Die Toten schweigen nicht
Thriller
Privatdetektiv Theo Tate ist einem grausamen Serienmörder auf der Spur. Doch bald gerät er selbst ins Visier der Polizei. Und auch der Killer scheint es auf ihn abgesehen zu haben.
"Paul Cleave ist ein Autor, den man genau im Auge behalten...
"Paul Cleave ist ein Autor, den man genau im Auge behalten...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Die Toten schweigen nicht “
Privatdetektiv Theo Tate ist einem grausamen Serienmörder auf der Spur. Doch bald gerät er selbst ins Visier der Polizei. Und auch der Killer scheint es auf ihn abgesehen zu haben.
"Paul Cleave ist ein Autor, den man genau im Auge behalten sollte."
Tess Gerritsen
"Paul Cleave ist ein Autor, den man genau im Auge behalten sollte."
Tess Gerritsen
Klappentext zu „Die Toten schweigen nicht “
Vergib mir, Vater, denn ich habe gesündigtChristchurch, Neuseeland. Am örtlichen Friedhof lässt Privatdetektiv Theo Tate eine Leiche exhumieren. Doch als der Sarg geöffnet wird, liegen darin nicht wie erwartet die Überreste eines alten Mannes, sondern der Körper einer jungen Frau. Kurz darauf treiben mehrere Leichen an der Wasseroberfläche des Friedhofssees. Ein Serienmörder treibt sein Unwesen und Tate setzt alles daran, ihn zu stellen. Doch bald gerät er selbst ins Visier der Polizei. Und auch der Killer hat es auf ihn abgesehen ...
"Paul Cleave besitzt die Fähigkeit, den Leser immer wieder zu überraschen." -- Sunday Telegraph
"'Die Toten schweigen nicht' erinnert in mancherlei Hinsicht an die Meisterwerke von Edgar Allan Poe oder auch Stephen King." -- The Australian
"Paul Cleave ist ein Autor, den man genau im Auge behalten sollte." -- Tess Gerritsen
"'Die Toten schweigen nicht' erinnert in mancherlei Hinsicht an die Meisterwerke von Edgar Allan Poe oder auch Stephen King." -- The Australian
"Paul Cleave ist ein Autor, den man genau im Auge behalten sollte." -- Tess Gerritsen
Lese-Probe zu „Die Toten schweigen nicht “
Die Toten schweigen nicht von Paul CleaveKapitel 1
Blaue Fingernägel.
Deswegen bin ich hier draußen. Ich stehe in der kalten Brise und zittere. Es sind nicht meine blauen Fingernägel, sie gehören jemand anders. Einem toten Kerl, den ich nicht kenne. Die Christchurch-Sonne, die mir vorhin auf den Pelz geknallt hat, ist mittlerweile verschwunden. Ich bin an dieses wechselhafte Wetter gewöhnt. Vor einer Stunde habe ich noch geschwitzt. Vor einer Stunde wollte ich mir den Tag freinehmen und zum Strand gehen. Jetzt bin ich froh, dass ich es nicht getan habe. Meine Fingernägel verfärben sich wahrscheinlich gerade ebenfalls blau, doch ich schaue lieber nicht hin. Ich bin wegen eines toten Mannes hier. Nicht wegen dem in der Erde unter mir, sondern wegen eines Typen, der jetzt im Leichenschauhaus liegt. Er benimmt sich so normal, wie das jemandem möglich ist, dessen Körper aufgeschlitzt und wie eine Stoffpuppe wieder zusammengeflickt wurde. Was wiederum normal ist für jemanden, der an einer Arsenvergiftung gestorben ist.
Ich wickle mich fester in meinen Mantel, doch bei dem kalten Wind nutzt das nichts. Ich hätte mich wärmer anziehen sollen. Beim Anblick der strahlenden Sonne heute Morgen hätte ich einfach ahnen müssen, wie das Wetter wird. Das Gras auf dem Friedhof ist an einigen Stellen ziemlich lang, besonders um die Bäume herum, wo man mit dem Rasenmäher nicht hinkommt; es neigt sich in sämtliche Richtungen wellenförmig von mir fort, als wäre ich das Epizentrum eines sich anbahnenden Sturms.
Dort, wo häufig Besucher langgehen, ist das Gras ganz kurz. Wo die Sonne die Feuchtigkeit verbrannt hat, ist es braun. Ich stehe zwischen laut knarzenden Eichen, von denen es Eicheln zwischen die Grabsteine regnet. Wenn sie auf den Gedenktafeln landen, hört es sich an, als würden die Toten verzweifelt mit den Knöcheln daran
... mehr
klopfen.
Die Luft ist kalt und feucht wie im Leichenschauhaus.
Bevor ich im Gesicht die ersten Tropfen spüre, sehe ich sie auf der Windschutzscheibe des Baggers. Ich richte den Blick auf den Horizont, dorthin, wo sich mit Schimmel bedeckte Grabsteine Richtung Stadt wälzen, wo der Tod sich immer weiter ausdehnt und in die Stadt vordringt.
Der Wind frischt auf, und die Blätter der Bäume rascheln, während von den Ästen noch mehr Eicheln fallen. Eine davon trifft mich im Nacken. Ich zucke zusammen und klaube sie aus meinem Kragen. Der Motor des Baggers heult laut auf, als der Fahrer, ein übergewichtiger Bursche, dessen Körper fast aus der Tür quillt, darin Platz nimmt. Er scheint genauso aufgeregt wie ich zu sein. Er drückt und zieht an verschiedenen Hebeln, langen und kurzen, das Gesicht angespannt vor Konzentration. Während er den Bagger neben die Grabstätte manövriert, kommt der Motor ins Stottern, und als die Schaufel in die harte Erde dringt, fängt die ganze Maschine an zu vibrieren. Die Schaufel schwenkt nach oben, gräbt sich ein und füllt sich mit Erde. Die Führerkabine des Baggers dreht sich, und die Erde landet auf einer Plane.
Der Friedhofswärter, ein junger Mann, steht daneben und beobachtet das Ganze. Er hat Mühe, sich bei dem stärker werdenden Wind eine Zigarette anzustecken; seine Hände zittern dabei fast so stark wie seine Schultern.
Nachdem der Bagger zwei weitere Ladungen Erde beiseitegeräumt hat, gibt er auf und stopft die Zigaretten zurück in die Tasche. Er wirft mir einen Blick zu, aus dem ich nicht ganz schlau werde. Ich hoffe, dass er nicht rüberkommt, um sich zu beschweren, dass jemand in seiner Ruhe gestört wird, doch das tut er nicht, stattdessen starrt er wieder auf die geweihte Erde.
Die Vibrationen des Baggers wandern durch meine Füße in meinen Körper, bis meine Beine anfangen zu kribbeln. Der Baum hinter mir wird ebenfalls davon erfasst, so dass mir erneut einige Eicheln in den Nacken prasseln. Ich trete aus dem Baumschatten in den Nieselregen; dabei verdrehe ich mir an den dicken Wurzeln der Eiche, die sich durch den Boden gegraben haben, fast den Knöchel.
Nur etwa fünfzehn Meter entfernt gibt es einen kleinen See, etwa so groß wie ein Becken für Schwimmwettkämpfe. Er ist vollständig vom Friedhof umgeben und wird über einen unterirdischen Zufluss mit Wasser versorgt. Das macht den Friedhof zu einem beliebten Ort für den Tod, wenn auch nicht gerade zu einem Erholungsgebiet. Einige der Grabstätten liegen dicht am Wasser, und ich frage mich, ob die Särge durch die Feuchtigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich hoffe, dass wir nicht gerade eine Kiste voller Wasser ausgraben.
Der Fahrer legt eine Pause ein, um sich mit einer Hand über die Stirn zu wischen, als ob ihn das Hantieren mit den Hebeln bei diesen kühlen Temperaturen ins Schwitzen bringen würde. Dabei hinterlässt er mit dem Handschuh einen Ölstreifen auf seiner Haut. Er schaut hinaus auf die Eichen und das saftige Gras, auf die bewegte Oberfläche des Sees, vielleicht weil er eines Tages ebenfalls hier begraben werden möchte. So geht es jedem beim Anblick dieses Ortes. Eine schöne letzte Ruhestätte. Hübsch und malerisch. Und friedlich. Als ob das einen Unterschied machen würde. Als ob man es merken würde, wenn jemand vorbeikommt und alle Bäume fällt. Trotzdem, wenn man schon irgendwo begraben werden muss, sticht dieser Friedhof eine Menge anderer aus, die ich gesehen
habe.
Ein zweiter Pritschenwagen bahnt sich seinen Weg zwischen den Grabsteinen hindurch. Er wurde ein wenig aufgemotzt, mit roten Rallyestreifen und mit Stoffwürfeln im Fenster, allerdings ist er seit Monaten nicht gewaschen worden, und die Seiten der Türen sowie die Stoßstange sind voller Rostflecken. Er hält neben der Grabstätte. Hinter dem Lenkrad klettert ein glatzköpfiger Typ in grauer Arbeitskleidung hervor, stopft die Hände in die Hosentaschen und verfolgt das Treiben. Auf der Beifahrerseite steigt ein weiterer Mann aus; er ist jünger als der Fahrer und fängt sofort an, mit seinem Handy herumzuspielen.
Viel mehr gibt es auch nicht zu tun, während der Erdhaufen immer größer wird. Ich beobachte, wie der Regen auf den See prasselt, und trete ans Ufer. Alles ist besser, als dem Bagger beim Graben zuzusehen. Selbst am See sind die Vibrationen noch zu spüren. Kleine Erdklumpen rollen die Böschung hinunter und platschen ins Wasser. An einigen Stellen rund um den See stehen Flachspflanzen und Farne sowie ein paar Pappeln. Am Ufer ragt langes Schilfrohr empor. Abgeknickte Äste und Blätter, die sich voll Wasser gesaugt haben, treiben gegen die Böschung. Ich höre, wie die Schaufel über den Sargdeckel kratzt, und drehe mich wieder zum Bagger um. Es klingt, als würde jemand seine Fingernägel über eine Tafel ziehen; das Geräusch lässt mich frösteln, mehr als die Kälte. Der Friedhofswärter zittert wie Espenlaub. Er wirkt durchgefroren und stinksauer. Bis zum Eintreffen des Baggers hielt ich es sogar für möglich, dass er sich an den Grabstein kettet, um die Umsiedelung eines seiner Mieter zu verhindern.
Er hat uns endlos über die moralischen Konsequenzen unseres Handelns belehrt und sich aufgeführt, als würden wir den Sarg ausgraben, um ihn persönlich hineinzulegen. Der Baggerführer und die beiden Kerle aus dem Pritschenwagen ziehen sich Masken über Mund und Nase und steigen hinab ins Grab. Der übergewichtige Typ bewegt sich mit der Leichtigkeit von jemandem, der für diesen Moment immer wieder trainiert hat. Die drei verschwinden aus meinem Blickfeld, als hätten sie einen verborgenen Zugang zu einer anderen Welt gefunden. Eine Weile verharren sie vornübergebeugt dort unten; offensichtlich überlegen sie, wie sie die Kette am Sarg und am Bagger befestigen sollen. Als die Kette schließlich befestigt ist, klettert der Fahrer zurück in den Bagger. Erneut wischt er sich mit der Hand über die Stirn. Die Toten zu heben ist eine schweißtreibende Arbeit.
Als er den Sarg nach oben bewegt, kommt der Motor ins Stottern. Der Pritschenwagen wird angelassen und fährt rückwärts heran. Durch die Vibration der beiden Motoren kullert erneut Erde vom Ufer ins Wasser. Etwa fünf Meter davon entfernt steigen plötzlich Blasen an die Oberfläche, dann taucht etwas Schlamm auf. Aber da ist noch etwas anderes, weiter unten. Etwas Dunkles, es sieht aus wie ein Ölfleck.
Mit einem dumpfen Schlag senkt sich der Sarg auf die Ladefläche des Pritschenwagens. Die Federung wird durch das Gewicht nach unten gedrückt. Ich kann hören, wie die drei Männer aufgeregt miteinander diskutieren, sie müssen fast schreien, um sich bei dem Motorenlärm verständlich zu machen.
Der Regen wird jetzt stärker. Der dunkle Fleck, der unter dem Wasser aufsteigt, durchbricht die Oberfläche. Er ähnelt einem riesigen schwarzen Ballon. Ich habe so einen riesigen schwarzen Ballon schon mal gesehen. Stets hofft man, dass es etwas anderes ist, doch jedes Mal bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen.
»Hey, Kollege, Sie sollten sich das hier vielleicht mal anschauen«, ruft einer der Männer. Doch ich bin zu beschäftigt, um mich jetzt ablenken zu lassen.
»Hey, hören Sie überhaupt zu?« Die Stimme kommt näher. »Wir haben hier was, worauf Sie mal einen Blick werfen sollten.«
Ich blicke zum Baggerführer hoch, während er auf mich zukommt. Der Friedhofswärter folgt ihm. Wortlos starren beide Männer ins Wasser.
Die schwarze Blase ist überhaupt keine Blase, sondern die Rückseite einer Jacke. Sie treibt auf dem Wasser, zusammen mit einem fußballgroßen Gegenstand. Einem behaarten Gegenstand. Bevor ich antworten kann, steigt ein weiteres Objekt blubbernd an die Oberfläche, und dann noch eins, während der See nach und nach die Spuren der Vergangenheit preisgibt.
Übersetzung: Frank Dabrock
Copyright © dieser Ausgabe 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Die Luft ist kalt und feucht wie im Leichenschauhaus.
Bevor ich im Gesicht die ersten Tropfen spüre, sehe ich sie auf der Windschutzscheibe des Baggers. Ich richte den Blick auf den Horizont, dorthin, wo sich mit Schimmel bedeckte Grabsteine Richtung Stadt wälzen, wo der Tod sich immer weiter ausdehnt und in die Stadt vordringt.
Der Wind frischt auf, und die Blätter der Bäume rascheln, während von den Ästen noch mehr Eicheln fallen. Eine davon trifft mich im Nacken. Ich zucke zusammen und klaube sie aus meinem Kragen. Der Motor des Baggers heult laut auf, als der Fahrer, ein übergewichtiger Bursche, dessen Körper fast aus der Tür quillt, darin Platz nimmt. Er scheint genauso aufgeregt wie ich zu sein. Er drückt und zieht an verschiedenen Hebeln, langen und kurzen, das Gesicht angespannt vor Konzentration. Während er den Bagger neben die Grabstätte manövriert, kommt der Motor ins Stottern, und als die Schaufel in die harte Erde dringt, fängt die ganze Maschine an zu vibrieren. Die Schaufel schwenkt nach oben, gräbt sich ein und füllt sich mit Erde. Die Führerkabine des Baggers dreht sich, und die Erde landet auf einer Plane.
Der Friedhofswärter, ein junger Mann, steht daneben und beobachtet das Ganze. Er hat Mühe, sich bei dem stärker werdenden Wind eine Zigarette anzustecken; seine Hände zittern dabei fast so stark wie seine Schultern.
Nachdem der Bagger zwei weitere Ladungen Erde beiseitegeräumt hat, gibt er auf und stopft die Zigaretten zurück in die Tasche. Er wirft mir einen Blick zu, aus dem ich nicht ganz schlau werde. Ich hoffe, dass er nicht rüberkommt, um sich zu beschweren, dass jemand in seiner Ruhe gestört wird, doch das tut er nicht, stattdessen starrt er wieder auf die geweihte Erde.
Die Vibrationen des Baggers wandern durch meine Füße in meinen Körper, bis meine Beine anfangen zu kribbeln. Der Baum hinter mir wird ebenfalls davon erfasst, so dass mir erneut einige Eicheln in den Nacken prasseln. Ich trete aus dem Baumschatten in den Nieselregen; dabei verdrehe ich mir an den dicken Wurzeln der Eiche, die sich durch den Boden gegraben haben, fast den Knöchel.
Nur etwa fünfzehn Meter entfernt gibt es einen kleinen See, etwa so groß wie ein Becken für Schwimmwettkämpfe. Er ist vollständig vom Friedhof umgeben und wird über einen unterirdischen Zufluss mit Wasser versorgt. Das macht den Friedhof zu einem beliebten Ort für den Tod, wenn auch nicht gerade zu einem Erholungsgebiet. Einige der Grabstätten liegen dicht am Wasser, und ich frage mich, ob die Särge durch die Feuchtigkeit in Mitleidenschaft gezogen werden. Ich hoffe, dass wir nicht gerade eine Kiste voller Wasser ausgraben.
Der Fahrer legt eine Pause ein, um sich mit einer Hand über die Stirn zu wischen, als ob ihn das Hantieren mit den Hebeln bei diesen kühlen Temperaturen ins Schwitzen bringen würde. Dabei hinterlässt er mit dem Handschuh einen Ölstreifen auf seiner Haut. Er schaut hinaus auf die Eichen und das saftige Gras, auf die bewegte Oberfläche des Sees, vielleicht weil er eines Tages ebenfalls hier begraben werden möchte. So geht es jedem beim Anblick dieses Ortes. Eine schöne letzte Ruhestätte. Hübsch und malerisch. Und friedlich. Als ob das einen Unterschied machen würde. Als ob man es merken würde, wenn jemand vorbeikommt und alle Bäume fällt. Trotzdem, wenn man schon irgendwo begraben werden muss, sticht dieser Friedhof eine Menge anderer aus, die ich gesehen
habe.
Ein zweiter Pritschenwagen bahnt sich seinen Weg zwischen den Grabsteinen hindurch. Er wurde ein wenig aufgemotzt, mit roten Rallyestreifen und mit Stoffwürfeln im Fenster, allerdings ist er seit Monaten nicht gewaschen worden, und die Seiten der Türen sowie die Stoßstange sind voller Rostflecken. Er hält neben der Grabstätte. Hinter dem Lenkrad klettert ein glatzköpfiger Typ in grauer Arbeitskleidung hervor, stopft die Hände in die Hosentaschen und verfolgt das Treiben. Auf der Beifahrerseite steigt ein weiterer Mann aus; er ist jünger als der Fahrer und fängt sofort an, mit seinem Handy herumzuspielen.
Viel mehr gibt es auch nicht zu tun, während der Erdhaufen immer größer wird. Ich beobachte, wie der Regen auf den See prasselt, und trete ans Ufer. Alles ist besser, als dem Bagger beim Graben zuzusehen. Selbst am See sind die Vibrationen noch zu spüren. Kleine Erdklumpen rollen die Böschung hinunter und platschen ins Wasser. An einigen Stellen rund um den See stehen Flachspflanzen und Farne sowie ein paar Pappeln. Am Ufer ragt langes Schilfrohr empor. Abgeknickte Äste und Blätter, die sich voll Wasser gesaugt haben, treiben gegen die Böschung. Ich höre, wie die Schaufel über den Sargdeckel kratzt, und drehe mich wieder zum Bagger um. Es klingt, als würde jemand seine Fingernägel über eine Tafel ziehen; das Geräusch lässt mich frösteln, mehr als die Kälte. Der Friedhofswärter zittert wie Espenlaub. Er wirkt durchgefroren und stinksauer. Bis zum Eintreffen des Baggers hielt ich es sogar für möglich, dass er sich an den Grabstein kettet, um die Umsiedelung eines seiner Mieter zu verhindern.
Er hat uns endlos über die moralischen Konsequenzen unseres Handelns belehrt und sich aufgeführt, als würden wir den Sarg ausgraben, um ihn persönlich hineinzulegen. Der Baggerführer und die beiden Kerle aus dem Pritschenwagen ziehen sich Masken über Mund und Nase und steigen hinab ins Grab. Der übergewichtige Typ bewegt sich mit der Leichtigkeit von jemandem, der für diesen Moment immer wieder trainiert hat. Die drei verschwinden aus meinem Blickfeld, als hätten sie einen verborgenen Zugang zu einer anderen Welt gefunden. Eine Weile verharren sie vornübergebeugt dort unten; offensichtlich überlegen sie, wie sie die Kette am Sarg und am Bagger befestigen sollen. Als die Kette schließlich befestigt ist, klettert der Fahrer zurück in den Bagger. Erneut wischt er sich mit der Hand über die Stirn. Die Toten zu heben ist eine schweißtreibende Arbeit.
Als er den Sarg nach oben bewegt, kommt der Motor ins Stottern. Der Pritschenwagen wird angelassen und fährt rückwärts heran. Durch die Vibration der beiden Motoren kullert erneut Erde vom Ufer ins Wasser. Etwa fünf Meter davon entfernt steigen plötzlich Blasen an die Oberfläche, dann taucht etwas Schlamm auf. Aber da ist noch etwas anderes, weiter unten. Etwas Dunkles, es sieht aus wie ein Ölfleck.
Mit einem dumpfen Schlag senkt sich der Sarg auf die Ladefläche des Pritschenwagens. Die Federung wird durch das Gewicht nach unten gedrückt. Ich kann hören, wie die drei Männer aufgeregt miteinander diskutieren, sie müssen fast schreien, um sich bei dem Motorenlärm verständlich zu machen.
Der Regen wird jetzt stärker. Der dunkle Fleck, der unter dem Wasser aufsteigt, durchbricht die Oberfläche. Er ähnelt einem riesigen schwarzen Ballon. Ich habe so einen riesigen schwarzen Ballon schon mal gesehen. Stets hofft man, dass es etwas anderes ist, doch jedes Mal bestätigen sich die schlimmsten Befürchtungen.
»Hey, Kollege, Sie sollten sich das hier vielleicht mal anschauen«, ruft einer der Männer. Doch ich bin zu beschäftigt, um mich jetzt ablenken zu lassen.
»Hey, hören Sie überhaupt zu?« Die Stimme kommt näher. »Wir haben hier was, worauf Sie mal einen Blick werfen sollten.«
Ich blicke zum Baggerführer hoch, während er auf mich zukommt. Der Friedhofswärter folgt ihm. Wortlos starren beide Männer ins Wasser.
Die schwarze Blase ist überhaupt keine Blase, sondern die Rückseite einer Jacke. Sie treibt auf dem Wasser, zusammen mit einem fußballgroßen Gegenstand. Einem behaarten Gegenstand. Bevor ich antworten kann, steigt ein weiteres Objekt blubbernd an die Oberfläche, und dann noch eins, während der See nach und nach die Spuren der Vergangenheit preisgibt.
Übersetzung: Frank Dabrock
Copyright © dieser Ausgabe 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Paul Cleave
Cleave, PaulPaul Cleave wurde am 10. Dezember 1974 in Christchurch, Neuseeland geboren, dem Ort, wo auch seine Romane spielen. Dem Fan von Stephen King und Lee Child gelang mit seinem Debütroman Der siebte Tod auf Anhieb ein internationaler Erfolg, der in Deutschland monatelang auf den ersten Plätzen der Bestsellerlisten stand.
Bibliographische Angaben
- Autor: Paul Cleave
- 2009, 464 Seiten, Maße: 11,8 x 18,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung:Dabrock, Frank
- Übersetzer: Frank Dabrock
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453433084
- ISBN-13: 9783453433083
- Erscheinungsdatum: 01.09.2009
Rezension zu „Die Toten schweigen nicht “
"Paul Cleave ist ein Autor, den man genau im Auge behalten sollte."
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