Hennen, B: Sturmreiterin
Roman
Österreich im 7-jährigen Krieg: Unter den Soldaten fällt ein wild entschlossener junger Mann auf. Dabei ist "er" in Wahrheit eine Frau in Männerkleidern. Gabriela wird als Mörderin gesucht, weil sie ihren Ehemann in Notwehr...
Leider schon ausverkauft
Buch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Hennen, B: Sturmreiterin “
Österreich im 7-jährigen Krieg: Unter den Soldaten fällt ein wild entschlossener junger Mann auf. Dabei ist "er" in Wahrheit eine Frau in Männerkleidern. Gabriela wird als Mörderin gesucht, weil sie ihren Ehemann in Notwehr niedergeschossen hat. Ihr Kampfgeschick bleibt nicht unbemerkt. Doch allegenwärtig ist die Angst, entdeckt zu werden.
Klappentext zu „Hennen, B: Sturmreiterin “
Ein historischer Roman der Spitzenklasse - vom Autor des Bestsellers "Die Elfen"Österreich im Siebenjährigen Krieg. Unter den Soldaten der Donaumonarchie fällt ein wild entschlossener junger Mann auf. Doch er ist nicht der, der er zu sein scheint, sondern eine Frau - Gabriela -, die sich mit Männerkleidung tarnt. Sie wird als Mörderin gesucht, weil sie ihren brutalen Ehemann in Notwehr niedergeschossen hat. Ihr Mut und ihr kämpferisches Geschick bleiben nicht unbemerkt, und schließlich zeichnet man sie sogar für ihre Tapferkeit aus. Doch stets hat sie Angst, entdeckt zu werden ...
Lese-Probe zu „Hennen, B: Sturmreiterin “
Die Sturmreiterin von Berhard Hennen1. KAPITEL
... mehr
Gabriela blies die fast herabgebrannte Kerze aus. Bald würde es wieder hell werden. Er war wieder einmal nicht gekommen. Müde blickte sie auf das kalte Mahl. Ein Brot war frisch gebacken und ein Huhn geschlachtet. Sie strich sich eine Strähne ihres schwarzen Haars aus der Stirn und ließ sich leise seufzend auf der grob gezimmerten Bank neben dem Tisch nieder. Wieder hatte sie eine Nacht vergebens auf ihn gewartet. Dabei war der Weg von der kleinen Grenzstadt Orschowa bis zu ihrem Gehöft nicht weit. Kaum mehr als zwei Meilen ...
Sie sah zu der Bettstatt hinüber, oben auf dem großen, gemauerten Ofen. Es war lange her, seit sie dort zum letzten Mal beieinandergelegen hatten. Sie hatte frisches Leinen aufgezogen für diese Nacht. Wehmütig erinnerte sie sich, wie alles angefangen hatte. immer hatte Janosch ein Kompliment für sie auf den Lippen gehabt. Matt lächelnd dachte sie daran, wie ihr Mann die Farbe ihrer Augen einst mit dem dunklen Grün eines Bergsees an einem Novembermorgen verglichen hatte. Am Tag der Hochzeit schien seine poetische Ader versiegt zu sein. Nur selten fand Janosch von dort an noch ein gutes Wort für sie und heute Morgen ... Sie ballte die Hände zu Fäusten. Eine hagere, störrische Ziege hatte er sie genannt.
Gabriela blickte auf ihren flachen Bauch. Wenn sie nur ein Kind von ihm empfangen könnte! Vielleicht würde dann alles wieder gut. Seine Gleichgültigkeit und die Einsamkeit hier draußen könnte sie nicht mehr lange ertragen. Wenn wenigstens ihr Vater noch leben würde ... Mit einem Kind würde alles besser werden! Einen Sohn ... Vor zwei Sommern erst, im Jahr des Herren 1753, hatte die Kaiserin, Maria Theresia, ihr dreizehntes Kind geboren. Warum sollte ihr, Gabriela, der Frau des Oberstzollmeisters Janosch Plarenzi, dann nicht das Glück vergönnt sein, wenigstens ein einziges Mal zu empfangen?
im Stall neben dem niedrigen Haus schnaubte unruhig das Pferd. Sollte er doch noch kommen? Die junge Frau lauschte nach Schritten auf dem Lehmweg, den die Julisonne so hart wie Stein gebrannt hatte. Eine halbe Stunde brauchte man darauf bis zur Stadt. irgendwo draußen im Zwielicht erklang das ausgelassene Lachen einer Frau. Vielleicht ein Zigeunerweib, das sich auf den Feldern mit einem Bauerssohn vergnügte.
Müde begann Gabriela den Tisch abzutragen. Das Brot schlug sie in Leinen ein und legte es in einen Topf, damit es nicht zu schnell hart wurde. Anschließend goss sie sich einen Becher Wein ein und prostete stumm dem leeren Platz auf der anderen Seite des Tisches zu. Es war wohl ein Fehler gewesen, Janosch zu heiraten, dachte die junge Frau bitter. Durch den Einfluss ihres Vaters war ihr Mann zum obersten Zollbeamten in Orschowa aufgestiegen. Seit ihr Vater tot war, fand Janosch kaum noch durch ihre Tür. immer häufiger blieb er über Nacht in der kleinen Stadt.
Wieder ertönte das Frauenlachen in der Dämmerung. Diesmal viel näher. Auf dem Lehmweg waren Schritte zu hören, die sich dem Haus näherten.
Gabriela blickte zu dem Kasten aus poliertem Nussholz, in dem sie die Pistolen ihres Vaters verwahrte. Das Haus lag nur wenige Meilen von der Grenze entfernt, und manchmal kamen Räuber über den großen Fluss, um eines der einsamen Gehöfte zu überfallen. Doch Plünderer würden nicht so viel Lärm machen und wären beritten gewesen. Auch hatte der Hund nicht angeschlagen. Ob es doch Janosch war?
Wie zur Antwort polterte es vor der Tür, und eine ihr nur zu vertraute Stimme lallte etwas unverständliches. Er war also wieder einmal betrunken! Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht, dann flog die Tür auf und der helle Schein einer Laterne fiel in die Stube.
»Finster wie in der Hölle ist's hier«, brummte Janoschs tiefe Stimme, und mit einem Tritt beförderte er einen Schemel zur Seite. Hinter ihm erschien eine zweite Gestalt im Türrahmen. Eine Frau!
Fassungslos starrte Gabriela den Schatten an. Sie war wie gelähmt. Plünderern wäre sie mit zwei geladenen Pistolen in der Hand entgegengetreten, doch das hier ... Das helle Licht der Laterne fiel auf ihr Gesicht.
»Schau nur, des Teufels Großmutter ist auch hier!« Das Weib lachte prustend. »ist das Gerippe da deine Magd?«
Janosch hielt sich an der Tischkante fest und blickte zu ihr hinüber. Gerade hatte er eine Kerze am Licht der Blendlaterne entzündet. Sein Gesicht war rot vom Wein. Der Dreispitz saß ihm schief auf dem Kopf, und die gepuderte Perücke, die er im Dienst trug, lugte aus einer der Taschen seines grauen Überrocks. Seine Weste und auch das feine Leinenhemd darunter waren halb aufgeknöpft.
Janosch grinste schief. »ich hoffe, du hast uns schon das Bett vorgewärmt. ich will in dieser Nacht meinen Spaß haben. Kannst ja zusehen. Vielleicht lernst du noch was ...«
Gabriela wollte etwas antworten, doch ihr versagte die Stimme. Stumm starrte sie zu der Frau, die nun an die Seite ihres Mannes getreten war. Sie trug ihr langes, blondes Haar offen. ihr Gesicht war rund, so wie alles an ihr. ihr weiter roter Rock war mit Flecken besudelt, und die Schnur ihres tief ausgeschnittenen Mieders war geöffnet, sodass ihre drallen Brüste hervorquollen. ihr Arsch war so riesig wie der eines Brauereipferdes. Offenbar war das Miststück eine Dirne oder eine Magd aus einer der Kaschemmen bei den Anlegeplätzen am Fluss.
»Glotz nicht wie 'ne Kuh! Dich zu nehmen, macht so viel Spaß, als würde ich es mit einem Astloch in 'nem Brett treiben. Was glaubst du, warum ich nicht mehr nach Hause komme?« Janosch griff der Dirne ins Mieder und holte ihre Brüste hervor. »So soll eine Frau aussehen!« Das Weib kicherte hämisch.
»Raus aus meinem Haus! Pack deine Hure und lass dich hier nie wieder sehen!«
»Dein Haus? Du bist mein Weib! Alles, was du mit in die Ehe gebracht hast, gehört jetzt mir. Wie redest du überhaupt mit deinem Herrn? Auf die Knie und entschuldige dich ... Kannst dankbar sein, dass so ein hässliches Knochengestell wie du überhaupt einen Mann abbekommen hat. Weißt du, wie sehr ich mich habe verstellen müssen, um dir und deinem Vater vorzumachen, dass ich dich liebe? Jedes Mal hat es mich Überwindung gekostet, mit dir ins Bett zu gehen. Damit ist jetzt Schluss! Heute werde ich zum ersten Mal mit einem Weib in meinem Ehebett liegen, an dem ich meinen Spaß habe!«
Gabriela schluckte hart. Kalte Wut stieg in ihr auf. Dieser Bastard! Sie biss sich auf die Lippen. Wenn er geglaubt hatte, sie würde seinetwegen in Tränen ausbrechen, hatte er sich getäuscht. »Raus, du Hurenbock! Scher dich zum Teufel!«
Janosch lachte. »Einen Dreck werde ich!« Er griff nach dem langen Brotmesser, das noch auf dem Tisch lag, und prüfte mit dem Daumen die Spitze. »Es sind oft Räuber in der Gegend, nicht wahr? Haben dich nicht alle Nachbarn gewarnt, immer allein auf dem Hof zu bleiben, mein dummes Mädchen? Vielleicht sollten wir einfach unseren Streit beenden. Für immer!« Der Zöllner richtete sich auf und machte schwankend einen Schritt in ihre Richtung.
»Leg das Messer weg!« Gabriela tastete nach dem Kasten aus Nussholz, der hinter ihr auf der Kommode stand.
»Nicht, Janosch! Mach dich nicht unglücklich!« Die Schankhure fiel dem Zöllner in den Arm.
»unglücklich ... Hah, glücklich werde ich mich machen, wenn ich dieser Furie den Hals durchschneide.« Er stieß die Dirne zur Seite. »ich bin der Zollobermeister von Orschowa, und wenn ich sage, ich habe die Nacht bei einer Hure verbracht, als irgendwelche Strauchdiebe mein Haus niedergebrannt und mein Weib ermordet haben, dann wird es keine weiteren Fragen geben. Du hast hier keine Freunde, die dich vermissen werden.«
Gabriela schob mit dem Daumen den kleinen Bronzehaken zurück, der den Nussholzkasten verschloss. Dann hob sie den Deckel an. ihre Finger streiften das kalte Metall der Pistolenläufe. Sie stand so, dass sie mit ihrem Körper den Pistolenkasten verdeckte. Janosch hatte noch nichts bemerkt.
»Geh und schlaf deinen Rausch aus!« Gabriela bemühte sich, ruhig zu klingen. »Morgen werden wir in aller Ruhe über die Sache reden.«
Der Zöllner hob das Messer und schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, mein Liebchen! Zwischen uns ist alles gesagt.«
Gabrielas Hand schloss sich um den Griff der vorderen der zwei Pistolen, die auf einem Futter aus kühlem, blauem Samt lagen. »Geh doch endlich ...«
»Angst vorm Sterben?« Janosch grinste breit. »Du hast doch immer die Heldentochter gegeben ... Alles nur Theater? Wie ist es, den kalten Atem des Sensenmannes im Nacken zu spüren?«
»Frag dich das selbst!« Sie zog die Waffe aus dem Kasten und spannte den Hahn. Gabriela wandte den Blick nicht von ihrem Mann. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass kaum noch Pulver auf der Pfanne der Steinschlosspistole lag. Stumm verfluchte sie sich dafür, dass sie die beiden Waffen seit mehr als einer Woche nicht mehr gereinigt und nachgeladen hatte.
»Das wirst du nicht tun, mein Herzchen ...« Janosch streckte die Hand mit dem Messer vor. Er zitterte leicht.
Fast berührte die Klinge ihre Kehle, als sie ihm die Pistole auf die Brust setzte und abdrückte. Ein scharfes metallisches Klacken erklang ... und nichts geschah. Es war zu wenig Pulver auf der Pfanne gewesen. Der Funken hatte nicht gezündet!
»Fahr zur Hölle, Flintenweib!« Janosch stieß mit dem Messer zu.
Gabriela duckte sich. Die Klinge schnitt über ihre Wange. Sie riss den Pistolenkasten von der Kommode und zog die zweite Waffe aus dem Samtfutter. Die Hure, die Janosch angeschleppt hatte, fing an, hysterisch zu kreischen.
Der Zöllner hob das Messer, um erneut zuzustoßen. Gabriela riss den Hahn zurück und drückte ab. Mit infernalischem Getöse löste sich ein Schuss. Janosch wurde nach hinten gerissen, schlug gegen den Tisch und fiel dann zu Boden. Grauer Pulverdampf zog wie Nebel durch die Stube. Der Knall des Schusses hallte in Gabrielas Ohren nach. Sie spürte warmes Blut ihre Wange hinabrinnen.
Janosch lag grotesk verrenkt neben dem Tisch. Die Kugel hatte ihn in die Hüfte getroffen. Seine klaren, blauen Augen starrten leblos zur Decke. Die Hure beugte sich über ihn. Mit Streifen, die sie von ihrem Rock gerissen hatte, versuchte sie die Blutung zu stillen. Dann starrte sie zu Gabriela. »Dich bring ich an den Galgen, Mörderin!« Sie hob das Messer auf, das neben Janosch lag. »Wirf die Waffe weg, Mörderin, oder ich bringe zu Ende, was er angefangen hat, du treulose Schlampe ... «
»Lass das ... Wir müssen den Arzt aus der Stadt holen.«
»Er braucht ... keinen ... Arzt mehr!«, stieß die Hure schluchzend hervor. »Mein Janosch ... « Sie strich dem Zöllner eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann war sie plötzlich mit einem Satz auf den Beinen.
im Reflex hob Gabriela die Pistole und schlug mit dem Knauf zu. Sie traf das Weib direkt über der Schläfe und die Dirne stürzte wie ein Sack Mehl zu Boden.
Wie versteinert starrte die Zöllnerin auf die beiden Gestalten am Boden. Die Waffe in ihrer Hand schien ihr so schwer wie ein Mühlstein.
Polternd fiel die Pistole zu Boden. Was hatte sie nur getan! Sie war eine Mörderin! Dafür würde sie hängen ... Sie dachte an den Galgen aus altersgrauem Holz, der auf dem Hügel vor Orschowa stand. Man ließ die Hingerichteten zur Abschreckung ein paar Tage hängen. Sobald die Schaulustigen gegangen waren, kamen die Raben ... Schaudernd dachte sie an die großen schwarzen Vögel. Ein paarmal hatte Gabriela von weitem gesehen, wie sie auf den Schultern der Gehängten hockten. Fast als seien sie noch lebendig, hatten sich die Toten tanzend am Seil gedreht und gewunden, wenn die Raben ihnen mit kräftigen Schnabelhieben das kalte Fleisch von den Knochen rissen.
Die Zöllnerin keuchte. Lieber würde sie sich selbst richten, als so zu enden. Wieder blickte sie zu den beiden. Sie hatte sich doch nur gewehrt! Janosch hatte versucht, sie umzubringen. Aber das würde die Richter wohl kaum interessieren. und Gott allein wusste, wie diese Dirne den Vorfall erzählen mochte. Wahrscheinlich würde sie ihr alle Schuld zuschieben.
Gabriela dachte an die Räuber, die manchmal über den großen Fluss kamen. Vielleicht hatte Janosch recht ... Wenn man es richtig anfing, konnte man die Sache so darstellen, als sei das Gehöft überfallen worden. ihre nächsten Nachbarn wohnten mehr als eine Meile entfernt. Wahrscheinlich hatte niemand den Schuss gehört. Wenn sie alle Wertsachen zusammenraffte und das Pferd aus dem Stall nahm, dann würde es so aussehen, als seien Plünderer im Haus gewesen.
Die Hure stöhnte leise. Gabriela fluchte stumm. Sie lebte also ... Die Dirne würde allen erzählen, wie das Flintenweib des Zöllners ihren Mann erschossen hatte. Solange sie lebte, gab es keine Aussicht davonzukommen ... Was sollte sie nur tun?
Verzweifelt sah sich Gabriela in der Stube um, bis ihr Blick an dem kleinen, geschnitzten Holzkreuz an der Wand über dem Bett verweilte. in fast verblichenen Farben war eine Jesusgestalt darauf gemalt. Das Kreuz hatte ihrer Mutter gehört. Angeblich war es sehr alt. Es war das einzige Erinnerungsstück an ihre Mutter, das ihr geblieben war. Sie würde es nicht zurücklassen.
Gott wusste, dass sie keine Mörderin war! Auch wenn die Menschen sie richten würden, durfte sie immer noch auf seine Gnade hoffen. Doch wenn sie die Hure tötete, hätte sie auf immer ihr Seelenheil verwirkt. Sie wusste jetzt, was zu tun war. Sie würde ihre Stute satteln und nach Süden reiten, um an einer seichten Stelle den großen Fluss zu überqueren. Man sollte denken, sie sei zu den Türken geflohen.
»Du halb verhungerte Wölfin willst also meine Nichte sein!« ungläubig musterte der Festungskommandant das Weib, das man zu ihm in den Kartenraum gebracht hatte. »Warum sollte ich dir das glauben? ich habe die Tochter meines Bruders seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen.«
Er musterte die lange, nur halb verheilte Schnittwunde auf der Wange der jungen Frau, die vor ihm stand. Fast wie ein Knabe sah sie aus mit ihren breiten Augenbrauen, dem sonnenverbrannten Gesicht und ihrem schlanken Körper. Das einfache rote Kleid, das sie trug, schien irgendwie nicht zu ihr zu passen. Die Säume waren mit Schlamm und Unrat von den Straßen bespritzt, und sie hatte etwas an sich, das alles andere als damenhaft wirkte. Vielleicht war das aber auch der Hunger. Während sie sprachen, stierte die Fremde immer wieder zu den Resten des Bratens hinüber, den er zu Mittag verspeist hatte. Das silberne Tablett mit Fleisch, gekochtem Gemüse und Brot stand noch auf dem Kartentisch. Daneben eine tönerne Karaffe mit trockenem Rotem.
»ich habe Beweise dafür, die Tochter des Carolus Freiherr von Bretton zu sein. Wenn Sie dem Wachtmeister befehlen, den Säbel hereinzubringen, den man mir abgenommen hat, dann werden Sie darin die Waffe ihres Bruders erkennen.«
»So.« Der General musterte sie noch einmal. Sein Blick fiel auf ihre spitz zulaufenden Stiefel. Die ungarischen Reiter oder auch die Grenzer trugen solches Schuhwerk. Wahrscheinlich war das Weib irgendein Soldatenliebchen. im Grunde hatte er keine Zeit, sich mit solchen Bagatellen herumzuschlagen. Es gab Ärger mit dem Bau der Westschanze, und er musste eigentlich hin und die Arbeiten inspizieren. Aber das junge Weib weckte sein Interesse. Er gab dem Soldaten an der Tür einen Wink. »Bring er mir den Säbel, den der Wachtmeister Jarek beschlagnahmt hat.«
Der Soldat salutierte zackig und verschwand durch die Tür.
»Was führt dich nach Olmütz, Weib?«
Zum ersten Mal schlug die junge Frau die Augen nieder.
Bislang hatte sie ihm herausfordernd ins Gesicht geblickt, doch diese Frage war ihr offenbar peinlich.
»ich ... ähm ... ich hatte gehofft, dass ihr mich in Euren Haushalt aufnehmen könntet, Herr Onkel. ihr werdet Euch damit keine Laus in den Pelz setzen! ich kann arbeiten ... Euch den Haushalt führen und ... «
Der General schüttelte den Kopf. »ich habe einen Stiefelknecht, einen Koch und einen Jungen, der sich um die Kleinigkeiten kümmert. Was sollte ich da noch mit dir anfangen?« Die Fremde fing an, ihn zu langweilen. Er war lediglich gespannt, was für eine Geschichte sie ihm auftischen würde, wie sie an den Säbel seines Bruders gekommen war. Er wusste, dass seine Nichte mit einem Oberstzollmeister verheiratet war. Was zum Henker sollte sie hierhertreiben? Dieses Weib war eine Vagabundin. Das sah man auf den ersten Blick!
Schweigend blickte der Festungskommandant aus dem Fenster auf den Exerzierplatz und sah den jungen Rekruten beim Marschieren zu. Hinter sich hörte er das Weib unruhig von einem Fuß auf den anderen treten. Endlich ging die Tür auf.
»Herr General! Der Säbel.« Der junge Wachsoldat stand in der Türe und blickte erwartungsvoll zu ihm herüber.
Der Festungskommandant gab ihm ein Zeichen, die Waffe auf den Kartentisch zu legen. Der Soldat gehorchte und zog sich auf seinen Posten an der Tür zurück.
»ist das die Waffe, die dir der Wachtmeister abgenommen hat?«
Das Weibsbild nickte.
General Bretton nahm die Waffe vom Tisch und betrachtete sie eingehend. Es konnte keinen Zweifel geben, es war der Säbel seines Bruders. Er war ein Einzelstück. ihr Vater hatte ihn Carolus geschenkt, bevor sie beide mit Prinz Eugen gegen die Türken gezogen waren. Die Finger des Offiziers glitten über die tiefe Kerbe, die in den fein ziselierten Korb, der den Griff schützte, geschlagen war. Bei einem Armeesäbel mit einem einfachen Bügel hätte dieser Treffer seinen Bruder damals wohl sämtliche Finger gekostet. Der Kommandant blickte zu der jungen Frau.
»Wenn du die Tochter meines Bruders bist, weißt du sicherlich, woher diese Kerbe stammt.« Er zeigte auf die tiefe Scharte in dem polierten Messingkorb.
»Sie stammt von einem Offizier der Siphai aus dem Heer des Großwesirs Chalil Pascha, der 1717 mit seiner Armee Belgrad belagerte. Mein Vater gehörte damals zu den Husaren des Obristen Babocsay. ihr, Onkel, dientet zu der Zeit unter dem Feldmarschall-Lieutenant Claude Alexandre Comte de Bonneval, der uns später an die Türken verraten hat und ein Pascha in der Armee des Sultans wurde.«
Der Festungskommandant räusperte sich leise. Er wurde nicht gerne an den Comte erinnert. Er hatte ihn geliebt, ja vergöttert ... »Komm einmal näher, meine Kleine. Sag, wo hat mein Bruder seine schwerste Wunde erhalten?«
»Sein Herz ist zerbrochen, als seine Frau Maria und mein kleiner Bruder Claudius, den er nach Euch benannt hatte, am Sumpffieber starben. Auf Leben und Tod lag er, als ihn eine Kugel eine Handbreit über dem Herzen getroffen hat.«
»Wo ist das geschehen?«
»Als Feldzeugmeister Oliver Graf Wallis in Grocka in die Falle der Türken ging und sich die Türken die Köpfe von zehn unserer Generäle holten.«
Der Kommandant legte den Säbel auf den Tisch zurück und musterte die junge Frau eindringlich. Sie kannte die Geschichte dieser Waffe, so als hätte sie sie aus dem Mund seines Bruders gehört. und ihre grünen Augen ... Carolus hatte auch grüne Augen gehabt. Er heiratete, als er in Luzzara mit den Czungenberg-Husaren gestanden hatte. und ihre Nase ... Sie war völlig gerade. Klassisch schön ... Vielleicht ein wenig zu groß. Genau wie bei ihrer Mutter. Konnte dieses Weibsbild tatsächlich seine Nichte sein?
»Du bist doch mit einem Zöllner verheiratet ...«
»ich war dem Oberstzollmeister Janosch Plarenzi angetraut. Er wurde von Räubern, die unseren Hof überfallen haben, ermordet.«
»Das Gehöft bei Orschowa?« Der General strich sich nachdenklich über das Kinn. Er konnte sich nur noch vage an das kleine weiß getünchte Haus erinnern. Maria hatte davor Kräuter angepflanzt. Bei seinem Besuch hatte er ein Mädchen auf dem Schoß gehabt. War dies die junge Frau, die jetzt vor ihm stand? Nur ein einziges Mal war er bei seinem Bruder im Banat gewesen. Claudius hatte nie begriffen, warum Carolus sich ausgerechnet zu den Grenzern meldete und ins Banat gegangen war.
»Habe ich meine Prüfung bestanden?« Die Fremde blickte ihn nun wieder herausfordernd an. ihre Verlegenheit hatte sie abgelegt. Mit ihrem leicht zurückgenommenen Kopf und den zusammengezogenen Brauen erinnerte sie ihn an seinen Bruder. So hatte Carolus ausgesehen, wenn sie miteinander stritten.
»Eine letzte Frage habe ich noch. Du erinnerst dich doch sicher noch daran, wie ich euch besucht habe ... « »ich war damals noch sehr klein und ...«
»Etwas hast du bestimmt nicht vergessen. An einem Abend habe ich mich mit meinem Bruder gestritten. Du warst dabei. Hast neben dem Tisch gestanden. Wie nannte mich Carolus, wenn er wütend war?«
Die Frau grinste. »Seid ihr sicher, dass ich das wiederholen soll? ich meine, dort an der Tür steht ein Soldat und ... «
»Keine Sorge. ich würde wetten, dass meine Männer mich oft mit noch unfreundlicheren Worten bedenken als mein Bruder.«
»Gut, ihr habt es so gewollt. Mein Vater hat Euch an diesem Abend wiederholt einen störrischen, alten Pfeifenkopf genannt.«
Der General räusperte sich leise. Dann blickte er zu dem Wachtposten an der Tür. »Er ist vom Dienst befreit. Sorge Er dafür, dass mich diese verfluchten Ingenieure und Baumeister heute in Ruhe lassen.«
»Jawohl, Herr General!«
Der Kerl grinste, als er sich umdrehte. Bis zum Abend würde vermutlich die ganze Garnison wissen, wie ihn sein Bruder genannt hatte.
»Setz dich und iss. Du hast doch Hunger, nicht wahr?«
Die junge Frau nickte dankbar. »Ja. ich sehe nicht nur aus wie eine halb verhungerte Wölfin, ich habe auch mindestens einen genauso großen Appetit.«
Nachdenklich sah ihr der alte Offizier beim Essen zu. Messer und Gabel benutzte sie kaum. Das meiste stopfte sie einfach mit den Händen in sich hinein. Er hatte eine Barbarin als Nichte! Carolus hätte niemals ins Banat gehen sollen. Dickköpfiger Trottel! und trotzdem ... Wenn er den Kerl erwischen würde, der seiner Nichte die Schramme auf der Wange beigebracht hatte, dann würde er ihm den Bauch aufschlitzen und ihn an seinen Gedärmen aufhängen lassen ... Was die Heiden ihr wohl sonst noch angetan hatten?
...
Copyright © 2012 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Gabriela blies die fast herabgebrannte Kerze aus. Bald würde es wieder hell werden. Er war wieder einmal nicht gekommen. Müde blickte sie auf das kalte Mahl. Ein Brot war frisch gebacken und ein Huhn geschlachtet. Sie strich sich eine Strähne ihres schwarzen Haars aus der Stirn und ließ sich leise seufzend auf der grob gezimmerten Bank neben dem Tisch nieder. Wieder hatte sie eine Nacht vergebens auf ihn gewartet. Dabei war der Weg von der kleinen Grenzstadt Orschowa bis zu ihrem Gehöft nicht weit. Kaum mehr als zwei Meilen ...
Sie sah zu der Bettstatt hinüber, oben auf dem großen, gemauerten Ofen. Es war lange her, seit sie dort zum letzten Mal beieinandergelegen hatten. Sie hatte frisches Leinen aufgezogen für diese Nacht. Wehmütig erinnerte sie sich, wie alles angefangen hatte. immer hatte Janosch ein Kompliment für sie auf den Lippen gehabt. Matt lächelnd dachte sie daran, wie ihr Mann die Farbe ihrer Augen einst mit dem dunklen Grün eines Bergsees an einem Novembermorgen verglichen hatte. Am Tag der Hochzeit schien seine poetische Ader versiegt zu sein. Nur selten fand Janosch von dort an noch ein gutes Wort für sie und heute Morgen ... Sie ballte die Hände zu Fäusten. Eine hagere, störrische Ziege hatte er sie genannt.
Gabriela blickte auf ihren flachen Bauch. Wenn sie nur ein Kind von ihm empfangen könnte! Vielleicht würde dann alles wieder gut. Seine Gleichgültigkeit und die Einsamkeit hier draußen könnte sie nicht mehr lange ertragen. Wenn wenigstens ihr Vater noch leben würde ... Mit einem Kind würde alles besser werden! Einen Sohn ... Vor zwei Sommern erst, im Jahr des Herren 1753, hatte die Kaiserin, Maria Theresia, ihr dreizehntes Kind geboren. Warum sollte ihr, Gabriela, der Frau des Oberstzollmeisters Janosch Plarenzi, dann nicht das Glück vergönnt sein, wenigstens ein einziges Mal zu empfangen?
im Stall neben dem niedrigen Haus schnaubte unruhig das Pferd. Sollte er doch noch kommen? Die junge Frau lauschte nach Schritten auf dem Lehmweg, den die Julisonne so hart wie Stein gebrannt hatte. Eine halbe Stunde brauchte man darauf bis zur Stadt. irgendwo draußen im Zwielicht erklang das ausgelassene Lachen einer Frau. Vielleicht ein Zigeunerweib, das sich auf den Feldern mit einem Bauerssohn vergnügte.
Müde begann Gabriela den Tisch abzutragen. Das Brot schlug sie in Leinen ein und legte es in einen Topf, damit es nicht zu schnell hart wurde. Anschließend goss sie sich einen Becher Wein ein und prostete stumm dem leeren Platz auf der anderen Seite des Tisches zu. Es war wohl ein Fehler gewesen, Janosch zu heiraten, dachte die junge Frau bitter. Durch den Einfluss ihres Vaters war ihr Mann zum obersten Zollbeamten in Orschowa aufgestiegen. Seit ihr Vater tot war, fand Janosch kaum noch durch ihre Tür. immer häufiger blieb er über Nacht in der kleinen Stadt.
Wieder ertönte das Frauenlachen in der Dämmerung. Diesmal viel näher. Auf dem Lehmweg waren Schritte zu hören, die sich dem Haus näherten.
Gabriela blickte zu dem Kasten aus poliertem Nussholz, in dem sie die Pistolen ihres Vaters verwahrte. Das Haus lag nur wenige Meilen von der Grenze entfernt, und manchmal kamen Räuber über den großen Fluss, um eines der einsamen Gehöfte zu überfallen. Doch Plünderer würden nicht so viel Lärm machen und wären beritten gewesen. Auch hatte der Hund nicht angeschlagen. Ob es doch Janosch war?
Wie zur Antwort polterte es vor der Tür, und eine ihr nur zu vertraute Stimme lallte etwas unverständliches. Er war also wieder einmal betrunken! Ein Schlüssel wurde im Schloss umgedreht, dann flog die Tür auf und der helle Schein einer Laterne fiel in die Stube.
»Finster wie in der Hölle ist's hier«, brummte Janoschs tiefe Stimme, und mit einem Tritt beförderte er einen Schemel zur Seite. Hinter ihm erschien eine zweite Gestalt im Türrahmen. Eine Frau!
Fassungslos starrte Gabriela den Schatten an. Sie war wie gelähmt. Plünderern wäre sie mit zwei geladenen Pistolen in der Hand entgegengetreten, doch das hier ... Das helle Licht der Laterne fiel auf ihr Gesicht.
»Schau nur, des Teufels Großmutter ist auch hier!« Das Weib lachte prustend. »ist das Gerippe da deine Magd?«
Janosch hielt sich an der Tischkante fest und blickte zu ihr hinüber. Gerade hatte er eine Kerze am Licht der Blendlaterne entzündet. Sein Gesicht war rot vom Wein. Der Dreispitz saß ihm schief auf dem Kopf, und die gepuderte Perücke, die er im Dienst trug, lugte aus einer der Taschen seines grauen Überrocks. Seine Weste und auch das feine Leinenhemd darunter waren halb aufgeknöpft.
Janosch grinste schief. »ich hoffe, du hast uns schon das Bett vorgewärmt. ich will in dieser Nacht meinen Spaß haben. Kannst ja zusehen. Vielleicht lernst du noch was ...«
Gabriela wollte etwas antworten, doch ihr versagte die Stimme. Stumm starrte sie zu der Frau, die nun an die Seite ihres Mannes getreten war. Sie trug ihr langes, blondes Haar offen. ihr Gesicht war rund, so wie alles an ihr. ihr weiter roter Rock war mit Flecken besudelt, und die Schnur ihres tief ausgeschnittenen Mieders war geöffnet, sodass ihre drallen Brüste hervorquollen. ihr Arsch war so riesig wie der eines Brauereipferdes. Offenbar war das Miststück eine Dirne oder eine Magd aus einer der Kaschemmen bei den Anlegeplätzen am Fluss.
»Glotz nicht wie 'ne Kuh! Dich zu nehmen, macht so viel Spaß, als würde ich es mit einem Astloch in 'nem Brett treiben. Was glaubst du, warum ich nicht mehr nach Hause komme?« Janosch griff der Dirne ins Mieder und holte ihre Brüste hervor. »So soll eine Frau aussehen!« Das Weib kicherte hämisch.
»Raus aus meinem Haus! Pack deine Hure und lass dich hier nie wieder sehen!«
»Dein Haus? Du bist mein Weib! Alles, was du mit in die Ehe gebracht hast, gehört jetzt mir. Wie redest du überhaupt mit deinem Herrn? Auf die Knie und entschuldige dich ... Kannst dankbar sein, dass so ein hässliches Knochengestell wie du überhaupt einen Mann abbekommen hat. Weißt du, wie sehr ich mich habe verstellen müssen, um dir und deinem Vater vorzumachen, dass ich dich liebe? Jedes Mal hat es mich Überwindung gekostet, mit dir ins Bett zu gehen. Damit ist jetzt Schluss! Heute werde ich zum ersten Mal mit einem Weib in meinem Ehebett liegen, an dem ich meinen Spaß habe!«
Gabriela schluckte hart. Kalte Wut stieg in ihr auf. Dieser Bastard! Sie biss sich auf die Lippen. Wenn er geglaubt hatte, sie würde seinetwegen in Tränen ausbrechen, hatte er sich getäuscht. »Raus, du Hurenbock! Scher dich zum Teufel!«
Janosch lachte. »Einen Dreck werde ich!« Er griff nach dem langen Brotmesser, das noch auf dem Tisch lag, und prüfte mit dem Daumen die Spitze. »Es sind oft Räuber in der Gegend, nicht wahr? Haben dich nicht alle Nachbarn gewarnt, immer allein auf dem Hof zu bleiben, mein dummes Mädchen? Vielleicht sollten wir einfach unseren Streit beenden. Für immer!« Der Zöllner richtete sich auf und machte schwankend einen Schritt in ihre Richtung.
»Leg das Messer weg!« Gabriela tastete nach dem Kasten aus Nussholz, der hinter ihr auf der Kommode stand.
»Nicht, Janosch! Mach dich nicht unglücklich!« Die Schankhure fiel dem Zöllner in den Arm.
»unglücklich ... Hah, glücklich werde ich mich machen, wenn ich dieser Furie den Hals durchschneide.« Er stieß die Dirne zur Seite. »ich bin der Zollobermeister von Orschowa, und wenn ich sage, ich habe die Nacht bei einer Hure verbracht, als irgendwelche Strauchdiebe mein Haus niedergebrannt und mein Weib ermordet haben, dann wird es keine weiteren Fragen geben. Du hast hier keine Freunde, die dich vermissen werden.«
Gabriela schob mit dem Daumen den kleinen Bronzehaken zurück, der den Nussholzkasten verschloss. Dann hob sie den Deckel an. ihre Finger streiften das kalte Metall der Pistolenläufe. Sie stand so, dass sie mit ihrem Körper den Pistolenkasten verdeckte. Janosch hatte noch nichts bemerkt.
»Geh und schlaf deinen Rausch aus!« Gabriela bemühte sich, ruhig zu klingen. »Morgen werden wir in aller Ruhe über die Sache reden.«
Der Zöllner hob das Messer und schüttelte bedächtig den Kopf. »Nein, mein Liebchen! Zwischen uns ist alles gesagt.«
Gabrielas Hand schloss sich um den Griff der vorderen der zwei Pistolen, die auf einem Futter aus kühlem, blauem Samt lagen. »Geh doch endlich ...«
»Angst vorm Sterben?« Janosch grinste breit. »Du hast doch immer die Heldentochter gegeben ... Alles nur Theater? Wie ist es, den kalten Atem des Sensenmannes im Nacken zu spüren?«
»Frag dich das selbst!« Sie zog die Waffe aus dem Kasten und spannte den Hahn. Gabriela wandte den Blick nicht von ihrem Mann. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass kaum noch Pulver auf der Pfanne der Steinschlosspistole lag. Stumm verfluchte sie sich dafür, dass sie die beiden Waffen seit mehr als einer Woche nicht mehr gereinigt und nachgeladen hatte.
»Das wirst du nicht tun, mein Herzchen ...« Janosch streckte die Hand mit dem Messer vor. Er zitterte leicht.
Fast berührte die Klinge ihre Kehle, als sie ihm die Pistole auf die Brust setzte und abdrückte. Ein scharfes metallisches Klacken erklang ... und nichts geschah. Es war zu wenig Pulver auf der Pfanne gewesen. Der Funken hatte nicht gezündet!
»Fahr zur Hölle, Flintenweib!« Janosch stieß mit dem Messer zu.
Gabriela duckte sich. Die Klinge schnitt über ihre Wange. Sie riss den Pistolenkasten von der Kommode und zog die zweite Waffe aus dem Samtfutter. Die Hure, die Janosch angeschleppt hatte, fing an, hysterisch zu kreischen.
Der Zöllner hob das Messer, um erneut zuzustoßen. Gabriela riss den Hahn zurück und drückte ab. Mit infernalischem Getöse löste sich ein Schuss. Janosch wurde nach hinten gerissen, schlug gegen den Tisch und fiel dann zu Boden. Grauer Pulverdampf zog wie Nebel durch die Stube. Der Knall des Schusses hallte in Gabrielas Ohren nach. Sie spürte warmes Blut ihre Wange hinabrinnen.
Janosch lag grotesk verrenkt neben dem Tisch. Die Kugel hatte ihn in die Hüfte getroffen. Seine klaren, blauen Augen starrten leblos zur Decke. Die Hure beugte sich über ihn. Mit Streifen, die sie von ihrem Rock gerissen hatte, versuchte sie die Blutung zu stillen. Dann starrte sie zu Gabriela. »Dich bring ich an den Galgen, Mörderin!« Sie hob das Messer auf, das neben Janosch lag. »Wirf die Waffe weg, Mörderin, oder ich bringe zu Ende, was er angefangen hat, du treulose Schlampe ... «
»Lass das ... Wir müssen den Arzt aus der Stadt holen.«
»Er braucht ... keinen ... Arzt mehr!«, stieß die Hure schluchzend hervor. »Mein Janosch ... « Sie strich dem Zöllner eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann war sie plötzlich mit einem Satz auf den Beinen.
im Reflex hob Gabriela die Pistole und schlug mit dem Knauf zu. Sie traf das Weib direkt über der Schläfe und die Dirne stürzte wie ein Sack Mehl zu Boden.
Wie versteinert starrte die Zöllnerin auf die beiden Gestalten am Boden. Die Waffe in ihrer Hand schien ihr so schwer wie ein Mühlstein.
Polternd fiel die Pistole zu Boden. Was hatte sie nur getan! Sie war eine Mörderin! Dafür würde sie hängen ... Sie dachte an den Galgen aus altersgrauem Holz, der auf dem Hügel vor Orschowa stand. Man ließ die Hingerichteten zur Abschreckung ein paar Tage hängen. Sobald die Schaulustigen gegangen waren, kamen die Raben ... Schaudernd dachte sie an die großen schwarzen Vögel. Ein paarmal hatte Gabriela von weitem gesehen, wie sie auf den Schultern der Gehängten hockten. Fast als seien sie noch lebendig, hatten sich die Toten tanzend am Seil gedreht und gewunden, wenn die Raben ihnen mit kräftigen Schnabelhieben das kalte Fleisch von den Knochen rissen.
Die Zöllnerin keuchte. Lieber würde sie sich selbst richten, als so zu enden. Wieder blickte sie zu den beiden. Sie hatte sich doch nur gewehrt! Janosch hatte versucht, sie umzubringen. Aber das würde die Richter wohl kaum interessieren. und Gott allein wusste, wie diese Dirne den Vorfall erzählen mochte. Wahrscheinlich würde sie ihr alle Schuld zuschieben.
Gabriela dachte an die Räuber, die manchmal über den großen Fluss kamen. Vielleicht hatte Janosch recht ... Wenn man es richtig anfing, konnte man die Sache so darstellen, als sei das Gehöft überfallen worden. ihre nächsten Nachbarn wohnten mehr als eine Meile entfernt. Wahrscheinlich hatte niemand den Schuss gehört. Wenn sie alle Wertsachen zusammenraffte und das Pferd aus dem Stall nahm, dann würde es so aussehen, als seien Plünderer im Haus gewesen.
Die Hure stöhnte leise. Gabriela fluchte stumm. Sie lebte also ... Die Dirne würde allen erzählen, wie das Flintenweib des Zöllners ihren Mann erschossen hatte. Solange sie lebte, gab es keine Aussicht davonzukommen ... Was sollte sie nur tun?
Verzweifelt sah sich Gabriela in der Stube um, bis ihr Blick an dem kleinen, geschnitzten Holzkreuz an der Wand über dem Bett verweilte. in fast verblichenen Farben war eine Jesusgestalt darauf gemalt. Das Kreuz hatte ihrer Mutter gehört. Angeblich war es sehr alt. Es war das einzige Erinnerungsstück an ihre Mutter, das ihr geblieben war. Sie würde es nicht zurücklassen.
Gott wusste, dass sie keine Mörderin war! Auch wenn die Menschen sie richten würden, durfte sie immer noch auf seine Gnade hoffen. Doch wenn sie die Hure tötete, hätte sie auf immer ihr Seelenheil verwirkt. Sie wusste jetzt, was zu tun war. Sie würde ihre Stute satteln und nach Süden reiten, um an einer seichten Stelle den großen Fluss zu überqueren. Man sollte denken, sie sei zu den Türken geflohen.
»Du halb verhungerte Wölfin willst also meine Nichte sein!« ungläubig musterte der Festungskommandant das Weib, das man zu ihm in den Kartenraum gebracht hatte. »Warum sollte ich dir das glauben? ich habe die Tochter meines Bruders seit ihrer Kindheit nicht mehr gesehen.«
Er musterte die lange, nur halb verheilte Schnittwunde auf der Wange der jungen Frau, die vor ihm stand. Fast wie ein Knabe sah sie aus mit ihren breiten Augenbrauen, dem sonnenverbrannten Gesicht und ihrem schlanken Körper. Das einfache rote Kleid, das sie trug, schien irgendwie nicht zu ihr zu passen. Die Säume waren mit Schlamm und Unrat von den Straßen bespritzt, und sie hatte etwas an sich, das alles andere als damenhaft wirkte. Vielleicht war das aber auch der Hunger. Während sie sprachen, stierte die Fremde immer wieder zu den Resten des Bratens hinüber, den er zu Mittag verspeist hatte. Das silberne Tablett mit Fleisch, gekochtem Gemüse und Brot stand noch auf dem Kartentisch. Daneben eine tönerne Karaffe mit trockenem Rotem.
»ich habe Beweise dafür, die Tochter des Carolus Freiherr von Bretton zu sein. Wenn Sie dem Wachtmeister befehlen, den Säbel hereinzubringen, den man mir abgenommen hat, dann werden Sie darin die Waffe ihres Bruders erkennen.«
»So.« Der General musterte sie noch einmal. Sein Blick fiel auf ihre spitz zulaufenden Stiefel. Die ungarischen Reiter oder auch die Grenzer trugen solches Schuhwerk. Wahrscheinlich war das Weib irgendein Soldatenliebchen. im Grunde hatte er keine Zeit, sich mit solchen Bagatellen herumzuschlagen. Es gab Ärger mit dem Bau der Westschanze, und er musste eigentlich hin und die Arbeiten inspizieren. Aber das junge Weib weckte sein Interesse. Er gab dem Soldaten an der Tür einen Wink. »Bring er mir den Säbel, den der Wachtmeister Jarek beschlagnahmt hat.«
Der Soldat salutierte zackig und verschwand durch die Tür.
»Was führt dich nach Olmütz, Weib?«
Zum ersten Mal schlug die junge Frau die Augen nieder.
Bislang hatte sie ihm herausfordernd ins Gesicht geblickt, doch diese Frage war ihr offenbar peinlich.
»ich ... ähm ... ich hatte gehofft, dass ihr mich in Euren Haushalt aufnehmen könntet, Herr Onkel. ihr werdet Euch damit keine Laus in den Pelz setzen! ich kann arbeiten ... Euch den Haushalt führen und ... «
Der General schüttelte den Kopf. »ich habe einen Stiefelknecht, einen Koch und einen Jungen, der sich um die Kleinigkeiten kümmert. Was sollte ich da noch mit dir anfangen?« Die Fremde fing an, ihn zu langweilen. Er war lediglich gespannt, was für eine Geschichte sie ihm auftischen würde, wie sie an den Säbel seines Bruders gekommen war. Er wusste, dass seine Nichte mit einem Oberstzollmeister verheiratet war. Was zum Henker sollte sie hierhertreiben? Dieses Weib war eine Vagabundin. Das sah man auf den ersten Blick!
Schweigend blickte der Festungskommandant aus dem Fenster auf den Exerzierplatz und sah den jungen Rekruten beim Marschieren zu. Hinter sich hörte er das Weib unruhig von einem Fuß auf den anderen treten. Endlich ging die Tür auf.
»Herr General! Der Säbel.« Der junge Wachsoldat stand in der Türe und blickte erwartungsvoll zu ihm herüber.
Der Festungskommandant gab ihm ein Zeichen, die Waffe auf den Kartentisch zu legen. Der Soldat gehorchte und zog sich auf seinen Posten an der Tür zurück.
»ist das die Waffe, die dir der Wachtmeister abgenommen hat?«
Das Weibsbild nickte.
General Bretton nahm die Waffe vom Tisch und betrachtete sie eingehend. Es konnte keinen Zweifel geben, es war der Säbel seines Bruders. Er war ein Einzelstück. ihr Vater hatte ihn Carolus geschenkt, bevor sie beide mit Prinz Eugen gegen die Türken gezogen waren. Die Finger des Offiziers glitten über die tiefe Kerbe, die in den fein ziselierten Korb, der den Griff schützte, geschlagen war. Bei einem Armeesäbel mit einem einfachen Bügel hätte dieser Treffer seinen Bruder damals wohl sämtliche Finger gekostet. Der Kommandant blickte zu der jungen Frau.
»Wenn du die Tochter meines Bruders bist, weißt du sicherlich, woher diese Kerbe stammt.« Er zeigte auf die tiefe Scharte in dem polierten Messingkorb.
»Sie stammt von einem Offizier der Siphai aus dem Heer des Großwesirs Chalil Pascha, der 1717 mit seiner Armee Belgrad belagerte. Mein Vater gehörte damals zu den Husaren des Obristen Babocsay. ihr, Onkel, dientet zu der Zeit unter dem Feldmarschall-Lieutenant Claude Alexandre Comte de Bonneval, der uns später an die Türken verraten hat und ein Pascha in der Armee des Sultans wurde.«
Der Festungskommandant räusperte sich leise. Er wurde nicht gerne an den Comte erinnert. Er hatte ihn geliebt, ja vergöttert ... »Komm einmal näher, meine Kleine. Sag, wo hat mein Bruder seine schwerste Wunde erhalten?«
»Sein Herz ist zerbrochen, als seine Frau Maria und mein kleiner Bruder Claudius, den er nach Euch benannt hatte, am Sumpffieber starben. Auf Leben und Tod lag er, als ihn eine Kugel eine Handbreit über dem Herzen getroffen hat.«
»Wo ist das geschehen?«
»Als Feldzeugmeister Oliver Graf Wallis in Grocka in die Falle der Türken ging und sich die Türken die Köpfe von zehn unserer Generäle holten.«
Der Kommandant legte den Säbel auf den Tisch zurück und musterte die junge Frau eindringlich. Sie kannte die Geschichte dieser Waffe, so als hätte sie sie aus dem Mund seines Bruders gehört. und ihre grünen Augen ... Carolus hatte auch grüne Augen gehabt. Er heiratete, als er in Luzzara mit den Czungenberg-Husaren gestanden hatte. und ihre Nase ... Sie war völlig gerade. Klassisch schön ... Vielleicht ein wenig zu groß. Genau wie bei ihrer Mutter. Konnte dieses Weibsbild tatsächlich seine Nichte sein?
»Du bist doch mit einem Zöllner verheiratet ...«
»ich war dem Oberstzollmeister Janosch Plarenzi angetraut. Er wurde von Räubern, die unseren Hof überfallen haben, ermordet.«
»Das Gehöft bei Orschowa?« Der General strich sich nachdenklich über das Kinn. Er konnte sich nur noch vage an das kleine weiß getünchte Haus erinnern. Maria hatte davor Kräuter angepflanzt. Bei seinem Besuch hatte er ein Mädchen auf dem Schoß gehabt. War dies die junge Frau, die jetzt vor ihm stand? Nur ein einziges Mal war er bei seinem Bruder im Banat gewesen. Claudius hatte nie begriffen, warum Carolus sich ausgerechnet zu den Grenzern meldete und ins Banat gegangen war.
»Habe ich meine Prüfung bestanden?« Die Fremde blickte ihn nun wieder herausfordernd an. ihre Verlegenheit hatte sie abgelegt. Mit ihrem leicht zurückgenommenen Kopf und den zusammengezogenen Brauen erinnerte sie ihn an seinen Bruder. So hatte Carolus ausgesehen, wenn sie miteinander stritten.
»Eine letzte Frage habe ich noch. Du erinnerst dich doch sicher noch daran, wie ich euch besucht habe ... « »ich war damals noch sehr klein und ...«
»Etwas hast du bestimmt nicht vergessen. An einem Abend habe ich mich mit meinem Bruder gestritten. Du warst dabei. Hast neben dem Tisch gestanden. Wie nannte mich Carolus, wenn er wütend war?«
Die Frau grinste. »Seid ihr sicher, dass ich das wiederholen soll? ich meine, dort an der Tür steht ein Soldat und ... «
»Keine Sorge. ich würde wetten, dass meine Männer mich oft mit noch unfreundlicheren Worten bedenken als mein Bruder.«
»Gut, ihr habt es so gewollt. Mein Vater hat Euch an diesem Abend wiederholt einen störrischen, alten Pfeifenkopf genannt.«
Der General räusperte sich leise. Dann blickte er zu dem Wachtposten an der Tür. »Er ist vom Dienst befreit. Sorge Er dafür, dass mich diese verfluchten Ingenieure und Baumeister heute in Ruhe lassen.«
»Jawohl, Herr General!«
Der Kerl grinste, als er sich umdrehte. Bis zum Abend würde vermutlich die ganze Garnison wissen, wie ihn sein Bruder genannt hatte.
»Setz dich und iss. Du hast doch Hunger, nicht wahr?«
Die junge Frau nickte dankbar. »Ja. ich sehe nicht nur aus wie eine halb verhungerte Wölfin, ich habe auch mindestens einen genauso großen Appetit.«
Nachdenklich sah ihr der alte Offizier beim Essen zu. Messer und Gabel benutzte sie kaum. Das meiste stopfte sie einfach mit den Händen in sich hinein. Er hatte eine Barbarin als Nichte! Carolus hätte niemals ins Banat gehen sollen. Dickköpfiger Trottel! und trotzdem ... Wenn er den Kerl erwischen würde, der seiner Nichte die Schramme auf der Wange beigebracht hatte, dann würde er ihm den Bauch aufschlitzen und ihn an seinen Gedärmen aufhängen lassen ... Was die Heiden ihr wohl sonst noch angetan hatten?
...
Copyright © 2012 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Bernhard Hennen
Bernhard Hennen, 1966 geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Vorderasiatische Altertumskunde. Als Journalist bereiste er den Orient und Mittelamerika, bevor er sich ganz dem Schreiben phantastischer Romane widmete. Bernhard Hennen lebt und arbeitet in Krefeld.
Bibliographische Angaben
- Autor: Bernhard Hennen
- 2012, 592 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453534069
- ISBN-13: 9783453534063
Kommentare zu "Hennen, B: Sturmreiterin"
0 Gebrauchte Artikel zu „Hennen, B: Sturmreiterin“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
5 von 5 Sternen
5 Sterne 2Schreiben Sie einen Kommentar zu "Hennen, B: Sturmreiterin".
Kommentar verfassen