für London. Die serbische »Revolution« sei, berichtete Bonham, von den Bewohnern der Hauptstadt »mit offener Befriedigung begrüßt« worden; der Tag nach den Morden sei »als Feiertag gefeiert und die Straßen mit Flaggen geschmückt« worden. Es herrschte »ein völliges Fehlen des gebührenden Bedauerns«. Das »auffälligste Merkmal« der serbischen Tragödie, erklärte Sir Francis Plunkett, Bonhams Kollege in Wien, sei »die außerordentliche Ruhe, mit der die Durchführung eines so grässlichen Verbrechens akzeptiert worden sei«.
Böse Zungen werteten diese gleichmütige Stimmung als Beweis für die Herzlosigkeit einer Nation, die von einer langen Tradition der Gewalt und des Königsmordes abgehärtet worden war. In Wahrheit hatten die Belgrader Bürger allen Grund, die Attentäter begeistert zu empfangen. Die Verschwörer übergaben die Macht unverzüglich an eine provisorische Allparteienregierung. Das Parlament wurde rasch wieder einberufen. Peter Karadjordjevic wurde aus seinem Schweizer Exil zurückgerufen und vom Parlament zum König gewählt. Die ausgeprägt demokratische Verfassung von 1888 wurde, nunmehr unter dem Namen Verfassung von 1903, mit geringfügigen Änderungen wieder in Kraft gesetzt. Das alte Problem der Rivalität zwischen zwei serbischen Dynastien war auf einen Schlag Vergangenheit. Der Umstand, dass Karadjordjevic, der einen großen Teil seines Lebens in Frankreich und in der Schweiz verbracht hatte, ein Anhänger John Stuart Mills war (in seinen jüngeren Jahren hatte er sogar Mills Essay „Über die Freiheit" ins Serbische übersetzt), wurde von allen liberal Gesinnten außerordentlich begrüßt.
Noch ermutigender war Peters Erklärung, die er nach der Rückkehr aus dem Exil vor der Bevölkerung abgab, dass er die Absicht habe, »als wahrhaft verfassungsmäßiger König Serbiens zu regieren«. Das Königreich wurde nunmehr zu einem echten parlamentarischen Staatswesen, in dem der Monarch herrschte, aber nicht regierte. Die Tatsache, dass der grausame Regierungschef Cincar-Markovic, ein Günstling Alexanders, während des Umsturzes ermordet worden war, war ein eindeutiges Signal, dass politische Macht künftig auf dem Rückhalt der Bevölkerung und auf Parteinetzwerken basieren würde, statt auf dem guten Willen der Krone. Politische Parteien konnten ihrer Arbeit nachgehen, ohne ständig Repressionen befürchten zu müssen. Die Presse litt zumindest unter keiner so starken Zensur, wie sie unter den Obrenovic üblich gewesen war. Es winkte die Aussicht auf ein nationales politisches Leben, das empfänglicher für die Bedürfnisse der Bevölkerung war und sich eher im Einklang mit der öffentlichen Meinung befand. Serbien stand an der Schwelle einer neuen Epoche seiner politischen Existenz.
Wenn der Putsch von 1903 einige alte Fragen beantwortete, so schuf er auch neue Probleme, die sich massiv auf die Ereignisse von 1914 auswirken sollten. Vor allen Dingen löste sich das konspirative Netzwerk, das sich zum Mord an der Königsfamilie gebildet hatte, nicht einfach auf, sondern blieb weiterhin eine wichtige Kraft in der serbischen Politik und im öffentlichen Leben. Der provisorischen revolutionären Regierung, die einen Tag nach den Morden gebildet wurde, gehörten vier Verschwörer (darunter die Minister für Krieg, öffentliche Bauten und Wirtschaft) und sechs Parteipolitiker an. Apis, der sich immer noch von seiner Schussverletzung erholte, wurde offiziell für die Verdienste gedankt, die er der Skupština erwiesen hatte, und er wurde zu einem Volkshelden. Der Umstand, dass das neue Regime seine Existenz dem blutigen Werk von Verschwörern verdankte, kombiniert mit der Angst vor dem, wozu das Netzwerk womöglich immer noch fähig war, machte offene Kritik schwierig. Ein Minister in der neuen Regierung vertraute zehn Tage nach dem Ereignis einem Zeitungskorrespondenten an, dass er die Aktionen der Attentäter für »beklagenswert« halte, aber »außerstande sei, sie offen so zu bezeichnen, wegen der Emotionen, welche die Äußerung bei der Armee auslösen könnte, auf deren Unterstützung sowohl der Thron als auch die Regierung angewiesen seien«.
Das Netzwerk der Königsmörder hatte vor allem am Hof großen Einfluss. Bislang hätten die verschwörerischen Offiziere, berichtete der britische Gesandte Wilfred Thesiger im November 1905 aus Belgrad, »die wichtigste und sogar einzige Stütze seiner Majestät gebildet«; wenn man sie absetzen würde, hätte die Krone »keine Partei mehr, auf deren Hingabe oder sogar Freundschaft sie sich verlassen konnte«. Folglich war es auch keine Überraschung, dass König Peter, als er im Winter 1905 nach einem Begleiter für seinen Sohn Kronprinz Djordje auf einer Reise durch Europa Ausschau hielt, keinen anderen als Apis auswählte, der eben erst eine lange Genesungphase hinter sich hatte. Drei der Kugeln, die in der Mordnacht in seinen Körper eingedrungen waren, steckten immer noch in ihm. Der Hauptarchitekt des Königsmordes erhielt die Aufgabe, dem nächsten Karadjordjevic-König bis zum Ende seiner Erziehung als Prinz beizustehen. Allerdings sollte Djordje nie König werden; er disqualifizierte sich 1909 selbst von der serbischen Thronfolge, indem er seinen Kammerdiener zu Tode prügelte.
Der österreichische Botschafter in Belgrad übertrieb folglich nur geringfügig, als er berichtete, dass der König selbst nach seiner Wahl durch das Parlament der »Gefangene« jener geblieben sei, die ihn an die Macht gebracht hatten. Der König sei eine Null, schloss ein hoher Vertreter im österreichischen Auswärtigen Amt Ende November. Das ganze Geschehen werde von den Leuten des 11. Juni gelenkt. Die Verschwörer nutzten dieses Druckmittel, um sich die begehrtesten Posten im Militär und in der Regierung zu sichern. Die neu ernannten königlichen Adjutanten waren ausnahmslos Verschwörer, das Gleiche galt für die Ordonnanzoffiziere und den Direktor der Postabteilung im Kriegsministerium, überdies hatten die Verschwörer Einfluss auf militärische Ernennungen, selbst auf hohe Kommandoposten. Mit Hilfe ihres privilegierten Zugangs zum Monarchen übten sie auch auf politische Fragen von nationaler Bedeutung großen Einfluss aus.
Die Machenschaften der Königsmörder wurden keineswegs kritiklos hingenommen. Die neue Regierung wurde von außen unter Druckgesetzt, sich von dem Netzwerk zu distanzieren, insbesondere von Großbritannien, das seinen bevollmächtigten Gesandten abzog und die Gesandtschaft in den Händen des Chargé d'affaires Thesiger ließ. Noch im Herbst 1905 wurden viele symbolträchtige Funktionen in Belgrad (in erster Linie Veranstaltungen am Hof) von Repräsentanten der europäischen Großmächte boykottiert. Innerhalb der Armee selbst entstand unter der Führung von Hauptmann Milan Novakovic eine auf die Festungsstadt Niš konzentrierte »Gegenverschwörung«. In einem Manifest verlangte Novakovic die Entlassung der 68 namentlich bekannten Königsmörder. Er wurde rasch verhaftet, und nach einer beherzten Verteidigung seiner Aktionen wurden er und seine Komplizen vor ein Militärgericht gestellt, schuldig gesprochen und zu unterschiedlich langen Gefängnisstrafen verurteilt. Als Novakovic zwei Jahre später entlassen wurde, nahm er seine öffentlichen Attacken gegen die Königsmörder wieder auf und wurde erneut inhaftiert. Im September 1907 verschwanden er und ein männlicher Verwandter von ihm unter mysteriösen Umständen bei einem angeblichen Fluchtversuch - ein Skandal, der im Parlament und in der liberalen Presse einen Aufschrei der Empörung auslöste. Die Frage, wie sich die Beziehung zwischen der Armee und den zivilen Behörden gestaltete, blieb folglich nach dem Attentat von 1903 ungeklärt, ein Umstand, der Serbiens Vorgehensweise im Jahr 1914 prägen sollte.
Die Hauptlast der Verantwortung für den Umgang mit dieser heiklen Konstellation hatte der Führer der Radikalen Nikola Pašic zu tragen. Der in Zürich geschulte Bauingenieur Pašic war nach dem Königsmord der dominierende Politiker. In den Jahren 1904 bis 1918 leitete er zehn Kabinette über insgesamt neun Jahre. Als der Mann, der vor, während und nach den Schüssen von Sarajevo im Jahr 1914 an der Spitze der serbischen Politik stand, zählte Pašic zu den Hauptakteuren in der Krise, die dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorausging.
Seine Laufbahn gehört mit Sicherheit zu den bemerkenswertesten politischen Karrieren der modernen europäischen Geschichte, nicht nur wegen ihrer langen Dauer (Pašic war über vierzig Jahre in der serbischen Politik tätig), sondern auch wegen des Wechsels zwischen Momenten eines schwindelerregenden Triumphes und Situationen extremer Bedrängnis. Obwohl er eigentlich Bauwesen studiert hatte, widmete er sein ganzes Leben der Politik - das war auch einer der Gründe dafür, weshalb er erst im Alter von 45 Jahren heiratete. Von Anfang an engagierte er sich mit aller Kraft für den Kampf um die serbische Unabhängigkeit von jeder Fremdherrschaft. Schon im Jahr 1875, als in Bosnien eine Revolte gegen die türkische Herrschaft ausbrach, fuhr der junge Pašic als Korrespondent für die irredentistische Zeitung Narodno Oslobodjenje (Nationale Befreiung) dorthin, um direkt von der Front des serbischen nationalen Kampfes zu berichten. Anfang der 1880er Jahre leitete er die Modernisierung der Radikalen Volkspartei, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs die mächtigste Kraft in der serbischen Politik bleiben sollte.
Die Radikalen traten für eine eklektische Politik ein, die liberale, konstitutionelle Ideen mit Aufrufen zu einer Expansion Serbiens und der territorialen Vereinigung aller Serben auf der Balkanhalbinsel kombinierte. Die Basis der Partei (und der Schlüssel zu ihren anhaltenden Wahlerfolgen) waren die Kleinbauern, die den größten Teil der Landesbevölkerung ausmachten. Als Bauernpartei übernahmen die Radikalen eine bunte Palette populistischer Strömungen, die sie mit panslawistischen Gruppierungen in Russland in Verbindung brachten. Der Berufsarmee standen sie misstrauisch gegenüber, nicht nur weil sie die Belastung des Staatshaushaltes scheuten, die ihr Unterhalt mit sich brachte, sondern auch weil sie weiterhin das Konzept einer Bauernmiliz für die beste und natürlichste Form der bewaffneten Organisation hielten. Während des Timoker Aufstands von 1883 stellten sich die Radikalen an die Seite der Bauern, die gegen die Regierung die Waffen erhoben hatten, und auf die Niederschlagung des Aufstands folgten Repressionen gegen Führer der Radikalen. Auch Pašic geriet unter Verdacht. Er flüchtete noch rechtzeitig vor der Verhaftung ins Ausland und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In seinen Jahren im Exil knüpfte er dauerhafte Kontakte nach St. Petersburg und wurde zum Liebling panslawistischer Kreise; seither war seine Politik stets eng mit der russischen Politik verbunden. Nach Milans Abdankung im Jahr 1889 wurde Pašic, der während seiner Zeit im Exil zum Helden der Radikalen- Bewegung aufgestiegen war, begnadigt. Er kehrte unter dem Jubel der Bevölkerung nach Belgrad zurück und wurde zum Vorsitzenden der Skupština und danach zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt. Seine erste Amtszeit als Regierungschef (Februar 1891 bis August 1892) endete jedoch mit seinem Rücktritt aus Protest gegen die anhaltenden, nicht verfassungsgemäßen Machenschaften Milans und der Regenten.
Im Jahr 1893 schickte Alexander, nach seinem Staatsstreich gegen die Regentschaft, Pašic als serbischen Sondergesandten nach St. Petersburg. Auf diese Weise sollten die politischen Ambitionen Pašics in Schach gehalten werden, gleichzeitig war er fern von Belgrad. Pašic bemühte sich darum, die russisch-serbischen Beziehungen zu verbessern, und machte kein Hehl aus seiner Überzeugung, dass eine künftige nationale Emanzipation Serbiens ohne russische Unterstützung letztlich unmöglich sei.31 Aber seine Tätigkeit wurde durch den Wiedereintritt von Königvater Milan in die Belgrader Politik gestört. Mitglieder der Radikalen wurden gejagt und aus dem Staatsdienst vertrieben, Pašic wurde abberufen. In den Jahren der Milan-Alexander-Herrschaft wurde Pašic aufmerksam beobachtet und von der Macht ferngehalten. Im Jahr 1898 wurde er unter dem Vorwand, er habe Milan in einem Parteiorgan beleidigt, zu neun Monaten Haft verurteilt. Pašic war noch in Haft, als das Land 1899 von einem gescheiterten Anschlag auf den Königvater erschüttert wurde. Einmal mehr wurden die Radikalen der Mittäterschaft verdächtigt, obwohl ihre Verbindung zu dem jungen Bosnier, der den Schuss abgegeben hatte, bis heute unklar ist. König Alexander forderte die Hinrichtung Pašics wegen des Verdachts auf Komplizenschaft bei dem Mordversuch, doch das Leben des Radikalenführers wurde (Ironie der Geschichte mit Blick auf die späteren Ereignisse) ausgerechnet durch die nachdrücklichen Proteste der österreichisch-ungarischen Regierung gerettet. In einer für Alexanders Herrschaft charakteristischen List wurde Pašic mitgeteilt, dass er gemeinsam mit einem Dutzend seiner Parteigenossen hingerichtet werde, wenn er nicht ein Eingeständnis einer moralischen Mitschuld an dem Mordanschlag unterschrieb. Da er nicht wusste, dass sein Leben durch die Intervention Wiens bereits gerettet war, willigte er ein. Das Dokument wurde anschließend veröffentlicht, und bei der Entlassung aus dem Gefängnis stand Pašic unter dem Verdacht, dass er seine Partei befleckt habe, um seine Haut zu retten. Biologisch
Übersetzung: Norbert Juraschitz
Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Ein Historiker, der den Ursprung des Ersten Weltkriegs untersucht, stößt auf mehrere Probleme. Das naheliegendste Problem ist das Überangebot an Quellen. Jeder kriegführende Staat hat mehrbändige, offizielle Editionen der diplomatischen Akten herausgegeben, das umfassende Werk mühsamer, kollektiver Archivarbeit. Staatsmänner, Befehlshaber, Minister, hohe Regierungsvertreter, Adjutanten und Höflinge haben Tagebücher und Memoiren geschrieben, alles in allem Zehntausende von Seiten. In diesem Meer von Quellen gibt es tückische Strömungen. Die meisten offiziellen Quelleneditionen, die in der Zwischenkriegszeit erschienen sind, haben eine apologetische Tendenz.
Die 57-bändige deutsche Publikation Die Große Politik, die 15 889 Dokumente, geordnet nach 300 Themenfeldern, umfasst, wurde keineswegs aus rein wissenschaftlichem Interesse herausgegeben; man hoffte, die Offenlegung der Quellen vor dem Krieg werde ausreichen, um die in den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags enthaltene These der »Kriegsschuld« zu widerlegen. Auch für die französische Regierung war die Veröffentlichung der Dokumente ein Projekt von »im Grunde politischem Charakter«, wie Außenminister Jean Louis Barthou es im Mai 1934 ausdrückte. Es hatte zum Ziel, »ein Gegengewicht zu der Kampagne zu bilden, die Deutschland nach dem Vertrag von Versailles lancierte«. In Wien setzte man sich, wie Ludwig Bittner, der Mitherausgeber der achtbändigen Sammlung Österreich-Ungarns Außenpolitik, im Jahr 1926 darlegte, zum Ziel, eine maßgebliche Quellenedition zusammenzustellen, ehe ein internationales Gremium (womöglich der Völkerbund?) die österreichische Regierung zur Veröffentlichung unter weniger günstigen Vorzeichen zwang. Die frühen sowjetischen Quelleneditionen litten zum Teil unter dem Bestreben, den Nachweis zu erbringen, dass der Krieg vom autokratischen Zaren und seinem Bündnispartner, dem bürgerlichen Raymond Poincaré, initiiert worden sei. Die Sowjetregierung hoffte, auf diese Weise französischen Forderungen nach Rückzahlung der Vorkriegsdarlehen die rechtliche Grundlage zu entziehen. Selbst in Großbritannien, wo die Edition British Documents on the Origins of the War unter hehren Appellen an die unparteiische akademische Lehre veröffentlicht wurde, war die erschienene Quellenedition nicht ganz frei von tendenziösen Auslassungen, die ein leicht unausgewogenes Bild von dem Platz Großbritanniens bei den Ereignissen unmittelbar vor Kriegsausbruch im Jahr 1914 ergeben. Mit einem Wort, die großen europäischen Quelleneditionen waren, bei all ihrem unleugbaren Wert für die Forscher, Munition in einem »Weltkrieg der Dokumente«, wie der deutsche Militärhistoriker Bernhard Schwertfeger in einer kritischen Studie aus dem Jahr 1929 anmerkte.
Die Memoiren der Staatsmänner, Befehlshaber und anderer Entscheidungsträger sind nicht weniger problematisch, so unverzichtbar sie auch für jeden sind, der die Ereignisse zu verstehen versucht, die sich im Vorfeld des Krieges abspielten. Einige sind ausgerechnet bei den brennenden Fragen enttäuschend zugeknöpft. Nehmen wir nur drei Beispiele: Die Betrachtungen zum Weltkriege, die der deutsche Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg 1919 veröffentlichte, sagen so gut wie nichts über seine eigenen Handlungen oder die seiner Kollegen während der Julikrise 1914 aus; die politischen Memoiren des russischen Außenministers Sergej Sasonow sind oberflächlich, aufgebläht, hier und da verlogen und absolut nichtssagend im Hinblick auf seinen Anteil an den maßgeblichen Ereignissen; die zehnbändigen Memoiren des französischen Präsidenten Poincaré über seine Jahre an der Macht sind eher propagandistisch als erhellend - es bestehen eklatante Diskrepanzen zwischen seinen »Erinnerungen« an die Ereignisse während der Krise und den zeitgenössischen Notizen in seinem unveröffentlichten Tagebuch. Die liebenswürdigen Memoiren des britischen Außenministers Sir Edward Grey sind lückenhaft in der heiklen Frage nach den Zusagen, die er den Ententemächten vor August 1914 gemacht hatte, und nach der Rolle, die diese beim Krisenmanagement gespielt hatten.
Als der amerikanische Historiker Bernadotte Everly Schmitt von der University of Chicago Ende der 1920er Jahre mit Empfehlungsschreiben nach Europa reiste, um ehemalige Politiker zu interviewen, die an den Ereignissen beteiligt gewesen waren, war er schockiert über die augenscheinliche, völlige Immunität seiner Gesprächspartner gegen jeden Selbstzweifel. (Die einzige Ausnahme war Grey, der »spontan anmerkte«, dass er einen taktischen Fehler begangen hatte, als er versuchte, in der Julikrise mittels der Berliner Regierung mit Wien zu verhandeln, dabei war die erwähnte Fehleinschätzung von untergeordneter Bedeutung und der Kommentar entsprach eher einer typisch englischen Selbstkasteiung als einem echten Eingeständnis einer Mitverantwortung.) Einige hatten auch Probleme mit dem Gedächtnis. Schmitt spürte Peter Bark auf, den ehemaligen russischen Finanzminister, der inzwischen als Banker in London tätig war. Im Jahr 1914 hatte Bark an Sitzungen teilgenommen, bei denen Entscheidungen von enormer Tragweite getroffen wurden. Aber als Schmitt sich mit ihm traf, blieb Bark hartnäckig dabei, dass er »kaum eine Erinnerung an Ereignisse aus jener Ära habe«. Zum Glück sind die eigenen Notizen des Ministers aus jener Zeit aufschlussreicher. Als der Forscher Luciano Magrini im Herbst 1937 nach Belgrad fuhr, um jeden Überlebenden zu interviewen, der nach dem damaligen Wissensstand in irgendeiner Form mit der Verschwörung von Sarajevo in Verbindung stand, stellte er fest, dass manche Zeugen zu Angelegenheiten Aussagen machten, von denen sie eigentlich nichts wissen konnten, andere hingegen »stumm blieben oder eine falsche Darstellung von dem, was sie wissen, lieferten« und wieder andere »ihre eigenen Aussagen noch ausschmückten oder in erster Linie an Selbstrechtfertigung interessiert waren«.
Überdies bestehen immer noch beträchtliche Wissenslücken. Ein Teil der wichtigen Kommunikation zwischen Hauptakteuren spielte sich verbal ab und ist nicht dokumentiert - der Meinungsaustausch kann in diesen Fällen lediglich über indirekte Hinweise oder spätere Aussagen rekonstruiert werden. Die serbischen Organisationen, die mit dem Attentat zu tun hatten, waren extrem verschwiegen und hinterließen so gut wie keine schriftlichen Spuren. Dragutin Dimitrijevic, der Chef des serbischen Militärgeheimdienstes, ein zentraler Akteur bei der Verschwörung gegen Franz Ferdinand in Sarajevo, verbrannte in regelmäßigen Abständen alle seine Unterlagen. Von dem genauen Inhalt der ersten Gespräche zwischen Wien und Berlin darüber, was als Reaktion auf die Schüsse in Sarajevo unternommen werden sollte, ist vieles unbekannt. Die Protokolle der Gipfeltreffen zwischen der französischen und russischen politischen Führung, die vom 20. bis 23. Juni in St. Petersburg stattfanden, Dokumente von potenziell enormer Bedeutung für das Verständnis der letzten Phase der Krise, sind nie gefunden worden (die russischen Protokolle sind vermutlich schlichtweg verschollen; das französische Team, das die Documents Diplomatiques Français herausgab, konnte die französische Fassung nicht finden). Die Bolschewiken veröffentlichten viele zentrale diplomatische Dokumente in dem Versuch, die imperialistischen Machenschaften der Großmächte zu diskreditieren, aber sie erschienen in unregelmäßigen Abständen, ohne bestimmte Ordnung und konzentrierten sich generell auf bestimmte Themen wie die russischen Pläne am Bosporus. Einige Dokumente (die genaue Zahl ist nicht bekannt) gingen im Chaos des Bürgerkriegs beim Transport verloren, und die Sowjetunion gab nie eine systematisch zusammengestellte Quellensammlung heraus, die sich mit den britischen, französischen, deutschen und österreichischen Editionen messen konnte. Die veröffentlichten Quellen auf russischer Seite sind bis heute alles andere als vollständig.
Die außerordentlich enge Verflechtung der Krise ist ein weiteres Kennzeichen. Die Kubakrise war schon komplex genug, dabei waren nur zwei Hauptakteure daran beteiligt (die USA und die Sowjetunion), sowie eine Reihe von Stellvertretern und untergeordneten Akteuren. Eine Darstellung, wie der Erste Weltkrieg zustande kam, muss hingegen die multilateralen Interaktionen von fünf autonomen, gleichwertigen Akteuren (Deutschland, Österreich-Ungarn, Frankreich, Russland und Großbritannien) - sechs, wenn man Italien mitzählt - berücksichtigen. Hinzu kommen mehrere strategisch wichtige und ebenso autonome, souveräne Akteure wie das Osmanische Reich und die Staaten auf der Balkanhalbinsel, einer Region, die in den Jahren vor Kriegsausbruch von starken, politischen Spannungen und einer extremen Instabilität geprägt war.
Verkompliziert wird das Ganze durch die Tatsache, dass die politischen Entscheidungsprozesse in den von der Krise betroffenen Staaten häufig alles andere als transparent sind. Man kann in den Ereignissen des Juli 1914 eine »internationale« Krise sehen, ein Begriff, der eine Gruppe von Nationalstaaten impliziert, die man sich als kompakte, autonome, eigenständige Einheiten vorstellen muss, wie Billardkugeln auf einem Tisch. Aber die souveränen Strukturen, die in der Krise die Politik gestalteten, waren ausgesprochen uneinheitlich. Damals herrschte eine Unsicherheit (und unter Historikern besteht sie noch heute), wer innerhalb der verschiedenen Regierungsbehörden denn genau die Macht hatte, den politischen Kurs zu bestimmen; überdies gingen »politische Maßnahmen« (oder zumindest eine Politik fördernde Initiativen der verschiedensten Art) nicht unbedingt vom Zentrum des Systems aus; sie konnten von recht peripheren Orten im diplomatischen Apparat, von militärischen Befehlshabern, von Ministerialbeamten und sogar von Botschaftern ausgehen, die häufig auf eigene Faust Entscheidungsträger waren.
Die erhaltenen Quellen präsentieren uns somit ein Wirrwarr aus Versprechungen, Drohungen, Plänen und Prognosen - genau dies ist nicht zuletzt der Grund dafür, dass der Kriegsausbruch auf so irritierend vielfältige Weise interpretiert wurde und wird. So gut wie jede Sichtweise der Ursprünge lässt sich anhand einer Auswahl der verfügbaren Quellen belegen. Und das erklärt wiederum zum Teil, weshalb die Literatur zu den »Anfängen des Ersten Weltkriegs« so gigantische Ausmaße erreicht hat, dass kein einziger Historiker (nicht einmal eine Fantasiegestalt, welche alle erforderlichen Sprachen fließend beherrscht) jemals hoffen kann, alle diese Werke zu Lebzeiten zu lesen - schon vor zwanzig Jahren umfasste eine Bibliographie der damaligen Literatur 25 000 Bücher und Artikel. Manche Darstellungen haben sich ganz auf die Frage der Verantwortung eines schwarzen Schafes unter den europäischen Staaten kapriziert (mit Deutschland als häufigstem Kandidaten, aber keine einzige Großmacht blieb von der Zuweisung der Hauptverantwortung völlig verschont); andere haben die Schuld aufgeteilt oder nach Fehlern im »System« gesucht. Die Frage war stets so aktuell und vielschichtig, dass die Diskussion unablässig weiterging. Und im Kontext der historischen Diskussionen, die sich tendenziell mit den Fragen der Schuld oder der Beziehung zwischen individueller Urheberschaft und strukturellen Zwängen befassten, erstreckt sich ein weites Feld an Kommentaren zu den internationalen Beziehungen, in denen Kategorien wie Abschreckung, Entspannung und Unabsichtlichkeit oder verallgemeinerbare Mechanismen wie Ausbalancieren, Verhandeln und Einreihen in den Vordergrund rücken. Obwohl die Erörterung dieser Frage inzwischen fast hundert Jahre alt ist, besteht kein Grund zu der Annahme, dass sie obsolet ist.
Auch wenn die Diskussion alt ist, so ist das Thema immer noch aktuell, eigentlich ist es heute sogar aktueller und bedeutsamer als vor zwanzig oder dreißig Jahren. Die Umbrüche in unserer eigenen Welt haben unsere Sichtweise der Ereignisse von 1914 verändert. Es war einfach, sich die Katastrophe von Europas »letztem Sommer« als ein Kostümspektakel der Ära Eduards VII. vorzustellen. Die verweichlichten Rituale und pompösen Uniformen, der »Ornamentalismus« einer Welt, die immer noch zum großen Teil in erblichen Monarchien organisiert war, hatten eine distanzierende Wirkung auf die heutige Erinnerung. Sie schienen zu signalisieren, dass die Protagonisten Menschen aus einer anderen, untergegangenen Welt waren. Die Vermutung hielt sich hartnäckig, dass die Akteure, wenn sie schon buschige, grüne Straußenfedern auf ihren Hüten trugen, auch entsprechende Gedanken und Motive gehabt haben mussten.
Dabei muss jedem Leser aus dem 21. Jahrhundert, der den Verlauf der Krise von 1914 aufmerksam verfolgt, deren Aktualität ins Auge springen. Alles fing mit einem Kommando von Selbstmordattentätern und einem Autokorso an. Hinter der Gräueltat von Sarajevo stand eine erklärte Terrororganisation, die einen Opfer-, Todes- und Rachekult pflegte; überdies war diese Terrororganisation extraterritorial und kannte keinen eindeutigen geographischen oder politischen Ort. Sie war in Zellen über politische Grenzen hinweg verstreut, man konnte sie nicht zur Rechenschaft ziehen, zu einer souveränen Regierung unterhielt sie lediglich indirekt und heimlich Kontakte, die für Außenstehende kaum auszumachen waren. Tatsächlich könnte man sogar behaupten, dass die Julikrise 1914 uns heute weniger fremd - weniger unerklärlich - ist als noch in den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Seit dem Ende des Kalten Krieges ist an die Stelle des Systems globaler, bipolarer Stabilität ein weit komplexeres und unberechenbareres Gefüge von Kräften getreten, einschließlich einiger Reiche im Niedergang und aufsteigender Mächte - ein Zustand, der zum Vergleich mit der Situation in Europa anno 1914 geradezu einlädt. Dieser Perspektivwechsel veranlasst uns, die Geschichte der Entwicklung zum Krieg neu zu betrachten. Wenn man sich dieser Herausforderung stellt, so heißt das keineswegs, mit aller Gewalt einen banalen Gegenwartsbezug herzustellen, der sich die Vergangenheit so zurechtbastelt, dass sie den Bedürfnissen der Gegenwart entspricht, sondern es geht darum, jene Merkmale der Vergangenheit zu erkennen, auf die wir durch unseren veränderten Standpunkt einen klareren Blick erhalten haben.
Dazu zählt etwa der Balkankontext des Kriegsbeginns. Serbien ist einer der blinden Flecke der Historiographie zur Julikrise. Das Attentat in Sarajevo wird in vielen Darstellungen als reiner Vorwand behandelt, als ein Ereignis ohne großen Einfluss auf die eigentlichen Kräfte, deren Zusammenspiel den Konflikt herbeiführte. In einer ausgezeichneten Studie zum Ausbruch des Krieges 1914 erklären die Autoren: »Die Morde [in Sarajevo] allein lösten nichts aus. Erst die Art und Weise, wie dieses Ereignis ausgenutzt wurde, führte die Nationen in den Krieg.« Die Marginalisierung der serbischen und damit der breiteren Balkandimension der Geschichte setzte schon während der Julikrise ein, die als eine Antwort auf die Morde in Sarajevo begann, aber später eine andere Richtung erhielt und in eine geopolitische Phase eintrat, in der Serbien und seine Aktionen eine untergeordnete Rolle spielten.
Auch unser moralischer Kompass hat sich verändert. Die Tatsache, dass ein serbisch dominiertes Jugoslawien als einer der Siegerstaaten aus diesem Krieg hervorging, schien implizit die Tat des Mannes zu rechtfertigen, der am 28. Juni die Schüsse abgab - so sahen es mit Sicherheit die jugoslawischen Behörden, die den Ort des Attentats mit Fußabdrücken aus Bronze und einer Tafel markierten, welche die »ersten Schritte in die Freiheit der Jugoslawen« feierten. In einer Zeit, in der die nationale Idee noch jung und voller Versprechungen war, herrschte intuitiv Sympathie mit dem Nationalismus der Südslawen und wenig Sympathie für die schwerfällige Völkergemeinschaft des Habsburger Reichs. Die Kriege im Ex-Jugoslawien der neunziger Jahre haben uns an die Tödlichkeit des Nationalismus auf dem Balkan erinnert. Seit Srebrenica und der Belagerung Sarajevos fällt es schwerer, Serbien als reines Objekt oder Opfer der Großmachtpolitik zu sehen, stattdessen kann man sich leichter den serbischen Nationalismus als eigene historische Kraft vorstellen. Aus der Sicht der heutigen Europäischen Union betrachten wir den zerfallenen Flickenteppich des habsburgischen Österreich-Ungarn tendenziell mit mehr Sympathie - oder zumindest weniger Verachtung.
Schließlich dürfte heute kaum jemand auf die Idee kommen, die beiden Morde in Sarajevo als ein bloßes Unglück abzutun, das unmöglich gewichtigere Folgen zeitigen konnte. Die Anschläge auf das World Trade Center im September 2001 haben uns exemplarisch vor Augen geführt, inwiefern ein einziges, symbolträchtiges Ereignis - so tief es auch in einem größeren historischen Prozess verwurzelt sein mag - die Politik unwiderruflich verändern kann, indem es bisherige Optionen zunichte- macht und neuen Optionen eine unvorhersehbare Dringlichkeit verleiht. Wenn man Sarajevo und den Balkan wieder in den Mittelpunkt der Geschichte rückt, so heißt das keineswegs, dass die Serben oder ihre Politiker dämonisiert werden, noch entlässt es uns aus der Verpflichtung, die Kräfte zu verstehen, die auf und in den serbischen Politikern, Offizieren und Aktivisten wirkten, deren Verhalten und Entscheidungen nicht zuletzt bestimmten, welche Konsequenzen die Schüsse von Sarajevo haben würden.
Das vorliegende Buch setzt sich zum Ziel, die Julikrise von 1914 als ein modernes Ereignis zu verstehen, als das komplexeste Ereignis der heutigen Zeit, womöglich bislang aller Zeiten. Es befasst sich weniger mit der Frage, warum der Krieg ausbrach, als damit, wie es dazu kam. Die Fragen nach dem Warum und Wie sind logisch untrennbar miteinander verbunden, aber sie führen uns in verschiedene Richtungen. Die Frage nach dem Wie fordert uns auf, die Abfolge der Interaktionen näher zu untersuchen, die bestimmte Ergebnisse bewirkten. Hingegen lädt uns die Frage nach dem Warum ein, nach fernen und nach Kategorien geordneten Ursachen zu suchen: Imperialismus, Nationalismus, Rüstung, Bündnisse, Hochfinanz, Vorstellungen der nationalen Ehre, Mechanismen der Mobilisierung. Der »Warum-Ansatz« bringt zwar eine gewisse analytische Klarheit, aber er hat auch einen verzerrenden Effekt, weil er die Illusion eines ständig wachsenden Kausaldrucks erzeugt. Die Faktoren türmen sich auf und drücken auf die Ereignisse; politische Akteure werden zu reinen ausführenden Organen der Kräfte, die sich längst etabliert haben und ihrer Kontrolle entziehen.
In der Geschichte, die dieses Buch erzählt, bestimmen handlungsfähige und -bereite Entscheidungsträger das Bild. Diese Entscheidungsträger (Könige, Kaiser, Außenminister, Botschafter, Militärs und eine Fülle kleinerer Beamter) bewegten sich mit behutsamen, wohlberechneten Schritten auf die Gefahr zu. Der Ausbruch des Krieges war der Höhepunkt in einer Kette von Entscheidungen, die von politischen Akteuren mit bewussten Zielen getroffen wurden. Diese Akteure waren bis zu einem gewissen Grad der Selbstreflexion fähig, sie erkannten eine Auswahl von Optionen und bildeten sich auf der Basis der besten Informationen, die ihnen vorlagen, ein Urteil. Nationalismus, Rüstung, Bündnisse und Hochfinanz waren allesamt Teil der Geschichte, aber man kann ihnen lediglich dann eine echte erklärende Bedeutung beimessen, wenn man aufzeigen kann, dass sie Entscheidungen beeinflussten, die - zusammengenommen - den Krieg ausbrechen ließen.
Ein bulgarischer Historiker der Balkankriege stellte unlängst treffend fest: »Sobald wir die Frage ›warum‹ stellen, wird Schuld zum Brennpunkt. « Fragen nach der Schuld und Verantwortung für den Kriegsausbruch flossen schon vor Beginn des Krieges in diese Geschichte ein. Der gesamte Quellenbestand steckt voller Schuldzuschreibungen (denn es ist eine Eigenart dieser Krise, dass alle Handelnden dem Gegner aggressive Absichten unterstellten und sich selbst defensive Intentionen bescheinigten), und das Urteil, das Artikel 231 des Friedensvertrags von Versailles enthält, hat dafür gesorgt, dass die »Kriegsschuldfrage« weiterhin aktuell ist. Auch hier legt der Fokus auf dem Wie eine alternative Vorgehensweise nahe: eine Reise durch die Ereignisse, die nicht von der Notwendigkeit getrieben wird, eine Anklageschrift gegen diesen oder jenen Staat oder diese oder jene Person zu schreiben, sondern sich zum Ziel setzt, die Entscheidungen zu erkennen, die den Krieg herbeiführten, und die Gründe und Emotionen zu verstehen, die dahintersteckten. Das heißt nicht, dass die Frage nach der Verantwortung ganz aus der Diskussion ausgeklammert wird - nach Möglichkeit sollen die Antworten auf die Warum-Frage jedoch aus den Antworten auf Fragen nach dem Wie erwachsen, statt umgekehrt.
Dieses Buch erzählt, wie der Krieg nach Europa kam. Es zeichnet die Pfade zum Krieg in einem mehrschichtigen Narrativ nach, das die wichtigsten Entscheidungszentren in Wien, Berlin, St. Petersburg, Paris, London und Belgrad umfasst, mit kurzen Exkursionen nach Rom, Konstantinopel und Sofia. Es ist in drei Teile gegliedert. Der erste Teil konzentriert sich auf die beiden Antagonisten Serbien und Österreich- Ungarn, deren Streit den Konflikt auslöste. Er zeichnet ihre Interaktionen bis zum Vorabend der Morde in Sarajevo nach. Teil II unterbricht den erzählerischen Ansatz und geht in vier Kapiteln vier Fragen auf den Grund: Wie kam die Polarisierung Europas in entgegengesetzte Bündnisblöcke eigentlich zustande? Wie gestalteten die Regierungen der europäischen Staaten die Außenpolitik? Wie kam es, dass der Balkan - eine Randzone fernab von den europäischen Zentren der Macht und des Geldes - zum Schauplatz einer so gigantischen Krise wurde? Wie brachte ein internationales System, das allem Anschein nach in eine Phase der Entspannung eintrat, einen allgemeinen Krieg hervor? Teil III beginnt mit dem Attentat in Sarajevo und schildert die Julikrise selbst, wobei die Wechselbeziehungen zwischen den wichtigen Entscheidungszentren untersucht und die Kalkulationen, Missverständnisse und Entscheidungen ans Licht gebracht werden, welche die Krise in die nächste Phase eintreten ließen.
Eine zentrale These dieses Buches lautet, dass man die Ereignisse vom Juli 1914 nur dann verstehen kann, wenn man die Wege, welche die Hauptentscheidungsträger beschritten, beleuchtet und ihre Sicht der Ereignisse schildert. Dazu genügt es allerdings nicht, einfach die Abfolge der internationalen »Krisen« Revue passieren zu lassen, die dem Kriegsausbruch vorausgingen - wir müssen uns vor Augen führen, wie jene Ereignisse empfunden und in Narrative eingewoben wurden, welche die Wahrnehmungen prägten und Verhalten motivierten. Warum verhielten sich jene Männer, deren Entscheidungen Europa in den Krieg führten, ausgerechnet so und sahen die Dinge auf diese Weise? Wie lassen sich das Gefühl der Angst und die dunklen Vorahnungen, die einem in so vielen Quellen begegnen, in Einklang bringen mit der Arroganz und Prahlerei, auf die wir stoßen - häufig zum Ausdruck gebracht von ein und derselben Person? Warum spielten so exotische Besonderheiten der Vorkriegszeit wie die albanische Frage und das »bulgarische Darlehen« eine so große Rolle, und wie trafen sie in den Köpfen jener Personen, die die politische Macht innehatten, aufeinander? Als die Entscheidungsträger über die internationale Lage oder externe Bedrohungen diskutierten, sahen sie da die Realität oder projizierten sie ihre eigenen Ängste und Wünsche auf ihre Widersacher, oder beides? So anschaulich wie möglich sollen hier die überaus dynamischen »Entscheidungspositionen « rekonstruiert werden, die von den Hauptakteuren im Vorfeld und während des Sommers 1914 eingenommen wurden.
In einer der interessantesten jüngeren Publikationen über diesen Krieg wird die These aufgestellt, dass er nicht nur keineswegs unvermeidlich, sondern tatsächlich »unwahrscheinlich« gewesen sei - zumindest bis zu seinem Ausbruch. Daraus würde folgen, dass der Konflikt nicht die Konsequenz einer langfristigen Verschlechterung der Beziehungen war, sondern kurzfristiger Erschütterungen des internationalen Systems. Ob man diese Anschauung nun teilt oder nicht, sie hat den Vorteil, dass sie das Element des Zufalls in das Geschehen einbringt. Und es trifft mit Sicherheit zu, dass manche Entwicklungen, die ich hier untersuche, zwar unmissverständlich in die Richtung der tatsächlichen Ereignisse von 1914 weisen, dass andere Vektoren des Wandels vor dem Krieg aber auch auf Ergebnisse hindeuten, die schließlich nicht Realität wurden. Dies im Hinterkopf, möchte ich in diesem Buch zeigen, wie die einzelnen Puzzleteilchen der Kausalität zusammenkamen, die, sobald sie an Ort und Stelle lagen, den Kriegsausbruch ermöglichten. Allerdings möchte ich dabei den Ausgang nicht allzu sehr im Voraus festlegen. Ich habe versucht, mir stets vor Augen zu halten, dass die in diesem Buch beschriebenen Menschen, Ereignisse und Kräfte in sich den Keim für andere, vielleicht nicht ganz so schreckliche Zukünfte trugen.
TEIL I
WEGE NACH SARAJEVO
KAPITEL 1
Serbische Schreckgespenster
Mord in Belgrad
Kurz nach zwei Uhr morgens am 11. Juni 1903 näherten sich 28 Offiziere der serbischen Armee dem Haupteingang des Königspalastes in Belgrad. Nach einem Schusswechsel wurden die Wachen vor dem Gebäude verhaftet und entwaffnet. Mit den Schlüsseln, die sie dem befehlshabenden Offizier abnahmen, drangen die Verschwörer in die Empfangshalle ein und begaben sich zu den königlichen Schlafgemächern. Eilig rannten sie die Stufen hoch und die Korridore entlang. Als die Verschwörer feststellten, dass die königlichen Gemächer von einer schweren Eichentür versperrt waren, sprengten sie die Tür mit einer Schachtel Dynamit auf. Die Sprengladung war so stark, dass die Flügel aus den Angeln gerissen und quer durch das Vorzimmer geschleudert wurden. Der Adjutant des Königs, der hinter der Tür gestanden hatte, wurde tödlich getroffen. Die Detonation ließ darüber hinaus im Palast den Strom ausfallen, sodass es im ganzen Gebäude stockfinster wurde. Die Eindringlinge ließen sich davon nicht abhalten, entdeckten in einem Nachbarzimmer ein paar Kerzen und stürmten weiter. Als sie das Schlafzimmer erreichten, waren König Alexander und Königin Draga nicht mehr dort. Aber der französische Roman, den die Königin gelesen hatte, lag aufgeschlagen mit den Seiten nach unten auf dem Nachttisch. Jemand berührte die Laken und spürte, dass das Bett noch warm war - offenbar hatte das Paar es erst vor kurzem verlassen. Nachdem die Eindringlinge vergeblich das Schlafzimmer durchsucht hatten, durchkämmten sie mit Kerzen und gezogenem Revolver in den Händen den ganzen Palast.
Während die Offiziere von Zimmer zu Zimmer zogen und auf Schränke, Wandteppiche und andere potenzielle Verstecke schossen, kauerten König Alexander und Königin Draga im ersten Stock in einem winzigen Anbau zur Schlafkammer, wo die Dienstmädchen der Königin in der Regel ihre Kleider bügelten und stopften. Fast zwei Stunden dauerte die Suche. Der König nutzte diese Pause, um sich so leise wie möglich eine Hose und ein rotes Seidenhemd anzuziehen; er wollte nicht, dass seine Feinde ihn nackt fanden. Der Königin gelang es derweil, sich mit einem Unterrock, einem Korsett aus weißer Seide und einem einzigen gelben Strumpf notdürftig zu bekleiden.
Unterdessen wurden in der Stadt weitere Opfer aufgetrieben und getötet: Die beiden Brüder der Königin, die allgemein verdächtigt wurden, Ränke gegen den serbischen Thron zu schmieden, wurden aus dem Haus ihrer Schwester in Belgrad gejagt und »zu einer Wache in der Nähe des Palastes gebracht, wo sie beschimpft und barbarisch niedergemacht wurden«. Auch in die Wohnungen des Regierungschefs Dimitrije Cincar-Markovic und des Kriegsministers Milovan Pavlovic drangen Mörder ein. Beide wurden erschlagen; auf Pavlovic, der sich in einer Holzkiste versteckt hatte, wurden 25 Schüsse abgegeben. Innenminister Belimir Theodorovic wurde angeschossen und irrtümlich für tot gehalten, erholte sich später aber von seinen Wunden; andere Minister wurden unter Arrest gestellt.
Im Palast wurde der loyale erste Adjutant des Königs, Lazar Petrovic, den man nach einem Schusswechsel entwaffnet und gefasst hatte, von den Verschwörern durch die dunklen Zimmer geführt und gezwungen, den König von jeder Tür aus zu rufen. Als sie zu einer zweiten Suche in die Schlafkammer zurückkehrten, entdeckten sie schließlich hinter dem Wandteppich einen versteckten Eingang. Ein Angreifer schlug vor, kurzerhand die Wand mit einer Axt einzuschlagen. Da erkannte Petrovic, dass das Spiel aus war, und erklärte sich bereit, den König aufzufordern, sein Versteck zu verlassen. Hinter der Täfelung fragte der König nach, wer denn rufe, worauf der Adjutant antwortete: »Ich bin's, Euer Laza, öffnet Euren Offizieren die Tür!« Der König erwiderte: »Kann ich mich auf den Eid meiner Offiziere verlassen?« Die Verschwörer antworteten zustimmend. Einer Version zufolge erschien der König, vor Angst zitternd, die Brille auf der Nase und notdürftig mit dem roten Hemd bekleidet, in seinen Armen die Königin. Das Paar wurde in einem Kugelhagel aus nächster Nähe niedergeschossen. Petrovic, der einen versteckten Revolver in einem aussichtslosen Versuch zog, seinen Herrn zu schützen (zumindest wurde das später behauptet), wurde ebenfalls getötet. Es folgte eine Orgie sinnloser Gewalt. Die Leichen wurden, laut der späteren Aussage des traumatisierten, italienischen Barbiers des Königs, dem man den Befehl erteilte, die Körper abzuholen und sie für das Begräbnis einzukleiden, mit Säbeln zerstochen, mit einem Bajonett aufgerissen, teilweise ausgenommen und mit einer Axt zerhackt, bis sie zur Unkenntlichkeit verstümmelt waren. Der Leichnam der Königin wurde zum Geländer des Schlafzimmerfensters geschleppt und, so gut wie nackt und völlig blutverschmiert, in den Garten geworfen. Als die Mörder versuchten, mit Alexander ebenso zu verfahren, schloss sich dem Vernehmen nach eine Hand des Königs für einen Moment um das Geländer. Ein Offizier hackte die Faust mit einem Säbel durch. Die einzelnen Finger und der Körper des Monarchen fielen zu Boden. Als sich die Attentäter im Garten versammelt hatten, um eine Zigarette zu rauchen und ihr Zerstörungswerk zu inspizieren, fing es an zu regnen.
Die Ereignisse vom 11. Juni 1903 markierten einen Neubeginn in der serbischen politischen Geschichte. Die Dynastie Obrenovic, die Serbien während des größten Teils der kurzen Existenz des Landes als unabhängiger Staat regiert hatte, war ausgelöscht. Nur wenige Stunden nach dem Attentat verkündeten die Verschwörer das Ende der Obrenovic-Linie und die Thronbesteigung durch Peter Karadjordjevic, der damals in der Schweiz im Exil lebte.
Warum wurde mit der Obrenovic-Dynastie so schonungslos abgerechnet? Die Monarchie hatte in Serbien nie stabile Institutionen etabliert. Die Wurzel des Problems lag nicht zuletzt im Nebeneinander rivalisierender dynastischer Familien. Zwei große Sippen, die der Obrenovic und der Karadjordjevic, hatten sich in dem Befreiungskrieg gegen die osmanische Herrschaft ausgezeichnet. Der dunkelhäutige einstige Viehhirte »Kara Djordje« (serbisch für »Schwarzer Georg«) Petrovic, der Begründer der Karadjordjevic-Linie, führte im Jahr 1804 einen Aufstand an, mit dem es ihm gelang, für einige Jahre die Osmanen aus Serbien zu vertreiben. Im Jahr 1813 flüchtete er jedoch ins österreichische Exil, als die Osmanen eine Gegenoffensive begannen. Zwei Jahre danach brach unter der Führung von Miloš Obrenovic ein zweiter Aufstand aus. Dem geschickten Politiker Obrenovic gelang es, mit den osmanischen Behörden die Anerkennung eines serbischen Fürstentums auszuhandeln. Als Karadjordjevic aus dem Exil nach Serbien zurückkehrte, wurde er auf Befehl von Obrenovic und mit dem Einverständnis der Osmanen ermordet. Nachdem Obrenovic sich seinen ärgsten Widersacher vom Hals geschafft hatte, wurde ihm der Titel Fürst (serbisch: knez) von Serbien verliehen. Angehörige des Obrenovic-Clans regierten Serbien während des größten Teils seines Bestehens als Fürstentum innerhalb des Osmanischen Reiches (1817-1878).
Die beiden rivalisierenden Dynastien, eine exponierte Lage zwischen dem Osmanischen und dem Habsburgischen Reich und eine ausgesprochen respektlose politische Kultur, die von Kleinbauern dominiert wurde - alle diese Faktoren zusammengenommen sorgten dafür, dass die Monarchie eine umstrittene Einrichtung blieb. Es ist bezeichnend, wie wenige serbische Regenten des 19. Jahrhunderts auf dem Thron eines natürlichen Todes starben. Der Gründer des Fürstentums, Miloš Obrenovic, war ein grausamer Autokrat, dessen Herrschaft immer wieder von Aufständen erschüttert wurde. Im Sommer 1839 dankte er zugunsten seines ältesten Sohnes Milan ab, der zu dem Zeitpunkt so schwer an den Masern erkrankt war, dass er bei seinem Tod 13 Tage später noch immer nichts von seinem Aufstieg mitbekommen hatte. Die Herrschaft des jüngeren Sohnes Mihailo fand ein vorzeitiges Ende, als er durch eine Rebellion im Jahr 1842 abgesetzt wurde. Damit war der Weg frei für die Einsetzung eines Karadjordjevic - keines anderen als Alexander, Sohn des »Schwarzen Georgs«. Aber im Jahr 1858 wurde auch Alexander gezwungen abzudanken, ihn löste wiederum Mihailo ab, der im Jahr 1860 auf den Thron zurückkehrte. Mihailo war in seiner zweiten Regierungszeit nicht beliebter als in der ersten; acht Jahre später fiel er gemeinsam mit einer Kusine einer Verschwörung zum Opfer, die möglicherweise der Karadjordjevic-Clan unterstützt hatte.
Die lange Regierungszeit von Mihailos Nachfolger, Fürst Milan Obrenovic (1868-1889), brachte ein gewisses Maß an politischer Stabilität. Im Jahr 1882, vier Jahre nachdem der Berliner Kongress Serbien den Status eines unabhängigen Staates zuerkannt hatte, erklärte Milan das Land zu einem Königreich und sich selbst zum König. Doch die außerordentlich starken politischen Turbulenzen blieben ein Problem. Im Jahr 1883 lösten die Bemühungen der Regierung, die Feuerwaffen der Bauernmilizen im Nordosten Serbiens zu konfiszieren, einen großen Provinzaufstand aus: den Timoker Aufstand. Milan antwortete mit brutalen Vergeltungsmaßnahmen gegen die Rebellen und einer Hexenjagd auf führende politische Persönlichkeiten in Belgrad, die im Verdacht standen, die Unruhen geschürt zu haben.
Die serbische politische Kultur wandelte sich Anfang der 1880er Jahre durch das Aufkommen moderner politischer Parteien mit eigenen Zeitungen, Versammlungen, Manifesten, Wahlkampfstrategien und lokalen Ausschüssen. Auf diese beeindruckende neue Kraft im öffentlichen Leben antwortete der König im Stil eines echten Autokraten. Als die Wahlen von 1883 eine feindliche Mehrheit im serbischen Parlament (der sogenannten Skupština) ergaben, weigerte sich der König kurzerhand, eine von der dominierenden Radikalen Volkspartei gestellte Regierung zu ernennen, und beschloss stattdessen, ein Kabinett aus Bürokraten zusammenzustellen. Die Skupština wurde per Dekret eröffnet und zehn Minuten danach wiederum per Dekret geschlossen. Ein katastrophaler Krieg gegen Bulgarien im Jahr 1885 (die Folge von Entscheidungen königlicher Vertreter, die ohne jede Rücksprache mit Ministern geschweige denn dem Parlament getroffen wurden) sowie eine erbitterte und skandalöse Scheidung von seiner Frau Königin Nathalie schadeten zusätzlich dem Ruf des Monarchen. Als Milan 1889 abdankte (nicht zuletzt in der Hoffnung, die hübsche junge Frau seines Privatsekretärs zu ehelichen), schien sein Abgang längst überfällig.
Die Regentschaft, die während der Minderjährigkeit von Milans Sohn Kronprinz Alexander als serbische Regierung eingesetzt wurde, hatte vier Jahre lang Bestand. Im Jahr 1893 stürzte Alexander selbst im Alter von nur 16 Jahren in einem bizarren Staatsstreich die Regentschaft: Die Kabinettsminister wurden zu einem Abendessen eingeladen, und ihnen wurde bei einem Trinkspruch in aller Freundschaft mitgeteilt, dass sie alle unter Arrest ständen. Der junge König kündigte an, dass er die Absicht habe, die »volle königliche Autorität« für sich zu beanspruchen; zentrale Ministerialgebäude und das Telegrafenamt waren bereits vom Militär besetzt worden. Die Bürger von Belgrad sahen am nächsten Morgen an jeder Straßenecke Plakate, die bekannt gaben, dass Alexander die Macht übernommen habe.
In Wirklichkeit hielt hinter den Kulissen immer noch Ex-König Milan die Fäden in der Hand. Milan hatte seinerzeit die Regentschaft eingesetzt, und Milan hatte auch den Putsch im Namen seines Sohnes inszeniert. In einem grotesken familieninternen Schachzug, für den man in Europa kaum eine zeitgenössische Parallele finden dürfte, diente der abgetretene Vater als höchster Berater für den königlichen Sohn. In den Jahren 1897 bis 1900 wurde dieses Arrangement in der »Milan Alexander-Dyarchie« offiziell bestätigt. »Königvater Milan« wurde zum Oberbefehlshaber der serbischen Armee ernannt, der erste und letzte Zivilist in diesem Amt.
Unter Alexanders Herrschaft begann die Endphase der Geschichte der Obrenovic-Dynastie. Mit der Rückendeckung seines Vaters verspielte Alexander rasch das hoffnungsfrohe Wohlwollen der Bevölkerung, das häufig mit der Einsetzung einer neuen Ordnung einhergeht. Er ignorierte die vergleichsweise liberalen Bestimmungen der serbischen Verfassung und führte stattdessen eine Art neoabsolutistischer Herrschaft ein: Geheime Wahlen wurden abgeschafft, die Pressefreiheit wurde aufgehoben, Zeitungen wurden geschlossen. Als die Führung der Radikalen Volkspartei protestierte, sahen sie sich kurzerhand ausgeschlossen von der Machtausübung. In der Manier eines Möchtegern-Diktators schaffte Alexander Verfassungen ab, führte neue ein und setzte sie wieder aus. Er zeigte nicht den geringsten Respekt für die Unabhängigkeit der Justiz und intrigierte sogar gegen hohe Politiker. Das Spektakel, wie der König und Königvater Milan skrupellos im Tandem die Hebel der Macht bedienten - ganz zu schweigen von Königinmutter Nathalie, die trotz der gescheiterten Ehe mit Milan immer noch großen Einfluss hatte -, wirkte sich verheerend auf das Ansehen der Dynastie aus.
Alexanders Entscheidung, die umstrittene Witwe eines ominösen Ingenieurs zu heiraten, trug nicht gerade dazu bei, die Lage zu entspannen. Er hatte Draga Mašin 1897 kennengelernt, als sie als Hofdame bei seiner Mutter gedient hatte. Draga war zehn Jahre älter als der König, in der Belgrader Gesellschaft unbeliebt, galt gemeinhin als unfruchtbar und war für ihre angeblich zahlreichen sexuellen Beziehungen hinlänglich bekannt. Während einer hitzigen Sitzung des Kronrats, als die Minister vergeblich versuchten, den König von einer Heirat mit Mašin abzubringen, brachte der Innenminister Djordje Gencic ein gewichtiges Argument vor: »Sire, Ihr könnt sie nicht heiraten. Sie war die Mätresse von allen und jedem - auch meine.« Die Belohnung für die Offenherzigkeit des Ministers war eine heftige Ohrfeige - Gencic sollte sich später einer Mordverschwörung gegen den König anschließen. Mit anderen hohen Regierungsvertretern kam es zu ähnlichen Auseinandersetzungen. Auf einer sehr gereizten Kabinettssitzung schlug der amtierende Regierungschef sogar vor, den König im Palast unter Hausarrest zu stellen oder ihn gefesselt und geknebelt außer Landes zu schaffen, um die Trauung zu verhindern. Der Widerstand gegen Mašin in den herrschenden Schichten war so stark, dass es dem König eine Zeitlang schwerfiel, geeignete Kandidaten für hohe Ämter zu finden; schon die Meldung von der Verlobung Alexanders und Dragas führte dazu, dass die Kabinettsminister geschlossen ihren Rücktritt erklärten, und der König musste sich notgedrungen mit einem lückenhaften »Hochzeitskabinett « aus unbekannten Persönlichkeiten abfinden.
Der Streit um die Ehe belastete auch die Beziehung zwischen dem König und seinem Vater. Milan war so empört über die Aussicht, dass Draga seine Schwiegertochter werden sollte, dass er von seinem Posten als Oberbefehlshaber der Armee zurücktrat. In einem Brief an seinen Sohn vom Juni 1900 erklärte er, dass Alexander »Serbien in einen Abgrund stürze«, und schloss mit einer unverhüllten Warnung: »Ich werde als Erster die Regierung begeistert begrüßen, die Euch nach einer solchen Dummheit von Eurer Seite aus dem Land jagt.« Alexander hielt dennoch an seinem Vorhaben fest (er und Draga wurden am 23. Juni 1900 in Belgrad getraut) und nutzte die Gelegenheit, die der Rücktritt seines Vaters bot, um die eigene Kontrolle über das Offizierskorps zu stärken. Es folgte eine »Säuberung« von Milans Freunden (und Dragas Gegnern) aus hohen militärischen und zivilen Posten. Der Königvater wurde weiterhin ständig observiert, dann gebeten, Serbien zu verlassen, und anschließend wurde ihm die Rückkehr untersagt. Es war eine gewisse Erleichterung für das königliche Paar, als Milan, der sich in Österreich niedergelassen hatte, im Januar 1901 starb.
Ende 1900 stieg für kurze Zeit die Beliebtheit des Monarchen wiederum, als der Palast bekannt gab, dass die Königin ein Kind erwarte. Es folgte eine Woge öffentlicher Sympathiebekundungen. Allerdings war im April 1901 die Woge der Empörung entsprechend heftig, als sich herausstellte, dass Dragas Schwangerschaft lediglich eine List gewesen war, um die öffentliche Meinung zu besänftigen (in der Hauptstadt kursierten gar Gerüchte von einem vereitelten Plan, ein »untergeschobenes Kind« als serbischen Thronerben einzusetzen). Blind und taub für die Stimmung im Volk inszenierte Alexander einen regelrechten Kult um Getty Images seine Königin, feierte ihren Geburtstag mit pompösen öffentlichen Veranstaltungen und benannte Regimenter, Schulen und sogar Dörfer nach ihr. Gleichzeitig leistete er sich immer dreistere Spielchen mit der Verfassung. In einem berühmten Fall im März 1903 hob der König mitten in der Nacht die serbische Verfassung auf, führte eilends neue repressive Bestimmungen im Presse- und Versammlungsrecht in die Gesetzbücher ein und setzte die Verfassung nur 45 Minuten später wieder in Kraft.
Im Frühjahr 1903 hatten Alexander und Draga den größten Teil der serbischen Gesellschaft gegen sich. Die Radikale Volkspartei, die bei den Wahlen im Juli 1901 eine absolute Mehrheit der Sitze erlangt hatte, verabscheute die autokratischen Maßnahmen des Königs. Unter den einflussreichen Kaufmanns- und Bankiersfamilien (insbesondere jenen, die am Export von Vieh und Lebensmitteln beteiligt waren) werteten viele die Wien-freundliche Außenpolitik der Obrenovic-Dynastie als Fesselung der serbischen Wirtschaft an ein österreichisches Monopol und als Hindernis für die einheimischen Kapitalisten beim Zugang zu den Weltmärkten. Am 6. April 1903 wurde eine Demonstration in Belgrad, die gegen die Verfassungsmanipulation des Königs protestierte, von der Polizei und Gendarmen brutal aufgelöst. Achtzehn Menschen kamen ums Leben, weitere fünfzig wurden verletzt. Über hundert Menschen, darunter etliche Offiziere, wurden verhaftet und ins Gefängnis gesteckt, die meisten wurden jedoch nach wenigen Tagen wieder entlassen.
Im Zentrum des wachsenden Widerstands gegen die Krone stand die serbische Armee. Um die Jahrhundertwende zählte die Armee zu den dynamischsten Einrichtungen in der serbischen Gesellschaft. In einer immer noch weitgehend ländlichen und unterentwickelten Wirtschaft, wo es kaum Möglichkeiten gab, eine vielversprechende Laufbahn einzuschlagen, war ein Offizierspatent ein bevorzugter Weg zu Status und Einfluss. Dieses Übergewicht war von König Milan noch verstärkt worden, indem er dem Militär reichlich Mittel zukommen ließ und das Offizierskorps aufstockte, während er zugleich die ohnehin mageren Ausgaben des Staates für höhere Bildung kürzte. Doch die fetten Jahre fanden nach dem Abschied des Königvaters im Jahr 1900 ein jähes Ende: Alexander kürzte das Militärbudget, man ließ es zu, dass Offiziersgehälter monatelang in Rückstand gerieten, und eine Vetternwirtschaft bei Hofe sorgte dafür, dass Freunde oder Verwandte des Königs und seiner Frau über die Köpfe ihrer Kollegen hinweg auf zentrale Posten befördert wurden. Dieser Groll wurde noch durch die (trotz offizieller Dementis) verbreitete Überzeugung geschürt, dass der König, da er keinen biologischen Thronerben hervorgebracht hatte, die Absicht habe, Königin Dragas Bruder Nikodije Lunjevica als Nachfolger auf den serbischen Thron zu setzen.
Im Sommer 1901 bildete sich um einen talentierten jungen Leutnant der serbischen Armee, der bei den Ereignissen im Juli 1914 eine wichtige Rolle spielen sollte, eine Verschwörung heraus. Dragutin Dimitrijevic, der später wegen seiner massigen Gestalt »Apis« genannt wurde, weil seine Anhänger ihn mit dem Stiergott des alten Ägyptens verglichen, war unmittelbar nach seinem Examen an der serbischen Militärakademie auf einen Posten im Generalstab befördert worden, ein untrügliches Zeichen für die hohe Meinung, die seine Vorgesetzten von ihm hatten. Dimitrijevic war wie geschaffen für die Welt der politischen Verschwörungen. Der geradezu manisch heimlichtuerische, ganz in seiner militärischen und politischen Arbeit aufgehende Apis, der bei der Wahl seiner Methoden keine Skrupel kannte und in kritischen Augenblicken stets einen kühlen Kopf behielt, eignete sich nicht dafür, eine große Volks bewegung anzuführen. Sein großes Talent bestand vielmehr darin, innerhalb kleiner Gruppen und in privaten Kreisen Anhänger zu gewinnen und aufzubauen, seinen Gefolgsleuten ein Gefühl der Bedeutung ihrer Aufgabe zu vermitteln, Zweifel verstummen zu lassen und zu extremen Aktionen zu motivieren. Ein Verschwörer beschrieb ihn als »geheime Kraft, der ich mich selbst zur Verfügung stellen musste, obwohl mir mein Verstand keinen Grund dafür nennen konnte«. Ein anderer Königsmörder wunderte sich über die Gründe für den Einfluss Apis': Weder seine Intelligenz, noch seine Redegewandtheit, noch die Kraft seiner Ideen schienen seine Wirkung ausreichend zu erklären. »Aber er war der Einzige unter uns, der allein durch seine Präsenz imstande war, meine Gedanken in seine Richtung zu lenken, und konnte mit wenigen, ganz normal dahingesagten Worten aus mir einen gehorsamen Vollstrecker seines Willens machen.« Das Milieu, in dem Dimitrijevic diese Talente einsetzte, war dezidiert männlich. Frauen kamen in seinem Erwachsenenleben nur am Rande vor; er ließ nie ein sexuelles Interesse an ihnen erkennen. Sein gewohntes Umfeld und der Schauplatz aller seiner Intrigen waren die rauchgeschwängerte, Männern vorbehaltene Welt der Belgrader Kaffeehäuser - ein Ort, der zugleich privat und öffentlich war, wo Gespräche geführt werden konnten, ohne dass sie zwangsläufig belauscht wurden. Die bekannteste erhaltene Aufnahme von ihm zeigt den Schnurrbart tragenden Ränkeschmied mit zwei Kameraden in einer charakteristisch verschwörerischen Pose.
Dimitrijevic hatte ursprünglich die Absicht, das königliche Paar auf einem Ball im Zentrum Belgrads am 11. September (dem Geburtstag der Königin) zu ermorden. Nach einem Plan, der aus einem Agententhriller von Ian Fleming stammen könnte, sollten zwei Offiziere das Kraftwerk an der Donau angreifen, das ganz Belgrad mit Strom versorgte, während ein anderer das kleinere Kraftwerk ausschalten sollte, das das Gebäude belieferte, in dem der Ball stattfand. Sobald die Lichter ausgegangen waren, wollten die vier Attentäter, die am Ball teilnahmen, die Vorhänge in Brand stecken, den Feueralarm auslösen und den König und seine Frau ermorden, indem sie die beiden zwangen, Gift zu schlucken (Feuerwaffen wären bei einer möglichen Durchsuchung entdeckt worden). Das Gift hatte man erfolgreich an einer Katze getestet, aber ansonsten scheiterte der Plan in jeder Beziehung. Das Kraftwerk erwies sich als zu schwer bewacht, und die Königin beschloss ohnehin, nicht an dem Ball teilzunehmen.
Die Verschwörer ließen sich von diesem und anderen gescheiterten Anschlägen nicht abschrecken und dehnten in den folgenden zwei Jahren die Reichweite der Verschwörung eifrig aus. Über einhundert Offiziere wurden rekrutiert, darunter viele jüngere Militärs. Ende 1901 bestanden auch Kontakte zu zivilen politischen Führern, darunter der ehemalige Innenminister Djordje Gencic, eben jener, der einst wegen seines offenen Protests gegen die Heiratspläne des Königs geohrfeigt worden war. Im Herbst 1902 erhielt die Verschwörung in einem geheimen Schwur förmlich Ausdruck. Der von Dimitrijevic-Apis stammende Wortlaut machte kein Hehl aus dem Ziel des Unternehmens: »In der Erwartung des sicheren Zusammenbruchs des Staates [...] und da wir dafür in erster Linie den König und die Mätresse Draga Mašin verantwortlich machen, schwören wir, dass wir sie ermorden werden, und setzen zu diesem Zweck unsere Unterschrift darunter.«
Im Frühjahr 1903, als dem Komplott zwischen 120 und 150 Verschwörer angehörten, war der Plan, das Königspaar im eigenen Palast zu ermorden, ausgereift. Die Durchführung erforderte jedoch umfassende Vorbereitungen, weil der König und seine Frau, die inzwischen von einer völlig berechtigten Paranoia erfasst worden waren, die Sicherheitsvorkehrungen verschärft hatten. Der König zeigte sich nie in der Stadt, außer in der Gesellschaft einer Schar von Begleitern; Draga hatte so große Angst vor einem Anschlag, dass sie sich einmal sechs Wochen lang nicht mehr aus dem Palast wagte. Die Wachen in und um das Gebäude wurden verdoppelt. Die Gerüchte um einen bevorstehenden Putsch waren so weit verbreitet, dass selbst die Londoner Times vom 27. April 1903 eine »vertrauliche« Belgrader Quelle mit folgenden Worten zitierte: »Es existiert eine so weitreichende militärische Verschwörung gegen den Thron, dass weder der König noch die Regierung es wagen, Schritte zu unternehmen, um sie zu zerschlagen.« Durch die Rekrutierung wichtiger Insider, darunter auch Offiziere der Palastwache und der eigene Adjutant des Königs, verfügten die Verschwörer über eine Möglichkeit, an der Reihe der Wachen vorbeizukommen und sich Zutritt zu den innersten Gemächern zu verschaffen. Das Datum für den Anschlag wurde erst drei Tage zuvor festgelegt, als bekannt war, dass alle wichtigen Verschwörer an Ort und Stelle und an ihren jeweiligen Posten im Dienst sein würden. Es wurde vereinbart, dass die Sache mit der größtmöglichen Eile durchgezogen und anschließend sofort bekannt gegeben werden musste, um einem Eingreifen der Polizei oder der Regimenter, die dem König die Treue hielten, zuvorzukommen. Das Bestreben, den Erfolg des Unternehmens so schnell wie möglich publik zu machen, dürfte nicht zuletzt erklären, weshalb man beschloss, die königlichen Leichen über den Balkon beim Schlafzimmer zu werfen. Apis schloss sich dem Mordkommando an, das sich Zutritt zu dem Palast verschaffte, verpasste jedoch den letzten Akt des Dramas: Er wurde bei einem Schusswechsel mit den Wachen am Haupteingang angeschossen und schwer verwundet. Er brach zusammen, verlor das Bewusstsein und wäre um ein Haar verblutet.
»Verantwortungslose Akteure«
»Stadt ruhig, Bevölkerung scheint allgemein ungerührt«, bemerkte Sir George Bonham, der britische Botschafter in Belgrad in einer lapidaren Note am Abend des 11. Juni für London. Die serbische »Revolution« sei, berichtete Bonham, von den Bewohnern der Hauptstadt »mit offener Befriedigung begrüßt« worden; der Tag nach den Morden sei »als Feiertag gefeiert und die Straßen mit Flaggen geschmückt« worden. Es herrschte »ein völliges Fehlen des gebührenden Bedauerns«. Das »auffälligste Merkmal« der serbischen Tragödie, erklärte Sir Francis Plunkett, Bonhams Kollege in Wien, sei »die außerordentliche Ruhe, mit der die Durchführung eines so grässlichen Verbrechens akzeptiert worden sei«.
Böse Zungen werteten diese gleichmütige Stimmung als Beweis für die Herzlosigkeit einer Nation, die von einer langen Tradition der Gewalt und des Königsmordes abgehärtet worden war. In Wahrheit hatten die Belgrader Bürger allen Grund, die Attentäter begeistert zu empfangen. Die Verschwörer übergaben die Macht unverzüglich an eine provisorische Allparteienregierung. Das Parlament wurde rasch wieder einberufen. Peter Karadjordjevic wurde aus seinem Schweizer Exil zurückgerufen und vom Parlament zum König gewählt. Die ausgeprägt demokratische Verfassung von 1888 wurde, nunmehr unter dem Namen Verfassung von 1903, mit geringfügigen Änderungen wieder in Kraft gesetzt. Das alte Problem der Rivalität zwischen zwei serbischen Dynastien war auf einen Schlag Vergangenheit. Der Umstand, dass Karadjordjevic, der einen großen Teil seines Lebens in Frankreich und in der Schweiz verbracht hatte, ein Anhänger John Stuart Mills war (in seinen jüngeren Jahren hatte er sogar Mills Essay „Über die Freiheit" ins Serbische übersetzt), wurde von allen liberal Gesinnten außerordentlich begrüßt.
Noch ermutigender war Peters Erklärung, die er nach der Rückkehr aus dem Exil vor der Bevölkerung abgab, dass er die Absicht habe, »als wahrhaft verfassungsmäßiger König Serbiens zu regieren«. Das Königreich wurde nunmehr zu einem echten parlamentarischen Staatswesen, in dem der Monarch herrschte, aber nicht regierte. Die Tatsache, dass der grausame Regierungschef Cincar-Markovic, ein Günstling Alexanders, während des Umsturzes ermordet worden war, war ein eindeutiges Signal, dass politische Macht künftig auf dem Rückhalt der Bevölkerung und auf Parteinetzwerken basieren würde, statt auf dem guten Willen der Krone. Politische Parteien konnten ihrer Arbeit nachgehen, ohne ständig Repressionen befürchten zu müssen. Die Presse litt zumindest unter keiner so starken Zensur, wie sie unter den Obrenovic üblich gewesen war. Es winkte die Aussicht auf ein nationales politisches Leben, das empfänglicher für die Bedürfnisse der Bevölkerung war und sich eher im Einklang mit der öffentlichen Meinung befand. Serbien stand an der Schwelle einer neuen Epoche seiner politischen Existenz.
Wenn der Putsch von 1903 einige alte Fragen beantwortete, so schuf er auch neue Probleme, die sich massiv auf die Ereignisse von 1914 auswirken sollten. Vor allen Dingen löste sich das konspirative Netzwerk, das sich zum Mord an der Königsfamilie gebildet hatte, nicht einfach auf, sondern blieb weiterhin eine wichtige Kraft in der serbischen Politik und im öffentlichen Leben. Der provisorischen revolutionären Regierung, die einen Tag nach den Morden gebildet wurde, gehörten vier Verschwörer (darunter die Minister für Krieg, öffentliche Bauten und Wirtschaft) und sechs Parteipolitiker an. Apis, der sich immer noch von seiner Schussverletzung erholte, wurde offiziell für die Verdienste gedankt, die er der Skupština erwiesen hatte, und er wurde zu einem Volkshelden. Der Umstand, dass das neue Regime seine Existenz dem blutigen Werk von Verschwörern verdankte, kombiniert mit der Angst vor dem, wozu das Netzwerk womöglich immer noch fähig war, machte offene Kritik schwierig. Ein Minister in der neuen Regierung vertraute zehn Tage nach dem Ereignis einem Zeitungskorrespondenten an, dass er die Aktionen der Attentäter für »beklagenswert« halte, aber »außerstande sei, sie offen so zu bezeichnen, wegen der Emotionen, welche die Äußerung bei der Armee auslösen könnte, auf deren Unterstützung sowohl der Thron als auch die Regierung angewiesen seien«.
Das Netzwerk der Königsmörder hatte vor allem am Hof großen Einfluss. Bislang hätten die verschwörerischen Offiziere, berichtete der britische Gesandte Wilfred Thesiger im November 1905 aus Belgrad, »die wichtigste und sogar einzige Stütze seiner Majestät gebildet«; wenn man sie absetzen würde, hätte die Krone »keine Partei mehr, auf deren Hingabe oder sogar Freundschaft sie sich verlassen konnte«. Folglich war es auch keine Überraschung, dass König Peter, als er im Winter 1905 nach einem Begleiter für seinen Sohn Kronprinz Djordje auf einer Reise durch Europa Ausschau hielt, keinen anderen als Apis auswählte, der eben erst eine lange Genesungphase hinter sich hatte. Drei der Kugeln, die in der Mordnacht in seinen Körper eingedrungen waren, steckten immer noch in ihm. Der Hauptarchitekt des Königsmordes erhielt die Aufgabe, dem nächsten Karadjordjevic-König bis zum Ende seiner Erziehung als Prinz beizustehen. Allerdings sollte Djordje nie König werden; er disqualifizierte sich 1909 selbst von der serbischen Thronfolge, indem er seinen Kammerdiener zu Tode prügelte.
Der österreichische Botschafter in Belgrad übertrieb folglich nur geringfügig, als er berichtete, dass der König selbst nach seiner Wahl durch das Parlament der »Gefangene« jener geblieben sei, die ihn an die Macht gebracht hatten. Der König sei eine Null, schloss ein hoher Vertreter im österreichischen Auswärtigen Amt Ende November. Das ganze Geschehen werde von den Leuten des 11. Juni gelenkt. Die Verschwörer nutzten dieses Druckmittel, um sich die begehrtesten Posten im Militär und in der Regierung zu sichern. Die neu ernannten königlichen Adjutanten waren ausnahmslos Verschwörer, das Gleiche galt für die Ordonnanzoffiziere und den Direktor der Postabteilung im Kriegsministerium, überdies hatten die Verschwörer Einfluss auf militärische Ernennungen, selbst auf hohe Kommandoposten. Mit Hilfe ihres privilegierten Zugangs zum Monarchen übten sie auch auf politische Fragen von nationaler Bedeutung großen Einfluss aus.
Die Machenschaften der Königsmörder wurden keineswegs kritiklos hingenommen. Die neue Regierung wurde von außen unter Druckgesetzt, sich von dem Netzwerk zu distanzieren, insbesondere von Großbritannien, das seinen bevollmächtigten Gesandten abzog und die Gesandtschaft in den Händen des Chargé d'affaires Thesiger ließ. Noch im Herbst 1905 wurden viele symbolträchtige Funktionen in Belgrad (in erster Linie Veranstaltungen am Hof) von Repräsentanten der europäischen Großmächte boykottiert. Innerhalb der Armee selbst entstand unter der Führung von Hauptmann Milan Novakovic eine auf die Festungsstadt Niš konzentrierte »Gegenverschwörung«. In einem Manifest verlangte Novakovic die Entlassung der 68 namentlich bekannten Königsmörder. Er wurde rasch verhaftet, und nach einer beherzten Verteidigung seiner Aktionen wurden er und seine Komplizen vor ein Militärgericht gestellt, schuldig gesprochen und zu unterschiedlich langen Gefängnisstrafen verurteilt. Als Novakovic zwei Jahre später entlassen wurde, nahm er seine öffentlichen Attacken gegen die Königsmörder wieder auf und wurde erneut inhaftiert. Im September 1907 verschwanden er und ein männlicher Verwandter von ihm unter mysteriösen Umständen bei einem angeblichen Fluchtversuch - ein Skandal, der im Parlament und in der liberalen Presse einen Aufschrei der Empörung auslöste. Die Frage, wie sich die Beziehung zwischen der Armee und den zivilen Behörden gestaltete, blieb folglich nach dem Attentat von 1903 ungeklärt, ein Umstand, der Serbiens Vorgehensweise im Jahr 1914 prägen sollte.
Die Hauptlast der Verantwortung für den Umgang mit dieser heiklen Konstellation hatte der Führer der Radikalen Nikola Pašic zu tragen. Der in Zürich geschulte Bauingenieur Pašic war nach dem Königsmord der dominierende Politiker. In den Jahren 1904 bis 1918 leitete er zehn Kabinette über insgesamt neun Jahre. Als der Mann, der vor, während und nach den Schüssen von Sarajevo im Jahr 1914 an der Spitze der serbischen Politik stand, zählte Pašic zu den Hauptakteuren in der Krise, die dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges vorausging.
Seine Laufbahn gehört mit Sicherheit zu den bemerkenswertesten politischen Karrieren der modernen europäischen Geschichte, nicht nur wegen ihrer langen Dauer (Pašic war über vierzig Jahre in der serbischen Politik tätig), sondern auch wegen des Wechsels zwischen Momenten eines schwindelerregenden Triumphes und Situationen extremer Bedrängnis. Obwohl er eigentlich Bauwesen studiert hatte, widmete er sein ganzes Leben der Politik - das war auch einer der Gründe dafür, weshalb er erst im Alter von 45 Jahren heiratete. Von Anfang an engagierte er sich mit aller Kraft für den Kampf um die serbische Unabhängigkeit von jeder Fremdherrschaft. Schon im Jahr 1875, als in Bosnien eine Revolte gegen die türkische Herrschaft ausbrach, fuhr der junge Pašic als Korrespondent für die irredentistische Zeitung Narodno Oslobodjenje (Nationale Befreiung) dorthin, um direkt von der Front des serbischen nationalen Kampfes zu berichten. Anfang der 1880er Jahre leitete er die Modernisierung der Radikalen Volkspartei, die bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs die mächtigste Kraft in der serbischen Politik bleiben sollte.
Die Radikalen traten für eine eklektische Politik ein, die liberale, konstitutionelle Ideen mit Aufrufen zu einer Expansion Serbiens und der territorialen Vereinigung aller Serben auf der Balkanhalbinsel kombinierte. Die Basis der Partei (und der Schlüssel zu ihren anhaltenden Wahlerfolgen) waren die Kleinbauern, die den größten Teil der Landesbevölkerung ausmachten. Als Bauernpartei übernahmen die Radikalen eine bunte Palette populistischer Strömungen, die sie mit panslawistischen Gruppierungen in Russland in Verbindung brachten. Der Berufsarmee standen sie misstrauisch gegenüber, nicht nur weil sie die Belastung des Staatshaushaltes scheuten, die ihr Unterhalt mit sich brachte, sondern auch weil sie weiterhin das Konzept einer Bauernmiliz für die beste und natürlichste Form der bewaffneten Organisation hielten. Während des Timoker Aufstands von 1883 stellten sich die Radikalen an die Seite der Bauern, die gegen die Regierung die Waffen erhoben hatten, und auf die Niederschlagung des Aufstands folgten Repressionen gegen Führer der Radikalen. Auch Pašic geriet unter Verdacht. Er flüchtete noch rechtzeitig vor der Verhaftung ins Ausland und wurde in Abwesenheit zum Tode verurteilt. In seinen Jahren im Exil knüpfte er dauerhafte Kontakte nach St. Petersburg und wurde zum Liebling panslawistischer Kreise; seither war seine Politik stets eng mit der russischen Politik verbunden. Nach Milans Abdankung im Jahr 1889 wurde Pašic, der während seiner Zeit im Exil zum Helden der Radikalen- Bewegung aufgestiegen war, begnadigt. Er kehrte unter dem Jubel der Bevölkerung nach Belgrad zurück und wurde zum Vorsitzenden der Skupština und danach zum Bürgermeister der Hauptstadt gewählt. Seine erste Amtszeit als Regierungschef (Februar 1891 bis August 1892) endete jedoch mit seinem Rücktritt aus Protest gegen die anhaltenden, nicht verfassungsgemäßen Machenschaften Milans und der Regenten.
Im Jahr 1893 schickte Alexander, nach seinem Staatsstreich gegen die Regentschaft, Pašic als serbischen Sondergesandten nach St. Petersburg. Auf diese Weise sollten die politischen Ambitionen Pašics in Schach gehalten werden, gleichzeitig war er fern von Belgrad. Pašic bemühte sich darum, die russisch-serbischen Beziehungen zu verbessern, und machte kein Hehl aus seiner Überzeugung, dass eine künftige nationale Emanzipation Serbiens ohne russische Unterstützung letztlich unmöglich sei.31 Aber seine Tätigkeit wurde durch den Wiedereintritt von Königvater Milan in die Belgrader Politik gestört. Mitglieder der Radikalen wurden gejagt und aus dem Staatsdienst vertrieben, Pašic wurde abberufen. In den Jahren der Milan-Alexander-Herrschaft wurde Pašic aufmerksam beobachtet und von der Macht ferngehalten. Im Jahr 1898 wurde er unter dem Vorwand, er habe Milan in einem Parteiorgan beleidigt, zu neun Monaten Haft verurteilt. Pašic war noch in Haft, als das Land 1899 von einem gescheiterten Anschlag auf den Königvater erschüttert wurde. Einmal mehr wurden die Radikalen der Mittäterschaft verdächtigt, obwohl ihre Verbindung zu dem jungen Bosnier, der den Schuss abgegeben hatte, bis heute unklar ist. König Alexander forderte die Hinrichtung Pašics wegen des Verdachts auf Komplizenschaft bei dem Mordversuch, doch das Leben des Radikalenführers wurde (Ironie der Geschichte mit Blick auf die späteren Ereignisse) ausgerechnet durch die nachdrücklichen Proteste der österreichisch-ungarischen Regierung gerettet. In einer für Alexanders Herrschaft charakteristischen List wurde Pašic mitgeteilt, dass er gemeinsam mit einem Dutzend seiner Parteigenossen hingerichtet werde, wenn er nicht ein Eingeständnis einer moralischen Mitschuld an dem Mordanschlag unterschrieb. Da er nicht wusste, dass sein Leben durch die Intervention Wiens bereits gerettet war, willigte er ein. Das Dokument wurde anschließend veröffentlicht, und bei der Entlassung aus dem Gefängnis stand Pašic unter dem Verdacht, dass er seine Partei befleckt habe, um seine Haut zu retten. Biologisch
Übersetzung: Norbert Juraschitz
Copyright © 2013 der deutschsprachigen Ausgabe Deutsche Verlags-Anstalt, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Christopher Clark
Christopher Clark, geboren 1960, lehrt als Professor für Neuere Europäische Geschichte am St. Catharine's College in Cambridge. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte Preußens. Er ist Autor einer Biographie Wilhelms II., des letzten deutschen Kaisers. Für sein Buch »Preußen« erhielt er 2007 den renommierten Wolfson History Prize sowie 2010 als erster nicht-deutschsprachiger Historiker den Preis des Historischen Kollegs. Sein epochales Buch über den Ersten Weltkrieg, »Die Schlafwandler« (2013), führte wochenlang die deutsche Sachbuch-Bestseller-Liste an und war ein internationaler Bucherfolg. 2018 erschien von ihm der vielbeachtete Bestseller »Von Zeit und Macht« und 2020 folgte das von der Kritik gefeierte »Gefangene der Zeit«. Einem breiten Fernsehpublikum wurde Christopher Clark bekannt als Moderator der mehrteiligen ZDF-Doku-Reihen »Deutschland-Saga«, »Europa-Saga« und »Welten-Saga«. 2022 wurde ihm der Ehrenpreis des Bayerischen Ministerpräsidenten verliehen. Norbert Juraschitz, geboren 1963 in Bergenweiler, hat in Tübingen und Wien Osteuropäische Geschichte und Slawistik studiert. Er lebt in Tübingen und übersetzt historische und politische Sachbücher aus dem Englischen und Russischen, u. a. von Christopher Clark, Henry Kissinger, Kristina Spohr, Jung Chang und Ai Weiwei.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christopher Clark
- 2013, 21. Aufl., 896 Seiten, mit Abbildungen, Gebunden, Deutsch
- Übersetzer: Norbert Juraschitz
- Verlag: DVA
- ISBN-10: 3421043590
- ISBN-13: 9783421043597
- Erscheinungsdatum: 04.09.2013
Rezension zu „Die Schlafwandler “
»Das Buch >The Sleepwalkers< ist insgesamt eine Wucht.«
Pressezitat
»Christopher Clarks Buch [...] ist ein Meisterwerk. [...] Es ist diese Verschränkung von Ereignis- und Wahrnehmungsebene, die das Buch so bedeutend macht. « DER TAGESSPIEGEL, 11.09.2013
Kommentare zu "Die Schlafwandler"
0 Gebrauchte Artikel zu „Die Schlafwandler“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 8Schreiben Sie einen Kommentar zu "Die Schlafwandler".
Kommentar verfassen