Eine kurze Geschichte der Musik
Hätten Sie gewusst, dass Mozart sich fürchterlich über die Einfallslosigkeit seiner Kompositionsschüler aufregen konnte? Dass Händel als Opernproduzent tätig war und mehrfach bankrott ging? Dass Beethoven trotz Taubheit noch dirigierte? Christiane Tewinkels...
lieferbar
versandkostenfrei
Buch (Gebunden)
14.90 €
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Eine kurze Geschichte der Musik “
Klappentext zu „Eine kurze Geschichte der Musik “
Hätten Sie gewusst, dass Mozart sich fürchterlich über die Einfallslosigkeit seiner Kompositionsschüler aufregen konnte? Dass Händel als Opernproduzent tätig war und mehrfach bankrott ging? Dass Beethoven trotz Taubheit noch dirigierte? Christiane Tewinkels Streifzug durch die Musikgeschichte führt zu klassisch gewordenen Meisterwerken und zu den großen Männern und Frauen, die sie geschrieben haben - von den alten Griechen bis in unsere Zeit. Ihr Rundgang lädt aber auch dazu ein, all jene kennen zu lernen, die im Hintergrund mitspielten: die singenden Mönche und findigen Klavierbauer, die Königinnen und Wunderkinder, die schönen Musen und selbst die Musikkritiker. "Eine kurze Geschichte der Musik" ist ohne Vorwissen lesbar: Christiane Tewinkel erzählt vergnüglich, lehrreich und höchst lebendig die Geschichten hinter der Musik, erklärt die wichtigsten Entwicklungen und macht überaus neugierig aufs Hören und Wiederhören der Musik aller Zeiten.
Dass Händel als Opernproduzent tätig war und mehrfach bankrott ging? Dass Beethoven trotz Taubheit noch dirigierte? Christiane Tewinkels Streifzug durch die Musikgeschichte führt zu klassisch gewordenen Meisterwerken und zu den großen Männern und Frauen, die sie geschrieben haben - von den alten Griechen bis in unsere Zeit. Ihr Rundgang lädt aber auch dazu ein, all jene kennen zu lernen, die im Hintergrund mitspielten: die singenden Mönche und findigen Klavierbauer, die Königinnen und Wunderkinder, die schönen Musen und selbst die Musikkritiker. 'Eine kurze Geschichte der Musik' ist ohne Vorwissen lesbar: Christiane Tewinkel erzählt vergnüglich, lehrreich und höchst lebendig die Geschichten hinter der Musik, erklärt die wichtigsten Entwicklungen und macht überaus neugierig aufs Hören und Wiederhören der Musik aller Zeiten.Alle Aspekte der Musikerfahrung kurzweilig erzählt Schöne Ausstattung: HalbleinenOhne Vorwissen lesbarChristiane Tewinkel wurde 1969 in Unna geboren, sie studierte in Freiburg Schulmusik, Germanistik und Anglistik sowie an der Harvard University Musikwissenschaft und Musiktheorie und wurde in Würzburg promoviert. Christiane Tewinkel arbeitet als Musikwissenschaftlerin an der Universität der Künste Berlin und schreibt für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Tagesspiegel über Musik.
"Christiane Tewinkel schreibt mit jugendlichem Schwung, anschaulich, verständlich und amüsant." - SWR
"Christiane Tewinkel schreibt mit jugendlichem Schwung, anschaulich, verständlich und amüsant." - SWR
Lese-Probe zu „Eine kurze Geschichte der Musik “
Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile?Das erste Konzert, in dem ich mich sehr gelangweilt habe, und zwar so schlimm, daß ich ständig die Seiten im Programmheft zählte, die noch abzusingen waren, und beim Sitzen jenen Steißbeinschmerz verspürte, der typisch ist für wirkliche Langeweile, dieses Konzert bestand in einer Aufführung der Matthäus-Passion von Johann Sebastian Bach. Das wird viele Menschen entsetzen, handelt es sich bei diesem Werk doch um Große Kunst. Mir war das auch gesagt worden. Ich wußte also, daß ich Großer Kunst zuhörte, Schmerzen und Langeweile hatte ich aber trotzdem. So wußte ich es auch wieder nicht. Oder gehört Langeweile etwa zum Geschäft? Damals, während dieser drei Stunden Matthäus-Passion, saß ich neben einem Schulfreund namens Götz. Götz hatte rote Locken, war zwei Klassen über mir und las die ganze Zeit in seinen mitgebrachten Noten mit. Ich konnte ihm beim Blättern nicht folgen. Ich verstand auch nicht, worin der Reiz der vielen langatmigen Stücke für Sologesang und Orchester bestehen sollte, der Arien. Aufregend fand ich höchstens die Stellen, in denen es laut wurde, etwa den Chor 'sind Blitze, sind Donner in Wolken verschwunden? Eröffne den feurigen Abgrund, o Hölle, zertrümmre, verschlinge, mit plötzlicher Wut den falschen Verräter, das mördrische Blut!': echt gewittrig. Vor Götz konnte ich das aber unmöglich zugeben. Er schien sich überhaupt nicht zu langweilen. Offensichtlich liegt Langeweile im Sinn des Zuhörers. Götz zum Beispiel wußte Bescheid und war gutwillig, ich hatte schlechte Laune und wußte noch nicht einmal, daß es auch bei gutem Willen und allerbesten Kenntnissen neben vielen großartigen Konzerten immer einige gibt, die langweilig bleiben. Was soll man machen. Wir laufen heute einfach nicht mehr aufgescheucht durch die Gegend, immer auf der Suche nach jemandem, der uns endlich etwas vorspielen möge. Das war jahrhundertelange genug so, daß es Musik nur in Ausnahmesituationen gab, im Gottesdienst, zum
... mehr
Tanzvergnügen, bei reichen Leuten zu Hause, im Theater oder Konzert. Heute kann man sich solche Musiklosigkeit nur noch bei zwei Wochen auf der Alm ohne Strom vorstellen. In einer solchen Lage dankt man jeder Person, die auf einmal ein Akkordeon aus dem Koffer hervorzieht. Für gewöhnlich aber kommt man ziemlich leicht an Musik, und da ist man eben schnell ein bißchen überreizt und denkt im Konzert womöglich nur noch daran, daß das Wetter draußen so schön ist und man sich ja zum Beispiel in der nahege-legenen Eisdiele ein Eis kaufen und ein bißchen durch die Stadt schlendern könnte. Doch bleiben Sie sitzen! Genießen Sie den leichten Schmerz! Denken Sie zur Abwechslung ein wenig über das Phänomen 'Langeweile' nach, jene rätselhafte Dehnung des Zeiterlebens, die zornig machen kann, und deren Gegenstück der nicht enden sollende, erfüllte Augenblick ist. Der wohl wichtigste Grund für ein Gefühl der Deplaciertheit, das man schnell mit der Konzertlangeweile verwechseln könnte, ist, daß Stücke in einen Rahmen gesteckt worden sind, in den sie eigentlich nicht hineinpassen. Da wird zum Beispiel in Konzerten Tisch- und Unterhaltungsmusik dargeboten, zu der man aber nicht essen und sich amüsieren kann. Es wird Kammermusik aufgeführt, die eigentlich für ein winzig kleines Publikum von Kennern gedacht ist, die zu Hause Musik machen, oder man musiziert Stücke mit einem bestimmten Programm dahinter (zum Beispiel Natur, Liebe oder ein Stück von Shakespeare), über dessen genauen Inhalt kein Mensch mehr etwas weiß. Und dann passiert es eben immer wieder auch, daß Kirchenmusik an ganz unreligiösen Orten aufgeführt wird, vor Leuten, die sie sich wohl gern einmal anhören, aber glauben, was da gesungen wird?, das wäre ein anderer Schuh.
Meine Passion zum Beispiel gab es zwar in einer Kirche, die sogar die zu Bach passende Konfession hatte (nämlich die evangelische), doch fand das Konzert an einem gewöhnlichen Samstag abend irgendwann vor Ostern statt. Landauf, landab veranstaltet man in der Zeit vor Ostern solche Konzerte. Zu Bachs Zeiten war die Aufführung der Matthäus-Passion dagegen Bestandteil der Karfreitagsvesper, und mittendrin wurde für eine lange Predigt unterbrochen. Anteilnahme, Schmerz und Mitleid mit dem Kreuzweg Jesu waren große Ziele. Die Arien gaben sich der totalen Kontemplation hin, damit auch der Letzte noch begreife, worum es hier wirklich ging: 'Buß und Reu knirscht das Sündenherz entzwei' oder 'Können Tränen meiner Wangen nichts erlangen?' Wahrscheinlich stand in meinem Programmheft, daß ich vor zweidreiviertel Jahrhunderten (die erste Fassung der Matthäus-Passion ist von 1727) angehalten gewesen wäre, an einigen Stellen der Passion persönlich mitzusingen. Nicht stand dort, daß zu soviel Karfreitagsnacherzählung nun einmal viel Zeit gehört. Ich saß also in meinem Konzert und verstand gar nicht, wie es tickt.
Nach Bach haben viele Komponisten Passionen geschrieben, die den Gottesdienst nicht mehr brauchten. Fromm blieb es aber immer noch. Was die Passions-Komponisten zu den heutigen Konzertgebräuchen sagen würden, eine Pause einzufügen, in der Sekt und Orangensaft ausgeschenkt werden, ist schwer zu sagen. Sie haben ihr Geld bekommen, ihre Arbeit getan und wären vielleicht ganz froh, daß man sie immer noch spielt. Aber die Umwidmung von Musik, die zu ihren Zeiten in einen ganz anderen Rahmen gehörte, bleibt beispielhaft für die Schwierigkeiten, denen sich die Kunstmusik heute ausgesetzt sieht. Wer da als Zuhörer ungefähr mithalten möchte, müßte eigentlich die ganze Zeit doppelt denken, sehen und hören: Einst und jetzt. Da, dort. Viele können das sogar. Es ist ganz unglaublich. Wahrscheinlich haben sie jahrelang trainiert. Stücke können also in einem Konzertrahmen in gewisser Weise fehl am Platze sein. Nutzen Sie Perioden der Langeweile daher nicht nur für ein Nachdenken über die Zeit und ihr mähliches Vergehen, sondern auch, um zu ergründen, was man sich wohl wieder dabei gedacht hat, als man dieses oder jenes Werk auf das Programm setzte. Wenn Sie damit fertig sind, dürfen Sie Ihre Langeweile noch ein bißchen weiter pflegen im ruhigen Wissen darum, daß Konzertbesuchern selten so viel Musik in so reiner Form zugemutet worden ist wie heute. Schließlich gibt es noch ganz andere Kaliber als geistliche Musik im weltlichen Raum, aus dem Wohnzimmer an die Öffentlichkeit gebrachte Kammermusik oder Instrumentalstücke mit Programm. Denken Sie erst an die viele Musik, die nur Musik sein will: ohne funktionalen Hintergrund, ohne Programm. Jetzt wäre dann aber Schluß. Denn bei der Konzertlangeweile liegt das Übel auch im eigenen Ohr. Mein sich überhaupt nicht langweilender Schulfreund Götz zum Beispiel hatte seine Sinne längst gebildet. Er merkte also, daß etwa die Baßarie 'Mache dich, mein Herze, rein', die kurz vor Ende gesungen wird, ein Stück mit einem ruhigen, fast die ganze Zeit im selben Rhythmus pochenden Baßgang ist, mit einem unglaublich zuversichtlichen Melodieanfang in der Gesangsstimme. Götz wird sich gewünscht haben, daß die schöne Stelle einfach nicht vorbeigehe, sein neues Wissen über die Arie mindestens bis ins Jahr 1999 aufbewahrt haben - als bei der Verfilmung von Patricia Highsmiths Roman The Talented Mr. Ripley dieselbe erklingt, während Ripley sich auf seine Reise nach Europa vorbereitet - und sich dann viele Gedanken dazu gemacht haben können.
Auch Ihnen mögen jene Jahre abgehen, in denen andere Menschen nichts anderes getan haben, als sich intensiv auf Konzertbesuche vorzubereiten. Aber ein bißchen sollten Sie sich schon bemühen. Es ist nicht schwer. Hören können Sie doch? Halten Sie nicht damit zurück. Nehmen Sie sich gern etwas von dem Kölner Komponisten Karlheinz Stockhausen (geb. 1928) an, der findet, Musik sei 'das sublimste Mittel, unsere geistigen Fähigkeiten in einer allgemeingültigen, abstrakten Weise auszubilden; nämlich, Schwingungen und Schwingungsverhältnisse, Organismen und Prozesse von Schwingungen wahrzunehmen, um zunehmend wacher, intelligenter, gedankenreicher, polyphoner, gefühlsreicher und feinfühliger zu werden.'Wir wollen dieses Zitat nicht zum Anlaß nehmen, zu dem vielbemühten, etwas ausgeleierten Vorwurf zurückzukommen, nach welchem ein Lernen an der Musik dieselbe zum Vehikel degradiere, sondern der Konzertlangeweile noch ein wenig Raum gewähren, langsam weitergehen und auf jene helle Hauswand in Freiburg im Breisgau hinweisen, auf die jemand in den 1990er Jahren gesprüht hat: 'Die Langeweile ist revolutionär.' Wahrscheinlich stimmt das. In der Langeweile fängt man an, über Auswege nachzudenken - wenn man noch die Kraft dazu hat. Es gibt nämlich Musiker, die laugen Sie durch ihr Spiel richtig aus. Sie spielen langweilig, weil sie selbst gelangweilt sind. Oder müde von zuviel Musik, den ganzen Tag. Den ganzen Tag nur Musik, das ist ja auch furchtbar. In einem solchen Fall, der übrigens ziemlich häufig eintritt, möchten Sie aufstehen und sagen: 'Laß' gut sein. Wir sind alle müde. Es ist ja auch schon spät.' Das können Sie allerdings nicht bringen. Das würde die Musiker enttäuschen und Ihre Nachbarn mit dem Finger auf Sie zeigen machen.
Warten Sie stattdessen lieber auf den Moment, in welchem das Stück sich durchsetzt und seinen Vollstreckern trotzt. Manche Stücke sind nicht totzukriegen. Sie haben Stellen, gegen deren Kraft niemand, nicht der größte Langweiler ankommt. Nach solchen Stellen ist alles anders: Pianisten sind wachen auf. Orchester spielen inspiriert. Und Sie selbst finden Ihr Konzert auf einmal großartig.
Doch auch den entgegengesetzten Fall gibt es, daß nämlich in der Musik so wenig passiert, daß Spieler und Zuhörer am Ende ganz betäubt sind vom bloßen Zustopfen der Zeit. Sie mühen sich und adeln Stücke, sie sperren auf an Sinnen und Möglichkeiten, was nur geht. Aber es bleibt unaufregend. Hier können Sie nur darauf warten, daß die Zeit verstreicht. Es wäre dann für Sie möglicherweise auch erlaubt, in der Pause zu gehen. Hinter Ihrem Verzicht auf die Darbietung wissen Sie die großen Worte des Pianisten, Komponisten und Pädagogen Carl Czerny (1791-1857): 'Es ist eine seltene und doch so nothwendige Eigenschaft eines Tonsetzers, die theils durch angebornen Takt, theils durch lange Erfahrung erst erlangt werden kann: zu rechter Zeit aufzuhören zu wissen. Die Langeweile ist für jedes Tonstück die gefährlichste Klippe.'Der Glücksfall vermiedener Langeweile, die erfüllte, gedoppelte Zeit, ist dagegen selten. Er wiegt aber alles andere auf. Und zwar für immer. Oder doch zumindest bis zum nächsten Mal. In einem solcherart nicht langweiligen Konzert (das man vielleicht alle halbe Jahre einmal erlebt) wird so musiziert, daß Sie in eine ganz ruhige, klarsichtige Stimmung hineinkommen, daß Sie genießen, was Sie hören und am Ende denken, 'Wie, schon vorbei? Bitte mehr davon! Ich bin in total guter Spannung, mein Geist ist wach, ich muß mein Leben ändern. Ich erfahre hier so viel. Ich will noch nicht nach Hause, und bitte, geht mir weg mit der bunten Eisdiele vor der Tür.' Das ist ein kleines Wunder. Und dafür geht man ins Konzert.
Meine Passion zum Beispiel gab es zwar in einer Kirche, die sogar die zu Bach passende Konfession hatte (nämlich die evangelische), doch fand das Konzert an einem gewöhnlichen Samstag abend irgendwann vor Ostern statt. Landauf, landab veranstaltet man in der Zeit vor Ostern solche Konzerte. Zu Bachs Zeiten war die Aufführung der Matthäus-Passion dagegen Bestandteil der Karfreitagsvesper, und mittendrin wurde für eine lange Predigt unterbrochen. Anteilnahme, Schmerz und Mitleid mit dem Kreuzweg Jesu waren große Ziele. Die Arien gaben sich der totalen Kontemplation hin, damit auch der Letzte noch begreife, worum es hier wirklich ging: 'Buß und Reu knirscht das Sündenherz entzwei' oder 'Können Tränen meiner Wangen nichts erlangen?' Wahrscheinlich stand in meinem Programmheft, daß ich vor zweidreiviertel Jahrhunderten (die erste Fassung der Matthäus-Passion ist von 1727) angehalten gewesen wäre, an einigen Stellen der Passion persönlich mitzusingen. Nicht stand dort, daß zu soviel Karfreitagsnacherzählung nun einmal viel Zeit gehört. Ich saß also in meinem Konzert und verstand gar nicht, wie es tickt.
Nach Bach haben viele Komponisten Passionen geschrieben, die den Gottesdienst nicht mehr brauchten. Fromm blieb es aber immer noch. Was die Passions-Komponisten zu den heutigen Konzertgebräuchen sagen würden, eine Pause einzufügen, in der Sekt und Orangensaft ausgeschenkt werden, ist schwer zu sagen. Sie haben ihr Geld bekommen, ihre Arbeit getan und wären vielleicht ganz froh, daß man sie immer noch spielt. Aber die Umwidmung von Musik, die zu ihren Zeiten in einen ganz anderen Rahmen gehörte, bleibt beispielhaft für die Schwierigkeiten, denen sich die Kunstmusik heute ausgesetzt sieht. Wer da als Zuhörer ungefähr mithalten möchte, müßte eigentlich die ganze Zeit doppelt denken, sehen und hören: Einst und jetzt. Da, dort. Viele können das sogar. Es ist ganz unglaublich. Wahrscheinlich haben sie jahrelang trainiert. Stücke können also in einem Konzertrahmen in gewisser Weise fehl am Platze sein. Nutzen Sie Perioden der Langeweile daher nicht nur für ein Nachdenken über die Zeit und ihr mähliches Vergehen, sondern auch, um zu ergründen, was man sich wohl wieder dabei gedacht hat, als man dieses oder jenes Werk auf das Programm setzte. Wenn Sie damit fertig sind, dürfen Sie Ihre Langeweile noch ein bißchen weiter pflegen im ruhigen Wissen darum, daß Konzertbesuchern selten so viel Musik in so reiner Form zugemutet worden ist wie heute. Schließlich gibt es noch ganz andere Kaliber als geistliche Musik im weltlichen Raum, aus dem Wohnzimmer an die Öffentlichkeit gebrachte Kammermusik oder Instrumentalstücke mit Programm. Denken Sie erst an die viele Musik, die nur Musik sein will: ohne funktionalen Hintergrund, ohne Programm. Jetzt wäre dann aber Schluß. Denn bei der Konzertlangeweile liegt das Übel auch im eigenen Ohr. Mein sich überhaupt nicht langweilender Schulfreund Götz zum Beispiel hatte seine Sinne längst gebildet. Er merkte also, daß etwa die Baßarie 'Mache dich, mein Herze, rein', die kurz vor Ende gesungen wird, ein Stück mit einem ruhigen, fast die ganze Zeit im selben Rhythmus pochenden Baßgang ist, mit einem unglaublich zuversichtlichen Melodieanfang in der Gesangsstimme. Götz wird sich gewünscht haben, daß die schöne Stelle einfach nicht vorbeigehe, sein neues Wissen über die Arie mindestens bis ins Jahr 1999 aufbewahrt haben - als bei der Verfilmung von Patricia Highsmiths Roman The Talented Mr. Ripley dieselbe erklingt, während Ripley sich auf seine Reise nach Europa vorbereitet - und sich dann viele Gedanken dazu gemacht haben können.
Auch Ihnen mögen jene Jahre abgehen, in denen andere Menschen nichts anderes getan haben, als sich intensiv auf Konzertbesuche vorzubereiten. Aber ein bißchen sollten Sie sich schon bemühen. Es ist nicht schwer. Hören können Sie doch? Halten Sie nicht damit zurück. Nehmen Sie sich gern etwas von dem Kölner Komponisten Karlheinz Stockhausen (geb. 1928) an, der findet, Musik sei 'das sublimste Mittel, unsere geistigen Fähigkeiten in einer allgemeingültigen, abstrakten Weise auszubilden; nämlich, Schwingungen und Schwingungsverhältnisse, Organismen und Prozesse von Schwingungen wahrzunehmen, um zunehmend wacher, intelligenter, gedankenreicher, polyphoner, gefühlsreicher und feinfühliger zu werden.'Wir wollen dieses Zitat nicht zum Anlaß nehmen, zu dem vielbemühten, etwas ausgeleierten Vorwurf zurückzukommen, nach welchem ein Lernen an der Musik dieselbe zum Vehikel degradiere, sondern der Konzertlangeweile noch ein wenig Raum gewähren, langsam weitergehen und auf jene helle Hauswand in Freiburg im Breisgau hinweisen, auf die jemand in den 1990er Jahren gesprüht hat: 'Die Langeweile ist revolutionär.' Wahrscheinlich stimmt das. In der Langeweile fängt man an, über Auswege nachzudenken - wenn man noch die Kraft dazu hat. Es gibt nämlich Musiker, die laugen Sie durch ihr Spiel richtig aus. Sie spielen langweilig, weil sie selbst gelangweilt sind. Oder müde von zuviel Musik, den ganzen Tag. Den ganzen Tag nur Musik, das ist ja auch furchtbar. In einem solchen Fall, der übrigens ziemlich häufig eintritt, möchten Sie aufstehen und sagen: 'Laß' gut sein. Wir sind alle müde. Es ist ja auch schon spät.' Das können Sie allerdings nicht bringen. Das würde die Musiker enttäuschen und Ihre Nachbarn mit dem Finger auf Sie zeigen machen.
Warten Sie stattdessen lieber auf den Moment, in welchem das Stück sich durchsetzt und seinen Vollstreckern trotzt. Manche Stücke sind nicht totzukriegen. Sie haben Stellen, gegen deren Kraft niemand, nicht der größte Langweiler ankommt. Nach solchen Stellen ist alles anders: Pianisten sind wachen auf. Orchester spielen inspiriert. Und Sie selbst finden Ihr Konzert auf einmal großartig.
Doch auch den entgegengesetzten Fall gibt es, daß nämlich in der Musik so wenig passiert, daß Spieler und Zuhörer am Ende ganz betäubt sind vom bloßen Zustopfen der Zeit. Sie mühen sich und adeln Stücke, sie sperren auf an Sinnen und Möglichkeiten, was nur geht. Aber es bleibt unaufregend. Hier können Sie nur darauf warten, daß die Zeit verstreicht. Es wäre dann für Sie möglicherweise auch erlaubt, in der Pause zu gehen. Hinter Ihrem Verzicht auf die Darbietung wissen Sie die großen Worte des Pianisten, Komponisten und Pädagogen Carl Czerny (1791-1857): 'Es ist eine seltene und doch so nothwendige Eigenschaft eines Tonsetzers, die theils durch angebornen Takt, theils durch lange Erfahrung erst erlangt werden kann: zu rechter Zeit aufzuhören zu wissen. Die Langeweile ist für jedes Tonstück die gefährlichste Klippe.'Der Glücksfall vermiedener Langeweile, die erfüllte, gedoppelte Zeit, ist dagegen selten. Er wiegt aber alles andere auf. Und zwar für immer. Oder doch zumindest bis zum nächsten Mal. In einem solcherart nicht langweiligen Konzert (das man vielleicht alle halbe Jahre einmal erlebt) wird so musiziert, daß Sie in eine ganz ruhige, klarsichtige Stimmung hineinkommen, daß Sie genießen, was Sie hören und am Ende denken, 'Wie, schon vorbei? Bitte mehr davon! Ich bin in total guter Spannung, mein Geist ist wach, ich muß mein Leben ändern. Ich erfahre hier so viel. Ich will noch nicht nach Hause, und bitte, geht mir weg mit der bunten Eisdiele vor der Tür.' Das ist ein kleines Wunder. Und dafür geht man ins Konzert.
... weniger
Autoren-Porträt von Christiane Tewinkel
Christiane Tewinkel, geboren 1969, studierte in Freiburg Schulmusik, Germanistik und Anglistik, an der Harvard University Musikwissenschaft und Musiktheorie und wurde in Würzburg promoviert. Sie arbeitet als Musikwissenschaftlerin in Berlin und schreibt für die Frankfurter Allgemeine Zeitung und den Tagesspiegel über Musik. Bei DuMont erschienen 'Bin ich normal, wenn ich mich im Konzert langweile?' (2004), 'Eine kurze Geschichte der Musik' (2007) und zuletzt 'Das Kleine Schwarze' (2009).
Bibliographische Angaben
- Autor: Christiane Tewinkel
- 2007, 250 Seiten, 38 Schwarz-Weiß-Abbildungen, 30 Abbildungen, Maße: 21,2 x 13,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: DuMont Buchverlag
- ISBN-10: 3832179348
- ISBN-13: 9783832179342
Rezension zu „Eine kurze Geschichte der Musik “
"Eine frische, fesche und kurze Musikgeschichte. [...] Ihr schönes, schnelles und schlaues musikgeschichtliches Rezitativ kennt weder Leere, noch vermittelt es Langeweile (...) schade nur, dass dies schön arrangierte, lebendig und schwungvoll gespielte Werkchen nur zu lesen und nicht auch mit Klangbeispielen zu hören ist (..) Applaus! Bravissimo! Da capo!" SÜDDEUTSCHE ZEITUNG "Wie gerne hätte man diese Frau als Musiklehrerin gehabt!" DIE WELT "Mit leichtem Ton streift sie durch die Musikgeschichte von der griechischen Antike bis in die unmittelbare Gegenwart." TAGESSPIEGEL "Vermittelt wird eine unaufwändige - im besten Wortsinn 'kurzweilige' Musikgeschichte, die vor allem für jugendliche Leser und für musikalische Einsteiger interessant sein dürfte." NDR 1 -BÜCHERWELT "Die Musikwissenschaftlerin erzählt unterhaltsam, aber dennoch präzise wie sich die Musik und später die für Nachwelt so entscheidende Notation entwickelt. Obwohl sie den Gebrauch von Fachtermini konsequent reduziert, gelingt es ihr, so manche komplexe musikalische Entwicklung dem Leser näher zu bringen. Leicht im Ton, aber nicht leichtfertig geht die Autorin mit dem Sujet ihres Buches um, die Fachkompetenz ist immer spürbar, auch wenn sie ohne professoraler Attitüde daherkommt. 'Eine kurze Geschichte der Musik' ist ein lesbar-amüsantes, dabei geistreiches Buch geworden." PFORZHEIMER ZEITUNG "Ihre zwölf, sehr kurzweiligen und mit wenigen Fotos dekorierten Kapitel sind eine gelungene Einführung für Leute, die sich erstmals grundlegend mit der Materie beschäftigen und wissen möchten, warum und wie sich die Musik entwickelt hat. Ihre Sprache ist modern, ihr Stil angenehm flüssig und sehr leserfreundlich." MAIN-ECHO "Als leicht fasslicher Einstieg für Musikinteressierte, gerade auch für Jugendliche, kann das Buch ein paar angenehme und lehrreiche Schmökerstunden vermitteln." PFORZHEIMER ZEITUNG "Eine höchst lehrreiche und amüsante Lektüre." HEILBRONNER STIMME "Eine Lektüre die in einem flüssig zu lesenden
... mehr
Text neben harten Fakten auch die eine oder andere Anekdote, ein amüsantes Detail oder eine kulturgeschichtliche Fußnote dem Leser offenbart." LITERATURKURIER "Ein lehrreicher, vergnüglicher Streifzug." KURIER WIEN
... weniger
Kommentar zu "Eine kurze Geschichte der Musik"
0 Gebrauchte Artikel zu „Eine kurze Geschichte der Musik“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Eine kurze Geschichte der Musik".
Kommentar verfassen