Dumm gelaufen
Roman
Auf die Plätze, fertig, tot: Der neue Fall für Ray & Rufus - diesmal auf der Rennbahn
Die Erdmännchen Ray und Rufus haben einen neuen Auftrag: Die Stute Angel Eye bittet Ray, den Tod ihres Geliebten Stardust zu...
Die Erdmännchen Ray und Rufus haben einen neuen Auftrag: Die Stute Angel Eye bittet Ray, den Tod ihres Geliebten Stardust zu...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Dumm gelaufen “
Auf die Plätze, fertig, tot: Der neue Fall für Ray & Rufus - diesmal auf der Rennbahn
Die Erdmännchen Ray und Rufus haben einen neuen Auftrag: Die Stute Angel Eye bittet Ray, den Tod ihres Geliebten Stardust zu untersuchen. Der ist beim Eröffnungsrennen in Berlin-Hoppegarten gestürzt und muss zum Pferdemetzger gebracht werden. Angel Eye ist sicher: Der Sturz hatte keine natürliche Ursache.
Die Erdmännchen Ray und Rufus haben einen neuen Auftrag: Die Stute Angel Eye bittet Ray, den Tod ihres Geliebten Stardust zu untersuchen. Der ist beim Eröffnungsrennen in Berlin-Hoppegarten gestürzt und muss zum Pferdemetzger gebracht werden. Angel Eye ist sicher: Der Sturz hatte keine natürliche Ursache.
Klappentext zu „Dumm gelaufen “
Auf die Plätze, fertig, tot: Der neue Fall für Ray & Rufus - diesmal auf der RennbahnErdmännchen Ray und Rufus haben eine neue Auftraggeberin: Angel Eye, eine nicht mehr ganz junge Rassestute, bittet Ray, den Tod ihres Geliebten Stardust zu untersuchen. Der ist beim Eröffnungsrennen in Berlin-Hoppegarten gestürzt und muss zum Pferdemetzger gebracht werden. Angel Eye ist sicher: Der Sturz hatte keine natürliche Ursache. Und tatsächlich. Ray, Rufus und Privatermittler Phil kommen einem Komplott auf die Spur ...
"So ultracool wie komisch!"
Freundin zu VOLL SPEED
"Ich hab mich weggeschmissen!"
Christoph Maria Herbst zu VOLL SPEED
Lese-Probe zu „Dumm gelaufen “
Dumm gelaufen von Moritz MatthiesKAPITEL 1
»Äähhh ... dings!«, ruft Rocky von der Höhe der gemauerten Pyramide herab, die aus der Mitte unseres künstlich angelegten Amphitheaters emporragt.
Noch vor Tagesanbruch hat mein großer Bruder den gesamten Clan in »Sphäre 2« versammelt. So heißt der größte Raum in dem Steinhaus, das uns der Zoo als Winterquartier zur Verfügung stellt. Der Name ist übrigens nicht auf Rockys Mist gewachsen: Sphäre 2. Auf Rockys Mist wächst selten etwas, und wenn, dann mit maximal - sagen wir - vier Buchstaben. Möglicherweise fünf. So etwas wie »Äähhh ... dings!« zum Beispiel. Jedenfalls hat Rocky uns alle zusammengetrommelt, weil er etwas verdammt Wichtiges zu ... äh ... verkünden hat. Dings eben.
Die gesamte Sippe sieht zu ihm auf und fragt sich, was sie sich immer fragt, wenn Rocky eine Rede hält: ob es das jetzt schon war, und wie um alles in der Welt Pa auf die Idee kommen konnte, ausgerechnet Rocky zu seinem Nachfolger als Clanchef zu bestimmen. Pa selbst sitzt derweil am äußeren Ende des steinernen Halbrunds, die gekreuzten Vorderbeine auf seinen Gehstock gestützt, und blickt ins Nichts. Ab und zu gibt seine Staublunge etwas von sich, das sich je zur Hälfte aus Keuchen und Husten zusammensetzt. Im Verlauf des Winters hat er sich zunehmend in seine eigene Welt zurückgezogen, und seit einiger Zeit kommt er nur noch auf Stippvisite bei uns vorbei. In schwachen Momenten frage ich mich, ob ich in Pas Welt wohl eine Rolle spiele, ob es mich da gibt. Sollte mich wundern.
»Frühlingsanfang!«, brüllt Rocky und reißt mich aus meinen Gedanken. Er ist sichtlich erleichtert, das richtige Wort gefunden zu haben.
... mehr
Vorausgesetzt, es ist das richtige. Was eigentlich nicht sein kann. »Frühlingsanfang« bedeutet nämlich, dass wir gesammelt unser Winterquartier verlassen und zurück ins Freigehege ziehen. Raus aus dem stickigen, miefigen Muff des Steinhauses, rein ins Tageslicht, in die frische Luft, ins Leben. Ein großartiger Tag, den jedes im Zoo aufgewachsene Erdmännchen instinktiv herannahen fühlt. Das Problem ist: Außer Rocky hat hier niemand Frühlingsgefühle. An der Scheibe, durch die wir nach draußen gucken können, kleben noch Eisblumen.
»Ist der jetzt komplett bescheuert?«, raunt der neben mir stehende Kato aus dem zweiten Wurf.
Ich sage nichts. Erstens, weil das eine rhetorische Frage war, und zweitens, weil die Antwort ja sowieso klar ist.
»Du bist toll, Papa«, ruft Celina mit ausgebreiteten Armen.
»Danke, Papa«, quäkt auch Chantal, die immer so klingt, als würde ihr beim nächsten Satz der Kopf platzen.
Ungläubiges Gemurmel breitet sich aus. Rufus und ich sehen uns an. Wenn jemand weiß, wer hier nicht richtig tickt, dann mein allwissender Schlaumeierbruder. Er wirft einen beiläufigen Blick auf die rosa Herzchen-Armbanduhr, die von dem Klettband baumelt, das er um den Bauch trägt, checkt das Datum und stellt fest: »Mindestens zwei Wochen zu früh.«
Das bestätigt mir zwar, was ich bereits vorher wusste, nämlich dass Rockys Synapsen vor allem Kurzschlüsse produzieren, bringt mich aber auf der Suche nach einer Erklärung nicht weiter.
»Und was muss ich jetzt machen?«, nölt Marcia aus dem fünften Wurf.
Habe ich eben gesagt, dass alle im Zoo aufgewachsenen Erdmännchen instinktiv spüren, wenn Frühlingsanfang ist? Muss ich zurücknehmen. Alle außer Marcia. Und Mads. Und ziemlich sicher Colin. Wenn ich so darüber nachdenke: Für Nick und Nemo würde ich meine Klaue auch nicht ins Feuer legen. Eigentlich ist der gesamte vierte Wurf nicht wirklich zurechnungsfähig. Und auch beim dritten gibt's ein paar Fragezeichen ...
»Das bedeutet: Raus!«, ruft Rocky. »Alle Mann zurück ins Freigehege! «
Die Erklärung für den spontanen Frühlingsanfang erhalten Rufus und ich, nachdem Sphäre 2 sich geleert hat, Rocky von der Pyramide herabgestiegen ist und breitbeinig auf uns zueiert. Er ist im Winter nicht nur vierfacher Vater geworden, sondern hat auch um die Hüften herum ganz ordentlich zugelegt.
»Was steht ihr noch so blöd hier rum?«, blafft er uns an. »Habt ihr eure Lauscher nicht aufgestellt: Es ist Frühlingsanfang!«
Rufus versucht, einen unverfänglichen Einstieg zu finden. »Rocky?«
»Was'n das für 'ne Frage? Glaubst du, ich weiß meinen eigenen Namen nicht?«
»Doch, natürlich weißt du den. Schließlich bist du unser Clanchef ...«
»Na siehste.«
»Ich wollte dir eine Information zukommen lassen ...«
Rocky überlegt: »Ja, und?«
»Frühlingsanfang ist noch nicht«, erklärt Rufus so einfach wie möglich.
Rocky beim Denken zuzusehen ist ein schmerzhafter Prozess. »Hab ich nicht eben verkündet, dass Frühlingsanfang ist?«
»Hast du«, bestätigt Rufus.
»Und bin ich der Clanchef?«
»Ja, bist du.«
»Dann ist jetzt aber so was von Frühlingsanfang«, schlussfolgert Rocky.
Rufus seufzt. Sein Leben als intellektuell versiertes, philosophisch geschultes, der Schriftsprache mächtiges Erdmännchen ist für ihn ein niemals endendes »Steinerollen«. Sind seine Worte, nicht meine. Er hat mir erklärt, er fühle sich wie jemand, der jeden Tag aufs Neue einen riesigen Stein einen Berg hinaufrollt, der dann am nächsten Tag wieder im Tal liegt. Als ich ihn gefragt habe, warum er den Stein nicht einfach im Tal liegen lässt, meinte er nur: »Da siehst du es!«
»Rocky«, setzt er jetzt an, und ich bekomme eine Ahnung davon, dass einer aus unserem hübschen Trio am Ende dieser Unterredung eine Schelle kassieren wird. Es wird auf keinen Fall Rocky sein, und ich vermutlich auch nicht. »Nur weil du unser Clanchef bist«, fährt Rufus fort, »bedeutet das nicht automatisch, dass du auch bestimmst, wann Frühlingsanfang ist.«
»Hast du gerade nur gesagt?«, entgegnet Rocky.
»Was ich mit diesem nur«, Rufus setzt das Wort mit seinen Krallen in unsichtbare Anführungszeichen, »auszudrücken versuche, ist: Als Clanchef bestimmst du über den Clan, nicht aber über den Lauf der Jahreszeiten.«
Batz! Mit einem vertraut klingenden Stöhnen geht Rufus zu Boden. Was habe ich gesagt?
Als er wieder auf die Beine kommt, renkt er mit geübtem Griff seinen Hals ein und streicht sich das Fell über dem linken Auge in die richtige Richtung. »Du kannst mich hundert Mal schlagen, Rocky, doch auch das wird nichts am Lauf der Jahreszeiten ändern.«
Rocky beugt sich drohend vor: »Ach ja?«
Rufus zieht instinktiv den Kopf ein, bevor er antwortet: »Ja.« Steine den Berg hinaufrollen ... Er kann es einfach nicht lassen.
Ich kneife die Augen zusammen, doch statt Rufus die nächste Schelle zu verpassen, wirkt Rocky plötzlich merkwürdig in sich gekehrt.
Er sieht sich um, als wolle er im Zooshop einen Glasdelphin mitgehen lassen. »Was ich euch jetzt sage, bleibt unter uns, klar?«
Ich nicke.
»Selbstverständlich«, bestätigt Rufus.
»Es ist ...«, setzt Rocky an.
»Es ist«, ermuntert ihn Rufus.
Rocky kratzt sich an seinem Hüftring. »Wegen ...«
»Wegen?«
»Quatsch mir weiter alles nach, und du fängst gleich noch eine«, warnt Rocky.
Wie ich unseren großen Bruder so dastehen sehe - mit hängenden Schultern und zerknitterten Augen - und ihn dabei beobachte, wie er um Worte ringt, da wird mir auf einmal klar, was los ist.
»Roxane«, sage ich.
Treffer. Rockys sonst so geschwellte Brust sinkt in sich ein.
»Es ist wegen Roxi, und es ist wegen der Kinder«, setze ich nach. Und weil ich nicht sicher bin, ob Rocky die Namen seiner Kinder auch alle auf dem Schirm hat, zähle ich sie ihm auf. »Wegen Colin und Celina und Cindy und Chantal.«
Jeder neue Name zwingt unseren Clanchef weiter in die Knie. »Die besonders«, gesteht er.
»Ihr Gezeter geht dir schwerpunktmäßig auf die Eier«, sage ich.
Er nickt und wirkt sehr müde: »Noch einen Tag länger in diesem Haus, und ich schlage mit dem Kopf die Scheibe ein.«
»So etwas kann aber mitunter üble Schnittwunden nach sich ziehen «, bemerkt Rufus. Rocky hebt kurz die Schultern, um sie gleich darauf wieder sinken zu lassen. »Wär ja dein Kopf.« Er bemerkt das Entsetzen in Rufus' Gesicht und erklärt: »Glaubt ihr etwa, ich würde meinen Kopf nehmen? Bin doch nicht bescheuert.«
Es wird sehr still.
»Klassischer Fall von Lagerkoller«, diagnostiziert Rufus.
»Red keinen Scheiß, Mann«, entgegnet Rocky, für den das Wort Lagerkoller ein schwarzer Kasten ohne Inhalt ist. »Es ist so, wie Ray gesagt hat: Die gehen mir einfach ...«
»... schwerpunktmäßig ...«
»... jedenfalls gehen sie mir auf die Eier.« Wieder schweigen wir einen Moment. Dann fügt Rocky hinzu: »Ihr mir übrigens auch.«
Wie auf Zuruf zwängt sich unsere Schwester Roxane durch die Klappe, die Sphäre 2 mit Sphäre 1 verbindet. An einer Klaue hält sie Cindy, an der anderen Chantal.
»Wo bleibst du denn?«, durchschneidet ihre Stimme den Raum. Rockys Körper richtet sich auf wie der einer Marionette. »Ich denke, du hilfst mir, die Sachen für die Kinder zu packen!«
Plötzlich ertönt von der anderen Seite des steinernen Halbrunds ein dünnes Stimmchen, das wie zu sich selbst spricht: »Komme schon, mein Liebling. Komme schon ...«
Pa, der offenbar die ganze Zeit selbstvergessen und von uns unbemerkt auf seinem Platz gesessen hat, erhebt sich mühsam und schlurft auf seinen Stock gestützt an uns vorbei, ohne uns wahrzunehmen. Gespenstergleich durchquert er den Raum und verschwindet schließlich durch die Klappe zu Sphäre 3 und 4, die sich leise hinter ihm schließt. Schweigen. An Rockys Gesichtsausdruck meine ich zu erkennen, dass er gerade den Geist seiner eigenen Zukunft in Sphäre 3 und 4 hat verschwinden sehen.
»Was denn jetzt?«, ruft Roxane.
»Gleich, Schatz!« Rocky bedeutet uns, die Köpfe zusammenzustecken. »Hör zu, Rufus«, flüstert er, »wenn du mir jetzt noch mal erzählst, dass ich den Lauf der Jahreszeiten nicht verändern kann, wirst du selbst den Frühling nicht mehr erleben. Klar?«
Rufus setzt zu einer Erwiderung an, doch ich schiebe mich schnell zwischen die beiden und hebe beschwichtigend die Klauen: »Ist klar, Rocky«, versichere ich. »Vollkommen klar. Besser, du lässt deine Frau nicht zu lange warten ...«
In den folgenden Minuten oder Stunden oder so stelle ich etwas Erstaunliches fest: Der Frühlingsanfang funktioniert in beide Richtungen. Was ich damit sagen will, ist: Man kann darauf warten, dass der Frühling kommt, und zieht dann ins Freigehege, oder aber man zieht ins Freigehege, und das löst dann Frühlingsgefühle bei einem aus. Ist doch irre, irgendwie. Kaum jedenfalls habe ich meine Kammer ausgemistet, meine Laptoptasche aus dem Steinhaus in unseren Bau gezerrt und mein Reggae-Halstuch zum Lüften am Zaun aufgehängt, da kann ich es kaum mehr erwarten, endlich wieder meine morgendliche Runde durch den Zoo zu drehen, allen zu sagen, dass ich zurück bin, und natürlich bei Elsa vorbeizuschauen. Ihr einen schönen Tag zu wünschen. Und vielleicht einen klitzekleinen Hinweis auf die Frage zu bekommen, die mich den ganzen Winter über durch sämtliche Sphären verfolgt und gequält hat: Was ist jetzt eigentlich mit uns?
Unsere letzte Begegnung, im Herbst, vor dem Umzug ins Stein- haus, gipfelte in einer ersten und einzigen orgiastischen Liebesnacht, bei der - ich gebe es zu - fiese Drogen im Spiel waren. Was nichts daran ändert, dass die Erinnerung an das, was mir davon in Erinnerung ist, umso heller leuchtet, je weiter sich diese Nacht von mir entfernt. Und jetzt? Stehe ich auf unserem Feldherrenhügel, blicke zum Chinchillagehege hinüber, dessen von Raureif überzogenes Kupferdach verträumt im Morgenlicht glitzert, und frage mich, wann Elsa endlich die Zugbrücke ihrer Holzburg herablassen und ans Gitter treten wird. Ich muss zu ihr, muss tun, was ich nicht lassen kann - auch wenn das bedeuten sollte, am ersten Frühlingstag die Abfuhr meines Lebens zu kassieren. Vorher jedoch muss ich darauf warten, dass Opa Reinhard seine letzte Kontrollrunde durch den Zoo absolviert hat.
Ich trete also ungeduldig von einem Bein auf das andere, drehe Pirouetten, vergeige einen Vorderbeinstand und breche mir beinahe die Lendenwirbel bei dem Versuch, mich in eine Brücke zu stemmen, als Opa Reinhard endlich an unserem Gehege haltmacht und bemerkt: »Na, ihr seid aber früh dran dieses Jahr.«
»Das kannst du laut sagen!«, entgegne ich und betrachte, wie sich der Dampf meines Atems in der Morgenluft verflüchtigt. »Und weißt du auch, warum?« Weiß er natürlich nicht. Schließlich versteht er kein Erdmännisch. »Lagerkoller! Roxy hat Junge bekommen «, erkläre ich, »und seitdem haben wir einen Pantoffelhelden als Clanchef!«
Opa Reinhard lächelt milde und schüttelt den Kopf. »Schon quietschfidel, die süßen Dinger.« Dann schlurft er weiter.
Sobald er in Richtung der Steinböcke aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, stürze ich in den Bau, bahne mir einen Weg zwischen meinen Familienmitgliedern hindurch, die alle emsig unsere Sommerresidenz wieder auf Vordermann bringen, flitze am Headquarter vorbei - wo ich einen entwürdigenden Blick auf Rufus erhasche, wie er in gebeugter Haltung mit einem Feuchttuch die Weinkiste poliert, die uns als Konferenztisch dient - und wühle mich durch unseren leider längst nicht mehr geheimen Geheimgang, um hinter dem Flamingohaus wieder ans Tageslicht zu gelangen.
Natürlich will ich als Erstes zu Elsa. Die Macht, die mich zu ihr zieht, ist nahezu unwiderstehlich. Aber eben nur nahezu. Weshalb ich meinen üblichen Rundgang machen und mir Elsa bis zum bittersüßen Ende aufsparen werde. Nein, logisch ist das nicht und verstärkt die Qual nur noch, schon klar. Aber genau deshalb mache ich es ja. In Liebesdingen sind Erdmännchen eben kein bisschen weiter entwickelt als Menschen.
»Bist du das Erdmännchen, das früher immer plötzlich da war und dann wieder nicht?«
Einer der Flamingos. Hat sich ängstlich bis an die Kante des Hauses herangeschoben, um zu sehen, was dahinter los ist, und schiebt jetzt seinen Kopf wie einen rosa Duschkopf an einem rosa Schlauch um die Ecke. Echt unauffällig.
»Erkennst du mich etwa nicht?«, erwidere ich.
Zögerlich kommt ein Bein des Flamingos hinter der Kante hervor, und ein Stück seines Oberkörpers schiebt sich in mein Blickfeld. »Bin mir nicht sicher.«
»Hey, Ramirez, das gibt's doch nicht!« Ich winke ihm, als würde gerade meine Fähre ablegen und ich an der Reling stehen. »Ich bin's: Ray!«
»Ah, cool.« Er zieht sein zweites Bein nach und druckst ungelenk herum. »Und du bist ein Erdmännchen, stimmt's?«
In diesem Moment kommt mir ein echt gruseliger Gedanke: Wenn es außer Rocky nur noch Flamingos und Einzeller auf der Erde gäbe, dann wäre Rocky das intelligenteste Lebewesen der Welt. Da schüttelt es einen direkt vor Grauen. »Hör zu, Ramirez: Ich hab keine Zeit für lange Erklärungen, okay. Ich bin's, Ray, das Erdmännchen aus dem Gehege da hinten. Wir haben einen Geheimgang, der hier hinter eurem Haus ins Freie führt. Und ich komme da jeden Morgen raus und mache meinen Rundgang durch den Zoo, okay? Ich hab bloß ein paar Monate Pause gemacht, weil Winter war. Aber jetzt bin ich wieder da.«
Ramirez scheint zu überlegen, ob meine Antwort ausreichend für ihn ist. Dann verschwindet der rosa Duschkopf hinter der Hauswand, während der Rest seines Körpers vor mir stehen bleibt.
»Alles in Ordnung«, höre ich ihn rufen, »ist nur Ray, das Erdmännchen! «
Vom Teich her erschallen die Rufe der anderen: »Ach so!«, tönt es erleichtert. »Alles klar!« »Hab ich ja gleich gesagt!«
Dann fällt dem Flamingo noch etwas ein: »Ich bin übrigens Ramirez!«
»Echt?« »Wow!« »Cool!« Und nach einer Pause: »Also ich finde ja, Ramirez klingt irgendwie nach Zuhälter.«
Das kann Ramirez natürlich nicht auf sich sitzen lassen. »Du bist ja bloß neidisch, weil du nicht so'n schönen Namen hast wie ich.«
»Von wegen!«
»Ach ja, dann sag doch mal: Wie heißt du denn?«
Das ist eines der vielen Probleme mit Flamingos: Sie haben eigentlich keine Namen. Es lohnt einfach die Mühe nicht, ihnen welche zu geben. Zum einen, weil nicht einmal sie selbst sich auseinanderhalten können, zum anderen, weil Informationen jeglicher Art sich im Gehirn eines Flamingos automatisch in Eintagsfliegen verwandeln.
»Das geht dich gar nichts an!«, antwortet deshalb der Flamingo, der vergeblich überlegt, wie er wohl heißen könnte.
»Gib's doch zu«, bohrt Ramirez weiter, »du weißt gar nicht, wie du heißt.«
»Weißt du's denn?«
»Nö.«
»Dann kannst du auch nicht wissen, ob mein Name nicht vielleicht noch viel schöner ist als deiner - der übrigens gar nicht schön ist, dein Name, sag ich dir mal im Vertrauen, weil er nämlich total nach Puff und so klingt.«
Ein dritter Flamingo mischt sich ein: »Ich frage mich ja, woher du so gut über Puffs und Zuhälter und so Bescheid weißt.«
Ein vierter fragt: »Hast du etwa mal als Prosti ... Prosti ... Bist du etwa 'ne Nutte?«
»Hä?«, wehrt sich der Angesprochene. »Seh ich vielleicht aus wie ein Weibchen?«
»Weiß nicht. Bist du eins?«
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
Vorausgesetzt, es ist das richtige. Was eigentlich nicht sein kann. »Frühlingsanfang« bedeutet nämlich, dass wir gesammelt unser Winterquartier verlassen und zurück ins Freigehege ziehen. Raus aus dem stickigen, miefigen Muff des Steinhauses, rein ins Tageslicht, in die frische Luft, ins Leben. Ein großartiger Tag, den jedes im Zoo aufgewachsene Erdmännchen instinktiv herannahen fühlt. Das Problem ist: Außer Rocky hat hier niemand Frühlingsgefühle. An der Scheibe, durch die wir nach draußen gucken können, kleben noch Eisblumen.
»Ist der jetzt komplett bescheuert?«, raunt der neben mir stehende Kato aus dem zweiten Wurf.
Ich sage nichts. Erstens, weil das eine rhetorische Frage war, und zweitens, weil die Antwort ja sowieso klar ist.
»Du bist toll, Papa«, ruft Celina mit ausgebreiteten Armen.
»Danke, Papa«, quäkt auch Chantal, die immer so klingt, als würde ihr beim nächsten Satz der Kopf platzen.
Ungläubiges Gemurmel breitet sich aus. Rufus und ich sehen uns an. Wenn jemand weiß, wer hier nicht richtig tickt, dann mein allwissender Schlaumeierbruder. Er wirft einen beiläufigen Blick auf die rosa Herzchen-Armbanduhr, die von dem Klettband baumelt, das er um den Bauch trägt, checkt das Datum und stellt fest: »Mindestens zwei Wochen zu früh.«
Das bestätigt mir zwar, was ich bereits vorher wusste, nämlich dass Rockys Synapsen vor allem Kurzschlüsse produzieren, bringt mich aber auf der Suche nach einer Erklärung nicht weiter.
»Und was muss ich jetzt machen?«, nölt Marcia aus dem fünften Wurf.
Habe ich eben gesagt, dass alle im Zoo aufgewachsenen Erdmännchen instinktiv spüren, wenn Frühlingsanfang ist? Muss ich zurücknehmen. Alle außer Marcia. Und Mads. Und ziemlich sicher Colin. Wenn ich so darüber nachdenke: Für Nick und Nemo würde ich meine Klaue auch nicht ins Feuer legen. Eigentlich ist der gesamte vierte Wurf nicht wirklich zurechnungsfähig. Und auch beim dritten gibt's ein paar Fragezeichen ...
»Das bedeutet: Raus!«, ruft Rocky. »Alle Mann zurück ins Freigehege! «
Die Erklärung für den spontanen Frühlingsanfang erhalten Rufus und ich, nachdem Sphäre 2 sich geleert hat, Rocky von der Pyramide herabgestiegen ist und breitbeinig auf uns zueiert. Er ist im Winter nicht nur vierfacher Vater geworden, sondern hat auch um die Hüften herum ganz ordentlich zugelegt.
»Was steht ihr noch so blöd hier rum?«, blafft er uns an. »Habt ihr eure Lauscher nicht aufgestellt: Es ist Frühlingsanfang!«
Rufus versucht, einen unverfänglichen Einstieg zu finden. »Rocky?«
»Was'n das für 'ne Frage? Glaubst du, ich weiß meinen eigenen Namen nicht?«
»Doch, natürlich weißt du den. Schließlich bist du unser Clanchef ...«
»Na siehste.«
»Ich wollte dir eine Information zukommen lassen ...«
Rocky überlegt: »Ja, und?«
»Frühlingsanfang ist noch nicht«, erklärt Rufus so einfach wie möglich.
Rocky beim Denken zuzusehen ist ein schmerzhafter Prozess. »Hab ich nicht eben verkündet, dass Frühlingsanfang ist?«
»Hast du«, bestätigt Rufus.
»Und bin ich der Clanchef?«
»Ja, bist du.«
»Dann ist jetzt aber so was von Frühlingsanfang«, schlussfolgert Rocky.
Rufus seufzt. Sein Leben als intellektuell versiertes, philosophisch geschultes, der Schriftsprache mächtiges Erdmännchen ist für ihn ein niemals endendes »Steinerollen«. Sind seine Worte, nicht meine. Er hat mir erklärt, er fühle sich wie jemand, der jeden Tag aufs Neue einen riesigen Stein einen Berg hinaufrollt, der dann am nächsten Tag wieder im Tal liegt. Als ich ihn gefragt habe, warum er den Stein nicht einfach im Tal liegen lässt, meinte er nur: »Da siehst du es!«
»Rocky«, setzt er jetzt an, und ich bekomme eine Ahnung davon, dass einer aus unserem hübschen Trio am Ende dieser Unterredung eine Schelle kassieren wird. Es wird auf keinen Fall Rocky sein, und ich vermutlich auch nicht. »Nur weil du unser Clanchef bist«, fährt Rufus fort, »bedeutet das nicht automatisch, dass du auch bestimmst, wann Frühlingsanfang ist.«
»Hast du gerade nur gesagt?«, entgegnet Rocky.
»Was ich mit diesem nur«, Rufus setzt das Wort mit seinen Krallen in unsichtbare Anführungszeichen, »auszudrücken versuche, ist: Als Clanchef bestimmst du über den Clan, nicht aber über den Lauf der Jahreszeiten.«
Batz! Mit einem vertraut klingenden Stöhnen geht Rufus zu Boden. Was habe ich gesagt?
Als er wieder auf die Beine kommt, renkt er mit geübtem Griff seinen Hals ein und streicht sich das Fell über dem linken Auge in die richtige Richtung. »Du kannst mich hundert Mal schlagen, Rocky, doch auch das wird nichts am Lauf der Jahreszeiten ändern.«
Rocky beugt sich drohend vor: »Ach ja?«
Rufus zieht instinktiv den Kopf ein, bevor er antwortet: »Ja.« Steine den Berg hinaufrollen ... Er kann es einfach nicht lassen.
Ich kneife die Augen zusammen, doch statt Rufus die nächste Schelle zu verpassen, wirkt Rocky plötzlich merkwürdig in sich gekehrt.
Er sieht sich um, als wolle er im Zooshop einen Glasdelphin mitgehen lassen. »Was ich euch jetzt sage, bleibt unter uns, klar?«
Ich nicke.
»Selbstverständlich«, bestätigt Rufus.
»Es ist ...«, setzt Rocky an.
»Es ist«, ermuntert ihn Rufus.
Rocky kratzt sich an seinem Hüftring. »Wegen ...«
»Wegen?«
»Quatsch mir weiter alles nach, und du fängst gleich noch eine«, warnt Rocky.
Wie ich unseren großen Bruder so dastehen sehe - mit hängenden Schultern und zerknitterten Augen - und ihn dabei beobachte, wie er um Worte ringt, da wird mir auf einmal klar, was los ist.
»Roxane«, sage ich.
Treffer. Rockys sonst so geschwellte Brust sinkt in sich ein.
»Es ist wegen Roxi, und es ist wegen der Kinder«, setze ich nach. Und weil ich nicht sicher bin, ob Rocky die Namen seiner Kinder auch alle auf dem Schirm hat, zähle ich sie ihm auf. »Wegen Colin und Celina und Cindy und Chantal.«
Jeder neue Name zwingt unseren Clanchef weiter in die Knie. »Die besonders«, gesteht er.
»Ihr Gezeter geht dir schwerpunktmäßig auf die Eier«, sage ich.
Er nickt und wirkt sehr müde: »Noch einen Tag länger in diesem Haus, und ich schlage mit dem Kopf die Scheibe ein.«
»So etwas kann aber mitunter üble Schnittwunden nach sich ziehen «, bemerkt Rufus. Rocky hebt kurz die Schultern, um sie gleich darauf wieder sinken zu lassen. »Wär ja dein Kopf.« Er bemerkt das Entsetzen in Rufus' Gesicht und erklärt: »Glaubt ihr etwa, ich würde meinen Kopf nehmen? Bin doch nicht bescheuert.«
Es wird sehr still.
»Klassischer Fall von Lagerkoller«, diagnostiziert Rufus.
»Red keinen Scheiß, Mann«, entgegnet Rocky, für den das Wort Lagerkoller ein schwarzer Kasten ohne Inhalt ist. »Es ist so, wie Ray gesagt hat: Die gehen mir einfach ...«
»... schwerpunktmäßig ...«
»... jedenfalls gehen sie mir auf die Eier.« Wieder schweigen wir einen Moment. Dann fügt Rocky hinzu: »Ihr mir übrigens auch.«
Wie auf Zuruf zwängt sich unsere Schwester Roxane durch die Klappe, die Sphäre 2 mit Sphäre 1 verbindet. An einer Klaue hält sie Cindy, an der anderen Chantal.
»Wo bleibst du denn?«, durchschneidet ihre Stimme den Raum. Rockys Körper richtet sich auf wie der einer Marionette. »Ich denke, du hilfst mir, die Sachen für die Kinder zu packen!«
Plötzlich ertönt von der anderen Seite des steinernen Halbrunds ein dünnes Stimmchen, das wie zu sich selbst spricht: »Komme schon, mein Liebling. Komme schon ...«
Pa, der offenbar die ganze Zeit selbstvergessen und von uns unbemerkt auf seinem Platz gesessen hat, erhebt sich mühsam und schlurft auf seinen Stock gestützt an uns vorbei, ohne uns wahrzunehmen. Gespenstergleich durchquert er den Raum und verschwindet schließlich durch die Klappe zu Sphäre 3 und 4, die sich leise hinter ihm schließt. Schweigen. An Rockys Gesichtsausdruck meine ich zu erkennen, dass er gerade den Geist seiner eigenen Zukunft in Sphäre 3 und 4 hat verschwinden sehen.
»Was denn jetzt?«, ruft Roxane.
»Gleich, Schatz!« Rocky bedeutet uns, die Köpfe zusammenzustecken. »Hör zu, Rufus«, flüstert er, »wenn du mir jetzt noch mal erzählst, dass ich den Lauf der Jahreszeiten nicht verändern kann, wirst du selbst den Frühling nicht mehr erleben. Klar?«
Rufus setzt zu einer Erwiderung an, doch ich schiebe mich schnell zwischen die beiden und hebe beschwichtigend die Klauen: »Ist klar, Rocky«, versichere ich. »Vollkommen klar. Besser, du lässt deine Frau nicht zu lange warten ...«
In den folgenden Minuten oder Stunden oder so stelle ich etwas Erstaunliches fest: Der Frühlingsanfang funktioniert in beide Richtungen. Was ich damit sagen will, ist: Man kann darauf warten, dass der Frühling kommt, und zieht dann ins Freigehege, oder aber man zieht ins Freigehege, und das löst dann Frühlingsgefühle bei einem aus. Ist doch irre, irgendwie. Kaum jedenfalls habe ich meine Kammer ausgemistet, meine Laptoptasche aus dem Steinhaus in unseren Bau gezerrt und mein Reggae-Halstuch zum Lüften am Zaun aufgehängt, da kann ich es kaum mehr erwarten, endlich wieder meine morgendliche Runde durch den Zoo zu drehen, allen zu sagen, dass ich zurück bin, und natürlich bei Elsa vorbeizuschauen. Ihr einen schönen Tag zu wünschen. Und vielleicht einen klitzekleinen Hinweis auf die Frage zu bekommen, die mich den ganzen Winter über durch sämtliche Sphären verfolgt und gequält hat: Was ist jetzt eigentlich mit uns?
Unsere letzte Begegnung, im Herbst, vor dem Umzug ins Stein- haus, gipfelte in einer ersten und einzigen orgiastischen Liebesnacht, bei der - ich gebe es zu - fiese Drogen im Spiel waren. Was nichts daran ändert, dass die Erinnerung an das, was mir davon in Erinnerung ist, umso heller leuchtet, je weiter sich diese Nacht von mir entfernt. Und jetzt? Stehe ich auf unserem Feldherrenhügel, blicke zum Chinchillagehege hinüber, dessen von Raureif überzogenes Kupferdach verträumt im Morgenlicht glitzert, und frage mich, wann Elsa endlich die Zugbrücke ihrer Holzburg herablassen und ans Gitter treten wird. Ich muss zu ihr, muss tun, was ich nicht lassen kann - auch wenn das bedeuten sollte, am ersten Frühlingstag die Abfuhr meines Lebens zu kassieren. Vorher jedoch muss ich darauf warten, dass Opa Reinhard seine letzte Kontrollrunde durch den Zoo absolviert hat.
Ich trete also ungeduldig von einem Bein auf das andere, drehe Pirouetten, vergeige einen Vorderbeinstand und breche mir beinahe die Lendenwirbel bei dem Versuch, mich in eine Brücke zu stemmen, als Opa Reinhard endlich an unserem Gehege haltmacht und bemerkt: »Na, ihr seid aber früh dran dieses Jahr.«
»Das kannst du laut sagen!«, entgegne ich und betrachte, wie sich der Dampf meines Atems in der Morgenluft verflüchtigt. »Und weißt du auch, warum?« Weiß er natürlich nicht. Schließlich versteht er kein Erdmännisch. »Lagerkoller! Roxy hat Junge bekommen «, erkläre ich, »und seitdem haben wir einen Pantoffelhelden als Clanchef!«
Opa Reinhard lächelt milde und schüttelt den Kopf. »Schon quietschfidel, die süßen Dinger.« Dann schlurft er weiter.
Sobald er in Richtung der Steinböcke aus meinem Sichtfeld verschwunden ist, stürze ich in den Bau, bahne mir einen Weg zwischen meinen Familienmitgliedern hindurch, die alle emsig unsere Sommerresidenz wieder auf Vordermann bringen, flitze am Headquarter vorbei - wo ich einen entwürdigenden Blick auf Rufus erhasche, wie er in gebeugter Haltung mit einem Feuchttuch die Weinkiste poliert, die uns als Konferenztisch dient - und wühle mich durch unseren leider längst nicht mehr geheimen Geheimgang, um hinter dem Flamingohaus wieder ans Tageslicht zu gelangen.
Natürlich will ich als Erstes zu Elsa. Die Macht, die mich zu ihr zieht, ist nahezu unwiderstehlich. Aber eben nur nahezu. Weshalb ich meinen üblichen Rundgang machen und mir Elsa bis zum bittersüßen Ende aufsparen werde. Nein, logisch ist das nicht und verstärkt die Qual nur noch, schon klar. Aber genau deshalb mache ich es ja. In Liebesdingen sind Erdmännchen eben kein bisschen weiter entwickelt als Menschen.
»Bist du das Erdmännchen, das früher immer plötzlich da war und dann wieder nicht?«
Einer der Flamingos. Hat sich ängstlich bis an die Kante des Hauses herangeschoben, um zu sehen, was dahinter los ist, und schiebt jetzt seinen Kopf wie einen rosa Duschkopf an einem rosa Schlauch um die Ecke. Echt unauffällig.
»Erkennst du mich etwa nicht?«, erwidere ich.
Zögerlich kommt ein Bein des Flamingos hinter der Kante hervor, und ein Stück seines Oberkörpers schiebt sich in mein Blickfeld. »Bin mir nicht sicher.«
»Hey, Ramirez, das gibt's doch nicht!« Ich winke ihm, als würde gerade meine Fähre ablegen und ich an der Reling stehen. »Ich bin's: Ray!«
»Ah, cool.« Er zieht sein zweites Bein nach und druckst ungelenk herum. »Und du bist ein Erdmännchen, stimmt's?«
In diesem Moment kommt mir ein echt gruseliger Gedanke: Wenn es außer Rocky nur noch Flamingos und Einzeller auf der Erde gäbe, dann wäre Rocky das intelligenteste Lebewesen der Welt. Da schüttelt es einen direkt vor Grauen. »Hör zu, Ramirez: Ich hab keine Zeit für lange Erklärungen, okay. Ich bin's, Ray, das Erdmännchen aus dem Gehege da hinten. Wir haben einen Geheimgang, der hier hinter eurem Haus ins Freie führt. Und ich komme da jeden Morgen raus und mache meinen Rundgang durch den Zoo, okay? Ich hab bloß ein paar Monate Pause gemacht, weil Winter war. Aber jetzt bin ich wieder da.«
Ramirez scheint zu überlegen, ob meine Antwort ausreichend für ihn ist. Dann verschwindet der rosa Duschkopf hinter der Hauswand, während der Rest seines Körpers vor mir stehen bleibt.
»Alles in Ordnung«, höre ich ihn rufen, »ist nur Ray, das Erdmännchen! «
Vom Teich her erschallen die Rufe der anderen: »Ach so!«, tönt es erleichtert. »Alles klar!« »Hab ich ja gleich gesagt!«
Dann fällt dem Flamingo noch etwas ein: »Ich bin übrigens Ramirez!«
»Echt?« »Wow!« »Cool!« Und nach einer Pause: »Also ich finde ja, Ramirez klingt irgendwie nach Zuhälter.«
Das kann Ramirez natürlich nicht auf sich sitzen lassen. »Du bist ja bloß neidisch, weil du nicht so'n schönen Namen hast wie ich.«
»Von wegen!«
»Ach ja, dann sag doch mal: Wie heißt du denn?«
Das ist eines der vielen Probleme mit Flamingos: Sie haben eigentlich keine Namen. Es lohnt einfach die Mühe nicht, ihnen welche zu geben. Zum einen, weil nicht einmal sie selbst sich auseinanderhalten können, zum anderen, weil Informationen jeglicher Art sich im Gehirn eines Flamingos automatisch in Eintagsfliegen verwandeln.
»Das geht dich gar nichts an!«, antwortet deshalb der Flamingo, der vergeblich überlegt, wie er wohl heißen könnte.
»Gib's doch zu«, bohrt Ramirez weiter, »du weißt gar nicht, wie du heißt.«
»Weißt du's denn?«
»Nö.«
»Dann kannst du auch nicht wissen, ob mein Name nicht vielleicht noch viel schöner ist als deiner - der übrigens gar nicht schön ist, dein Name, sag ich dir mal im Vertrauen, weil er nämlich total nach Puff und so klingt.«
Ein dritter Flamingo mischt sich ein: »Ich frage mich ja, woher du so gut über Puffs und Zuhälter und so Bescheid weißt.«
Ein vierter fragt: »Hast du etwa mal als Prosti ... Prosti ... Bist du etwa 'ne Nutte?«
»Hä?«, wehrt sich der Angesprochene. »Seh ich vielleicht aus wie ein Weibchen?«
»Weiß nicht. Bist du eins?«
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Autoren-Porträt von Moritz Matthies
Moritz Matthies ist ein Pseudonym. Bei FISCHER sind von ihm die Romane >Ausgefressen<, >Voll Speed<, >Dumm gelaufen< und >Dickes Fell< lieferbar. Die Hörbücher sind bei Argon erschienen und werden von Christoph Maria Herbst gelesen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Moritz Matthies
- 2014, 2. Aufl., 304 Seiten, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: FISCHER Scherz
- ISBN-10: 3651000729
- ISBN-13: 9783651000728
- Erscheinungsdatum: 20.02.2014
Rezension zu „Dumm gelaufen “
Dieser Roman ist der dritte dieser Serie und versprüht viel Witz und macht gute Laune mit seinen lustigen Dialogen. Elena Mezzasalma Nahaufnahmen 20140419
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