Für jede Lösung ein Problem
Für jede Lösung ein Problem von Kerstin Gier
LESEPROBE
Eins
»Gib mir bitte mal die kleine Wunderschüsselaus dem Schrank, Lu... Ti...Ri«, sagte meine Mutter. Vom Mittagessen waren eineKartoffel, eine hauchdünne Scheibe Braten und ein Esslöffel Rotkohl übrig geblieben,zu schade zum Wegwerfen, wie meine Mutter fand. »Genau die richtige Portion füreinen allein«, sagte sie.
Ich heiße natürlich nicht Lutiri.
Ich habe noch drei ältere Schwestern,und meine Mutter hatte schon immer ein Problem, unsere Namen auf Anhieb richtigzuzuordnen. Wir heißen Tine, Lulu, Rika und Gerri, aber meine Mutter nannteuns eben Lutiri, Geluti, Riluge und so weiter, da gibt es mathematisch ja unendlicheMöglichkeiten, auch im viersilbigen Bereich. Ich bin Gerri, die Jüngste. Unddie Einzige, die allein lebte und von der daher erwartet wurde, von einer winzigenKartoffel, einer mickrigen Scheibe Fleisch und einem Löffelchen Rotkohl satt zuwerden. Als ob man als Single automatisch weniger Appetit hätte.
»Das ist nicht die Wunderschüssel,das ist Flexi -Twin«, sagte meine Mutter. Ich stellte die Plastikschüssel zurückin den Schrank und reichte ihr eine andere.
Um keine unnötige Aufmerksamkeit zuerregen, war ich zum sonntäglichen Mittagessen bei meinen Eltern erschienen.Mein Plan war je doch, dass dies die letzte gemeinsame Mahlzeit sein sollte.
»Das ist Prima Klima FrischeKick eins Komma sechs«, sagte meine Mutter und sah mich genervt an. »Viel zugroß. Jetzt stell dich doch nicht dümmer an, als du bist.«
Und die nächste bitte.
Meine Mutter seufzte. »Das ist Clarissa,aber die tut es auch, gib schon her.«
Es war schon komisch, dass meine Mutterihre Kinder nicht beim richtigen Namen nennen konnte, aber bei Tupperschüsselnso überhaupt kein Problem damit hatte. Mal ganz abgesehen davon, dass ich viel,viel lieber Clarissa geheißen hätte als Gerda. Aber so ist das: Nichtnur nahe zu alle anderen Menschen, nein, auch die Haushaltsgeräte hatten schönereNamen als ich.
Meine Schwestern allerdings warenmit ähnlich unattraktiven Namen behaftet wie ich. Das lag daran, dass wir alleJungs hatten werden sollen: Tine ein Martin, Rika ein Erik, Lulu ein Ludwig undich ein Gerd. Der Einfachheit halber hatten meine Eltern nach der Geburt immernur ein A hinten an den Jungennamen gehängt.
Tine hatte noch am wenigsten überihren Namen zu meckern, sie bemängelte nur, dass »Martina« so häufig vorkäme.Zu allem Überfluss hatte sie einen Mann namens Frank Meier geheiratet, derebenfalls mit der Häufigkeit seines Namens unzufrieden war. Die Kinder der beidenhatten daher Namen, die sonst niemand hatte (und wohl auch nicht haben wollte,wenn Sie mich fragen). Sie hießen Chisola, Arsenius und Habakuk.
Chisola, Arsenius und Habakuk Meier.
Chisola war zwölf und sprach nichtviel, was Tine auf Chisolas Zahnspange, ich aber auf Chisolas vier Jahrejüngere Brüder schob. Die beiden waren Zwillinge und machten ununterbrochenKrach und Dreck.
So wie vorhin beim Essen.
Ich hätte mir keine Sorgen darübermachen müssen, ob jemandem auf fallen könnte, dass mit mir was nicht stimmte.Die ganze Aufmerksamkeit galt wie immer den Zwillingen. Selbst wenn ich meinenKopf unter dem Arm getragen hätte, wäre es niemandem aufgefallen.
Habakuk matschte den Rotkohl unterdie Kartoffeln und versuchte, den Brei bei geschlossenem Kiefer durch seineZahnlücke einzusaugen. Arsenius schlug das Besteck auf den Tellerrand und brüllteim Takt »Habakuk! Spuck! Spuck! Spuck!« dazu. Und dastat Habakuk dann auch nach einer Weile: Er spuckte seinen Brei mit würgendenLauten wieder zurück auf den Teller. ()
© Verlagsgruppe Lübbe
- Autor: Kerstin Gier
- 2007, Maße: 12,5 x 18,6 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404156145
- ISBN-13: 9783404156146
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