Erinnerung des Herzens
Aber aus ihrer anfänglichen Begeisterung wird bald pure Angst, denn irgendjemand versucht mit allen Mitteln, Eve...
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Aber aus ihrer anfänglichen Begeisterung wird bald pure Angst, denn irgendjemand versucht mit allen Mitteln, Eve zum Schweigen zu bringen. Steckt der Stiefsohn des Stars Paul Winthrop dahinter?
Erinnerung des Herzens von Nora Roberts
LESEPROBE
Prolog
Irgendwie brachte sie es fertig, den Kopf oben zu behalten und dieaufsteigende Übelkeit zu unterdrücken. Es war kein Alptraum, der beim Erwachenverschwinden würde. Allerdings spielte sich alles im Zeitlupentempo ab, genauwie im Traum. Sie kämpfte sich ihren Weg frei, und es war, als ob sie durcheinen dichten Vorhang aus Wasser sehen müßte, auf deren anderer Seite sie alldie Gesichter der Leute um sich herum sah. Sie hatten hungrige Augen, sieschlossen und öffneten den Mund. Als wollten sie sie verschlingen. Ihre Stimmenschwollen an und verebbten wie Wellen, die gegen Felsen schlugen. Ihr Herzschlug hart und schien manchmal auszusetzen.
Vorwärts, vorwärts, befahl sie ihren zitternden Beinen, währendeine feste Hand sie durch die Menge stieß, nach draußen, auf die Treppe desGerichtsgebäudes. Das grelle Sonnenlicht trieb ihr Tränen in die Augen, und siesuchte nach ihrer Sonnenbrille. Man durfte nicht denken, daß sie weinte. Siesollten keinerlei Schuldgefühle bei ihr feststellen. Das Schweigen war ihreinziger Schutz.
Sie stolperte und durchlebte einen Augenblick panischer Angst. Nurnicht hinfallen. Sollte sie hinfallen, würde die Meute neugieriger Reportersich auf sie stürzen, wie wilde Hunde auf ein armes Kaninchen. Sie mußteaufrecht stehen, schweigen und überlegen. Das hatte Eve ihr beigebracht.
Zeig ihnen nie deine Gefühle, Mädchen.
Eve. Sie hätte schreien können; die Hände vors Gesichts schlagenund schreien. Schreien, all ihre Wut, ihre Angst und ihren Kummer einfach hinausschreien.
Fragen stürmten auf sie ein. Mikrophone wurden ihr vors Gesichtgestoßen wie tödliche kleine Pfeile. Begierig verfolgten die Reporter das Ende desMordprozesses gegen Julia Summers.
»Hexe!«, rief einer. Seine Stimme klang schrill vor Haß.»Kaltblütige Hexe!«
Sie wäre gern stehengeblieben und hätte zurückgerufen: »Woherwollen Sie wissen, wie ich bin? Woher wollen Sie wissen, was ich fühle oder nichtfühle?«
Aber die Tür der Limousine stand offen. Sie stieg in dieGeborgenheit gekühlter Luft und dunkler Glasscheiben ein. Die Menge drängtedagegen. Zornige Gesichter blickten auf sie herab wie Geier auf einen noch blutendenLeichnam. Als der Wagen abfuhr, schaute sie starr nach vorn. Die Hände hattesie im Schoß verschlungen, ihre Augen waren zum Glück trocken geblieben.
Sie sagte nichts, als ihr Begleiter ihr einen Drink reichte. EinenBrandy, zwei Finger hoch. Als sie den ersten Schluck genommen hatte, fragte erruhig, fast beiläufig, mit der sanften, dunklen Stimme, die sie so geliebthatte: »Nun, Julia, hast du sie umgebracht?«
Sie war eine Legende. Ein Produkt ihrer Zeit, ihres Talentes undihres gewaltigen Ehrgeizes. Eve Benedict. Männer, die dreißig Jahre jünger waren,bewunderten sie. Frauen beneideten sie. Regisseure umwarben sie, denn siewußten nur zu gut, daß ihr Name Gold wert war in diesen Zeiten, wo Filmeanscheinend von Buchhaltern gemacht wurden. In den fast fünfzig Jahren ihrerKarriere hatte sie Höhen und Tiefen erlebt. Beides war notwendig gewesen, damitsie zu dem werden konnte, was sie werden wollte.
Sie tat, was sie wollte, im Privatleben und im Beruf. Wenn eineRolle sie interessierte, jagte sie ihr ebenso atemlos und wildentschlossen nachwie ihrer allerersten Rolle.
Wenn sie einen Mann begehrte, schnappte sie ihn sich und trenntesich wieder von ihm, wenn sie genug hatte - aber niemals im Bösen, womit siegern prahlte. Alle ihre ehemaligen Liebhaber, und derer gab es viele, warenihre Freunde geblieben. Oder sie besaßen doch wenigstens soviel Vernunft, denAnschein dessen zu wahren. Mit ihren 67 Jahren besaß Eve immer noch einenprachtvollen Körper. Ihre eiserne Energie und die chirurgische Kunst hatten ihrdabei geholfen. Über fünfzig Jahre lang hatte sie hart an sich gearbeitet, bissie praktisch unangreifbar geworden war. Aus ihren Triumphen hatte sie ebensogelernt wie aus ihren Enttäuschungen. Heute wurde sie im Königreich Hollywoodebenso gefürchtet wie respektiert.
Sie war eine Göttin gewesen. Jetzt war sie eine Königin mit wachemVerstand und einer spitzen Zunge. Wenige nur kannten ihr Herz, niemand ihreGeheimnisse.
»Bockmist ist das.« Eve schleuderte das Drehbuch auf denFliesenboden des Solariums und gab ihm einen Tritt. Sie ging würdevoll auf und ab,was ihre darunter pulsierende sinnliche Vitalität kaum kaschieren konnte.»Alles, was ich in den letzten zwei Monaten gelesen habe, war Bockmist.«
Ihre Agentin, eine rundliche, sanft wirkende Frau mit einemeisernen Willen, zuckte mit den Schultern und schlürfte ihrenNachmittagscocktail.
»Ich hab dir ja gleich gesagt, daß es Schund ist, Eve, aber duwolltest es trotzdem lesen.«
»Schund, sagst du.« Sie nahm eine Zigarette aus der Lackdose undfahndete in den Taschen ihrer Slacks nach Streichhölzern. »Warum nicht? Ich habeschon viel Schund gespielt und etwas daraus gemacht. Das hier«, wiederversetzte sie dem Drehbuch einen Fußtritt, was ihr offensichtlich Spaß machte,»ist Bockmist.«
Margaret Castle nippte an ihrem Grapefruitsaft mit einem SpritzerWodka. »Richtig. Diese Miniserien «
Eve warf den Kopf zurück. Ihr Blick war scharf wie ein Skalpell.»Du weißt, wie ich dieses Wort verabscheue.«
Maggie griff nach einem Stück Marzipan und stopfte es sich in denMund. »Wie immer du sie nennen willst, die Rolle der Marilou ist dir auf denLeib geschrieben. Seit Scarlett hat es keine so lebendige, faszinierende Schönheitder Südstaaten mehr gegeben.«
Eve wußte das und war bereits entschlossen, das Angebotanzunehmen. Aber sie wollte nicht zu rasch zustimmen. Es ging ihr dabei wenigerum ihren Stolz, als vielmehr um ihr Image. »Drei Wochen lang Aufnahmen inGeorgia«, maulte sie. »Zusammen mit ständig bumsenden Alligatoren undMoskitos.«
»Liebling, mit wem du ins Bett gehst, das ist deineAngelegenheit.«
Der Scherz wurde mit einem prustenden Gelächter beloht. »Sie habenübrigens Peter Jackson als Robert angeheuert.«
Eve kniff die schönen grünen Augen zusammen. »Seit wann weißt dudas?«
»Seit heute morgen.« Maggie lächelte und rutschte ein wenig tieferin die pastellfarbenen Kissen auf dem weißen Korbsofa. »Ich dachte, esinteressiert dich vielleicht.«
Eve blieb nicht stehen. Sie blies den Rauch aus und überlegte. »Ersieht wirklich sehr gut aus, und ist noch dazu ein ausgezeichneter Schauspieler.Da könnte sich das Herumstapfen im Sumpf fast lohnen.«
Jetzt, wo sie einen Anhaltspunkt hatte, zog Maggie den Fisch anLand. »Sie denken daran, Justine Hunter als Marilou zu engagieren.«
»Diese Gans?« Eve fing an, schneller an der Zigarette zu ziehen,schneller hin und her zu laufen. »Sie hat weder genug Talent noch genugVerstand für die Marilou. Hast du sie in Midnight gesehen? Außer ihrem Busen hattesie nichts zu bieten, gar nichts. Du lieber Himmel!«
Auf diese Reaktion hatte Maggie nur gewartet. »In Right of Way warsie sehr gut.«
»Aber nur, weil sie sich selber spielen konnte, eine dummeSchlampe. Mein Gott, Maggie, sie ist eine Katastrophe.«
»Die Fernsehzuschauer kennen ihren Namen und «, Maggie wählte einneues Stückchen Marzipan aus, betrachtete es aufmerksam und lächelte. »Weißtdu, sie hat das richtige Alter für die Rolle. Marilou soll Mitte Vierzig sein.«
Eve wirbelte herum. Hochaufgerichtet stand sie im hellenSonnenlicht und hielt die Zigarette wie eine Waffe in ihren Fingern. Großartig,dachte Maggie, während sie auf die Explosion wartete.
Eve Benedikt war wirklich großartig mit ihrem feingeschnittenen,unvergeßlichen Gesicht, den vollen roten Lippen, dem seidigen,kurzgeschnittenen, ebenholzschwarzen Haar. Ihr Körper war der Traum eines jedenMannes - schlank und fest, mit vollen Brüsten. Wie immer trug sie Seide in leuchtendenFarben - ihr Markenzeichen.
Dann lächelte sie, ihr berühmtes, schnell aufblitzendes Lächeln,das jedem den Atem verschlug. Sie warf den Kopf zurück und lachte herzlich. »Sinnlos,Maggie. Verdammt noch mal, du kennst mich zu gut.«
Maggie schlug ihre dicken Beine übereinander. »Kein Wunder, nachfünfundzwanzig Jahren.«
Eve ging zur Bar, um sich ein Glas Saft aus frischgepreßtenOrangen einzugießen, die aus eigener Ernte stammten. Sie fügte einen großzügig bemessenenSchuß Champagner hinzu.
»Kommen wir zur geschäftlichen Seite.«
»Ich hab mich schon damit befaßt. Du wirst eine reiche Frauwerden.«
»Ich bin eine reiche Frau.« Eve zuckte mit den Schultern unddrückte ihre Zigarette aus. »Wir beide sind reiche Frauen.«
»Nun, dann werden wir eben noch reicher.« Sie hob ihr Glas undprostete Eve zu. Dann klapperte sie mit den Eiswürfeln. »Warum erzählst du mirnicht, weshalb du mich heute hergebeten hast?«
Eve lehnte sich an die Bar und nippte an ihrem Drink. An ihrenOhren funkelten Diamanten, sie trug keine Schuhe. »Du kennst mich wirklich zugut. Ich trage mich in Gedanken mit einem ganz anderen Projekt. Schon seitlangem denke ich darüber nach. Ich brauche deine Hilfe.«
Maggie blickte erstaunt. »Meine Meinung dazu interessiert dichnicht?«
»Deine Meinung gehört zu den wenigen, die mir stets willkommensind, Maggie.«
Eve setzte sich in einen scharlachrot gepolsterten Sessel mithoher Rückenlehne. Von hier aus konnte sie in den Garten auf die sorgfältig gepflegtenBlumen und die korrekt beschnittenen Hecken schauen. Von einem Springbrunnensprudelte schäumendes Wasser in ein Marmorbassin. Dahinter befanden sich derSwimmingpool und das Gästehaus im Tudor-Stil, das einem Haus in einem ihrererfolgreichsten Filme nachgebaut worden war. Hinter einer Reihe von Palmen lagder Tennisplatz, den sie mindestens zweimal in der Woche benutzte, ferner einkleiner Golfplatz, an dem sie inzwischen das Interesse verloren hatte, und einSchießstand, den sie vor zwanzig Jahren nach dem Manson-Mordfall hatteerrichten lassen. Dann gab es noch ein Orangenwäldchen, eine Garage für zehn Wagenund eine künstliche Lagune. Alles wurde von einer zwanzig Fuß hohen Steinmauerumschlossen.
Für jeden Fußbreit Boden ihres Besitzes in Beverly Hills hatte siegearbeitet. Ebenso wie sie - einstiges Sexsymbol mit rauchiger Stimme - darumgekämpft hatte, als ernstzunehmende Schauspielerin anerkannt zu werden. Eshatte sie Opfer gekostet, aber daran dachte sie nur selten. Es hatte sie auchSchmerzen gekostet. Das vergaß sie nie. Sie hatte eine hohe Leiter erklommen,die glitschig war von Schweiß und Blut, und sie war lange Zeit an der Spitzegeblieben. Aber dort war sie sehr allein gewesen.
»Erzähl mir von diesem Projekt«, sagte Maggie. »Ich werde dirsagen, was ich davon halte, und ich werde dir helfen.«
»Was für ein Projekt?«
Beide Frauen blickten zur Tür, als sie die Stimme des Manneshörten. Sein leichter britischer Akzent war unverkennbar, obwohl er im Laufe seinerfünfunddreißig Jahre nicht mehr als ein Jahrzehnt in England verbracht hatte.Paul Winthrops Heimat war Kalifornien.
»Du hast dich verspätet.« Aber Eve lächelte nachsichtig undstreckte ihm beide Hände entgegen.
»Tatsächlich?« Er küßte erst ihre Hände, dann ihre Wangen. »Hallo,Schönheit.« Er nahm ihr Glas, nippte daran und grinste. »Immer noch dieverdammt besten Orangen im ganzen Land. He, Maggie.«
»Paul. Himmel, du siehst deinem Vater von Tag zuTag ähnlicher. Ich könnte dir im Handumdrehen einen Filmvertrag verschaffen.«
Er nippte noch einmal an Eves Glas und gab es ihr dann zurück.»Ich werde dich eines Tages daran erinnern, wenn alle Stricke reißen.«
Er hatte mahagonifarbenes Haar, das vom Wind zerzaust war. SeinGesicht war für einen Mann immer etwas zu hübsch gewesen, jetzt war es zu seinergroßen Erleichterung vom Wetter gegerbt. Eve studierte es eingehend, die langegerade Nase, die hohlen Wangen, die tiefblauen Augen, die umgeben waren voneinem feinen Liniennetz, das eine Frau zur Verzweiflung gebracht hätte, beieinem Mann aber interessant und charaktervoll wirkte. Er lächelte mit seinemschöngeschnittenen Mund, einem Mund, in den sie sich vor fünfundzwanzig Jahrenverliebt hatte - dem Mund seines Vaters.
»Wie geht es dem alten Bastard?« fragte sie.
»Er macht sich ein schönes Leben mit seiner fünften Frau an denSpieltischen von Monte Carlo.«
»Er hat nichts dazugelernt. Frauen und Spiel, das waren schon immerRorys Schwächen.«
Da er vorhatte, am Abend noch zu arbeiten, goß Paul sich nur Saftein. Eve zuliebe hatte er seine Arbeiten heute unterbrochen. Das hätte er fürniemanden sonst getan. »Erstaunlicherweise hat er mit beiden immer unheimlichesGlück gehabt.«
Eve trommelte mit den Fingern auf die Sessellehnen. Vor einemVierteljahrhundert war sie zwei kurze, wilde Jahre lang mit Rory verheiratetgewesen. »Wie alt ist denn die Neue? Dreißig?«
»Wenn man den Presseerklärungen glauben darf, ja.« Amüsiertschaute Paul zu, wie Eve sich eine neue Zigarette angelte. »Komm, Schönheit, duwirst doch nicht etwa eifersüchtig sein?« Hätte irgend jemand anderes ihr dieseFrage gestellt, wäre Eve hochgegangen wie eine Rakete. Jetzt zuckte sie nur mitden Schultern.
»Ich hasse es, zusehen zu müssen, wie er einen Narren aus sichmacht. Außerdem wird jedes Mal, wenn er sich in eine neue Ehe stürzt, eine Listeseiner Verflossenen veröffentlicht.« Einen Augenblick lang wurde ihr Gesichtvon einer Rauchwolke verdeckt. »Ich verabscheue es, meinen Namen in einer Reihemit den anderen zu sehen. Über Geschmack läßt sich nicht streiten, aber ichfinde, keine von denen hat zu ihm gepaßt.«
»Oh, dein Name hebt sich um so leuchtender von ihnen ab, wie es sichgehört.« Paul hob sein Glas und nickte ihr zu.
»Du findest immer das richtige Wort zum richtigen Zeitpunkt.«Zufrieden lehnte Eve sich zurück. Aber ihre Finger trommelten weiter auf die Sessellehnen.»Ganz der erfolgreiche Autor. Das ist einer der Gründe, weshalb ich dich heutezu mir gebeten habe.«
»Einer der Gründe?«
»Der andere ist, daß ich dich einfach zu selten zu Gesichtbekomme, Paul, wenn du mitten in der Arbeit an einem Buch steckst.« Wieder strecktesie ihm die Hände entgegen. »Ich war zwar nur kurze Zeit deine Stiefmutter,aber du bist immer noch mein einziger Sohn.«
Gerührt zog er ihre Hand an seine Lippen. »Und du bist immer nochdie einzige Frau, die ich liebe.«
»Weil du zu wählerisch bist.« Eve drückte seine Hand, bevor siesie losließ. »Ich habe euch beide aber nicht aus reiner Gefühlsduselei hergebeten.Ich brauche euren Rat.« Sie sog langsam an ihrer Zigarette, um die Spannung zuerhöhen. »Ich habe mich entschlossen, meine Memoiren zu schreiben.«
»Oh Gott!« Das war Maggie. Paul hob lediglich eine Braue.
»Warum?«
Nur sehr wenige hätten das leichte Zögern in seiner Stimmebemerkt. Eve achtete nicht darauf. »Ich habe ein Leben lang um alles kämpfen müssen,das hat mich nachdenklich gemacht.«
»Das ist eine Ehre, Eve«, erklärte Maggie. »Kein Nachteil.«
»Mag sein«, erwiderte Eve. »Es ist immer so gewesen, daß meinKönnen und mein Körper bewundert wurden. Aber mein Leben - und meine Arbeit -sind noch lange nicht beendet. Ich habe darüber nachgedacht, daß diese fünfzigJahre im Geschäft alles andere als langweilig gewesen sind. Ich glaube, selbstjemand mit Pauls Phantasie könnte sich keine noch interessantere Storyausdenken, eine mit so verschiedenartigen Charakteren.« Sie lächelte leise, einwenig böse, ein wenig belustigt. »Es gibt ein paar Leute, die nicht sehrbegeistert davon sein werden, ihre Namen und ihre kleinen Geheimnisse gedrucktzu sehen.«
»Und es gibt nichts auf der Welt, was du lieber tun würdest, alsalles wieder aufzurühren«, murmelte Paul.
»Nichts«, gab Eve zu. »Warum auch nicht? Jede Soße brennt an, wennsie nicht von Zeit zu Zeit aufgerührt wird. Ich werde alles frei und offenaussprechen. Es soll keine langweilige Biographie einer berühmten Persönlichkeitwerden, einschläfernd wie eine Presseerklärung oder der Brief eines Fanclubs.Ich brauche einen Autor, der meine Worte weder abmildert noch verdreht.Jemanden, der meine Story so aufzieht, wie sie ist, nicht so, wie einige siegern hätten.« Sie warf einen Blick auf Pauls Gesicht und lachte. »Keine Angst,Darling. Ich habe nicht die Absicht, dir diesen Job vorzuschlagen.«
»Ich nehme an, du denkst schon an jemand Bestimmten.« Er nahm ihrGlas und goß ihr neuen Saft ein. »Hast du mir deshalb letzte Woche die Biographieüber Robert Chamber zugeschickt?«
Eve nahm das Glas und lächelte. »Was hältst du davon?«
Er zuckte mit den Schultern. »Gut gemacht, durchaus.«
»Sei kein Snob, Darling. Ich bin sicher, du weißt, daß das Buchausgezeichnete Kritiken bekam und zwanzig Wochen lang auf der Bestsellerlisteder New York Times stand.«
Er korrigierte sie. »Zweiundzwanzig Wochen.«
Eve mußte grinsen. »Es ist ein interessantes Buch, wenn manimstande ist, Roberts Männlichkeitswahn zu verkraften. Aber am meisten hat michfasziniert, daß der Autor es fertiggebracht hat, eine Anzahl von Wahrheitenzwischen all die sorgfältig plazierten Lügen zu schmuggeln.«
»Julia Summers hat das Buch geschrieben«, warf Maggie ein. »Ichhabe sie in Today gesehen, als sie im Frühling die Werbekampagne geleitet hat.Sehr kühl, sehr attraktiv. Sie und Robert sollen ein Verhältnis gehabt haben,sagt man.«
»Wenn das stimmt, hat sie jedenfalls ihre Objektivität dabei nichteingebüßt.« Eve beschrieb mit ihrer Zigarette einen Kreis in der Luft, bevorsie sie ausdrückte. »Außerdem spielt ihr Privatleben keine Rolle.«
»Aber deins«, sagte Paul. Er setzte sein Glas ab und rückte näheran sie heran. »Eve, mir gefällt der Gedanke nicht, daß du dein Innerstes preisgebenwillst. Worte hinterlassen Narben, besonders wenn sie von einem cleveren Autorgezielt eingesetzt werden.«
»Du hast vollkommen recht, deshalb sollen es ja unbedingt meineeigenen Worte sein.« Ungeduldig wehrte sie mit der Hand seinen Protestversuch ab.Er merkte, daß ihr Entschluß bereits feststand. »Paul, ganz objektiv, washältst du von Julia Summers beruflichen Fähigkeiten?«
»Was sie anpackt, macht sie gut. Vielleicht zu gut.« Der Gedankewar ihm unbehaglich. »Du hast es doch nicht nötig, Eve, dich auf diese Weiseder öffentlichen Neugier auszusetzen. Du brauchst weder das Geld noch diePublicity.«
»Mein lieber Junge, deswegen will ich es ja auch nicht machen. Esgeht mir dabei, wie bei fast allem in meinem Leben, um meine eigeneBefriedigung, meine Selbstverwirklichung.« Sie blickte zu ihrer Agentinhinüber. Sie kannte Maggie gut genug, um sofort zu merken, daß sie bereits angebissenhatte. »Ruf ihre Agentur an«, sagte Eve. »Mach die Sache klar. Ich gebe direine Liste mit den Bedingungen, die ich stelle.« Sie stand auf und küßte Paulauf die Wange. »Mach kein so mürrisches Gesicht. Du kannst dich daraufverlassen, daß ich genau weiß, was ich tue.«
Selbstbewußt, mit hocherhobenem Kopf, ging sie zur Bar, um sichein wenig Champagner nachzuschenken. Aber im stillen hoffte sie, daß sie nichteinen Ball geschossen hatte, der ihr ein Eigentor einbringen würde.
Julia wußte nicht, ob sie soeben das tollste Weihnachtsgeschenk inihrem Leben bekommen hatte oder eine Menge Schrott. Sie stand an dem großenErkerfenster in ihrem Haus in Connecticut und schaute den tanzenden Schneeflockenzu. In dem gegenüberliegenden offenen Kamin zischten und knisterten diebrennenden Holzscheite. An jeder Seite des Kamins hing ein roter Strumpf.
Der Baum stand genau in der Mitte vor dem Fenster, wie Brandon esgewollt hatte. Sie hatten die sechs Fuß hohe Fichte gemeinsam ausgesucht und insWohnzimmer geschleppt. Dann hatten sie den ganzen Abend damit verbracht, sie zuschmücken. Brandon hatte genau gewußt, wo jeder Stern, jede Kugel hängensollte. Als sie das Lametta in kleinen Büscheln auf den Zweigen verteilenwollte, hatte er darauf bestanden, jeden Faden einzeln aufzuhängen.
Er hatte auch schon den Platz ausgesucht, wo der Baum amNeujahrstag eingepflanzt werden sollte, womit eine neue Tradition in ihremneuen Heim beginnen sollte.
Brandon war zehn Jahre alt, und Traditionen gingen ihm über alles.Vielleicht deshalb, weil er nie ein richtiges Zuhause gehabt hatte. Juliaschaute auf die Geschenkpäckchen unter dem Baum. In ein paar Stunden würde erseine Mutter bitten, eins, nur ein einziges, schon heute am heiligen Abendöffnen zu dürfen.
© Heyne Verlag
Übersetzung: Katherina Jonas
- Autor: Nora Roberts
- 2004, 592 Seiten, Maße: 11,9 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Amerikan. v. Katherina Jonas
- Übersetzer: Katharina Jonas
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453878183
- ISBN-13: 9783453878181
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