Die Wand
Ein unnachahmliches Gleichnis für das unüberwindliche Einsamsein.
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Ein unnachahmliches Gleichnis für das unüberwindliche Einsamsein.
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Die Wand von Marlen Haushofer
LESEPROBE
Ich erwachte davon, daß die Sonne auf mein Gesicht fiel, und erinnerte michsofort an den vergangenen Abend. Da wir nur einen Hüttenschlüssel mithatten,der zweite lag beim Jäger, hätten Luise und Hugo mich bei ihrer Rückkehr weckenmüssen. Im Schlafrock rannte ich die Stiege hinunter und sperrte dieEingangstür auf. Luchs empfing mich ungeduldig winselnd und wischte an mirvorbei ins Freie. Ich ging ins Schlafzimmer, obgleich ich sicher war, dortkeinen Menschen zu finden, das Fenster war ja vergittert, und selbst durch einunvergittertes Fenster hätte sich Hugo nicht durchzwängen können. Die Bettenwaren natürlich unberührt.
Es war acht Uhr; die beiden mußten im Dorf geblieben sein. Ich wunderte mich sehrdarüber. Hugo verabscheute die kurzen Wirtshausbetten, und er wäre niemals sorücksichtslos gewesen, mich allein über Nacht im Jagdhaus zurückzulassen. Ichkonnte mir nicht erklären, was geschehen war. Ich ging wieder hinauf in meineSchlafkammer und zog mich an. Es war noch sehr kühl, und der Tau glitzerte aufHugos schwarzem Mercedes. Ich kochte Tee und wärmte mich ein wenig auf, unddann machte ich mich mit Luchs auf den Weg ins Dorf.
Ich merkte kaum, wie kühl undfeucht es in der Schlucht war, weil ich darüber nachgrübelte, was aus den Rüttlingers geworden sein mochte. Vielleicht hatte Hugoeinen Herzanfall erlitten. Wie es so geht, im Umgang mit Hypochondern, hattenwir seine Zustände nicht mehr ernst genommen. Ich beschleunigte meine Schritteund schickte Luchs voraus. Freudig bellend zog er ab. Ich hatte nicht darangedacht, meine Bergschuhe anzuziehen, und stolperte ungeschickt über diescharfen Steine hinter ihm her.
Als ich endlich den Ausgangder Schlucht erreichte, hörte ich Luchs schmerzlich und erschrocken jaulen. Ichbog um einen Scheiterstoß, der mir die Aussicht verstellt hatte, und da saßLuchs und heulte. Aus seinem Maul tropfte roter Speichel. Ich beugte mich überihn und streichelte ihn. Zitternd und winselnd drängte er sich an mich. Er mußte sich in die Zunge gebissen oder einen Zahnangeschlagen haben. Als ich ihn ermunterte, mit mir weiterzugehen, klemmte erden Schwanz ein, stellte sich vor mich und drängte mich mit seinem Körperzurück.
Ich konnte nicht sehen, wasihn so ängstigte. Die Straße trat an dieser Stelle aus der Schlucht heraus, undso weit ich sie überblicken konnte, lag sie menschenleer und friedlich in derMorgensonne. Unwillig schob ich den Hund zur Seite und ging allein weiter. ZumGlück war ich, durch ihn behindert, langsamer geworden, denn nach wenigenSchritten stieß ich mit der Stirn heftig an und taumelte zurück.
Luchs fing sofort wieder zuwinseln an und drängte sich an meine Beine. Verdutzt streckte ich die Hand ausund berührte etwas Glattes und Kühles: einen glatten, kühlen Widerstand aneiner Stelle, an der doch gar nichts sein konnte als Luft. Zögernd versuchteich es noch einmal, und wieder ruhte meine Hand wie auf der Scheibe einesFensters. Dann hörte ich lautes Pochen und sah um mich, ehe ich begriff, daß es mein eigener Herzschlag war, der mir in den Ohrendröhnte. Mein Herz hatte sich schon gefürchtet, ehe ich es wußte.
Ich setzte mich auf einenBaumstamm am Straßenrand und versuchte zu überlegen. Es gelang mir nicht. Eswar, als hätten mich alle Gedanken mit einem Schlag verlassen. Luchs kroch näher,und sein blutiger Speichel tropfte auf meinen Mantel. Ich streichelte ihn, biser sich beruhigte. Und dann sahen wir beide hinüber zur Straße, die so stillund glänzend im Morgenlicht lag.
Ich stand noch dreimal aufund überzeugte mich davon, daß hier, drei Meter vormir, wirklich etwas Unsichtbares, Glattes, Kühles war, das mich am Weitergehenhinderte. Ich dachte an eine Sinnestäuschung, aber ich wußtenatürlich, daß es nichts Derartiges war. Ich hättemich leichter mit einer kleinen Verrücktheit abgefunden als mit dem schrecklichenunsichtbaren Ding. Aber da war Luchs mit seinem blutenden Maul, und da war dieBeule auf meiner Stirn, die anfing zu schmerzen.
Ich weiß nicht, wie lange ichauf dem Baumstamm sitzen blieb, aber ich erinnere mich, daßmeine Gedanken immer fort um ganz nebensächliche Dinge kreisten, als wolltensie sich um keinen Preis mit der unfaßbaren Erfahrungabgeben.
Die Sonne stieg höher undwärmte meinen Rücken. Luchs schleckte und schleckte und hörte schließlich aufzu bluten. Er konnte sich nicht arg verletzt haben.
Ich begriff, daß ich etwas unternehmen mußte,und befahl Luchs, sitzen zu bleiben. Dann näherte ich mich vorsichtig mitausgestreckten Händen dem unsichtbaren Hindernis und tastete mich an ihmentlang, bis ich an den letzten Felsen der Schlucht stieß. Hier kam ich nichtweiter. Auf der anderen Seite der Straße kam ich bis zum Bach, und jetzt erstbemerkte ich, daß der Bach ein wenig gestaut war undaus den Ufern trat. Er führte aber nur wenig Wasser. Der ganze April wartrocken gewesen und die Schneeschmelze schon vorüber. Auf der anderen Seite derWand, ich habe mir angewöhnt, das Ding die Wand zu nennen, denn irgendeinenNamen mußte ich ihm ja geben, da es nun einmal da warauf der anderen Seite also lag das Bachbett eine kleineStrekke fast trocken, und dann floßdas Wasser in einem Rinnsal weiter. Offenbar hatte es sich schon durch dasdurchlässige Kalkgestein gegraben. Die Wand konnte also nicht tief in die Erdereichen. Eine flüchtige Erleichterung durchzuckte mich. Ich mochte dengestauten Bach nicht überqueren. Es war nicht anzunehmen, daßdie Wand plötzlich aufhörte, denn dann wäre es Hugo und Luise ein leichtesgewesen, zurückzukommen.
Plötzlich fiel mir auf, wasmich im Unterbewußtsein schon die ganze Zeit gequälthaben mochte, daß die Straße völlig leer lag. Irgendjemand mußte doch längst Alarm geschlagen haben. Eswäre natürlich gewesen, hätten sich die Dorfleute neugierig vor der Wandangesammelt. Selbst wenn keiner von ihnen die Wand entdeckt hatte, mußten doch Hugo und Luise auf sie gestoßen sein. Daß kein einziger Mensch zu sehen war, erschien mir nochrätselhafter als die Wand.
Ich fing im hellenSonnenschein zu frösteln an. Das erste kleine Gehöft, eigentlich nur eineKeusche, lag gleich um die nächste Biegung. Wenn ich den Bach überquerte undein Stückchen die Bergwiese hinaufstieg, mußte ich essehen können.
© Deutscher TaschenbuchVerlag
- Autor: Marlen Haushofer
- 2004, 15. Aufl., 275 Seiten, Maße: 13,7 x 21,1 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: CLAASSEN VERLAG
- ISBN-10: 3546000056
- ISBN-13: 9783546000055
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