Gefahrenzone
Parfümmagnat Carson Brooks hat alles, wovon Menschen träumen. Doch er weiß nicht, ob ihn eine anonyme Samenspende, die er vor dreißig Jahren vorgenommen hat, zum Vater machte. Als er von einem Unbekannten angeschossen wird,...
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Produktinformationen zu „Gefahrenzone “
Parfümmagnat Carson Brooks hat alles, wovon Menschen träumen. Doch er weiß nicht, ob ihn eine anonyme Samenspende, die er vor dreißig Jahren vorgenommen hat, zum Vater machte. Als er von einem Unbekannten angeschossen wird, entscheidet die Suche nach seinem möglichen Kind über Leben und Tod: Die Kugel des Täters hat Carsons Niere getroffen, und nur ein Blutsverwandter ist in der Lage, ihn zu retten. Carsons Anwalt Dylan Newport hat einen Tag, um das vermeintliche Kind zu finden. Seine Suche führt ihn zu Sabrina Radcliffe, doch mit der Entdeckung der jungen Frau ist der Fall nicht abgeschlossen. Denn es gibt eine Macht, die mit allen Mitteln versucht, die Rettung des Parfümmagnaten zu verhindern ...
"NIEMAND SCHREIBT SO PACKEND WIE ANDREA KANE."
Publishers Weekly
Lese-Probe zu „Gefahrenzone “
Gefahrenzone von Andrea Kane1
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Montag, 5. September, Labor Day 17.45 Uhr, New York City
Man hatte auf ihn geschossen. Er hatte den Schützen nicht gesehen, nicht einmal gehört. Als der Schuss fiel, spürte er auch schon den brennenden Schmerz im Rücken. Er wurde gegen das Panoramafenster geschleudert, durch das er hinausgeschaut hatte, streckte eine Hand aus und stützte sich an der Scheibe ab. Er schaffte es, sich halb umzudrehen und zur Tür seines Büros zu schauen.
Doch wer immer geschossen hatte, war verschwunden.
Schmerz durchfuhr ihn wie eine Messerklinge; dann überkam ihn Schwäche, und seine Beine gaben nach. Er versuchte noch, sich am Schreibtisch festzuhalten, griff aber ins Leere und stürzte auf den Teppich. Seine Hände konnten den Aufprall kaum bremsen. Instinktiv drehte er den Kopf zur Seite, um sein Gesicht zu schützen. Er bekam nicht mehr richtig Luft. Als er dann doch einen Atemzug nahm, stieg ihm zugleich ein süßlicher, Übelkeit erregender Geruch in die Nase.
Er veränderte seine Lage ein wenig und versuchte, durch den Mund zu atmen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Teppich feucht war und immer feuchter wurde, da irgendetwas Klebriges ihn durchtränkte. Mein Blut, dachte er verwirrt und spürte die nahende Ohnmacht, konnte sich aber
nicht bewegen, nicht zur Tür kriechen. Die Schnur des Telefonhörers hing vom Schreibtisch, aber er kam nicht heran. Er versuchte zu rufen, brachte aber keinen Laut hervor. Außerdem - was sollte das nutzen? Heute war Labor Day, ein Feiertag. In der Firma war keine Menschenseele, außer ihm selbst und Dylan Newport. Und Dylans Büro lag auf der anderen Seite des Gebäudes. Es brachte nichts, Lärm zu machen. Carson konnte nur hoffen, dass Dylan erschien, bevor es zu spät war.
Er hörte Schritte näher kommen.
»Okay, Carson, ich hab die Akten, die du wolltest. Wir können sie später durchgehen. Jetzt sollten wir erst mal über diese persönliche Sache sprechen, die ich ... mein Gott!« Dylan warf die Papiere hin und war wie der Blitz neben Carson Brooks. »Kannst du mich hören?«, rief er und fühlte den Puls.
»Ja ...« Carsons Stimme klang rau und schwach. »Angeschossen«, brachte er hervor und leckte sich die trockenen Lippen.
Dylan sprang auf. »Nicht sprechen! Ich rufe einen Rettungswagen.« Er schnappte sich das Telefon, wählte den Notruf. »Hier Dylan Newport«, sprudelte er hervor. »Ich rufe von Ruisseau an, 57. Straße West. Ein Mann wurde angeschossen.« Pause. »Keine Namen, keine Presse. Schicken Sie nur einen Rettungswagen, und zwar schnell. Ja, er ist noch bei Bewusstsein, aber sehr schwach. Er hat viel Blut verloren. Sieht aus, als hätte es ihn im Rücken erwischt.« Wieder eine kurze Pause. »Ja. Gut. Schicken Sie den Rettungswagen. Jetzt. Elfter Stock, südöstliche Ecke des Gebäudes.«
Er knallte den Hörer auf die Gabel und kniete sich wieder neben den Verletzten. »Lieg still. Beweg dich nicht. Der Rettungswagen ist unterwegs.«
»Unverschämter Kerl ...«, spottete Carson mit schwacher
Stimme. »Ich bin noch nicht mal tot, und er gibt schon Befehle ...«
Dylan erwiderte etwas, doch Carson konnte es nicht verstehen. Er hatte das Gefühl, außerhalb seines Körpers zu schweben. Fühlte sich so das Sterben an? Dann war es gar nicht so schlimm. Ärgerlich war nur, dass er so viele Dinge noch nicht erledigt hatte. Vor allem blieb die eine große, ungelöste Frage, die er nun als Geheimnis mit ins Grab nehmen würde.
Achtundzwanzig Jahre. Schon seltsam, dass es erst vor kurzem so wichtig geworden war. Und jetzt, als er endlich etwas unternehmen wollte, wurde ihm die Möglichkeit dazu genommen.
»Verdammt, Carson, bleib wach!«
Er hätte Dylan gern geantwortet, doch seine Gedanken schweiften in eine andere Zeit, eine Zeit vor achtundzwanzig Jahren, in ein anderes Leben. Zu dem zentralen Ereignis, das über sein Schicksal entschieden hatte. Damals war das Samenkorn gepflanzt worden, aus dem ein Imperium gewachsen war.
Ein Samenkorn. Was für eine ironische Metapher.
Ein Same ... zwanzigtausend Dollar. Kein Risiko, keine Verpflichtungen, nichts zu verlieren. Was für ein Handel.
Stan hatte Recht gehabt. Es war ein Handel gewesen - ein Handel, der sein Leben verändert hatte.
Und vielleicht ein anderes Leben hatte entstehen lassen.
Carson, du hast es. Die Intelligenz. Das Aussehen. Die Jugend. Den Charme. Setz es ein. Wenn sie anbeißt, kannst du 'ne hübsche Stange Geld verdienen.
Sie hatte angebissen. Und er hatte kassiert.
Von diesem Tag an hatte er das Feld beackert. Hatte nie zurückgeschaut. Nicht bis vor wenigen Wochen. Schon seltsam, wie der fünfzigste Geburtstag einen Mann dazu bringen konnte, Bilanz zu ziehen ...
»Wo ist er?«
Stimmen. Rasche Schritte. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln und Krankenhaus.
Sanitäter.
»Hier« Dylans drängende Stimme, als er die Männer hereinführte. »Es ist Carson Brooks.«
Seine Lider flatterten. Durch einen Nebel nahm er zwei Beinpaare in Rettungsuniformen wahr.
Die Sanitäter knieten neben ihm nieder und machten sich an die Arbeit.
»Puls hundertfünfzig.«
»Blutdruck hundert zu sechzig.«
»Das ist für Carson sehr niedrig.« Dylans Anwaltsstimme. Schneidend. Respekt einflößend. Eine Stimme, die selbst seine gefährlichsten Gegner beeindruckte. »Normalerweise hat er hundertfünfzig zu hundert. Er leidet an Bluthochdruck und nimmt Dyaxide.«
»Wissen Sie, ob er sonst regelmäßig Medikamente einnimmt?«
»Nein.«
»Okay.« Carson spürte einen Druck im Rücken. Seine Lider wurden gehoben, seine Augen von einem nadelstichartigen Licht geblendet. »Die Pupillen sind geweitet. Können Sie mich hören, Mr Brooks?«
»Ja ...«
»Gut. Bleiben Sie ganz ruhig. Wir versuchen, die Blutung zu stoppen.«
»Atmung flach.«
»Sauerstoff. Er muss auf die Trage. Los!«
»Sofort.« Zwei weitere Sanitäter waren ins Zimmer gekommen und machten sich an ihren Geräten zu schaffen.
Träge schweifte Carsons Blick zu dem komplizierten Muster des Orientteppichs. Die Blumen wiesen mehr Rot auf als vorher. Und das Rot breitete sich immer weiter aus.
Eine Sauerstoffmaske wurde ihm über Nase und Mund geschoben und mit einem Elastikband befestigt. »Atmen Sie ganz normal, Mr Brooks. Das wird Ihnen gut tun.«
Das stimmte nur bedingt. Rasselnd sog er den Sauerstoff ein. Der penetrante Geruch nach Lufterfrischer verflog.
»Sein Puls wird schwächer. Das Herz schlägt schneller. Wir müssen ihn wegbringen.« Wieder ein Wirbel an Aktivität um ihn herum: Eine Krankentrage wurde neben ihn gestellt. »Auf Drei. Eins, zwei ... drei.«
Carson hörte sich stöhnen, als sie ihn auf die Trage hoben und festschnallten. Das Stöhnen erinnerte ihn daran, dass er noch lebte. Er musste am Leben bleiben. Er musste herausfinden, wer ihn hatte erschießen wollen. Er musste sein Vermächtnis schützen.
Und er musste herausfinden, ob die Ruisseau Corporation sein einziges Vermächtnis war oder ob es noch ein anderes gab: einen Menschen.
Doch seine Entschlossenheit wurde von dem Nebel, der sein Bewusstsein einhüllte, nahezu erstickt.
»Bleiben Sie wach, Mr Brooks!« Die Stimmen der Sanitäter. Sie hatten ihn auf die Bahre gelegt und waren bereits auf dem Weg durch die Eingangshalle. Seltsam. Er konnte sich nicht entsinnen, mit dem Fahrstuhl hinuntergefahren zu sein.
»Ist er noch bei Bewusstsein?«, wollte Dylan von den Sanitätern wissen.
»Nur sehr schwach.« Die Glastür flog auf. Um ihn herum die stickige Luft des Sommers von Manhattan. Ein Hauch davon drang ihm durch die Sauerstoffmaske in die Nase. Blaulichter zuckten. Neben der Ambulanz hielten mehrere Streifenwagen. Ein Cop lief auf die Sanitäter zu. Andere verschwanden im Gebäude.
Man trug ihn zum Rettungswagen. »Mount Sinai Hospital?«, fragte Dylan den Sanitäter, der sich neben ihn gesetzt hatte.
»Yep. Wir fahren rüber zur Madison und dann geradeaus
nach Uptown. Mit Sirene schaffen wir's in drei Minuten.« »Ich fahre mit«, sagte Dylan und schickte sich an, in den
Wagen zu klettern.
»Äh, Mr Newport ...« Der Fahrer drehte sich um und räusperte sich verlegen. »Die Polizei möchte mit Ihnen über den...«
»Ach ja?«, schnitt Dylan ihm das Wort ab. »Dann sollen sie zum Mount Sinai kommen. Ich fahre mit, keine Diskussion. Und wie ich schon sagte - Sie nennen keine Namen und verständigen auch nicht die Presse. Los jetzt!«
Niemand wagte zu widersprechen. Die Türen wurden zugeschlagen. Die Sirene heulte auf, und der Rettungswagen jagte davon.
»Herzschlag hundertsiebzig. Blutdruck fünfzig zu neunzig.« Der Sanitäter beugte sich über ihn. »Mr Brooks, können Sie mir sagen, wie alt Sie sind?«
»Fünfzig ...«
Seine Stimme verschmolz mit dem Heulen der Sirene. Der Verkehr auf der Madison Avenue schien sich zu teilen wie die Wasser des Roten Meeres.
»Carson«, hörte er Dylans Stimme undeutlich, aber nahe an seinem Ohr.
»Immer noch ... am Leben«, brachte er mühsam heraus. »Hab ich auch nicht bezweifelt. Du bist unverwüstlich.« »Jaaa ... sag das dem ... der das getan hat.«
»Ich könnte mir was Besseres vorstellen, als es diesem Scheißkerl nur zu sagen.« Er überlegte kurz. »Hast du ihn sehen können?«
»Nichts gesehen ... war zu schnell ... und von hinten.«
Carson holte langsam und rasselnd Luft. »Dylan ...« »Wir kriegen ihn, Carson. Mach dir keine Sorgen.« »Darum geht es nicht.« Schwach schüttelte er den Kopf.
Allmählich verlor er das Bewusstsein. War es nur vorübergehend? Oder bedeutete es das Ende? »Diese Sache, die mir so zu schaffen gemacht hat ... diese vertrauliche Sache ...« »Ja, ich weiß.«
Er schluckte, kämpfte gegen die Wogen der Dunkelheit. »Falls ich ein Kind habe ... will ich es wissen. Du musst es rausfinden ...«
2
Dienstag, 6. September, 10.30 Uhr,
Institut für kreatives unternehmerisches Denken (CCTL), Auburn, New Hampshire
Guten Morgen. Willkommen bei CCTL.« Sabrina betrat den Konferenzraum und nahm ihren Platz am Kopfende des eleganten Teakholztisches ein. Gleichzeitig musterte sie das neue Managementteam von Office Perks, einer in Boston ansässigen Firma für Büroartikel.
Die Gruppe hatte den üblichen Zuschnitt. Acht leitende Angestellte - fünf Männer, drei Frauen. Die meisten Mitte dreißig, wenige zwischen Anfang und Mitte vierzig. Allen voran der 44-jährige Robert Stowbe, der nach der Aufsehen erregenden Fusion zum neuen Direktor des Unternehmens ernannt worden war. Seine Abteilungsleiter hatte er sorgfältig ausgewählt und dabei Sabrinas Recherchen zufolge einen hervorragenden Job geleistet. Edward Roward, der Chef der Finanzabteilung, hatte in seiner vorherigen Stellung eine satte Erhöhung der Gewinne zu Stande gebracht; Harold Case, der Vertriebsleiter, war ein smarter Typ, der seine Klientel gut kannte; Lauren Hollis, die IT-Expertin, war ein Arbeitstier; Paul Jacobs von der Strategischen Planung besaß Initiative und kreative Energie; Lois Ames vom Marketing hatte gute Verbindungen und sprühte vor neuen Ideen; Jerry Baines von der Abteilung Forschung und Entwicklung konnte hervorragende Referenzen vorweisen, neigte aber ein wenig zu Selbstherrlichkeit; und schließlich war da Meg Lakes, eine viel versprechende junge Frau für die Führung der Personalabteilung.
Doch nun begann der schwierige Teil. Wie brachte man eine Gruppe ebenso talentierter wie ehrgeiziger Individuen dazu, sich zu einem funktionierenden Managementteam zusammenzufinden?
Das war Sabrinas Aufgabe.
Ob sie Erfolg hatte oder nicht, würde sich erst mit der Zeit zeigen.
Nachdem sie vier Jahre in der Managementberatung gearbeitet hatte - drei bei den Topadressen der Branche und ein Jahr hier bei CCTL -, wusste Sabrina, dass kein Team mit dem anderen zu vergleichen war. Es gab kaum Veränderungen, die ohne Widerstand durchgesetzt werden konnten, und man durfte nichts für gegeben hinnehmen.
Und doch hatte Sabrina eine beeindruckende Erfolgsbilanz. Deshalb nahmen viele Firmen, die expandieren wollten oder eine Verjüngungsspritze brauchten, gern ihre Hilfe in Anspruch.
»Ich bin Sabrina Radcliffe«, begann sie und blieb absichtlich stehen, obwohl alle anderen saßen - ein Routineschachzug, um die Kontrolle über das Meeting zu behalten. »Wie Sie wissen, bin ich die Geschäftsführerin von CCTL. Ich will Sie nicht mit einer Aufzählung meiner Laufbahn und meiner Zeugnisse langweilen, denn sicherlich haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht und wissen, wie es um meinen Ruf und den von CCTL bestellt ist. Ich möchte Sie für den Anfang nur einladen, Gebrauch von unserer Einrichtung zu
machen - sowohl für Ihre Erholung, geistig wie physisch, als auch für Ihre berufliche Weiterbildung.
Richten Sie sich für die nächsten vier Tage auf eine intensive Arbeitsphase ein. Wir werden regelmäßig Meetings abhalten. Die Zeiten Ihrer Workshops sind auf den Stundenplänen vermerkt, die Sie bei der Anmeldung erhalten haben. Sie werden feststellen, dass wir zwischen den einzelnen Blöcken Zeit zu Ihrer freien Verfügung gelassen haben. Diese sollten Sie zur Entspannung nutzen. Wir wollen damit beide Enden der Skala bedienen: sich ausruhen und wieder anspannen. Unser Personal bietet Stressmanagement- und Yogakurse an. Überdies haben wir ein Fitnesscenter mit den neuesten Geräten, die Sie benutzen können, wann immer Sie Lust dazu haben. Und schließlich haben wir den Lake Massabesic direkt vor der Tür. Sie können segeln, Kanu fahren oder wandern. Tun Sie, was Ihnen Spaß macht.«
Sabrina schätzte die Aufmerksamkeitsspanne ihrer Zuhörer ab. Es wurde Zeit, über das Essen zu reden.
»Nun zu den Mahlzeiten.«
Alle setzten sich auf. Kein Wunder. So war es immer, wenn das Essen zur Sprache kam.
»Unsere Köche sind hervorragend«, fuhr sie fort. »Wir haben sie aus den besten Restaurants der ganzen Welt abgeworben. Erwarten Sie also keinesfalls, dass Sie abnehmen. Das werden Sie nicht schaffen, es sei denn, es wäre Ihr Ziel. Wenn Sie also besondere Wünsche haben oder Diätvorschriften befolgen müssen, sagen Sie es bitte dem Küchenpersonal. Sie werden alles tun, Ihren Wünschen entgegenzukommen.«
Sabrina strich mit den Fingerspitzen leicht über ihren dunkelroten Seidenblazer und ihre Slacks. »Zu den Team Meetings kommen Sie bitte nicht overdressed. Das Letzte, was wir gebrauchen können, sind enge Krawatten und Hosenbünde. Meiner Überzeugung nach behindert alles, was die Atmung einengt, auch die Kreativität.«
Übersetzung: Barbara Först
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2003 by Rainbow Connection Enterprises Inc.
Montag, 5. September, Labor Day 17.45 Uhr, New York City
Man hatte auf ihn geschossen. Er hatte den Schützen nicht gesehen, nicht einmal gehört. Als der Schuss fiel, spürte er auch schon den brennenden Schmerz im Rücken. Er wurde gegen das Panoramafenster geschleudert, durch das er hinausgeschaut hatte, streckte eine Hand aus und stützte sich an der Scheibe ab. Er schaffte es, sich halb umzudrehen und zur Tür seines Büros zu schauen.
Doch wer immer geschossen hatte, war verschwunden.
Schmerz durchfuhr ihn wie eine Messerklinge; dann überkam ihn Schwäche, und seine Beine gaben nach. Er versuchte noch, sich am Schreibtisch festzuhalten, griff aber ins Leere und stürzte auf den Teppich. Seine Hände konnten den Aufprall kaum bremsen. Instinktiv drehte er den Kopf zur Seite, um sein Gesicht zu schützen. Er bekam nicht mehr richtig Luft. Als er dann doch einen Atemzug nahm, stieg ihm zugleich ein süßlicher, Übelkeit erregender Geruch in die Nase.
Er veränderte seine Lage ein wenig und versuchte, durch den Mund zu atmen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass der Teppich feucht war und immer feuchter wurde, da irgendetwas Klebriges ihn durchtränkte. Mein Blut, dachte er verwirrt und spürte die nahende Ohnmacht, konnte sich aber
nicht bewegen, nicht zur Tür kriechen. Die Schnur des Telefonhörers hing vom Schreibtisch, aber er kam nicht heran. Er versuchte zu rufen, brachte aber keinen Laut hervor. Außerdem - was sollte das nutzen? Heute war Labor Day, ein Feiertag. In der Firma war keine Menschenseele, außer ihm selbst und Dylan Newport. Und Dylans Büro lag auf der anderen Seite des Gebäudes. Es brachte nichts, Lärm zu machen. Carson konnte nur hoffen, dass Dylan erschien, bevor es zu spät war.
Er hörte Schritte näher kommen.
»Okay, Carson, ich hab die Akten, die du wolltest. Wir können sie später durchgehen. Jetzt sollten wir erst mal über diese persönliche Sache sprechen, die ich ... mein Gott!« Dylan warf die Papiere hin und war wie der Blitz neben Carson Brooks. »Kannst du mich hören?«, rief er und fühlte den Puls.
»Ja ...« Carsons Stimme klang rau und schwach. »Angeschossen«, brachte er hervor und leckte sich die trockenen Lippen.
Dylan sprang auf. »Nicht sprechen! Ich rufe einen Rettungswagen.« Er schnappte sich das Telefon, wählte den Notruf. »Hier Dylan Newport«, sprudelte er hervor. »Ich rufe von Ruisseau an, 57. Straße West. Ein Mann wurde angeschossen.« Pause. »Keine Namen, keine Presse. Schicken Sie nur einen Rettungswagen, und zwar schnell. Ja, er ist noch bei Bewusstsein, aber sehr schwach. Er hat viel Blut verloren. Sieht aus, als hätte es ihn im Rücken erwischt.« Wieder eine kurze Pause. »Ja. Gut. Schicken Sie den Rettungswagen. Jetzt. Elfter Stock, südöstliche Ecke des Gebäudes.«
Er knallte den Hörer auf die Gabel und kniete sich wieder neben den Verletzten. »Lieg still. Beweg dich nicht. Der Rettungswagen ist unterwegs.«
»Unverschämter Kerl ...«, spottete Carson mit schwacher
Stimme. »Ich bin noch nicht mal tot, und er gibt schon Befehle ...«
Dylan erwiderte etwas, doch Carson konnte es nicht verstehen. Er hatte das Gefühl, außerhalb seines Körpers zu schweben. Fühlte sich so das Sterben an? Dann war es gar nicht so schlimm. Ärgerlich war nur, dass er so viele Dinge noch nicht erledigt hatte. Vor allem blieb die eine große, ungelöste Frage, die er nun als Geheimnis mit ins Grab nehmen würde.
Achtundzwanzig Jahre. Schon seltsam, dass es erst vor kurzem so wichtig geworden war. Und jetzt, als er endlich etwas unternehmen wollte, wurde ihm die Möglichkeit dazu genommen.
»Verdammt, Carson, bleib wach!«
Er hätte Dylan gern geantwortet, doch seine Gedanken schweiften in eine andere Zeit, eine Zeit vor achtundzwanzig Jahren, in ein anderes Leben. Zu dem zentralen Ereignis, das über sein Schicksal entschieden hatte. Damals war das Samenkorn gepflanzt worden, aus dem ein Imperium gewachsen war.
Ein Samenkorn. Was für eine ironische Metapher.
Ein Same ... zwanzigtausend Dollar. Kein Risiko, keine Verpflichtungen, nichts zu verlieren. Was für ein Handel.
Stan hatte Recht gehabt. Es war ein Handel gewesen - ein Handel, der sein Leben verändert hatte.
Und vielleicht ein anderes Leben hatte entstehen lassen.
Carson, du hast es. Die Intelligenz. Das Aussehen. Die Jugend. Den Charme. Setz es ein. Wenn sie anbeißt, kannst du 'ne hübsche Stange Geld verdienen.
Sie hatte angebissen. Und er hatte kassiert.
Von diesem Tag an hatte er das Feld beackert. Hatte nie zurückgeschaut. Nicht bis vor wenigen Wochen. Schon seltsam, wie der fünfzigste Geburtstag einen Mann dazu bringen konnte, Bilanz zu ziehen ...
»Wo ist er?«
Stimmen. Rasche Schritte. Der Geruch nach Desinfektionsmitteln und Krankenhaus.
Sanitäter.
»Hier« Dylans drängende Stimme, als er die Männer hereinführte. »Es ist Carson Brooks.«
Seine Lider flatterten. Durch einen Nebel nahm er zwei Beinpaare in Rettungsuniformen wahr.
Die Sanitäter knieten neben ihm nieder und machten sich an die Arbeit.
»Puls hundertfünfzig.«
»Blutdruck hundert zu sechzig.«
»Das ist für Carson sehr niedrig.« Dylans Anwaltsstimme. Schneidend. Respekt einflößend. Eine Stimme, die selbst seine gefährlichsten Gegner beeindruckte. »Normalerweise hat er hundertfünfzig zu hundert. Er leidet an Bluthochdruck und nimmt Dyaxide.«
»Wissen Sie, ob er sonst regelmäßig Medikamente einnimmt?«
»Nein.«
»Okay.« Carson spürte einen Druck im Rücken. Seine Lider wurden gehoben, seine Augen von einem nadelstichartigen Licht geblendet. »Die Pupillen sind geweitet. Können Sie mich hören, Mr Brooks?«
»Ja ...«
»Gut. Bleiben Sie ganz ruhig. Wir versuchen, die Blutung zu stoppen.«
»Atmung flach.«
»Sauerstoff. Er muss auf die Trage. Los!«
»Sofort.« Zwei weitere Sanitäter waren ins Zimmer gekommen und machten sich an ihren Geräten zu schaffen.
Träge schweifte Carsons Blick zu dem komplizierten Muster des Orientteppichs. Die Blumen wiesen mehr Rot auf als vorher. Und das Rot breitete sich immer weiter aus.
Eine Sauerstoffmaske wurde ihm über Nase und Mund geschoben und mit einem Elastikband befestigt. »Atmen Sie ganz normal, Mr Brooks. Das wird Ihnen gut tun.«
Das stimmte nur bedingt. Rasselnd sog er den Sauerstoff ein. Der penetrante Geruch nach Lufterfrischer verflog.
»Sein Puls wird schwächer. Das Herz schlägt schneller. Wir müssen ihn wegbringen.« Wieder ein Wirbel an Aktivität um ihn herum: Eine Krankentrage wurde neben ihn gestellt. »Auf Drei. Eins, zwei ... drei.«
Carson hörte sich stöhnen, als sie ihn auf die Trage hoben und festschnallten. Das Stöhnen erinnerte ihn daran, dass er noch lebte. Er musste am Leben bleiben. Er musste herausfinden, wer ihn hatte erschießen wollen. Er musste sein Vermächtnis schützen.
Und er musste herausfinden, ob die Ruisseau Corporation sein einziges Vermächtnis war oder ob es noch ein anderes gab: einen Menschen.
Doch seine Entschlossenheit wurde von dem Nebel, der sein Bewusstsein einhüllte, nahezu erstickt.
»Bleiben Sie wach, Mr Brooks!« Die Stimmen der Sanitäter. Sie hatten ihn auf die Bahre gelegt und waren bereits auf dem Weg durch die Eingangshalle. Seltsam. Er konnte sich nicht entsinnen, mit dem Fahrstuhl hinuntergefahren zu sein.
»Ist er noch bei Bewusstsein?«, wollte Dylan von den Sanitätern wissen.
»Nur sehr schwach.« Die Glastür flog auf. Um ihn herum die stickige Luft des Sommers von Manhattan. Ein Hauch davon drang ihm durch die Sauerstoffmaske in die Nase. Blaulichter zuckten. Neben der Ambulanz hielten mehrere Streifenwagen. Ein Cop lief auf die Sanitäter zu. Andere verschwanden im Gebäude.
Man trug ihn zum Rettungswagen. »Mount Sinai Hospital?«, fragte Dylan den Sanitäter, der sich neben ihn gesetzt hatte.
»Yep. Wir fahren rüber zur Madison und dann geradeaus
nach Uptown. Mit Sirene schaffen wir's in drei Minuten.« »Ich fahre mit«, sagte Dylan und schickte sich an, in den
Wagen zu klettern.
»Äh, Mr Newport ...« Der Fahrer drehte sich um und räusperte sich verlegen. »Die Polizei möchte mit Ihnen über den...«
»Ach ja?«, schnitt Dylan ihm das Wort ab. »Dann sollen sie zum Mount Sinai kommen. Ich fahre mit, keine Diskussion. Und wie ich schon sagte - Sie nennen keine Namen und verständigen auch nicht die Presse. Los jetzt!«
Niemand wagte zu widersprechen. Die Türen wurden zugeschlagen. Die Sirene heulte auf, und der Rettungswagen jagte davon.
»Herzschlag hundertsiebzig. Blutdruck fünfzig zu neunzig.« Der Sanitäter beugte sich über ihn. »Mr Brooks, können Sie mir sagen, wie alt Sie sind?«
»Fünfzig ...«
Seine Stimme verschmolz mit dem Heulen der Sirene. Der Verkehr auf der Madison Avenue schien sich zu teilen wie die Wasser des Roten Meeres.
»Carson«, hörte er Dylans Stimme undeutlich, aber nahe an seinem Ohr.
»Immer noch ... am Leben«, brachte er mühsam heraus. »Hab ich auch nicht bezweifelt. Du bist unverwüstlich.« »Jaaa ... sag das dem ... der das getan hat.«
»Ich könnte mir was Besseres vorstellen, als es diesem Scheißkerl nur zu sagen.« Er überlegte kurz. »Hast du ihn sehen können?«
»Nichts gesehen ... war zu schnell ... und von hinten.«
Carson holte langsam und rasselnd Luft. »Dylan ...« »Wir kriegen ihn, Carson. Mach dir keine Sorgen.« »Darum geht es nicht.« Schwach schüttelte er den Kopf.
Allmählich verlor er das Bewusstsein. War es nur vorübergehend? Oder bedeutete es das Ende? »Diese Sache, die mir so zu schaffen gemacht hat ... diese vertrauliche Sache ...« »Ja, ich weiß.«
Er schluckte, kämpfte gegen die Wogen der Dunkelheit. »Falls ich ein Kind habe ... will ich es wissen. Du musst es rausfinden ...«
2
Dienstag, 6. September, 10.30 Uhr,
Institut für kreatives unternehmerisches Denken (CCTL), Auburn, New Hampshire
Guten Morgen. Willkommen bei CCTL.« Sabrina betrat den Konferenzraum und nahm ihren Platz am Kopfende des eleganten Teakholztisches ein. Gleichzeitig musterte sie das neue Managementteam von Office Perks, einer in Boston ansässigen Firma für Büroartikel.
Die Gruppe hatte den üblichen Zuschnitt. Acht leitende Angestellte - fünf Männer, drei Frauen. Die meisten Mitte dreißig, wenige zwischen Anfang und Mitte vierzig. Allen voran der 44-jährige Robert Stowbe, der nach der Aufsehen erregenden Fusion zum neuen Direktor des Unternehmens ernannt worden war. Seine Abteilungsleiter hatte er sorgfältig ausgewählt und dabei Sabrinas Recherchen zufolge einen hervorragenden Job geleistet. Edward Roward, der Chef der Finanzabteilung, hatte in seiner vorherigen Stellung eine satte Erhöhung der Gewinne zu Stande gebracht; Harold Case, der Vertriebsleiter, war ein smarter Typ, der seine Klientel gut kannte; Lauren Hollis, die IT-Expertin, war ein Arbeitstier; Paul Jacobs von der Strategischen Planung besaß Initiative und kreative Energie; Lois Ames vom Marketing hatte gute Verbindungen und sprühte vor neuen Ideen; Jerry Baines von der Abteilung Forschung und Entwicklung konnte hervorragende Referenzen vorweisen, neigte aber ein wenig zu Selbstherrlichkeit; und schließlich war da Meg Lakes, eine viel versprechende junge Frau für die Führung der Personalabteilung.
Doch nun begann der schwierige Teil. Wie brachte man eine Gruppe ebenso talentierter wie ehrgeiziger Individuen dazu, sich zu einem funktionierenden Managementteam zusammenzufinden?
Das war Sabrinas Aufgabe.
Ob sie Erfolg hatte oder nicht, würde sich erst mit der Zeit zeigen.
Nachdem sie vier Jahre in der Managementberatung gearbeitet hatte - drei bei den Topadressen der Branche und ein Jahr hier bei CCTL -, wusste Sabrina, dass kein Team mit dem anderen zu vergleichen war. Es gab kaum Veränderungen, die ohne Widerstand durchgesetzt werden konnten, und man durfte nichts für gegeben hinnehmen.
Und doch hatte Sabrina eine beeindruckende Erfolgsbilanz. Deshalb nahmen viele Firmen, die expandieren wollten oder eine Verjüngungsspritze brauchten, gern ihre Hilfe in Anspruch.
»Ich bin Sabrina Radcliffe«, begann sie und blieb absichtlich stehen, obwohl alle anderen saßen - ein Routineschachzug, um die Kontrolle über das Meeting zu behalten. »Wie Sie wissen, bin ich die Geschäftsführerin von CCTL. Ich will Sie nicht mit einer Aufzählung meiner Laufbahn und meiner Zeugnisse langweilen, denn sicherlich haben Sie Ihre Hausaufgaben gemacht und wissen, wie es um meinen Ruf und den von CCTL bestellt ist. Ich möchte Sie für den Anfang nur einladen, Gebrauch von unserer Einrichtung zu
machen - sowohl für Ihre Erholung, geistig wie physisch, als auch für Ihre berufliche Weiterbildung.
Richten Sie sich für die nächsten vier Tage auf eine intensive Arbeitsphase ein. Wir werden regelmäßig Meetings abhalten. Die Zeiten Ihrer Workshops sind auf den Stundenplänen vermerkt, die Sie bei der Anmeldung erhalten haben. Sie werden feststellen, dass wir zwischen den einzelnen Blöcken Zeit zu Ihrer freien Verfügung gelassen haben. Diese sollten Sie zur Entspannung nutzen. Wir wollen damit beide Enden der Skala bedienen: sich ausruhen und wieder anspannen. Unser Personal bietet Stressmanagement- und Yogakurse an. Überdies haben wir ein Fitnesscenter mit den neuesten Geräten, die Sie benutzen können, wann immer Sie Lust dazu haben. Und schließlich haben wir den Lake Massabesic direkt vor der Tür. Sie können segeln, Kanu fahren oder wandern. Tun Sie, was Ihnen Spaß macht.«
Sabrina schätzte die Aufmerksamkeitsspanne ihrer Zuhörer ab. Es wurde Zeit, über das Essen zu reden.
»Nun zu den Mahlzeiten.«
Alle setzten sich auf. Kein Wunder. So war es immer, wenn das Essen zur Sprache kam.
»Unsere Köche sind hervorragend«, fuhr sie fort. »Wir haben sie aus den besten Restaurants der ganzen Welt abgeworben. Erwarten Sie also keinesfalls, dass Sie abnehmen. Das werden Sie nicht schaffen, es sei denn, es wäre Ihr Ziel. Wenn Sie also besondere Wünsche haben oder Diätvorschriften befolgen müssen, sagen Sie es bitte dem Küchenpersonal. Sie werden alles tun, Ihren Wünschen entgegenzukommen.«
Sabrina strich mit den Fingerspitzen leicht über ihren dunkelroten Seidenblazer und ihre Slacks. »Zu den Team Meetings kommen Sie bitte nicht overdressed. Das Letzte, was wir gebrauchen können, sind enge Krawatten und Hosenbünde. Meiner Überzeugung nach behindert alles, was die Atmung einengt, auch die Kreativität.«
Übersetzung: Barbara Först
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH, Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Copyright der Originalausgabe © 2003 by Rainbow Connection Enterprises Inc.
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Autoren-Porträt von Andrea Kane
Andrea Kane ist in den USA eine sehr erfolgreiche Autorin. Sie lebt mit ihrem Mann und ihrer Tochter in New Jersey. Bibliographische Angaben
- Autor: Andrea Kane
- 2013, 1, 496 Seiten, Maße: 12,5 x 18,7 cm, Taschenbuch
- Verlag: Weltbild
- ISBN-10: 3863652835
- ISBN-13: 9783863652838
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