Eine andere Zeit, ein anderes Leben
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alle, die skandinavische Krimiliteratur lieben.« (Anne Holt)
Stockholm, Ende November: Kjell Eriksson, Mitglied des Statistischen Zentralbüros der Stadt, wird in seiner Wohnung erstochen aufgefunden. Die Ermittler Bo Jarnebring und Anna Holt fahnden nach dem Täter, doch ohne Erfolg. Ihre Recherchen ergeben, dass Eriksson ein Eigenbrötler, ein unangenehmer Zeitgenosse war, der kaum Freunde, aber umso mehr Feinde hatte. Die Polizei ist zunächst davon überzeugt, den Täter im privaten Umfeld des Opfers zu finden, und geht davon aus, dass es sich um einen Mord im Homosexuellen-Milieu handelt. Doch sämtliche Spuren verlaufen im Sand, die Ermittlungen werden schließlich eingestellt, und der Fall wird ungelöst zu den Akten gelegt. Erst als Kriminaldirektor Lars M. Johansson ins Spiel kommt, nimmt der Fall eine neue Wendung. Johansson, eigentlich mit einer ganz anderen Sache betraut, stößt beim Durchforsten der Akten aufHinweise, die das Mordopfer Kjell Eriksson betreffen und den unscheinbaren Beamten in ein ganz anderes Licht rücken. Eriksson scheint eine bewegte politische Vergangenheit gehabt zu haben, die sich bis ins Jahr 1975 zurückverfolgen lässt: Damals wurde ein Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm verübt.
Stockholm, Ende November: Kjell Eriksson, Mitglied des Statistischen Zentralbüros der Stadt, wird in seiner Wohnung erstochen aufgefunden. Die Ermittler Bo Jarnebring und Anna Holt fahnden nach dem Täter, doch ohne Erfolg. Ihre Recherchen ergeben, dass Eriksson ein Eigenbrötler, ein unangenehmer Zeitgenosse war, der kaum Freunde, aber umso mehr Feinde hatte. Die Polizei ist zunächst davon überzeugt, den Täter im privaten Umfeld des Opfers zu finden, und geht davon aus, dass es sich um einen Mord im Homosexuellen-Milieu handelt. Doch sämtliche Spuren verlaufen im Sand, die Ermittlungen werden schließlich eingestellt, und der Fall wird ungelöst zu den Akten gelegt. Erst als Kriminaldirektor Lars M. Johansson ins Spiel kommt, nimmt der Fall eine neue Wendung. Johansson, eigentlich mit einer ganz anderen Sache betraut, stößt beim Durchforsten der Akten auf Hinweise, die das Mordopfer Kjell Eriksson betreffen und den unscheinbaren Beamten in ein ganz anderes Licht rücken. Eriksson scheint eine bewegte politische Vergangenheit gehabt zu haben, die sich bis ins Jahr 1975 zurückverfolgen lässt: Damals wurde ein Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Stockholm verübt. Ist das der Schlüssel zur Lösung des Falles?" - Ausgezeichnet mit dem SCHWEDISCHEN KRIMIPREIS
"Schon wieder ein Schwede. Allerdings ein außergewöhnlicher Schwede, einer mit Humor. Zwar ist er lange nicht so bekannt wie Henning Mankell, dafür schreibt er besser. (...) Das ist hohe Krimi-Kunst. Gäbe es Gerechtigkeit auf dieser Welt (in Persson-Krimis ist sie ein rares Gut), müsste dieser Autor seinem Landsmann umwerfender Zahlen wegen eine lange Nase drehen können." - Frankfurter Rundschau
"Es gilt, einen starken Krimi-Schweden zu entdecken: nicht so depressiv wie Henning Mankell, weniger volkstümlich als Hakan Nesser und eine Klasse Für sich: Leif GW Persson." - Westdeutsche allgemeine Zeitung
"Die dreibödigen Insider-Romane sind ein Muss - nicht nur - für Verschwörungstheoretiker." - bücher
Eine andere Zeit, ein anderesLeben von Leif GW Persson
LESEPROBE
Eineandere Zeit
I
AmDonnerstag, dem 24. April 1975, kam der Tod zur Bürozeit
undhatte ungewöhnlicherweise die Gestalt von Frau und
Manngleichermaßen angenommen. Obwohl die Männer auch
diesesMal die überwiegende Mehrheit stellten. Der Tod war
adrettund ordentlich gekleidet und verhielt sich zunächst höflich
undzuvorkommend. Es war auch kein Zufall, dass sich der
Botschafteran seinem Arbeitsplatz aufhielt, was sonst durchaus
nichtimmer der Fall war. Im Gegenteil, es war das Ergebnis
sorgfältigerPlanung und ein überaus wichtiger Teil der ganzen
Unternehmung.
DieBotschaft der Bundesrepublik Deutschland in Schweden
liegtin der Stockholmer Innenstadt auf Djurgården, und zwar
seitBeginn der sechziger Jahre. In der Nordostecke des Gebietes,
dasallgemein als Diplomatenstadt bezeichnet wird, mit dem
Rundfunk-und Fernsehgebäude und der norwegischen Botschaft
alsnächsten Nachbarn, und feiner kann es wohl kaum
werden,wenn von Stockholmer Adressen die Rede ist. Das Botschaftsgebäude
ansich ist nicht weiter der Rede wert. Der übliche
tristeBetonkasten im Stil der sechziger Jahre, drei Stockwerke
undan die zweitausend Quadratmeter Bürobereich, der
Eingangliegt auf der Nordseite im Erdgeschoss. Diese Botschaft
gehörtdurchaus nicht zu den ehrenvollsten Auslandsposten, die
dasBundesaußenministerium zu vergeben hat.
Auchdas Wetter bot an dem Tag, an dem der Tod zu Besuch
kam,keinen Grund zum Jubeln. Es war ein typisch schwedischer
Frühlingstagmit scharfem Wind und rastlosen Wolken an
einemzinngrauen Himmel, an dem die Verheißung besserer
undwärmerer Zeiten wirklich nur zu erahnen war. Für den Tod
aberwaren es ideale Verhältnisse, und das Beste waren die fast
nichtvorhandenen Sicherheitsvorkehrungen in der Botschaft.
DasGebäude war leicht einzunehmen und zu verteidigen, es
warjedoch schwer zu stürmen, und das Wetter konnten die
Widersacherjedenfalls nicht als Gegenargument anführen, als
esZeit wurde, dieses Haus zu verlassen. Noch besser aber: ein
einsamerund ziemlich erschöpfter Hausmeister in einer Rezeption,
inder die Glastüren der Sicherheitsschleuse notfalls auch
vonHand geöffnet werden konnten.
Irgendwannzwischen Viertel nach elf und halb zwölf Uhr morgens
setztendie Geschehnisse ein, und dass sich kein genauerer
Zeitpunktfeststellen ließ, liegt eben an den mangelhaften Sicherheitsvorkehrungen.
Egal.Innerhalb weniger Minuten betraten
sechsBesucher in drei Gruppen von jeweils zwei Personen das
Gebäude,junge Menschen zwischen zwanzig und dreißig, allesamt
natürlichStaatsbürger der BRD, und alle brauchten in
unterschiedlichenAngelegenheiten Hilfe.
Inihrem Heimatland waren sie allgemein bekannt. Ihr Steckbrief
warauf tausenden von Fahndungsplakaten in der gesamten
Bundesrepublikzu sehen. In Flughäfen, in Bahnhöfen und
anBushaltestellen, in Banken, Postämtern und so ungefähr an
jedemöffentlichen Ort, wo an der Wand ein wenig Platz war,
hingenihre Gesichter. Sie hatten ihren Weg sogar in die Stockholmer
Botschaftgefunden, unter anderem in einen Ordner, der
ineiner Schreibtischschublade in der Rezeption lag, was auch
immerer dort zu suchen hatte, aber als sie nun auftauchten,
wurdensie von niemandem erkannt, und die Namen, die zwei
vonihnen nannten, waren nicht ihre eigenen.
Zuerstfanden sich zwei junge Männer ein, die Rat in einer
Erbschaftsangelegenheitbrauchten, bei der sowohl schwedische
alsauch bundesdeutsche Verhältnisse eine Rolle spielten, und
dasses sich nicht um eine einfache Angelegenheit handelte, verriet
einBlick auf die voll gestopfte Aktentasche, die der eine mit
sichherumschleppte. Der Pförtner teilte ihnen mit, wo der zu-
ständigeBotschaftsangestellte zu finden war, und ließ sie eintreten.
Gleichdarauf erschien ein junges Paar, das seine Pässe verlängern
wollte.Eine typische Routineangelegenheit, eine der
allerüblichstenin der Botschaft, und die junge Frau lächelte den
Pförtnerfreundlich an, als er für sie und ihren Begleiter die Tür
öffnete.
Aberdann wurde die Sache komplizierter, denn jetzt tauchten
zweijunge Männer auf, die eine Arbeitsgenehmigung für
Schwedenbrauchten. Der Pförtner erklärte ihnen, dafür sei
nichtdie Botschaft zuständig, das sei eine Angelegenheit der
schwedischenBehörden, doch statt auf ihn zu hören, beharrten
sieauf ihrem Anliegen. Einer wurde sogar ziemlich laut, als der
Pförtnerdie beiden nicht einlassen wollte, aber während sie
nochdastanden und argumentierten, erschien ein Botschaftsangehöriger,
derin der Stadt zu Mittag essen wollte, und passierte
dieGlastüren, und die beiden jungen Männer nutzten die Gelegenheit,
umhineinzuschlüpfen und auf der Treppe zu den oberen
Stockwerkenzu verschwinden. Ohne darauf zu achten, dass
derPförtner hinter ihnen herrief und sie aufforderte, sofort zurückzukommen.
Jetztging alles sehr schnell. Die sechs Besucher sammelten sich
aufdem Treppenabsatz vor der Konsulatsabteilung, vermummten
sichund zogen Pistolen, Maschinenpistolen und Handgranaten
hervor.Dann wurden die Räumlichkeiten von überflüssigen
Besuchernund Personal befreit; einige einleitende Schusssalven
andie Decke reichten aus, um diese Leute Hals über Kopf auf
dieStraße fliehen zu lassen, und die zwölf verbliebenen Angestellten
wurdenin die Bibliothek im obersten Stock getrieben.
Mitmilitärischer Präzision und ohne irgendwelche Zeit mit Höflichkeiten
zuvergeuden.
Umelf Uhr siebenundvierzig lief der erste Alarm mit der Meldung
»Schusswechselin der Botschaft der BRD« bei der Stockholmer
Polizeizentraleein und führte zu einem Großeinsatz.
Ordnungspolizei,Kriminalpolizei, Streife, Gewaltsektion und
Sicherheitspolizei,alle, die sich überhaupt auftreiben ließen,
wurdenherbeibefohlen, mit Blaulicht, Sirenen und kreischenden
Reifenjagten sie zur Botschaft der BRD auf Djurgården,
undder Alarm, der gegeben worden war, hatte eine klare Aussage.
DieBotschaft der Bundesrepublik Deutschland ist von
Terroristenbesetzt worden. Sie sind bewaffnet und gefährlich.
AllePolizisten werden zur größtmöglichen Vorsicht aufgefordert.
EineFunkstreife aus dem Wachdistrikt Östermalm traf als
Erstesvor Ort ein, und dass sie laut eingereichtem Bericht bereits
umelf Uhr sechsundvierzig dort war, lag nicht daran, dass
derStreifenführer Hellseher wäre, sondern einfach daran, dass
seineArmbanduhr zwei Minuten nachging, als er die Zeit notierte,
undwenn wir bedenken, was dann weiter geschah, ist das
nunwirklich ein Irrtum, mit dem es sich leben lässt.
Schonum halb eins, nach etwa vierzig Minuten, hatte die
Polizeidie Botschaft umstellt, den Keller und die unteren Stockwerke
gesichert,die Gegend um die Botschaft herum abgesperrt,
umdie rasch anwachsende Schar von Presseleuten und
Gaffernzurückzudrängen, eine provisorische Einsatzzentrale
eingerichtetund Ordnung in Funk- und Telefonverbindungen
zuPolizeigebäude, Botschaft und Regierungskanzlei gebracht.
DerChef der Gewaltsektion, der den Einsatz leiten sollte, war
eingetroffen,und er und seine Kollegen waren bereit zur Tat.
Diesechs jungen Leute in der Botschaft hatten auch nicht die
Händein den Schoß gelegt. Die zwölf Geiseln, zu denen der
Botschaftergehörte, waren aus der Bibliothek in den Dienstraum
desBotschafters in der Südostecke des Obergeschosses
geführtworden, so weit fort vom Eingang wie überhaupt nur
möglich.Einige der weiblichen Angestellten hatten helfen müssen,
dieAbfalleimer mit Wasser zu füllen und Waschbecken
undToiletten mit Papierhandtüchern zu verstopfen, um einen
Gasangriffüber das Leitungssystem zu verhindern. Zwei Terroristen
brachtenan strategischen Stellen im Obergeschoss
Sprengladungenan, während die übrigen die Geiseln und die
Türzum Treppenhaus bewachten. Und mit all diesen Vorbereitungen
warensie ungefähr zu demselben Zeitpunkt fertig wie
ihreGegner.
Danneröffneten die Terroristen die Partie mit einer schlichten
undunmissverständlichen Forderung. Wenn die Polizei
nichtsofort das Botschaftsgebäude verließe, würden sie eine
Geiselerschießen. Der Chef der Gewaltsektion war keiner, der
sichunnötig aufregte, und sein Selbstvertrauen war groß, um
nichtzu sagen, grenzenlos. Außerdem war er anderthalb Jahre
zuvorbeim Norrmalmstorgdrama zugegen gewesen und hatte
gelernt,dass sich, wenn der Geiselnehmer nur die Zeit hat,
seineGeisel kennen zu lernen, die seltsamsten Gemeinschaftsgefühle
entwickelnkönnen, was zugleich das Risiko der Gewaltanwendung
beträchtlichverringert. Diese interessante menschliche
Mechanikhatte inzwischen sogar einen eigenen Namen
erhalten,das »Stockholmsyndrom«, und im allgemeinen psychologischen
Wirrwarrhatte niemand die Zeit gefunden, dem Umfang
desempirischen Materials auch nur einen Gedanken zu
widmen.
DerChef der Gewalt glaubte deshalb, die Wissenschaft hinter
sichzu haben, als er mitteilen ließ, er sei bereit, über die Angelegenheit
zureden. Nun aber zeigte sich, dass die Gegenseite
mitanderer und härterer Münze zahlte, denn schon nach zwei
Minutenhallten im Obergeschoss der Botschaft Schüsse wider.
Dannwurde oben im Treppenhaus die Tür geöffnet, und der
blutigeund leblose Körper des Militärattachés wurde auf die
Treppegeworfen, wo er auf dem mittleren Absatz liegen blieb.
Alsdas geschehen war, nahmen die Terroristen abermals Kontakt
auf.
Sieblieben bei ihrer Forderung. Wolle man die Leiche holen,
dannsei das kein Problem, vorausgesetzt, diese Aufgabe werde
höchstenszwei Polizisten übertragen, die nur mit Unterhose
bekleidetwaren. Was für ungewöhnlich unangenehme Menschen,
dachteder Chef der Gewalt, der zugleich seinen ersten
operativenBeschluss in einer Extremsituation fasste. Natürlich
würdensie das Gebäude räumen. Natürlich würden sie den
Leichnambergen. Natürlich, natürlich, und alles sei bereits im
Gange. ( )
© btb Verlag
Übersetzung: Gabriele Haefs
- Autor: Leif G. W. Persson
- 2006, 476 Seiten, Maße: 14 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Haefs, Gabriele
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 3442751322
- ISBN-13: 9783442751327
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