Fahrenheit 451
Roman. Mit der Originalgeschichte "Der Feuerwehrmann" und e. Nachw. v. Sascha Mamczak
Der große Klassiker der Weltliteratur
451 Grad Fahrenheit oder 232 Grad Celsius - die Temperatur, bei der Papier verbrennt. Guy Montag ist Feuerwehrmann. Es ist seine Aufgabe, Bücher zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Denn Bücher sind...
451 Grad Fahrenheit oder 232 Grad Celsius - die Temperatur, bei der Papier verbrennt. Guy Montag ist Feuerwehrmann. Es ist seine Aufgabe, Bücher zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Denn Bücher sind...
Leider schon ausverkauft
Taschenbuch
- Lastschrift, Kreditkarte, Paypal, Rechnung
- Kostenlose Rücksendung
Produktdetails
Produktinformationen zu „Fahrenheit 451 “
Der große Klassiker der Weltliteratur
451 Grad Fahrenheit oder 232 Grad Celsius - die Temperatur, bei der Papier verbrennt. Guy Montag ist Feuerwehrmann. Es ist seine Aufgabe, Bücher zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Denn Bücher sind die Quelle allen Unglücks ... Mit "Fahrenheit 451" hat Ray Bradbury Literaturgeschichte geschrieben - neben Orwells "1984" und Huxleys "Schöne neue Welt" gibt es nichts Vergleichbares.
Zum 90. Geburtstag von Ray Bradbury - einer der bedeutendsten Romane der Literaturgeschichte in einer einzigartigen Sonderausgabe.
451 Grad Fahrenheit oder 232 Grad Celsius - die Temperatur, bei der Papier verbrennt. Guy Montag ist Feuerwehrmann. Es ist seine Aufgabe, Bücher zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Denn Bücher sind die Quelle allen Unglücks ... Mit "Fahrenheit 451" hat Ray Bradbury Literaturgeschichte geschrieben - neben Orwells "1984" und Huxleys "Schöne neue Welt" gibt es nichts Vergleichbares.
Zum 90. Geburtstag von Ray Bradbury - einer der bedeutendsten Romane der Literaturgeschichte in einer einzigartigen Sonderausgabe.
Klappentext zu „Fahrenheit 451 “
Der große Klassiker der Weltliteratur451 Grad Fahrenheit oder 232 Grad Celsius - die Temperatur, bei der Papier verbrennt. Guy Montag ist Feuerwehrmann. Es ist seine Aufgabe, Bücher zu beschlagnahmen und zu verbrennen. Denn Bücher sind die Quelle allen Unglücks ... Mit "Fahrenheit 451" hat Ray Bradbury Literaturgeschichte geschrieben - neben Orwells "1984" und Huxleys "Schöne neue Welt" gibt es nichts Vergleichbares.
Lese-Probe zu „Fahrenheit 451 “
Fahrenheit 451 von Ray BradburyDeutsche Übersetzung von Fritz Güttinger und Jürgen Langowski
Erster Teil
Der heimische Herd und der Salamander
Es war eine Lust, Feuer zu legen.
Es war eine besondere Lust, zu sehen, wie etwas verzehrt wurde, wie es schwarz und zu etwas anderem wurde. Das Stahlrohr in der Hand, die Mündung dieser mächtigen Schlange, die ihr giftiges Kerosin in die Welt hinausspie, fühlte er das Blut in seinen Schläfen pochen, und seine Hände waren die eines erstaunlichen Dirigenten, der eine Symphonie des Sengens und Brennens aufführte, um die kärglichen Reste der Kulturgeschichte vollends auszutilgen. Auf dem Kopf den Helm mit dem Zeichen 451, in den Augen einen flammenden Widerschein dessen, was nun kommen sollte, knipste er das Feuerzeug an, und das Haus flog auf in eine gierige Lohe, die sich rot und gelb und schwarz in den Abendhimmel fraß. Er selber war umschwirrt wie von einem Schwarm von Leuchtkäfern. Ein alter Witz kam ihm in den Sinn, und er hätte am liebsten eine aufgespießte Wurst in das Feuer gehalten, während die Bücher mit dem Flügelschlag weißer Tauben vor dem Haus den Flammentod starben. Während die Bücher in Funkenwirbel aufsprühten und von einem brandgeschwärzten Wind verweht wurden.
Montag verzog das Gesicht zu dem grimmigen Lächeln jener Menschen, die vor dem sengenden Feuer zurückweichen müssen.
... mehr
Nach getaner Arbeit mochte es vorkommen, dass er dem Gesicht im Spiegel als dem eines Komödianten, mit Ruß in einen Schwarzen verwandelt, belustigt zuzwinkerte. Auch nachher, wenn er sich schlafen legte, spürte er im Dunkeln seine Züge noch zu dem brandigen Lächeln verkrampft. Es verließ ihn nie, dieses Lächeln, er konnte sich überhaupt nicht erinnern, es jemals abgelegt zu haben.
Er legte den schwarzen Helm ab und rieb ihn blank, hängte die feuersichere Uniform fein säuberlich an den Haken, duschte sich ab und schritt dann pfeifend, die Hände in den Taschen, durch das obere Stockwerk der Feuerwache und ließ sich in das Loch fallen. Im letzten Augenblick, als der Aufprall unvermeidlich schien, holte er die Hände aus den Taschen und fing den Fall ab, indem er die Messingstange umklammerte. Quietschend rutschte er bis einen Fingerbreit über den Betonboden.
Er trat aus dem Gebäude und ging die mitternächtliche Straße entlang, zur Untergrundbahn, wo der Lufttriebzug lautlos durch das geschmierte Rohr unter der Erde glitt und ihn mit einem Schwall schaler Wärme entließ und der gelb gekachelten Rolltreppe übergab, die zur Vorstadt emporlief.
Vor sich hin pfeifend, ließ er sich von der Rolltreppe an die stille Nachtluft befördern und ging dann unbeschwert auf die Straßenkreuzung zu. Ehe er sie jedoch erreichte, verlangsamte sich sein Schritt, als wäre unvermittelt ein Wind aufgekommen, als hätte ihn jemand beim Namen gerufen.
Die letzten paar Male hatten ihn die merkwürdigsten Ahnungen befallen, wenn er in sternklarer Nacht auf sein Haus zuschritt. Er hatte das Gefühl gehabt, einen Augenblick bevor er um die Ecke bog, habe jemand dort gestanden. Die Luft schien mit einer besonderen Stille geladen, als hätte dort jemand ruhig gewartet, um sich im letzten Augenblick in ein Nichts zu verflüchtigen und ihn durchzulassen. Vielleicht hatte die Nase einen schwachen Duft wahrgenommen, vielleicht verspürte die Haut auf dem Handrücken, auf dem Gesicht, eine Erwärmung an der Stelle, wo jemand gestanden und die Temperatur der Luft ringsum eine Spur erhöht haben mochte. Begreifen ließ es sich nicht. Wenn er um die Ecke bog, sah er immer nur den weißen, menschenleeren Gehsteig oder höchstens, das eine Mal, etwas schnell über den Rasen hin verschwinden, ehe er es ins Auge fassen oder danach rufen konnte.
Doch jetzt, diese Nacht, blieb er beinahe stehen. Etwas in ihm, das in Gedanken um die Ecke vorauseilte, hatte das allerleiseste Geräusch vernommen. Atemzüge? Oder eine geringfügige Verdichtung der Luft, lediglich dadurch, dass dort jemand ruhig stand und wartete?
Er bog um die Ecke.
Das Herbstlaub wirbelte auf eine Art den Gehsteig entlang, dass es aussah, als ob das Mädchen, das dort ging, von dem Wind und den Blättern geschoben würde. Sie hielt den Kopf gesenkt, um zu beobachten, wie die Schuhe das Laub aufquirlten. Das Gesicht war schmal und blass, und es lag eine feine Gier darin, die allem mit unermüdlichen Fragen auf den Leib rückte, ein ständiges Staunen sozusagen; der dunkle Blick war so auf die Welt geheftet, dass ihm auch nicht die leiseste Regung entging. In einem weißen, knisternden Kleid schritt das Mädchen einher. Montag glaubte beinahe das Armeschlenkern zu hören und jetzt das unendlich leise Geräusch der Kopfbewegung, als das Mädchen merkte, dass da mitten auf dem Gehsteig ein Mann stand und sie musterte.
Oben in den Bäumen rauschte es gewaltig von dem trockenen Regen, den sie ausschütteten. Das Mädchen schien einen Augenblick zurückweichen zu wollen, doch stattdessen blieb sie stehen und blickte ihn an, mit Augen so dunkel und glänzend und voller Leben, dass er das Gefühl hatte, etwas ganz Wunderbares gesagt zu haben. Dabei wusste er, dass es nur ein »Hallo« gewesen war, und erst als das Mädchen von dem Salamander auf seinem Ärmel und der Phönixplakette an seiner Jacke gebannt schien, begann er zu sprechen.
»Ach ja«, sagte er, »du bist doch die neue Nachbarin?«
»Und Sie sind sicher« - sie hob den Blick von seinen Berufsabzeichen - »der Feuerwehrmann.« Die Stimme verlor sich.
»Wie sonderbar du das sagst.«
»Ich ... ich hätte es sagen können, ohne die Augen aufzumachen «, erklärte das Mädchen bedächtig.
»Warum? Weil ich nach Kerosin rieche? Meine Frau klagt ständig darüber«, lachte er. »Der Geruch lässt sich nie völlig abwaschen.«
»Das stimmt«, sagte sie leise.
Ihm war, als ob ihn das Mädchen in Gedanken umkreise, als ob sie ihm das Innerste nach außen kremple, ohne sich selber von der Stelle zu rühren.
»Kerosin«, sagte er dann, als sich das Schweigen in die Länge zog. »Kerosin ist für mich der reinste Wohlgeruch.«
»Kommt es Ihnen wirklich so vor?«
»Natürlich. Warum nicht?«
Das Mädchen ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich weiß auch nicht.« Dann wandte sie sich um, nach der Richtung, in der sie wohnten. »Darf ich mit Ihnen zurückgehen? Ich heiße Clarisse McClellan.«
»Clarisse. Guy Montag. Komm nur. Was tust du hier draußen noch so spät? Wie alt bist du eigentlich?«
Sie gingen in der warm-kühl wehenden Nacht die versilberte Straße entlang, und in der Luft lag auf einmal ein ganz feiner Hauch von frischen Aprikosen und Erdbeeren; er sah sich um und merkte, dass das ganz ausgeschlossen war, zu so vorgerückter Jahreszeit.
Nun war es nur noch das Mädchen, das neben ihm herging, das Gesicht leuchtend wie Schnee im Mondschein, und er ahnte, dass sie sich seine Fragen durch den Kopf gehen ließ, um die beste Antwort darauf zu finden.
»Nun«, sagte sie dann, »ich bin siebzehn und nicht ganz bei Trost. Mein Onkel meint, das gehöre immer zusammen. Wenn man dich nach deinem Alter fragt, meint er, sag immer, siebzehn und von Sinnen. Es ist doch hübsch, um diese Stunde spazieren zu gehen, in der Welt herumzuschnuppern und herumzugucken. Manchmal laufe ich die ganze Nacht umher und sehe dann zu, wie die Sonne aufgeht.« Wiederum trat eine Pause ein, und dann sagte das Mädchen nachdenklich: »Wissen Sie, ich habe gar keine Angst vor Ihnen.«
Er war verdutzt. »Weshalb solltest du Angst haben?«
»Viele Leute haben Angst. Vor der Feuerwehr, meine ich. Aber Sie sind auch nur ein Mensch ...«
Er sah sich selbst in den Augen des Mädchens wie in zwei hellen Wassertropfen schwebend, dunkel und winzig, mit allen Einzelheiten, den Furchen um den Mund, alles ganz deutlich, als wären diese Augen zwei wundersame Stücke veilchenfarbenen Bernsteins, der ihn umschließen und verewigen könnte. Das Gesicht, das Clarisse ihm jetzt zuwandte, strahlte ein sanftes und beständiges Licht aus. Es hatte nicht die hysterische Grelle elektrischen Lichts, aber ... was war es nur? Es war das seltsam angenehme und dünne und zart liebkosende Licht der Kerze. Einst, als er noch ein Kind war, hatte seine Mutter bei einer Stromsperre eine letzte Kerze gefunden und angezündet, und für eine kurze Stunde hatten sie es wiederentdeckt, wie bei solcher Beleuchtung der Raum behaglich um sie zusammenschnurrte, und beide, Mutter und Sohn, waren wie verwandelt gewesen, und beide hatten sie gehofft, der Strom möge nicht so bald wieder einsetzen ...
Und dann sagte Clarisse McClellan: »Darf ich Sie etwas fragen? Wie lange arbeiten Sie schon bei der Feuerwehr?«
»Seit ich zwanzig wurde, vor zehn Jahren.«
»Lesen Sie jemals welche von den Büchern, die Sie verbrennen? «
Er lachte. »Das ist doch verboten!«
»Ach so, ja.«
»Es ist ein schöner Beruf. Montag verbrenne Millay, Mittwoch Whitman, Freitag Faulkner, brenne sie zu Asche, dann verbrenne noch die Asche. Das ist unser Motto.«
Sie schritten weiter dahin, und das Mädchen fragte: »Ist es wahr, dass die Feuerwehr einst Brände bekämpfte, statt sie zu entfachen?«
»Nein. Die Häuser waren schon immer feuerfest, verlass dich drauf.«
»Merkwürdig. Ich habe mir sagen lassen, früher seien die Häuser manchmal aus Zufall in Brand geraten, und man habe Feuerwehrleute gebraucht, um das Feuer zu löschen. «
Er lachte.
Clarisse warf ihm einen Blick zu. »Warum lachen Sie?«
»Weiß ich auch nicht.« Er wollte schon wieder lachen, hielt aber inne. »Warum?«
»Sie lachen, wenn ich nichts Lustiges gesagt habe, und Sie geben immer gleich Antwort. Sie überlegen sich nie, was ich Sie gefragt habe.«
Er blieb stehen. »Du bist wirklich ein sonderbares Geschöpf «, bemerkte er und musterte sie. »Hast du denn gar keinen Respekt?«
»Es war nicht bös gemeint. Es ist nur mein leidiger Hang, die Leute allzu genau zu beobachten.«
»Und das da, bedeutet dir das gar nichts?« Er tippte an die Zahl 451, die auf seinen schwarzen Ärmel genäht war.
»Doch«, erwiderte Clarisse leise und beschleunigte ihre Schritte. »Haben Sie je den Turbinenautos zugesehen, wie sie dort drüben die Straßen entlangrasen?«
»Du wechselst das Thema!«
»Manchmal denke ich, die Fahrer wissen überhaupt nicht, was das ist, Gras, oder Blumen, weil sie nie langsam daran vorbeikommen. Wenn man einem Autofahrer etwas Grünverwischtes zeigte, würde er sagen: ›Ja, das ist Gras.‹ Etwas Rötlichverwischtes? ›Das ist ein Rosengarten.‹ Weißverwischtes bedeutet Häuser. Braunverwischtes Kühe. Mein Onkel ist einmal auf einem Highway langsam gefahren. Er fuhr sechzig und wurde zwei Tage lang eingesperrt. Ist das nicht komisch - und traurig dazu?«
»Du machst dir zu viel Gedanken«, bemerkte Montag, dem es nicht wohl war dabei.
»Ich sehe mir selten die Bildwände an und gehe auch nicht zu Rennen oder in die Vergnügungsparks. Daher habe ich wohl eine Menge Zeit für verrückte Gedanken. Sind Ihnen schon die siebzig Meter langen Reklametafeln auf dem Land draußen aufgefallen? Wissen Sie, dass die Reklametafeln früher höchstens sieben Meter lang waren? Aber die Wagen sausten so schnell daran vorbei, dass man die Tafeln in die Länge ziehen musste, damit sie überhaupt noch wirkten.«
»Nein, das habe ich nicht gewusst«, lachte Montag.
»Wetten, dass ich noch etwas weiß, was Sie nicht wissen. Auf dem Gras liegt früh am Morgen Tau.«
Er hätte plötzlich nicht mehr sagen können, ob ihm das bekannt gewesen war oder nicht, und geriet in eine leicht gereizte Stimmung.
»Und wenn Sie genau hinsehen« - Clarisse deutete mit dem Kopf zum Himmel - »da ist ein Mann im Mond.«
Er hatte schon lange nicht mehr hingesehen.
Den Rest des Weges gingen sie schweigend nebeneinander her, Clarisse in einem nachdenklichen, er in einem gedrückten und unbehaglichen Schweigen, wobei er ihr von Zeit zu Zeit einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. Als sie vor ihrem Haus ankamen, waren dort alle Fenster hell erleuchtet.
»Was ist denn bei euch los?« Montag hatte selten ein Haus gesehen, in dem so viel Licht brannte.
»Ach, Mutter und Vater und Onkel sind noch auf und unterhalten sich. Es ist, wie wenn man Fußgänger ist, nur viel seltener. Mein Onkel wurde ein andermal verhaftet - habe ich es Ihnen schon erzählt? -, weil er zu Fuß ging. Oh, wir sind eine höchst eigentümliche Familie.«
»Aber worüber unterhaltet ihr euch denn?«
Sie lachte bloß. »Gute Nacht!« Sie wandte sich zum Gehen, dann schien ihr etwas einzufallen, und sie kam zurück, um ihn neugierig zu mustern. »Sind Sie glücklich?«, fragte sie.
»Bin ich was?«, rief er.
Aber Clarisse war schon weg, lief im Mondschein davon. Sachte fiel die Haustür zu.
»Glücklich! So ein Unsinn.«
Das Lachen verging ihm.
Er griff ins Handschuhloch seiner Haustür und drückte. Die Tür glitt auf.
»Selbstverständlich bin ich glücklich. Was glaubt sie eigentlich? Ich sei nicht glücklich?«, fragte er in die Stille des Hauses hinein. Er stand da und sah zur Lüftungsklappe empor, und plötzlich fiel ihm ein, dass dort oben hinter der Klappe etwas versteckt lag, etwas, das jetzt auf ihn zu lauern schien. Schnell wandte er den Blick ab.
Was für eine seltsame Begegnung in der Nacht. Dergleichen war ihm noch nie passiert, außer damals vor einem Jahr, als er nachmittags im Park einen alten Mann getroffen und sich mit ihm unterhalten hatte ...
Montag schüttelte den Kopf. Obwohl er vor einer leeren Wand stand, sah er das Gesicht des Mädchens vor sich, schön in der Erinnerung, sogar erstaunlich schön. Es war ein ganz dünnes Gesicht, wie das Zifferblatt einer kleinen Uhr, das man mitten in der Nacht im dunklen Zimmer gerade noch sieht, wenn man aufwacht und wissen möchte, wie spät es ist, und das Zifferblatt gibt einem Stunde und Minute und Sekunde an, in fahler Stille vor sich hin glimmend, voller Gewissheit, was es einem zu künden hat von der Nacht, die eilig einer tieferen Finsternis entgegenstrebt, aber auch einer neuen Sonne.
»Wie?«, fragte Montag jenes andere Ich, den heimlichen Kindskopf, der bisweilen das Plappern nicht lassen konnte, völlig unabhängig von Willen, Gewohnheit und Gewissen.
Sein Blick schweifte zur Wand zurück. Wie glich ihr Gesicht doch andererseits einem Spiegel! Eigentlich undenkbar - denn wie viele Leute kennt man, die einem sein eigenes Licht zurückstrahlen? Meistens waren die Leute - er suchte nach einem Vergleich, fand ihn in seiner Arbeit - wie Fackeln, die fröhlich lodern, bis sie ausgebrannt sind. Wie selten nehmen andere Gesichter uns unseren Ausdruck ab und werfen ihn auf uns zurück, unsere eigenen drängendsten, innersten Gedanken?
Wie unglaublich sich das Mädchen in jemand hineinversetzen konnte! Sie war wie die gespannte Zuschauerin eines Puppenspiels, die jedes Wimperzucken, jede Handbewegung vorausahnt und schon erfasst hat, ehe sie geschieht. Wie lange waren sie nebeneinander hergegangen? Drei Minuten? Fünf? Und doch, wie bedeutend schien ihm diese Zeitspanne jetzt. Welch überlebensgroße Gestalt war das Mädchen auf der Bühne vor ihm; welch einen Schatten warf sie mit ihrem schmalen Körper an die Wand! Er hatte das Gefühl, wenn ihm etwas ins Auge flöge, würde Clarisse das Ihre zusammenkneifen. Und wenn sich sein Backenmuskel auch nur im Geringsten dehnte, würde sie gähnen, lange bevor er dazu kam.
Ja, dachte er, wenn ich es mir recht überlege, schien sie beinahe auf mich zu warten dort auf der Straße, so spät noch in der Nacht ...
Er öffnete die Schlafzimmertür.
Es war, als trete er in die kalte, marmorverkleidete Kammer eines Grabmals, nachdem der Mond untergegangen war. Völlige Finsternis, kein Schimmer der silbrigen Außenwelt, die Fenster dicht geschlossen, eine Gruft, in die kein Laut aus der großen Stadt drang. Das Zimmer war jedoch nicht leer.
Er horchte.
Ein zartes, mückenähnliches Sirren lag in der Luft, das elektrische Summen einer unsichtbaren Wespe, nistend in ihrem warmen, rötlichen Schlupfwinkel. Die Musik war beinahe laut genug, dass er die Melodie heraushörte.
Er spürte, wie sein Lächeln wegschmolz, einer Talghaut gleich sich zusammenzog, wie das Wachs einer Fantasiekerze, die zu lange gebrannt hat und nun in sich zusammensinkt und ausgeht. Finsternis. Er war nicht glücklich. Er war nicht glücklich. Er sagte die Worte vor sich hin und erkannte, dass sie seinen wahren Zustand wiedergaben. Er trug sein Glück wie eine Maske, und das Mädchen war damit davongelaufen, und es gab keine Möglichkeit, bei ihr anzuklopfen und die Maske zurückzufordern.
Ohne das Licht anzudrehen, sah er das Zimmer vor sich. Seine Frau, auf dem Bett ausgestreckt, unbedeckt und kalt, wie die Gestalt auf dem Deckel eines Sarkophags, den Blick an feinen unsichtbaren Drähten starr an die Zimmerdecke geheftet, unbeweglich. Und in ihren Ohren die fingerhutgroßen, muschelförmigen Radios, fest hineingeklemmt, mit einem Gewoge von Geräuschen, von Musik und Gespräch und Musik und Gespräch, ihre Schlaflosigkeit umbrandend. Der Raum war tatsächlich leer. Nacht für Nacht flutete es heran und trug sie in einem Schwall von Geräusch hinweg, trug sie mit weit offenen Augen dem Morgen entgegen. Es war in den letzten zwei Jahren kein einziges Mal vorgekommen, dass Mildred sich nachts nicht in dieses Meer geworfen hätte, nicht gerne in ihm untergetaucht wäre.
Trotz der Kälte im Zimmer war ihm, als könne er nicht atmen. Vorhänge und Glastür wollte er nicht aufmachen; er wünschte keinen Mondschein im Zimmer. Mit dem Gefühl, gleich ersticken zu müssen, tastete er nach seinem abgetrennten und somit kalten Bett.
Einen Augenblick, bevor er mit dem Fuß gegen das Ding auf dem Boden stieß, wusste er, dass er gegen etwas stoßen würde. Es verhielt sich so ähnlich wie mit dem Gefühl, das ihn beschlichen hatte, ehe er um die Ecke gebogen war und das Mädchen beinahe über den Haufen gerannt hatte. Schwingungen, die von seinem Fuß ausgingen, wurden von dem kleinen Hindernis zurückgeworfen, während der Fuß noch ausholte. Er stieß dagegen, und das Ding schlitterte im Dunkel mit einem dumpfen Klirren weg.
Kerzengerade stand er da und lauschte in die Nacht hinein. Die Atemzüge der Frau auf dem Bett waren so schwach, dass sich nur noch der äußerste Saum des Lebens rührte, ein kleines Blatt, eine schwarze Flaumfeder, ein einzelnes Haar.
Noch immer wollte er kein Licht von draußen. Er holte sein Feuerzeug hervor, spürte den Salamander, der auf der silbernen Scheibe eingraviert war, drückte dagegen ...
Zwei Mondsteine sahen im Licht der Flamme in seiner Hand zu ihm empor; zwei blasse Mondsteine, in das klare Wasser eines Baches versenkt, über die das Leben der Welt hinweglief, ohne sie zu berühren.
»Mildred!«
Ihr Gesicht war wie eine verschneite Insel, die den Regen nicht gespürt hätte, wenn Regen gefallen wäre; über die vorüberziehende Wolken ihren Schatten werfen mochten, ohne dass sie es gespürt hätte. Nur das Sirren der Fingerhutwespen in ihren zugestopften Ohren war da und der gläserne Blick und der leise Atemhauch, ein und aus, ohne dass es sie gekümmert hätte, ob ein oder aus, aus oder ein.
Der Gegenstand, den er mit dem Fuß weggestoßen hatte, schimmerte jetzt unter seinem eigenen Bett - das Glasfläschchen, das noch am selben Tag mit dreißig Schlaftabletten gefüllt worden war und jetzt ohne Deckel und leer im Licht des Feuerzeugs dalag ...
In diesem Augenblick heulte der Himmel über dem Haus auf. Es war ein Geräusch, als würden zwei Riesenhände einen zehntausend Kilometer langen schwarzen Leinwandstreifen entzweireißen. Montag war wie in zwei Hälften gespalten. Er fühlte, wie seine Brust zerbrach. Die Düsenbomber, die über ihn hinwegjagten, hinweg, hinweg, eins zwei, eins zwei, eins zwei, sechs, neun, zwölf, einer und noch einer und immer noch einer, nahmen ihm das Schreien ab. Er machte den Mund auf und ließ ihr Geheul herabkommen und zwischen seinen Zähnen heraus. Das Haus erbebte. Die Flamme in seiner Hand erlosch. Die Mondsteine verglommen. Wie ferngesteuert griff er zum Telefon.
Die Flugzeuge waren vorüber. Er fühlte seine Lippen sich bewegen, die Sprechmuschel des Hörers streifen. »Krankenhaus. Notfälle ...« Ein heiseres Raunen.
Ihm war, als wären die Sterne vom Heulen der schwarzen Düsenbomber zerrieben worden und als würde die Erde am Morgen mit ihrem Staub wie mit einem fremdartigen Schnee bedeckt sein. Das war sein idiotischer Gedanke, als er fröstelnd im Dunkel stand und seine Lippen reden ließ.
Sie hatten da dieses Gerät. Eigentlich zwei Geräte. Das eine kroch in den Magen hinunter wie eine schwarze Kobra, die in einem hallenden Brunnenschacht nach all dem sucht, was sich dort an alten Wassern und alter Zeit angesammelt hat. Es schluckte das grüne Zeug, das langsam emporgebrodelt kam. Schluckte es auch die Dunkelheit? Saugte es auch all das Gift auf, das sich im Laufe der Jahre dort angesetzt hatte? Lautlos pumpte es sich voll, gelegentlich mit einem Röcheln und blinden Her umtasten. Es hatte ein Auge. Wenn der Mann am Gerät sich einen besonderen Helm aufsetzte, konnte er dem Menschen, den er auspumpte, in die Seele blicken. Was sah das Auge? Er sagte es nicht. Er sah - aber nicht, was das Auge sah. Es war wie beim Ausheben eines Grabens im Garten. Die Frau auf dem Bett war nichts weiter als eine harte Gesteinsschicht, auf die man gestoßen war. Macht nichts, schieben wir das Ding runter, holen wir die Leere herauf, falls sich dergleichen mit der Schlange heraufpumpen lässt. Der Mann am Gerät stand da, eine Zigarette im Mundwinkel. Das andere Gerät war ebenfalls in Betrieb.
Ein ebenso gleichgültiger Kerl in einem immer gleich sauberen rostbraunen Overall bediente das andere Gerät. Es pumpte alles Blut aus dem Körper und ersetzte es mit frischem Blut und Serum.
»Man muss sie doppelt ausräumen«, erklärte der Mann am Bett. »Den Magen auspumpen hat keinen Zweck, wenn man nicht auch das Blut reinigt. Lässt man das Zeug im Blut, dann schlägt das Blut ins Gehirn wie ein Hammer, peng, ein paar tausend Mal, und das Gehirn gibt einfach auf, es macht nicht mehr mit.«
»Genug!«, rief Montag.
»Ich meine ja nur«, sagte der Mann.
»Sind Sie fertig?«, fragte Montag.
Sie stellten die Apparate ab. »Wir sind fertig.« Seine Verärgerung berührte sie überhaupt nicht. »Das macht fünfzig Dollar.«
»Warum sagen Sie mir erst mal nicht, ob sie durchkommt? «
»Natürlich kommt sie durch. Das üble Zeug haben wir alles hier in unserem Koffer, das kann ihr nichts mehr anhaben. Wie gesagt, man holt das Alte heraus und tut das Neue hinein, und alles ist wieder in Ordnung.«
»Keiner von Ihnen ist Arzt. Warum hat das Krankenhaus keinen Arzt geschickt?«
»Ach was!« Die Zigarette wippte auf den Lippen des Mannes. »Neun oder zehn solche Fälle kriegen wir jede Nacht. Als das vor ein paar Jahren anfing, haben wir die Spezialapparatur bauen lassen. Das Elektronenauge, das war natürlich neu, alles andere ist uralt. Da braucht man keinen Arzt dazu, zwei Sanitäter genügen, die schaffen's in einer halben Stunde. Also« - er wandte sich zum Gehen - »wir müssen los. Bekam soeben einen Anruf auf der guten alten Ohrkapsel. Zehn Häuser weiter. Schon wieder jemand, der sich an Pillen übernommen hat. Rufen Sie an, wenn Sie uns wieder mal brauchen. Und sorgen Sie für Ruhe. Wir haben ihr ein Kontrasedativ gegeben. Sie wird Hunger haben, wenn sie aufwacht. Wiedersehen.«
Und die Männer mit den Zigaretten zwischen den schmalen Lippen, die Männer mit den Augen von Puffottern luden sich Gerät und Schlauch auf, den Behälter mit der flüssigen Melancholie und dem namenlosen dunklen zähen Zeug, und schlenderten zur Tür hinaus.
Montag sank auf einen Stuhl und blickte die Frau an. Die Augen hatte sie jetzt geschlossen, und er streckte eine Hand aus, um die Wärme ihres Atems auf seiner Handfläche zu spüren.
»Mildred«, sagte er schließlich.
Es gibt zu viele Menschen, dachte er. Milliarden gibt es von uns, und das ist zu viel. Niemand kennt den anderen. Unbekannte kommen und vergewaltigen dich. Unbekannte
Copyright © 2010 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Nach getaner Arbeit mochte es vorkommen, dass er dem Gesicht im Spiegel als dem eines Komödianten, mit Ruß in einen Schwarzen verwandelt, belustigt zuzwinkerte. Auch nachher, wenn er sich schlafen legte, spürte er im Dunkeln seine Züge noch zu dem brandigen Lächeln verkrampft. Es verließ ihn nie, dieses Lächeln, er konnte sich überhaupt nicht erinnern, es jemals abgelegt zu haben.
Er legte den schwarzen Helm ab und rieb ihn blank, hängte die feuersichere Uniform fein säuberlich an den Haken, duschte sich ab und schritt dann pfeifend, die Hände in den Taschen, durch das obere Stockwerk der Feuerwache und ließ sich in das Loch fallen. Im letzten Augenblick, als der Aufprall unvermeidlich schien, holte er die Hände aus den Taschen und fing den Fall ab, indem er die Messingstange umklammerte. Quietschend rutschte er bis einen Fingerbreit über den Betonboden.
Er trat aus dem Gebäude und ging die mitternächtliche Straße entlang, zur Untergrundbahn, wo der Lufttriebzug lautlos durch das geschmierte Rohr unter der Erde glitt und ihn mit einem Schwall schaler Wärme entließ und der gelb gekachelten Rolltreppe übergab, die zur Vorstadt emporlief.
Vor sich hin pfeifend, ließ er sich von der Rolltreppe an die stille Nachtluft befördern und ging dann unbeschwert auf die Straßenkreuzung zu. Ehe er sie jedoch erreichte, verlangsamte sich sein Schritt, als wäre unvermittelt ein Wind aufgekommen, als hätte ihn jemand beim Namen gerufen.
Die letzten paar Male hatten ihn die merkwürdigsten Ahnungen befallen, wenn er in sternklarer Nacht auf sein Haus zuschritt. Er hatte das Gefühl gehabt, einen Augenblick bevor er um die Ecke bog, habe jemand dort gestanden. Die Luft schien mit einer besonderen Stille geladen, als hätte dort jemand ruhig gewartet, um sich im letzten Augenblick in ein Nichts zu verflüchtigen und ihn durchzulassen. Vielleicht hatte die Nase einen schwachen Duft wahrgenommen, vielleicht verspürte die Haut auf dem Handrücken, auf dem Gesicht, eine Erwärmung an der Stelle, wo jemand gestanden und die Temperatur der Luft ringsum eine Spur erhöht haben mochte. Begreifen ließ es sich nicht. Wenn er um die Ecke bog, sah er immer nur den weißen, menschenleeren Gehsteig oder höchstens, das eine Mal, etwas schnell über den Rasen hin verschwinden, ehe er es ins Auge fassen oder danach rufen konnte.
Doch jetzt, diese Nacht, blieb er beinahe stehen. Etwas in ihm, das in Gedanken um die Ecke vorauseilte, hatte das allerleiseste Geräusch vernommen. Atemzüge? Oder eine geringfügige Verdichtung der Luft, lediglich dadurch, dass dort jemand ruhig stand und wartete?
Er bog um die Ecke.
Das Herbstlaub wirbelte auf eine Art den Gehsteig entlang, dass es aussah, als ob das Mädchen, das dort ging, von dem Wind und den Blättern geschoben würde. Sie hielt den Kopf gesenkt, um zu beobachten, wie die Schuhe das Laub aufquirlten. Das Gesicht war schmal und blass, und es lag eine feine Gier darin, die allem mit unermüdlichen Fragen auf den Leib rückte, ein ständiges Staunen sozusagen; der dunkle Blick war so auf die Welt geheftet, dass ihm auch nicht die leiseste Regung entging. In einem weißen, knisternden Kleid schritt das Mädchen einher. Montag glaubte beinahe das Armeschlenkern zu hören und jetzt das unendlich leise Geräusch der Kopfbewegung, als das Mädchen merkte, dass da mitten auf dem Gehsteig ein Mann stand und sie musterte.
Oben in den Bäumen rauschte es gewaltig von dem trockenen Regen, den sie ausschütteten. Das Mädchen schien einen Augenblick zurückweichen zu wollen, doch stattdessen blieb sie stehen und blickte ihn an, mit Augen so dunkel und glänzend und voller Leben, dass er das Gefühl hatte, etwas ganz Wunderbares gesagt zu haben. Dabei wusste er, dass es nur ein »Hallo« gewesen war, und erst als das Mädchen von dem Salamander auf seinem Ärmel und der Phönixplakette an seiner Jacke gebannt schien, begann er zu sprechen.
»Ach ja«, sagte er, »du bist doch die neue Nachbarin?«
»Und Sie sind sicher« - sie hob den Blick von seinen Berufsabzeichen - »der Feuerwehrmann.« Die Stimme verlor sich.
»Wie sonderbar du das sagst.«
»Ich ... ich hätte es sagen können, ohne die Augen aufzumachen «, erklärte das Mädchen bedächtig.
»Warum? Weil ich nach Kerosin rieche? Meine Frau klagt ständig darüber«, lachte er. »Der Geruch lässt sich nie völlig abwaschen.«
»Das stimmt«, sagte sie leise.
Ihm war, als ob ihn das Mädchen in Gedanken umkreise, als ob sie ihm das Innerste nach außen kremple, ohne sich selber von der Stelle zu rühren.
»Kerosin«, sagte er dann, als sich das Schweigen in die Länge zog. »Kerosin ist für mich der reinste Wohlgeruch.«
»Kommt es Ihnen wirklich so vor?«
»Natürlich. Warum nicht?«
Das Mädchen ließ sich Zeit mit der Antwort. »Ich weiß auch nicht.« Dann wandte sie sich um, nach der Richtung, in der sie wohnten. »Darf ich mit Ihnen zurückgehen? Ich heiße Clarisse McClellan.«
»Clarisse. Guy Montag. Komm nur. Was tust du hier draußen noch so spät? Wie alt bist du eigentlich?«
Sie gingen in der warm-kühl wehenden Nacht die versilberte Straße entlang, und in der Luft lag auf einmal ein ganz feiner Hauch von frischen Aprikosen und Erdbeeren; er sah sich um und merkte, dass das ganz ausgeschlossen war, zu so vorgerückter Jahreszeit.
Nun war es nur noch das Mädchen, das neben ihm herging, das Gesicht leuchtend wie Schnee im Mondschein, und er ahnte, dass sie sich seine Fragen durch den Kopf gehen ließ, um die beste Antwort darauf zu finden.
»Nun«, sagte sie dann, »ich bin siebzehn und nicht ganz bei Trost. Mein Onkel meint, das gehöre immer zusammen. Wenn man dich nach deinem Alter fragt, meint er, sag immer, siebzehn und von Sinnen. Es ist doch hübsch, um diese Stunde spazieren zu gehen, in der Welt herumzuschnuppern und herumzugucken. Manchmal laufe ich die ganze Nacht umher und sehe dann zu, wie die Sonne aufgeht.« Wiederum trat eine Pause ein, und dann sagte das Mädchen nachdenklich: »Wissen Sie, ich habe gar keine Angst vor Ihnen.«
Er war verdutzt. »Weshalb solltest du Angst haben?«
»Viele Leute haben Angst. Vor der Feuerwehr, meine ich. Aber Sie sind auch nur ein Mensch ...«
Er sah sich selbst in den Augen des Mädchens wie in zwei hellen Wassertropfen schwebend, dunkel und winzig, mit allen Einzelheiten, den Furchen um den Mund, alles ganz deutlich, als wären diese Augen zwei wundersame Stücke veilchenfarbenen Bernsteins, der ihn umschließen und verewigen könnte. Das Gesicht, das Clarisse ihm jetzt zuwandte, strahlte ein sanftes und beständiges Licht aus. Es hatte nicht die hysterische Grelle elektrischen Lichts, aber ... was war es nur? Es war das seltsam angenehme und dünne und zart liebkosende Licht der Kerze. Einst, als er noch ein Kind war, hatte seine Mutter bei einer Stromsperre eine letzte Kerze gefunden und angezündet, und für eine kurze Stunde hatten sie es wiederentdeckt, wie bei solcher Beleuchtung der Raum behaglich um sie zusammenschnurrte, und beide, Mutter und Sohn, waren wie verwandelt gewesen, und beide hatten sie gehofft, der Strom möge nicht so bald wieder einsetzen ...
Und dann sagte Clarisse McClellan: »Darf ich Sie etwas fragen? Wie lange arbeiten Sie schon bei der Feuerwehr?«
»Seit ich zwanzig wurde, vor zehn Jahren.«
»Lesen Sie jemals welche von den Büchern, die Sie verbrennen? «
Er lachte. »Das ist doch verboten!«
»Ach so, ja.«
»Es ist ein schöner Beruf. Montag verbrenne Millay, Mittwoch Whitman, Freitag Faulkner, brenne sie zu Asche, dann verbrenne noch die Asche. Das ist unser Motto.«
Sie schritten weiter dahin, und das Mädchen fragte: »Ist es wahr, dass die Feuerwehr einst Brände bekämpfte, statt sie zu entfachen?«
»Nein. Die Häuser waren schon immer feuerfest, verlass dich drauf.«
»Merkwürdig. Ich habe mir sagen lassen, früher seien die Häuser manchmal aus Zufall in Brand geraten, und man habe Feuerwehrleute gebraucht, um das Feuer zu löschen. «
Er lachte.
Clarisse warf ihm einen Blick zu. »Warum lachen Sie?«
»Weiß ich auch nicht.« Er wollte schon wieder lachen, hielt aber inne. »Warum?«
»Sie lachen, wenn ich nichts Lustiges gesagt habe, und Sie geben immer gleich Antwort. Sie überlegen sich nie, was ich Sie gefragt habe.«
Er blieb stehen. »Du bist wirklich ein sonderbares Geschöpf «, bemerkte er und musterte sie. »Hast du denn gar keinen Respekt?«
»Es war nicht bös gemeint. Es ist nur mein leidiger Hang, die Leute allzu genau zu beobachten.«
»Und das da, bedeutet dir das gar nichts?« Er tippte an die Zahl 451, die auf seinen schwarzen Ärmel genäht war.
»Doch«, erwiderte Clarisse leise und beschleunigte ihre Schritte. »Haben Sie je den Turbinenautos zugesehen, wie sie dort drüben die Straßen entlangrasen?«
»Du wechselst das Thema!«
»Manchmal denke ich, die Fahrer wissen überhaupt nicht, was das ist, Gras, oder Blumen, weil sie nie langsam daran vorbeikommen. Wenn man einem Autofahrer etwas Grünverwischtes zeigte, würde er sagen: ›Ja, das ist Gras.‹ Etwas Rötlichverwischtes? ›Das ist ein Rosengarten.‹ Weißverwischtes bedeutet Häuser. Braunverwischtes Kühe. Mein Onkel ist einmal auf einem Highway langsam gefahren. Er fuhr sechzig und wurde zwei Tage lang eingesperrt. Ist das nicht komisch - und traurig dazu?«
»Du machst dir zu viel Gedanken«, bemerkte Montag, dem es nicht wohl war dabei.
»Ich sehe mir selten die Bildwände an und gehe auch nicht zu Rennen oder in die Vergnügungsparks. Daher habe ich wohl eine Menge Zeit für verrückte Gedanken. Sind Ihnen schon die siebzig Meter langen Reklametafeln auf dem Land draußen aufgefallen? Wissen Sie, dass die Reklametafeln früher höchstens sieben Meter lang waren? Aber die Wagen sausten so schnell daran vorbei, dass man die Tafeln in die Länge ziehen musste, damit sie überhaupt noch wirkten.«
»Nein, das habe ich nicht gewusst«, lachte Montag.
»Wetten, dass ich noch etwas weiß, was Sie nicht wissen. Auf dem Gras liegt früh am Morgen Tau.«
Er hätte plötzlich nicht mehr sagen können, ob ihm das bekannt gewesen war oder nicht, und geriet in eine leicht gereizte Stimmung.
»Und wenn Sie genau hinsehen« - Clarisse deutete mit dem Kopf zum Himmel - »da ist ein Mann im Mond.«
Er hatte schon lange nicht mehr hingesehen.
Den Rest des Weges gingen sie schweigend nebeneinander her, Clarisse in einem nachdenklichen, er in einem gedrückten und unbehaglichen Schweigen, wobei er ihr von Zeit zu Zeit einen vorwurfsvollen Blick zuwarf. Als sie vor ihrem Haus ankamen, waren dort alle Fenster hell erleuchtet.
»Was ist denn bei euch los?« Montag hatte selten ein Haus gesehen, in dem so viel Licht brannte.
»Ach, Mutter und Vater und Onkel sind noch auf und unterhalten sich. Es ist, wie wenn man Fußgänger ist, nur viel seltener. Mein Onkel wurde ein andermal verhaftet - habe ich es Ihnen schon erzählt? -, weil er zu Fuß ging. Oh, wir sind eine höchst eigentümliche Familie.«
»Aber worüber unterhaltet ihr euch denn?«
Sie lachte bloß. »Gute Nacht!« Sie wandte sich zum Gehen, dann schien ihr etwas einzufallen, und sie kam zurück, um ihn neugierig zu mustern. »Sind Sie glücklich?«, fragte sie.
»Bin ich was?«, rief er.
Aber Clarisse war schon weg, lief im Mondschein davon. Sachte fiel die Haustür zu.
»Glücklich! So ein Unsinn.«
Das Lachen verging ihm.
Er griff ins Handschuhloch seiner Haustür und drückte. Die Tür glitt auf.
»Selbstverständlich bin ich glücklich. Was glaubt sie eigentlich? Ich sei nicht glücklich?«, fragte er in die Stille des Hauses hinein. Er stand da und sah zur Lüftungsklappe empor, und plötzlich fiel ihm ein, dass dort oben hinter der Klappe etwas versteckt lag, etwas, das jetzt auf ihn zu lauern schien. Schnell wandte er den Blick ab.
Was für eine seltsame Begegnung in der Nacht. Dergleichen war ihm noch nie passiert, außer damals vor einem Jahr, als er nachmittags im Park einen alten Mann getroffen und sich mit ihm unterhalten hatte ...
Montag schüttelte den Kopf. Obwohl er vor einer leeren Wand stand, sah er das Gesicht des Mädchens vor sich, schön in der Erinnerung, sogar erstaunlich schön. Es war ein ganz dünnes Gesicht, wie das Zifferblatt einer kleinen Uhr, das man mitten in der Nacht im dunklen Zimmer gerade noch sieht, wenn man aufwacht und wissen möchte, wie spät es ist, und das Zifferblatt gibt einem Stunde und Minute und Sekunde an, in fahler Stille vor sich hin glimmend, voller Gewissheit, was es einem zu künden hat von der Nacht, die eilig einer tieferen Finsternis entgegenstrebt, aber auch einer neuen Sonne.
»Wie?«, fragte Montag jenes andere Ich, den heimlichen Kindskopf, der bisweilen das Plappern nicht lassen konnte, völlig unabhängig von Willen, Gewohnheit und Gewissen.
Sein Blick schweifte zur Wand zurück. Wie glich ihr Gesicht doch andererseits einem Spiegel! Eigentlich undenkbar - denn wie viele Leute kennt man, die einem sein eigenes Licht zurückstrahlen? Meistens waren die Leute - er suchte nach einem Vergleich, fand ihn in seiner Arbeit - wie Fackeln, die fröhlich lodern, bis sie ausgebrannt sind. Wie selten nehmen andere Gesichter uns unseren Ausdruck ab und werfen ihn auf uns zurück, unsere eigenen drängendsten, innersten Gedanken?
Wie unglaublich sich das Mädchen in jemand hineinversetzen konnte! Sie war wie die gespannte Zuschauerin eines Puppenspiels, die jedes Wimperzucken, jede Handbewegung vorausahnt und schon erfasst hat, ehe sie geschieht. Wie lange waren sie nebeneinander hergegangen? Drei Minuten? Fünf? Und doch, wie bedeutend schien ihm diese Zeitspanne jetzt. Welch überlebensgroße Gestalt war das Mädchen auf der Bühne vor ihm; welch einen Schatten warf sie mit ihrem schmalen Körper an die Wand! Er hatte das Gefühl, wenn ihm etwas ins Auge flöge, würde Clarisse das Ihre zusammenkneifen. Und wenn sich sein Backenmuskel auch nur im Geringsten dehnte, würde sie gähnen, lange bevor er dazu kam.
Ja, dachte er, wenn ich es mir recht überlege, schien sie beinahe auf mich zu warten dort auf der Straße, so spät noch in der Nacht ...
Er öffnete die Schlafzimmertür.
Es war, als trete er in die kalte, marmorverkleidete Kammer eines Grabmals, nachdem der Mond untergegangen war. Völlige Finsternis, kein Schimmer der silbrigen Außenwelt, die Fenster dicht geschlossen, eine Gruft, in die kein Laut aus der großen Stadt drang. Das Zimmer war jedoch nicht leer.
Er horchte.
Ein zartes, mückenähnliches Sirren lag in der Luft, das elektrische Summen einer unsichtbaren Wespe, nistend in ihrem warmen, rötlichen Schlupfwinkel. Die Musik war beinahe laut genug, dass er die Melodie heraushörte.
Er spürte, wie sein Lächeln wegschmolz, einer Talghaut gleich sich zusammenzog, wie das Wachs einer Fantasiekerze, die zu lange gebrannt hat und nun in sich zusammensinkt und ausgeht. Finsternis. Er war nicht glücklich. Er war nicht glücklich. Er sagte die Worte vor sich hin und erkannte, dass sie seinen wahren Zustand wiedergaben. Er trug sein Glück wie eine Maske, und das Mädchen war damit davongelaufen, und es gab keine Möglichkeit, bei ihr anzuklopfen und die Maske zurückzufordern.
Ohne das Licht anzudrehen, sah er das Zimmer vor sich. Seine Frau, auf dem Bett ausgestreckt, unbedeckt und kalt, wie die Gestalt auf dem Deckel eines Sarkophags, den Blick an feinen unsichtbaren Drähten starr an die Zimmerdecke geheftet, unbeweglich. Und in ihren Ohren die fingerhutgroßen, muschelförmigen Radios, fest hineingeklemmt, mit einem Gewoge von Geräuschen, von Musik und Gespräch und Musik und Gespräch, ihre Schlaflosigkeit umbrandend. Der Raum war tatsächlich leer. Nacht für Nacht flutete es heran und trug sie in einem Schwall von Geräusch hinweg, trug sie mit weit offenen Augen dem Morgen entgegen. Es war in den letzten zwei Jahren kein einziges Mal vorgekommen, dass Mildred sich nachts nicht in dieses Meer geworfen hätte, nicht gerne in ihm untergetaucht wäre.
Trotz der Kälte im Zimmer war ihm, als könne er nicht atmen. Vorhänge und Glastür wollte er nicht aufmachen; er wünschte keinen Mondschein im Zimmer. Mit dem Gefühl, gleich ersticken zu müssen, tastete er nach seinem abgetrennten und somit kalten Bett.
Einen Augenblick, bevor er mit dem Fuß gegen das Ding auf dem Boden stieß, wusste er, dass er gegen etwas stoßen würde. Es verhielt sich so ähnlich wie mit dem Gefühl, das ihn beschlichen hatte, ehe er um die Ecke gebogen war und das Mädchen beinahe über den Haufen gerannt hatte. Schwingungen, die von seinem Fuß ausgingen, wurden von dem kleinen Hindernis zurückgeworfen, während der Fuß noch ausholte. Er stieß dagegen, und das Ding schlitterte im Dunkel mit einem dumpfen Klirren weg.
Kerzengerade stand er da und lauschte in die Nacht hinein. Die Atemzüge der Frau auf dem Bett waren so schwach, dass sich nur noch der äußerste Saum des Lebens rührte, ein kleines Blatt, eine schwarze Flaumfeder, ein einzelnes Haar.
Noch immer wollte er kein Licht von draußen. Er holte sein Feuerzeug hervor, spürte den Salamander, der auf der silbernen Scheibe eingraviert war, drückte dagegen ...
Zwei Mondsteine sahen im Licht der Flamme in seiner Hand zu ihm empor; zwei blasse Mondsteine, in das klare Wasser eines Baches versenkt, über die das Leben der Welt hinweglief, ohne sie zu berühren.
»Mildred!«
Ihr Gesicht war wie eine verschneite Insel, die den Regen nicht gespürt hätte, wenn Regen gefallen wäre; über die vorüberziehende Wolken ihren Schatten werfen mochten, ohne dass sie es gespürt hätte. Nur das Sirren der Fingerhutwespen in ihren zugestopften Ohren war da und der gläserne Blick und der leise Atemhauch, ein und aus, ohne dass es sie gekümmert hätte, ob ein oder aus, aus oder ein.
Der Gegenstand, den er mit dem Fuß weggestoßen hatte, schimmerte jetzt unter seinem eigenen Bett - das Glasfläschchen, das noch am selben Tag mit dreißig Schlaftabletten gefüllt worden war und jetzt ohne Deckel und leer im Licht des Feuerzeugs dalag ...
In diesem Augenblick heulte der Himmel über dem Haus auf. Es war ein Geräusch, als würden zwei Riesenhände einen zehntausend Kilometer langen schwarzen Leinwandstreifen entzweireißen. Montag war wie in zwei Hälften gespalten. Er fühlte, wie seine Brust zerbrach. Die Düsenbomber, die über ihn hinwegjagten, hinweg, hinweg, eins zwei, eins zwei, eins zwei, sechs, neun, zwölf, einer und noch einer und immer noch einer, nahmen ihm das Schreien ab. Er machte den Mund auf und ließ ihr Geheul herabkommen und zwischen seinen Zähnen heraus. Das Haus erbebte. Die Flamme in seiner Hand erlosch. Die Mondsteine verglommen. Wie ferngesteuert griff er zum Telefon.
Die Flugzeuge waren vorüber. Er fühlte seine Lippen sich bewegen, die Sprechmuschel des Hörers streifen. »Krankenhaus. Notfälle ...« Ein heiseres Raunen.
Ihm war, als wären die Sterne vom Heulen der schwarzen Düsenbomber zerrieben worden und als würde die Erde am Morgen mit ihrem Staub wie mit einem fremdartigen Schnee bedeckt sein. Das war sein idiotischer Gedanke, als er fröstelnd im Dunkel stand und seine Lippen reden ließ.
Sie hatten da dieses Gerät. Eigentlich zwei Geräte. Das eine kroch in den Magen hinunter wie eine schwarze Kobra, die in einem hallenden Brunnenschacht nach all dem sucht, was sich dort an alten Wassern und alter Zeit angesammelt hat. Es schluckte das grüne Zeug, das langsam emporgebrodelt kam. Schluckte es auch die Dunkelheit? Saugte es auch all das Gift auf, das sich im Laufe der Jahre dort angesetzt hatte? Lautlos pumpte es sich voll, gelegentlich mit einem Röcheln und blinden Her umtasten. Es hatte ein Auge. Wenn der Mann am Gerät sich einen besonderen Helm aufsetzte, konnte er dem Menschen, den er auspumpte, in die Seele blicken. Was sah das Auge? Er sagte es nicht. Er sah - aber nicht, was das Auge sah. Es war wie beim Ausheben eines Grabens im Garten. Die Frau auf dem Bett war nichts weiter als eine harte Gesteinsschicht, auf die man gestoßen war. Macht nichts, schieben wir das Ding runter, holen wir die Leere herauf, falls sich dergleichen mit der Schlange heraufpumpen lässt. Der Mann am Gerät stand da, eine Zigarette im Mundwinkel. Das andere Gerät war ebenfalls in Betrieb.
Ein ebenso gleichgültiger Kerl in einem immer gleich sauberen rostbraunen Overall bediente das andere Gerät. Es pumpte alles Blut aus dem Körper und ersetzte es mit frischem Blut und Serum.
»Man muss sie doppelt ausräumen«, erklärte der Mann am Bett. »Den Magen auspumpen hat keinen Zweck, wenn man nicht auch das Blut reinigt. Lässt man das Zeug im Blut, dann schlägt das Blut ins Gehirn wie ein Hammer, peng, ein paar tausend Mal, und das Gehirn gibt einfach auf, es macht nicht mehr mit.«
»Genug!«, rief Montag.
»Ich meine ja nur«, sagte der Mann.
»Sind Sie fertig?«, fragte Montag.
Sie stellten die Apparate ab. »Wir sind fertig.« Seine Verärgerung berührte sie überhaupt nicht. »Das macht fünfzig Dollar.«
»Warum sagen Sie mir erst mal nicht, ob sie durchkommt? «
»Natürlich kommt sie durch. Das üble Zeug haben wir alles hier in unserem Koffer, das kann ihr nichts mehr anhaben. Wie gesagt, man holt das Alte heraus und tut das Neue hinein, und alles ist wieder in Ordnung.«
»Keiner von Ihnen ist Arzt. Warum hat das Krankenhaus keinen Arzt geschickt?«
»Ach was!« Die Zigarette wippte auf den Lippen des Mannes. »Neun oder zehn solche Fälle kriegen wir jede Nacht. Als das vor ein paar Jahren anfing, haben wir die Spezialapparatur bauen lassen. Das Elektronenauge, das war natürlich neu, alles andere ist uralt. Da braucht man keinen Arzt dazu, zwei Sanitäter genügen, die schaffen's in einer halben Stunde. Also« - er wandte sich zum Gehen - »wir müssen los. Bekam soeben einen Anruf auf der guten alten Ohrkapsel. Zehn Häuser weiter. Schon wieder jemand, der sich an Pillen übernommen hat. Rufen Sie an, wenn Sie uns wieder mal brauchen. Und sorgen Sie für Ruhe. Wir haben ihr ein Kontrasedativ gegeben. Sie wird Hunger haben, wenn sie aufwacht. Wiedersehen.«
Und die Männer mit den Zigaretten zwischen den schmalen Lippen, die Männer mit den Augen von Puffottern luden sich Gerät und Schlauch auf, den Behälter mit der flüssigen Melancholie und dem namenlosen dunklen zähen Zeug, und schlenderten zur Tür hinaus.
Montag sank auf einen Stuhl und blickte die Frau an. Die Augen hatte sie jetzt geschlossen, und er streckte eine Hand aus, um die Wärme ihres Atems auf seiner Handfläche zu spüren.
»Mildred«, sagte er schließlich.
Es gibt zu viele Menschen, dachte er. Milliarden gibt es von uns, und das ist zu viel. Niemand kennt den anderen. Unbekannte kommen und vergewaltigen dich. Unbekannte
Copyright © 2010 dieser Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Ray Bradbury
Ray Bradbury wurde 1920 in Waukegan, Illinois geboren. 1934 zog seine Familie nach Los Angeles, und schon bald entdeckte er seine Leidenschaft für das Schreiben. Mit den Erzählungsbänden "Die Mars-Chroniken" (1950) und "Der illustrierte Mann" (1951), vor allem aber mit "Fahrenheit 451" (1953) wurde er weit über die Grenzen der Science-Fiction hinaus bekannt. In den folgenden Jahren schrieb er neben weiteren Erzählungen zahlreiche Kriminalromane, Essays und Drehbücher. Bradbury gilt heute als einer der bedeutendsten Vertreter der amerikanischen Gegenwartsliteratur. Er starb am 5. Juni 2012 in Los Angeles.
Bibliographische Angaben
- Autor: Ray Bradbury
- 2010, Neuveröffentlichung, 304 Seiten, Maße: 13,4 x 20,5 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Fritz Güttinger
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453527038
- ISBN-13: 9783453527034
- Erscheinungsdatum: 07.07.2010
Kommentar zu "Fahrenheit 451"
0 Gebrauchte Artikel zu „Fahrenheit 451“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Fahrenheit 451".
Kommentar verfassen