Geliebter Mörder
Eine wahre Geschichte
So packend wie ein Thriller - und doch eine wahre Geschichte. Eine Frau hat sich verliebt - in einen Mörder.
Bei einer Partnerbörse im Internet lernt Kristin, Anfang 40, Claus kennen. Schon bald empfindet sie tiefe Gefühle...
Bei einer Partnerbörse im Internet lernt Kristin, Anfang 40, Claus kennen. Schon bald empfindet sie tiefe Gefühle...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Geliebter Mörder “
So packend wie ein Thriller - und doch eine wahre Geschichte. Eine Frau hat sich verliebt - in einen Mörder.
Bei einer Partnerbörse im Internet lernt Kristin, Anfang 40, Claus kennen. Schon bald empfindet sie tiefe Gefühle für Claus. Doch nach vier Monaten macht er Kristin ein Geständnis: er ist ein verurteilter Mörder!
Vor elf Jahren hat er seine Freundin umgebracht. Kristin ist schockiert. Doch sie liebt Claus - trotz allem...
Bei einer Partnerbörse im Internet lernt Kristin, Anfang 40, Claus kennen. Schon bald empfindet sie tiefe Gefühle für Claus. Doch nach vier Monaten macht er Kristin ein Geständnis: er ist ein verurteilter Mörder!
Vor elf Jahren hat er seine Freundin umgebracht. Kristin ist schockiert. Doch sie liebt Claus - trotz allem...
Klappentext zu „Geliebter Mörder “
Eine wahre Geschichte, so packend wie ein ThrillerKristin Ganzwohl lernt Claus bei einer Partnerbörse im Internet kennen. Ein Glücksfall, beide sind Anfang vierzig, und schon bald fühlt es sich an wie Liebe. Bis er ihr nach vier Monaten ein Geständnis macht, das Kristin ins Bodenlose stürzen lässt: Claus hat elf Jahre zuvor seine Freundin umgebracht - er ist ein verurteilter Mörder ... Der packende Bericht einer Frau, die entscheiden muss, ob eine Liebesbeziehung mit einem Mörder möglich ist.
Ildikó von Kürthy in BRIGITTE: "Ich hoffe, dass mir das nicht passiert, wovon ich mir nicht vorstellen kann, dass es mir passiert. Das hat Kristin Ganzwohl auch getan. Jetzt liebt sie einen Mann, der seine Freundin umgebracht hat.Und das ist nichts, was man sich schnatternd und mit wohligem Grausen bei der Pediküre erzählt. Da wächst kein Gras drüber. Das ist extremes Leben. Und Sterben. In ihrem Buch "Geliebter Mörder" erzählt die Journalistin ihre Geschichte und wie sich ihr Leben veränderte an dem Tag, an dem der Mann, in den sie sich vier Monate zuvor verliebt hatte, zu ihr sagte: "Wir müssen reden."
Lese-Probe zu „Geliebter Mörder “
Geliebter Mörder von Kristin GanzwohlDas Geständnis
»Wir müssen reden«, sagt er beim Sonntagsfrühstück in meiner Küche. Unglaublich, was dieser abgedroschene, zu oft gehörte Satz in mir auslösen kann.
Denn Wir müssen reden heißt nie Wir müssen dringend unseren dreiwöchigen Sommerurlaub auf Sardinien planen oder Ich will endlich mit dir zusammenziehen - was hältst du davon?
Ich rechne auch nicht mit einer harmlosen Gewissenserleichterung wie etwa Schatz, ich habe leider diese weiße Rosenthal-Vase zerbrochen, die du von deiner Uroma geerbt hast.
Nein, auf Wir müssen reden folgt normalerweise Ich habe da jemanden kennengelernt, Unsere Beziehung macht mich nicht mehr glücklich, Du kannst nichts dafür, aber ... Oder gleich die Wahrheit: Ich möchte mich trennen.
Der Satz Wir müssen reden ist der Anfang vom Ende einer Liebe. So war es immer. Bisher.
Dieses Mal jedoch erwartet mich ein Geständnis, dagegen wird alles verblassen, was bisher war - Untreue, Lügen, Betrug und erloschene Gefühle. Ein Geständnis, das triviale Metaphern wie Es war, als würde der Boden unter meinen Füßen weggezogen oder Die Sonne schien sich zu verdunkeln wahr werden lässt. Genauso wird sich die Welt - meine Welt - danach anfühlen. Bodenlos, dunkel, eiskalt.
... mehr
Wir müssen reden. Noch habe ich keine Ahnung, nicht die geringste.
Ich sehe ihm über den Frühstückstisch in die Augen. Ich entdecke Tränen darin. Tränen? Was haben die da zu suchen? Meine Hände halten die Sonntagszeitung, das FAS-Feuilleton, sie beginnen zu zittern. Es ist mir peinlich. Ich hoffe, er sieht es nicht. Mein Hals ist plötzlich staubtrocken. Ich schlucke vergeblich gegen die Wüste in meinem Mund an. Mein Herz hämmert mir gegen die Brust, als wolle es unbedingt nach draußen. Bilder von früher tauchen in meinem Kopf auf: ein anderes, halb aufgegessenes Sonntagsfrühstück, Croissant-Krümel auf Tisch und Teller, die dritte Tasse Kaffee; es war gemütlich, vertraut, vielleicht ein bisschen zu warm - gerade hatte ich überlegt, das Fenster zu kippen -, im Hintergrund dudelte stilvoll Nouvelle Vague. Da sagte der Mann, mit dem ich damals alt werden wollte: Wir müssen reden. Der Anfang vom Ende einer großen Liebe. Jahre ist das her.
Seitdem passierte es so oder so ähnlich noch ein paar Mal, mit anderen Männern, an anderen Küchentischen. Die Liebe war nicht in jedem Fall groß. Manchmal war ich es, die den abgedroschenen Satz aussprach. Weh tat es eigentlich immer.
Unglaublich, was dieser Satz auslösen kann.
Wir müssen reden. Mein Herz beruhigt sich ziemlich schnell. Was soll schon passieren? Ich kenne diesen Mann erst seit vier Monaten. Wir sind noch in der Phase, in der er einen Riesenblumenstrauß mitbringt - keine roten Rosen, die kann ich nicht leiden, zu klischeehaft -, wenn er zum Abendessen kommt. Er hat sich sogar gemerkt, dass es mich nervt und anstrengt, immerzu Wasser nach Hause zu schleppen. Also hat er bei diesem Besuch zwei Kisten mitgebracht. Die richtige Marke, der richtige Kohlensäuregehalt. Ich war gerührt. Einer, der sich Gedanken macht, aufmerksam und ein bisschen altmodisch ist, dachte ich.
Es ist noch die Phase, in der Männer Komplimente machen, selbst wenn man mit verschmiertem Kajal, verklebten Augen, verwuschelten Haaren und karierten Pyjamahosen am Frühstückstisch lümmelt. Seine Komplimente drehen sich häufig um meinen Busen. »Wie kann man in deinem Alter noch so straffe Brüste haben? Und die sind wirklich nicht gemacht? Ganz ehrlich jetzt? Lass noch mal fühlen ...« Und um meinen Hintern. »Unglaublich knackig. Und das Beste daran ist, dass deine Hüften vergleichsweise schmal sind.«
Ich nehme ihm diese Sorte Komplimente nicht übel, im Gegenteil. Ich habe die üblichen, langweiligen Phrasen über Augen und Lippen streng verboten. Und er hält sich daran.
Wir müssen reden. Es kann unmöglich um Trennung gehen. Viel zu früh. Ich habe ihn im Internet kennengelernt, bei einer angeblich sehr seriösen, fast schon spießigen Partnerbörse, bei der ich auf Drängen meiner besten Freundin Hannah halbherzig versuchte, den Mann fürs Leben zu finden. Bisher waren mir jedoch nur Langeweiler, Spießer, Angeber und/oder hässliche Frösche statt Prinzen untergekommen.
frei. Eine nette, halbwegs originelle Mail, ein offenbar attraktiver Mann - das war mir beim Internetdating noch nicht allzu oft passiert. Ich schickte trotzdem eine Absage, immerhin eine freundliche: Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, aber nachdem ich dein Profil gelesen habe, glaube ich nicht, dass wir zusammenpassen - »konservativ« ist nicht so mein Ding. Ich wünsche dir viel Glück beim Suchen und Finden der Liebe!
Ein »leitender Manager im Finanzwesen (40)«, der sich selbst als »konservativ« beschrieb - das klang nicht nach meinem Traummann. Das klang haargenau nach meinem Ex, den ich vor einem Jahr verlassen hatte. Ich wünschte mir einen Verwegenen, Wilden mit Dreitagebart und einem Job, bei dem man keine Krawatten tragen muss. Das Gegenteil von konservativ sozusagen.
Seine Antwort kam wenige Minuten nachdem ich ihm den netten schriftlichen Korb gegeben hatte. Ich habe das Wort »konservativ« sofort aus meinem Profil gelöscht und auch sonst einiges geändert, schrieb er zurück. Vielleicht passe ich jetzt besser in die Prinzenschublade? Bitte, lies es doch noch einmal.
Das gefiel mir, also las ich das neue Profil, entschuldigte mich für die vorschnelle Absage, bekam humorvolle Antworten, interessante Komplimente, und irgendwann, nach ein paar Wochen, trafen wir uns - obwohl er genau an diesem Tag den Münchner Triathlon absolviert hatte.
Es war sein siebter in diesem Jahr. Und mir, die ich nur Bauch-Beine-Po-Kurse im Fitnessstudio besuche, war nicht klar, was das bedeutete: Nämlich, dass er Mühe hatte, die Treppenstufen zu dem Café hochzusteigen, in dem wir verabredet waren. Dass er mir zeigen wollte, wie wichtig ihm dieses Treffen war. Ich möchte dich unbedingt noch sehen, bevor du mit deiner Freundin nach Rom fliegst, hatte er mir geschrieben. Das geht dann schon irgendwie, trotz Triathlon. Er fiel fast vom Stuhl vor Muskelkater, aß etwa zwei Kilo Pasta mit Sahnesoße, immer wieder fielen ihm kurz die Augen zu. Und er war das Beste, was mir seit Langem passiert war.
»Viel Haar, viel Hirn, viel Herz«, so beschrieb ich ihn später meiner Freundin Hannah, als ich mit ihr durch Rom schlenderte.
»Iiih, Haare auf dem Rücken oder was?«, kreischte sie. »Nein, Haupthaar. Ich spreche von dunklen Locken auf dem Kopf. Du weißt doch, wie sehr ich auf Wuschelköpfe stehe - und wie schwierig es ist, welche zu finden, weil alle Kerle ab dreißig mit Geheimratsecken kämpfen.«
»Leider wahr.«
»Außerdem kommt es ja wohl mehr auf Herz und Hirn an.«
»Naaa jaaa ...«, meinte Hannah.
Zusätzlich zu den Locken trug Claus in seiner Freizeit den von mir so geschätzten Dreitagebart und Furchen im Gesicht, auf die jeder Hollywood-Star, der einen einsamen Cowboy darstellen sollte, neidisch wäre. Ich mag Cowboys.
Beim vierten Date an der Isar, drei Wochen nach meinem Rom-Trip, hatte er Wein und Gläser dabei. Beim Ein- und Aussteigen in seinen Sportwagen hielt er mir immer die Tür auf. Alles Masche, dachte ich, macht er bestimmt bei jeder. Schön fand ich es trotzdem. Ein bisschen albern, aber schön.
Es war Ende September und trotzdem so warm wie an einem Hochsommertag, was ich leider zu spät gemerkt hatte. Daher saß ich schwitzend in einem langärmeligen, gestreiften Designerfischerhemd und passenden ausgebleichten Jeans am Flussufer und hechelte möglichst unauffällig vor mich hin, während er sich in schwarzen Badeshorts auf der Picknickdecke räkelte und seinen Triathlon-gestählten Körper zur Schau stellte.
Ein bisschen wie Coco Chanel, gespielt von Audrey Tautou in dem gleichnamigen Film, hatte ich mit meinem Pseudofischerhemd aussehen wollen. Sogar meine dunklen Haare hatte ich mir in diesem Stil geföhnt, zumindest hatte ich es versucht. Doch dank der Hitze ähnelte ich wohl eher einem verschwitzten Krabbenkutterkapitän.
»Dir muss doch furchtbar warm sein«, sagte er. »Warum ziehst du die Bluse nicht aus? BHs sehen heute meistens aus wie Bikini-Oberteile, das ist doch völlig in Ordnung.«
Das stimmte natürlich, aber heute trug ich meinen Ketchup-roten, leicht nuttigen, durchsichtigen Spitzen- BH, dessen Träger ab und zu dezent hervorblitzen sollten. Mehr nicht. Damit ein Sonnenbad an der Isar, vor ihm, dem konservativen Cowboy - undenkbar. Irgendwann jedoch, kurz vor einem Hitzschlag, war mir alles egal, und ich riss mir das Hemd vom Leib.
Er räusperte sich und sagte: »Siehste, ist doch viel besser so.«
Als wir in meine Wohnung zurückkamen, war ich beschwipst von Sonne und Weißwein aus richtigen Gläsern. Er redete ununterbrochen von meinem roten Spitzen-BH, und dann schliefen wir miteinander. Es war genau der richtige Zeitpunkt, nicht zu früh, nicht zu spät. Es fühlte sich richtig an. Danach waren wir ein Paar, ohne es aussprechen zu müssen.
Trotzdem machte ich mir Gedanken. Und Sorgen. Claus ist vierzig, ein Jahr jünger als ich. Er will Kinder oder zumindest ein Kind. Schon nach wenigen Wochen begann er, davon zu sprechen. Ich hatte mit dem Kinderthema längst abgeschlossen, hatte einfach nicht mehr damit gerechnet, ausgerechnet jetzt, nach all meinen kurzen Liebeleien und langen, gescheiterten Beziehungsversuchen noch jemandem zu begegnen, von dem ich glaubte, mich wirklich in ihn verlieben zu können. Jemanden, der zudem »unbedingt Papa werden« will, wie er oft und gern sagt.
Die meisten Männer, mit denen ich mich vor Claus getroffen hatte, waren Alimente zahlende Scheidungsväter mit Wochenendbesuchsrecht, wenigen Illusionen und noch weniger Lust auf weiteren Nachwuchs. Ich konnte das verstehen und hatte mich damit abgefunden.
Und jetzt das. Ein bindungswilliger, liebevoller, altmodisch- aufmerksamer Cowboy mit großem Kinderwunsch, der ungefragt Wasserträger hochschleppte.
Die biologische Uhr begann plötzlich zu ticken. Aber war das nicht purer Wahnsinn? Mit einem Mann, den ich erst ein paar Monate kannte, ein Kind zu planen? Und was, wenn es nicht klappte? Immerhin war ich jenseits der magischen Grenze vierzig - im besten Fall eine Risikoschwangere und Superspätgebärende, im schlechtesten eine alte Schachtel mit vertrockneten Eierstöcken. Würde er mich nicht allzu bald gegen eine Jüngere austauschen? So wie damals meine große Liebe? Sollte ich mich wirklich der Gefahr aussetzen, all das noch mal durchmachen zu müssen?
Und dann die Sportsache: Ein Leben ohne Sport ist für Claus undenkbar, nicht lebenswert. Er entspannt sich beim Sport, täglich. Ich entspanne mich mit Chips vor dem Fernseher oder einem dicken Krimi-Wälzer am Strand. Natürlich macht er nicht nur Triathlon. Er läuft Ski, segelt und hat eine Surflehrerlizenz.
»Ist doch völlig egal«, sagte er.
»Ist es nicht«, sagte ich. »Ich kann gegen die Skihaserl und Triathlon-Mausis nicht anstinken.«
»Natürlich kannst du.«
Meine Güte, kaum zu glauben, wie viel ich über das Sport- und Kinderproblem nachdachte. Bevor das ECHTE Problem auftauchte.
»Wir müssen reden.«
Er steht von seinem Stuhl auf, kommt zu mir herüber und zieht mich hoch in seine Arme.
»Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen, da können wir nebeneinander auf der Couch sitzen. Ich möchte neben dir sitzen, wenn ich es dir sage.«
»Es« dir sage, hallt es in meinem Ohr nach. Es.
Er führt mich aus der Küche wie eine Krankenschwester einen Patienten, der vor einer OP schon leicht sediert ist. So ähnlich fühle ich mich auch. Ich tapse strumpfsockig und langsam neben ihm her, in meinem Gehirn jedoch rasen die Gedanken.
Was wird er mir sagen? Was kann es sein? Was? Aids, schießt mir durch den Kopf. Er ist HIV-positiv. O Gott.
Ganz am Anfang waren wir sehr vorbildlich gewesen und hatten Kondome benutzt, doch nach ein paar Wochen, nachdem aus uns ein Paar - zwar erst in der Probezeit, aber: ein Paar - geworden war, hatten wir sie einfach weggelassen. Ohne zuvor einen Test zu machen. Jetzt hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Das Schlimmste daran ist, dass mir das nicht zum ersten Mal passiert. Aus einem Fremden wird ein Geliebter oder eher ein Lover; man verbringt viel Zeit miteinander und bekommt nach und nach das Gefühl, sich gut zu kennen. Der Gedanke an Ansteckung rückt in weite Ferne, bis die Beziehung zerbricht. Dann erscheint der Gedanke daran gar nicht mehr so abwegig. Jedes Mal wieder habe ich mir fest vorgenommen, nie wieder so unvorsichtig zu sein und beim nächsten Mal unbedingt auf einem HIV-Test zu bestehen, bevor ... Aber nein, das würde er mir doch nicht antun. Er würde doch nicht zulassen, dass wir auf Kondome verzichten, wenn er weiß, dass er infiziert ist. Niemals.
Vielleicht hat er Krebs. Unheilbar. Noch ein Jahr zu leben. Aber könnte ein Krebskranker zehn- bis zwölfmal im Jahr an einem Triathlon teilnehmen? Und würde ein Todgeweihter unbedingt ein Kind in die Welt setzen wollen? Vielleicht gerade darum, dachte ich. Was weiß ich schon über unheilbar Kranke?
Doch vielleicht ist die Wahrheit auch ganz banal und die Welt so, wie ich es bisher erfahren und gelernt habe. Ich will etwas sagen, bringe aber nur eine Art Krähenkrächzen hervor und räuspere mich.
»Hast du eine Familie, Frau und Kinder? Oder eine andere, parallel zu mir?«
Er lacht auf - es klingt wie ein Schrei.
»Was wäre ich froh, wenn es so wäre«, sagt er. »Nein, es ist schlimmer, viel, viel, viel schlimmer.«
Drei Mal »viel«. Ich lasse mich auf die Couch fallen, wickele mich in meine Felldecke. Mir ist es trotz voll aufgedrehter Heizung kalt.
»Ich halte es nicht mehr aus. Rück endlich damit heraus. «
»Wenn du es weißt, wird sich alles ändern. Ich werde nicht mehr dieselbe Person sein für dich. Und du wirst einige Dinge besser verstehen, die zwischen uns passiert sind und die dir vielleicht komisch vorgekommen sind.«
»Komisch vorgekommen« waren mir tatsächlich ein paar Erlebnisse mit ihm. Wie etwa die Begegnung im Englischen Garten, bei einem Sonntagsspaziergang. Da war uns dieses Pärchen entgegengekommen: Er um die vierzig, Lederjacke, Rolex, eine Goldkette, die im angegrauten Brusthaar versank; sie knapp über zwanzig, sehr langhaarig, langbeinig und lipglossig, in Stretchjeans und auf Zehn-Zentimeter-Absätzen, die für einen Spaziergang völlig ungeeignet waren.
»Isch glaub das nicht, der Claus, das alte Haus!«, rief der Goldkettenbrusthaarträger und breitete die Arme aus. Das Langbein schwieg und lächelte mit Lipgloss-Lippen.
»Wladi!«, rief Claus.
Sie umarmten sich. Das Langbein lächelte weiter.
»Wladi, darf ich vorstellen, das ist Kristin«, sagte Claus. Wohlerzogen wie immer.
»Hallo Wladi«, sagte ich.
Wladi sagte nichts, sondern nickte nur kurz ungefähr in meine Richtung. Seine Begleiterin blieb ohne Namen. Sie lächelte trotzdem tapfer weiter.
»Wie geht's denn so?«, fragte Claus.
»Muss ja«, sagte Wladi.
»Und, wie laufen die Geschäfte?«
»Müssen ja«, sagte Wladi.
Ich kam mir vor wie in einer Comedy-Sendung.
»Was macht der Sport?«, fragte Claus.
»Nicht mehr so viel. Zu wenig Zeit. Zu viel Arbeit, kennste ja.«
»Klar, kenn ich.«
»Aber du, immer noch der Topsportler, was?«
»Ja, ja, immer. Muss ja.«
»Deinem Mann kann keiner das Wasser reichen - zumindest beim Sport«, sagte Wladi zu mir und grinste.
»Hahaha«, machte Claus und wurde rot.
»Doch, doch, bist 'n Guter.« Und dann zu mir: »Hast 'n guten Mann erwischt. Vergiss das nicht.«
Ich überlegte, was ich darauf erwidern könnte. Mir fiel nichts ein.
Wladi wandte sich zum Gehen, zog das Langbein hinter sich her.
»Dann noch einen schönen Nachmittag!«, rief Claus.
»Ciao«, murmelte ich.
»Gleichfalls. Bleib senkrecht!«, sagte Wladi über seine Schulter hinweg.
Fünfzig Meter weiter konnte ich mich nicht mehr halten und gackerte los: »Der Claus, das alte Haus! Wie geht's? Muss ja. Wie laufen die Geschäfte? Müssen ja. Bleib senkrecht! Was war das denn? Versteckte Kamera? Oder bist du nebenberuflich im Rotlichtmilieu tätig? Woher kennst du denn diese Zuhälter-Pappnase?«
Claus hustete.
»Kein Zuhälter«, sagte er. »Import-Export. Und ich kenne ihn vom Sport.«
»Der macht Triathlon?«, fragte ich ehrlich erstaunt.
»Nein, nein, vom Krafttraining.«
»Und ich dachte immer, in meinem Fitnessstudio seien eigenartige Typen«, sagte ich.
»Ja, da siehste mal. Ich bin gar nicht so langweilig und konservativ, wie du gedacht hast.«
»Natürlich nicht«, sagte ich und schob meinen Arm um seine Hüfte. »Du bist Cowboy Claus, das alte Haus.«
»Komisch vorgekommen« war mir auch das Essen bei Claus' besten Freunden, Anna und Thorsten. Insgesamt zehn Leute waren eingeladen. Ich kannte keinen, er alle. Der sehr dicke Rainer, die sehr schwangere Susanne, der sehr gut aussehende Bernd, die sehr blonde Löckchen- Berit, der Sprücheklopfer Wolfgang, die sofort beschwipste Johanna - ich versuchte, mir alle Namen so schnell wie möglich einzuprägen. Es war ja die Premiere, die Feuertaufe. Ich war aufgeregt, hatte vorher lange überlegt, was ich anziehen, was erzählen sollte. Denn natürlich wollte ich, dass mich seine Freunde mögen, interessant, sympathisch, locker und attraktiv finden.
Noch nervöser machte mich, dass Claus vor der Einladung mindestens ebenso angespannt schien wie ich. Denkt er, dass ich ihn blamiere, oder was?, fragte ich mich.
Hinterher erzählte ich Hannah, dass alles sehr nett gewesen sei. Es hatte Wildschweinhaxe, Salat und Kartoffelgratin gegeben. Ich hatte angeboten, Nachtisch mitzubringen, mein berühmt-berüchtigtes Tiramisu. Es war kein Krümelchen übrig geblieben, und keiner hatte Witze über das gar nicht mehr hippe, typische Neunzigerjahre- Dessert gemacht. Wir hatten über neue Filme und Reisen gesprochen, über Skifahren, über das Essen und Weine und Kochen - alles ganz normal.
»Wirklich sehr nett und entspannt«, sagte ich zu Hannah.
Doch ich erzählte ihr nicht alles, weil ich mir bescheuert vorkam. Ich erzählte nicht von den Kleinigkeiten, die mich irritiert hatten, ohne sagen zu können, warum. Manchmal, wenn ich vom Teller aufgeschaut hatte, bemerkte ich, dass mich einer von Claus' Freunden anstarrte, seinen Blick aber schnell wieder senkte. Claus selbst hatte die ganze Zeit ziemlich verkrampft gewirkt; er hatte zu oft zu laut gelacht und mir immer wieder Blicke zugeworfen, die ich nicht hatte deuten können.
Die zu früh beschwipste Johanna hatte mich gefragt - als sie schon weit mehr als nur beschwipst gewesen war: »Du kennst doch bestimmt Claus' Vorgeschichte?«
»Ähm ... Vorgeschichte?«, hatte ich zurückgefragt. »Ja, also, ich kenne ihn ja erst seit ein paar Monaten, und natürlich haben wir uns viel erzählt, aber ... Ich weiß nicht?«
»Ach so.« Johanna hatte gehustet und ihre Finger in die Länge gezogen, bis die Knöchel knackten.
»Was meinst du mit Vorgeschichte?«
»Ja ... Also ...«
Copyright © 2013 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Wir müssen reden. Noch habe ich keine Ahnung, nicht die geringste.
Ich sehe ihm über den Frühstückstisch in die Augen. Ich entdecke Tränen darin. Tränen? Was haben die da zu suchen? Meine Hände halten die Sonntagszeitung, das FAS-Feuilleton, sie beginnen zu zittern. Es ist mir peinlich. Ich hoffe, er sieht es nicht. Mein Hals ist plötzlich staubtrocken. Ich schlucke vergeblich gegen die Wüste in meinem Mund an. Mein Herz hämmert mir gegen die Brust, als wolle es unbedingt nach draußen. Bilder von früher tauchen in meinem Kopf auf: ein anderes, halb aufgegessenes Sonntagsfrühstück, Croissant-Krümel auf Tisch und Teller, die dritte Tasse Kaffee; es war gemütlich, vertraut, vielleicht ein bisschen zu warm - gerade hatte ich überlegt, das Fenster zu kippen -, im Hintergrund dudelte stilvoll Nouvelle Vague. Da sagte der Mann, mit dem ich damals alt werden wollte: Wir müssen reden. Der Anfang vom Ende einer großen Liebe. Jahre ist das her.
Seitdem passierte es so oder so ähnlich noch ein paar Mal, mit anderen Männern, an anderen Küchentischen. Die Liebe war nicht in jedem Fall groß. Manchmal war ich es, die den abgedroschenen Satz aussprach. Weh tat es eigentlich immer.
Unglaublich, was dieser Satz auslösen kann.
Wir müssen reden. Mein Herz beruhigt sich ziemlich schnell. Was soll schon passieren? Ich kenne diesen Mann erst seit vier Monaten. Wir sind noch in der Phase, in der er einen Riesenblumenstrauß mitbringt - keine roten Rosen, die kann ich nicht leiden, zu klischeehaft -, wenn er zum Abendessen kommt. Er hat sich sogar gemerkt, dass es mich nervt und anstrengt, immerzu Wasser nach Hause zu schleppen. Also hat er bei diesem Besuch zwei Kisten mitgebracht. Die richtige Marke, der richtige Kohlensäuregehalt. Ich war gerührt. Einer, der sich Gedanken macht, aufmerksam und ein bisschen altmodisch ist, dachte ich.
Es ist noch die Phase, in der Männer Komplimente machen, selbst wenn man mit verschmiertem Kajal, verklebten Augen, verwuschelten Haaren und karierten Pyjamahosen am Frühstückstisch lümmelt. Seine Komplimente drehen sich häufig um meinen Busen. »Wie kann man in deinem Alter noch so straffe Brüste haben? Und die sind wirklich nicht gemacht? Ganz ehrlich jetzt? Lass noch mal fühlen ...« Und um meinen Hintern. »Unglaublich knackig. Und das Beste daran ist, dass deine Hüften vergleichsweise schmal sind.«
Ich nehme ihm diese Sorte Komplimente nicht übel, im Gegenteil. Ich habe die üblichen, langweiligen Phrasen über Augen und Lippen streng verboten. Und er hält sich daran.
Wir müssen reden. Es kann unmöglich um Trennung gehen. Viel zu früh. Ich habe ihn im Internet kennengelernt, bei einer angeblich sehr seriösen, fast schon spießigen Partnerbörse, bei der ich auf Drängen meiner besten Freundin Hannah halbherzig versuchte, den Mann fürs Leben zu finden. Bisher waren mir jedoch nur Langeweiler, Spießer, Angeber und/oder hässliche Frösche statt Prinzen untergekommen.
frei. Eine nette, halbwegs originelle Mail, ein offenbar attraktiver Mann - das war mir beim Internetdating noch nicht allzu oft passiert. Ich schickte trotzdem eine Absage, immerhin eine freundliche: Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, aber nachdem ich dein Profil gelesen habe, glaube ich nicht, dass wir zusammenpassen - »konservativ« ist nicht so mein Ding. Ich wünsche dir viel Glück beim Suchen und Finden der Liebe!
Ein »leitender Manager im Finanzwesen (40)«, der sich selbst als »konservativ« beschrieb - das klang nicht nach meinem Traummann. Das klang haargenau nach meinem Ex, den ich vor einem Jahr verlassen hatte. Ich wünschte mir einen Verwegenen, Wilden mit Dreitagebart und einem Job, bei dem man keine Krawatten tragen muss. Das Gegenteil von konservativ sozusagen.
Seine Antwort kam wenige Minuten nachdem ich ihm den netten schriftlichen Korb gegeben hatte. Ich habe das Wort »konservativ« sofort aus meinem Profil gelöscht und auch sonst einiges geändert, schrieb er zurück. Vielleicht passe ich jetzt besser in die Prinzenschublade? Bitte, lies es doch noch einmal.
Das gefiel mir, also las ich das neue Profil, entschuldigte mich für die vorschnelle Absage, bekam humorvolle Antworten, interessante Komplimente, und irgendwann, nach ein paar Wochen, trafen wir uns - obwohl er genau an diesem Tag den Münchner Triathlon absolviert hatte.
Es war sein siebter in diesem Jahr. Und mir, die ich nur Bauch-Beine-Po-Kurse im Fitnessstudio besuche, war nicht klar, was das bedeutete: Nämlich, dass er Mühe hatte, die Treppenstufen zu dem Café hochzusteigen, in dem wir verabredet waren. Dass er mir zeigen wollte, wie wichtig ihm dieses Treffen war. Ich möchte dich unbedingt noch sehen, bevor du mit deiner Freundin nach Rom fliegst, hatte er mir geschrieben. Das geht dann schon irgendwie, trotz Triathlon. Er fiel fast vom Stuhl vor Muskelkater, aß etwa zwei Kilo Pasta mit Sahnesoße, immer wieder fielen ihm kurz die Augen zu. Und er war das Beste, was mir seit Langem passiert war.
»Viel Haar, viel Hirn, viel Herz«, so beschrieb ich ihn später meiner Freundin Hannah, als ich mit ihr durch Rom schlenderte.
»Iiih, Haare auf dem Rücken oder was?«, kreischte sie. »Nein, Haupthaar. Ich spreche von dunklen Locken auf dem Kopf. Du weißt doch, wie sehr ich auf Wuschelköpfe stehe - und wie schwierig es ist, welche zu finden, weil alle Kerle ab dreißig mit Geheimratsecken kämpfen.«
»Leider wahr.«
»Außerdem kommt es ja wohl mehr auf Herz und Hirn an.«
»Naaa jaaa ...«, meinte Hannah.
Zusätzlich zu den Locken trug Claus in seiner Freizeit den von mir so geschätzten Dreitagebart und Furchen im Gesicht, auf die jeder Hollywood-Star, der einen einsamen Cowboy darstellen sollte, neidisch wäre. Ich mag Cowboys.
Beim vierten Date an der Isar, drei Wochen nach meinem Rom-Trip, hatte er Wein und Gläser dabei. Beim Ein- und Aussteigen in seinen Sportwagen hielt er mir immer die Tür auf. Alles Masche, dachte ich, macht er bestimmt bei jeder. Schön fand ich es trotzdem. Ein bisschen albern, aber schön.
Es war Ende September und trotzdem so warm wie an einem Hochsommertag, was ich leider zu spät gemerkt hatte. Daher saß ich schwitzend in einem langärmeligen, gestreiften Designerfischerhemd und passenden ausgebleichten Jeans am Flussufer und hechelte möglichst unauffällig vor mich hin, während er sich in schwarzen Badeshorts auf der Picknickdecke räkelte und seinen Triathlon-gestählten Körper zur Schau stellte.
Ein bisschen wie Coco Chanel, gespielt von Audrey Tautou in dem gleichnamigen Film, hatte ich mit meinem Pseudofischerhemd aussehen wollen. Sogar meine dunklen Haare hatte ich mir in diesem Stil geföhnt, zumindest hatte ich es versucht. Doch dank der Hitze ähnelte ich wohl eher einem verschwitzten Krabbenkutterkapitän.
»Dir muss doch furchtbar warm sein«, sagte er. »Warum ziehst du die Bluse nicht aus? BHs sehen heute meistens aus wie Bikini-Oberteile, das ist doch völlig in Ordnung.«
Das stimmte natürlich, aber heute trug ich meinen Ketchup-roten, leicht nuttigen, durchsichtigen Spitzen- BH, dessen Träger ab und zu dezent hervorblitzen sollten. Mehr nicht. Damit ein Sonnenbad an der Isar, vor ihm, dem konservativen Cowboy - undenkbar. Irgendwann jedoch, kurz vor einem Hitzschlag, war mir alles egal, und ich riss mir das Hemd vom Leib.
Er räusperte sich und sagte: »Siehste, ist doch viel besser so.«
Als wir in meine Wohnung zurückkamen, war ich beschwipst von Sonne und Weißwein aus richtigen Gläsern. Er redete ununterbrochen von meinem roten Spitzen-BH, und dann schliefen wir miteinander. Es war genau der richtige Zeitpunkt, nicht zu früh, nicht zu spät. Es fühlte sich richtig an. Danach waren wir ein Paar, ohne es aussprechen zu müssen.
Trotzdem machte ich mir Gedanken. Und Sorgen. Claus ist vierzig, ein Jahr jünger als ich. Er will Kinder oder zumindest ein Kind. Schon nach wenigen Wochen begann er, davon zu sprechen. Ich hatte mit dem Kinderthema längst abgeschlossen, hatte einfach nicht mehr damit gerechnet, ausgerechnet jetzt, nach all meinen kurzen Liebeleien und langen, gescheiterten Beziehungsversuchen noch jemandem zu begegnen, von dem ich glaubte, mich wirklich in ihn verlieben zu können. Jemanden, der zudem »unbedingt Papa werden« will, wie er oft und gern sagt.
Die meisten Männer, mit denen ich mich vor Claus getroffen hatte, waren Alimente zahlende Scheidungsväter mit Wochenendbesuchsrecht, wenigen Illusionen und noch weniger Lust auf weiteren Nachwuchs. Ich konnte das verstehen und hatte mich damit abgefunden.
Und jetzt das. Ein bindungswilliger, liebevoller, altmodisch- aufmerksamer Cowboy mit großem Kinderwunsch, der ungefragt Wasserträger hochschleppte.
Die biologische Uhr begann plötzlich zu ticken. Aber war das nicht purer Wahnsinn? Mit einem Mann, den ich erst ein paar Monate kannte, ein Kind zu planen? Und was, wenn es nicht klappte? Immerhin war ich jenseits der magischen Grenze vierzig - im besten Fall eine Risikoschwangere und Superspätgebärende, im schlechtesten eine alte Schachtel mit vertrockneten Eierstöcken. Würde er mich nicht allzu bald gegen eine Jüngere austauschen? So wie damals meine große Liebe? Sollte ich mich wirklich der Gefahr aussetzen, all das noch mal durchmachen zu müssen?
Und dann die Sportsache: Ein Leben ohne Sport ist für Claus undenkbar, nicht lebenswert. Er entspannt sich beim Sport, täglich. Ich entspanne mich mit Chips vor dem Fernseher oder einem dicken Krimi-Wälzer am Strand. Natürlich macht er nicht nur Triathlon. Er läuft Ski, segelt und hat eine Surflehrerlizenz.
»Ist doch völlig egal«, sagte er.
»Ist es nicht«, sagte ich. »Ich kann gegen die Skihaserl und Triathlon-Mausis nicht anstinken.«
»Natürlich kannst du.«
Meine Güte, kaum zu glauben, wie viel ich über das Sport- und Kinderproblem nachdachte. Bevor das ECHTE Problem auftauchte.
»Wir müssen reden.«
Er steht von seinem Stuhl auf, kommt zu mir herüber und zieht mich hoch in seine Arme.
»Komm, lass uns ins Wohnzimmer gehen, da können wir nebeneinander auf der Couch sitzen. Ich möchte neben dir sitzen, wenn ich es dir sage.«
»Es« dir sage, hallt es in meinem Ohr nach. Es.
Er führt mich aus der Küche wie eine Krankenschwester einen Patienten, der vor einer OP schon leicht sediert ist. So ähnlich fühle ich mich auch. Ich tapse strumpfsockig und langsam neben ihm her, in meinem Gehirn jedoch rasen die Gedanken.
Was wird er mir sagen? Was kann es sein? Was? Aids, schießt mir durch den Kopf. Er ist HIV-positiv. O Gott.
Ganz am Anfang waren wir sehr vorbildlich gewesen und hatten Kondome benutzt, doch nach ein paar Wochen, nachdem aus uns ein Paar - zwar erst in der Probezeit, aber: ein Paar - geworden war, hatten wir sie einfach weggelassen. Ohne zuvor einen Test zu machen. Jetzt hätte ich mich dafür ohrfeigen können. Das Schlimmste daran ist, dass mir das nicht zum ersten Mal passiert. Aus einem Fremden wird ein Geliebter oder eher ein Lover; man verbringt viel Zeit miteinander und bekommt nach und nach das Gefühl, sich gut zu kennen. Der Gedanke an Ansteckung rückt in weite Ferne, bis die Beziehung zerbricht. Dann erscheint der Gedanke daran gar nicht mehr so abwegig. Jedes Mal wieder habe ich mir fest vorgenommen, nie wieder so unvorsichtig zu sein und beim nächsten Mal unbedingt auf einem HIV-Test zu bestehen, bevor ... Aber nein, das würde er mir doch nicht antun. Er würde doch nicht zulassen, dass wir auf Kondome verzichten, wenn er weiß, dass er infiziert ist. Niemals.
Vielleicht hat er Krebs. Unheilbar. Noch ein Jahr zu leben. Aber könnte ein Krebskranker zehn- bis zwölfmal im Jahr an einem Triathlon teilnehmen? Und würde ein Todgeweihter unbedingt ein Kind in die Welt setzen wollen? Vielleicht gerade darum, dachte ich. Was weiß ich schon über unheilbar Kranke?
Doch vielleicht ist die Wahrheit auch ganz banal und die Welt so, wie ich es bisher erfahren und gelernt habe. Ich will etwas sagen, bringe aber nur eine Art Krähenkrächzen hervor und räuspere mich.
»Hast du eine Familie, Frau und Kinder? Oder eine andere, parallel zu mir?«
Er lacht auf - es klingt wie ein Schrei.
»Was wäre ich froh, wenn es so wäre«, sagt er. »Nein, es ist schlimmer, viel, viel, viel schlimmer.«
Drei Mal »viel«. Ich lasse mich auf die Couch fallen, wickele mich in meine Felldecke. Mir ist es trotz voll aufgedrehter Heizung kalt.
»Ich halte es nicht mehr aus. Rück endlich damit heraus. «
»Wenn du es weißt, wird sich alles ändern. Ich werde nicht mehr dieselbe Person sein für dich. Und du wirst einige Dinge besser verstehen, die zwischen uns passiert sind und die dir vielleicht komisch vorgekommen sind.«
»Komisch vorgekommen« waren mir tatsächlich ein paar Erlebnisse mit ihm. Wie etwa die Begegnung im Englischen Garten, bei einem Sonntagsspaziergang. Da war uns dieses Pärchen entgegengekommen: Er um die vierzig, Lederjacke, Rolex, eine Goldkette, die im angegrauten Brusthaar versank; sie knapp über zwanzig, sehr langhaarig, langbeinig und lipglossig, in Stretchjeans und auf Zehn-Zentimeter-Absätzen, die für einen Spaziergang völlig ungeeignet waren.
»Isch glaub das nicht, der Claus, das alte Haus!«, rief der Goldkettenbrusthaarträger und breitete die Arme aus. Das Langbein schwieg und lächelte mit Lipgloss-Lippen.
»Wladi!«, rief Claus.
Sie umarmten sich. Das Langbein lächelte weiter.
»Wladi, darf ich vorstellen, das ist Kristin«, sagte Claus. Wohlerzogen wie immer.
»Hallo Wladi«, sagte ich.
Wladi sagte nichts, sondern nickte nur kurz ungefähr in meine Richtung. Seine Begleiterin blieb ohne Namen. Sie lächelte trotzdem tapfer weiter.
»Wie geht's denn so?«, fragte Claus.
»Muss ja«, sagte Wladi.
»Und, wie laufen die Geschäfte?«
»Müssen ja«, sagte Wladi.
Ich kam mir vor wie in einer Comedy-Sendung.
»Was macht der Sport?«, fragte Claus.
»Nicht mehr so viel. Zu wenig Zeit. Zu viel Arbeit, kennste ja.«
»Klar, kenn ich.«
»Aber du, immer noch der Topsportler, was?«
»Ja, ja, immer. Muss ja.«
»Deinem Mann kann keiner das Wasser reichen - zumindest beim Sport«, sagte Wladi zu mir und grinste.
»Hahaha«, machte Claus und wurde rot.
»Doch, doch, bist 'n Guter.« Und dann zu mir: »Hast 'n guten Mann erwischt. Vergiss das nicht.«
Ich überlegte, was ich darauf erwidern könnte. Mir fiel nichts ein.
Wladi wandte sich zum Gehen, zog das Langbein hinter sich her.
»Dann noch einen schönen Nachmittag!«, rief Claus.
»Ciao«, murmelte ich.
»Gleichfalls. Bleib senkrecht!«, sagte Wladi über seine Schulter hinweg.
Fünfzig Meter weiter konnte ich mich nicht mehr halten und gackerte los: »Der Claus, das alte Haus! Wie geht's? Muss ja. Wie laufen die Geschäfte? Müssen ja. Bleib senkrecht! Was war das denn? Versteckte Kamera? Oder bist du nebenberuflich im Rotlichtmilieu tätig? Woher kennst du denn diese Zuhälter-Pappnase?«
Claus hustete.
»Kein Zuhälter«, sagte er. »Import-Export. Und ich kenne ihn vom Sport.«
»Der macht Triathlon?«, fragte ich ehrlich erstaunt.
»Nein, nein, vom Krafttraining.«
»Und ich dachte immer, in meinem Fitnessstudio seien eigenartige Typen«, sagte ich.
»Ja, da siehste mal. Ich bin gar nicht so langweilig und konservativ, wie du gedacht hast.«
»Natürlich nicht«, sagte ich und schob meinen Arm um seine Hüfte. »Du bist Cowboy Claus, das alte Haus.«
»Komisch vorgekommen« war mir auch das Essen bei Claus' besten Freunden, Anna und Thorsten. Insgesamt zehn Leute waren eingeladen. Ich kannte keinen, er alle. Der sehr dicke Rainer, die sehr schwangere Susanne, der sehr gut aussehende Bernd, die sehr blonde Löckchen- Berit, der Sprücheklopfer Wolfgang, die sofort beschwipste Johanna - ich versuchte, mir alle Namen so schnell wie möglich einzuprägen. Es war ja die Premiere, die Feuertaufe. Ich war aufgeregt, hatte vorher lange überlegt, was ich anziehen, was erzählen sollte. Denn natürlich wollte ich, dass mich seine Freunde mögen, interessant, sympathisch, locker und attraktiv finden.
Noch nervöser machte mich, dass Claus vor der Einladung mindestens ebenso angespannt schien wie ich. Denkt er, dass ich ihn blamiere, oder was?, fragte ich mich.
Hinterher erzählte ich Hannah, dass alles sehr nett gewesen sei. Es hatte Wildschweinhaxe, Salat und Kartoffelgratin gegeben. Ich hatte angeboten, Nachtisch mitzubringen, mein berühmt-berüchtigtes Tiramisu. Es war kein Krümelchen übrig geblieben, und keiner hatte Witze über das gar nicht mehr hippe, typische Neunzigerjahre- Dessert gemacht. Wir hatten über neue Filme und Reisen gesprochen, über Skifahren, über das Essen und Weine und Kochen - alles ganz normal.
»Wirklich sehr nett und entspannt«, sagte ich zu Hannah.
Doch ich erzählte ihr nicht alles, weil ich mir bescheuert vorkam. Ich erzählte nicht von den Kleinigkeiten, die mich irritiert hatten, ohne sagen zu können, warum. Manchmal, wenn ich vom Teller aufgeschaut hatte, bemerkte ich, dass mich einer von Claus' Freunden anstarrte, seinen Blick aber schnell wieder senkte. Claus selbst hatte die ganze Zeit ziemlich verkrampft gewirkt; er hatte zu oft zu laut gelacht und mir immer wieder Blicke zugeworfen, die ich nicht hatte deuten können.
Die zu früh beschwipste Johanna hatte mich gefragt - als sie schon weit mehr als nur beschwipst gewesen war: »Du kennst doch bestimmt Claus' Vorgeschichte?«
»Ähm ... Vorgeschichte?«, hatte ich zurückgefragt. »Ja, also, ich kenne ihn ja erst seit ein paar Monaten, und natürlich haben wir uns viel erzählt, aber ... Ich weiß nicht?«
»Ach so.« Johanna hatte gehustet und ihre Finger in die Länge gezogen, bis die Knöchel knackten.
»Was meinst du mit Vorgeschichte?«
»Ja ... Also ...«
Copyright © 2013 by Diana Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Kristin Ganzwohl
Kristin Ganzwohl arbeitet als Journalistin für Zeitschriften und hat bereits mehrere Bücher veröffentlicht. Sie lebt in der Nähe von München.
Bibliographische Angaben
- Autor: Kristin Ganzwohl
- 2013, 288 Seiten, Maße: 13,4 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Diana
- ISBN-10: 3453285395
- ISBN-13: 9783453285392
- Erscheinungsdatum: 13.05.2013
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