Die Schuld des Blutes
Thriller. Deutsche Erstveröffentlichung
Ein schockierender Fall und ein einmaliger Inspector<br /><br />In der geballten Faust des Opfers befindet sich der abgerissene Fetzen eines Röntgenbildes. Es ist nicht die erste Leiche, die Detective Inspector Tom Thorne so vorfindet. Doch...
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Produktinformationen zu „Die Schuld des Blutes “
Ein schockierender Fall und ein einmaliger Inspector<br />
<br />In der geballten Faust des Opfers befindet sich der abgerissene Fetzen eines Röntgenbildes. Es ist nicht die erste Leiche, die Detective Inspector Tom Thorne so vorfindet. Doch bisher ergibt das Puzzle keinen Sinn. Alle Spuren führen zu Raymond Garvey, einem der berüchtigsten Serienkiller in der Geschichte der Met, doch der ist seit Jahren tot. Hat sich jemand Garvey zum Vorbild genommen, oder verfolgt der Killer einen weitaus perfideren Plan?<br />
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Klappentext zu „Die Schuld des Blutes “
Ein schockierender Fall und ein einmaliger InspectorIn der geballten Faust des Opfers befindet sich der abgerissene Fetzen eines Röntgenbildes. Es ist nicht die erste Leiche, die Detective Inspector Tom Thorne so vorfindet. Doch bisher ergibt das Puzzle keinen Sinn. Alle Spuren führen zu Raymond Garvey, einem der berüchtigsten Serienkiller in der Geschichte der Met, doch der ist seit Jahren tot. Hat sich jemand Garvey zum Vorbild genommen, oder verfolgt der Killer einen weitaus perfideren Plan?
Lese-Probe zu „Die Schuld des Blutes “
"Komm, Spatz! Gehen wir Züge anpusten." Debbie Mitchell packt ihren Sohn am Arm, aber den zieht es in die entgegengesetzte Richtung zu dem schokoladebraunen Labrador, den die alte Frau mühsam zu kontrollieren versucht. "Tsch-tsch." Debbie bläst die Backen auf. "Komm, das magst du doch so gerne Jason zieht stärker. Wenn er will, ist er ganz schön kräftig. Das Geräusch, das er macht, liegt irgendwo zwischen einem Grunzen und einem Wimmern. Doch Debbie versteht ihn auch so."Hund", meint er. "Hund, Hund!"
Die alte Frau mit dem Labrador lächelt dem Jungen zu - sie hat die beiden schon oft im Park gesehen -, um dann wie jedes Mal traurig zu seiner Mutter zu schauen.
"Armer Kleiner", sagt sie. "Er weiß, dass ich in meiner Tasche ein paar Leckerlis für Buzz habe. Er will ihm welche geben, stimmt's?" Der Hund hört zu und zerrt kräftiger an der Leine. Er will zu dem Jungen.
"Tut mir leid", sagt Debbie. "Wir müssen weiter." Sie zieht an Jasons Arm, und diesmal schreit er vor Schmerz auf. "Jetzt ."
Sie geht schnell, sieht sich dabei alle paar Schritte um und zieht Jason hinter sich her. "Tsch-tsch", wiederholt sie und versucht, sich ihre Angst nicht anhören zu lassen. Sie weiß, wie sensibel er darauf reagiert. Der Junge fängt an zu lächeln, den Hund hat er bereits vergessen. Er läuft neben ihr her und schnauft selbst wie eine Lokomotive.
Sie hört den Hund bellen. Die alte Frau - wie hieß sie gleich wieder, Sally? Sarah? - meinte es gut, und an jedem anderen Tag hätte Debbie mit ihr gesprochen. Um ihre Gereiztheit zu überspielen, hätte sie gelächelt und erklärt, dass Jason kein armer Kleiner sei. Dass es kein glücklicheres Kind gäbe, kein Kind mehr geliebt würde.
Ihr kleiner Schatz. Der schon neun Jahre alt wurde und bereits Haare an den Beinen und ein übergroßes Arsenal-T-Shirt hatte. Der wahrscheinlich nie lernen würde, selbst zu essen oder sich anzuziehen.
"Zug", sagt Jason. Versucht Jason zu sagen.
Sie läuft über das tiefer gelegene Gelände, an
... mehr
der Bank vorbei, auf der sie normalerweise eine Weile sitzen, an heißeren Tagen manchmal ein Eis essen. Dann, als sie den Fußballplatz erreichen, läuft Jason voraus. Sie kommen schon seit einigen Jahren hierher, und während sie auf die vertraute Baumreihe entlang der Bahngleise zuläuft, fällt ihr auf, dass sie nicht einmal weiß, wie dieser Ort heißt. Ob er überhaupt einen Namen hat. Hampstead Heath oder Richmond Park ist es nicht - letzten Sommer trieb sich hier wochenlang ein Exhibitionist herum, und die Kids aus der Gegend machten nachts manchmal Feuer - aber das hier gehörte ihnen.
Ihr und Jason.
Sie blickt sich erneut um und marschiert weiter. Sie kämpft gegen den Wunsch an, zu rennen, weil sie fürchtet, jemand könne sie sehen und sie aufhalten. Als sie den Mann nirgends entdeckt, nach dem sie Ausschau hält, geht sie schneller, um Jason einzuholen. Er ist wie immer vor den Torpfosten stehen geblieben, um sich auszumalen, einen Elfmeter zu schießen. Das macht er, egal ob jemand spielt oder nicht. Die Jungs, die hier rumbolzen, sind es gewohnt, dass er auf ihr Spielfeld stürmt und vor dem Tor herumfuchtelt wie Ronaldo. Manchmal feuern sie ihn an, und keiner von den Jungs lacht oder grimassiert mehr. Dafür könnte Debbie die kleinen Mistkerle küssen. Sie bringt ihnen ab und zu eine kalte Limo mit oder aufgeschnittene Orangen.
Sie greift nach Jasons Hand und deutet mit einer Kopfbewegung zur Brücke, die hundert Meter links vor ihnen liegt.
Sie gehen rasch darauf zu.
Normalerweise hätten sie den anderen Weg genommen, durch den Eingang gegenüber ihrer Wohnung. Sie wären dann über die Brücke hierhergekommen und hätten nicht über die Plastikstühle und den Gartenzaun ihrer Freundin klettern müssen.
Aber das war kein normaler Tag.
Als sie sich wieder umsieht, entdeckt sie auf der anderen Seite des Fußballfelds den Mann. Er winkt, und sie muss dagegen ankämpfen, in die Hose zu pinkeln. Er könnte sie unmöglich rechtzeitig erreichen, selbst wenn er lief. Oder etwa doch? Aber die Tatsache, dass er gar nicht schnell läuft, sondern dass er selbstbewusst ausschreitet, jagt ihr mehr Angst ein, als sie für möglich gehalten hätte. Sie hatte es gewusst, bevor sie ihn am Telefon gehört hatte. Sie hatte es in seinen Augen gesehen und an dem schrecklichen roten Fleck unter seiner Jacke.
Der Mann winkt wieder und fängt an zu rennen.
Auf der Brücke bleibt Jason an der gewohnten Stelle stehen und wartet auf sie. Er weiß, dass sie ihm helfen wird, den Zug zu sehen, wenn er kommt. Er wirkt verwirrt, als sie ihn erreicht. Er bläst die Backen auf und winkt mit den Armen.
Es gab mal ein Metallgeländer als Schutz, aber im Lauf der Zeit war es stückweise herausgerissen worden, als die, die nichts Besseres zu tun hatten, jedes Stück Mauerwerk mit Graffiti besprühten.
Wer wen gefickt hatte. Wer schwul war. Wer hier gewesen war.
Sie legt Jason die Hand auf die Schulter und zieht sich hoch. Sie ignoriert die Schmerzen, als sie sich die Knie an der Mauer aufreißt, und hievt sich vorsichtig Zentimeter für Zentimeter nach oben. Dann holt sie ein paarmal schnell Luft, bevor sie langsam die Beine nacheinander über die Mauer schwingt, bis sie sitzt. Sie wagt es nicht, hinunterzuschauen, noch nicht.
Sie blickt sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtet, und da hört sie die Stimme des echten Polizisten. Er ist irgendwo in der Nähe der anderen Brückenseite, er kommt von der anderen Richtung. Er klingt heiser und krächzend, als er ihren Namen ruft. Er muss gerannt sein. Er hört nicht auf zu rufen und zu suchen, aber Debbie wendet sich ab.
Zu spät, denkt sie. Viel zu spät.
Sie greift nach unten, um Jason heraufzuziehen. Ihr Herz macht einen Sprung, als sie sein aufgeregtes Lächeln sieht. Bisher hatte sie ihn immer nur so weit hochgehoben, dass er über die Kante sehen konnte, wie der Zug unten vorbeidonnerte.
Das ist ein ganz neues Abenteuer.
Als sie ihn hochzieht, schreit sie vor Anstrengung auf und unterdrückt die Tränen, als er sich setzt, die Beine baumeln lässt und sich an sie kuschelt. Er spürt die Vibrationen und schnappt nach Luft und ruft, um sie darauf aufmerksam zu machen.
Debbie wird mulmig zumute, und sie blickt auf. In der Ferne biegt der Zug um die Kurve. Die U-Bahn aus High Barnet. Vor der Brücke wird sie abbremsen, um in den Bahnhof von Totteridge and Whetstone einzufahren, aber noch immer schnell genug sein.
Debbie sucht nach der Hand ihres Sohns und drückt sie. Sie beugt sich zu ihm und flüstert ihm ins Ohr, ein Geheimnis - was immer die Experten sagen, sie weiß, dass er sie versteht. Er deutet und schreit, als der Zug näher kommt, lauter wird. Dieses Lächeln bricht ihr das Herz.
Debbie schließt die Augen.
"Tsch-tsch", sagt Jason und bläst die Backen auf.
Erster Teil Neuer Kummer Erstes Kapitel ist nicht lebensfähig."
Die Frau reichte Louise die dicke Küchenrolle, schaltete das Gerät aus und wartete kurz. Dann, als Louise sich das Gel vom Bauch wischte, sagte sie es ihr.
Sie schob noch ein paar statistische Fakten nach: Prozentzahlen und Wochen und wie viele von zehn Schwangerschaften. Dann noch, wie häufig das vorkam und wie viel besser es war, es passierte jetzt als später.
Thorne hatte nicht viel davon mitbekommen. Nicht wirklich.
Nicht lebensfähig.
Er sah Louise nicken. Sie blinzelte langsamer als sonst und knöpfte sich die Jeans zu, während die Frau ein, zwei Minuten über die weitere Vorgehensweise sprach. "Über die Details können wir später reden", sagte sie. "Wenn Sie etwas Zeit für sich hatten."
War sie eigentlich eine Ärztin? Thorne war sich nicht sicher. Vielleicht so eine Art "Ultraschalltechnikerin" oder etwas in der Richtung. Nicht dass das wirklich von Bedeutung gewesen wäre. Es war offensichtlich nicht das erste Mal, dass sie diese Worte sagte. Es hatte keine Pause oder auch nur eine Andeutung von Unsicherheit gegeben, und das erwartete er auch nicht. Wahrscheinlich war es für alle Betroffenen das Beste, solche Angelegenheiten geschäftsmäßig zu behandeln. Er vor allen anderen sollte das wissen.
Am besten man sagte nur das, was gesagt werden musste, und erledigte seinen Job, vor allem wenn weitere Termine anstanden und draußen eine Menge andere glückliche Paare warteten.
Doch dieser Ausdruck ^ Danach saßen sie in einer Ecke neben dem Wasserspender, der vom großen Warteraum etwas abgetrennt war. Vier zusammengehängte Plastikstühle. Eine ganz nette zitronengelbe Wand und an ein Korkbrett gepinnte Kinderzeichnungen. Ein Korbtisch mit ein paar Zeitungen und einer Box Papiertücher.
Thorne drückte Louises Hand. Sie fühlte sich klein und kalt an. Er drückte sie noch mal, und sie sah auf, lächelte und schniefte.
"Alles okay mit dir?", fragte sie.
Thorne nickte. Was Beschönigungen anging, war die hier kaum zu schlagen. Unverbindlich und gleichzeitig final. Wahrscheinlich machte sie die Sache für die meisten erträglicher, und darum ging es schließlich.
Nicht lebensfähig.
Tot. In dir drin tot.
Ob er die Phrase mal selbst ausprobieren und bei der nächsten Gelegenheit einsetzen sollte, wenn er in die Leichenhalle oder mitten in der Nacht bei so einem armen Teufel an die Tür klopfen musste.
Die Sache ist die, Ihr Mann stieß mit so einem besoffenen Volltrottel zusammen, der ein Messer in der Tasche stecken hatte. Ich fürchte, er ist ^ nicht mehr lebensfähig.
Feine Sache, dadurch klang es so, als sei das Opfer ein Androide. Aber ein bisschen Distanz war wichtig. Man brauchte Distanz. Ohne Distanz lief es auf ein paar leere Weinflaschen mehr pro Woche in der Mülltonne hinaus.
i6 Es machte die Sache für sie und für einen selbst erträglicher.
Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Ihr Mann erschossen wurde. Er ist nicht mehr lebensfähig. Er ist so wenig lebensfähig wie eine Maus, die der Katze zu nahe gekommen war.
"Tom?"
Er sah auf, als ihn Louise leicht in die Seite stieß. Die Frau, die den Ultraschall durchgeführt hatte, lief durch den Wartebereich und kam auf sie zu. Eine Inderin mit einer dicken rot gefärbten Haarsträhne. Anfang dreißig, vermutete Thorne. Ihr Lächeln war perfekt: besorgt, aber zugleich optimistisch.
"Okay, ich denke, ich hab ein Bett für Sie organisiert."
"Danke", sagte Louise.
"Wann hatten Sie Ihre letzte Mahlzeit?"
"Ich hab seit dem Frühstück nichts mehr gegessen."
"Das ist gut. Dann schauen wir, dass wir die Ausschabung sofort machen." Die Frau reichte Louise ein Blatt und erklärte ihr, wie sie in die entsprechende Abteilung gelangt. Dann wandte sie sich zu Thorne. "Sie sollten vielleicht nach Hause fahren und ein paar Sachen für sie holen. Nachthemd und was sie sonst noch braucht."
Thorne nickte, während sie weitersprach und erklärte, dass Louise es danach ein paar Tage langsamer angehen müsse. Er nickte noch immer, als sie sagte, dass sie es beide nicht so schwer nehmen dürften, dass auf dem Blatt ein paar Telefonnummern von Leuten stünden, mit denen sie reden könnten, wenn sie das wollten.
Er sah ihr nach, als sie in ihr Zimmer zurückging, um das nächste Paar aufzurufen, sobald sie an der Tür war. An der Wand gegenüber war hoch oben ein Fernsehgerät montiert.
Ein Paar mittleren Alters wurde durch eine Villa in Frankreich oder Italien geführt, die Frau sagte etwas von wegen, wie farbenprächtig die Fliesen seien.
Eine hagere Frau in einem grünen Overall schob einen mit Putzutensilien vollgeladenen Wagen den Gang entlang auf sie zu. Neben dem Korbtisch blieb sie stehen, nahm einen Lappen und ein Putzmittel von ihrem Wagen, putzte einen der leeren Stühle und sah dabei hinüber zu Thorne und Louise.
"Warum weinen Sie?"
Thorne musterte die Frau ein paar Sekunden, bevor er sich zu Louise wandte, die auf den Boden starrte und das Blatt immer kleiner zusammenfaltete. Plötzlich wurde ihm ganz heiß, die Härchen in seinem Nacken richteten sich auf und kitzelten ihn, und er spürte den Schweiß zwischen seiner und Louises Hand. Mit einem Kopfnicken deutete er kurz auf das Schild an der Tür zum Ultraschallraum für pränatale Untersuchungen und fuhr die Reinigungsfachkraft an.
"Raten Sie mal."
Thorne brauchte fast fünfzehn Minuten für die knappen zwei Kilometer vom Whittington Hospital nach Kentish Town, aber so hatte er wenigstens Zeit, sich zu beruhigen. Und aufzuhören, daran zu denken, wie Louise die Luft angehalten hatte, als diese Putzfrau sie ansprach. Wie er diesen plötzlichen Drang in sich spürte, dieser Frau den Lappen in ihr blödes Maul zu stopfen.
Sie hatte ihn angesehen, als sei er ein Rüpel. Himmel!
In der Wohnung gab er für Elvis Katzenfutter in eine Schüssel und stopfte die Sachen, um die Louise ihn gebeten hatte, in eine Plastiktüte: ein sauberes T-Shirt, einen BH und Schlüpfer, eine Haarbürste und ein paar Make-up- Utensilien. Auf dem Weg aus dem Schlafzimmer blieb er an der Tür stehen. Er musste sich kurz an die Wand lehnen, bevor er zurück ins Wohnzimmer ging. Er ließ sich auf das Sofa fallen und starrte, die Plastiktasche auf dem Schoß, vor sich hin.
Es war kalt in der Wohnung. Die dritte Septemberwoche, und man musste schon heizen. Dann wurde es wieder Zeit, sich wegen des Thermostaten zu streiten. Thorne drehte ihn hoch, und Louise drehte ihn wieder zurück, wenn sie glaubte, er sehe nicht hin. Heimliches Verstellen des Timers. Ständiges Herumfummeln an den Heizkörpern.
Diese albernen Sitcom-Spielchen, die Thorne so liebte, trotz der Sticheleien.
Sie hatten darüber gestritten - und als Louise schwanger wurde, eher mehr -, wo sie in Zukunft wohnen würden. Obwohl sie die meiste Zeit in Thornes Wohnung verbrachten, hatte Louise noch ihre Wohnung in Pimlico. Sie wollte sie nicht wirklich verkaufen oder wehrte sich zumindest gegen sämtliche Vorschläge, die in diese Richtung gingen. Sie hatten zwar vor, unbedingt zusammenziehen, aber sie konnten sich nicht einigen, welche Wohnung sie verkaufen sollten. Sie hatten deshalb auch schon erwogen, beide Wohnungen zu verkaufen und anschließend gemeinsam eine neue zu kaufen oder vielleicht auch nur ein Appartement zum Vermieten.
Thornes Augen blieben am Kamin hängen, und er fragte sich, ob sich das alles fürs Erste erledigt hatte. Ob eine Reihe dieser Themen, über die sie sich mehr oder weniger ernsthaft den Kopf zerbrochen hatten, nun stillschweigend ad acta gelegt und nie mehr erwähnt würden.
Weiter rauszuziehen.
Zu heiraten.
Sich eine andere Arbeit zu suchen.
Thorne stand auf, holte das Telefon, das auf dem Tisch neben der Tür lag, und trug es zurück zur Couch.
Diese Gespräche waren hypothetischer Natur gewesen. Vor allem die Sache mit der Hochzeit und dem Job. Nur leeres Gerede, das war alles. So wie das Geplänkel über bescheuerte Kindernamen und dass sie keine rothaarigen Kinder wollten.
"Was hältst du von Damien?"
" Eher nicht."
"Hieß der in dem Film nicht >Thorne
Ihr und Jason.
Sie blickt sich erneut um und marschiert weiter. Sie kämpft gegen den Wunsch an, zu rennen, weil sie fürchtet, jemand könne sie sehen und sie aufhalten. Als sie den Mann nirgends entdeckt, nach dem sie Ausschau hält, geht sie schneller, um Jason einzuholen. Er ist wie immer vor den Torpfosten stehen geblieben, um sich auszumalen, einen Elfmeter zu schießen. Das macht er, egal ob jemand spielt oder nicht. Die Jungs, die hier rumbolzen, sind es gewohnt, dass er auf ihr Spielfeld stürmt und vor dem Tor herumfuchtelt wie Ronaldo. Manchmal feuern sie ihn an, und keiner von den Jungs lacht oder grimassiert mehr. Dafür könnte Debbie die kleinen Mistkerle küssen. Sie bringt ihnen ab und zu eine kalte Limo mit oder aufgeschnittene Orangen.
Sie greift nach Jasons Hand und deutet mit einer Kopfbewegung zur Brücke, die hundert Meter links vor ihnen liegt.
Sie gehen rasch darauf zu.
Normalerweise hätten sie den anderen Weg genommen, durch den Eingang gegenüber ihrer Wohnung. Sie wären dann über die Brücke hierhergekommen und hätten nicht über die Plastikstühle und den Gartenzaun ihrer Freundin klettern müssen.
Aber das war kein normaler Tag.
Als sie sich wieder umsieht, entdeckt sie auf der anderen Seite des Fußballfelds den Mann. Er winkt, und sie muss dagegen ankämpfen, in die Hose zu pinkeln. Er könnte sie unmöglich rechtzeitig erreichen, selbst wenn er lief. Oder etwa doch? Aber die Tatsache, dass er gar nicht schnell läuft, sondern dass er selbstbewusst ausschreitet, jagt ihr mehr Angst ein, als sie für möglich gehalten hätte. Sie hatte es gewusst, bevor sie ihn am Telefon gehört hatte. Sie hatte es in seinen Augen gesehen und an dem schrecklichen roten Fleck unter seiner Jacke.
Der Mann winkt wieder und fängt an zu rennen.
Auf der Brücke bleibt Jason an der gewohnten Stelle stehen und wartet auf sie. Er weiß, dass sie ihm helfen wird, den Zug zu sehen, wenn er kommt. Er wirkt verwirrt, als sie ihn erreicht. Er bläst die Backen auf und winkt mit den Armen.
Es gab mal ein Metallgeländer als Schutz, aber im Lauf der Zeit war es stückweise herausgerissen worden, als die, die nichts Besseres zu tun hatten, jedes Stück Mauerwerk mit Graffiti besprühten.
Wer wen gefickt hatte. Wer schwul war. Wer hier gewesen war.
Sie legt Jason die Hand auf die Schulter und zieht sich hoch. Sie ignoriert die Schmerzen, als sie sich die Knie an der Mauer aufreißt, und hievt sich vorsichtig Zentimeter für Zentimeter nach oben. Dann holt sie ein paarmal schnell Luft, bevor sie langsam die Beine nacheinander über die Mauer schwingt, bis sie sitzt. Sie wagt es nicht, hinunterzuschauen, noch nicht.
Sie blickt sich um, um sicherzugehen, dass niemand sie beobachtet, und da hört sie die Stimme des echten Polizisten. Er ist irgendwo in der Nähe der anderen Brückenseite, er kommt von der anderen Richtung. Er klingt heiser und krächzend, als er ihren Namen ruft. Er muss gerannt sein. Er hört nicht auf zu rufen und zu suchen, aber Debbie wendet sich ab.
Zu spät, denkt sie. Viel zu spät.
Sie greift nach unten, um Jason heraufzuziehen. Ihr Herz macht einen Sprung, als sie sein aufgeregtes Lächeln sieht. Bisher hatte sie ihn immer nur so weit hochgehoben, dass er über die Kante sehen konnte, wie der Zug unten vorbeidonnerte.
Das ist ein ganz neues Abenteuer.
Als sie ihn hochzieht, schreit sie vor Anstrengung auf und unterdrückt die Tränen, als er sich setzt, die Beine baumeln lässt und sich an sie kuschelt. Er spürt die Vibrationen und schnappt nach Luft und ruft, um sie darauf aufmerksam zu machen.
Debbie wird mulmig zumute, und sie blickt auf. In der Ferne biegt der Zug um die Kurve. Die U-Bahn aus High Barnet. Vor der Brücke wird sie abbremsen, um in den Bahnhof von Totteridge and Whetstone einzufahren, aber noch immer schnell genug sein.
Debbie sucht nach der Hand ihres Sohns und drückt sie. Sie beugt sich zu ihm und flüstert ihm ins Ohr, ein Geheimnis - was immer die Experten sagen, sie weiß, dass er sie versteht. Er deutet und schreit, als der Zug näher kommt, lauter wird. Dieses Lächeln bricht ihr das Herz.
Debbie schließt die Augen.
"Tsch-tsch", sagt Jason und bläst die Backen auf.
Erster Teil Neuer Kummer Erstes Kapitel ist nicht lebensfähig."
Die Frau reichte Louise die dicke Küchenrolle, schaltete das Gerät aus und wartete kurz. Dann, als Louise sich das Gel vom Bauch wischte, sagte sie es ihr.
Sie schob noch ein paar statistische Fakten nach: Prozentzahlen und Wochen und wie viele von zehn Schwangerschaften. Dann noch, wie häufig das vorkam und wie viel besser es war, es passierte jetzt als später.
Thorne hatte nicht viel davon mitbekommen. Nicht wirklich.
Nicht lebensfähig.
Er sah Louise nicken. Sie blinzelte langsamer als sonst und knöpfte sich die Jeans zu, während die Frau ein, zwei Minuten über die weitere Vorgehensweise sprach. "Über die Details können wir später reden", sagte sie. "Wenn Sie etwas Zeit für sich hatten."
War sie eigentlich eine Ärztin? Thorne war sich nicht sicher. Vielleicht so eine Art "Ultraschalltechnikerin" oder etwas in der Richtung. Nicht dass das wirklich von Bedeutung gewesen wäre. Es war offensichtlich nicht das erste Mal, dass sie diese Worte sagte. Es hatte keine Pause oder auch nur eine Andeutung von Unsicherheit gegeben, und das erwartete er auch nicht. Wahrscheinlich war es für alle Betroffenen das Beste, solche Angelegenheiten geschäftsmäßig zu behandeln. Er vor allen anderen sollte das wissen.
Am besten man sagte nur das, was gesagt werden musste, und erledigte seinen Job, vor allem wenn weitere Termine anstanden und draußen eine Menge andere glückliche Paare warteten.
Doch dieser Ausdruck ^ Danach saßen sie in einer Ecke neben dem Wasserspender, der vom großen Warteraum etwas abgetrennt war. Vier zusammengehängte Plastikstühle. Eine ganz nette zitronengelbe Wand und an ein Korkbrett gepinnte Kinderzeichnungen. Ein Korbtisch mit ein paar Zeitungen und einer Box Papiertücher.
Thorne drückte Louises Hand. Sie fühlte sich klein und kalt an. Er drückte sie noch mal, und sie sah auf, lächelte und schniefte.
"Alles okay mit dir?", fragte sie.
Thorne nickte. Was Beschönigungen anging, war die hier kaum zu schlagen. Unverbindlich und gleichzeitig final. Wahrscheinlich machte sie die Sache für die meisten erträglicher, und darum ging es schließlich.
Nicht lebensfähig.
Tot. In dir drin tot.
Ob er die Phrase mal selbst ausprobieren und bei der nächsten Gelegenheit einsetzen sollte, wenn er in die Leichenhalle oder mitten in der Nacht bei so einem armen Teufel an die Tür klopfen musste.
Die Sache ist die, Ihr Mann stieß mit so einem besoffenen Volltrottel zusammen, der ein Messer in der Tasche stecken hatte. Ich fürchte, er ist ^ nicht mehr lebensfähig.
Feine Sache, dadurch klang es so, als sei das Opfer ein Androide. Aber ein bisschen Distanz war wichtig. Man brauchte Distanz. Ohne Distanz lief es auf ein paar leere Weinflaschen mehr pro Woche in der Mülltonne hinaus.
i6 Es machte die Sache für sie und für einen selbst erträglicher.
Es tut mir leid, Ihnen sagen zu müssen, dass Ihr Mann erschossen wurde. Er ist nicht mehr lebensfähig. Er ist so wenig lebensfähig wie eine Maus, die der Katze zu nahe gekommen war.
"Tom?"
Er sah auf, als ihn Louise leicht in die Seite stieß. Die Frau, die den Ultraschall durchgeführt hatte, lief durch den Wartebereich und kam auf sie zu. Eine Inderin mit einer dicken rot gefärbten Haarsträhne. Anfang dreißig, vermutete Thorne. Ihr Lächeln war perfekt: besorgt, aber zugleich optimistisch.
"Okay, ich denke, ich hab ein Bett für Sie organisiert."
"Danke", sagte Louise.
"Wann hatten Sie Ihre letzte Mahlzeit?"
"Ich hab seit dem Frühstück nichts mehr gegessen."
"Das ist gut. Dann schauen wir, dass wir die Ausschabung sofort machen." Die Frau reichte Louise ein Blatt und erklärte ihr, wie sie in die entsprechende Abteilung gelangt. Dann wandte sie sich zu Thorne. "Sie sollten vielleicht nach Hause fahren und ein paar Sachen für sie holen. Nachthemd und was sie sonst noch braucht."
Thorne nickte, während sie weitersprach und erklärte, dass Louise es danach ein paar Tage langsamer angehen müsse. Er nickte noch immer, als sie sagte, dass sie es beide nicht so schwer nehmen dürften, dass auf dem Blatt ein paar Telefonnummern von Leuten stünden, mit denen sie reden könnten, wenn sie das wollten.
Er sah ihr nach, als sie in ihr Zimmer zurückging, um das nächste Paar aufzurufen, sobald sie an der Tür war. An der Wand gegenüber war hoch oben ein Fernsehgerät montiert.
Ein Paar mittleren Alters wurde durch eine Villa in Frankreich oder Italien geführt, die Frau sagte etwas von wegen, wie farbenprächtig die Fliesen seien.
Eine hagere Frau in einem grünen Overall schob einen mit Putzutensilien vollgeladenen Wagen den Gang entlang auf sie zu. Neben dem Korbtisch blieb sie stehen, nahm einen Lappen und ein Putzmittel von ihrem Wagen, putzte einen der leeren Stühle und sah dabei hinüber zu Thorne und Louise.
"Warum weinen Sie?"
Thorne musterte die Frau ein paar Sekunden, bevor er sich zu Louise wandte, die auf den Boden starrte und das Blatt immer kleiner zusammenfaltete. Plötzlich wurde ihm ganz heiß, die Härchen in seinem Nacken richteten sich auf und kitzelten ihn, und er spürte den Schweiß zwischen seiner und Louises Hand. Mit einem Kopfnicken deutete er kurz auf das Schild an der Tür zum Ultraschallraum für pränatale Untersuchungen und fuhr die Reinigungsfachkraft an.
"Raten Sie mal."
Thorne brauchte fast fünfzehn Minuten für die knappen zwei Kilometer vom Whittington Hospital nach Kentish Town, aber so hatte er wenigstens Zeit, sich zu beruhigen. Und aufzuhören, daran zu denken, wie Louise die Luft angehalten hatte, als diese Putzfrau sie ansprach. Wie er diesen plötzlichen Drang in sich spürte, dieser Frau den Lappen in ihr blödes Maul zu stopfen.
Sie hatte ihn angesehen, als sei er ein Rüpel. Himmel!
In der Wohnung gab er für Elvis Katzenfutter in eine Schüssel und stopfte die Sachen, um die Louise ihn gebeten hatte, in eine Plastiktüte: ein sauberes T-Shirt, einen BH und Schlüpfer, eine Haarbürste und ein paar Make-up- Utensilien. Auf dem Weg aus dem Schlafzimmer blieb er an der Tür stehen. Er musste sich kurz an die Wand lehnen, bevor er zurück ins Wohnzimmer ging. Er ließ sich auf das Sofa fallen und starrte, die Plastiktasche auf dem Schoß, vor sich hin.
Es war kalt in der Wohnung. Die dritte Septemberwoche, und man musste schon heizen. Dann wurde es wieder Zeit, sich wegen des Thermostaten zu streiten. Thorne drehte ihn hoch, und Louise drehte ihn wieder zurück, wenn sie glaubte, er sehe nicht hin. Heimliches Verstellen des Timers. Ständiges Herumfummeln an den Heizkörpern.
Diese albernen Sitcom-Spielchen, die Thorne so liebte, trotz der Sticheleien.
Sie hatten darüber gestritten - und als Louise schwanger wurde, eher mehr -, wo sie in Zukunft wohnen würden. Obwohl sie die meiste Zeit in Thornes Wohnung verbrachten, hatte Louise noch ihre Wohnung in Pimlico. Sie wollte sie nicht wirklich verkaufen oder wehrte sich zumindest gegen sämtliche Vorschläge, die in diese Richtung gingen. Sie hatten zwar vor, unbedingt zusammenziehen, aber sie konnten sich nicht einigen, welche Wohnung sie verkaufen sollten. Sie hatten deshalb auch schon erwogen, beide Wohnungen zu verkaufen und anschließend gemeinsam eine neue zu kaufen oder vielleicht auch nur ein Appartement zum Vermieten.
Thornes Augen blieben am Kamin hängen, und er fragte sich, ob sich das alles fürs Erste erledigt hatte. Ob eine Reihe dieser Themen, über die sie sich mehr oder weniger ernsthaft den Kopf zerbrochen hatten, nun stillschweigend ad acta gelegt und nie mehr erwähnt würden.
Weiter rauszuziehen.
Zu heiraten.
Sich eine andere Arbeit zu suchen.
Thorne stand auf, holte das Telefon, das auf dem Tisch neben der Tür lag, und trug es zurück zur Couch.
Diese Gespräche waren hypothetischer Natur gewesen. Vor allem die Sache mit der Hochzeit und dem Job. Nur leeres Gerede, das war alles. So wie das Geplänkel über bescheuerte Kindernamen und dass sie keine rothaarigen Kinder wollten.
"Was hältst du von Damien?"
" Eher nicht."
"Hieß der in dem Film nicht >Thorne
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Autoren-Porträt von Mark Billingham
Mark Billingham is twice winner of the Theakston's Old Peculier Crime Novel of the Year award and winner of the Sherlock Award for Best Detective. He has also written drama for children's television and children's books.
Bibliographische Angaben
- Autor: Mark Billingham
- 2010, 438 Seiten, Maße: 11,8 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Isabella Bruckmaier
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442473276
- ISBN-13: 9783442473274
- Erscheinungsdatum: 15.09.2010
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