Die Sprache der Pflanzen
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DieSprache der Pflanzen von Dagny und Imre Kerner
LESEPROBE
Kapitel I: Vorreiter in der Grauzone
Mensch schmeckt gut
Long Beach, Kalifornien, USA
Die Lemon Street,>Zitronenstraße<, ist eine kleine, ruhige Seitenstraße am Stadtrand vonLong Beach. Alleebäume rechts und links, Motorboote auf Anhängern vor derHaustür geparkt, Wohnmobile, die üblichen Zweit- und Drittwagen, die typischeWohnlandschaft der weißen kalifornischen Mittelschicht.
Das Haus Nummer 5923 unterscheidet sich innichts von den Häusern der Nachbarschaft, ein Bungalow mit Veranda undVorgarten.
Hinter der überaus bürgerlichen Fassade passiertaber etwas Einmaliges, das es sonst nirgendwo auf der Welt gibt: EinAprikosenbaum redet. Als Joe Sanchez uns ins Eßzimmerführt, hören wir bereits die monotone, metallisch klingende Stimme: »Härte muß hart sein, im Licht einer möglichen Verbesserung derLuftnahrung!« So die rätselhafte Begrüßung desredseligen Aprikosenbaums. Joe entschuldigt sich für die schlechte Tonqualitätmit der Bemerkung, daß er nicht mehr Geld ausgebenkonnte, als er vor Jahren den Sprachen-Synthesizer für seinen Computer kaufte.
Joe Sanchez' Experimente zur >Übersetzungpflanzlicher Äußerungen und/oder pflanzlicher Kommunikation< -. so deroffizielle Titel seines Computerprogramms - werden im ehelichen Schlafzimmerdokumentiert. Im Verlauf der Jahre mußten eingebauteWandschränke weichen, auf zwei Quadratmetern entstand ein Elektronikzentrum mitimmer moderneren Computern, Monitoren und Kabeln, überall sind Kästen aufeinandergestapelt, Lampen blinken, Knöpfe undTastaturen, deren Funktion für Nichteingeweihte undurchschaubar bleibt. Davorein übergroßer Kippstuhl, in dem Joe über die geheimnisvollen Äußerungen seinerPflanzen und Bäume nachdenkt. Denn vieles, was die Pflanzen sagen, klingt fürMenschen wie ein Bilderrätsel in Fortsetzungen, immer neu und selten eindeutig.
»Im Innern der Erinnerung, hin zum Licht, machedeine Entdeckungen draußen, die Berührung wird anziehend gewesen sein«, so dieAnweisung des Aprikosenbaums an uns. Joe zieht den Vorhang zur Seite, um unsden Aprikosenbaum zu zeigen. Der steht in etwa ioMeter Entfernung im Garten hinter dem Haus. Die Äste und den kurzen Stamm kannman kaum sehen, so dicht sind die Blätter gewachsen. Vereinzelt entdeckt manFrüchte im Dickicht der Blätter, sie sind noch klein und grün.
Vor vielen Monaten hat Joe zwei Löcher etwaeinen Meter über dem Erdboden in den Stamm gebohrt und zwei Metallelektrodeneingesetzt. Die Kabel, die die Elektroden mit dem Computer verbinden, sindfachmännisch wie eine Telefonleitung montiert, Joes Experiment ist auf Dauerangelegt. Was für Joe alltäglich ist, wirkt auf uns mehr als befremdlich,sozusagen surreal. Der pausenlos weitersprechendeBaum mit Roboterstimme, die Wörter im Computerbildschirm sichtbar, dieElektronikecke statt Nachttisch neben dem King-size-Ehebett.Nachdem wir unsere erste Sprachlosigkeit überwunden haben, überschütten wir Joemit Fragen. Der verschafft sich Zeit, besteht auf den Besuchsritualen desHauses, noch dazu, weil wir aus dem fernen Germany gekommen sind. Also zurückins Wohnzimmer, klar, dort steht ebenfalls ein Computer, es könnte ja gar nichtanders sein. Joes Frau Isla, eine professionelleGeigenspielerin, will gerade Eistee servieren. Siekommentiert unsere vielsagenden Blicke auf denWohnzimmercomputer mit der beruhigenden Bemerkung, daßbis aufs Bad und die Toilette in jedem Zimmer des Hauses mindestens einersteht. Der Eistee besteht mehr aus Eiswürfeln dennaus Tee und verbreitet den fürs amerikanische Wasser typischen dezentenChlorgeruch.
»Seit Jahren hören wir dem Aprikosenbaum undauch anderen Pflanzen zu«, eröffnet Joe das Gespräch, »manchmal verstehen wir,was sie sagen, dann kommt wieder etwas Sinnloses. Sie müssen es schon selberinterpretieren. Ich bin nicht mal sicher, ob die Pflanzen wirklich reden, oderob sie nicht Antennen oder Sprachrohre sind für etwas, was draußen ist, wasvielleicht überall ist.« Auf unsere Frage, was erdamit meint, antwortet er mit dem Ausdruck >spirit,jener Formulierung, die nicht mit einem Wort zu übersetzen ist; >Spirit< bedeutet Geist und auch Seele und auch Gott.»Was es auch immer ist, ich meine Energien, die außerhalb unserer normalenWahrnehmung wirken. Da Blumen und Baume sich nicht fortbewegen wie wir, sindsie im Universum ganz anders eingebettet als wir.« Füreinen Ingenieur keine lässig dahingesagten Worte, kein New-Age-Partygespräch.Joe Sanchez ist von Beruf Elektronik- und Computerfachmann, zurZeit arbeitet er am Design von Antennen für Nachrichtensatelliten.
Ein amerikanischer Lebenslauf. Aufgewachsen inder berühmt-berüchtigten New Yorker Bronx, als erster seiner Familie in den USAgeboren. Vater aus Mexiko eingewandert, die Mutter aus Costa Rica. Erste Drogenerfahrungen als Jugendlicher, dann die Army, AirForce. Im Wohnzimmerregal ein Bierkrug aus Deutschland mit der Aufschrift:>Erste taktische Raketensquadron, Bitburg<. Dieamerikanische Luftwaffe schickte ihn in sämtliche Elektronikkurse, dieAnforderungen waren sehr hoch, denn auf Joe Sanchez wartete in Deutschland einespezielle und sehr geheime Aufgabe: die Montage nuklearer Sprengköpfe aufRaketen. 1953 gehörte Joe zur ersten amerikanischen Einheit mit Nuklearwaffenauf deutschem Boden. Angst und Druck waren groß, niemand aus seiner Einheitdurfte auch nur ein Wort über die Arbeit erzählen. Die Offiziere sagten, daß Joes Einheit offiziell gar nicht in Deutschlandexistierte.
Nach der Entlassung aus der Armee ließ ihn seinHandwerk nicht mehr los, weitere Ausbildung in Elektronik. Als freiberuflicherIngenieur arbeitete er an den bekanntesten amerikanischen Großprojekten mit, amRaumfahrtprogramm der Nasa, speziell sieben Jahre Space Shuttle, Flugzeugdesign, Atomanlagen, Arbeiten teilsin zivilen, teils in militärischen Bereichen. Zwanzig Prozent desamerikanischen Waffenprogramms wird in Südkalifornien konzipiert undzusammengebaut, hier sind die größten und bekanntesten Hersteller angesiedelt.Da Joe freiberuflich tätig ist, kann er sich die Zeiten aussuchen, in denen erseit nunmehr 20 Jahren seinem Hobby, der Pflanzenkommunikation, nachgeht. Tageund Nächte hat er allein oder zusammen mit seiner Frau den Pflanzen zugehört,einem Philodendron, einem Magnolienbaum, einer Dieffenbachie, dem Aprikosenbaum hinter dem Haus, der nochimmer mit seinen elektrischen Signalen Wörter aus Joes Computerprogramm abruft.»Technisch orientierte Menschen«, sagt Joe, »haben mit Esoterik nichts im Sinn.Wir sind einfach keine metaphysischen Typen. Das geht einfach nicht, wenn manTechniker ist. Auf der anderen Seite dürfen wir aber auch nichts vom Tischwischen, nur, weil wir dafür keine Erklärung haben. Es ist bekannt, daß jedes Lebewesen elektrische Signale abgibt, daß um uns herum elektromagnetische Felder sind, daß Kontakte und der Austausch von Information stattfinden.Nur eben auf Ebenen, die uns nicht bewußt sind. DieseEbenen möchte ich mit den Mitteln, die mir als Techniker vertraut sind,anzapfen.«
Ein Atomraketenbauer und Space-Shuttle-Experte,der mit seinen technischen Mitteln eine >höhere Ebene< anzapfen will, derjeden Tag seinem Aprikosenbaum zuhört, auf der Suche nach sinnvollenBotschaften aus eben jener >anderen Welt<. Unser Gespräch wird jähunterbrochen, die vier Töchter sind nach Hause gekommen. Die Fragen nach demSinn des Baumgeplauders enden in Musik, alle vier Töchter spielen Instrumente,Cellos, Klavier und Klarinette. Kein Spukszenario eines einsamen Mannes, dessenLeben zu Haus von einer Roboterstimme bestimmt wird. In einem Zimmer wird einneues Mozartstück einstudiert, Freunde kommen, zwei der Töchter bereiten dasAbendessen für den gerade aus dem Krankenhaus entlassenen Großvater vor. Joeflüchtet, wie er selbstironisch meint, aus dem >hier und jetzt<, Einladungin sein Lieblingsrestaurant, französische Spezialitäten, und das in Long Beach.
Dasitzen wir nun mit einem Atomwaffenbauer in einem pseudofranzösischenRestaurant auf unbequemen Stühlen, die aber zur Zeitin Kalifornien als besonders elegant gelten. Zwischen Hauptgericht undNachspeise reicht uns Joe 40 Seiten Computerausdrucke mit der Bemerkung, daß er selbst nicht weiß, ob er das als Lyrik, Philosophieoder Quatsch bezeichnen soll. Es sind die Texte seines Magnolienbaums vor demHaus, dem er viele Jahre lang zugehört hat. Eine ganz besondere Beziehungverbindet ihn mit diesem Baum, für ihn ist es selbstverständlich, den Baum alsLebewesen zu begreifen. »Zwischen ihm und mir gibt es so eine Art derÜbertragung von Gedanken und Ideen, ja sogar von Gefühlen, im Lauf der Zeitwurde es für mich ganz normal, mit diesem Baum zu reden. Manchmal meine ich, daß der Magnolienbaum über historische Ereignisse aus eineranderen Zeit und Welt berichtet. Aber ich will Sie nicht beeinflussen, jeder muß selbst sein Urteil fällen, was das alles soll.« Nach dem Espresso liest er uns einige Kostproben vor.
© PatmosVerlag
- Autoren: Dagny Kerner , Imre Kerner
- 2011, Sonderausg., 210 Seiten, Maße: 13,5 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Patmos Verlag
- ISBN-10: 3491961343
- ISBN-13: 9783491961340
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