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Zweifach nominiert für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2008.
Miles hat die Schule gewechselt. Auf dem Internat verknallt er sich in die schöne Alaska. Sie ist das Zentrum ihres Sonnensystems, der magische Anziehungspunkt des Internats. Wer um sie kreist, ist glücklich und verletzlich gleichermaßen, euphorisch und immer nah am Schulverweis. Alaska mag Lyrik, nächtliche Diskussionen über philosophische Absurditäten, heimliche Glimmstängel im Wald und die echte wahre Liebe. Miles ist fasziniert und überfordert zugleich. Dass hinter dieser verrückten, aufgekratzten Schale etwas Weiches und Verletzliches steckt, ist offensichtlich. Wer ist Alaska wirklich?
Mit Anmut und Humor, voller Selbstironie und sehr charmant erzählt Green die zu Tränen rührende Geschichte von Miles, in dessen Leben die Liebe wie eine Bombe einschlägt.
Aus dem Englischen von Sophie Zeitz
VORHER
Einhundertsechsunddreißig Tage vorher Eine Woche bevor ich Florida verließ, um den Rest meiner Jugend in einem Internat in Alabama zu verbringen, ließ sich meine Mutter nicht davon abbringen, eine Abschiedsparty für mich zu geben. Von gedämpften Erwartungen meinerseits zu sprechen wäre heillos übertrieben. Zwar hatte sie mich mehr oder weniger gezwungen, alle meine »Schulfreunde « einzuladen, also den traurigen Haufen von Theatergruppenleuten und Englischstrebern, mit denen ich notgedrungen in der muffigen Highschool-Cafeteria am Tisch saß, doch ich wusste, dass keiner von ihnen kommen würde. Meine Mutter aber ließ nicht locker, so sehr klammerte sie sich an die Wunschvorstellung, ich hätte meine wahre Beliebtheit all die Jahre vor ihr geheim gehalten. Sie machte eine Riesenschüssel Artischocken-Dip, schmückte das Wohnzimmer mit grünen und gelben Girlanden, den Farben meiner neuen Schule, und kaufte zwei Dutzend Tischbomben, die sie auf dem Couchtisch arrangierte.
Und als jener letzte Freitag kam und ich fast mit Packen fertig war, saß sie ab 16:56 Uhr mit Dad und mir auf der Wohnzimmercouch, um den Ansturm des Abschiedskomitees zu erwarten. Das Komitee bestand aus zwei Personen: Marie Larson, einer schmächtigen Blondine mit rechteckiger Brille, und ihrem (nett gesagt) kräftigen Freund Will.
»Hallo, Miles«, sagte Marie und setzte sich.
»Hallo«, sagte ich.
»Wie waren die Sommerferien?«, fragte Will.
»Ganz okay. Und bei euch?«, sagte ich.
»Toll. Wir haben bei Jesus Christ Superstar gejobbt. Ich hab Bühnenbild gemacht. Marie Beleuchtung.«
»Cool.« Ich nickte wissend, und damit waren unsere gemeinsamen Themen abgehakt. Ich hätte mir wohl eine Frage zu Jesus Christ Superstar ausdenken können, aber erstens hatte ich keine Ahnung, worum es ging, weil es mich, zweitens, nicht interessierte, und drittens war ich noch nie gut in Small Talk gewesen. Im Gegensatz zu meiner Mutter, die stundenlang über nichts reden kann. Sie schaffte es, die peinliche Angelegenheit unnötig in die Länge zu ziehen, indem sie sich nach Maries und Wills Probenplan erkundigte, nach dem Ablauf der Show und ob sie ein Erfolg gewesen sei.
»Schätze schon«, sagte Marie. »War ganz schön voll, schätze ich.« Marie gehörte zu den Leuten, die ständig schätzten.
Schließlich sagte Will: »Also, wir wollten nur schnell Tschüss sagen. Ich muss Marie bis sechs nach Hause bringen. Viel Spaß im Internat, Miles.«
»Danke«, antwortete ich erleichtert.
Das Einzige, was schlimmer ist als eine Party, zu der keiner kommt, ist eine Party, zu der keiner kommt außer zwei durch und durch uninteressanten Menschen.
Als sie weg waren, saß ich mit meinen Eltern auf der Couch und starrte auf den schwarzen Fernsehbildschirm. Ich hätte den Kasten am liebsten angeschaltet, doch ich wusste, ich ließ es besser bleiben. Meine Eltern sahen mich an, als erwarteten sie, dass ich gleich losheulen würde oder so was - als hätte ich nicht von vorneherein gewusst, dass es genau so werden würde. Aber ich hatte es gewusst. Ich konnte ihr Mitleid spüren, als sie ihre Chips in den Artischocken-Dip dippten, der für meine imaginären Freunde gedacht war, dabei hatten sie das Mitleid viel nötiger als ich: Ich war nicht enttäuscht. Meine Erwartungen hatten sich erfüllt.
»Ist das der Grund, warum du uns verlassen willst, Miles?«, fragte Mom.
Ich dachte nach, ohne sie anzusehen. »Äh, nein«, sagte ich schließlich.
»Weshalb denn dann?«, fragte sie. Die Frage stellte sie nicht zum ersten Mal. Mom war nicht begeistert von der Idee, dass ich aufs Internat wollte, und daraus machte sie auch kein Geheimnis.
»Ist es meinetwegen?«, fragte Dad. Er war selbst in Culver Creek gewesen, dem Internat, das ich besuchen würde, genau wie seine beiden Brüder und deren Kinder. Ich glaube, ihm gefiel die Vorstellung, dass ich in seine Fußstapfen trat. Meine Onkel hatten mir von seinem Ruf erzählt - anscheinend hatte er sich zu seiner Zeit in Culver Creek nicht nur als guter Schüler, sondern auch als wilder Kerl hervorgetan. Das klang auf jeden Fall besser als das Leben, das ich in Florida führte. Doch nein, ich wollte nicht wegen meines Vaters weg. Nicht unbedingt.
»Bin gleich wieder da«, sagte ich, dann ging ich rüber ins Arbeitszimmer meines Vaters und holte die dicke Biografie von Rabelais. Ich las gerne die Biografien von Schriftstellern, selbst wenn ich nie ein Buch von ihnen gelesen hatte (wie im Fall von Rabelais). Der Satz, den ich suchte, stand am Ende des Buchs, ich hatte ihn mit Textmarker unterstrichen. (»KEIN TEXTMARKER IN MEINEN BÜCHERN«, hatte Dad tausendmal gesagt. Aber wie sollte ich sonst je was wiederfinden?)
»Also, dieser Typ hier«, sagte ich, als ich mit dem Buch in der Hand in der Wohnzimmertür stand, »François Rabelais. Er war Dichter. Und seine letzten Worte waren: ›Nun mache ich mich auf die Suche nach dem großen Vielleicht.‹ Deswegen möchte ich weg. Ich will nicht warten, bis ich tot bin, mit meiner Suche nach dem großen Vielleicht.«
Und das tröstete sie. Ich war dem großen Vielleicht auf der Spur, und meine Eltern wussten so gut wie ich, dass ich es bei Leuten wie Marie und Will nicht finden würde. Und dann setzte ich mich wieder zu Mom und Dad auf die Couch, und mein Dad legte den Arm um mich, und so blieben wir eine ganze Weile sitzen, still und ganz nah beieinander, bis ich das Gefühl hatte, es wäre okay, den Fernseher anzumachen, und dann aßen wir Artischocken-Dip zu Abend und sahen uns einen Dokumentarfilm an. Was Abschiedspartys angeht, hätte es mit Sicherheit noch viel schlimmer laufen können.
Einhundertachtundzwanzig Tage vorher In Florida war es natürlich tierisch heiß und schwül dazu. Es war so heiß, dass die Klamotten wie Tesafilm am Körper klebten und einem der Schweiß wie Tränen von der Stirn in die Augen lief. Aber es war nur draußen heiß, und normalerweise hielt ich mich höchstens dann draußen auf, wenn ich mich von einem klimatisierten Ort zum anderen bewegte. Und so war ich auf die phänomenale Hitze nicht vorbereitet, die mich in Culver Creek erwartete, zwanzig Kilometer südlich von Birmingham, Alabama. Meine Eltern hatten den Wagen auf der Wiese vor dem Schlafsaal geparkt, nur ein paar Meter von Zimmer 43 entfernt. Doch jedes Mal, wenn ich die wenigen Schritte zum Auto und zurück ging, um meine Sachen auszuladen, die immer mehr zu werden schienen, brannte mir die Sonne durch die Kleider auf die Haut, dass ich plötzlich eine Ahnung hatte, wie sich das Höllenfeuer anfühlte.
Zu dritt hatten wir in wenigen Minuten alles ausgeladen. Doch in meinem unklimatisierten Zimmer war es kaum kühler als draußen, auch wenn hier wenigstens nicht die Sonne schien. Ich hatte es mir ganz anders vorgestellt: keine Spur von den dicken Teppichen, den holzverkleideten Wänden und antiken Möbeln, die ich von einer ehrwürdigen Privatschule erwartet hatte. Bis auf einen kleinen Luxus - ein eigenes Bad - zog ich in einen Schuhkarton ein. Die unverputzten Wände, die mehrmals überstrichen waren, und der schwarzweiß karierte Linoleumboden erinnerten mehr an ein Krankenhaus als an das Internatszimmer meiner Träume. Ein Stockbett aus unbehandeltem Holz mit Nylonmatratzen stand am Fenster nach hinten raus. Je zwei Schreibtische, Schränke und Regale waren an den Wänden festgeschraubt, um jede kreative Einrichtungsidee zu unterbinden. Und keine Klimaanlage.
Ich setzte mich auf das untere Bett, während meine Mutter einen Stapel Biografien aus dem Koffer holte, von denen sich mein Dad hatte trennen können, und anfing, die Regale einzuräumen.
»Ich mach das schon, Mom«, sagte ich. Dad stand bereits in der Tür. Abfahrtsbereit.
»Lass mich wenigstens das Bett beziehen«, bat Mom.
»Nein, ehrlich. Ich mach das schon. Das ist okay.« Solche Dinge darf man nicht ewig rauszögern. Irgendwann muss das Pflaster ab, mit einem Ruck, auch wenn's wehtut, aber dann ist es vorbei, und du fühlst dich besser.
»Gott, wir vermissen dich«, platzte Mom heraus und stakste durch das Minenfeld der Koffer zu mir rüber. Ich ließ mich in den Arm nehmen. Dann kam auch Dad, und irgendwie umarmten wir uns alle drei. Aber es war heiß, und wir waren verschwitzt, und unsere Umarmung konnte nicht lange dauern. Vielleicht hätte ich weinen sollen, aber nach sechzehn Jahren im Schoß meiner Eltern schien es irgendwie an der Zeit für eine vorläufige Trennung.
»Keine Sorge.« Ich grinste. »Endlich lern' ich, wie mer in'n Südstaaten red't.« Mom lachte.
»Mach keine Dummheiten«, sagte Dad.
»Okay.«
»Keine Drogen. Kein Alkohol. Keine Zigaretten.« Als ehemaliger Schüler von Culver Creek hatte er all das getan, wovon ich nur gehört hatte: geheime Partys, nackig durch Kornfelder rennen (er beschwerte sich, dass Culver Creek damals eine reine Jungenschule war), Drogen, Alkohol und Zigaretten. Er hatte lange gebraucht, um mit dem Rauchen aufzuhören, aber heute lagen seine Rocker- Jahre weit hinter ihm.
»Ich hab dich lieb«, schluchzten sie beide gleichzeitig. Wahrscheinlich musste es raus, aber irgendwie machten die Worte das Ganze peinlich, wie wenn man seinen Großeltern beim Küssen zusieht.
»Ich hab euch auch lieb. Ich rufe jeden Sonntag an.«
Auf den Zimmern gab es kein Telefon, aber meine Eltern hatten dafür gesorgt, dass ich in der Nähe von einer der fünf Culver-Creek'schen Telefonzellen war.
Sie umarmten mich noch einmal - erst Mom, dann Dad -, und dann war es vorbei. Ich sah ihnen durchs Fenster nach, wie sie über die kurvige Straße davonfuhren. Vielleicht hätte mich bittersüße Wehmut packen sollen, aber ich brauchte Abkühlung, unbedingt, und so nahm ich mir einen der zwei Stühle, setzte mich in den Schatten vor die Tür und wartete auf eine Brise, die nicht kam. Draußen war die Luft genauso reglos und drückend wie drinnen.
Ich ließ den Blick über mein neues Zuhause schweifen: Sechs Flachbauten mit je sechzehn Zimmern standen ringförmig um eine große Wiese. Es sah aus wie ein altes, überdimensionales Motel. Ringsherum fielen sich Jungen und Mädchen in die Arme und standen lächelnd in Grüppchen herum. Vage wünschte ich, es würde jemand rüberkommen und mich ansprechen. Im Geist stellte ich mir die Unterhaltung vor:
»Hallo. Bist du neu hier?«
»Ja. Ich bin aus Florida.«
»Cool. Dann bist du die Hitze ja gewohnt.«
»Die Hitze wäre ich nicht mal gewohnt, wenn ich direkt aus dem Hades käme«, würde ich witzeln und damit einen guten ersten Eindruck machen. Oh, der ist witzig. Der Neue, Miles, er ist zum Schießen.
Natürlich passierte nichts dergleichen. Die Dinge laufen nie so, wie man sie sich vorstellt.
Gelangweilt ging ich wieder rein, zog mir das T-Shirt aus, legte mich auf die aufgeheizte Nylonmatratze und schloss die Augen. Ich hatte neulich von den Anabaptisten und der Wiedertaufe gelesen, durch die die Gläubigen von all ihren Sünden gereinigt werden. So fühlte ich mich jetzt, rein und wiedergeboren als Mensch ohne Vergangenheit. Dann dachte ich an all die Leute, von denen ich gelesen hatte - John F. Kennedy, James Joyce, Humphrey Bogart -, die auch aufs Internat gegangen waren, und an ihre Abenteuer. Kennedy zum Beispiel war ein Meister im Planen von Schülerstreichen gewesen. Ich dachte an das große Vielleicht und an die Dinge, die passieren könnten, an die Leute, die ich kennenlernen könnte, und wer mein Zimmergenosse war (man hatte mir vor Wochen seinen Namen mitgeteilt, Chip Martin, ansonsten wusste ich nichts über ihn). Wer immer dieser Chip Martin sein mochte, ich hoffte, er hatte ein Arsenal an coolen Freunden dabei, denn ich hatte keinen einzigen. Dann stellte ich fest, dass sich unter mir der Schweiß auf der Nylonmatratze sammelte, und das war so eklig, dass ich das Grübeln sein ließ und mich auf die Suche nach einem Handtuch machte. Und dann dachte ich: Vor dem Abenteuer kommt das Auspacken.
Ich schaffte es, eine Weltkarte an die Wand zu hängen und die meisten meiner Klamotten in Schubladen zu räumen, doch bald sah ich ein, dass die feuchtheiße Luft selbst die Wände schwitzen ließ, und ich beschloss, dass jetzt nicht die Zeit für körperliche Arbeit war. Es war Zeit für eine eiskalte Dusche.
In dem winzigen Bad hing ein mannshoher Spiegel an der Tür, und so musste ich den Anblick meines nackten Leibes ertragen, als ich mich in die Dusche beugte, um das Wasser anzustellen. Ich war so dürr, dass ich jedes Mal selber staunte: Meine knochigen Arme wurden zur Schulter hin kein bisschen breiter und an der Brust fehlte mir jegliche Faser Muskel-oder Fettgewebe. Der ganze Anblick war so deprimierend, dass ich ernsthaft überlegte, was man wegen des Spiegels tun könnte. Dann zog ich den weißen Duschvorhang zu und duckte mich in die Kabine.
Leider war die Dusche für Benutzer konzipiert, die etwa eins zwanzig groß waren, und so traf mich der kalte Wasserstrahl etwas unterhalb der Rippen - mit dem Druck eines tropfenden Wasserhahns. Um mein schweißgebadetes Gesicht zu waschen, musste ich breitbeinig tief in die Hocke gehen. John F. Kennedy (laut seiner Biografie eins dreiundachtzig, genau wie ich) hatte unter der Dusche in seinem Internat bestimmt nicht hocken müssen. Nein, meine Wirklichkeit sah anders aus, und während die tröpfelnde Dusche langsam meinen Körper anfeuchtete, fragte ich mich, ob das große Vielleicht überhaupt hier zu finden war oder ob ich mich da grandios verrechnet hatte.
Als ich nackig bis auf ein Handtuch um die Hüften aus dem Badezimmer kam, stand vor mir ein kleiner, durchtrainierter Kerl mit dunklem Wuschelkopf. Er war vielleicht eins sechzig groß, gebaut wie eine griechische Statue (und auch genauso klein) und von einer Wolke schalem Zigarettenrauch umgeben. Na prima, dachte ich, ich stelle mich meinem Zimmergenossen gleich mal nackig vor.
Er zerrte gerade seinen Seesack ins Zimmer, dann schloss er die Tür und kam auf mich zu. »Ich bin Chip Martin«, verkündete er mit der sonoren Stimme eines Ra- dio-DJs. Bevor ich antworten konnte, setzte er nach: »Ich würde dir ja die Hand geben, aber ich will nicht, dass du das Handtuch loslässt.«
Ich lachte und nickte mit dem Kopf in seine Richtung (cool, oder, dieses Nicken?). »Miles Halter. Nett, dich kennenzulernen. «
»Miles wie in ›Miles to go before I sleep‹?«
»Häh?«
»Das Gedicht von Robert Frost. Hast du noch nie was von ihm gelesen?«
Ich schüttelte den Kopf.
»Du Glücklicher.« Er grinste.
Ich griff nach einer frischen Unterhose, blauen Adidas- Shorts und einem weißen T-Shirt, murmelte, ich sei gleich zurück, dann duckte ich mich wieder ins Bad. So viel zum guten ersten Eindruck.
»Und wo sind deine Eltern?«, fragte ich aus dem Bad.
»Meine Eltern? Mein Vater ist in Kalifornien. Sitzt vielleicht im Fernsehsessel. Fährt vielleicht mit seinem Truck rum. Egal, was er macht, er säuft dabei. Meine Mutter, die fährt gerade vom Schulgelände.«
»Oh«, sagte ich, inzwischen angezogen. Ich wusste nicht, was ich mit so viel Information machen sollte. Hätte ich es nicht wissen wollen, dann hätte ich wohl nicht fragen sollen, schätze ich.
Chip griff nach zwei Bettlaken und warf sie auf das obere Bett. »Ich schlafe immer oben. Hoffentlich hast du kein Problem damit.«
»Äh, nein. Ist mir egal.«
»Wie ich sehe, hast du dich schon ein bisschen eingerichtet. « Er zeigte auf die Weltkarte. »Gefällt mir.«
Und dann begann er, Ländernamen runterzurasseln. Mit monotoner Stimme, als hätte er es schon tausendmal getan.
Afghanistan.
Albanien.
Algerien.
Amerikanisch-Samoa.
Andorra.
Und so weiter. Er war mit A durch, bevor er aufsah und meinen verblüfften Blick bemerkte.
»Den Rest könnte ich auch noch aufsagen, aber das langweilt dich wahrscheinlich. Hab ich im Sommer auswendiggelernt. Gott, du hast keine Ahnung, wie langweilig der Sommer in New Hope, Alabama, ist. Das Spannendste ist noch, den Sojabohnen beim Wachsen zuzusehen. Wo kommst du her?«
»Florida«, sagte ich.
»Nie gewesen.«
»Ziemlich beeindruckend, deine Ländernummer«, sagte ich.
»Tja, jeder hat eben so sein Talent. Ich lerne Sachen auswendig. Du ...?«
»Hm. Ich kenne die letzten Worte von ein paar Leuten. « Letzte Worte waren der kleine Luxus, dem ich frönte. Andere Leute aßen Schokolade. Ich verschlang Sterbegelübde.
»Zum Beispiel?«
»Die von Ibsen sind gut. Ibsen war ein Theatermann.« Ich wusste viel über Ibsen, aber seine Stücke kannte ich nicht. Ich las Dramen nicht gerne. Lieber las ich Biografien.
»Ja, ich weiß, wer Ibsen ist«, sagte Chip.
»Gut, also, Ibsen war eine Zeit lang krank, und eines Morgens sagte die Krankenschwester zu ihm: ›Es scheint Ihnen heute Morgen viel besser zu gehen‹, und darauf
antwortete er: ›Im Gegenteil‹ und ist gestorben.«
Chip lachte. »Das ist echt krank. Aber es gefällt mir.«
Dann erzählte er mir, dass er schon im dritten Jahr in Culver Creek war. Er war in der neunten Klasse hergekommen, der jüngsten Jahrgangsstufe hier, und jetzt kam er in die elfte, war also Junior, genau wie ich. Stipendium, erklärte er. Volles Ticket. Er hatte gehört, Culver Creek sei die beste Schule in Alabama, und daraufhin hatte er einen Bewerbungsaufsatz geschrieben, in dem stand, dass er eine Schule besuchen wolle, wo man dicke Bücher las. Zu Hause, schrieb er, sei das Problem, dass sein Dad ihn mit Büchern schlug, weshalb Chip zu seiner eigenen Sicherheit nur kurze Bändchen und Taschenbücher las. Seine Eltern hatten sich schließlich scheiden lassen, als er in der Zehnten war. Er mochte »den Creek«, wie er die Schule nannte, aber: »Du musst vorsichtig sein mit den Schülern und mit den Lehrern. Und ich hasse Vorsicht.« Er zwinkerte mir zu. Auch ich hasste Vorsicht - das wollte ich zumindest.
Das alles erzählte er mir, während er seinen Seesack ausleerte und seine Klamotten in hoffnungslosem Chaos in Schubladen stopfte. Chip glaubte nicht an Strumpfschublade und T-Shirt-Schublade. Er glaubte, dass alle Schubladen gleich und frei geschaffen waren und jede mit dem gefüllt werden sollte, was gerade kam. Meine Mutter wäre in Ohnmacht gefallen.
Sobald er mit »Auspacken« fertig war, klopfte Chip mir unsanft auf die Schulter, sagte: »Ich hoffe, du bist stärker, als du aussiehst«, und stürmte zur Tür hinaus. Sekunden vergingen, dann streckte er den Kopf durch die offene Tür und sah mich wie angewurzelt dastehen. »Na, komm schon, Miles to Go Halter. Wir haben eine Menge zu erledigen. «
Er führte mich zum Fernsehraum, wo, klärte er mich auf, der einzige Kabelanschluss der Schule war. Während der Sommerferien wurde der Fernsehraum als Möbellager benutzt. Bis unter die Decke stapelten sich Sofas, Kühlschränke und aufgerollte Teppiche, und jetzt wimmelte es von Schülern, die versuchten, ihr Zeug zu finden und rauszuschleppen. Chip grüßte ein paar von ihnen, doch er stellte mich keinem vor. Während er das Labyrinth der Sofastapel durchwanderte, blieb ich am Eingang stehen und versuchte, den Paaren von Zimmergenossen nicht im Weg zu stehen, die ihre Möbel durch die schmale Tür bugsierten.
Es dauerte zehn Minuten, bis Chip seine Sachen gefunden hatte, und eine Stunde, bis wir viermal hin und her gelaufen waren, über die Wiese quer durch den Schlafsaal- ring, von Zimmer 43 zum Fernsehraum und zurück. Am Ende wäre ich am liebsten in Chips Minikühlschrank gekrochen und hätte tausend Jahre durchgeschlafen, doch anders als ich schien Chip gegen Müdigkeit und Herzinfarkt immun. Ich sank auf seine Couch.
»Die hab ich vor ein paar Jahren am Straßenrand in meinem Barrio aufgelesen«, erklärte er, während er auf seiner Truhe meine PlayStation 2 installierte. »Ich weiß, das Leder hat ein paar Risse, aber, hey - es ist eine verdammt hübsche Couch.«
Die Couch hatte mehr als ein Paar Risse - das himmelblaue Kunstleder bedeckte nur noch etwa dreißig Prozent, siebzig Prozent waren blanker Schaumstoff. Aber ich fand sie verdammt bequem.
»Alles klar«, sagte er. »Gleich sind wir fertig.« Er ging an seinen Schreibtisch und holte eine Rolle Klebeband aus der Schublade. »Jetzt brauchen wir nur noch deinen Koffer.«
Ich rappelte mich hoch, zerrte meinen alten Schrankkoffer unter dem Bett hervor, und Chip platzierte ihn zwischen Couch und PlayStation 2. Dann begann er, mehrere Streifen Klebeband abzuziehen. Er klebte sie so auf den Koffer, dass sie das Wort COUCHTISCH ergaben.
»So.« Endlich setzte er sich und legte die Füße auf den, äh, COUCHTISCH. »Fertig.«
Ich sank neben ihm aufs Sofa, und er musterte mich, dann sagte er unvermittelt: »Hör zu. Ich bin nicht deine Eintrittskarte in die coolen Kreise von Culver Creek.«
»Äh ... okay«, brachte ich raus, doch die Worte blieben mir fast im Hals stecken. Eben hatte ich für diesen Typen seine verdammten Möbel durch die glühende Sonne geschleppt, und jetzt sagt er mir, dass er mich nicht leiden kann?
Copyright © 2009 Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München
- Autor: John Green
- Altersempfehlung: 13 - 16 Jahre
- 2009, 26. Aufl., 299 Seiten, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung:Zeitz, Sophie
- Übersetzer: Sophie Zeitz
- Verlag: DTV
- ISBN-10: 3423624035
- ISBN-13: 9783423624039
- Erscheinungsdatum: 01.06.2009

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5 Sterne
58 von 85 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
P. A., 15.06.2012
Das Buch ist ausgezeichnet! Ich habe es zwar noch nicht zu Ende gelesen, aber ich kann jetzt schon sagen, dass man es sich unbedingt kaufen sollte! Es erzählt eine wunderbare Geschichte, die anspruchsvoll, aber trotzdem verständlich wirkt. Das Buch ist sehr gefühlvoll geschrieben und ich kann es nur jedem empfehlen! Es lohnt sich auf jeden Fall
-
5 Sterne
68 von 111 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Simone, 24.08.2011
Eine wie Alaska, ist ein wunderschönes Buch. Die Charakter sind sehr unterschiedlich, jedoch sympathisch. In die Handlung kommt man gut rein, am Ende fühlt man richtig mit den Personen im Buch mit. Für Referate oder ähnliches ist es gut geeignet, da man mit dem Buch was anfangen kann und verständlich ist. Wenn man "Real-Life"-Bücher mag, kann ich dieses nur wärmsten empfehlen!
-
5 Sterne
47 von 73 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Denise V., 11.02.2016
Ich habe das Buch noch nicht zu Ende gelesen, im Gegenteil. Ich bin ca bei Seite 100. Mir ist es allerdings noch nicht oft passiert, dass ich ein Buch schon so früh für gut befinde und ich die Charaktere so sehr mag, als wären es Freunde.
John Green schreibt so schöne Bücher, Hut ab... -
5 Sterne
33 von 59 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
P. W., 30.06.2014
Sehr autentisch geschriebene Geschichte, die in einem Internat spielt. Schüler die auf der Suche nach sich selbst sind, ihre Rolle in einer Gemeinschaft finden müssen, das Schulleben genießen, die ersten Liebeserlebnisse vollziehen, aber auch mit unterschiedlichen Problemen von Mitschülern und Lehrern konfrontiert werden. Toller Schreibstil. Lädt zum Nachdenken ein. Wie schon sein anderes Buch "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" ein Lesegenuss. Solche inhaltlich gute Bücher bräuchten Jugendliche mehr, um sich zu mit dem Leben aus einander zu setzen, aus zwischenmenschlichen Beziehungen zu lernen und außergewöhnliche Charaktere/ Situationen kennen zu lernen. John Green ist auf jeden Fall empfehlenswert.
-
5 Sterne
38 von 70 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich
Jasmin, 03.06.2014
Bewegend. Das ist das erste Wort das mir im Zusammenhang mit John Green's Meisterwerk 'Eine wie Alaska' einfällt. Eine wunderschöne Geschichte über den Jungen Miles der neu in die Schule Culvercreek kommt und nicht nur neue Freunde findet sondern sich auch in das Mädchen Alaska verliebt. Im Gegensatz zu vielen Liebesgeschichten gibt es hier nicht nur Schmetterlinge, sondern viel Intelligenz und Witz. Ein ganz besonderes Buch, das ich jedem Leser, jung und alt, ans Herz legen kann.
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