Die Spezialistin
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Die Spezialistin von Eileen Dreyer
LESEPROBE
Die Zikaden ließen das Ganzeeskalieren.
Die Zikaden und der paranoideSchizophrene.
Die Zikaden, der paranoideSchizophrene und ein Hut aus
zerrissener Aluminiumfolie.
Aber in erster Linie die Zikaden.
St. Louis im Sommer ist sowiesoschon schlimm genug.
Heiß, feucht und windstill bis zumErsticken - fast wie das
Vorzimmer zur Hölle. Geduldsfädenwerden dünner. Enttäuschungen
heftiger. Was zu jeder anderenJahreszeit einfach
nur lästig wäre, wird dannunerträglich.
Aber in diesem Sommer war es nochschlimmer. Aus zwei
verschiedenen Larvenjahrgängen wareine Zikadenpopulation
von biblischen Dimensionen zum Lebenerwacht und
ließ jeden Bewohner hier imGrenzgebiet der beiden Staaten
Missouri und Illinois zumGewalttäter werden. Die Insekten,
die in wahnwitzigem Tempo fraßen undsich fortpflanzten,
erzeugten dabei eine satanischeSinfonie aus ohrenbetäubenden
Dissonanzen, die jeden Heiligen inden Selbstmord
getrieben hätte.
Innerhalb weniger Tage wuchsen sichharmlose Verkehrsunfälle
zu Geiseldramen aus, wurdenVorstadtmütter Fußball
spielender Kinder wegen schwererVerstöße gegen die
Waffengesetze verhaftet, ging es beiSportveranstaltungen
auf den Rängen lebhafter zu als aufdem Spielfeld. Die Zahl
der Gewaltverbrechen, die in letzterZeit eigentlich rückläufig
gewesen war, schnellte wieder inaltbekannte Höhen. Die
Polizei schuftete inDoppelschichten, und in den Unfallambulanzen
wurden Psychopharmaka gehortet wiean anderer
Stelle nur Atomwaffen.
Daher war es nicht weiterverwunderlich, als an einem
Vormittag Ende Juli um 11.32 Uhreine Beschwerde wegen
Ruhestörung aus dem Wohnblock in derOhio Avenue 400
gemeldet wurde. Die Ohio Avenue wareine schmucklose
Straße im Süden der Stadt, gesäumtvon großen verwitterten
Backsteinhäusern, die von Menschenbewohnt wurden,
die sich nur mit Mühe am unterenRand der Gesellschaft
über Wasser halten konnten:Einwanderer, die noch neu im
Land waren, Sozialhilfeempfänger,chronisch Verschuldete.
Es war eine Gegend, wo Beschwerdenwegen Ruhestörung
genauso normal waren wieSchuldeneintreiber.
Für gewöhnlich kamen diese Beschwerdenjedoch nach
der Mittagszeit, wenn die weniger sympathischenMitbewohner
nach ihren nächtlichen Festivitätenwieder zum Leben
erwachten. Halbzwölfwar da eigentlich ein bisschen zu früh,
selbst an einem so heißen,windstillen und schwülen Tag.
Aber andererseits die Zikadenwaren los.
Die zuständigen Beamten trafen umgenau 11.53 Uhr am
Ort des Geschehens ein. Dort wurdensie von einer jungen,
schwarzen Frau inmitten einer ScharKleinkinder sowie einem
zehnjährigen Mädchen mit verheultenAugen und
Cheerleader-Röckchen empfangen. EinBaby auf der einen
und eine Faust auf der anderenHüfte, hielt die junge Mutter
es nicht für nötig abzuwarten, bisdie Polizisten aus ihrem
Wagen ausgestiegen waren, sondernlegte sofort los.
»Der Wahnsinnige!«, kreischte sieund zeigte mit der freien
Hand fuchtelnd auf das kleineCheerleader-Mädchen, das
neben ihr kauerte. »Er hat versucht,meine kleine Tochter zu
verbrühen, hat gesagt, sie ist einTeufel, und sie hat gar nix
gemacht, wollte ihm bloß ein paarverdammte Schokoriegel
verkaufen. Ihr geht jetzt da reinund zerrt seinen klapprigen
weißen Arsch hier runter, bevor ichihn selber verbrüh, kapiert?
Meine Shereesmuss bis morgen vierzig Schokoriegel
verkaufen, und dieser verrückteDrecksack hat einfach die
ganze Schachtel mitgenommen.«
Die Streifenwagenbesatzung, eineeher seltene Kombination
aus einem jungen Weißen und einerreiferen Schwarzen,
war damit beschäftigt, ihreSchlagstöcke in Gürtelschlaufen
und ihre Mützen nach hinten zuschieben. Beide nickten, wie
Synchronschwimmer.
»Kennen Sie den Mann?«, wollte diePolizistin wissen.
»Is erstvor ein paar Wochen eingezogen«, erwiderte die
Mutter. Sie folgte ihnen auf denBürgersteig, während die
Kinder blieben, wo sie waren. »Derwohnt da mit Eichhörnchen
und Fledermäusen - alles vollerScheiße. Ich hab s gesehen,
als ich mein Baby da rausgezogen hab. Durchgeknalltes
Arschgesicht!«
Die Beamten stellten der Frau nochein paar sachdienliche
Fragen und ließen sie auf der Straßestehen. Dann betraten
sie schlendernd das schmucklose,quadratische Backsteingebäude,
dessen einziger Schmuck in einemStrauß blauer
Plastikblumen bestand, den jemandhinter die Hausnummer
gesteckt hatte und über dem sichetliche der allgegenwärtigen
Zikaden paarten.
Draußen auf der Straße erhob diejunge Mutter ihre Stimme,
um den Umgebungslärm zu übertönenund der versammelten
Nachbarschaft ihre dramatischeVersion von Sherees
Zusammenstoß mit dem neuen Nachbarnzu schildern.
Sie war gerade an der Stelleangelangt, wo sie die kleine Sherees
den Armen des durchgeknalltenArschgesichts entrissen
hatte, als zwei schnell aufeinanderfolgende Knallgeräusche
die Versammlung schlagartigverstummen ließen.
Schüsse.
Aus dem zweiten Stock desWohnblocks.
Alle schauten hinauf. Die kleine Sherees, deren Tränen
getrocknet waren, blickte ihreerstarrte Mutter an. »Mama,
hast du ihnen erzählt, dass der Manneine Pistole in der Hosentasche
gehabt hat?«
Das musste in etwa der Augenblickgewesen sein, wo das
durchgeknallte Arschgesicht anfing, irgendwas vonGeiseln
zu brüllen.
© VerlagsgruppeRandom House
Übersetzung:Leo H. Strohm
- Autor: Eileen Dreyer
- 2005, 445 Seiten, Maße: 18,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Dtsch. v. Leo H. Strohm
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442361435
- ISBN-13: 9783442361434
(TESS GERRITSEN)
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