Faustus
Faustus von Kai Meyer
LESEPROBE
Kapitel1
Der Scheiterhaufen stand bereit, undbereit war auch Faustus. Der Strick, mit dem ihn der Henkersknecht an den Pfahlfesselte, war mit Wasser getränkt, damit er in der Hitze nicht nachgab.Faustus spürte, wie die Feuchtigkeit aus dem Hanf durch seine Kleidung drang.Angesichts der Umstände war ihm die kühle Nässe nicht unangenehm; nicht mehrlange, und sie würde samt seiner selbst zu Rauch verdampfen.
Der Pfahl ragte aus einem hölzernenPodest, das man in der Mitte des Platzes errichtet hatte. An die dreihundertMenschen hatten sich an jenem Pfingstmontag des Jahres 1515 vor demWittenberger Schloss versammelt, um der Hinrichtung beizuwohnen. Die Aufregungwar groß. Landsknechte hielten die Männer und Frauen im Zaum. Hier und daschlüpften Kinder zwischen den Beinen und Hellebarden der Soldaten hindurch undtanzten frech vor ihnen umher, bis einer sie einfing und zurück zu denfluchenden Eltern brachte. Händler boten getrocknetes Obst und süßes Backwerkfeil. Ein Wirt hatte ein Bierfass herangerollt; der Andrang übertraf seine Erwartungbei Weitem, und so schickte er seinen Knecht, ein zweites Fass zu holen.
Verbrennungen im Auftrag derHeiligen Inquisition waren keine Seltenheit, doch Faustus galt alsBerühmtheit, als Schwarzkünstler von Rang, und keiner wollte sein Ende missen.Nicht, weil man ihn derart verabscheute, keineswegs; die Menschen wären ingleicher Zahl herbeigeströmt, hätte Faustus ihnen eine Kostprobe seinerZauberkünste versprochen. Man wollte unterhalten werden, ganz gleich um welchenPreis. Ob durch falschen oder Feuerzauber war nicht wichtig. Allein dasSpektakel zählte. Die Menge war nicht wählerisch.
Freilich war die frohe Stimmungnicht allein der Ausdruck guter Laune. Vielmehr mochte manch einer fröhlicherscheinen, als ihm in Wahrheit zumute war. Wer Mitleid mit einem Häretikerzeigte, lief Gefahr, selbst als Nächster in den Flammen zu sterben. Der Pöbelwar durchsetzt von Spionen und Spitzeln. Die Ohren der Inquisition warenallgegenwärtig, und ihre Augen lauerten auf Zeichen des Verrats.
»Doktor Johannes Faustus«, rief eineStimme über den Schlossplatz hinweg, und schlagartig verstummte die Menge. DieAusgelassenheit wich angespannter Erwartung. Manch einer mochte frösteln,einem anderen das Herz ein wenig schneller schlagen. Die meisten aber harrtenstumm und ergeben des weiteren Geschehens.
Der Sprecher, ein großer, knöchernerMann in den schwarzen Gewändern der Inquisition, stand auf einem ähnlichen Podestwie Faustus selbst ihm gegenüber vor der Fassade des Schlosses. Statt mitReisigbündeln war seine Tribüne jedoch mit Seide geschmückt, statt eines Pfahlsstand obenauf ein gepolsterter Sessel. Konrad von Asendorf, Inquisitor im Auftragdes Heiligen Vaters, trat einen Schritt nach vorn bis an den Rand der Plattform.Dräuend stand er über den Köpfen des Volkes. Ein Windstoß bauschte seinenMantel auf, und so manchem entfuhr ein erschrockenes Keuchen. Es sah aus, alswolle sich der Inquisitor auf Rabenschwingen in die Luft erheben.
»Johannes Faustus«, wiederholteAsendorf mit schnarrender Stimme, »der du dich selbst den Quellbrunnder Nekromanten nennst, den Zweiten unter den Magiern, Astrologe, Chiromantund und « Er verstummte und blickte wütend nach hinten zu seinem Zwergendiener, der ihm wieselflink ein Papier überreichte.»Chiromant, Aeromant, Geomant,Pyromant und Hydromant«,las er ab und schleuderte das Papier dann über die Schulter nach hinten. »Du,Johannes Faustus, der du die Heilige Kirche lästerst, dich Schwarzer Magie bedienstund den Verkehr mit dem Bocksfüßigen pflegst « Er hielt inne und horchtezufrieden auf das erschrockene Raunen der Menge. »Du bist angeklagt, einKetzer zu sein und anders zu glauben und zu lehren als die römische Kirche. DasGericht der Heiligen Inquisition hat dich deshalb zum Tode auf demScheiterhaufen verurteilt. Nimmst du deine Strafe an?«
Hunderte Augenpaare schwenktenaufgeregt zu Faustus hinüber, der eng verschnürt dastand und seinen Blicknicht einen Moment von der schwarzen Gestalt seines Widersachers nahm. Seinschmales Gesicht verzog sich zu einem freundlichen Lächeln, doch seine Lippenblieben geschlossen.
Der Henkersknecht trat von hinten anihn heran und raunte ihm weithin hörbar zu: »Du musst antworten Ich danke derObrigkeit für diese Gnade.«
Faustus lächelte eine Spur breiter.
Der Henkersknecht grunzte zornig,zückte ein Messer und hielt es an die entblößte Kehle des Doktors. »Antworte,Ketzer!«
Faustus sagte kein Wort.
Der Knecht blickte hinüber zuAsendorf, der ihm mit einem Wink zu verstehen gab, er solle das Messer sinkenlassen. »Wir wissen seine Dankbarkeit zu schätzen«, sagte der Inquisitorgleichgültig. Dann rief er lauter: »Vollstreckt jetzt das Urteil!«
Der Henkersknecht sprang eilig vomScheiterhaufen, während sich gleichzeitig vier Fackelträger aus der Mengelösten und von allen Seiten auf das Podest zutraten. An den Ecken der Plattformangelangt, blieben sie stehen, hielten die Fackeln mit gestreckten Armen überihre Köpfe und drehten sich einmal um sich selbst. Die Zuschauer starrtengebannt auf die zuckenden Flammen. Das erwartungsvolle Raunen wurde lauter.
(Erlaubt mir, verehrter Leser, andieser Stelle eine kurze Unterbrechung im Ablauf der Ereignisse. Es gibt etwas,das Ihr über diesen besonderen Fall einer Ketzerverbrennung wissen solltet.Natürlich ist Euch klar, dass dies keine Hinrichtung wie jede andere war,einfach weil Faustus kein Mann wie jeder andere war. Für gewöhnlich vergingenzwischen Verhaftung des Delinquenten und der Vollstreckung seines Urteilsmindestens vier Wochen - manchmal gar mehrere Jahre. Während dieser Zeit wurdeer verhört, oftmals gefoltert und schließlich vor das hohe Gericht derInquisition gestellt. Währenddessen kündigten die Pfaffen den Gläubigen dasbevorstehende Schauspiel an, luden mit Nachdruck zur Teilnahme ein undversprachen jedem Zuschauer einen Ablass von zehn bis vierzig Tagen. Einen Tagvor der Hinrichtung schmückte man den Platz, wo der Scheiterhaufen errichtetwurde, mit Fahnen und Girlanden, stellte Blumen in die umliegenden Fenster undBalkone und erbaute eine standesgemäße Tribüne für hohe Gäste. Am Morgen desHinrichtungstages zog die Gemeinde in einer Prozession durch die Straßen, anihrer Spitze eine Kongregation des heiligen Petrus des Märtyrers, eineserschlagenen Hexenjägers aus Verona, den der Papst zum Schutzheiligen derInquisition erkoren hatte. Dumpfe Glockenschläge begleiteten das festliche Geschehen,die Verurteilten wurden rasiert und geschoren, in weiße Gewänder gekleidet undunter viel Brimborium auf den Scheiterhaufen geführt.
Im Falle des Doktor Faustus lagendie Dinge jedoch ein wenig anders. Das mochte teils daran liegen, dassWittenberg eine Kleinstadt war, zwar stolzer Sitz einer Universität, doch kleinund ländlich nichtsdestotrotz.
Wichtiger jedoch war das BestrebenKonrad von Asendorfs, sein Opfer so schnell wie möglich den Flammen zu überantworten,sodass zwischen Verhaftung und Urteilsvollstreckung kaum ein ganzer Tagverstrich. Es hatte kein echtes Verhör gegeben, keine Folter und keineVerhandlung. Asendorf hatte sein Urteil gesprochen, und in der gleichen Stundewurden die Flammen geschürt.
Ihr müsst wissen, Faustus undAsendorf kannten einander schon lange. Der Inquisitor jagte den Schwarzkünstlerseit Jahren durchs ganze Land, von einer Grenze des Heiligen Römischen Reichszur anderen. Es würde an dieser Stelle zu weit führen, Euch die Hintergründedieser persönlichen Feindschaft zu schildern - doch verzagt nicht, Ihr werdetspäter davon hören. Vorerst soll die Feststellung genügen, dass der Inquisitorden Faustus zu seiner Nemesis erkoren hatte, seinem Erzfeind, den es um jedenPreis zu vernichten galt. So also kam es, dass die Hinrichtung an jenemPfingstmontag mit erstaunlich niedrigem Aufwand, ohne prächtigen Blumenschmuckund Prozession vonstatten ging. Selbst der übliche Gottesdienst vorVollstreckung des Urteils hatte sich auf wenige Gebete und ein verkürztes Kyrieeleison beschränkt.
Doch hört nun, wie es weiterging:)
Während die Fackelträger noch miterhobenen Armen rund um den Scheiterhaufen Aufstellung bezogen, winkte einGeistlicher einige Kinder herbei. Es waren drei Jungen und drei Mädchen, undalle trugen festliche Gewänder mit aufgesticktenKreuzen. In ihren Händen hielten sie schwere Bücher. Mochte der Teufel wissen,wo der Pfaffe sie aufgetrieben hatte, denn es handelte sich um Exemplare desTalmuds und Korans, um Werke der Katharer, Manichäer und Nestorianer.
Ehrenvolle Aufgabe der Kinder wares, die ketzerischen Schriften später in die Flammen zu werfen. Der Pfaffe, derdie Darbietung offenbar als überraschende Gefälligkeit für den Inquisitorgeplant hatte, versicherte sich mit einem Seitenblick der Gunst Asendorfs. DerHexenjäger lächelte erfreut und schenkte dem Priester ein huldvolles Nicken.
Der Henkersknecht gab seinen Männernein Zeichen. Alle vier senkten die Fackeln.
Ein gellender Schrei zerriss dieStille.
»Die Pest!«,kreischte eineStimme. »Die Pest ist da!«
Das erste Reisigbündel fingknisternd Feuer.
Aller Augen rasten herum. DieMenschenmenge geriet in Bewegung. Selbst Asendorf nahm den Blick vomScheiterhaufen seines Gegners und blickte zur Quelle des Aufruhrs.
Durch das Stadttor an der Westseitedes Schlossplatzes kamen zwei Wachleute herbeigestürmt.
© Lübbe Verlag
- Autor: Kai Meyer
- 2007, 700 Seiten, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404156331
- ISBN-13: 9783404156337
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