Feuerspringer
Doch in diesem Jahr wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt:
Ed wird von seiner Freundin Julia begleitet -...
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Doch in diesem Jahr wird ihre Freundschaft auf eine harte Probe gestellt:
Ed wird von seiner Freundin Julia begleitet - und Connor verliebt sich unsterblich in die junge Frau.
Feuerspringer von Nicholas Evans
LESEPROBE
Die wichtigen Dinge im Leben geschehen immer zufällig. Mitfünfzehn wusste sie wenig, und über das meiste war sie sich von Jahr zu Jahrweniger im Klaren. Doch in einem war sie sich sicher: Man konnte sich abmühen,ein besserer Mensch zu werden, Ewigkeiten darüber nachgrübeln, wie mananständig und ehrlich lebte, sich etwas vornehmen, jede Nacht neben dem Bettknien und Gott versprechen, dass man sich daran halten würde; ja man konntesogar zur Kirche gehen und ein richtiges Gelübde ablegen. Man konnte sichsiebenmal mit geschlossenen Augen bekreuzigen, sich den Daumen anritzen und mitdem eigenen Blut einen heiligen Schwur auf einen Stein schreiben, den manSchlag Mitternacht in den Fluss warf. Und dann brach wie ein Falke, der aus demDunkel auf eine Ratte herabstößt, irgendeine Katastrophe über einen herein, diedas Leben für immer veränderte und auf den Kopf stellte.
Später dachte Skye, dass der alte Falke an jenem Abend schon auf dem Dachgehockt und den richtigen Augenblick abgewartet haben musste, während er zusah,wie die Ratte sich noch ein wenig amüsierte, denn eigentlich hatte alles ganzunspektakulär damit begonnen, dass diese beiden Frauen in die Bar geschlendertkamen.
Sie wusste nicht, wer sie waren, aber was sie waren, war für jeden deutlichsichtbar. Sie trugen mehr Make-up als Kleidung, und die Art, wie sie auf ihrenhohen Absätzen schwankten, ließ ahnen, dass beide schon beschwipst waren. Sietrugen enge, knappe Tops, das eine rot, das andere silbern mit Fransen. Die schwarzhaarigeFrau, die ihre Brüste präsentierte wie Melonen auf einem Regal, ging voran. Siehatte einen derart kurzen Rock an, dass sie sich den auch gleich hätte sparenkönnen. Sie machte im Gehen ein paar Tanzschritte zu der dröhnend lauten Musikund wäre beinahe hingefallen.
Die beiden Männer in ihrer Begleitung folgten dicht hinter ihnen und schobendie Frauen durch die Menge. Beide trugen Cowboyhüte, sodass Skye ihre Gesichternicht sehen konnte. Es interessierte sie auch nicht. Sie war selbst ziemlich betrunken.In der Bar brannten nur noch einige rote Lampen, und durch die dichtenRauchschwaden erkannte sie lediglich ein paar Mittvierziger, die ihrer Jugendnachjagten und garantiert ihre Frauen betrogen. Skye wandte den Blick ab, nahmeinen Schluck von ihrem Bier und zündete sich noch eine Zigarette an.
Sie beobachtete die vier vor allem deshalb, weil sie sich langweilte, wasirgendwie traurig war, da sie heute Geburtstag hatte. Jed und Calvin saßenbekifft und stumm auf ihren Plätzen. Roxy hatte immer noch das Gesicht in denHänden vergraben und weinte wegen irgendetwas, das Craig zu ihr gesagt hatte,der seinerseits ununterbrochen darüber fluchte, dass sein Schrotthaufen voneinem Auto liegen geblieben war. Wieder ein toller Abend in Fun-City, dachte Skyeund genehmigte sich noch einen Schluck Bier. Happy Birthday!
Die Bar war ein gottverlassenes Loch, das so dicht an der Bahnstrecke lag, dassdie Flaschen schwankten und klirrten, wenn ein Zug vorbeifuhr. Aus naheliegenden Gründen machten die Bullen einen Bogen um den Laden, und solange mannicht noch Windeln trug, drückte das Personal beim Alkoholausschank anMinderjährige beide Augen zu. Deshalb war ein Großteil der Kundschaft etwa inSkyes Alter. Jedenfalls sehr viel jünger, als die vier, die gerade hereingekommenwaren und jetzt am Tresen darauf warteten, bedient zu werden. Sie standen mitdem Rücken zu Skye, die sich erneut dabei ertappte, wie sie zu ihnenhinüberstarrte.
Sie beobachtete, wie die Hände des großen Mannes über die Hüften der Schwarzhaarigenauf ihren Hintern glitten und dann den Rücken hinauf zu ihren nackten Schulternwanderten, während er sich vorbeugte und mit den Lippen ihren Hals berührte.Mein Gott, er leckte sie ab. Manche Typen waren echt eklig. Und was war mit denFrauen? Wie konnten sie es ertragen, sich von solchen Idioten besabbern zulassen? Sex und alles, was damit zusammenhing, war etwas, was Skye nach wie vornicht begriff und wahrscheinlich nie begreifen würde. Klar tat sie es. Jedertat es. Aber sie konnte noch immer nicht verstehen, warum alle so einRiesentheater darum machten.
Der Mann musste der Frau etwas Schmutziges ins Ohr geflüstert haben, denn siewarf den Kopf in den Nacken, lachte und versuchte kokett, ihm eine Ohrfeige zuverpassen. Der Mann lachte ebenfalls und wich dem Schlag aus. Dabei fiel seinHut zu Boden, und Skye konnte zum ersten Mal sein Gesicht sehen.
Es war ihr Stiefvater.
In der kurzen Zeit, bevor sich ihre Blicke trafen, bemerkte sie einen Ausdruckin seinem Gesicht, den sie noch nie zuvor gesehen hatte, beinahe jungenhaft,gelöst, fröhlich und seltsam zart. Dann entdeckte er sie, und der Junge in ihmverschwand ebenso schnell, wie er aufgetaucht war. Seine Miene verfinstertesich, und seine Züge wurden hart, bis es wieder das Gesicht war, das siekannte, fürchtete und verachtete, das Gesicht, das sie sah, wenn er spätnachtsbetrunken und wütend zurück in ihren Wohnwagen in dem Trailer-Park kam, ihreMutter eine Indianerschlampe schimpfte und sie schlug, bis sie um Gnadewinselte, und sich dann Skye zuwandte.
Er richtete sich auf, legte seinen Hut auf den Tresen und sagte etwas zu derFrau, die sich umdrehte und Skye mit einem ebenso gleichgültigen wieverächtlichen Blick musterte. Dann setzte er sich in ihre Richtung in Bewegung.Skye drückte ihre Zigarette aus und hoffte, dass er die Kippe nicht bemerkthatte.
»Lass uns abhauen«, sagte sie leise.
Doch sie saß in ihrer Ecke fest. Auf der einen Seite schluchzte Roxy an CraigsSchulter und beachtete sie gar nicht, auf der anderen dämmerten Calvin und Jedweiter apathisch vor sich hin. Ihr Stiefvater kam an ihren Tisch undregistrierte die Indizien: Bierflaschen, randvolle Aschenbecher und die beidenzugedröhnten Penner, mit denen sie sich abgab.
»Was zum Teufel machst du hier?«
»Komm schon, ich hab heute Geburtstag.« Es war armselig, aber einen Versuchwert. Sie überlegte sogar, ihn »Dad« zu nennen, wie sie es für kurze Zeit nachder Heirat mit ihrer Mutter getan hatte, bevor offenbar wurde, was für eingemeines, widerwärtiges Schwein er in Wirklichkeit war. Doch sie brachte dasWort nicht über die Lippen.
»Komm mir nicht mit dem Quatsch. Du bist erst fünfzehn! Was glaubst du, wo duhier bist?«
»Ach, was soll's, Mann. Wir haben doch bloß ein bisschen Spaß.« Es war Jed, derwieder zu sich gekommen war. Skyes Stiefvater beugte sich vor, packte ihn amKragen und zerrte ihn über den Tisch.
»Du wagst es, so mit mir zu reden, du mieses Stück Scheiße?«
Unter Jeds Gewicht kippte der Tisch zur Seite, sodass alles in einer Lawine ausklirrendem Glas zu Boden fiel. Craig war aufgesprungen und versuchte, SkyesStiefvater am Arm zu packen, doch der fuhr herum und schlug ihm mit der freienHand frontal ins Gesicht. Roxy kreischte.
»Hör auf!«, brüllte Skye. »Hör auf, um Himmels willen!«
Sie bemerkte nicht, dass sämtliche Gäste der Bar sie anstarrten. Ein Kellnerund der Mann, mit dem ihr Stiefvater gekommen war, eilten an ihren Tisch.
»Hey, Leute, ganz cool, ja?«, sagte der Kellner.
Skyes Stiefvater stieß Jed so heftig auf seinen Stuhl zurück, dass er mit demKopf gegen die Wand krachte. Craig kniete, aus dem Mund blutend, am Boden. Roxybeugte sich schluchzend über ihn und versuchte, ihm zu helfen. Skyes Stiefvateratmete schwer, er hatte die Augen zusammengekniffen und sah den Kellner finsteran.
»Haben Sie diesen Kids Alkohol verkauft?«
Der Kellner hob beide Hände. »Bitte, Sir, wir wollen uns doch erst malberuhigen.«
Er war ein schmächtiger Typ mit Pferdeschwanz, einen Kopf kleiner als SkyesStiefvater.
»Haben Sie ihnen Alkohol verkauft? Ja oder nein?«
»Sie haben gesagt, sie wären einundzwanzig.«
»Und das haben Sie geglaubt? Haben Sie sie nach ihrem Ausweis gefragt?«
»Sir, könnten wir das vielleicht -«
»Ja oder nein?«
Skye stand auf und drängte sich an den anderen vorbei.
»Wir gehen, okay? Wir gehen ja schon!«
Ihr Stiefvater fuhr herum und holte zum Schlag aus, und obwohl all ihreInstinkte ihr rieten, in Deckung zu gehen, rührte sie sich nicht von der Stelleund sah ihn wütend an. Sie konnte sein penetrantes Rasierwasser riechen, das soüble Erinnerungen in ihr wachrief, dass sie beinahe würgen musste.
»Wag es ja nicht, mich anzurühren.«
Es war kaum mehr als ein Flüstern, doch er erstarrte; vielleicht waren es auchall die auf ihn gerichteten Blicke, er ließ jedenfalls die Hand sinken.
»Komm du mir erst mal nach Hause, du kleine Indianernutte. Wir sprechen unsspäter.«
»Die einzigen Nutten hier sind die beiden, mit denen du reingekommen bist.«
Er wollte sich auf sie stürzen, doch sie entwischte ihm und stürmte zur Tür.Als sie sich umdrehte, sah sie, wie sein Freund und der Kellner ihrenStiefvater an den Armen festhielten, um ihn daran zu hindern, ihr nachzulaufen.Sie stürzte hinaus in die Dunkelheit und rannte los.
Die Luft war immer noch warm und drückend. Sie spürte die Tränen auf ihrenWangen und ärgerte sich, dass das Schwein sie zum Weinen gebracht hatte. EinGüterzug fuhr vorbei, und sie lief eine Weile neben ihm her. Der Zug schiennicht enden zu wollen, und wäre er nicht so schnell gewesen, Skye wäre einfachaufgesprungen und hätte sich forttragen lassen.
Sie rannte und rannte, wie sie es immer tat. Wohin war egal, weil es nirgendwoschlimmer sein konnte als hier. Zum ersten Mal war sie mit fünf weggelaufen undhatte es seither wieder und wieder versucht. Sie hatte jedes Mal Ärgerbekommen, aber mit Ärger war sie vertraut.
Jetzt rannte sie wieder, bis ihre Lunge brannte. Als sie, die Hände auf dieKnie gestützt, keuchend stehen blieb, fuhr der letzte Wagon des Zugs an ihrvorüber. Sie blickte seinen Rücklichtern nach, die immer kleiner wurden, bisdie Dunkelheit sie verschluckt hatte. Irgendwo bellte ein Hund, ein Mannbrüllte, er solle aufhören, doch der Hund gehorchte nicht.
»Mach dir nichts draus. Dann nimmst du eben den nächsten.«
Die Stimme ließ sie zusammenfahren. Es war ein Mann ganz in der Nähe. Skye sahsich in der Dunkelheit um. Offenbar war sie auf dem Hof eines verlassenenHolzlagers gelandet. Sie konnte ihn nirgends entdecken.
»Hier drüben.«
Er saß an einen von Unkraut überwucherten Stapel verrottender Zaunpfählegelehnt auf dem Boden, als wäre er geradewegs der Erde entstiegen, so lang undverfilzt sahen Haar und Bart aus. Er war weiß, ein wenig älter als Skye undtrug eine zerfetzte Jeans und ein T-Shirt mit einem aufgedruckten chinesischenDrachen. Neben ihm auf dem Boden lag ein von Staub bedeckter Seesack. Der Jungewar damit beschäftigt, sich einen Joint zu drehen.
»Warum weinst du?«
»Ich weine nicht. Und was geht dich das überhaupt an?«
Er zuckte die Achseln. Eine Zeit lang schwiegen beide. Skye wandte sich ab undversuchte, sich unbemerkt die Wange abzuwischen. Sie wusste, dass es besser warzu verschwinden. Bei den Gleisen hingen alle möglichen Freaks und Verrücktenrum. Doch eine Sehnsucht nach Trost oder Gesellschaft ließ sie bleiben. Sie sahihn erneut an. Er leckte das Zigarettenpapier ab, klebte den Joint zu, zündeteihn an und nahm einen tiefen Zug, bevor er ihn ihr reichte.
»Hier.«
»Ich nehme keine Drogen.«
»Klar.«
Das Auto, das sie stahlen, gehörte anscheinend einer Familie mit kleinenKindern, denn auf der Rückbank befanden sich zwei Kindersitze, und der Bodenwar mit Spielzeug, Bilderbüchern und Bonbonpapier übersät. Der Junge wussteoffenbar, was er tat, denn er brauchte nur ein paar Minuten, um das Türschlosszu knacken und den Motor zu starten. Nach ein paar Meilen hielten sie an, um dieNummernschilder gegen die eines anderen Autos auszutauschen.
Er sagte, sein Name sei Sean, und sie nannte ihm den ihren, und das war alles,was sie voneinander wussten; das und vielleicht ein gemeinsames Gefühl derVerletzung und Sehnsucht, das nicht ausgesprochen werden musste. Sonst schiennichts wichtig, nicht, wohin sie fuhren, und auch nicht, warum.
Er lenkte den Wagen nach Norden bis zur Interstate und dann an einem Flussentlang weiter nach Westen, während sich hinter ihnen langsam die Morgendämmerungüber die endlose Prärie breitete. Lange Zeit schwiegen sie. Skye drehte sich umund wartete, dass die Sonne aufging. Als sie sich endlich am Horizont zeigte,tauchte sie das Land in ein tiefes Rot, Violett und Gold, und die Sträucher,Felsen und Tierherden, die am Flussufer grasten, warfen lange Schatten. Skyedachte, dass sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas so Schönes gesehen hatte.
Auf dem Boden fand sie ein Bilderbuch, an das sie sich aus der Grundschuleerinnerte. Es handelte von einem kleinen Jungen namens Bernard, dessen Elternihn nie beachten. Eines Tages taucht im Garten ein Monster auf, und Bernardrennt ins Haus, um es seinen Eltern zu erzählen, doch sie hören ihm gar nichtzu. Das Monster kommt herein, frisst Bernard und knurrt dann die Eltern an, diejedoch denken, dass es nur Bernard ist, der Unsinn macht, und deshalb nichtreagieren. Und weil sie keine Angst haben, verliert das Monster seinen Mut.Skye blätterte zu der letzten Seite, die sie immer ganz traurig gemacht hatte.Das arme alte Monster ist ins Bett geschickt worden, wo es ganz allein undverloren hockt und sich vorkommt wie ein totaler Versager.
Sie fuhren zum Tanken von der Interstate ab. In einem Diner, der geradeaufgemacht hatte, holten sie sich Kaffee und Muffins und setzten sich an einenTisch am Fenster, während eine Frau um sie herum den Boden wischte. Beim Essenfragte er sie nach ihrem Alter. Sie log und behauptete, siebzehn zu sein. Siesagte, sie wäre in South Dakota geboren und mütterlicherseits halb Oglala-Sioux.Das fand er cool, doch sie winkte ab und erklärte, dass sie nichts über dasVolk und seine Geschichte wüsste, außer, dass sie voller Leid und Not war,wovon sie auch so schon genug hätte.
Er erzählte ihr, dass er aus Detroit stammte und seine Eltern und sein ältererBruder im Knast saßen. Weswegen, sagte er nicht, und Skye fragte ihn auch nichtdanach. Mit vierzehn war er aufgebrochen und drei Jahre lang herumgereist. Ersei in Mexiko, Nicaragua und El Salvador gewesen und habe Dinge gesehen, die ersich nie hätte träumen lassen.
»Was denn zum Beispiel?«
»Magie. Schamanen. Menschen, die durch Feuer gehen, ohne dass es die kleinsteSpur hinterlässt. Menschen, die auf Grund eines bösen Fluchs sterben. Und ichhabe gesehen, wie eine tote Frau zum Leben erweckt worden ist.«
Doch mehr wollte er ihr darüber nicht erzählen. Sie fragte ihn, was ihn nachMontana verschlagen hatte, und er sagte, er wollte einen wilden Grizzly sehen.In Mexiko hätte er gelernt, dass es sein spirituelles Tier wäre und er in einemanderen Leben selbst ein Graubär gewesen sei. Sie lachte, weil der schlaksigeJunge einem Bären denkbar unähnlich sah. Ein Insekt vielleicht oder eineGiraffe, aber ein Grizzlybär? Nie und nimmer. Er wirkte verletzt und wurdewortkarg, bis sie sich entschuldigte und ihn, ein Grinsen unterdrückend,fragte, wie er seinen Grizzly denn finden wollte. Er gab zu, dass das nichtleicht werden würde. Als Erstes hatte er vor, zum Glacier Park zu fahren, derangeblich ein guter Ausgangspunkt für seine Bärensuche war.
Skye nickte bemüht ernst.
»Klar«, sagte sie.
»Hast du eine bessere Idee?«
Ihr fielen etwa hundert ein.
»Was auch immer«, meinte sie. »Mir ist das scheißegal.«
Sie fuhren den ganzen Tag weiter, während die Sonne über sie hinwegwanderte,gleich ihnen unterwegs zu den schneebedeckten Bergen, die sich höher und höhervor ihnen erhoben. Am Nachmittag wurde es so heiß, dass sie von der Interstateabfuhren und über schmale gewundene Straßen einen von Insekten summenden Walddurchquerten. Sie fanden einen Bach mit einem kleinen Becken voller Strudel.Ganz ungeniert schwammen sie nackt in dem kalten klaren Wasser und legten sichdann zum Trocknen in die Sonne auf eine Wiese mit wilden Blumen und buntenSchmetterlingen. Er sagte, sie sähe schön aus, und sie dachte, dass er sievielleicht anfassen wollte, ein bisschen wünschte sie es sich sogar, doch erstarrte nur in den Himmel, rauchte einen Joint und schien kaum zu bemerken,dass sie da war.
Als sie wieder auf die Interstate einbogen, ballten sich im Westen dicke, graueGewitterwolken zusammen, die von der verdeckten Sonne mit feinen, blassen,metallisch schimmernden Rissen durchzogen wurden, während aus ihrenaufgewühlten Bäuchen Blitze zuckten.
Sie sah den Streifenwagen zuerst. Aus irgendeinem Grund drehte sie sich im selbenMoment um, als der Polizist sein blau und rot flackerndes Licht einschaltete.Sean blickte in den Rückspiegel und schwieg. Er wirkte weder ängstlich nochbesorgt, sondern nur bekifft. Er bremste und fuhr an den Straßenrand. DasPolizeiauto hielt hinter ihm. Der Polizist blieb eine Weile im Wagen sitzen,wahrscheinlich um per Funk ihr Nummernschild überprüfen zu lassen.
»Was sollen wir sagen?«
© Goldmann Verlag
Übersetzung: Kristian Lutze
Autoren-Porträtvon Nicholas Evans
Nicholas Evans, geboren 1950, studierte zunächst Jura undbegann dann Drehbücher zu schreiben. Sein erster Roman "DerPferdeflüsterer" machte ihn weltberühmt. Auch sein zweiter Roman "ImKreis des Wolfs" eroberte die internationalen Bestsellerlisten. NicholasEvans lebt in England und Amerika.
Interview mit Nicholas Evans
Herr Evans, Sie gelten seit dem internationalen Durchbruch1995 mit Ihrem Roman "Der Pferdeflüsterer", der 21 Wochen auf derBestsellerliste der "New York Times" stand, als Meister der ganz großenGefühle. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsgeheimnis?
Ein Meister der großen Gefühle? Nun, vielen Dank. Aber ichbin mir nicht sicher, ob es wirklich so ist. Ich denke, dass einigeSchriftstellerkollegen, und damit meine ich jetzt nur die Männer, Angst davorhaben, als sentimental abgestempelt zu werden, wenn sie über Gefühle schreiben.Kalt ist immer einfacher als heiß. Mich interessiert einfach sehr, wie Menschensich zueinander verhalten, und warum wir immer diejenigen verletzen, die wir ammeisten lieben. Ich versuche, ehrlich über diese Dinge zu schreiben. Es gibtkein Rezept. Ich finde eine Geschichte, die mich bewegt, und versuche, sie ausdem Herzen heraus aufzuschreiben. Es gibt keine wirklich "schlechten" Figurenin meinen Büchern. Das liegt an meiner grundsätzlichen Überzeugung, dassMenschen im Wesentlichen gut sind. Und wenn sie dann doch schlecht handeln, istes im Allgemeinen das Ergebnis von Angst und Ignoranz, die sich dann schnell inHass und Gewalt umwandeln können. Ohne Liebe und Verstehen geht der Kreislaufweiter. Das Opfer wird zum Täter.
In Ihrem Buch "Feuerspringer" schreiben Sie über Männer, diesich aus Flugzeugen mit Fallschirmen in den Herd eines Brandes begeben, umlöschen zu können. Was fasziniert Sie besonders an diesem lebensgefährlichen Beruf?Wäre das auch ein Job für Sie?
Als ich für "Der Kreisdes Wolfs" recherchierte, sah ich ein Straßenschild auf dem einfachSMOKEJUMPERS (engl.: Feuerspringer) stand. Ich war davon so fasziniert, dassich fast gegen einen Polizeiwagen fuhr. Später informierte ich mich, was einFeuerspringer ist, und was er tut. Ich machte damals gerade eine schwere Zeitdurch. Eine langjährige Ehe ging zu Ende, es war alles sehr schmerzvoll. Das,was mich wieder am meisten fesselte, war die Metapher: Du springst in das Feuer,um das zu erreichen, was dein Herz sich wünscht. Wissend, dass du dabeiVerbrennungen abbekommen wirst oder sogar sterben kannst. Es ist die Geschichtevon drei guten Menschen: einer Frau und zwei Männern, die sie beide aufunterschiedliche Weise liebt. Sie handelt von Ehre und von einer Wahl.
Und nein, Feuerspringerist kein Job für mich. Ich wollte es einmal ausprobieren, abervernünftigerweise ließ man mich nicht aus dem Flugzeug springen.
Sie sagten, dass Sie in Ihren Romanen vor allem überMenschen schreiben und wie sie mit der Natur umgehen. Warum ist die Verbindungzwischen Mensch und Natur so wichtig für Sie?
Meiner Meinung nach istder Menschheit kaum etwas Schlimmeres widerfahren als die Trennung von derNatur. Wir haben uns zu sehr auf die Entwicklung unserer Intelligenzkonzentriert - und das ging leider auf Kosten unserer instinktiven, unserer"animalischen" Seite. Wir denken, wir sind so verdammt clever, aber in Wahrheitsind wir dümmer als die meisten anderen Tiere. Die wissen nämlich, wie man inHarmonie mit sich und der Natur lebt. Wir haben viele Sinne verloren. Sie sindeinfach verkümmert, weil wir uns mehr auf unsere Intelligenz verlassen haben.Das ist auch das Thema meines zweiten Romans "Im Kreis des Wolfs". Dieamerikanischen Indianer wussten, dass wir Teil des Kreislaufs des Lebens sind,nicht wichtiger als die Berge und Wälder und Flüsse und alle anderen Kreaturen.Der zivilisierte Mensch ist aus dem "Kreis des Wolfs" herausgetreten, und dasErgebnis ist, dass wir den Planeten zerstören.
In Ihrem Debüt "Der Pferdeflüsterer" hat - wie in vielenIhrer Werke - auch ein Tier eine tragende Rolle. Haben Sie eine besondereBeziehung zu Tieren?
Weil Tiere in meinenersten beiden Romanen eine Rolle spielen, bezeichnen mich einige Menschengleich als den Tier-Autor. Das stimmt aber nicht! Keines meiner Bücher handeltvon Tieren, allenfalls von menschlichen Tieren - also von uns. Das Pferd in"Der Pferdeflüsterer" und die Wölfe in "Im Kreis des Wolfs" waren zwar Teil derGeschichte, dienten aber vor allem als Metapher. Pilgrim war diePersonifizierung eines Zustandes, den viele Menschen kennen - er war inschlechter Verfassung und voller Angst. Verletzt und betrübt und ohne Hoffnungspiegelte er genau das wider, was mit Annie geschah. Ich liebe Tiere wirklichsehr, und ich kam immer gut mit ihnen zurecht. Es scheint, als könnten wir unssehr gut miteinander verständigen.
Wie fanden Sie die Adaption Ihres Buches "DerPferdeflüsterer" von und mit Robert Redford? Ist sie Ihrem literarischen Werkgerecht geworden?
Der Film warwundervoll. Die Pferde-Szenen fand ich phänomenal, und die schauspielerischeLeistung einfach ausgezeichnet - besonders Scarlett und Kristin. Aber ich denkenicht, dass Robert Redford die zweite Hälfte meines Buches wirklich verstandenhat, besonders das mythische Ende. Sein Ende wirkt so unglücklich und traurig.Diese beiden Menschen werden für immer Gefangene ihrer Liebe sein. Obwohl dasEnde auch im Roman tragisch ist, wirkt es doch hoffnungsvoll. Der Mythos hatseine eigenen Regeln, und eine von ihnen ist, dass der Engel (in diesem FallTom Booker) gehen muss, wenn seine Mission beendet ist. Er kann nicht bei denSterblichen bleiben. Nur wenn er geht, lässt er ihnen die Freiheit.
Ein Charakteristikum Ihrer Romane sind die romantischen undzugleich tragischen Liebesgeschichten, die dann doch noch ein Happyend haben.In "Der Pferdeflüsterer" und auch in "Feuerspringer" muss sich eine Frauzwischen ihrem langjährigen Partner und einem Liebhaber entscheiden. Wohernehmen Sie die Ideen für diese emotionsgeladene Mischung, und warum ist Ihnenein gutes Ende so wichtig?
Solche Entscheidungenhaben mich schon immer fasziniert. Wir alle müssen sie in unserem eigenem Lebentreffen. Es gibt verschiedene Arten von Liebe. Und eine unserer schwerstenAufgaben ist, diese voneinander zu unterscheiden. Zu wissen, welche unsglücklich macht. Kann man zu viel lieben? Leidenschaft, Freundschaft, die Liebezu den eigenen Kindern - das alles sind starke aber verschiedene Arten vonLiebe. In unterschiedlichen Phasen unseres Lebens haben wir mehr Kraft für dieeine oder mehr Sehnsucht nach der anderen; das variiert. Mit der Liebe kommtnatürlich auch der Schmerz, und ich interessiere mich sehr für seine verschiedenenAbstufungen; insbesondere für die Schuld. Was mich wirklich am meistenfasziniert, ist, wie Männer und Frauen, diese völlig verschiedenen Wesen,versuchen miteinander zu leben und sich zu verstehen.
Was das Ende angeht, nun ja. Ein Happyend ist natürlich sehrkraftvoll. Es ist das letzte Geschenk an den Leser, der zurückbleibendeEindruck. Aber ich würde nicht sagen, dass ich nur Happyends schreibe.Bittersüße Schlüsse, vielleicht. In "Der Pferdeflüster" gibt es einentragischen Schluss, aber er lässt Raum für Hoffnung. "Der Kreis des Wolfs" hateinen Höhepunkt voller Gewalt, und der Leser muss seine eigeneVorstellungskraft bemühen, um sich die Zukunft der Hauptfiguren auszumalen. DasEnde des Buches lässt sich sowohl literarisch wie auch metaphorisch als Beginneiner Reise verstehen.
Der letzte Satz im Roman "Feuerspringer" lautet: "Die wichtigenDinge im Leben geschehen nie zufällig." Erklären Sie uns bitte, was Sie mitdiesem Satz meinen?
Der Satz deutet aufeines der Themen dieses Buches hin und bezieht sich auf den Anfang. Er bildetsozusagen das Echo des Anfangssatzes. Es geht um die ewige Frage nach Zufallund Vorherbestimmung. Können wir die Dinge beeinflussen, oder ist unserSchicksal vorherbestimmt? Oder ist das Leben nur eine große Aneinanderreihungvon Zufällen? Wenn Sie die Antwort wissen, sagen Sie es mir bitte.
Die Fragen stellteRoland Große Holtforth, literaturtest.de.
- Autor: Nicholas Evans
- 2004, 476 Seiten, Maße: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Kristian Lutze
- Verlag: Arkana
- ISBN-10: 3442458242
- ISBN-13: 9783442458240
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