Die Titanic und Herr Berg
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Die Titanic und HerrBerg von Kirsten Fuchs
LESEPROBE
Morgens sitze ich mein Aufwachen aus, bis das Meerschweinchenfiept. «Still!», sage ich zu dem Meerschweinchen, aber es fiept. «Sitz!», sageich zu dem Meerschweinchen, aber es fiept. «Sag mir mal deinen Namen, Vieh!»,fordere ich das Meerschweinchen auf, aber da ist es plötzlich ruhig. Das Meerschweinchenhat einen Namen. Ich weiß den Namen gerade nicht. Es ist das Haustier meinerTochter und wurde gestern im Hotel Papa eingecheckt. Angeblich sind alle anderenzu krank, um das Tierchen zu versorgen, ohne es anzustecken. Dass icheigentlich immer krank bin, interessiert nicht. Meine Tochter hat übrigens aucheinen Namen, aber ich war für einen anderen. Ich mag den Namen Linda nicht. Ichwar für Anton, denn ich wollte noch einen Sohn. Jungs sind gut. Jungs sindkeine Mädchen. Mädchen sind aber auch gut. Mädchen sind keine Jungs. Ich nennedas Meerschweinchen Anton. So heißt ein Freund von mir. Ich füttere Anton, dafiept er wieder, dann füttere ich mich, dann rauche ich. Mir ist nicht gleichnach dem Aufstehen nach Rauchen. Daran erkennt man wohl einen Raucher. Er willgleich nach dem Aufstehen sofort rauchen. Ich weiß nicht mehr, wer mir dasgesagt hat. Ist es besorgniserregender, dass man nicht weiß, wer einem waserzählt hat oder dass man immer genau weiß, wem man selbst was erzählt hat,weil man so wenig erzählt? Ich rauche seit dreizehn Jahren. Natürlich bin ichein Raucher. Ich will morgens nur vorher einen Toast mit Käse. Dann erst raucheich und dann übergebe ich mich der Welt. Der Weg zum Auto ist kurz, reichtaber, damit mir der Pappschnee eine dicke Sohle unter die Schuhe pappt. Dieganze Stadt ist voller Yetis. Es gibt sie doch. Sie haben Mützen auf undlaufen, als hätte der Pappschnee ihnen eine hohe Sohle unter die Schuhegepappt, und so ist es ja auch, so schauts. lm Amt tauen mir die vierZentimeter Erhöhung weg, und ich bin wieder europäischer Durchschnitt. Nur meinSchwanz ist größer als europäischer Durchschnitt. Was ich mir darauf einbilde,ist so groß wie eine Zwirnrolle - europäischer Durchschnitt natürlich. Icharbeite, bis ich stumpf bin, dann stehen die Hausbesuche an: eine Frau, dieeinen Kinderwagen beantragt hat, ein Türke, der alles Mögliche braucht, undein Mädchen, das mit mir schlafen will.
Ich soll den Azubi auf meinen Trip mitnehmen, damit er wasEkliges lernt und heute in sein Berichtsheft schreiben kann: Zwischen Theorieund Praxis gebricht es mir, würg. Der Azubi ist ganz patent, denn er ist zuschüchtern, um einen Plausch anzufangen. Ich bin auch gar nicht für ihn zuständig,und für was ich nicht zuständig bin, damit plausch ich auch nicht. Mit meinenFrauen habe ich immer geredet, und mit den Kindern rede ich auch, wie gehts,wie stehts? So was eben. Jedenfalls soll ich den Bub heute mitnehmen. Ich muss ehjemand mitnehmen. Ich habe die Wahl zwischen Männern, die ihr Gehirn inAlkohol eingelegt haben, und dem Bub, der damit erst anfangen wird. Er heißtLukas und ist einen Kopf größer als ich. Er ist massig und hat eine zu kleineBrille, an der er sich die Augen stößt. Ich weiß gar nicht, ob der in mein Autopasst. Er steigt hinten ein, okay, bin ich eben sein Taxi.
«Du weißt, warum wir immer zu zweit gehen müssen?»
«Ja», sagt er.
Damit habe ich nichts weiter zu sagen, er weiß es schon. Ichreiche ihm die Anträge hinter und auch die Protokolle, damit er schon mal dasDatum drauf schreiben kann. «21. November», sage ich ihm. Er schreibt aufseinen Knien. Ich schalte das Radio ein und suche den Sender, der mir mehr aufden Geist geht als alle anderen Radiosender, die mir auf den Geist gehen, aberer bringt keine Straßenverkehrsmeldungen, die mir noch mehr auf den Geistgehen als alles andere, was mir auf den Geist geht.
Vor dem Haus der Frau fragt mich Lukas, ob wir bei ihr angemeldetsind. Die Frage scheint ihn unter der Mütze zu jucken. Er kratzt sich dieStirn. Er sieht verschwitzt aus, weil er im Auto die ganze Montur angelassenhat. Das ist schlecht für die Haut, und schlechte Haut ist schlecht für Mädchenbekanntschaften,und keine Mädchenbekanntschaften sind schlecht fürs Selbstwertgefühl und dazunoch dieser Beruf. «Ich ruf immer vorher an», erkläre ich ihm und hoffe, dasser sich das merkt, merk dir das, schreibs in dein Berichtsheft. Ich lasse Lukasklingeln. So, jetzt weiß er, wie man klingelt, mit dem Daumen, so schauts. DieFrau, die den Kinderwagen will, duzt Lukas. Ich sieze ihn deshalb extra. (...)
© 2005 by Rowohlt - Berlin Verlag
- Autor: Kirsten Fuchs
- 2005, 1, 288 Seiten, Maße: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871345318
- ISBN-13: 9783871345319
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